3. DURCHFÜHRUNG DES LEHRPLANES IN DEN ZWEI MITTELKLASSEN

a) Heimatkundlicher Unterricht mit Zeichnen und Handarbeit. Der heimatkundliche Unterricht ist nur eine Fortsetzung des Anschauungs- und Beobachtungsunterrichts, wenigstens [176] soweit die dritte Volksschulklasse in Frage kommt; in der vierten Volksschulklasse geht er bereits in eigentlichen Geographieunterricht über und rückt damit in die Reihe derjenigen Unterrichtsgebiete ein, die es mehr oder weniger mit überliefertem Wissen zu tun haben, wo also von einer eigentlichen Erarbeitung durch Beobachtung und Experiment wenigstens in der Volksschule nicht mehr die Rede sein kann. Wanderungen, Sandkästen zum Darstellen der horizontalen und vertikalen Gliederung, allmähliches Übertragen der so erzeugten Modelle in das zweidimensionale Kartenbild führen in die landläufigen geographischen Ausdrucksmittel ein, in die besondern Symbole und Zeichen, mit denen die Wissenschaft der Geographie arbeitet. Soweit diese Tätigkeiten (Beobachten beim Wandern, Modellieren in Sand, Zeichnen in Symbolen) geübt werden, haben wir es auch im heimatkundlichen Unterricht mit einer richtigen Erarbeitung des Kulturgutes, das wir in der Karte besitzen, zu tun.

Hierher können auch noch einzelne Schülerversuche zur Aufklärung gewisser hydrographischer Verhältnisse der oberbayrischen Hochebene gerechnet werden, wie die experimentelle Darstellung [177] des Auftretens von Quellen, von Deltabildungen, von Inselbildungen, Verschlammung von Flußmündungen, Auftauchen des Grundwassers beim Auskeilen der durchlässigen Sandschichte usw.

Dagegen ist es ein Irrtum, daß nun auch das Zeichnen von einzelnen Gegenständen aus dem heimatkundlichen Unterricht, oder die Darstellung von Stegen, Schleusen, Brücken, historischen Toren, Schlagbäumen, Wegweisern, Feldkreuzen, Flößen, Starenkobeln usw. in Holz, wie sie der Handfertigkeitsunterricht unternahm, den Geist der Arbeitsschule im Geographieunterricht widerspiegeln. Wenn die Versuchsklassen gleichwohl diese Tätigkeiten als einen unerläßlichen Bestandteil ihres Betriebes gerade in Verbindung mit dem heimatkundlichen Unterricht pflegten, so hatte das nur den Zweck, Zeichnen und Handfertigkeit, die beide für sich ihre eigene Struktur des Erarbeitungsprinzips haben, nicht isoliert vom übrigen Unterricht laufen zu lassen, sondern eben diesen durch diese beiden Fertigkeiten zu beleben und umgekehrt das geographische Interesse auch diesen Fertigkeiten zugute kommen zu lassen.

Man hätte Zeichnen wie Handfertigkeit auch [178] mit dem Rechnen oder mit den historischen Erzählungen und naturkundlichen Beobachtungen, die als erste Grundlegung des kommenden Geschichts- bzw. naturwissenschaftlichen Unterrichts in den heimatkundlichen Unterricht eingefügt werden, verbinden können, woraus unmittelbar erhellt, daß sie nicht Formen des Erarbeitungsprinzips für den heimatkundlichen bzw. geographischen Unterricht sein können. Nur soweit diese beiden Tätigkeiten die Erarbeitung klarer Vorstellungen eines Gegenstandes und seiner wertvollen Konstruktion zusammen mit Fertigkeiten des Konstruierens selbst ermöglichen können, müssen sie als Äußerungen des Arbeitsprinzips im Sinne der Arbeitsschule angesprochen werden. Aber das also Erarbeitete sind nicht Bildungsgüter der Geographie, sondern eben – genau wie ein Anschauungsunterricht – klare Vorstellungen gewisser Strukturen und Fertigkeiten zur Herstellung dieser Strukturen.

