III.

Die Tragödie wurde einem Copisten übergeben, der langsam schrieb, aber eine deutliche, charaktervolle Hand nachgewiesen hatte. Der Autor wartete indeß zum Wiederbesuch seiner Gönnerinnen die Vollendung der Copie nicht ab. Man führte im Hoftheater Minna von Barnhelm auf und Rosa gab darin die Franziska. Es war eine ihrer besten Rollen und sie übertraf sich dießmal selber darin. Das Publikum war hingerissen und unser Poet außerordentlich erfreut. Zum erstenmal erkannte er die eigenthümliche Bedeutung eines wahren Schauspiels oder Lustspiels, wenn er auch den Mangel der Gattung und das Einseitige des Lessing’schen Stücks (was er dafür halten mußte) nicht übersah. Hauptsächlich überzeugte er sich aber, was in einer Partie wie Franziska geleistet werden kann, wenn die Schauspielerin mit reizender Laune sie völlig wieder zu beleben wußte, und er eilte daher gleich am andern Vormittag zu der Künstlerin, um ihr seine Freude, seinen Dank mit Enthusiasmus auszusprechen.

Rosa lächelte befriedigt, glücklich und antwortete von ihrer Seite mit dankendem Blick. Die Mutter trat aus dem Seitenzimmer und sie rief ihr heiter entgegen: „Ich hab’ ihm gestern gefallen, dem Tragödiendichter! und er ist gekommen, ein wahres Füllhorn des Lobes vor mir auszugießen!“

Vergnügt erwiederte die Frau: „Das ist freundlich. Aber du hast die Rolle gestern wirklich gut gespielt; ich habe sie noch nicht so von dir gesehen.“ — „Gott weiß, warum,“ entgegnete die Künstlerin. „Zuweilen ist man eben voller Lust und Uebermuth — und das ist die Hauptsache bei der Schauspielkunst.“ — „Bei jeder Kunst!“ versetzte Heinrich.

Die Schauspielerin sah für sich hin. „Nun,“ bemerkte sie dann etwas scheinheilig, „Sie haben sich also überzeugt, daß man in einer Rolle, die aus dem gewöhnlichen Leben genommen ist, doch auch eine Wirkung machen kann?“ — „Das habe ich nie bezweifelt,“ entgegnete Heinrich, „aber in dieser Ausdehnung allerdings nicht für möglich gehalten. Es war eben ein non plus ultra,“ fügte er lächelnd hinzu, „und die reißen immer hin.“

Die Künstlerin wiegte den Kopf. „Sie geben also zu, daß es auch gar keine so schlechte Aufgabe wäre, ein Schauspiel zu schreiben?“ — „Um so lieber,“ versetzte der Poet, „als ich’s nie geläugnet habe. Das Schauspiel in Prosa hat seine Vorzüge und seine Vortheile, obschon —“ — „Es natürlich tief unter der Tragödie in Versen steht,“ ergänzte Rosa, „das ist klar! Aber wenn es nun so ausfiele, wie Minna von Barnhelm —?“ — „Dieses Stück,“ erwiederte Heinrich nach einigem Besinnen ernsthaft, „ist vortrefflich in seiner Art; aber im Grunde ist doch zu viel bürgerliche Moral und Tugend darin, wodurch es einen etwas hausbackenen Charakter erhält, und die Sphäre, in die wir blicken, hat etwas Enges, ja hie und da Gequältes. — Das poetische Drama, die Schöpfung der idealisirenden Phantasie, die uns in eine große, weite, farbenreiche Welt führt, ist doch was ganz anderes.“

Die Schauspielerin, durch die Sicherheit, womit Heinrich dieses Urtheil fällte, betroffen, ja gereizt, schüttelte unwillkürlich den Kopf. „Ei, ei,“ entgegnete sie, „das heißt leicht fertig werden mit einem Stück, das eine Probe bestanden hat, wie sie nicht viele bestehen! Diese Minna von Barnhelm ist seit ihrer ersten Aufführung überall auf dem Repertoire geblieben, und das muß doch seinen Grund in einem Werth haben, den wenige Dramatiker zu erreichen sich schmeicheln dürfen.“

