(Drei Guslarenlieder.)

Eine der wichtigsten Aufgaben ist den Volkforschern durch die historische Kritik ihrer Stoffe geboten. Der einzuschlagende Weg erschliesst sich einem von selber. Bei dem zuweilen unergründlich hohen Alter von Volküberlieferungen, namentlich volkreligiöser Anschauungen, ist die älteste Aufzeichnung einer Überlieferung für uns nicht selten belanglos, weil wir gewohnt sind, unsere Quellen anderswo und tiefer als in zufälligen Niederschriften zu suchen. Wir haben keine ursprüngliche Fassung eines literarischen Machwerkes herzustellen, sondern die einfachsten Umrisse einer Überlieferung, mag sie von welcher Art immer sein, herauszufinden. Dabei kann uns z. B. eine erst gestern vorgemerkte Sage ungleich wichtigeren Aufschluss darbieten, als vielleicht eine Variante derselben Sage in den Veden.

Manche vergleichenden Märchenforscher begnügen sich allzuhäufig mit der mehr gesäss- als geistanstrengenden Arbeit des Zusammentragens von Varianten aus allen Literaturen, und mit der Hervorhebung der abweichenden Züge einer Überlieferung. Man ist darüber so ziemlich ins Klare gekommen, dass die überwiegende Mehrheit der Sagen und Märchen und sehr viele religiöse Grundanschauungen zum gemeinsamen Besitz aller Völker dieser Erde in geschichtlichen Zeiten gehören. Das ist eine höchst schätzbare Erkenntnis, deren Wert wir keinen Augenblick verkennen wollen. Es scheint aber, dass gerade hierin die Forschung am ehesten auf Abwege geraten kann. Es ist an der Zeit, dass die Arbeiter dazu schauen, einer schändlichen Verflachung vorzubeugen. Man muss trachten jede Überlieferung innerhalb der Grenzen eines bestimmten Volkes in allen ihren Fassungen zu ergründen und sie innerhalb des engeren Bezirkes zu erklären. Man wird es so herausbekommen, welche Wandlungen ein und derselbe Stoff bei ein und demselben Volke unterworfen ist. Dadurch lernen wir nebensächliche Zutaten als solche zu erkennen und den wahren Kern einer Überlieferung herauszuschälen.

Ich will dies an einer kleinen Sage darzustellen suchen, die ich in drei Fassungen aufgezeichnet habe. Zuerst gebe ich die schlichteste und durchsichtigste Fassung, mit welcher verglichen sich die Ausschmückungen der beiden anderen desto deutlicher zeigen werden. Alle drei Lieder haben wohl den gleichen Vorwurf, doch ist jedes in der Ausführung so lieblich, dass ich nicht fürchten muss, durch den Abdruck aller drei Texte auch nur den Laien in der Folklore zu langweilen.

Bei grossen körperlichen Anstrengungen in sengend heisser Sonnenglut pflegt sich mitunter bei Menschen und Tieren eine Störung der Gehirntätigkeit einzustellen. Es tritt der Sonnenstich oder Hitzschlag ein, der nicht selten den Tod des Getroffenen zur Folge hat. Auf einem mühseligen Marsche durch wildes Hochgebirge in Sommerzeit ist man der Gefahr des Sonnenstiches sehr leicht ausgesetzt. Das Hochgebirg ist aber nach dem Volkglauben der Aufenthalt der Vilen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Hitzschlag und Vilen ist bald hergestellt. Das Volk sagt: die Vilen sind erzürnt über die unberufene Störung durch einen verwegenen Eindringling in ihr heiliges Wirksamkeitgebiet. Die Vilen bestrafen also den Frevler, indem sie ihn mit ihren Pfeilen erlegen. Dass Vilenpfeile nichts anderes als s. g. Sonnenstiche sind, geht aus der Schilderung des pathologischen Zustandes eines Getroffenen hervor. So erzählt z. B. ein Lied: Vilen erblicken einen Hochzeitzug durchs Gebirge ziehen und neiden der Braut den prächtigen Bräutigam. Spricht eine Vila zu anderen: »Schwesterlein Vila, erlegen wir ihn mit unserem Pfeil!« (ustrilmo ga vilo sele moja!) Der vom Pfeil getroffene Bursche klagt seinen Schmerz dem Ohm im Brautzuge: »Der Kopf fängt mich an zu schmerzen; wenn es bloss im Kopf schmerzte, doch auch mein Herzlein ist ergriffen!« (bora tebi moj ujače Janko, moja j mene zabolila glava, da bi glava nego i srdašce!) Darauf rät ihm der Ohm: »bind dir ein färbiges Tüchel um den Kopf!« (veži glavu va šaru maramu!), doch half es ihm nichts. Als er heim kam, legte er sich zu Bett und verstarb.

Da das Volk weit davon entfernt ist, die wahre Art der Erkrankung durch Sonnenstich zu erkennen, gebraucht es auch keine gesundheitlich entsprechende Gegenmittel, sondern sucht in Zaubereien vorbeugenden Schutz. Gegen Vilenpfeile kann einen z. B. schon in der Kindheit die eigene Mutter feien, indem sie nie mit Steppzwirn und mit Fäden, die vom Zettel übrig geblieben, dem Sohne ein Kleidungstück näht, an der hl. Paraskewe nie Weberarbeiten verrichtet und nie an einem Dienstag spinnt oder Gespunst aufwickelt. Darauf bezieht sich eine Sage in Liedform: Eine Mutter beweibt ihren einzigen Sohn Vojin. Die Muhme ist dem Burschen zu Tode neidisch und lässt sich durch nichts begütigen. »Sie eilt ins grüne Gebirge und ruft zur Wahlschwesterschaft die Vila Ravijojla und deren sämtliche Genossinnen an: »O Schwester durch Gott, Vila Ravijojla, Ravijojla und Ihr alle übrigen Vilen! Hier wird Vojin mit den Hochzeitleuten vorbeiziehen, erlegt ihn mit Eueren Pfeilen, lasst ihn nicht vorbei!« Antwortet ihr die Vila Ravijojla, Ravijojla und alle übrigen Vilen: »Sei keine Närrin o du Muhme Vojins, treib keine Dummheit, bist ja doch nicht närrisch. Die Mutter hat Vojin wohl behütet vor Steppzwirn und vor Zettelfäden usw. (Vojina je sačuvala majka od ujamka i od ureznika, svete Petke, snutka, navijutka, utorničke pregje i motanja).