In gleicher Weise wie Zeichnen und Handfertigkeit wurden auch die Fertigkeiten des Schätzens und Messens, wo nur immer angängig, geübt und in den Dienst der Vorstellungsentwicklung gestellt. Aus den Vergleichen von tatsächlich auf den Wanderungen in der Stadt und Umgebung [179] zurückgelegten Wegstrecken mit den auf den Stadtplänen und Karten selbst gemessenen Entfernungen wurde der Maßstab der Pläne und Karten erarbeitet und zugleich dem forschenden Tätigkeitstrieb des Kindes Rechnung getragen. Da hierbei der für den geographischen Unterricht charakteristische Begriff des Maßstabes einer Karte tatsächlich erarbeitet wurde, so kann man diese Tätigkeit als eine im Sinne der Arbeitsschule liegende bezeichnen, wennschon auch auf allen rein technischen Gebieten der gleiche Begriff des Maßstabes genau in derselben Weise gültig ist und genau ebenso erarbeitet werden kann. In ähnlicher Weise führte auch das Durchqueren eines Tales (Isartal) und die darauffolgende Darstellung der Bewegung durch eine Zeichnung auf der Tafel in den Begriff des Profiles ein, der nicht bloß der Geographie angehört.

Auf den Wanderungen wurden die Gesteinsarten der nächsten Heimat von allen Kindern gesammelt: Kalk-, Quarz- und Kieselsteine aus dem Geschiebe der Isar, Nagelfluh aus ihren Hängen, Flinz, Lehm, Kalktuff. Ihre Untersuchung und Betrachtung ist gleichfalls kein Spezifikum der Geographie; sie gehört in die Anfänge der Mineralogie. [180]

Die mit der Heimatkunde verbundene Beobachtung von lebenden Fischen, Fröschen und Muscheln im Freien und im Schulaquarium, von Entwicklungsvorgängen im Raupenkasten, in den Blumenkisten des Schulzimmers sowie des Schulgartens dienten der Einführung in die Biologie von Tieren und Pflanzen durch selbständige Erarbeitung gewisser Vorstellungen und Begriffe.

Was endlich den Unterrichtsstoff im ganzen betrifft, so sei hier nur angeführt, daß er sich in der dritten Klasse mit München, mit der Umgebung Münchens und mit dem Flußgebiet der Isar, in der vierten Klasse mit dem alten Stammlande Bayern befaßte.

b) Rechnen. Der Rechnungsunterricht kann das Arbeits- oder Erarbeitungsprinzip überhaupt nicht verfehlen. Die Zahlenbegriffe müssen erarbeitet werden – auch in der schlechtesten Schule –, oder sie sind überhaupt nicht da. Der naturgemäße Gang der Erarbeitung ist schon durch die natürliche Zahlenreihe selbst gegeben, wie er auch später von den ganzen zu den gebrochenen, von den positiven zu den negativen, von den rationellen zu den irrationellen, von den reellen zu den imaginären und komplexen Zahlen fortschreitet, ohne daß jemals der Versuch auch [181] nur denkbar wäre, das Umgekehrte zu tun. Es liegt eben im Wesen des Zahlbegriffs, konstruktiver Begriff zu sein.

Alle rein konstruktiven Begriffe aber, sobald sie ein Werkzeug des Denkens werden sollen, müssen unweigerlich erarbeitet werden, d. h. jeder, der diese Kulturgüter assimilieren will, muß genau den gleichen Weg geistiger Tätigkeit gehen, den der gegangen ist, der sie den Menschen geschenkt hat.

Wie sehr also auch der Rechnungsunterricht ebenso wie der Geometrieunterricht losgelöst sein mag von aller praktischen Betätigung (wie z. B. bei Pestalozzi in Ifferten), er trägt in sich selbst auch in der abstraktesten Methode, sofern diese nur historisch-genetisch vorgeht, das Wesen des Arbeitsunterrichts, das eben darin besteht, in die Struktur des Bildungsgesetzes durch eigene Tätigkeit einzudringen. Es gibt auch tatsächlich Kinder, die derartig veranlagt sind, daß sie ohne alle Veranschaulichungs- und konkrete Einführungsmittel die Zahlbegriffe ganz autonom aus dem Wesen des Verstandes heraus, der sie durch Setzen der Einheit von selbst erzeugt, in bewunderungswerter Klarheit erarbeiten, und zwar im bloßen Verkehr mit der Umwelt. [182]

Je intensiver man daher die landläufigen Rechenoperationen an die praktischen Tätigkeiten des Kindes anknüpft, um so weniger bedarf es besonderer Veranstaltungen, den Rechnungsunterricht im Sinne des Arbeitsunterrichts zu gestalten. Die Verbindung mit praktischer Tätigkeit selbst ist bloß ein äußeres Mittel zur möglichst ausgiebigen Betätigung der geistigen Funktionen, die auch ohne diese Verbindung die Zahlenbegriffe, wenn auch sehr viel langsamer und spärlicher, von selbst erarbeiten.

