II.

Es gibt nicht leicht ein angenehmeres Gefühl, als wenn ein phantasiebegabter Mensch nach gesundem Schlaf in einem Zimmer erwacht, das dem überraschten Auge fremd erscheint und auf das er sich erst wieder besinnen muß. Sagt er sich dann auch, wo er ist, so wirkt der Zauber der Neuheit doch fort, und ein poetischer Dämmer webt vor seinen Blicken. Das ist recht die Zeit der wachen Träume, der beglückenden Vorstellungen, die dem hoffenden Gemüth in der wachsenden Morgenhelle wundersam, ungleich muthiger und frischer gelingen, als Abends zuvor.

Heinrich machte davon die lieblichste Erfahrung. Der Tag ließ sich so heiter an wie der gestrige. Ein goldener Reflex der Wetterfahne, die er von seinem Bett aus erblickte, verkündigte dem Liegenden die aufgegangene Sonne, und nun ließ es ihn doch nicht länger ruhen. Denn nicht zum Phantasiren und Träumen, sondern vielmehr zum klaren Ueberlegen und Handeln war er in die Residenz gekommen.

Er erhob sich, kleidete sich an und bestellte das Frühstück. Im Sopha zurückgelehnt überdachte er die Aufgaben des Tages. Er hatte ein Empfehlungsschreiben von einem Universitätsfreund an einen Schriftsteller, ein zweites von einem älteren Schauspieler, den er in der letzteren Zeit kennen gelernt, an eine junge Kunstgenossin, Mitglied der hiesigen Hofbühne, und eine Karte von einem Schulrektor der Handelsstadt an einen Gymnasialprofessor und namhaften Gelehrten. Sein Beschluß war, die Gänge gleich den Vormittag zu machen. Er wollte zuerst den Schriftsteller, dann den Professor und zu guter Letzt die Künstlerin aufsuchen.

Nach gemüthlichem Schlendern und Betrachten der Hauptstraßen und Plätze, wobei er sich am längsten vor dem Kunsttempel aufhielt, in dessen Innern die für ihn so wichtige Entscheidung fallen sollte, begab er sich in die Wohnung des Autors, der sich besonders in den Fächern der Erzählung und der Kritik bekannt gemacht hatte.

Er fand einen untersetzten, wohlgenährten, ruhig blickenden Mann von mittlerem Alter. Betroffen sah er ihn an; denn nach dem Feuer und der blühenden Sprache einer seiner Novellen hatte er sich ihn ganz anders vorgestellt. Dr. Willmann — so hieß der Schriftsteller — nahm das Empfehlungsschreiben, las es, warf auf den Empfohlenen einen prüfenden Blick und sagte dann: „Sie sind, wie ich aus dem Brief abnehme, Literat?“ — Man kennt den Begriff, den Heinrich von sich selbst erlangt hatte. Er trachtete nach der Wirksamkeit eines Dichters im hohen Styl, konnte sich eine ehrenvollere und segensreichere nicht denken, und wollte darum als Dichter auch gelten. Nun war aber für die Männer der Feder die Bezeichnung „Literat“ im Gebrauch, allgemein genug, um die besten und die schlechtesten in sich zu begreifen, und darum den Behörden und dem Publikum sehr handlich, dagegen für den Ehrgeizigen und Hochstrebenden, der so den schlimmsten seiner Metiergenossen gleichgestellt wurde, sehr übel anzuhören. An sich ein Ehrentitel, hatte der Name durch allzuweite Ausdehnung auf Solche, die sich mit literis fast nur im materiellsten Sinne zu thun machten, eine Zweideutigkeit erlangt, daß er auf gewisse Nerven geradezu peinlich wirkte; und zu diesen gehörten die Heinrichs. Das konnte jetzt freilich nichts helfen; nach einer augenblicklichen unangenehmen Empfindung und momentanem Zucken fühlte er, daß er in den sauern Apfel beißen müsse, und sagte dann, ohne indeß ein gewisses vornehmes Lächeln unterdrücken zu können: „Wenn Sie wollen, ja. Die Aufgabe meines Lebens ist aber die Poesie, und ich hoffe mit der Zeit das Prädikat eines Dichters verdienen zu können!“

Der Erfahrene lächelte. „Um so besser,“ erwiederte er. „Sie haben bis jetzt noch nichts Größeres veröffentlicht?“ — „Noch nicht. Allein ich will hier —“ — „Ein Stück aufführen lassen — das steht im Brief. Ist es ein Schauspiel? — ein Lustspiel?“

Heinrich schüttelte den Kopf, als ob er sagen wollte: „Bah!“ — „Eine historisch-romantische Tragödie“ erwiederte er. — „Ah!“ rief der Andere; und heiter setzte er hinzu: „In Versen?“ — „Das meiste: einzelne Scenen in Prosa.“ — „Wo Volk spricht — shakespearisch! — Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.“

Heinrich setzte sich und theilte dem neuen Bekannten auf dessen Befragen Gegenstand und Verlauf des Stücks im Allgemeinen mit. Willmann horchte — bald mit Interesse. Wenn auch bei gewissen Versicherungen des Poeten, wie er dieß und jenes ausgeführt zu haben glaube, ein Schein von ironischer Beistimmung in dem runden Gesicht aufging, so verfehlte doch die ehrlich überzeugte, nach und nach begeisterte Art der Darstellung nicht, einen gewissen Eindruck auf ihn zu machen. Er fühlte, daß der junge Mann Talent habe — guten Willen obendrein — und im Grund verdiene, damit auf den rechten Weg gewiesen zu werden.