Der Poet schwieg und die Mutter trat mit einer Querfrage dazwischen, um ihm über eine angehende Verlegenheit hinwegzuhelfen, die vielleicht eine empfindliche Replik zur Folge gehabt hätte. Während der Beantwortung sammelte sich der Getroffene und fühlte nun, daß er etwas gut zu machen habe. Er kam auf die Lessing’sche Komödie zurück, rühmte mit dem Ausdruck wahrer Achtung die Charakteristik, den ebenso kernigen wie zierlichen Dialog, und namentlich das Zuhauseseyn in den Regionen der Ethik und Aesthetik, die Geistesbildung des Dichters, vermöge deren er dem bürgerlichen Spiel einen ewigen Gehalt zu verleihen gewußt habe. Rosa hörte mit Vergnügen zu, und als er zum Schluß wieder auf die Franziska zu reden kam und über ihre Auffassung und Durchführung bestimmte ästhetische Urtheile fällte, die fast noch schmeichelhafter klangen als die Ausdrücke allgemeiner Bewunderung, da sah völlig wiederhergestelltes Vertrauen aus den braunen Augen.

Nach einer Weile begann sie: „Wann bekommen wir aber Ihre Schöpfung, die Tragödie zu lesen?“ — Der Poet versetzte: „In einer Woche soll ich die Abschrift erhalten. Diese wird in’s Bureau der Intendanz wandern, mein eigenes Manuscript werde ich Ihnen zu Füßen legen.“ — „Sehr viel Ehre,“ erwiederte sie heiter. — „Aber,“ fuhr sie nach einigem Besinnen fort, „können Sie uns nicht einstweilen andere Produkte mittheilen — oder selbst vorlesen? — Sie haben gewiß lyrische Gedichte gemacht.“ — „Allerdings.“ — „Liebeslieder!“ — „Auch solche,“ versetzte der Poet lächelnd. — „Natürlich,“ rief sie, indem sie ihn vergnügt ansah. „Nun, wissen Sie was? Kommen Sie übermorgen, wo ich frei bin, Abends zu uns und bringen Sie Ihre Gedichte mit. Wir lernen Sie dadurch näher kennen, auch als Vorleser, und wenn Sie hier die Probe bestehen, dann können Sie den Schauspielern vielleicht Ihr Stück selber vorlesen, was unter Umständen sehr nützlich seyn kann.“

Die Mutter stimmte bei, und Heinrich sagte mit Vergnügen zu. Man schied im besten Einvernehmen und gesteigerter wechselseitiger Theilnahme.

Als der Poet die Stube verlassen hatte, sagte Rosa zur Mutter: „Vornehm ist er sehr, ich meine poetisch vornehm, im Grund aber doch ein guter Mensch!“ — „Das erste,“ versetzte die Mutter, „hast du ihn vorhin beinahe zu deutlich fühlen lassen.“ — „Konnte nicht schaden,“ erwiederte sie. Und lächelnd fuhr sie fort: „Auf seine Liebesgedichte bin ich begierig; wird wohl viel Einbildungskraft dabei seyn.“ — „Wer weiß!“ bemerkte die Mutter. „Es ist ein hübscher Mann und die Poeten —“ — „Phantasiren und idealisiren. Nun, wenn es nur schön herauskommt, dann soll er doch Lob haben.“

Der Dichter machte mit allerlei Gedanken, aber im Grunde vergnügt den Gang in die kleine Wohnung, die er sich nicht allzuweit vom Theater gemiethet hatte. „Sie hat Recht,“ sagte er zu sich, „wenn sie das Stück von Lessing hoch hält; aber ich hab’ auch Recht. Wie geistreich und fein die Comödie seyn mag, das eigentliche Aroma der Poesie ist doch nicht darin. Und hier allein liegt der wahre Zauber, das überschwängliche holde Leben, und wir können uns baden in einem Meer von Wohlgerüchen.“