Auch Freitagkinder und rotbärtige Leute sind vor Vilenpfeilen sicher.

Die nachstehende Fassung einer Vilensage ist darum besonders zu beachten, weil sie uns lehrt, dass Vilen sterblich sind. Das ist ein Beweis, dass man Vilen als wirkliche Baumgeister anzusehen hat.

Unser Stück gehört zu den verbreitetsten Sagen unter allen Südslaven. Eine Fassung findet sich z. B. schon in der ersten Sammlung serbischer Guslarenlieder Wolf Karadžić’s (in der neuen offiz. Auflage, Belgrad 1887, I, Nr. 38, S. 222–225). Die slavischen Mythologen haben es, wie sich das eigentlich von selbst versteht, nicht unterlassen, in diese Sage einen grossartigen Sonnenmythus hineinzugeheimnissen und blaue Wunder von der durch das schlimme Christentum zerstörten alten slavischen Naturreligion auszusinnen. Der Schnickschnack verträgt keine ernste Widerlegung.

Pogibija vile zagorkinje. Wie die Vila vom Hintergebirge ums Leben gekommen.
Poranio kraljeviću Marko Prinz Marko machte früh sich auf am Morgen
sa svojijem pobratimom dragim, mit seinem lieben, guten Bundesbruder,
pobratimom Reljom krilaticom. dem Bundesbruder Relja Flügelträger.
Kad pogjoše gorom Romanijom, Sie zogen durchs Románija-Gebirge.
5 ondar veli kraljeviću Marko: Prinz Marko sprach zu Relja im Gebirge:
— Pobratime Reljo ot Pazara, — O Bundesbruder, Relja aus dem Pazar,
zapjevaj de tanko glasovito! o stimm ein Lied von hellem Laut und Klang an!
— Ne smijem ti pobro zapjevati, — Ich trau mich nicht, o Bruder, laut zu singen;
velma sam se s vilma zavadio. ich bin mit Vilen arg in Streit geraten.
10 Pobratime kraljeviću Marko, O lass mich, Bundesbruder Prinzchen Marko,
mene oće justrijelit vile sonst töten mich mit ihrem Pfeil die Vilen,
megju puca gje mi srce kuca. wo’s Herz mir pocht inmitten durch die Knöpfe.
— Pobratime Reljo ot Pazara, — O Bundesbruder, Relja aus dem Pazar,
ti se ne boj nikoga do Boga, du fürchte Gott, sonst niemanden auf Erden,
15 dok je tebi pobratima tvoga, so lag durch Wahl dein Bruder wallt auf Erden,
pobratima kraljevića Marka! Prinz Marko, dir durch Wahl und Gott verbrüdert.
A, zapjevaj Relja ot Pazara! So sing denn zu, mein Relja aus dem Pazar!
Dok zapjeva mu tanko glasovito. Da stimmt er an ein Lied hellaut und klangvoll.
Šest je vila u gorici bilo. Sechs Vilen weilten in dem Waldgebirge.
20 Dok začula najstarija vila, Sobald die älteste den Sang vernommen,
beśjedila ponajmlagjoj vili: so sprach sie zu der allerjüngsten Vila:
— Posestrimo ponajmlagja vilo! — O Schwester meiner Wahl, du jüngste Vila!
uzmi dere ponajvišu strjelu geh, nimm einmal den Pfeil, den allerlängsten,
pa izigji na drum na planinu. und wandle hin zum Weg des Waldgebirges.
25 Eno kurve Relje Bošnjanina, Dort naht die Dirne Relja von der Bosna,
gje on pjeva gorom Romanijom. dort singt er durchs Románija-Gebirge!
Ustrijeli Relju Bošnjanina Dein Pfeil erlege Relja von der Bosna,
megju puca gie mu srce kuca wo’s Herz ihm pocht inmitten durch die Knöpfe;
pa pobjegni nebu pod oblake, entfleuch dann Himmel aufwärts unter Wolken,
30 jera ima š njime žestok junak, weil ihm ein wilder Held verleiht Geleite,
žešći junak nego Relja Bošnjak. ein Held noch wilder als von Bosna Relja,
Ubićete Bogom posestrimo! der tötet dich, durch Wahl und Gott o Schwester!
Uze vila najvišu strijelu Die Vila nahm den Pfeil, den allerlängsten,
pa otide na drume široke, begab sogleich sich auf die breiten Wege,
35 ustrijeli Relju Bošnjanina schoss ab den Pfeil auf Relja von der Bosna
megju puca gje mu srce kuca. wo’s Herz ihm pocht inmitten durch die Knöpfe.
Živ se naže Relja Bošnjanine, Lebendig bog sich Relja von der Bosna,
živ se naže, mrtav zemlji pade. lebendig noch, doch sank er tot zur Erde.
Bježi vila nebu pod oblake. Die Vila floh zum Himmel unter Wolken,
40 Uze Marko tešku topuzinu doch Marko packte seinen schweren Kolben
pa udari vilu pod oblakom. und warf ihn auf die Vila unter Wolken.
Vil’ opade u travu zelenu, Die Vila fiel ins grüne Gras hernieder,
vila pade, Marko joj dopade die Vila fiel und Marko flog zu ihr hin
pa ju živu uvati ju ruke. und fing sie ein lebendig in die Hände.
45 Beśjedi mu nagorkinja vila: Es sprach zu ihm vom Waldgebirg die Vila:
— Bogom brate kraljeviću Marko! — Sei mir durch Gott ein Bruder, Prinzchen Marko!
nemoj mene žive pogubiti, O töt mich nicht bei heilem Leib und Leben!
ja ću tebi pobru povratiti, Ach, gern erweck ich dir den Bruder wieder,
tvoga pobru Relju Bošnjanina den Bundesbruder Relja von der Bosna;
50 pa će biti, ko što je i bio, und wieder wird er sein, wie er gewesen,
piće vino, ko što je i pio. und trinken Wein, wie er’s seit je gewohnt.
Ondar veli kraljeviću Marko: Darauf entgegnet ihr das Prinzchen Marko:
— Bogom sestro nagorkinjo vilo! — Durch Gott, o Schwester, Vila vom Gebirge
ti ćeš meni pobru povratiti, erweckst du mir den Bundesbruder wieder,
55 moga pobru Relju Bošnjanina, den Bundesbruder Relja von der Bosna,
ja ću tebi život pokloniti. so will ich dir dein Leben gerne schenken.
Ondar ode nagorkinja vila; Drauf ging die Vila von dem Waldgebirge
za njom ide kraljeviću Marko. und hinterher ihr nach das Prinzchen Marko.
Dok dogjoše Relji Bošnjaninu Als sie zu Relja von der Bosna kamen,
60 turi vila u njedarca ruke die Vila steckt die Händ’ sich in den Busen,
pa jizvadi srebrnu jabuku und zieht heraus aus Silber einen Apfel
pa protrlja Relju Bošnjanina und reibt mit ihm den Bosnahelden Relja,
pa protrlja, gje je udarila. und reibt ihn durch, wo ihn der Pfeil getroffen.
Skoči Relja od zemlje na noge Und Relja sprang vom Boden auf die Beine,
65 pa uzima sablju dimišćiju erfasste seinen Damaszenersäbel
pa on vili osiječe glavu. und säbelte das Haupt herab der Vila.
Ondar veli kraljeviću Marko: Drauf sprach zu ihm Prinz Marko sehr betroffen:
— Jer to, pobro, života ti tvoga? — Warum, o Bruder, so dir lieb dein Leben?
živu sam se Bogu zaklinjao, ich hatt’s bei Gott, so wahr er lebt, beschworen,
70 da je žive pogubiti ne ću! ich werde sie bei heilem Leib nicht töten!

