Dritter Abschnitt.

Sendschreiben Karl Starkbloms an das Menschengeschlecht. Zugleich ein Absagebrief an den Sozialismus.

Jüngst las ich zufällig in einem sozialdemokratischen Provinzblatt die Notiz, »der bekannte Agitator Dr. Starkblom scheine von seiner bedauerlichen Krankheit immer noch nicht hergestellt und könne seine Thätigkeit vorderhand noch nicht aufnehmen«.

Es ist wahr, die Krankheit, die mich urplötzlich überfallen hat, ich sollte sagen, wieder überfallen hat, will nicht von mir weichen. Diese Krankheit hat jetzt sogar epidemischen Charakter angenommen, d. h. ich fühle die rasende Begier, meine friedlichen Mitmenschen, soweit sie mir Zutritt zu ihren Gedanken schenken, anzustecken, nur um frei zu werden von dem[112] quälenden Bewußtsein, andere Leute seien kerngesund und nur ich sei ausgestoßen aus der schönen Gemeinschaft.

Aber ist es nicht vielleicht gerade umgekehrt? Doch, ich weiß es mit Bestimmtheit, das Gegenteil ist der Fall. Ihr seid wahnwitzig und ich – nun, ich bin vielleicht wahnsinniger als ihr, das ist möglich, aber ich will euch verführen zu meinem Wahnsinn, damit ich gesund scheine. Denn Krankheit ist nur ein Gegensatz und ein Ausgestoßensein des Einzelnen aus der Gemeinschaft.

Und nun zu dem, wovon ich reden will. Ich will sagen, daß der Sozialismus eine Sache mittelmäßiger und gewöhnlicher Naturen ist, und ich will solche, die mich verstehen können, von der Genossenschaft der Genossen abziehen und mir und meiner Lehre verschwistern.

Ich nenne den Sozialismus um deswillen gemein, weil er Voraussetzungen macht, ohne es sich und andern einzugestehen, obwohl er zur Einsicht klug und alt genug wäre, und weil er im Banne alter Worte steht und weil er nicht ein einziges neues Wort gesprochen hat noch je zu sprechen im Stande ist. Der[113] Sozialismus, gleichwohl er sich eine neue Weltanschauung zu nennen für gut findet, setzt voraus, es gebe eine Pflicht des Menschen sich um seinen Nachbarn zu kümmern, es gebe eine Gemeinschaft der Menschen und der Einzelne habe ein Interesse an der Zukunft der Menschheit und der Welt. Er begründet diese wichtigste aller Voraussetzungen niemals mit einem Worte, weil er gänzlich unter dem Banne einer alten Moral, des jüdisch-christlichen Sittengesetzes und seiner Variationen, steht und weil er unfähig ist, die Möglichkeit einer neuen Welt- und Seelenanschauung auch nur zu ahnen. Der Sozialismus ist nicht Original, sondern er ist nur eine Folge historischer Reminiscenzen. Wenn er Revolution sagt, meint er eben das, was man bislang unter Revolution verstanden hat, und er kennt keine andern Mittel und Wege, als die bisher scheinbar wirksam gewesen sind. Der Sozialismus ist schamlos, denn er glaubt an sich. Der Sozialismus ist kindisch, denn er denkt nicht an den Tod. Der Sozialismus ist erbärmlich, denn er läßt sich von einer abstrakten Idee beherrschen. Der Sozialismus ist ein armseliges Wesen, denn er kennt kein reiches Leben. Der Sozialismus ist ein eingebildeter[114] Kranker, der fortwährend sein Testament macht, anstatt zu tanzen und Lieder zu singen oder sich tot zu schießen. Und der Sozialismus ist eine Lüge, denn er redet von der Zukunft, und er ist Aberglaube, denn er nennt sich eine Wissenschaft.

Man verlangt Beweise von mir. Man verlange sie nicht. Ich will nicht beweisen. Ich bin keine Anklagebehörde und kein Untersuchungsrichter. Ich gebe nur meine Eindrücke und mein Erleben wieder. Ich hasse den schreienden Ton der Unbedingtheit. Aber die Selbstverständlichkeit liebe ich. Wem viele Dinge selbstverständlich sind, der folge mir nach. Wer sich die Aufregung und das Für oder Wider mich noch nicht abgewöhnt hat, der bleibe dahinten. Leute wie mich, sucht man am besten, indem man sie meidet und seinen Gang weiter geht. Man wird so reif. Und nur zu Reifen will ich sprechen. Ob auch zu Müden? Die Worte sind mir gleichgiltig geworden. Auch die Welt? Auch die Welt. Nur eines ist mir noch wichtig und des Denkens wert und gewärtig und ich freue mich wie ein Dieb dieser Inkonsequenz. Dies eine aber ist – lachet, meine Freunde, ich lache mit – dies eine ist der Tod. Er liegt mir am[115] Herzen und von ihm muß ich noch viel erzählen. Seid ihr bereit? Ich will euch etwas erzählen – vom Leben.