Die menschlichen Tätigkeiten aber, in denen sich die Zahlbegriffe ursprünglich entwickelt haben, sind in Handwerk und Handel vereinigt. Die Schule kann daher auch nichts Besseres für die Entwicklung der Zahlbegriffe und des Rechnens tun, als in der Werkstätte durch ständiges Schätzen, Messen und Berechnen der Werkstücke und ihrer Teile und im Schulzimmer durch beständiges Zählen, Messen, Wägen, Kaufen und Verkaufen den Schüler in die vom ureigensten Interesse an diesen Tätigkeiten geschaffene Zwangslage zu versetzen, täglich, stündlich Zahlbegriffe zu bilden und Rechenoperationen vorzunehmen.

Daß unsere Schulen bisher das Rechnen in völliger Isoliertheit, wenn auch in der fiktiven Annahme [183] sogenannter praktischer Aufgaben, fern von aller praktischen, von stärksten Kinderinteressen erfüllten Tätigkeit pflegten, das hat die unzähligen Methoden erzeugt, die über die gähnende Kluft der Interesselosigkeit Brücken schlagen sollten, und die doch trotz aller Brücken den Rechnungsunterricht wenig erfreulich für Kinder und Lehrer machen.

Aber diese innige Verbindung von Rechnen und Werktätigkeit, von Rechnen und Handeln, macht den Rechenunterricht nicht mehr zum Arbeitsunterricht, als er es auch ohne alle solche Verbindung ohnehin schon ist, wenn er noch so abstrakt, aber methodisch richtig behandelt wird. Was diese Verbindung, die in unsern Versuchsklassen auf das innigste hergestellt wurde, bewirkt, das ist, daß die ganze Fülle des Interesses, welches das Kind allem Tun entgegenbringt, restlos in die rechnerische Tätigkeit überströmt.

Was den Unterrichtsstoff selbst betrifft, so behandelte der Rechenunterricht der dritten Klasse den Zahlenraum von 1-10000, der der vierten Klasse den unbegrenzten Zahlenraum, wie in allen übrigen Klassen der Münchener Volksschulen. [184]

c) Sprachunterricht. Mit Beginn der dritten Klasse spaltet sich der in den Unterklassen im Schreibleseunterricht zusammengefaßte und einheitlich gestaltete Sprachunterricht in seine verschiedenen Zweige: Lesen, Grammatik, Aufsatz, Schönschreiben, Rechtschreiben. Jedem der fünf Zweige sind besondere Stunden zugewiesen. Daß diese Spaltung viel zu früh einsetzt, ist eine Anschauung, der ich beipflichten muß. Aber die Versuchsklassen mußten den für alle Schulen gültigen Lehrplan adoptieren und konnten so keine andern Wege gehen.

Was das Lesen betrifft, so handelt es sich hierbei a) um das Erwerben einer geistigen Technik, b) um das bloße Erfassen eines logisch geordneten Inhaltes, c) um das Erleben eines Inhaltes aus einer in Wortsymbolen gegebenen Form. Das Kulturgut, das hier erarbeitet werden soll, ist entweder ein theoretisches Gut oder ein ästhetisches Gut.

