12. Die Unvollkommenheit des Stoffwechsels.

Der Mechanismus des natürlichen Todes ist uns klar geworden: eine allmählich zunehmende Atrophie der Zellen im Zellenstaat, bedingt durch eine Anhäufung von Stoffwechselprodukten, die nicht rasch genug aus den Zellen herausgeschafft werden und die den Stoffwechsel der Zellen stören, bis schließlich bestimmte Zellen im Zellenstaat, an deren Mittun der normale Ablauf des Lebens aller Zellen im Zellverband gebunden ist, im Dienst versagen. Und es beginnt ein großes und schnelles Sterben der Zellen des Zellverbandes.

Das die Antwort auf die große Frage: warum wir sterben …

Es ist eine große Unvollkommenheit darin gegeben, daß die Zellen, die im Zellverband zusammenleben, nicht sorgfältig genug ihre Stoffwechselprodukte nach außen abgeben können. Und wegen dieser Unvollkommenheit ihres Stoffwechsels müssen die vielzelligen Tiere sterben. Das Zusammenleben der Zellen im tierischen Zellenstaat hätte vollkommener eingerichtet sein können, und die vielzelligen Tiere brauchten dann vielleicht nicht zu sterben. Behauptet man doch von manchen Baumpflanzen, sie seien unsterblich. Jedenfalls kennt man Bäume, die viele Jahrtausende alt geworden sind. Vielleicht hätte eine bessere Ausgestaltung des Blutkreislaufes und der Atmung, die ein sorgfältigeres Herausschaffen der Schlacken aus den Zellen des Zellverbandes ermöglichte, uns unsterblich gemacht. Was wir über die Unsterblichkeit des Pantoffeltierchens erfahren haben, legt uns diesen Satz in den Mund.

Und da höre ich schon ein wehmütig Klagen: warum wir nicht die Unsterblichkeit haben, die einem winzigen Pantoffeltierchen gegeben ist! Man fühlt sich benachteiligt gegenüber einem Pantoffeltierchen.

Nun ist ja alles Wehklagen gegenüber dem natürlichen Geschehen ein Unding. Nur weil wir in Verblendung uns mit all unsern kleinen Wünschen und kleinen Schmerzen in den Mittelpunkt der großen unendlichen Welt gesetzt haben, glauben wir berechtigt zu sein, über das natürliche Geschehen zu klagen, es gewissermaßen zur Verantwortung zu ziehen vor Zwecken, die wir selber setzen. Aber auch wenn wir uns auf den Standpunkt stellen wollten – die Geschmäcke sind ja sehr verschieden –, daß es uns Menschen zusteht, unser Gutachten über die Einrichtungen der Natur abzugeben, auch dann hätten wir keinen Anlaß darüber zu klagen, wir wären gegenüber den Einzelligen im Nachteil, indem wir aus Unvollkommenheit unseres Stoffwechsels alt werden und sterben müssen. Halten wir uns vor, was die Unsterblichkeit der Einzelligen für das Einzelwesen, für jedes einzelne Pantoffeltierchen bedeutet. Die Mutterzelle teilt sich in zwei Tochterzellen. Die Mutterzelle geht in den zwei Tochterzellen ganz auf, das individuelle Dasein der Mutterzelle hört auf. Aber es hört auf ohne Leichenbildung – in diesem Sinne nur sind die Einzelligen unsterblich. Und die sterblichen, vielzelligen Tiere, wie ist es um sie bestellt, wenn die Eltern Nachkommen das Leben schenken? Der mütterliche und der väterliche Zellenstaat geben bei der Fortpflanzung nur einen kleinen Bruchteil von ihrem Körper her. Sie gehen nicht ganz in ihren Nachkommen auf und sie überleben als Individuen die Geburt ihrer Nachkommen. Also sind die vielzelligen Organismen gegenüber den Einzelligen nicht im Nachteil, sondern im Vorteil: die vielzelligen Organismen haben vor den Einzelligen das voraus, daß bei ihnen die Geburt der Nachkommen nicht das Aufhören der individuellen Existenz des elterlichen Organismus bedeutet. Gewiß, es ist eine Unvollkommenheit darin gegeben, daß dieses Überleben ein endliches ist, daß die Eltern nicht unendlich lange leben. Aber es ist anderseits doch ein großes Geschenk der Natur, daß der elterliche Organismus befähigt wird, die Geburt der Nachkommen zu überleben …