Der Titel ist vom Guslaren. Die Vila heisst eine zagorkinja (im Hinterwaldgebirge hausende V.) oder nagorkinja (auf dem Gebirge wohnende V.) Irgend ein bestimmter Unterschied wird nicht weiter angedeutet.

Zu V. 3. Relja ist ein serbischer Name, dessen ursprünglicher Sinn dunkel ist. Die Wahrscheinlichkeit spricht für ein griechisches Lehnwort. Der Umstand, dass Relja ‘krilatica’ oder ‘krilati’ (der geflügelte) genannt wird, hat dem chrowotischen Religionerzeuger genügt, Relja zu einem Sonnengott zu machen. Parallelen aus der indischen, griechischen und anderen Mythologien werden als Belege zur Erläuterung angeführt. Relja wäre darnach eine Art verhunzter altchrowotischer Gottheit, der nur noch die Flügel übrig geblieben. In Wahrheit verhält sich die Sache anders. Manche Luxus-Panzerrüstungen südslavischer Helden waren mit wirklichen Flügeln aus Silber- oder Goldblech versehen. Die Flügel erhöhten den Glanz der Erscheinung eines Helden, obgleich sie für den Kampf gar nicht taugten. Weiland Kronprinz Rudolf von Österreich, der doch gewiss allerlei Rüstungen schon gesehen hatte, war nicht wenig überrascht, als ihm im Jahre 1887, bei seinem Einzuge in Mostar, ein herzogländischer Beg im Festzuge gepanzert und geflügelt entgegenkam. Es scheint, dass die Panzer mit Flügeln eine besondere südslavische Erfindung gewesen. Relja der Flügelträger wird abwechselnd Relja von der Bosna und aus dem Pazar genannt. Aus dem Pazar oder aus Altserbien stammte er von alterher und an der Bosna hatte er irgendwo seine Raubritterburg.

Zu V. 18. Ein in Silben überzähliger Vers. Die Partikel ‘dok’ könnte wegbleiben.

Zu V. 25. »Lustdirne« ist eine übliche Beschimpfung für freche Menschen.

Zu V. 60. Vilen sind des Heilens kundig. Zauberer und Kräutlerinnen berühmen sich, ihre Kenntnisse Vilen zu verdanken und mit Vilen eine Verbindung zu unterhalten.

Zu V. 79. Živ Bog (lebendiger Gott) erklärte ich noch in »Sitte und Brauch der Südslaven«, dem Beispiele slavischer Mythologen folgend als die Personifizierung der Sonne, als des sichtbaren Gottes. Diese Deutung ist aber sehr unvernünftig; denn die Ausdruckweise ist der jüdischen oder christlichen Religion entlehnt. So schwören wir Deutsche auch: »so wahr ein Gott lebt!« Der Hebräer schwur: beim lebendigen Gott!« und darauf geht auch das südslavische źivoga mi Boga! zurück.

Dieses Lied habe ich vom Guslaren Tešo Bogičević, einem altgläubigen Bauern aus Ugljevik in Bosnien. Seine Sippschaft heisst von alters her Šarenci. Tešo bemerkte zum Schluss auf meine bezügliche Frage: ovu sam pjesmu čuo od Vuka majstora iz Osata isporad Srebrnice, ima trijes i pet godina (dieses Lied hörte ich vom Tischler Wolf aus Osat unweit Srebrnica, es sind fünfunddreissig Jahre daher).

An zweiter Stelle bringe ich eine Fassung, die darum beachtenswert ist, weil der Guslar einen einleuchtenden Beweggrund für den seltsamen Ausflug der beiden Helden ins unwirtliche Hochgebirge anführt. Lust und Freude an waghalsigen Streifungen auf trostlos öden Berghöhen hat ja der Südslave nicht. Der Guslar lässt seine Helden eine sehr dringliche, hochadelige Geschäftreise machen, nach unseren, im Sinne eines südslavischen Volksängers stark weibischen Rechtanschauungen wären jedoch jene Helden bloss Wegelagerer, die auf einen Raubzug ausgegangen. Die edlen Ritter betrieben aber Raub und Plünderung als ehrliches Gewerbe, und darum spricht Relja z. B. im V. 30 von einem »befreien« und »erlösen«, wo wir heutzutage in deutschen Landen »stehlen oder rauben« sagen würden.