Da die Lesefertigkeit nur durch Ausübung des Lesens erzielt werden kann, und zwar durch lautes Lesen, so kann die Erarbeitung dieser Fertigkeit kaum verfehlt werden. Aber diese Fertigkeit kann eine mechanisch-virtuose und eine organisch-künstlerische sein. Die erste geht häufig [185] am Sinne des Gelesenen vorüber, die zweite ist ohne beständiges Erfassen und Erleben des Inhaltes nicht zu erreichen. Für diese zweite und einzig erstrebenswerte Art der Lesefertigkeit bietet sich a) das Mittel der mimisch-dramatischen Darstellung von Lesestücken mit lebhafter Handlung (produktiver Weg), b) das Mittel der durch den Lehrer vorbereiteten Stimmung, aus der das Lesestück (Gedicht) geboren ist (rezeptiver Weg). Beide Wege betrat der Unterricht so ausgiebig als möglich. Insbesondere ist auch für die ethische Auswertung guter Erzählungen und Gedichte, das Erzeugen der vorbereitenden Stimmung und die mit der dramatischen Darstellung notwendig verbundene Versenkung in den Inhalt weitaus fruchtbarer als alle nachträgliche moralisierende Ausschlachtung des Gelesenen, vor dem man nicht genug warnen kann. Erleben die Kinder das Gelesene, so haben sie es auch erarbeitet; die Arbeitsschule hat ihr Prinzip vollauf damit gewahrt. Die moralische Analyse ist Sache eines anderen Unterrichts – des Moralunterrichts zur Bildung der moralischen Urteilsfähigkeit.

Mit moralischem Verhalten im Handeln darf aber weder das Erleben moralischer Werte im [186] Leseunterricht, noch viel weniger die Ausbildung der Urteilsfähigkeit verwechselt werden. Von diesem Erleben und dieser Ausbildung des Urteils bis zum tatsächlichen moralischen Verhalten ist noch ein ungemein weiter Weg, ein Weg auf den wir den Schüler nur durch die sozialen Güter der Arbeitsgemeinschaft führen.

Wie Lesen, so sind auch Schönschreiben und Rechtschreiben Fertigkeiten, Schönschreiben eine manuelle, Rechtschreiben eine intellektuelle. Auch bei diesen Fertigkeiten kann der Weg der Arbeitsschule nicht verfehlt werden; jede Fertigkeit muß eben, damit sie Fertigkeit wird, systematisch erarbeitet werden. Die Versuchsklassen III und IV setzten selbstverständlich im Schönschreiben den in den Unterklassen eingeschlagenen Weg der schöpferischen Erarbeitung einer gleichmäßigen, der individuellen Schülerhand entsprechenden »Schön«-Schrift fort, wobei bereits in der dritten Klasse auch mit der Erarbeitung der deutschen Frakturschrift begonnen wurde. Der Erarbeitung der Rechtschrift dienten auch Betrachtungen über Wortbedeutung und Wortbildung.

Mit der Sprachlehre oder Grammatik setzt in der Volksschule der erste eigentlich theoretische [187] Unterrichtsstoff ein. Daß schon die Mittelklassen damit unglückseligerweise belastet werden, hängt damit zusammen, daß an diese Klassen die Gelehrtenschulen anschließen, welche bei ihren Aufnahmeprüfungen elementare Kenntnisse in der deutschen Grammatik verlangen. Auch in dieser Disziplin ist der allein mögliche Weg der Arbeitsschule längst allgemein betreten: der Weg der Induktion. Der einzige Nachteil ist, daß die Induktion auf dem Gebiete der Sprache nur zu Regeln mit soundso vielen Ausnahmen führt, die eben nicht erarbeitet werden können, sondern überliefert werden müssen. Aber auch selbst da, wo von den Ausnahmen geschwiegen wird, verbietet es die Reife bzw. die Unreife der acht- und neunjährigen Kinder häufig genug, selbst den induktiven Weg zu betreten. Die immanenten Bildungswerte der Sprachgüter kann eben im allgemeinen, abgesehen von gewissen ästhetischen Bildungswerten, die Volksschule durch keinen Arbeitsschulbetrieb auslösen. Das ist zur Not noch den höheren Schulen möglich, die das ausgezeichnete Werkzeug der Sprachvergleichung hierzu zur Verfügung haben.

Vermag das Lesen zum Erleben bereits dargestellter ästhetischer Werte und der mit ihnen [188] auf das engste verbundenen ethischen Inhalte zu führen, so ist es Aufgabe des Aufsatzunterrichtes erlebte Seeleninhalte darzustellen. Das allein soll seine Aufgabe sein; denn nur wenn der Aufsatz Erlebtes darstellt, wird man an die Darstellung auch ästhetische Ansprüche machen können.