Die Erkenntnis, daß wir den unsterblichen Einzelligen doch in einem voraus sind, in der Möglichkeit, die Geburt der Nachkommen zu überleben und damit die junge Brut zu pflegen, muß es uns leichter machen, die Unvollkommenheit unseres Stoffwechsels zu tragen, die uns den Tod bringt.

Aber doch: bedauerlich ist's, daß man nicht unendlich lange leben kann. Wer von uns hätte nicht manchmal den Einfall gehabt, es wäre doch halt so schön, viel hundert Jahre zu leben – aus Neugierde bloß, was da auf Erden noch alles kommen werde und wie Menschen und Dinge mit allem drum und dran so nach fünfhundert Jahren ausschauen dürften. Was nicht alles in diesen langen Jahren noch kommen mag: es gibt vielleicht keinen Türkenkönig mehr, ein Pipin regiert vielleicht wieder über die Franken, und man schießt nicht mehr mit Schießpulver, sondern pustet auf den Feind einfach giftige Gase aus, die ein Chemiker – was kann nicht alles ein Chemiker! – erfunden hat. Wär's da nicht eine Lust, noch einige hundert Jahre zu leben?

Nun haben die Menschen in der Wissenschaft schon so viel erreicht, daß mancher wohl auf den Gedanken kommen möchte, man müßte doch schließlich ein Mittel finden, das wieder gut zu machen, was Mutter Natur an uns so schlecht, so unvollkommen eingerichtet. Man müßte doch ein Lebenselixier finden können, das auf die Zellen unseres Körpers so wirkte, daß sie wieder jugendfrisch und verjüngt daständen. Im Grunde genommen ist ein solcher Anspruch an die Wissenschaft wohl berechtigt – wenn es auch schon sehr schwer fallen dürfte, dieses Mittel zu finden. Metschnikoffs saure Milch – und auch die nach bulgarischer Art – ist es jedenfalls nicht. Die saure Milch soll ja auch nach Metschnikoff nur das wieder gut machen, was die Darmbakterien in unserem Körper verderben. Die Unvollkommenheit des Stoffwechsels, die auf dem schlecht eingerichteten Zusammenleben der Zellen im Zellenstaat beruht, bleibt dabei bestehen und wir müssen doch sterben.

Einstweilen also haben wir das Lebenselixier noch nicht und wir sind in böser Klemme. Den letzten Türkenkönig erleben wir nicht.

In der Not ist guter Rat teuer. Und den will ich geben – sogar umsonst.

Die wenigsten Menschen sterben heute aus Altersschwäche, weil tausend Schädlichkeiten auf den Menschen einwirken. Die Menschen gehen heute zu früh ins Grab, weil sie in schlechten Wohnungen hausen, schlecht essen und abgehärmte Arbeitssklaven sind. Das sind schon Dinge von viel greifbarerer Natur als die Darmbakterien und die Unvollkommenheiten des Stoffwechsel. Da gehet hin und greifet zu. Das ist mein guter Rat – kurz gesagt, aber lang getan.

Folgte man aber diesem guten Rat: man lebte dahin seine siebenzig, achtzig und hundert Jahr, heitern Gemütes, auf ein arbeitsfrohes Leben zurückschauend, an den Jungen sich erfreuend, die man ins heitere Leben geführt, und die Zeit wäre dann da, wo die Menschen wohl erlernten, die schönsten Feste zu weihen, wo ihnen wäre der Tod ein Fest.