So wie dieses heben sehr viele andere Lieder auch an. Der Guslar hat eben seine Erfindunggabe nicht viel angestrengt. Mit dieser Einleitung hat die ganze Geschichte eine tiefe Wandlung erfahren, so dass die Erlegung des Helden durch den Vilenpfeil nur mehr als eine zufällige Episode erscheint. Prinz Marko hat förmlich einen Rechtanspruch auf die Rosse als auf eine Sühne für das an seinem Wahlbruder begangene meuchlerische Verbrechen. Dafür übt er Gnade für Recht und lässt die Vilen leben.

Der Schauplatz der Handlung ist ins Volujakgebirge an der herzogländisch-montenegrischen Grenze verlegt. Vilen hausen auf allen Hochgebirgen, und den Guslaren ist es gleichgültig, wo sich eine Begebenheit abspielt. So heilig als das eine, ist ihm auch jedes andere Gebirge, es wäre denn wo auf einem Berge ein alter, christlicher Wallfahrtort in einer Höhle, wie es deren mehrere gibt.

Sedam vila u Volujak gori. Von den sieben Vilen im Volujak-Gebirge.
Vino pila do dva pobratima, Zwei Wahlgebrüder sich am Wein ergetzten
u Kosovu u pjanoj mehani. zu Leitengeben in dem trunknen Kruge.
Jedno mi je kraljeviću Marko, Prinz Marko ist der eine von den Beiden,
a drugo je krilati Reljica. der andre ist der Flügelträger Relja.
5 — Kat se ladna napojili vina, Nachdem sie sich erlabt am kühlen Weine,
progovara kraljeviću Marko: hub an das Prinzchen Marko so zu reden:
— Pobratime, krilati Reljica! — O Bundesbruder, Flügelträger Relja,
ne znaš gjegod ćara ja šićara, hast du von Raub und Beute welche Zeitung?
su čim ćemo prezimiti zimu Wie werden wir den Winter überwintern
10 od Mitrovog dana jesenjega vom heiligen Demeter an im Herbste
do proljeća dana Gjurgjevoga? bis zum Georgtag, wann der Frühling anhebt?
Progovara krilati Reljica: Herr Relja mit den Flügeln, gibt zur Antwort:
— Pobratime kraljeviću Marko, — Prinz Marko, du mein teurer Bundesbruder,
jesam čuo a kažu mi ljudi, wie ich’s vernahm und wie die Leute sagen,
15 tamo ima polje Gacko ravno, liegt dort ein wegsames Gefilde, Gacko,
a viš njega Čemerna planina, und höherwärts — das Čemer-Hochgebirge
a na više Volujak planina, und höher zu das Volujak-Gebirge;
a u planini zeleno jezero, dort sei ein grüner See im Hochgebirge
u jezeru sedam vila, und in dem See dort hausen sieben Vilen,
20 sedam vila sedam drugarica ja, sieben Vilen, sieben Bundesschwestern
kod jezera na rosnoj livadi. am See auf einer taubenetzten Wiese.
Na livadi dva konja viteza, Da grasen auf der Au zwei Ritterrosse;
zlatne su im grive i repovi, aus Gold sind deren Mähnen und die Schweife,
na čelu im danica zvijezda, auf ihrer Stirn der Morgenstern Aurora,
25 na prsima mjesečina śjajna, auf ihrer Brust ergleisst der helle Mondschein,
na sapima itra vidra igra. auf ihren Rücken spielt die flinke Otter.
Da spremimo našega šarina, Wohlan, so rüsten wir denn unsren Schecken,
a i meni pretila gavrana, doch auch für mich noch meinen feisten Raben
da idemo Volujak planini, und ziehn wir aus ins Volujak-Gebirge;
30 ne bismo li konje izbavili; wenn’s glückt, befreien wir uns jene Rosse,
mi bi mogli prezimiti zimu, dann könnten wir den Winter überwintern
od Mitrova dana jesenjega, vom heiligen Demeter an im Herbste
do proljetnog Gjurgjevoga dana. bis zum Georgtag, wann der Frühling anhebt.
A kad začu kraljeviću Marko, Sobald das Prinzchen Marko dies vernommen,
35 itar Marko na noge skočio, so flink er war, so war er aufgesprungen,
pa opremi dva konja viteza, und rüstete die beiden Ritterrosse,
sebi šarca a Relji gavrana. den Schecken sich, den Raben dann für Relja.
Povedoše dva sokola siva, Sie führten noch mit sich zwei graue Falken,
povedoše dva rta bijela, auch führten sie noch mit zwei weisse Rüden,
40 pośjedoše konje vitezove. und schwangen sich auf ihre Ritterrosse.
Eto ti ih Čemernu planinu, Schon sind sie angelangt im Čemer-Hochland
vatiše se Volujak planine, und kehren ein ins Volujak-Gebirge,
pa zavika kraljeviću Marko: da ruft mit ganzer Stimme Prinzchen Marko:
— Pobratime krilati Reljica, — O Bundesbruder, Flügelträger Relja,
45 nu zapjevaj te me razgovaraj, geh, sing einmal, zerstreue meinen Unmut,
nešto sam ti šemno neveselo, ich bin so trüb und fühl mich so beklommen,
jal je sanak jal je danak sugjen. leicht ist’s ein Traum, leicht schlägt mein letztes Stündlein!
Beśjedi mu krilati Reljica: Drauf spricht zu ihm der Flügelträger Relja:
— Pobratime kraljeviću Marko, — Prinz Marko, o mein teurer Bundesbruder!
50 ja ne smijem jutros popjevati, heut wag ich’s nicht ein Liedchen anzustimmen,
jer se bojim sedam nagorkinja, ich fürcht mich vor den sieben Alpenvilen;
oće mene ustrijelit vile. mit ihrem Pfeil erlegen mich die Vilen.
Progovara kraljeviću Marko: Ermunternd spricht zu ihm das Prinzchen Marko:
— Nu zapjevaj te me razgovaraj, — Traun! sing ein Lied, zerstreue meinen Unmut
55 a ne boj se nikoga do Boga, und fürchte niemand ausser Gott den einen,
dok je tebi na šarinu Marko, solang dir Marko sitzt auf seinem Schecken,
i dok su mu dva sokola siva, solang er noch besitzt zwei graue Falken,
i dok su mu dva rta bijela. solang er noch besitzt zwei weisse Rüden.