Der Grundzug aller Darstellung, also auch der sprachlichen, ist zunächst reine Sachlichkeit. Sachlich können wir nur das darstellen, was wir vollständig beherrschen. Das Kind beherrscht im allgemeinen nur das, was es erlebt hat, in der Werkstätte, im Schulgarten, auf den Wanderungen, im Schulzimmer, am Schulwege, in der Familie. Aus diesen Erlebnissen wählten die beiden Klassen die Stoffe ihrer sogenannten Aufsätze. Das Kind kann auch Märchen und Erzählungen erleben; das hängt von der Darstellungskraft des Lehrers ab. Das wichtigste in den ersten Übungen im schriftlichen Ausdrucke – so sollte man den Aufsatzunterricht in der Volksschule bezeichnen – ist immer, daß das Darzustellende das volle Interesse des Darstellers hat, und daß womöglich auch ein praktischer Zweck den Schüler zur Darstellung nötigt. Das sind die beiden Hauptforderungen, [189] welche die Arbeitsschule an den Aufsatzunterricht stellt. Auch wir Erwachsenen greifen nicht zur Feder a) wenn uns kein Erlebnis zu einem ästhetischen Werke drängt, b) wenn unsere Darstellung keinen bestimmten Zweck erfüllt.

Den Schülern aber mutet man zu, ohne Erlebnisse und ohne gewollten Zweck – Aufsätze zu machen. Man hat, um dies zu vermeiden, oft genug die Form des Briefes empfohlen. Aber ein Brief, der kein Bedürfnis ist, hat auch keinen selbstgefühlten Zweck, und daher sind die Briefaufsätze der Schüler um kein Haar besser als die übrigen Aufsätze.

Neben der schriftlichen Darstellung wurde auch, wie in den beiden ersten Klassen, die mündliche geübt, vor allem durch die allwöchentliche mündliche Berichterstattung über die Vorkommnisse in der Schülerwerkstätte und über den Fortgang und die Art der jeweils in Frage stehenden Aufgaben der Werkstätte. Da es sich hier um gemeinsame Erlebnisse handelt, so war bei diesen Berichten auch das Klasseninteresse wachgerufen.

d) Religionsunterricht. Der Religionsunterricht der Volksschule hat zwei Aufgaben zu lösen: 1. die positiven Lehren der betreffenden [190] Konfession zu übermitteln; 2. das religiöse Verhalten zu erwecken, zu entwickeln, zu veredeln und mit dem praktischen Verhalten zu verschmelzen.

Die zweite Aufgabe ist die weitaus wichtigste; von ihrer richtigen Lösung hängt auch die wertvolle Lösung der ersten Aufgabe ab. Die richtige Lösung der zweiten Aufgabe führt unmittelbar in das Prinzip der Arbeitsschule. Alles hängt davon ab, wie weit es dem Lehrer gelingt, die Beziehung zum Transzendenten, zu Gott erleben zu lassen.

Diesen Erlebnisakten dient teils die enge Verbindung des Unterrichts mit den Erlebnissen des Kirchenjahres, teils eine Darstellung der biblischen Geschichte, die durch die Kunst des Lehrers selbst zum Erlebnis für die Schüler wird. Erst auf dem Boden solcher religiöser Erlebnisse gewinnen dann auch die nicht zu erarbeitenden, andern unmittelbar mitzuteilenden positiven Lehren der Konfession ihre Kraft und praktische Bedeutung. So wurde in der vierten Klasse, deren katholische Schüler zum ersten Male das Sakrament der Beichte empfangen, die biblische Parabel vom verlorenen Sohne durch entsprechende Darstellung zu einem großen Erlebnis gestaltet [191] und aus diesem Erlebnis die sakramentalen Erfordernisse einer Beichte zum Bewußtsein gebracht. So wurde die Materie des Sündenbekenntnisses aus kindlichen Erlebnissen, vor allem aus Gewissenskonflikten gewonnen. So wurde die Gewissenserforschung durch entsprechende Anleitung zu einer Lebensgewohnheit des Tages gemacht.

e) Turnen und Singen sind zunächst, wie der schriftliche sprachliche Ausdruck, Fertigkeiten. Soweit sie bloß Fertigkeiten sind, sind ihre Übungen unmittelbar Tätigkeiten im Sinne der Arbeitsschule. Die Technik des Turnens wie des Singens wird eben durch technische Übungen erarbeitet.