„Sehr interessant!“ rief er, nachdem Heinrich das Referat geschlossen; „und wenn das Alles gut und schön motivirt ist — darauf kommt freilich Alles an — dann kann’s auf der Bühne schon eine Wirkung machen. Indessen, mein lieber Herr Doctor, Trauerspiele sind eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Man will heutzutag erheitert, unterhalten seyn und wohlthuende Eindrücke empfangen, und man liebt daher vor allem den sogenannten guten Ausgang.“ — „Mag seyn,“ versetzte der Poet nach einem unwillkürlichen Mundverziehen. „Aber zur Abwechslung wird doch wohl auch eine Tragödie, wenn sie wirklich poetisch ist —“ — „Ihr Publikum finden?“ ergänzte der Andere; „allerdings; aber ein kleines und minder treues,“ fügte er lächelnd hinzu. „Sicherer werden Sie immer gehen, wenn Sie das Lustspiel und Schauspiel cultiviren und darin hauptsächlich moderne Gegenstände behandeln.“

„Am sichersten,“ versetzte Heinrich mit selbstgewissem Lächeln, „geht der Dichter, wenn er seinem Genius folgt. Das hab’ ich bei diesem Stücke gethan, und ich hoffe, es wird sich rechtfertigen.“ — „A la bonne heure,“ erwiederte der Doctor erheitert. „Wenn das ist, dann haben Sie freilich gewonnen und können Ihren Weg gehen nach Belieben. Der Erfolg entscheidet. Indessen,“ fuhr er nach momentanem Schweigen fort, „wie sehr er durch die Güte der Arbeit verbürgt seyn mag, der Erfolg auf der Bühne muß doch auch sonst noch vorbereitet werden. — Haben Sie das Stück schon eingereicht?“ — „Noch nicht. Ich möchte vorher noch eine Copie — der Sicherheit wegen —“ — „Ich begreife. Nun, wenn es die Intendanz hat, rathe ich Ihnen, die Herren Regisseure zu besuchen. Es sind meine Freunde, und Sie können sich bei jedem auf mich berufen.“ — „Sehr dankbar.“ — „Und dann — unnütz wär’s nicht, wenn Sie auch die persönliche Bekanntschaft der hiesigen Theaterkritiker bald zu machen suchten. Es ist immer besser, sich ihnen empfohlen zu haben.“

Hier sah ihn der Dramatiker zweifelnd an und sagte nach einigem Zögern: „Herr Doctor, wenn ich offen reden soll, das widersteht mir einigermaßen, und ich meine, ich kann’s überhaupt unterlassen. Macht mein Stück die Wirkung, die ich hoffe, dann werden die Kritiker schon gezwungen seyn —“ — „Es zu loben, meinen Sie? Da sind Sie doch wohl im Irrthum. Kritiker lassen sich zu nichts zwingen, am wenigsten zur Anerkennung. Ihr Urtheil steht mit dem des Publikums oft im direktesten Widerspruch.“ — „Womit sie sich dann aber nur selber schaden!“ versetzte der Poet mit Nachdruck.

Doctor Willmann zuckte die Achseln und schwieg. Nach einer Pause erhoben sich beide und jener sagte: „Mein lieber Herr College, Sie sind mir von einem guten Freunde empfohlen und ich glaubte Sie darum auf Alles aufmerksam machen zu müssen, was Ihnen nützlich seyn kann. Was Sie thun wollen, ist natürlich ganz Ihre Sache. Sollte ich Ihnen aber künftig in etwas dienen können, so bitte ich Sie, wenden Sie sich an mich. Unter allen Umständen ist es mir sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.“

Heinrich verließ den Schriftsteller mit gemischter Empfindung. Eine gewisse Höflichkeit in den Formen konnte er ihm nicht absprechen; indessen von einer höheren Gesinnung hatte er nicht sehr viel wahrgenommen und das gelegentliche sarkastische Lächeln, das ihm nicht entgangen war, konnte ihm nicht gefallen. „Ein Freund,“ sagte er sich, „wird das nicht werden, das ist klar. Allein dienstfertig scheint er doch zu seyn, und am Ende muß man jeden nehmen, wie er ist.“