A kad začu krilati Reljica, Als Relja Flügelträger dies vernommen
60 on zapjeva tanko glasovito, so stimmt er an ein Lied gar hoch und hallend,
sve sa gore polijeće lišće, dass von dem Waldgebirg die Blätter flogen
a sa zemlje djetelina trava. und von der Erde weg das grüne Kleegras.
Začu njega sedam nagorkinjâ, Es hörten ihn wohl sieben Alpenvilen,
nagorkinjâ sedam drugarica, wohl sieben Bundesschwestern Alpenvilen,
65 bir ga čuše birden ga poznaše: kaum hörten sie ihn, schon erkannten sie ihn.
— Čuj kopila krilatog Reljicu! — Da hör’ den Bastard Relja Flügelträger!
Govori im starješnica vila: Die Vila-Älteste, die sprach zu ihnen:
— Čujete me sedam drugarica, — Ihr sieben Waldgenossinnen, vernehmt mich,
koja ć ići Relju ustrjeliti? he, welche will erlegen gehen Relja?
70 daću njojzi moje starješinstvo Der schenk ich meine Oberalterstelle
brez promjene za sedam godina! ohn’ Unterlass für volle sieben Jahre!
Drugarice nikom poniknule Die Freundinnen verstummten mäuschenstille
i u crnu zemlju pogledale und senkten feig den Blick zur schwarzen Erde
kako raste na odgojke trava und schauten wie die Gräser schwellend wachsen,
75 kano dojke u mlade djevojke; als wie die Brüste eines jungen Mägdleins;
al ne gleda najpotanja vila, nur eine schaut nicht so, die schlankste Vila,
najpotanja i najmladja vila, die schlankste und die allerjüngste Vila,
starješnici megju oči crne: sie schaut der Alten in die dunklen Augen:
— Daj ti meni luke i tetive, — So gib du mir die Bögen und die Sehnen,
80 ja ću Relju ići ustrjeliti! ich gehe hin, um Relja zu erlegen.
Dade njojzi luke i tetive. Sie gab ihr hin die Bögen und die Sehnen.
Eto vila na noge skočila Ei, war die Vila hurtig aufgesprungen
pa zaśjede za jelu zelenu. und sass schon lauernd hinter grüner Tanne.
Tud nalazi kraljeviću Marko, Da naht des Weges reitend Prinzchen Marko
85 na šarinu konju od mejdana, auf seinem Schecken, auf dem Schlachtenrösslein,
a za njime krilati Reljica. und hinterdrein Herr Relja Flügelträger.
Zape luke, osahle joj ruke, Sie spannt den Bogen, (ihre Hand verdorre!)
a potegne ubojitu strjelu, und zieht hervor den Pfeil, der Tod verursacht,
ustrijeli krilatog Reljicu! und schiesst den Flügelträger Relja nieder.
90 Pade Reljo u travu na glavu. Da sank aufs Haupt ins Gras Herr Relja nieder.
Obazre se kraljeviću Marko, Prinz Marko wandte seine Blicke rückwärts
gje mu Relja u travi ostade. und sah im Grase seinen Relja liegen.
Pa on pušta dva rta bijela Da liess er frei die beiden Rüdenhunde,
a u nebo dva sokola siva, und himmelwärts die beiden Falken fliegen,
95 ufatiše nagorkinju vilu! die fingen ein vom Hochgebirge die Vila
dovedoše kraljeviću Marku. und brachten sie vor ihren Prinzen Marko.
A da vidiš kraljevića Marka! Nun solltest du den Prinzen Marko sehen!
gje poteže pletenu kandžiju, wie er die wohlgeflochtne Peitsche hernimmt
pa on tuče nagorkinju vilu: und auf die Vila vom Gebirge losschlägt.
100 — Uljo jedna nagorkinjo vila, — Du Taugenichtsin, Vila vom Gebirge,
ko nalazi, nek prolazi s mirom, wer hier daherkommt, soll in Frieden ziehen!
kamo meni krilati Reljica? Wo blieb zurück mein Relja Flügelträger?
Progovara nagorkinja vila: Zur Antwort gibt die Vila vom Gebirge:
— Bogom brate kraljeviću Marko! — Sei mir durch Gott ein Bruder, Prinzchen Marko!
105 pokloni mi život na mejdanu, o schenk mir jetzt das Leben auf der Wahlstatt,
podić ću ti krilatog Reljicu! ich will den Flügel-Relja neu beleben.
Pokloni joj život na mejdanu. Er schenkte ihr das Leben auf der Wahlstatt,
Pa da vidiš nagorkinje vile, Nun solltest du die Alpenvila sehen,
gje dozivlje sedam drugarica: wie sie die sieben Freundinnen herbeiruft:
110 — Doneste mi rose sa jezera, — O bringt mir Tau herbei vom See und Anger,
da poživim krilatog Reljicu! — damit ich Relja wieder neu belebe!
Donese joj sedam drugarica, Die sieben Freundinnen, sie brachten schleunig,
don’ješe rose sa jezera. sie brachten ihr den Tau vom See und Anger.
Ona kúplje krilatog Reljicu. Drein badet sie den Flügelträger Relja.
115 Eto Relja na noge skočio. Ei, ist nun Relja hurtig aufgesprungen!
Progovora kraljeviću Marko: Prinz Marko sprach darauf ein Wort gemessen:
— Čujete me sedam drugarica, — Ihr sieben Freundinnen vernehmt mich allda!
doved’te mi dva konja viteza, Jetzt schafft mir her die beiden Ritterrosse
zlaćenijeh grivâ i repovâ, von goldnen Mähnen und von goldnen Schweifen,
120 na čelu im danica zvijezda, auf deren Stirn der Morgenstern Aurora,
na prsima mjesečina śjajna, auf deren Brust ergleisst der helle Mondschein,
na sapima itra vidra igra. auf deren Rücken spielt die flinke Otter!
Dovedoše dva konja viteza, Sie brachten ihm die beiden Ritterrosse
zlaćenijeh griva i repovâ, von goldnen Mähnen und von goldnen Schweifen,
125 na čelu im danica zvijezda auf deren Stirn der Morgenstern Aurora,
na prsima mjesečina śjajna, auf deren Brust ergleisst der helle Mondschein,
na sapima itra vidra igra; auf deren Rücken spielt die flinke Otter.
pokloniše kraljeviću Marku, Sie schenkten sie dem Königsohne Marko,
Marko njima život na mejdanu; und Marko ihnen’s Leben auf der Wahlstatt.
130

i odoše zdravo i veselo.

