Die Menschwerdung des hl. Panteleimon.

Kirchliche Legenden in den versifizierten Volküberlieferungen der Südslaven aller drei Konfessionen sind verhältnismässig selten, am häufigsten jedoch unter den katholischen Bauern anzutreffen. Bis in die ersten Jahrzehnte des XIX. Jahrhunderts war die breite Menge der bäuerlichen Bevölkerung des Lesens und Schreibens gänzlich unkundig, die kirchliche Literatur war aber ausschliesslich das Vorrecht der Geistlichkeit, die namentlich im Bosnisch-Herzögischen, keineswegs der Lehrer des Volkes war. Am wenigsten bei den Altgläubigen, bei denen Predigten in den Kirchen bis in die Neuzeit nicht üblich waren. Nur im zufälligen Gespräche, z. B. an langen Winterabenden, erfuhr der Bauer vom Popen manche Legende, wie man sonst Sagen und Märchen, Schnurren und Rätsel einander zum Besten gibt. Halb verstand der Pope die Legende nicht, halb begriff sie der Bauer nicht, aus dem Rest legte sich der Guslar seine eigene Geschichte zurecht, anknüpfend an Motive, die sowohl ihm als seinen Zuhörern geläufiger waren. So einen Ursprung dürfte auch nachfolgende Legende haben. Die Nachbildung eines Menschen behufs Zaubereien beruht auf fetischistischen-animistischen Anschauungen, die dem südslavischen Volkglauben, gleich dem aller Völker eigen sind. Die goldenen Hände und silbernen Füsse des Heiligen sind kein besonderes Merkmal; denn bekanntlich werden Reliquien solcher Art in Gold und Silber verwahrt. Unsere Legende hat mit den griechischen und lateinischen Legenden über das Leben des hl. Pantaleon, der zur Zeit Kaiser Maximinus als Arzt in Nikomedia in Bithynien wirkte und den Märtyrertod verstarb, nicht einen Zug, soviel ich sah, gemein1. Vielleicht wurzelt unsere Legende anderswo und das Wunder ist nur durch einen Irrtum des Erzählers auf den, bei den Altgläubigen sehr volktümlichen Heiligen übertragen.