Halt – sollte ich nicht, bevor ich auf das Leben zu sprechen komme und auf meine Gedanken und die Vergangenheit und Geschichte meiner innersten Vorgänge und Stimmungen – sollte ich nicht vorher von den ökonomischen Verhältnissen reden, und sollte ich nicht die unumstößliche Wahrheit von vorneherein annageln, daß die materiellen Erscheinungen die Ideen hervorbringen, und daß alle meine Gedanken und Willensmeinungen die Früchte unseres Zeitalters des Kapitalismus sind? Sollte ich nicht von Gottes und Rechts wegen anders organisirt sein als ich es bin, sollte ich nicht, bevor ich von mir rede und sage was ich will, beobachten und feststellen, welchen Gang die Ereignisse nehmen müssen, wohinaus die Geschichte nach den immanenten ökonomischen Gesetzen des Karl Marx gelangen muß? Kurz – sollte ich nicht ein Thor sein? Ein Narr, dem seine besonnenen Beobachtungen mehr wert sind, als seine gehäuften unbewußten zufälligen tausendfachen Erfahrungen? Sollte ich mich nicht fortwährend als Ring in der Kette[116] einer festgelegten Entwicklung fühlen? Sollte ich mich nicht in zwei Teile teilen und den einen vom andern beherrschen lassen? Sollte ich mich nicht den Wissenden anschließen, anstatt wie jetzt einer zu sein, der nichts wissen will?

Ja, das ist es, warum ich mir selber merkwürdig und absonderlich und vielleicht auch wichtig vorkomme: ich gehöre zu denen – denn ich bin doch nicht der Einzige? – die vergessen wollen, vergessen alles, was dagewesen sein soll, die einen Grund und eine Abstammung haben, aber nichts davon wissen wollen, die zu keusch sind, um ihr Leben zu leben nach Kenntnissen und Mitteilungen und Beobachtungen, anstatt wie ein göttliches Tier auf einen ungekannten Grund hin, einem unbekannten Ziele zu. O ihr Klaren und Unabänderlichen, ihr historisch Begründeten und Zielbewußten, ihr Einsichtsreichen und Vollundganzen, ihr Vergangenheitsleber und Zukunftsleber und Gegenwartsnichtse, ihr Aufderhöhederzeitseienden und Bewußtheitsaffen, ihr Vielseitigen und Vielzeitigen, ihr Tiertöter und Gottschänder und Menschenverstümmler, ihr Papiermenschen und Drahtpuppen, ihr seid mir widerlich, höchst widerlich! Jener Sokrates, der zugab, es[117] wisse nichts, war wenigstens nicht so gar übelriechend; aber wo findet man einen, der nichts wissen will? Der nur leben will, nur leben – oder sterben?

Vom Leben also will ich meine Rede beginnen, vom Leben des Menschen, des höchsten Menschen. Aber nicht will ich sprechen von den Nöten des Lebens, von den niedrigsten Menschen, den Ärmsten der Armen. Und nun sollte ich, so gehörte es sich, affectieren, ich sei ein harter Mensch, ein Fürst der Erde, hocherhoben über alles, was unter ihm steht, weit entrückt vor allem der schwächlichen Regung des Mitleids. Ich liebe es aber nicht, mich zu verstellen, und ich mag nicht die erzwungene Konsequenz. O ja, ich fühle Mitleid mit euch, ihr Proletarier, heißes Mitleid, so gut wie einer, aber das ist mir ein unangenehmes Gefühl. Es ist ein Gefühl, das da ist, aber es ist nur trotz alledem da und ich verbitte mir, daß es sich zum Zentralpunkt machen will, von dem alle meine Wünsche und Ansichten und Absichten ausgehen müssen. Ihr lieben Kinder, die ihr das Leben nur von weitem in strahlendem Glanze erblickt, die ihr die Not kennet und den Schein des Lebens, das Leben aber, nein, das Leben kennt ihr nicht. Drum habt ihr[118] auch das gute Recht, alle eure Kraft einzusetzen, um das Leben und was ihr den Genuß des Lebens nennt, zu erkämpfen. Euch verstehe ich, ihr jagt einem schönen Bilde nach, jaget weiter, bis ihr bitter enttäuscht werdet. Früher kann ich nicht zu euch sprechen. Suchet das Leben, damit ihr es fliehen lernt.