So zogen sie denn heim gesund und fröhlich.

Vesela mu na odžaku majka, Dem Herrn, der heute hier Papier bekritzelt,
njemu majka a meni družina, dem sei die Mutter froh am heimischen Herde,
koji danas po artiji šara. die Mutter ihm, und mir die Hausgenossen.

Zu V. 19. Der Vers ist schlecht, es fehlen zwei Silben und zudem ist der Inhalt unrichtig, denn im Wasser hausen keine Vilen. Der Guslar merkte selber, er habe sich verschnappt und besserte sich aus in V. 21: Die Vilen weilen bei dem See auf einer tauigen Wiese, und zwar weil sie dort ihre zwei Rosse zu weiden haben.

Zu V. 22–26. Man hat an Rosse in hellschimmernder Panzerrüstung zu denken. In andern Liedern werden genug oft wirkliche Panzerrüstungen der Rosse beschrieben. Bei Vilenpferden setzt der Guslar voraus, sei dieser Glanz und die Herrlichkeit mitangeboren.

Zu V. 46. šemno neveselo = freudig trübgestimmt. Ein Oxymoron, wie man bei uns in Wien sagt: fürchterlich schön, oder »sich entsetzlich freuen.« In Guslarenliedern nicht selten. Ein hübsches Oxymoron und zugleich ein witziges Wortspiel erzählt man sich vom Walzerkönig Strauss. Als vor Jahren in Wien die Lehrer einen Kongress abhielten, gab man ihnen zu Ehren eine Galavorstellung in der Hofoper. Strauss war Dirigent. Damals machte er die Bemerkung: »ich hab’ die Oper schon voller, ich hab’ sie schon leerer gesehen, doch voller leerer (Lehrer) noch nie«.

Zu V. 61–62. Das ist eine nicht aussergewöhnliche Übertreibung, eine dichterische Figur, die leicht Anlass zu einer Sage geben könnte. Relja habe so schön gesungen, dass er selbst die Pflanzen in Bewegung setzte. Vielleicht ist die Mythe vom Spiel Orpheus’ auf solchem Wege gestanden.

Zu V. 66. Relja wird »Bastard« nur gescholten, doch ist er keiner.

Zu V. 70. Dieser Handel ist neu; denn nach dem Rechtbrauch wird der Vorstand einer Gemeinschaft durch Stimmenmehrheit der Mitglieder gewählt oder abgesetzt. Man hat sich wohl die älteste Vila hier als die Mutter der übrigen vorzustellen, denn sonst hat ihr Anerbieten keinen Wert.

Zu V. 74. Die Vilen schauen so starr zu Boden, als wollten sie das Gras wachsen sehen. Stereotype Formeln.

Zu V. 87. Ein gewöhnlicher Fluch. Vergl. Krauss: Orlović S. 103–108.

Zu V. 103–104. Nach V. 103 sang der Guslar, durch die lauten Gespräche der Anwesenden verwirrt gemacht, unpassend die Verse, die ich aus dem Texte nachträglich strich:

»Progovara kraljeviću Marku: ‘Kamo meni Bogom pobratima, pobratima Relju krilatoga!’ A govori nagorkinja vila.«

Zu V. 110. Gegen Sonnenstich empfiehlt man Waschungen mit frischem Morgentau.

Zu V. 131–133. Ein Nachgesang, mir, dem Schreiber und den Zuhörern zu Ehren. Ich hatte mich nach Volkbrauch dem Guslaren nicht vorgestellt, woher ich sei und wie ich heisse, sondern ihm bloss den Zweck meiner Reise mitgeteilt und ihn mit Speise und Trank bewirtet, um ihn zum Singen zu bewegen. Darum ist der Nachgesang so kurz ausgefallen. Zum Schluss sang er noch eine gepfefferte »Würze« (začinka), ein 36 Zeilen langes Liedchen und endete mit den Worten: na zdravlje radnja taman! (zur Gesundheit sei die Arbeit fürwahr!)

Das Lied ist vom Guslaren Mićo oder Mišo Kosović.

Gleich dem vorigen hat auch ein anderer Guslar die Notwendigkeit empfunden, den Zug der Helden ins gemiedene Hochgebirge zu begründen. Er kam auf den Gedanken, die edlen Ritter in einem Hochzeitzuge auftreten zu lassen. Was haben aber Hochzeiter im wilden Gebirge zu tun? Da half sich recht schlau der Guslar. Er verlegte den Wohnsitz der Vilen auf eine steile, unzugängliche Burg und machte aus den Vilen förmliche Raubritter, die kühnen Wanderern für immer den Weg verleiden. Zum Überfluss muss, nach der Deutung des Guslaren, der Weg gerade durch die Burg führen, etwa so wie dies bei der alten Burg von Vranduk an der Bosna im Engpasse der Fall gewesen, ehe auf dem entgegengesetzten Bosnaufer die Bahn gebaut worden war. Um einen Namen für die Vilenburg war der Guslar nicht verlegen. Der Name des Prinzen Marko lenkte ihn auf dessen Stammburg Prilip. Nun musste der Sänger den Prinzen seine eigene Burg erobern lassen. So schuf er sehr frei eine neue Sage, die mit der älteren Überlieferung im schroffen Widerspruch steht. Ein Guslar macht sich aber aus solchen Widersprüchen keine grossen Bedenken. Ganz gemütlich berichtigt er zum Schluss (V. 86) seinen Irrtum, um bei seinen Zuhörern nicht anzustossen. Wie leicht greift ein anderer Guslar just diese neue Sage auf und verwertet sie als Hauptmotiv zu einem neuen Liede »Wie Prinz Marko in den Besitz einer Burg gekommen?« Auf diesem Wege durch Umdichtungen, Nachdichtungen, Missverständnisse und willkürliche Entstellungen erleidet jede Überlieferung Veränderungen, die besonders bei sehr beliebten Stoffen schwerwiegendster Natur zu sein pflegen, so dass der ursprüngliche Bericht über einen Fall oder ein Ereignis völlig unkenntlich werden kann. So ein Ereignis war die Niederlage der Serben unter Fürst Lazar zu Leitengeben (Kosovo). Ein Agramer Akademiker veröffentlichte ein Werkchen über die auf jene Schlacht bezüglichen serbischen Epen, um zu zeigen, wie sie zu einer grossen Epopöe verarbeitet werden müssten. Den Wert jener Untersuchung mag man nationalchrowotisch noch so hoch veranschlagen, für die Folklore-Wissenschaft ist er nichtig, weil der Verfasser trotz dem Aufgebot seiner patriotischen Gefühle die Entwicklunggeschichte der Kosovo-Epen gar nicht geahnt zu haben scheint.