Allein die Arbeitsschule als Schule der Charakterbildung pflegt keine Technik um der Technik willen. Für sie soll jede erarbeitete Technik nur eine weitere Ausdrucksmöglichkeit der ganzen Persönlichkeit sein. Daraus erwachsen dem Turn- und Singunterricht neue Aufgaben, die nicht gelehrt, sondern nur erlebt und nur aus dem persönlichen Erlebnis heraus gelöst werden können. Aus den Ereignissen der Zeit und den Verhältnissen der Stunde entwickeln sich Gefühle, die den Menschen von selbst zur Darstellung in der Bewegung [192] wie im Gesange drängen. Die Aufgabe der Arbeitsschule ist, allgemeine Seelenzustände zu schaffen, die zur Darstellung drängen, und nebenher Übungen zu veranstalten, welche es ermöglichen, den Gefühlen vollen und zugleich ästhetischen Ausdruck zu verleihen. Turnspiele, rhythmische Freiübungen, Reigen, Nachahmungs- und Singspiele, von den Schülern selbst veranstaltete Schulfeste lösen jene Stimmungen aus, denen die technischen Übungen zum adäquaten Ausdruck verhelfen können. Auch religiöse und vaterländische Feste können dem rechten Lehrer, der unter ihrem Eindruck steht, zur Erweckung jener tiefen Gefühle dienen, denen das Lied wie die Bewegung Ausdruck verleihen.

f) Holzbearbeitungsunterricht. Wie bereits erwähnt, stand der Holzbearbeitungsunterricht in der dritten und vierten Klasse mit dem heimatkundlichen Unterricht und dem Rechenunterricht in möglichst enger Verbindung. Er entwickelte aber sein eigenes Arbeitsprinzip als Technik immer folgerichtiger. Denn nur so konnte er als wirkliches Bildungsmittel sein Recht im Lehrplane behaupten.

Die Arbeitstechniken waren gleich denen der Vorjahre: Stumpfe Verbindungen, einfache Ecküberplattungen, [193] T-Verbindungen, Bohrzapfenverbindungen. Stets wurde auf eine genaue, selbständige Ausführung aller Verbände gesehen.

Als Material dienten: gleich- und ungleichseitige Vierkantstäbe und Rundstäbe aus Tannen-, Fichten-, Erlen- und Buchenholz; Draht und Drahtgitter, Klammern, Schrauben; Farben, Beizen, Polituren; Flintpapier, Leim, Brennspiritus.

Als Werkzeuge wurden benutzt: Maßstab, Bleistift, Winkel, Reißahle, Gehrungsschneidlade, Einstreichsäge, Raspel, Plattfeile, halbrunde Feile, Handbohrer, Hammer, Beißzange, Drahtzange, Schraubzwinge, Lehren für Bohrzapfen, Holzklötzchen zum Anreißen.

Als Arbeitsvorgänge sind zu verzeichnen: Messungen und Berechnungen in großer Fülle, Anzeichnen oder Anreißen, Sägen, Raspeln, Feilen, Bohren, Nageln, Schleifen, Beizen und Einlassen mit Politur.

Vor Beginn jeder neuen Übung fand jeweils eine Besprechung statt, in welcher das Material, die Form, der Zweck sowie die Zergliederung und Benennung von Haupt- und Nebenteilen an der Hand von Modellen sorgfältig erläutert wurde. Vor jedem Arbeitsprozeß wurden die Arbeitsvorgänge auf das genaueste erklärt [194] und vorgemacht sowohl vom Lehrer als auch von einzelnen Schülern.

Neben richtiger Handhabung der Werkzeuge sowie genauer Ausführung aller einzelnen Arbeiten wurde ganz besonderer Wert auf das Messen und Berechnen aller Teile gelegt. Einer richtigen Handhabung und Benutzung des Winkels wurde besondere Aufmerksamkeit zugewendet.

Die Kosten für den gesamten Materialverbrauch beliefen sich in der dritten Klasse auf 72,20 Mark, in der vierten Klasse auf 87,24 Mark, so daß auf den Schüler der dritten Klasse rund 1,50, auf den der vierten Klasse rund 2 Mark Materialverbrauch im Jahre kommen.