Aber jene andern, jene sozialdemokratischen Lehrer und Führer, unter denen, meine ich, sollten welche sein, die etwas vom Leben wissen könnten. Und wenn sie dennoch jenem weichen Wachse die Sehnsucht nach dem Leben eindrücken, dann thun sie es teils aus Dummheit, indem sie sich einreden, das Elend einer lebenden Seele beruhe auf demselben Grunde wie die Nöte der arbeitenden Kinder – nämlich auf den Wirtschaftsverhältnissen des Zeitalters; oder sie sind gewöhnliche Menschen, die ihr Leben nur dadurch ertragen, daß sie andere beherrschen, die aber keinen Zustand ihres eigenen Menschen zu begreifen und auszudenken verstehen, die die äußere Welt mit scharfer Brille betrachten und wissenschaftlich fassen, die aber nie ein Gelüste verspürt haben, die Gründe ihres eigenen Handelns, ihres eigenen Lebens zu prüfen – und zu verachten. Also kleinliche mittelmäßige Seelchen, die[119] sich selber das Leben erträglich machen durch ihr Gerede – und das nennen sie neue Weltanschauung! – und die nichts weniger als großartig sind in ihrer Herrschsucht und Verführungskunst. Sie wissen nicht einmal, warum sie die Zukunft predigen, sie sind Thoren genug, zu glauben, es sei wirklich um der Zukunft willen, sie sind Egoisten und wissen es nicht – o über diese Kindsköpfe! Man erstrebt etwas, weil man das Streben liebt, das ein Teil der eigenen Seele ist, sie aber reden sich ein, ihre ganze Seele werde angezogen von dem etwas außerhalb. Sie wissen nicht, daß das etwas nur ein gleichgiltiges und zufälliges Symbol ihres innern Menschen ist. Daß es in die Zukunft projektiert ist, um glanzvoller zu wirken und zu beherrschen! Daß man es zu andern Zeiten in den Himmel projektiert hätte. Und zu andern auf die Insel Utopia. Und ein drittes Mal auf den Olymp. Oder auch in das goldene Zeitalter oder in den Garten des Paradieses. Sie glauben, Zukunft, das sei etwas in der Wirklichkeit, das sei etwas, was den Menschen mehr angehe, als Himmel und Hölle. O über diese Kindsköpfe!

[120]

Nochmals – diese Führer muß ich ganz und gar in meiner Betrachtung trennen von den Geführten und Verführten. Mit diesen habe ich zwar Mitleid, ich gestehe es zu, aber ferne ist von dieser Art Mitleid jegliche Verachtung. Im Gegenteil, ich sehe mit großem Schmerz, wie lang und umständlich der Weg ist, den diese vielfach trefflichen Menschen noch gehen müssen, bis sie da sind, wo ich stehe, bis sie sehen, daß ihre Nöte, die sie vom Leben trennen, daß diese zu überwinden sind, daß aber im innersten Kern des Lebens, des menschlichen Lebens ein unüberwindlicher und viel tieferer Jammer steckt als in jener häßlichen Beschalung. Freilich, es will mir so scheinen, als ob auf eine sonderbare Art der Sozialismus geeignet sei, diesen Weg in seltenen Fällen zu verkürzen, während er ihn bei der großen Masse gänzlich verschüttet und unbetretbar und ungesehen macht. Ich kenne einige ganz wenige Menschen, ganz einfache Arbeiter, die ich, wie wenige in mein Herz geschlossen habe. Lange Jahre waren sie glühende Sozialdemokraten, Nichtsalssozialdemokraten, dann aber durchschauten sie schaudernd die Motive einiger Führer, sie sahen Dinge an diesen Leuten, die diesen selber in ihres Herzens[121] allzu großer Einfalt gar nicht bekannt waren. Es ist nicht zu glauben, mit welcher unheimlichen entsetzlichen Geschwindigkeit sie – aber nur ganz wenige sind das – nunmehr ihren Weg gingen oder flogen oder gerissen, geschmettert wurden. Sie nannten sich noch Sozialisten, wo sie es schon nicht mehr waren, sie suchten immer neue, immer weniger betretene Pfade, um ihr »großes Ziel«, das sie immer noch einzig suchten, zu erreichen; sie streiften die Lehre von der ökonomischen Grundlage von sich ab und nannten sich wieder Idealisten und Anarchisten. Dann wurden sie Individualisten, aber Individualisten ganz eigener, nie erhörter Art, denn sie suchten den Individualismus immer noch in der Zukunft als Ideal, sie wollten einen Individualismus schaffen durch gemeinsame Arbeit, durch Kommunismus. Aber daneben verlangten sie schon, auch die Mittel und Wege müßten individualistisch sein. Und nun streiften sie das Istentum ab, sie wollten nichts mehr, sie waren etwas, nicht mehr Individualisten, sondern Individuen. Und damit waren sie auch schon gänzlich auf sich gestellt und dem Pessimismus verfallen, und ihren Glauben hatten sie völlig verloren und ihre Sehnsucht[122] nach dem Leben dazu. Merkwürdig, ihnen, diesen auserwählten Menschen, ihnen ekelt vor dem Leben, obwohl sie es doch kaum gelebt, kaum gesehen, nur eine ganz dünne Ahnung vom Leben ist über ihre Seele gehuscht, und schon wenden sie sich scheu von ihm ab. Und ich glaube, während ich von ihnen erzähle, stehen sie traurig lächelnd daneben. Ja, diese Menschen gehören zu meinen Zuhörern, und sie stehen in der vordersten Reihe, und ihre Herzen liegen mir offen da, und sie harren des Wortes, das ich sprechen soll. Und wenn ich das Wort ausspreche, das Wort »Tod«, dann klingt ihnen das schon reif und vertraut, sie sind mürbe geworden und verstehen mich und folgen mir nach. Ich segne euch, meine Brüder, unsere Wege kommen aus verschiedenen Geburten, aber nun haben sie sich gefunden und bleiben beisammen.