Nach kurzem Luftschöpfen begab er sich zum Professor. Durch ein Dienstmädchen, dem er die Empfehlungskarte übergeben hatte, angemeldet, wurde er in der Wohnstube von der Frau empfangen, die ihm sagte, ihr Mann arbeite noch, werde aber bald fertig seyn und freue sich, den Herrn Doctor kennen zu lernen. Sie fragte ihn nach der Familie des Schulrektors, die sie kannte, ließ sich von ihm über seine Herfahrt und die ersten Eindrücke der Residenz berichten und schaute ihn bald mit offenem Wohlwollen an. Ein etwa siebzehnjähriges hageres und ziemlich bleichsüchtiges Mädchen trat von einem Seitenzimmer ein und wurde von der Frau als ihre älteste Tochter vorgestellt. Da sie mit der behaglich aussehenden Dame fast gar keine Aehnlichkeit hatte, so glaubte Heinrich von ihr einen Schluß auf den Vater ziehen zu können. Auch sie thaute bald auf und warf auf den stattlichen jungen Gelehrten, wofür sie ihn hielt, nach einer Weile, da er sich zur Mutter gewendet, verstohlenerweise einen sehr beifälligen Blick. Endlich wurden in dem entgegengesetzten Seitenzimmer Schritte hörbar, die Thüre ging auf und eine lange, hagere Figur mit gelblich braunem Gesicht rief: „Herr Doctor, darf ich bitten?“

Heinrich verfügte sich in das Studirzimmer, stellte sich vor und betrachtete die Züge, die er schon einigermaßen errathen hatte, während der ersten Begrüßungsreden mit Interesse. Professor Sartorius war Lehrer der obersten Gymnasialklasse und ein so leidenschaftlicher Pfleger der classischen Philologie, daß es ihn schwer ankam, diejenigen, die in der Sphäre derselben nicht heimisch waren, ernstlich zu schätzen. Er hatte sich durch zwei scharfsinnige Werke voll kühner Hypothesen einen Namen und Gegner gemacht, und dieß erfüllte ihn mit einem galligen Stolz, der für gewöhnlich mit richterlicher Strenge gepaart aus seinem raubvogelähnlichen Gesicht hervorsah. Freundlichkeit war ihm eine schwierige Sache; er mußte dazu ein gewichtiges Motiv haben oder einen besondern Anlauf nehmen. Dießmal war sie aber doch, nach Möglichkeit, vorhanden, und die eigenthümlichen Züge, welche lächelten, erschienen unserem jungen Mann sehr charakteristisch.

Die Antworten, die ihm Heinrich auf seine ersten Fragen gab, mußten ihm gefallen, denn er sah diesen mit dem humansten Blick an, dessen er fähig war, und sagte: „Ich irre mich wohl nicht, Sie wollen sich gleichfalls dem Lehrfach widmen?“ — Heinrich sah ihn überrascht an. — „Sind Sie nicht Philolog?“ fuhr jener fort. — „Nein,“ versetzte Heinrich. „Ich habe —“ — „Ah so,“ fiel der Professor ein; „ein anderes Fach. Nun, und was für eines? — Geschichte — Mathematik — Naturwissenschaft — Philosophie?“

Bei diesen schwerwiegenden Namen schüttelte unser Poet den Kopf, erwiederte aber, mit ahnender Seele, zögernd: „Ich habe — ich bin — Dichter.“ — „Dichter!“ wiederholte der Gelehrte, indem er ihn mit einer Betroffenheit ansah, die einem ruhigen Beobachter komisch erschienen wäre. „Dichter! — Und sonst nichts?“

Durch diese Frage, die dem Gelehrten unwillkürlich aus dem Munde kam, fühlte sich nun aber begreiflicherweise der Poet verletzt. „Ich meine, das wäre genug,“ entgegnete er mit einer gewissen Schärfe. „Wenn man’s recht ist —“ — „Allerdings,“ versetzte der Professor mit einem Ausdruck, der bezeugte, daß er den jungen Mann bereits völlig aufgegeben habe. Dieser sah, wie er mit dem Herrn daran war, und sann auf eine Form, hinwegzukommen. Aber der Schulmann sammelte sich wieder, da er bedachte, ein von seinem Collegen ihm Empfohlener müsse doch irgend eine Bedeutung haben; und indem er seinem Gesicht mit Anstrengung einen gewissen Schein von Höflichkeit zu geben suchte, fuhr er fort: „Ohne Zweifel haben Sie schon dichterische Werke der Oeffentlichkeit übergeben? Ich bin in der neuesten deutschen Literatur nicht sehr bewandert, wie ich Ihnen bekennen muß. Berufsgeschäfte und Fachstudien —“

„O,“ versetzte Heinrich, „wenn Sie die neuesten Werke auch alle angesehen hätten, von mir würden Sie doch keines darunter getroffen haben; denn ich habe bis jetzt noch keines herausgegeben.“ — „So?“ erwiederte der Professor, dem sein College nun ganz unbegreiflich wurde. — „Ich habe aber,“ fuhr Heinrich trotz allem wieder mit einem gewissen Bewußtseyn fort, „ein größeres Werk vollendet, eine historisch-romantische Tragödie, die ich bei dem hiesigen Hoftheater einreichen will.“

Der Professor nickte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck. Heinrich, in seiner Zuversicht, fügte hinzu: „Wenn es gegeben wird und Sie der Aufführung beiwohnen —“ — Nun war aber die Geduld des Mannes zu Ende. Mit offenster Geringschätzung und gereizt scharfem Ton erwiederte er: „Ich gehe nie in’s Theater! — Finde keine Zeit dazu, Herr Doctor,“ setzte er etwas milder hinzu, indem er den gelehrten Titel ironisch accentuirte, „und muß also schon bedauern —“

Heinrich begriff die vollkommene Zwecklosigkeit weitern Hierseyns, „glaubte also die kostbare Zeit des Herrn Professors nicht länger in Anspruch nehmen zu dürfen,“ und empfahl sich mit dem ernsten Stolz eines Verletzten. Die Miene des Gelehrten, der sich einer Last überhoben sah, erhellte sich wieder einigermaßen; er trug dem Abgehenden seltsam lächelnd einen Gruß an den Schulrektor auf, geleitete ihn und zeigte ihm die Gangthüre, indem er sagte: „Wenn ich Ihnen sonst in etwas dienen kann —“ — Heinrich, seinerseits ironisch, verbeugte sich tief und entfernte sich.