Dekoration

Fußnoten

[1] Bazillen und Bakterien gebrauchen wir in unserer Darstellung in ein und derselben Bedeutung.

[2] Vgl. Kapitel 4.

[3] Vgl. S. 26.

[4] Vgl. Seite 53.

[5] Eine „physiologische Kochsalzlösung“ nennt man eine Lösung, die 7 Gramm Kochsalz auf einen Liter destillierten Wassers enthält. In einer solchen Salzlösung erhalten sich lebendige Zellen einige Zeit recht frisch, die Salzlösung ersetzt bis zu einem gewissen Grade (siehe im Text) das Blut.

Abbildungen

1. Schema des Verdauungsrohres 2. Pantoffeltierchen 3. Versuchsanordnung 4. Orbitolites
5. Die abgeschnittene Protoplasmamasse hat sich zusammengeballt 6. Die abgeschnittene Protoplasmamasse streckt Scheinfüßchen aus 7. Die ausgestreckten Scheinfüßchen werden klumpig 8. Die ausgestreckten Scheinfüßchen sind zerfallen
9. Amöbe in Teilung 10. Pantoffeltierchen in Teilung 11. Senkrechter Schnitt durch die Haut 12. Schnitt durch die Haut, vergrößert
13. Krümmung der Wirbelsäule im Alter 14. Unterkiefer eines erwachsenen Menschen 15. Unterkiefer eines alten Menschen 16. Schädeldach eines alten Menschen
17. Horizontalschnitte durch Nierenkanälchen aus der Niere eines alten Menschen 18. Konturen von Infusorien verschiedener Generationen 19. Kopulation von Pantoffeltierchen 20. Beginnende Depression
21. Weiter fortgeschrittenes Stadium der Depression 22. Dasselbe Tier, einen Tag später 23. Nervenzellen aus dem Rückenmark eines 3jährigen Knaben 24. Nervenzellen eines 16jährigen Mannes
25. Nervenzellen einer 19jährigen Frau 26. Nervenzelle aus dem Rückenmark einer 80jährigen Frau 27. Nervenzelle einer 80jährigen Frau, schematisiert 28. Nervenzelle einer zweijährigen Kuh
29. Nervenzelle einer zweijährigen Maus 30. Nervenzelle eines jungen Meerschweinchens 31. Nervenzelle eines 2 1/2 Jahre alten Meerschweinchens 32. Nervenzelle eines 12jährigen Papageis
33. Nervenzelle eines alten Papageis 34. Rückenmark, aus dem Wirbelkanal herauspräpariert 35. Schwärmsporenbildung bei der Braunalge Cladostephus verticillatus 36. Verschmelzung von Schwärmsporen bei der Braunalge Ectocarpus siliculosus

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Die Gesellschaft Kosmos will die Kenntnis der Naturwissenschaften und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes verbreiten. – Dieses Ziel glaubt die Gesellschaft durch Verbreitung guter naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen mittels des

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ferner durch Herausgabe neuer, von ersten Autoren verfaßter, im guten Sinne gemeinverständlicher Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. Es erscheinen im Vereinsjahr 1914 (Änderungen vorbehalten):

W. Boelsche, Wanderung der Tiere in der Urwelt. Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W. Dr. Kurt Floericke, Ausländische Fische. Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W. Dr. Alexander Lipschütz, Warum wir sterben. Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W. Arno Marx, Hochzucht. Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W. Oskar Nagel, Romantik der Chemie. Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W.

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§ 5. Siehe vorige Seite.

§ 6. Die Geschäftsstelle befindet sich bei der Franckh'schen Verlagshandlung, Stuttgart, Pfizerstraße 5. Alle Zuschriften, Sendungen und Zahlungen (vgl. § 5) sind, soweit sie nicht durch eine Buchhandlung Erledigung finden konnten, dahin zu richten.

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Anmerkung zur Transkription:
Das Verzeichnis der Abbildungen wurde zusätzlich eingefügt.

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