O über diese Sozialdemokraten, die so vieles beobachtet und vor allem so vieles behalten haben, die alles wissen, nur nichts von den unbewußten Regungen ihres Willens und nichts vom wahren Wesen ihrer Persönchen! O über diese gelehrten Menschlein, die von Wörtern leben, die glauben, ein Wort sei ein Wort und ein Ding sei ein Ding, die alles Zusammengesetzte[123] sehen, als ob es einfach wäre, die Gegensätze für Einheiten halten. Weil sie beglückt sind in ihrem Streben nach der Zukunft, wähnen sie, das Glück zukünftiger Menschen sei gesichert, wenn der Wille der Gegenwart erfüllt werde. Sie ahnen nicht, daß Absicht und Zweck zwei Dinge sind, die nie zusammen kommen, sie glauben, es sei dasselbe. Wie ungeheuer werden sie beschämt von einem andern einfachen Arbeiter, der mir allerdings auch noch ferne steht, von einem Manne, bei dem alles unbewußt ist, der so gut wie gar keine gewollte und kontrolierte Erkenntnis hat, und der doch diese Grundwahrheit klar erkannt hat und der mit einer unerhört schönen Gewalt in die Worte ausbricht:

»Freiheit du wunderbares Wort, du Signal des Lebens, du Ruf aus einer andern Welt, wie durchdringst du sogleich meinen ganzen Körper; wie einen Adler läßt du mich hinaufschwingen, hinauf in das strahlende Licht, in die reinen Lüfte, allen Staub und alles Menschenelend zurücklassend, aber ach, wie der Adler wieder zurückkehren muß zu seinem Horst, so muß auch ich wieder zurückkehren zur Menschenheimat und muß es bei deinem Klang mitfühlen mit den[124] Tausenden, die ihr Leben in ungerechten Fesseln des Körpers dahinbringen müssen, muß bei deinem Klang so oft Empörung in mir wahrnehmen, als ich Luft und Licht in Fesseln geschlagen sehe.

Ȇberall, wo ungerechten Fesseln halber der Ruf Freiheit erschallt, ist das der Ruf des Guten, ist es der Ruf der Vernunft, hier bedeutet Freiheit das Gute; die Freiheit als Kraft ist aber nicht das Gute, vielmehr bei denen, welche ungerechte Fesseln anlegen, herrscht die Freiheit, das ist das Schlechte und fehlt das Gute, das ist die Vernunft.

»Freiheit und Vernunft sind die beiden sich bethätigenden und bekämpfenden Kräfte im einzelnen Menschen wie im ganzen Geschlecht, und je mehr die Vernunft als wirklich solche bei Rufern wie Hörern zur Herrschaft gelangt, um so mehr wird der Ruf Freiheit und mit ihm der Ruf Gleichheit verschwinden.«

Ein Arbeiter schreibt das, meine Herren, und einer, der vom Sozialismus weniger berührt wurde als andere. Schämt ihr euch nicht? Ahnt ihr nicht, was ihr vernichtet und verwässert habt, welche Tiefe euch abgeht und welche ihr ewig zerstört habt? Seht[125] ihr nicht, daß dieser stammelnde und ahnende Arbeiter beinahe schon jetzt über euch lacht? Was hättet ihr erreichen können, wenn ihr nicht hättet so ernsthaft sein wollen! Welche Bewegung wollte entstehen, wenn ihr große frivole Kerle gewesen wäret! Wenn ihr zum Einzelnen gesprochen hättet und ihm das Lachen und Sterben gelehrt hättet! Aber was wißt ihr vom Lachen und Sterben? O ihr ernsthaften langweiligen lebenslänglichen Hanswurste und Kindsköpfe! O ihr Sittlichen und Guten, ihr Naturgesetzlichen und Ökonomischen! O wie ist euer Sozialismus so verkehrt, weil er geradeaus gehen wollte, immer geradeaus in Marschkolonne! Weil ihr nur eines vor euch seht, ihr Geblendeten! Ihr Hypnotisierten, ihr Medien, ihr Mittelmäßigen!