Am Abend des zweiten Tages stellte er sich bei den Damen mit zwei Heften ein, in die er seine Gedichte eingeschrieben hatte. Man setzte sich um den runden Tisch, auf welchem bald die Theekanne brodelte. Das Getränk durchduftete die Stube, und Heinrich, von Rosa ermuntert, begann zu lesen. Er hatte die Hefte vorher durchgegangen und genau bestimmt, was und in welcher Folge er vortragen wollte. Trotz der geistigen Zuversicht, die er mitgebracht, fing er nun doch mit unsicherer Stimme und rothem, ziemlich befangenem Gesicht an zu lesen. Glücklicherweise hatte er zum Eingang Lieder gewählt, die eben so anspruchslos wie hübsch waren; der aufrichtige Beifall der Hörerinnen entband ihn und gab auch seinen Sprachwerkzeugen die nöthige Freiheit. Bald war er in der höheren Stimmung, wo man im Schwunge des Gefühls gar nicht mehr weiß, daß es eine Befangenheit gibt.

Die Frauen konnten die Gedichte nicht immer gelungen finden. An den einen widersprachen Uebertreibungen ihrem Geschmack, an andern vermißten sie den wahrhaft schließenden Schluß. Der Dichter, jetzt durch herzliches Lob erfreut, mußte sich ein andermal mit einem ernsten Gesicht, das mehr Tadel zurückhalten als Anerkennung ausdrücken sollte, oder mit einem Ausruf begnügen, der etwa bedeutete: „Nun ja, lassen wir’s passiren!“ — In seinem Eifer machte er sich aber nicht viel daraus, wenn er’s auch richtig deutete, und im Ganzen war die Lobernte doch überwiegend. Endlich, beim Aufschlagen eines neuen Gedichts, wurde seine Miene ernst bis zur Feierlichkeit; er nahm eine entsprechende Haltung an und begann mit herz- und klangvollem Ton zu lesen. Es war eine begeisterte Schilderung der Geliebten und eine leidenschaftliche Erklärung völlig und ewig sich hingebender Liebe.

„Sehr schön!“ rief die Mutter, als er geendet hatte; und Rosa bemerkte mit Ernst: „Bei weitem das schönste! Das innigste Gefühl, edler Schwung, der wahrste, herzlichste Ausdruck! Das,“ setzte sie mit einem leisen Lächeln hinzu, „das ist Poesie!“ — Heinrich antwortete auf diese Anerkennung mit dem Ausdruck einer ernsten Freude. Er sah dann auf den Tisch und sagte: „Wenn mir dieses Gedicht gelungen ist, so ist’s auch nicht zu verwundern: es ist einfach aus meinem Herzen abgeschrieben, und an das Mädchen gerichtet, mit dem ich verlobt bin!“

Mutter und Tochter fuhren bei diesem Geständniß unwillkürlich zusammen und sahen sich an. Auf dem Gesicht Rosa’s folgte einer leichten Blässe rasch eine tiefere Röthe; aber schnell sich fassend rief sie mit der Miene und Stimme herzlicher Theilnahme: „Sie haben eine Braut? Und davon haben Sie uns noch nichts gesagt?“ — „Es fand sich noch kein Anlaß dazu,“ erwiederte Heinrich. — „Nun,“ rief das Mädchen, die sich völlig wieder in ihre Gewalt bekommen hatte, „davon müssen Sie uns mehr erzählen! — Das Idealbild,“ fuhr sie nach kurzem Innehalten mit Lächeln fort, „haben wir aus dem Gedicht kennen gelernt. Aber wer ist sie? Weihen Sie uns ein; das Original erweckt in uns noch viel größern Antheil.“