Dem Rückkehrenden trat die Frau neugierig entgegen. „Nun,“ rief sie, „wie hat dir der junge Mann gefallen? Ist er wirklich —?“ — „Ein Literat!“ fiel der Gatte ein, indem er seiner Verachtung freien Lauf ließ; „ein Mensch, der noch nicht einmal Literat ist! Ich begreife nicht, wie mir der alte Krug so einen Gesellen in’s Haus schicken konnte. Es sieht beinahe aus, als ob er mich damit ärgern wollte. Nun,“ setzte er mit einem selbstzufriedenen grimmigen Lächeln hinzu, „er wird so bald nicht wiederkommen.“ — Die Frau stand überrascht, ja betrübt, und sagte endlich mit Bedauern: „Schade!“

Heinrich ging mit sehr ernstem Gesicht auf der Straße weiter. „Ein fataler Mensch!“ sagte er sich endlich, „und kein gutes Omen! Dieser Pedant, der seine Weisheit aus Büchern gezogen hat, glaubt ein großer Geist zu seyn, brüstet sich mit Verachtung der Kunst, und weiß nicht, daß er vor Gott und Menschen eine widerliche Figur ist. Ah, bah!“

Entschlossen zog er den Hut auf die Stirn, lächelte über sich selbst und schritt mit erneutem Muthe weiter. Körperlich fühlte er sich aber ziemlich ermattet und folgte daher der Einladung eines Schildes, der ihm eine Auffrischung versprach. Er ließ einen guten Jahrgang kommen, trank mit Bedacht und konnte nicht umhin, dankbar auf das Gewächs zu sehen, das es so gut mit ihm meinte und so poetisch duftete, während ihm die Menschen prosaisch erschienen oder gar ernstlich unangenehm wurden.

Der Wein versetzte ihn trotz allem bald in die Stimmung, seinen dritten und wichtigsten Gang zu unternehmen; und ein gewisses Gefühl sagte ihm, daß er damit besser fahren werde. Eine Schauspielerin konnte einen Dichter, der ihr Rollen zu schreiben verhieß, unmöglich anders als liebenswürdig empfangen; und sein Freund, der alte Schauspieler, hatte ihm die Betreffende zwar etwas zum Necken geneigt, sonst aber als durchaus verständig, edeldenkend und gutartig geschildert. Er machte sich auf den Weg und stand bald im zweiten Stock eines hübschen Hauses vor der gesuchten Thüre. Auf sein kräftiges Klingeln erschien eine alte Magd; er übergab ihr das Schreiben, nannte seinen Namen und wurde von der Wiederkehrenden in einen kleinen Salon geleitet: Fräulein Rosa werde sogleich erscheinen.

Heinrich, allein gelassen, schaute umher und mußte sich sagen, daß er nicht leicht ein reizender eingerichtetes Zimmer gesehen. Die Vertheilung der Möbeln, Wandbilder und sonstigen Zierden war so geschmackvoll, daß sich die Augen unmittelbar wohlthuend berührt fühlten, und eine kleine Epheulaube in der Ecke sah überaus traulich her. Die Bilder waren zum Theil Porträts berühmter Schauspielerinnen, und unser Dramatiker, der die wenigsten davon gesehen, begann sie zu mustern. Eben betrachtete er den genialen Kopf einer großen noch lebenden Tragödin, als die Thüre aufging und ein Kleid rauschte. Er sah hin und stand auf’s lebhafteste betroffen: es war die junge Dame von gestern. Auch sie hatte ihn erkannt. „Ah,“ rief sie nach momentan überraschtem Blick mit heiterer Freundlichkeit, „das ist ja ein alter Bekannter. Nun,“ fuhr sie fort, indem sie auf ihn zuging und ihm die Hand bot, „willkommen in der Residenz, willkommen im Namen des Theaters!“

Heinrich, etwas erröthet, drückte die zierliche Hand stärker, als er’s im Sinne gehabt, und dankte für den gütigen Empfang mit der Miene eines Glücklichen. Ein paar Minuten später saßen sie beisammen auf der Rohrbank in der Laube.

