Zehntes Kapitel

Nackt, wie ich war, wurde ich durch eine Reihe von, dem Anschein nach, nicht geheizten Gemächern mit vernagelten Fenstern in ein kleines Zimmer geführt, in dem ein Kamin knisterte, dessen flackerndes rötliches Feuer die dunkeln Mauern beleuchtete. Die Damen im Perlenschmuck und mit den gelben Rosen sassen stumm auf einem Sofa an der Wand und sahen einander lächelnd an. Ich schämte mich meiner Nacktheit und fror, deshalb wandte ich mich an die Damen:

„Vielleicht hat einer eurer Diener, meine guten Signorine, ein überflüssiges Gewand, denn ich habe es kalt und bin nicht gewohnt nackt vor Damen zu erscheinen, ohne dass es mir peinlich wäre.“

Sie fuhren fort zu schweigen und, als ich meine Bitte wiederholte, kehrten sie mir gleichzeitig ihre Gesichter zu und blickten mich unverwandt und starr an, so dass es schien, als belebe nur das flackernde Kaminfeuer ihre Züge. Ihr Schweigen machte meine Lage noch sonderbarer und peinlicher. Ich beschloss nicht zu staunen und mir weiter keinen Zwang anzutun, nahm den Mantel, den jemand auf einen Stuhl geworfen hatte, und setzte mich ans Feuer. Eine der Damen sagte leise:

„Den Mantel, lasset den Mantel!“

Aus einem Schrank, der sich als Geheimtür erwies, trat eine alte Frau mit einer Kerze und einer Kanne Wein, sie stellte schweigend beides auf den Tisch, auf dem ein Abendessen gedeckt war, zündete an verschiedenen Stellen des Zimmers Kerzen an und schlug die schweren gelben Vorhänge auseinander, welche ein Bett verhüllt hatten. Ich begann unruhig zu werden.

„Ist Ambrosio zu Hause?“ fragte die eine der Damen.

„Wo sollte er denn sonst sein?“ entgegnete die Alte.

„Schläft Ambrosio?“ fragte die andere der Damen.

„Was sollte er sonst tun?“ entgegnete wieder die alte Dienerin.

„Heute musst du mehr essen, Bianca, morgen bist du an der Reihe,“ sagte die eine Dame.

„Ja, morgen bin ich an der Reihe,“ bestätigte die andere Dame.

„Wozu diesen Mantel?“ fragten dann beide laut zu gleicher Zeit.

Ich hielt es nicht mehr aus, stand auf, warf den Mantel ab, denn ich hatte mich schon erwärmt, und sagte laut:

„Machet das Mass eurer Güte voll, rettet mich, gebet mir ein Glas Wein, ein Stück Brot, um meine geschwächten Kräfte zu stärken.“

Die Uhr schlug zehn, beide Damen gähnten gleichzeitig, begannen, wie nach dem Schlaf, ihre Augen zu reiben und sahen mich erstaunt an, als versuchten sie, sich an etwas zu erinnern, schliesslich sagte die Ältere, die Bianca angeredet wurde, mit tönender Stimme, die ganz anders klang, als ihre frühere:

„Jetzt entsinne ich mich . . . Der schöne gerettete Jüngling vom Meere? Gewiss, Abendessen, Wein, aber nicht den Mantel, nicht den Mantel! Die Frist ist vorüber, wir sind frei! Schwester, welch ein Körper, o welche Vollkommenheit!“

Der Wein funkelte rot in den breiten Gläsern, die kalten, aber würzigen Speisen, die reichlich aufgetragen waren, reizten den Hunger, im Hintergrunde schimmerte weiss das Bett. Die Damen waren lebhaft geworden, mit glänzenden Augen und geröteten Wangen betrachteten sie mich, wie Kinder, und machten naive entzückte Bemerkungen, die mich staunen liessen. Schliesslich gab die Jüngere, Catharina, ihr Haar auflösend, das Zeichen zum Schlaf. Ohne die Kerzen zu verlöschen, brachten wir vor dem riesigen Spiegel im Hintergrunde des Himmelbettes, fast schlaflos, diese lange, für Verliebte allzu kurze Nacht zu.

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