In den früheren zwei Fassungen werden sechs oder sieben, in dieser 30 Vilen namhaft gemacht. Drei, sieben, dreizehn, dreissig, hundert, dreihundert usw. sind im Volkmunde runde Zahlen, um eine unbestimmte, grössere oder kleinere Menge kurz anzugeben. Wörtlich darf man solche Angaben nicht, oder nur äusserst selten, nehmen.

Pogibija Janje vile ot Prilipa. Wie Janja, die Vila von Prilip ums Leben gekommen.
Zaprosio Gjurgjeviću Gjuro Herr Gjurgjević Georg, der hat geworben
na daleko lijepu djevojku, im fernen Lande um ein schönes Mädchen,
u Dreventu curu isprosio; und hat in Drevent eine Maid erworben,
pokupio kićene svatove: geschmückte Hochgezeiter aufgeboten:
5 starog svata Miloš Obilića, Herrn Miloš Obilić zum Hochzeitvorstand,
dva prvljenca, dva Jakšića mlada, zum Bräutchenführer beide jungen Jakšić,
barjaktara Relju krilatoga; zum Fahnenträger Relja mit den Flügeln;
zove kuma od Erdelja bana Gevatter heisst der Ban von Siebenbürgen,
a prikumka banović Sekulu, der Beigevatter Sekula der Bansohn,
10 ostalijeh stotinu svatova, zum Haupt der Beiständ lädt er Prinzen Marko
Gjeverbašu Marku kraljevića. und noch dazu wohl hundert Hochzeitgäste.
Pa odoše Gjurovi svatovi, So zogen ab Georgens Hochgezeiter
u Dreventu daleko hodoše, und reisten fort ins weite, weite Drevent.
a govori Marko kraljeviću: Da sprach ein warnend Wort das Prinzchen Marko:
15 — Braćo moja kićeni svatovi, — Geschmückte Hochgezeiter, meine Brüder!
daleko se Gjuro zaturio, Wohl weit hat sich Georg uns da verstiegen,
na daleko curo isprosio; im fernen Land ein Mädchen sich erworben!
valja proći kros Prilipa grada, Jetzt gilt es durch die Prilipburg zu ziehen,
gje no stoje vile nagorkinje dort hausen aus dem Hochgebirg die Vilen,
20 tridest vila u Prilipu gradu in Prilipburg wohl ihrer dreissig Vilen,
a pred njima Janja starešnica, als Alteroberhaupt die Vila Janja,
što strijela konje i junake, die schiesst den Pfeil gen Rosse und gen Helden,
ne da proći kros Prilip junacim. die lässt durch Prilip keine Helden ziehen.
Svatovi će naši izginuti! Der Hochzeitzug, der zieht in sein Verderben!
25 A veli mu Miloš Obiliću: Herr Miloš Obilić darauf entgegnet:
— A ne boj se Marko kraljeviću! — Prinz Marko, nur getrost und ohne Bangen!
Dok su ovgje sve srpske vojvode, Da hier beisammen alle serbischen Führer,
ne smiju nas vile strijelati. so wagen keinen Pfeil gen uns die Vilen.
Odatele konje naćeraše Drauf gaben ihren Rossen sie die Sporen
30 kros Prilipa grada bijeloga. und jagten durch die weisse Burg von Prilip.
Ne šćeše ih vile strijelati Die Vilen mochten jene nicht erlegen.
Dok progjoše u Dreventu tvrdu, So zogen durch sie nach dem festen Drevent.
iz Drevente pa se povratiše Auf ihrer Heimkehr aus der Feste Drevent,
i lijepu curu povedoše, als sie das schöne Mädchen mit sich führten,
35 kros Prilipa ope zagaziše. so nahmen wieder sie den Weg durch Prilip.
Gledaju jih sa Prilipa vile; Dort kamen sie in Sicht den Prilipvilen.
naregjuje starešnica Janja: Und Janja Oberhaupt erteilt die Weisung:
— Moje drugarice trideset mi vila, — O meine Freundinnen, Ihr dreissig Vilen!
strijeljajte Gjurove svatove! erlegt mit Pfeilen mir Georgs Geleite!
40 A ne da im Angja Prilipkinja: Doch Angja von der Prilipburg verwehrt es:
— Nemoj Janjo, dugo jadna bila! — O lass es Janja, Leid dich lang verzehre!
u Prilip su Srbi zagazili, In Prilip sind die Serben eingezogen,
is Prilipa išćeraće vile! sie werden uns aus Prilip noch vertreiben!
A to Janja haje i ne haje, Drauf achtet Janja wenig oder gar nicht,
45 no poteže od zlata strjelicu, sie zieht vielmehr hervor ein golden Pfeilchen,
da strijelja Miloš Obilića, um Miloš Obilić jetzund zu töten;
a ne da joj Angja Prilipkinja: doch Angja von der Prilipburg verwehrt ihr’s:
— Nemoj Janje, dugo jadna bila! — O lass es Janja, Leid dich lang verzehre!
Progje Miloš, proćera dorina So jagte Miloš heil vorbei den Braunen,
50 pa naljeze Marko na šarina, da kam geritten Marko auf dem Schecken,
pored njega lijepa djevojka. an seiner Seite ritt das schöne Mädchen.
Ćaše Janja da strijelja Marka Nun wollte Janja Marko hier erlegen,
a ne da joj Angja Prilipkinja: doch Angja von der Prilipburg verwehrt ihr’s:
— Nemoj Janje, dugo jadna bila! — O lass es Janja, Leid soll dich verzehren!
55 Progje Marko, proćera šarina. So jagte Marko heil vorbei den Schecken.
Sve nalaze kićeni svatovi Es folgten nach die schmucken Hochgezeiter
a naljeze Relja na ždralinu es folgte letzt auch Relja auf dem Kranich,
a krstaš bajrak nosi u rukama. die Fahne mit dem Kreuz in Händen haltend.
Strijelja ga Janja Prilipkinja. Von Prilip Janja schiesst gen ihn den Pfeil ab;
60 Pade Relja nis konja ždralina. Herr Relja sinkt vom Kranichross zur Erde.
Dockan vidje Marko kraljeviću, Ein wenig später merkte Prinzchen Marko,
gje mu Relje ni barjaka nejma, dass weder Relja noch die Fahne folge;
pa se tada Marko ośjetio ihm schwante gleich, es sei was vorgefallen,
a on svoga ustavi šarina er machte halt mit seinem Ross, dem Schecken
65 i ustavi pet stotin svatova. und hiess auch die fünfhundert Gäste halten.
Pa vojvode konje povratiše Die Führer kehrten um mit ihren Rossen
a u travi Relju nalaziše, und fanden in dem Grase Relja liegen.
Onda dobre konje naćeraše, Da gaben sie den braven Rossen Sporen,
u Prilipa vile rašćeraše, vertrieben aus der Prilipburg die Vilen
70 uvatiše Janju Prilipkinju; und fingen ein von Prilipburg die Janja.
za kose je nis Prilipa vuče Prinz Marko schleift sie bei den Haaren abwärts
a teškom je topuzinom tuče: und schlägt auf sie mit seinem schweren Kolben:
— Diži Janjo Relju krilatoga, — Erheb den Flügelträger Relja, Janja,
nemoj danas glavu izgubiti! sonst musst du heute noch dein Haupt verlieren!
75 Onda Janja Relji dolazila Drauf schritt zu Relja hin die Vila Janja,
pa je svakih trava donosila sie brachte hin zu ihm so manches Kräutlein
pa travama Relju zalagaše. und legte Kräuter auf des Relja Wunden.
Dok se diže Relja ot Pazara; Da reckt sich auf Herr Relja aus dem Pazar,
dok se diže, on skoči ko da se pomami, er reckt sich auf, ein Sprung, als wär er rasend
80 môm presječe Janju Prilipkinju. und haut im Nu entzwei von Prilip Janja.
A kad Relja preśjekao Janju Nachdem Herr Relja Janja durchgesäbelt,
pa Prilipa srbi porobiše. da plünderten die Prilipburg die Serben.
Ode Gjuro, odvede djevojku. Nun zog Georg mit seinem Mädchen heimwärts,
Marko śjede u Prilipa grada, doch Marko liess sich nieder wohl auf Prilip,
85 u Prilipu pa se oženio. auf Burg von Prilip nahm er sich ein Weibchen.