Rodio se sveti Pantelija. Wie der hl. Panteleimon geboren wurde.
Dvije sestre brata ne imale Zwei Schwestern einst, die hatten keinen Bruder,
pa po sebi brata ogradili da bauten sie sich selber einen Bruder
ot kovilje i bijele svile: aus Pfriemenweide und aus weisser Seide
živo srce ot šimšira drvce und sein lebendig Herz aus Buchsbaummarke;
5 a glava mu od zlata jabuka sein Haupt gebaut aus einem goldnen Apfel,
a crn perčin tura ibrišima, der schwarze Haarzopf eine Seidenquaste,
obrvice morske pijavice, die Augenbrauen Egeln aus dem Meere,
sitni zubi dizije bisera, die kleinen Zähne sind aus Perlenreihen,
dva obraza dva knjige tabaka, die beiden Wangen aus Papier zwei Bögen,
10 trepavice krila lastavice, die Augenwimpern einer Schwalbe Flügel,
dvije ruke dvije šipke zlatne, die beiden Hände, je ein golden Rütchen,
dvije noge dva srebrna stupa. die beiden Beine, je ein Silberbarren.
Donose mu piva i jestiva; Sie warten auf mit Speisen und Getränken,
usta mrtva jesti ne mogahu, der tote Mund vertrug doch keine Nahrung,
15 jezik mrtav govorit ne more. die tote Zunge ist nicht redekundig.
To gledala dva božja angela, Zwei Engel Gottes schauten das Beginnen,
gledajući Bogu odocnili, verspäteten im Schaun zu Gott die Heimkehr
odocnili Bogu na večeru. und kamen spät zu Gott nach heim zum Nachtmahl.
Bog je pito svoje dvije sluge: Und Gott befragte seine beiden Diener:
20 — Što ste meni sluge odocnili? — Was habt Ihr euch, o Diener, so verspätet?
— Odocnili čudo gledajući, — Im Schauen eines Wunderdings verspätet,
gledajući na zemljici crnoj. im Schaun versunken auf der schwarzen Erde.
Dvije sestre brata ne imaše Zwei Schwestern wohl, die hatten keinen Bruder,
pa po sebi brata ogradiše da bauten sie sich selber einen Bruder
25 ot kovilje i bijele svile: aus Pfriemenweide und aus weisser Seide
živo srce ot šimšira drvce und sein lebendig Herz aus Buchsbaummarke;
a glava mu od zlata jabuka sein Haupt gebaut aus einem goldnen Apfel,
a crn perčin tura ibrišima, der schwarze Haarzopf eine Seidenquaste,
obrvice morske pijavice, die Augenbrauen Egeln aus dem Meere,
30 trepavice krila lastavice, die Augenwimpern einer Schwalbe Flügel,
dva obraza dva knjige tabaka, die beiden Wangen aus Papier zwei Bögen
sitni zubi dizije bisera, die kleinen Zähne sind aus Perlenreihen,
dvije ruke dvije šipke zlatne, die beiden Hände je ein golden Rütchen,
dvije noge dva srebrna stupa. die beiden Beine je ein Silberbarren;
35 Donose mu piva i jestiva; Sie warten auf mit Speisen und Getränken,
jezik mrtav govorit ne more, die tote Zunge ist nicht redekundig,
usta mrtva jesti ne mogahu. der tote Mund vertrug auch keine Nahrung.
Bog govori svôma dvôma slugam: Da sprach Herr Gott zu seinen beiden Dienern:
— Čujete l me moje dvije sluge O hört Ihr wohl, Ihr meine beiden Diener
40 (dvije sluge dva božja angela) (die beiden Diener, beide Engel Gottes),
pa spanite na zemljicu crnu, so lasst euch nieder auf die schwarze Erde,
živijem ga dukom zadahnite, behauchet ihn mit wahrem Lebenodem,
lijepo mu ime iźdjedite, er sei von euch begabt mit schönem Namen,
iźdjedite ime Pantelije; begabt ihn mit dem Namen Panteleimon.
45 neka bratac sestre poudade, Das Brüderlein die Schwestern soll verheuren,
poudade pa će pohoditi, verheuren soll er sie und dann besuchen,
i življeće četr’est godinâ, und vierzig Jahre soll sein Leben währen,
ondare će Bogu dolaziti. dann wird zu Gott er seine Einkehr halten!
U mlagjega pogovora nejma; Wer jünger ist darf nimmer widersprechen;
50 spadoše na zemljicu crnu, sie senkten auf die schwarze Erd’ sich nieder,
živijem ga dukom zadaknuše behauchten ihn mit neuem Lebenodem,
i lijepo ime izabraše, sie wählten für ihn einen schönen Namen,
izabraše ime Pantelije. sie wählten ihm den Namen Panteleimon.
Ondar brate sestre poudade. Darauf verheurte’s Brüderlein die Schwestern,
55 poudade pa ih pohodio. verheurte sie und machte die Besuche.
Živio je četerest godinâ; Sein Leben währte volle vierzig Jahre;
ondar je se prestavio momak dann ist er unbeweibt von hier verschieden
i samome Bogu odlazio. und hat zum lieben Gotte sich begeben.

Zeile 9 und 31: dva kein Druckfehler. 42 und 51: dukom, richtig.

Mit welch tiefer Weihe diese Legende das Gemüt des Guslaren erfüllte, merkte ich aus nachfolgender »Würze« (začinka), welche er, ohne abzusetzen, an das Lied anschloss: spremi mene mati | u drvašca brati | pa me srete, mati | momče neženjeno; | pa me stade, mati, | po čelu pipati. | Ja esapljam, mati | dukat će mi dati | a kat stade, mati, | po grlu pipati | ja esapljam, mati, | gjerdan će mi dati; | jä, kat stade, mati | po njedrim pipati | ja esapljam, mati | joj mati, mati | po njedrim pipati, | ja esapljam mati, | jabuku će dati. | A kat stade, mati | po pasu pipati | ja esapljam, mati | čemer će mi dati; | a kat stade, mati | noge podizati | ja esapljam, mati | čizme će mi dati; | a kat stade, mati | na bat nabijati, | ja esapljam, mati | voda će mi stati. | Ope moga’, mati | grôtom nasmijati. Die Verdeutschung dazu gab ich in der Schrift: Die Zeugung in Sitte, Brauch und Glauben der Südslaven, Paris 1899, S. 258. Zur Legende steht die Würze in einem schroffen Gegensatze. Übrigens ist sie sowohl inhaltlich als auch ihres eigenartigen, in den südslavischen Volkliedern fast vereinzelt vorkommenden Reimes wegen, eine der artigsten und auch anständigsten Würzen, welche ich zu hören bekommen.

Der Guslar ist ein Altgläubiger namens Mićo Kosović, welcher aus Gacko im Herzögischen vor etwa 20 Jahren nach Ročević an der Drina in Bosnien eingewandert ist.

1 Vrgl. Acta Sanctorum Julii ex latinis et graecis aliarumque gentium monumentis collecta, digesta, commentariisque et observationibus illustrata a J. B. Sollerio, J. Pinio, C. Cupero, P. Boschio, Tom. VI, Antverpiae 1729, S. 397–427: De S. Pantaleone Martyre etc.

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