Und wie lange glaubt ihr denn eigentlich, daß ihr noch warten könnt? Ist denn solch eine rasende Verblendung schon einmal dagewesen? Ihr habt vor dreißig und noch mehr Jahren ein paar armselige Schlüsse gezogen aus ein paar winzigen Beobachtungen und nun habt ihr einen Glauben darauf gepfropft – o nein, entschuldigt, eine ewige Wissenschaft, nicht wahr, eine ewige? und eine Partei habt ihr gebildet[126] und da die Dinge sich ganz langsam so gestalten wie ihr es prophezeiht habt, und da die bürgerliche Welt ganz langsam zerbröckeln will, und da eure Partei allmählich zunimmt, predigt ihr immer dasselbe und predigt es unermüdlich und predigt und predigt, damit wenn die Zeit da sein könnte, ihr auch noch da seid, im Gedächtnis der Mitwelt. Glaubt ihr denn wirklich ganz an eure Unfehlbarkeit, daß ihr so fürchterlich langsam seid? Glaubt ihr denn, nichts, aber auch gar nichts könne euch über den Kopf wachsen? Hattet ihr denn eine Ahnung, vor 30, 40 Jahren, daß auch einmal Stimmen klingen könnten, aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus, die nichts mit Ausbeutung zu thun haben? Stimmen wie die meine, wenn sie Gehör finden und Echo, gehn sie euch denn gar nichts an? Ist denn die Welt nicht eine ganz andere, als ihr träumt, wenn ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft lachend über seinen eigenen Schatten springt und über seine eigene Klinge? Wenn wir uns selbst aufheben, könnt ihr uns dann noch expropriieren?

Und ich höre mir eine Stimme antworten, gesättigt von Marxismus und hungrig nach Kapital:

[127]

»Du und deinesgleichen, ihr seid nur eine Erscheinung des Verfalls und der Korruption. Ihr seid vereinzelte Bourgeois, die übersättigt sind und blasirt und keinen Genuß mehr finden. Ihr spielt keine Rolle, im übrigen bleibt alles wie es war. Der Kapitalismus beutet aus, das Proletariat hungert oder lebt mindestens in menschenunwürdigen Zuständen – bis die Stunde der Befreiung schlägt. So ist es, so wird es sein!«

Das ist die Sprache des Sozialismus, und mancher wird vielleicht finden, der Mann habe recht.

Der Mann hat aber nicht recht, weil er den wahren Schmerz nicht kennt und nicht den Ekel, und in einem zu sagen, weil er das Leben nicht kennt. Um euch nun aber endlich meine Meinung vom Leben zu sagen, will ich in einem Gleichnis zu euch sprechen:

Meine Freunde, kennt ihr die Geschichte des Kindes? Aber eben fällt mir ein, daß ihr Geschichte überhaupt nicht kennt; ihr kennt nur Weltgeschichte und Kulturgeschichte und dergleichen unnütze Erlogenheiten aber Geschichten von einzelnen Dingen und ihren Veränderungen und Betrachtungsweisen gehen[128] euch ab. Nun also – richtet eure Gedanken auf das Kind, das kleine Kind. Wißt ihr, mit welchem Gefühle frühere Menschen solch ein kleines Wesen betrachtet haben? Mit innigem Mitleid ob seiner Hilflosigkeit, man bedauerte das Menschlein, daß es das Leben noch nicht kannte und den Lebensgenuß noch nicht verstand; man sprach immer nur von dem »armen Kinde«. Wie aber ist es heute? Nennt man nicht heute das Kind glücklich und überglücklich, weil es noch nichts weiß vom Leben, beneidet man das Kind nicht, und denkt nicht jeder an seine Kindheit zurück als die Zeit, wo er ganz und gar glücklich gewesen sei? Und wie ist es mit dem Schlafe? Ihr kennt auch die Geschichte des Schlafes nicht. Erschrak man nicht früher vor dem Einschlafen? War es nicht ein Entsetzliches, das Bewußtsein zu verlieren und die Freude am Dasein? Fürchtete man sich nicht vor der kindischen Hilflosigkeit des Schlafes? Aber jetzt? Man freut sich auf’s Schlafen, man lächelt dem Einschlummern entgegen, das Bewußtsein zu verlieren ist eine Wonne, man will nicht aufwachen und zwingt sich des Morgens zu einem zweiten Schläflein, in dem man mit voller Absicht seine[129] Träume weiterspinnt, und wacht dann auf, verstört und voll Entsetzen über das Licht des Tages und die Sonne des Lebens. Und was giebt es für die Jetztlebenden Entsetzlicheres als eine schlaflose Nacht? Alle Mittel werden angewandt, nur um zu schlafen, zu schlafen.