„Ein dramatischer Dichter,“ begann Rosa, indem sie ihn lächelnd ansah. „Etwas Poetisches hab’ ich gestern in Ihnen vermuthet; aber daß Sie dramatische Werke schreiben, für uns arbeiten, das hätte ich nicht zu hoffen gewagt. Nun, um so besser,“ fuhr sie fort. „Wir sehnen uns Alle wieder nach einem guten, effektvollen Stück; ich für meine Person wünschte dringend, eine neue hübsche Rolle zu bekommen, und würde mich sehr freuen, wenn in Ihrer Dichtung eine für mich vorkäme.“

Heinrich sah sie an, überlegte, und schaute zweifelhaft. Die Schauspielerin errieth ihn sogleich. „Ihr Stück hat keine Rolle für mich?“ entgegnete sie. — „Ich fürchte —“ — „Ah,“ rief sie bedauernd, „das ist ja ein Mangel! Was ist es denn aber für eine Gattung? Freund Holler hat mir darüber nichts geschrieben.“ — „Eine historisch-romantische Tragödie,“ versetzte der Poet. — „Eine historisch-romantische Tragödie!“ wiederholte sie. Und indem sie ihn ansah, fügte sie mit einem gutmüthigen, aber noch mehr schelmischen Lächeln hinzu: „Das hätt’ ich mir denken sollen.“

Heinrich, dem der Sinn dieser Rede nicht entging, wurde verlegen, oder, wie er meinte, ärgerlich. „Also die dritte Opposition gegen mein Streben!“ rief’s in ihm; „erneuerter Unglaube, und ein neuer unnützer Besuch!“

Die Künstlerin, seine Gedanken ahnend, fuhr fort: „Ja, ja, so machen es uns die ehrgeizigen Dichter heutiger Zeit! Nur das Erhabenste und Größte soll von ihnen über die Bretter gehen, damit sie sich gleich den ersten Classikern an die Seite stellen! Recht schön, aber es gibt ein Publikum, das auch etwas Anderes sehen, und Schauspieler, die etwas Anderes spielen wollen.“ Sie schwieg und betrachtete den Schweigenden. Dann, mit anmuthiger Laune, fuhr sie fort: „Also nicht einmal eine hübsche Nebenfigur haben Sie für mich? So eine Vertraute z. B., munter, fröhlich, schalkhaft, und doch vollkommen treu und anhänglich, ein leichteres, irdisches Wesen, das sich aber neben der idealen Hauptheldin noch recht gut ausnehmen kann?“

Der Poet, halb erheitert, schüttelte den Kopf. — „Wie?“ rief sie, „gar nichts?“ — „Leider!“ erwiederte der Poet. „Wie ich’s auch überlege, ich finde keine Rolle darin, die Ihrer würdig wäre. Die Hauptfigur ist Heroine, heroische Liebhaberin —“ — „Das begreift sich,“ warf die Schauspielerin dazwischen. — „Und von den übrigen keine so bedeutend, daß ich Sie Ihnen anbieten könnte; abgesehen davon, daß alle wesentlich ernsthafter Natur sind.“ — „Also die reine Tragödie! Gar kein Humor?“ — „Ausgenommen in den Volksscenen, denen ich eine naturwahre Derbheit zu geben suchte, die vielleicht belustigend wirkt.“

Die Künstlerin schwieg, dann sagte sie: „Wissen Sie, verehrter Herr Doctor, daß Sie im Grunde genommen sehr naiv sind? Sie wollen ein Stück aufführen lassen, in dem ich keine Rolle habe, und bringen mir einen Brief mit der Aufforderung, Ihnen dabei behülflich zu seyn! Kennen Sie das Theater? Kennen Sie die Leute vom Theater? Glauben Sie, daß eine zweite Liebhaberin — welches zu seyn ich die Ehre habe — sich berufen sehen kann, der ersten zu einem Triumph zu verhelfen? Wissen Sie, was Künstlereifersucht ist? — Ach, mein bester Herr, Sie sind Dichter und kennen das menschliche Herz im Allgemeinen gewiß vortrefflich, aber die Schauspielerherzen im Besondern haben Sie noch nicht kennen gelernt!“

Sie hatte das Letzte mit so ernst resignirtem Tone gesagt, daß der Poet fast wieder irre wurde. Jedenfalls nahm er sich zusammen und entgegnete: „Unter diesen Umständen muß ich dann freilich um Verzeihung bitten und meinen Wunsch zurücknehmen. Eigentlich hat aber den Fehler doch Herr Holler gemacht. Er, obwohl er mein Stück so weit kannte, hat mir Sie genannt —“ — „Weil er mich kennt,“ fiel Rosa heiter ein; „weil er weiß, daß ich ein gutes Herz habe, das sogar uneigennützig seyn kann.“ Und mit ernsterem Tone fuhr sie fort: „Keine Sorge, Herr Doctor, wir Schauspieler sind nicht so schlimm, wie man uns macht, wenigstens lange nicht alle. Eifersucht und Neid können wir allerdings fühlen, und ich wollte Ihnen große Künstler nennen, die auch darin nicht klein sind. Wir mögen auch wohl mehr Anfälle davon erleiden, als andere Sterbliche: das liegt im Handwerk; aber in der Regel bleiben sie auf der Oberfläche und sind bald wieder verflogen. Eigentlich und für gewöhnlich sind wir ein gutmüthiges Völkchen; wir versöhnen uns außerordentlich leicht, und wenn wir uns schön thun, sind wir dabei so ehrlich, wie andere gebildete Menschen.“