Tu je njemu postojbina bila.

Auf diesem Orte war er erbgesessen.

Ja to bilo, ja to nije bilo, Ob’s so geschehen oder nicht geschehen,
davno bilo, sat se spominjalo; geschehen ist’s, man soll davon gedenken;
mi velimo, da se veselimo! wir singen’s, um daran uns zu ergetzen!
90 Bog nam dao što bi dobro bilo, Gewähr uns Gott, was wohl bekommen dürfte,
kom djevojku kom li udovicu, ein Mädchen dem, dem andren eine Witwe,
meni dvije da mi nije krivo, mir zwei zugleich, ich soll nicht klagen mögen,
jednu smješnu, drugu ozimačnu, ein lustig Ding und eine treu zur Arbeit,
su tim ćemo na planinu poći, mit denen auf die Alm wir ziehen könnten,
95 da sirimo i da kiselimo. um Käs’ zu machen, saure Milch zu kochen.

Zu V. 1. Es scheint mir, dass »Georgsohn Georg« eine vom Guslaren erfundene Gestalt ist.

Zu V. 3. Drevent vom pers. derbend, türk. dervend, Engpass, befestigter Pass; kommt als Ortname mehrmals vor (z. B. Dervent an der Ukrina). Der Guslar verlegt die Burg Drevent offenbar nach Bulgarien.

Zu V. 5–10. Über die Würdenträger bei Hochzeiten, vergl. Krauss: »Sitte und Brauch der Südslaven«, S. 380–385.

Zu V. 11. Marku ist ein grammatischer Fehler, wie deren im Liede mehrere vorkommen. Ich mag sie nicht besonders anführen und besprechen, weil für den Folkloristen derlei Erörterungen im allgemeinen von keiner Wichtigkeit sind.

Zu V. 40. Angja hat man sich als Wahlschwester des Prinzen Marko zu denken.

Zu V. 58. Krstaš bajrak ist eine Prozessionfahne.

Zu V. 65. Während im V. 10 nur von 100 Hochzeitleuten die Rede ist, kommen hier fünfhundert vor. Der Irrtum ist kein Irrtum, wenn man die Schlussbemerkung der Einleitung über die runden Zahlen als richtig gelten lässt.

V. 87–95 ein Nachgesang, an den der Guslar noch eine »Würze« anhing, die wegen ihres unzüchtigen Inhaltes hier nicht abgedruckt werden darf.

Zu V. 93. smiješna in der sehr seltenen Bedeutung »lachlustig«, die gewöhnliche ist: »lächerlich, albern«. Ozimačna »die für die Winterarbeit taugt«, die hauswirtliche Schaffnerin.

Zu V. 95. Kiselica, saure Suppe, ein Lieblinggericht des Bauernvolkes. Man kocht die Buttermilch ab, salzt und pfeffert sie ein, brockt Brot ein, und die Suppe ist fertig.

Der Guslar heisst Kuzman Bjeletić und stammt aus dem Dorfe Bjeletić im Herzögischen. Stolz sagte er zu mir: »Ich bin der Brudersohn des Popen Bjeletić Alexa aus Bjeletić«.

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