Und wollt ihr immer noch behaupten, der Kapitalismus sei es, der das bewirke, dieses Entsetzen vor dem Leben und diese Sehnsucht nach todesähnlichen Zuständen? O nein, geht mir weg mit eurer Lüge vom bösen Gewissen oder was ihr ersinnen wollt. Wir haben ein recht gutes Gewissen und die Ausbeutung stört uns wenig. Hunderte und Tausende giebt es und hat es schon immer gegeben, und es sind, ihr könnt sagen was ihr wollt, die edelsten und höchsten unter den Menschen, die dahin leben, als wäre die Menschheit schon viel weiter als euer Sozialismus sie bringen will, die sich nichts, aber auch gar nichts um die Produktion bekümmern, und in deren Familie ist es schon so seit Generationen, als ob eine unsichtbare und auch ganz gleichgiltige großartigste Maschinerie ihnen alle Bedürfnisse und allen Luxus des Lebens lieferte, sie haben ein gutes Gewissen, denn[130] sie wissen gar nichts und wollen nichts wissen von eurer Entdeckung, daß die Maschinerie, die sie bedient, aus Menschen besteht, aus armen, schwitzenden geknechteten Menschenkindern; folglich kann diese kapitalistische Einrichtung sie gar nicht berühren und berührt sie auch nicht. Zu diesen Menschen, die wie Götter schreiten auf der Höhe hinweg über die Rücken arbeitender Lohnsklaven, gehören unsere erlesensten Denker und Dichter – und doch, was halten diese schließlich vom Leben? Meinte nicht Goethe am Ende seines Lebens, wenn er alles zusammennehme, wahrhaft glücklich sei er nur ein paar Stunden gewesen in seinem ganzen langen Leben? Wer wollte diesem erschütternden Bekenntnis nicht glauben? Ein paar wenige Stunden! Und dieser Mann gehörte zu den glücklichsten Menschen, die je gelebt haben! Und wessen Fanatismus der Dummheit ist so grenzenlos, daß er behaupten will, daran seien die ökonomischen Verhältnisse schuld? Nein, nein und abermals nein! Der Grund liegt tiefer, liegt in der ganzen unseligen Natur des Menschen und des Lebens! Der Grund ist, daß der Mensch ein denkendes Tier ist, daß er den Begriff des Zweckes kennt, und doch niemals, nie[131] und in Ewigkeit nie einen Zweck seines Daseins, an den er glauben kann, finden wird. Und wenn einer geglaubt wird, immer wieder hat der Mensch dann gefunden, das sei kein Zweck, dahinter stecke kein Sinn, dafür zu leben verlohne sich nicht. Und das wird so bleiben, ihr mögt an den ökonomischen Grundlagen ändern, soviel ihr wollt. Und wenn gar keine Arbeit mehr notwendig sein wird, wenn der Mensch in freier Willkür thun kann, was seinem Körper und seinem Geist frommt, und wenn er so bis auf einen einzigen Punkt ein Gott genannt werden dürfte, der Teil wird immer in ihm sein, der fragt: wozu das ganze und nochmals wozu? und der keine Antwort mehr findet, keine, ewig keine.

Bis auf eines, habe ich gesagt. Wenn das eine nicht wäre, dann wäre er ein Gott, ein vollkommener Gott, nämlich ein Wesen, dessen entsetzliches Elend vollkommen wäre. Müßte der Mensch ewig leben und ewig fragen, wozu – o der Gedanke ist nicht auszudenken, laßt mich schweigen und mich freuen, daß es nicht so ist. Ja, eines giebt es, dessen freue sich der Mensch und dem jauchze er zu, dem singe und juble und tanze er entgegen, in diese lachende Höhe[132] werfe er sich tief, tief hinein, und er wage es jetzt gleich sich zu stürzen in diesen herrlichen, strahlenden Abgrund des Glückes: das ist der Tod, jauchzet und empfangt ihn mit offenen Armen, meine seligen Freunde, das ist der Tod!

Ihr steht verblüfft, meine Freunde? Ihr habt alle schon ähnliches erwogen, aber nun ich es ausspreche ohne jeden Umschweif, nun sucht ihr Ausflüchte, nun wollt ihr auf einmal noch etwas finden, das das Leben lebenswert machen könnte? Suchet nur, ich sage euch, ihr werdet nichts finden.

Die Sozialisten sind Thoren. Sie leben ganz im Kampf für ihr Ziel und bedenken nicht, daß eine Zeit kommen könnte, wo ihr Ziel ganz und gar erreicht ist. Was dann? Nun, dann ist alles herrlich und in Freuden. Dann haben sie den Himmel auf Erden, wie sie uns oftmals versichert haben. Mir aber sagt das Wort Himmel sehr wenig, ich will euch eine andere Schilderung geben.