Der Poet, mit befreiter Seele, ließ auf die letzte Bemerkung ein bescheidenes Lachen hören, und die Schauspielerin fuhr fort: „Was mich betrifft, so kommt Ihnen eine Tugend zu statten, die ich habe, wenn Sie’s nicht lieber einen Mangel nennen wollen. Ich besitze keinen Ehrgeiz. Natürlich, wenn man, wie ich, seit Jahren zweite Liebhaberin ist und meist für Nebenfiguren lodern muß, da wird man nach und nach bescheiden, und das bischen höheres Streben, das man in seine Stellung noch mitgebracht hat, verfliegt einem gänzlich. In der Regel haben wir die Aufgabe, der hochgesinnten und tief fühlenden ersten Liebhaberin, die sich natürlich nicht zu rathen und zu helfen weiß, freundlichen Beistand zu leisten, und das gewöhnt man sich zuletzt förmlich an, so daß man sich auch außer dem Theater ein Vergnügen daraus macht, zu helfen, wenn’s eben geht. Sie sehen, so gar übel sind Sie bei mir doch nicht angekommen, und ich wünsche nur, daß es auch in meiner Macht steht, etwas für Sie zu thun.“

Die letzten Worte hatten einen verbindlichen, ja herzlichen Klang, in welchen die Künstlerin von dem scherzenden mit Anmuth übergegangen war; und Heinrich konnte nicht umhin, ihre Hand zu fassen und ihr mit Wärme zu danken. Sie antwortete mit einem Blick, der fast lauter Güte war und durch ein flüchtiges Licht von Schalkheit nur um so reizender wurde. Dem Poeten, unter dem Strahl desselben, ging das Herz auf; er ahnte, daß er verstanden wurde, empfand einen Drang, gegen die fühlende Seele sich vertrauensvoll über sein Streben auszusprechen, und sagte: „Es ist mir sehr lieb, verehrtes Fräulein, zu sehen, daß Sie die höhere dramatische Poesie nicht verwerfen. Ich bin nicht gegen das Schauspiel und die Darstellung des gewöhnlichen Lebens auf dem Theater; im Gegentheil, es können da recht gute Sachen entstehen, rührende und erheiternde, und man kann auch eine schöne poetische Wirkung herausbringen; aber die Hauptsache bleibt doch immer die Tragödie, die Tragödie, die uns in die tiefsten Abgründe des Herzens hinabführt, um uns zu den höchsten Höhen der Menschheit emporzutragen. Der Dichter soll uns über die gemeine Wirklichkeit hinwegheben und die Welt des Ungewöhnlichen, des Außerordentlichen erschließen. Wir wollen mit ihm eintreten in das Reich der Poesie, wo wir Alles, was wir im gewöhnlichen Leben entbehren, in erquickendster Schönheit und Fülle haben. Und dazu muß er sich den rechten Stoff wählen und den rechten Schauplatz der dramatischen Handlung. Die Menschen, die er schildert, müssen außerordentlich seyn dürfen — er muß durch sie nicht nur nicht gehindert, sondern selbst emporgehoben werden. Da sind nun Stoffe, die auf dem Grenzgebiet der Geschichte und der Sage liegen, besonders günstig; der Dichter hat volle Freiheit zum höchsten poetischen Ton und kann Alles herausgeben, was an Größe, Tiefsinn und romantischem Gefühl in ihm liegt. — Wollte Gott,“ setzte er mit herzlichem Ernst hinzu, „daß es mir mit meinem Versuch gelungen wäre! Ich würde gewiß das Publikum ergreifen, begeistern — und Sie, mein Fräulein, wie ich zuversichtlich hoffe — bekehren.“

Die Schauspielerin hatte mit wirklicher Theilnahme zugehört und erwiederte nun auf die artig betonten Schlußworte: „Sie haben nicht weit mehr dazu. Wer so gut über eine Sache reden kann und sie so lebendig vor Augen hat, dem muß es mit ihr auch gelingen. Und nehmen Sie das in vollem Ernst: Ihr Erfolg würde mir große Freude machen, denn ich sehe, Sie meinen es ehrlich mit Ihrer Kunst.“

Diese Worte erfüllten den Poeten mit tiefer Genugthuung. Seine Augen glänzten und sein männlich schönes Gesicht gewann so sehr den Ausdruck eines Dichters, daß es den von ihm geäußerten Hoffnungen förmlich zur Bestätigung diente. Die Künstlerin betrachtete ihn, und über ihre Wange floß eine Röthe froher Anerkennung. Heinrich, von ihrem Anblick seinerseits bewegt, rief: „Mein Fräulein, Sie werden nicht immer zweite Liebhaberin bleiben und nicht immer die bloß muntern oder bürgerlich rührenden Partien spielen! In Ihnen lebt ein höherer Geist, ein dichterisches Gemüth! Sie dürfen nur wollen, und Sie werden uns die poesievollsten Gestalten vor Augen stellen! Ja, je mehr ich Sie ansehe —“