Arbeiten der dritten Klasse. 1. Sandkasten, 50×35×6 cm, für den heimatkundlichen Unterricht. Je zwei Schüler fertigen einen Kasten. Nur im Jahre 12/13 in 24 Stück angefertigt für den Unterricht. (10 Std.)

2. Raupenkästen, 50×35×31 cm, für den heimatkundlichen Unterricht. Jede Abteilung fertigt einen Kasten. In späteren Jahren Raupenkästchen (s. Figur Tafel III) von je zwei Schülern gefertigt im Maßstab 27×17,5×15 cm. (20 Std.) [195]

3. Plakatständer. Einzelarbeit. (4 Std.)

4. Feldkreuz mit Betbank. Eine der liebsten Arbeiten der Schüler. Höhe 36 cm, Dachausladung 19 cm, Boden für Kreuz und Bank 20×20 cm. Einzelarbeit. (17 Std.)

5. Schlagbaum. 79×46 cm. Einzelarbeit. (15 Std.)

6. Schleuse (s. Figur Tafel IV), 23 cm in der Höhe, Grundbrett 24×25 cm. Einzelarbeit. (12 Std.)

Die sämtlichen Arbeiten beanspruchen also im Jahre zusammen 78 Stunden.

Arbeiten der vierten Klasse. 1. Floß für Holztransport. Zusammenbinden der Baumstämme mit selbstgefertigten Drahtseilen. 2. Ruder. Auf dem Floß eine Holzbeuge. Einzelarbeit. 28×14 cm. (17 Std.)

2. Meterstab in Erlenholz. 100×10×2,8 cm. Dezimeter- und Zentimeterteilung von den Schülern hergestellt. Der Stab selbst wird in richtiger Größe den Schülern geliefert. Dezimeterstellen durch die Breite des Stabes gesägt, halbe Dezimeterstellen durch die halbe Breite mit Stahlblechmeißeln eingemeißelt. Die Zentimeterstellen: Vorreißen mit Reißahle, auf ein Drittel Stabbreite, dann wieder Einmeißeln mit [196] Stahlblechmeißeln. Einlassen mit Politur; Überwischen mit Nußbeize. Die vertieften Stellen werden dunkel. Einzelarbeit. (10 Std.)

3. Vogelfutterhäuschen. Bodenbrett 40×28 cm, Höhe bis zur Dachunterkante 15. Dachhöhe 15. Säulen und Balken aus Vierkantstäben 2×2 cm. Dachsparrenquerschnitt 2×1 cm. Dachsparren gedeckt mit Brettern. Einzelarbeit. (16 Std.)

4. Starenhaus (s. Figur Tafel V). Höhe 35. Breite und Tiefe 16 cm. Einzelarbeit. (14 Std.)

5. Maibaum. 70 cm hoch. Bodenbrett 16×16 cm mit Umzäunung. Baum eingeteilt in drei Abteilungen. Erste Abteilung mit Fahnen in bayrischen Farben. Zweite Abteilung: Werkzeuge der Versuchsschule. Dritte Abteilung: Kirche und Schule. Alles nach Art der Spielwaren selbstgefertigt. Schluß wieder zwei Fahnen in Münchener Stadtfarben. Einzelarbeit. (22 Std.)

Die sämtlichen Arbeiten beanspruchen also im Jahre zusammen 79 Stunden.

g) Weibliche Handarbeiten. Der Unterricht setzte die Techniken der ersten und zweiten Klasse fort: Stricken, Sticken und Nähen. In der vierten Klasse wurden die Strickübungen der dritten Klasse auf einen Schlips oder Kragenschoner [197] angewendet. Als neue Technik im Sticken wurde der Kreuzstich eingeführt, und wie das Musterstricken zu einem Schlips, so führte die Fertigstellung des Kreuzstichmusters zum Umschlag eines Nadelbüchleins, dessen Innenseiten die Schülerinnen mit Stoffresten und Bändern ausarbeiteten. Als Einlage wurden Flanellflecke genommen, die zugleich eine Gelegenheit für Schneideübungen boten. Endlich befaßte sich die vierte Klasse noch mit Sticken einer Borte auf geschlossenem Faden und weichem Gewebe, die von den Kindern selbst entworfen und als Zwischensatz für eine von den Kindern selbst hergestellte Schürze diente.

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