Denkt euch also, die sozialistische Gesellschaft ist da. Denkt euch, sie ist schon sehr lange Zeit da und schon gänzlich konsolidirt. Die Technik hat noch riesenhafte Fortschritte gemacht. Unangenehme Beschäftigungen[133] giebt es ganz und gar nicht mehr. Die Kinder werden körperlich und geistig aufs höchste ausgebildet, gegen einen fünfzehnjährigen Knaben aus jener Zeit, ist unser größtes Genie ein armes Waisenkind. 1½ Stunden täglich etwa geht jeder Erwachsene zur Arbeit, das ist für den Einzelnen eine Erholung und für die Gesamtheit genügt diese Zeit doch zur Produktion und Distribution aller Bedürfnisse, so hoch diese sich auch gesteigert haben. Die Technik hat sich eben in noch viel großartigerem Maße gesteigert. Die übrige Zeit vertreibt jeder mit dem, wozu er Neigung hat. Nun, meine Freunde, glaubt ihr nicht mit mir, daß wenn dieser anscheinend so herrliche Zustand sich immer mehr vervollkommnet und immer mehr zur Gewohnheit wird, daß dann die ganze Nation, was sage ich, die ganze Menschheit mehr und mehr in ihrer Masse sich einem hingeben wird, nämlich der Philosophie, daß sie, nun sie keine Nöte mehr zu bestehen hat und der Kampf mit dem Materiellen zum Spiel geworden ist, Zeit hat, den ganzen Tag zu denken, an sich zu denken, und zu fragen: wozu sind wir denn eigentlich da? Wozu dieser ganze ungeheure, wundervolle, komplizierte[134] Apparat? Sind wir Selbstwerk? Nein, unmöglich, sonst würden wir nicht danach fragen. Sind wir ein Glied im großen Ganzen der Welt? Ja, was geht uns denn die Welt an? Wir wissen ja gar nichts von der Freude, die sie an unserem Dasein hat, wir nehmen ja keinen Teil daran, wir sind ja ausgeschlossen. Und dann, das würden diese göttlichen Menschen immer und immer wieder fragen müssen: besteht denn eine Einheit und ein Zusammenhang der Menschheit? Giebt es denn in der wirklichen Erscheinungswelt eine Gesammtheit? O nein, würden sie antworten müssen, über solche zusammenfassende Abstraktionen sind wir ja längst hinaus, der einzelne Mensch ist freilich kein Konglomerat blos von einzelnen Zellen, er ist eine Einheit, er hat ein Bewußtsein, aber was ginge den einzelnen Menschen der andere im geringsten an, wenn er nicht auf ihn angewiesen wäre? Und vor allem, was gehen uns die an, die nach uns kommen? Und wenn also der ganze Witz aus ist mit meinem Tod, was war denn dann dran? War das denn alles? Und darum, darum die unendliche Mühe unserer Altvordern, der Sozialdemokraten von anno dazumal? Wegen der paar[135] Jahre Leben? Die Mühe hätten sie sich sparen können! Der ganze Spaß, das ganze Spiel, alle diese Spaziergänge, dieses Musikhören, Dichten, Instheatergehen, Reiten, Fahren, Schwimmen, dieses Träumen und Emporsehnen, dieses Kindermachen, Güterspiel (so etwa werden sie das Arbeiten nennen), dieses Erfinden und diese Reisen, das Fliegen nicht zu vergessen – das hat doch alles keinen Sinn? Es ist ja doch kein Bewußtsein da und keine Freude, die bleibt. Es schwindet ja doch alles. Wir sind ja ganz einfach Tiere, die aus der Art geschlagen sind, weil wir nicht blos leben, sondern auch das Leben beobachten und etwas vom Leben wissen, weil wir nicht blos sterben, sondern den Tod im voraus kennen und sterben können, wann wir wollen. Der Selbsttod (denn das Wort Mord würde längst vergessen worden sein), der freie Tod, der ist eigentlich, was uns wesentlich trennt von allen andern Tieren. Beendigen wir doch also so rasch als möglich diese lächerliche Komödie, die zu gar nichts führt, aber auch zu gar nichts. Töten wir uns doch; töten wir uns, aber rasch, so bald als möglich, gleich jetzt; der ewig wiederholte Unsinn ist ja so fürchterlich langweilig![136] Was sagt ihr dazu, meine Freunde? Müßte es nicht so kommen? – Was? Was höre ich? Dieser Einwand von euch? Ihr sagt mir, so könnte es nie kommen, ihr verleugnet den Sozialismus, ihr glaubt, es ginge anders, ihr wähnt, es gäbe irgend etwas anderes? O, das ist feige, sehr feige. Ich aber sage euch: der Sozialismus ist möglich, ohne Frage, und weiter sage ich euch: das ist eine hohe, sehr hohe Stufe des Menschen. Oder wollt ihr sagen, so wie der Mensch heute ist, sei er weniger veranlaßt, an den Tod zu denken, an den freiwilligen Tod? Ja, das ist möglich, das ist wahr. Aber ist dieser Zustand nicht noch viel ekelhafter? Und wenn er sich einmal tötet, nicht aus Philosophie oder Langeweile, was dasselbe besagt, sondern aus Notdurft, aus gemeiner Verzweiflung, ist das nicht ein niederträchtiger, unwürdiger Tod? Wenn aber der Sozialismus zu nichts führen kann, und wahrlich so ist es, als zum philosophischen Massentod der Menschheit, was haben wir anderes, größeres zu thun, als diesen Tod schon jetzt zu predigen mit tausend flammenden Zungen? –

Halt, meine Freunde, wohin? Und so wolltet ihr denn, wie ihr da seid, in die Welt stürzen, um den Tod zu predigen, als meine Jünger? Und ihr[137] merkt ihn nicht, den Widerspruch, der mich kitzelt, so daß ich fast lachen müßte? Ihr seid mir noch viel zu flink, meine jungen und alten Gefährten. Aber ihr seid nicht die ersten, die sich von der Logik verführen lassen zu allerhand ernsthaftem Unsinn. Wahrlich, ich bedaure, daß ich euch mit der Logik in den Schlingen meiner Inkonsequenz gefangen habe. Aber ich will euch jetzt verraten, was mich lachen macht. Wie kann man denn den Tod – predigen? Ist es nicht dasselbe, als wollte ich den Tod – leben? Ist es nicht wahr, daß man den Tod nur sterben kann, wortlos, mit geschlossenen Augen, ohne Rücktritt? Gehn euch doch andre Menschen nichts an, warum wollt ihr sie verführen, statt sie in Ruhe zu lassen? Sterbet doch, meine Freunde, aber sterbe jeder für sich. Seid doch stille und macht mir keinen Lärm! Habe ich nicht recht?