Rosa hatte diese Rede betroffen angehört; nach den letzten Worten erheiterten sich indeß ihre Mienen plötzlich und der gemüthlich schelmische Ausdruck erlangte wieder die Oberhand. „Nicht weiter, mein begeisterter Freund!“ entgegnete sie; „es könnte Sie gereuen! Wollen Sie mir nicht gar Ihre Heroine antragen und gleich zum Einstand einen Rollenstreit veranlassen? Nein, mein lieber Herr: jedem das Seine, das ist ein guter Spruch. Ich bleibe, was ich bin; und wenn in der That einige Anlagen zum „Höheren“ in mir liegen, so will ich sie hervorsuchen, pflegen und ausbilden, um nach und nach einer passenden Rolle in einem Ihrer künftigen Stücke zuzureifen.“

Heinrich, auf eine galante Antwort sinnend, schwieg, und seine Miene hatte bereits eine kleine Wendung zur Verlegenheit gemacht, als man die äußere Thüre gehen hörte. Die junge Dame sah erheitert auf, und gleich nachher trat die Mutter in das Zimmer. Der Poet erhob sich rasch. Jene, die ihn erkannte, sah ihn verwundert, aber vergnügt an.

„Unsere gestrige Begegnung,“ rief die Tochter, zu ihr tretend. „Herr Doctor Born, dramatischer Dichter, der mir durch Freund Holler empfohlen ist und ein fertiges Stück mitgebracht hat.“ — „Ah,“ rief die Frau mit einem so wohlwollenden als feinen Lächeln; „seyen Sie doppelt willkommen!“ Sie reichte ihm die Hand, und der Poet schüttelte sie kräftig. — „Du siehst,“ bemerkte Rosa zu ihr, „wir haben gestern nicht weit davon gerathen: ein schöner Geist, Schriftsteller oder Maler, der in die Residenz kommt, um hier den Erfolg und die Ehren zu finden, die ihm gebühren.“

Die Mutter, nach einem freundlich verweisenden Blick auf sie, erkundigte sich bei dem jungen Mann theilnehmend nach seinem Vorhaben und der mitgebrachten Dichtung. Man setzte sich nochmal zusammen, und Heinrich gab den beiden Damen alle gewünschte Aufklärung. Unter Anleitung der Erfahrenen nahm das Gespräch eine praktische Wendung. Was ist zu thun? Was kann zur Annahme des Stücks beitragen? Dieß war die Frage, die man erwog. In seinem Vorsatz, die Regisseure zu besuchen, wurde Heinrich im Lauf der Unterredung bestärkt: seine erklärte Abneigung, den Herrn Kritikern sich zu empfehlen, hatte dagegen lächelndes Kopfschütteln zur Folge. „Vor der Aufführung,“ sagte Rosa, „sollten Sie doch mit einigen bekannt seyn. Aber die Sache geht ja ganz einfach, wofür habt ihr Herrn denn das Wirthshaus?“

„Es ist wahr,“ versetzte der Poet. „Und einen literarischen Fachgenossen, den man bei einem Glas Wein kennen gelernt hat, kann man am Ende besuchen.“ — „Ich sollt’s meinen,“ entgegnete die Schauspielerin, nicht ohne ein spöttisches Mundrümpfen.

Die Mutter sah ihn lächelnd an, dann sagte sie: „Was nun aber die Annahme betrifft —“ — „Ich hab’ einen Gedanken,“ rief hier die Tochter. „Da Sie uns,“ fuhr sie zu dem Autor gewendet fort, „das Stück zu lesen geben wollen —“ — „Sobald die Abschrift fertig ist.“ — „Und ich voraussetze, daß außer unserer Heroine auch unser heroischer Liebhaber, unser Heldenvater und unser Charakterspieler dankbare, sehr dankbare Rollen darin haben werden —“ — Heinrich, nach einem Moment der Erwägung, erwiederte zuversichtlich: „Ich meine.“ — „So will ich gelegentlich gegen diese Herrschaften ein Wort fallen lassen über das Stück, was sie ruhig vernehmen, dann über die verschiedenen Rollen und die Möglichkeit eines Triumphes, was sie mit großem Interesse hören werden. Sie können das Manuscript auch ihnen mittheilen; und wenn namentlich unsere Heroine gegen den Herrn Intendanten recht lebhaft den Wunsch ausspräche, die Rolle zu spielen, dann hätten wir Aussicht.“

Der Autor nickte vergnügt und dankte für die gütige Theilnahme und die freundlichen Rathschläge auf’s wärmste. Die Stockuhr belehrte ihn aber, daß die Essenszeit heran nahte, und er empfahl sich, indem er mit der Copie bald möglichst wiederzukommen versprach.

Durch den herzlichen Antheil, den ihm die beiden Frauen zugewendet, fühlte er sich in tiefster Seele ermuthigt; er sah die Angelegenheit in bester Einleitung begriffen und kehrte durchaus zufrieden in den Gasthof zurück.

