Eines Nachmittags, als ich etwa achtzehn Jahre alt war und an der Schwelle der hohen Schulklassen stand, belauschte ich ein kurzes Zwiegespräch zwischen meinen Eltern, die im Wohnzimmer an dem runden Sofatisch beisammensassen und nicht wussten, dass ich im anliegenden Speisezimmer thatenlos im Fenster lag und über den Giebelhäusern den blassen Himmel betrachtete. Als ich meinen Namen verstand, trat ich leise an die weisse Flügelthür, die halb offen stand.
Mein Vater sass in seinen Sessel zurückgelehnt, ein Bein über das andere geschlagen, und hielt mit der einen Hand das Börsenblatt auf den Knieen, während er auf der anderen langsam zwischen den Cotelettes sein Kinn streichelte. Meine Mutter sass auf dem Sofa und hatte ihr stilles Gesicht über eine Stickerei geneigt. Die Lampe stand zwischen beiden.
Mein Vater sagte: – »Ich bin der Meinung, dass wir ihn demnächst aus der Schule entfernen und in ein gross angelegtes Geschäft in die Lehre thun.«
– »Oh,« sagte meine Mutter ganz betrübt und blickte auf. »Ein so begabtes Kind!«
Mein Vater schwieg einen Augenblick, während er mit Sorgfalt eine Staubfaser von seinem Rocke blies. Dann hob er die Achseln empor, breitete die Arme aus, indem er meiner Mutter beide Handflächen entgegenhielt und sagte:
– »Wenn Du annimmst, meine Liebe, dass zu der Thätigkeit eines Kaufmanns keinerlei Begabung gehört, so ist diese Auffassung eine irrige. Andererseits bringt es der Junge, wie ich zu meinem Leidwesen mehr und mehr erkennen muss, auf der Schule schlechterdings zu nichts. Seine Begabung, von der Du sprichst, ist eine Art von Bajazzobegabung, wobei ich mich beeile, hinzuzufügen, dass ich dergleichen durchaus nicht unterschätze. Er kann liebenswürdig sein, wenn er Lust hat, er versteht es, mit den Leuten umzugehen, sie zu amüsieren, ihnen zu schmeicheln, er hat das Bedürfnis, ihnen zu gefallen und Erfolge zu erzielen; mit derartiger Veranlagung hat bereits mancher sein Glück gemacht, und mit ihr ist er angesichts seiner sonstigen Indifferenz zum Handelsmann grösseren Stils relativ geeignet.«
Hier lehnte mein Vater sich befriedigt zurück, nahm eine Cigarette aus dem Etui und setzte sie langsam in Brand.
– »Du hast sicherlich recht,« sagte meine Mutter und blickte wehmütig im Zimmer umher. – »Ich habe nur oftmals geglaubt und gewissermassen gehofft, es könne einmal ein Künstler aus ihm werden ... Es ist wahr, auf sein musikalisches Talent, das unausgebildet geblieben ist, darf wohl kein Gewicht gelegt werden; aber hast Du bemerkt, dass er sich neuerdings, seitdem er die kleine Kunstausstellung besuchte, ein wenig mit Zeichnen beschäftigt? Es ist gar nicht schlecht, dünkt mich ...«
Mein Vater blies den Rauch von sich, setzte sich im Sessel zurecht und sagte kurz:
– »Das alles ist Clownerie und Blague. Im übrigen kann man, wie billig, ihn selbst ja nach seinen Wünschen fragen.«
Nun, was sollte wohl ich für Wünsche haben? Die Aussicht auf Veränderung meines äusseren Lebens wirkte durchaus erheiternd auf mich, ich erklärte mich ernsten Angesichtes bereit, die Schule zu verlassen, um Kaufmann zu werden, und trat in das grosse Holzgeschäft des Herrn Schlievogt, unten am Fluss, als Lehrling ein.