Seht, was ihr doch für alberne Kopfnicker seid! Ihr gebt mir schon wieder Recht. Fast sollte ich jetzt über euch weinen. Warum bleibt ihr denn neben mir stehen, wenn ihr das nicht erlebt habt, was ich? Wenn euer Wahnsinn ein ganz anderer, einfacherer ist als der meine? Sehet doch, ich bin zum Tod[138] noch gar nicht bereit, noch lange nicht. Ich habe noch meine Freude, nämlich eben meine Freude am Tod. Und darum rede ich meine Rede zum ganzen Menschengeschlecht, wer immer mich hören will oder mich zufällig hört, und zu spät sich anschickt, seine Ohren sich zuzuhalten. Ich habe meinen Spaß an den Menschen, die den Tod und die Todessehnsucht noch nicht kennen, es macht mir Freude, übermenschliche Freude, die Menschenmasse auszulachen und zu verhöhnen und dennoch zu ködern. Ich lebe noch, weil es mir Genuß bereitet, mit meinem Schmerze zu spielen und meinen Ekel in die Länge zu ziehen gleich einem zähen Teige. Ich liebe den Tod und darum lebe ich. Und außerdem bin ich ein abergläubischer Mensch, warum nicht? Es fröstelt mich, wenn ich daran denke, allein zu sterben. Es ekelt mir vor dem Gedanken, was die Menschen für dummes Zeug vermuten könnten, wenn ich einmal allein sterbe, wenn sie mich einen Selbstmörder nennten, die Unsinnigen. Ich liebe den großen Tod, ich will Gefährten und darum predige ich den Tod, weil das meinem Leben noch Reiz verleiht bis zum Ende. Aber ich werde sterben, meine Freunde, verlaßt euch darauf, ich werde[139] sterben. Und das ist die einzige Zukunft, die ich noch anerkenne, und diese Zukunft, ja die soll zusammenfallen mit meinem Willen. Ich werde sterben, das heißt, ich will sterben, und nicht mehr: ich soll sterben. Verhaßt und gemein ist mir der Tod auf dem Strohsack, der schleichende Tod wider Willen. Diesem Tod habe ich abgesagt, ihn lache ich aus mit all meinem Gelächter, niemals werde ich diesen Tod des Ungeziefers sterben. Stimmet ein mit mir, stimmet hell ein, meine Freunde, in den Ruf: Es lebe der Tod!

Erschreckt nicht über meine entsetzliche Ehrlichkeit. Oder erschrecket ja. Denn ich bin nicht ehrlich um der Ehrlichkeit willen, und Wahrheit ist mir lange nicht mehr ein großes führendes Wort; ich bin es nur, weil es mir Vergnügen macht, in tausend Farben zu spielen und mich euch von allen meinen Seiten zu zeigen. Ich durchschaue mich selber und lache mich aus, wenn ich meine hintere Seite sehe und ich freue mich, daß ihr mein Vorderteil ernsthaft nehmt, obwohl ihr die Kehrseite meines Herzens geschaut habt.

[140]

Und überdies: ich kann Bocksprünge machen, so viel ich nur mag, wer mich versteht, der weiß, was ich meine mit dieser Schrift. Ich sage mich los vom Sozialismus, weil ich schwere vierschrötige Menschen nicht mag und weil ich das Leben nicht mehr ernsthaft nehmen kann. Und diejenigen, die mich fassen und mich gern haben, denen predige ich den Tod, und ich bitte sie bei all ihrer Liebe, mit mir zu sterben und also noch ein wenig zu warten, bis wir alle beisammen sind.

Die aber noch ächzen unter den Nöten des Lebens, den Sklaven der Arbeit, denen rate ich, sofern sie mich hören wollen: Verzaget nicht, aber hoffet auch nicht, sondern machet euch frei! Schmeißt den Bettel weg, nicht aus Verzweiflung, sondern aus Einsicht, daß das Leben ein sinnloses Ding ist. Und dann schließet euch mir an und meiner Schar des Todes.

Wer aber ungeduldig ist und nicht mehr warten will, der stirbt zwar nicht den schönen Tod, wie ich Narr ihn vorbereite, aber ich wünsche ihm doch: Gute Reise – und unbewußte Verwesung!

[141]

Euch andern aber sage ich: Auf Wiedersehen – beim großen Sterben. Ich harre nun eures Echos und dann will ich wieder reden.

Dem Sozialismus aber wünsche ich – ein langes Leben, ein schönes Greisenalter und den Tod auf der Matratze.

Karl Starkblom.

[142]

Share on Twitter Share on Facebook