Noch am selben Tage schrieb er an die Geliebte. Aus dem langen Brief heben wir folgende Stellen aus: „Die persönliche Bekanntschaft mit Friedrich Willmann hat mich über diesen Autor einigermaßen enttäuscht. Im Grunde hat er mich gut aufgenommen und scheint mir nützlich werden zu wollen. In seiner Art liegt aber etwas Ironisches, das mir nicht recht gefallen kann. Er ist ein großer Verehrer der Klugheit — mehr als es sich für einen Dichter geziemen will — und scheint mir bei seinen Arbeiten doch hauptsächlich auf die Vortheile zu sehen, die sie ihm bringen sollen. — Mir ist die Poesie eine heilige Sache. Ich liebe sie um ihrer selbst und des Glückes willen, das man fühlenden Herzen damit bereiten kann. Wenn ja noch eine ihrer Folgen mich locken und reizend vor meiner Seele stehen mag, so ist es der Ruhm — der Lorbeer, der die Schläfe des Siegers krönen soll. An Weiteres denk’ ich kaum, wie ich dir, edle und große Seele, frei bekennen will. Aber der wahre Dichter steht unter dem Schutze der Götter und er hat die Verheißung, daß ihm alles Uebrige zufallen wird.

„Unserem Rektor kannst du sagen, daß er mich an einen sonderbaren Kauz empfohlen hat. Ich meinte bisher, die Stockphilologen im schlimmen Sinne seyen ausgestorben und die Männer der Erudition trachten darnach, dem Studium der Humaniora einige Humanität im wirklichen Leben beizugesellen; allein es gibt doch noch einzelne Exemplare und ich bin hier auf eines gestoßen. Ein Mensch, der sich sein gelerntes Wissen mühselig erworben hat, kann freilich einen andern, der sich das seine fröhlich selber producirt, nur geringschätzen! — Ich hab’ mich aber doch geärgert, als der Pedant seine Empfindung so deutlich merken ließ und sich mit der groben Ungerechtigkeit seines Vorurtheils sogar noch etwas zu wissen schien. Das Gute ist, daß nicht nur dem Gottseligen, sondern auch dem Poeten Alles zum Besten dienen muß. Jetzt, wo ich dieß schreibe, steht der Mann als ein Original vor meiner Seele, das mich ergötzt, und es wird höchstens so viel Groll in mir bleiben, daß ich ihn gelegentlich einmal satirisch verwenden kann.

„Ich bin vergnügt, meine geliebte Auguste, denn mein dritter Besuch — der eigentlich bedeutsame — ist über Erwarten gut ausgefallen. In der Schauspielerin, an die ich, wie du weißt, ein Schreiben hatte, und in ihrer Mutter, die ebenfalls beim Theater war, habe ich zwei außerordentlich theilnehmende, liebenswürdige Personen kennen lernen, und ich darf wohl sagen, Freundinnen gewonnen. Die junge Dame ist hübsch und könnte manchem Andern gefährlich werden — ich freilich bin gefeit und in mein Herz dringt kein anderes Bild, als das der Einen, die allmächtig in ihm regiert. Ein Wesen von heiterem Humor und einem Trieb, neckisch mit den Menschen zu spielen, aber dabei ein freundliches Gemüth, das es nicht beim bloßen Wünschen läßt, sondern für Andere auch zu handeln vermag. Der Weg des Stückes zur Bühne wird geebnet, und wenn nur dieses erste Ziel erreicht, die Annahme erfolgt ist, dann bin ich außer Sorge.

„Die Hauptrolle wird in sehr gute Hände gelangen, das hab’ ich schon erkundet, und wenn sie der Künstlerin, die das Stück lesen wird, einleuchtet, so wird dieß auch bei der Frage der Annahme von großem Gewicht seyn. — Du siehst, es läßt sich wirklich Alles gut an, und meine Zuversicht ist keine Thorheit.

„Wie unendlich gespannt bin ich darauf, das herrlichste Gebilde meiner Phantasie, das gleichwohl nur ein schwaches Nachbild der geliebtesten Wirklichkeit ist, auf der Bühne verwirklicht zu sehen! Wie höchst seltsam wird mir dabei zu Muthe seyn! — Zauberei! Blick in eine Welt voll unaussprechlicher, magischer Erscheinungen! — O Auguste! — ich hab immer nur dich vor Augen, ich beziehe Alles, was ich erfahre, schaue, denke, auf dich, und wenn dein Bild vor mir aufleuchtet, scheint mir alle Kraft und Kunst nur gegeben zu seyn, daß ich dich verherrliche und dir ein Leben der Ehre und Wonne bereite! — O Liebe — Poesie der Poesie! Das liebende Auge sieht nicht nur die Geliebte in wunderholdem Licht; von dem Glanz, den es in sich aufgenommen, bleibt auch so viel zurück, daß es die ganze Welt verklärt und jeden Winkel der Erde in süßem Scheine malt!

„Laßt mir’s gelingen, gute Geister! laßt mich den Sieg erstreiten, nur um der Einen Lust willen, Ihr ihn zu melden! Ich wollte ja gern entsagend warten und ausdauern in Verkanntheit und Undank der Welt! Aber um deinetwillen darf’s nicht seyn — um deinetwillen muß es, wird es glücken!

„Lebe wohl, Theuerste! Wenn du nur ein Tausendtheil der Freude empfindest, dieses zu lesen, die ich fühle, es zu schreiben, so bin ich glücklich!“

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