Heinrich befriedigte die erste Neugierde und gab dann Antworten auf weitere Fragen. Da die beiden Frauen das lebendigste Interesse zeigten, so glaubte er mit genauem Bericht über Entstehung und Gang des Verhältnisses und namentlich mit dem freudigen Lob Auguste’s ihnen eben die größte Freude zu machen, und that sich nun Genüge nach dem Bedürfniß eines Liebenden, ohne zu ahnen, welche Eindrücke er damit auf das geheime Innere der jungen Hörerin hervorbrachte.

Es wäre für den, der in dieses Innere zu schauen vermocht hätte, ein eigenes Schauspiel gewesen, das Mädchen zu beobachten, deren Herz, mehr als sie selber geahnt, sich dem jungen Mann zugewendet hatte. Die menschliche Seele ist reicher an Fähigkeiten und Affekten, als die meisten Menschen gewahr werden, und gute und schlimme Gedanken, liebe und leide Gefühle können in ihr so rasch wechseln, daß man an ein förmliches Zugleichseyn glauben möchte. In Rosa spielten sie wunderbar durcheinander, als der Poet sein Liebesleben schilderte, sein Glück ausmalte und seine Hoffnungen aussprach. Und sie ließ nicht nach mit Fragen, als ob es jetzt für sie nichts Süßeres gäbe, als die Antworten zu vernehmen. Doch ein geübter Wille und geübte Kunst standen ihr bei, und mit ihnen gelang es ihr, die Theilnahme einer Freundin zu beweisen, in nichts zu verrathen, daß sie den Verlobten der Andern liebgewonnen hatte, sondern zu thun, was ihr der Stolz des Weibes und ein im tiefsten Grunde zartes Gefühl eingab.

Als Heinrich seine Bekenntnisse geschlossen hatte, sagte die Mutter: „Unter diesen Umständen muß es Ihnen freilich doppelt lieb seyn, mit einem ausgezeichneten Erfolg heimzukehren, und wir müssen über alles wünschen, daß Sie ihn erringen.“ — „Allerdings,“ fügte Rosa hinzu, die ihn von der Seite mit einem Blick angesehen, wie man einen kindlich Glücklichen betrachtet; „und unsere Pflicht, Beistand zu leisten, wird immer ernsthafter. Hören Sie meinen Vorschlag! Sie können, was nicht von jedem Poeten zu sagen ist, Ihre eigenen Gedichte gut vorlesen: wenn Sie nämlich dreinkommen, und Sie kommen, wie es scheint, gerne drein, wenn gute Menschen Ihnen Vertrauen einflößen. Machen Sie nun, daß wir Ihre Tragödie erhalten. Wir laden dann die Darsteller der Hauptrollen ein, und Sie lesen ihnen das Stück. Tragen Sie es vor, wie Ihr letztes Gedicht, dann wird man die Rollen um so richtiger auffassen, um so lieber lernen und um so besser spielen.“

Heinrich dankte mit Herzlichkeit, indem in seiner natürlichen und poetisch eingenommenen Seele nun doch fast eine Ahnung aufstieg, daß die Schauspielerin ihm eine besondere Freundlichkeit zuwendete. Den eigentlichen Zustand ihres Herzens errieth er freilich nicht, und verließ darum das Haus mit vollkommen ruhigem, glücklichem Gemüth.

Mutter und Tochter, als sie allein waren, gingen schweigend hin und her. Die letztere that eine häusliche Frage und horchte auf die gewissenhafte Beantwortung mit halbgeschlossenen Augen und einem ernsten Schein von Aufmerksamkeit. Dann suchte sie eine ihrer Rollen hervor, setzte sich damit zur Lampe und fing an zu lesen. Unwillkürliche Zeichen von Ungeduld und Abwesenheit verriethen aber der Mutter deutlich, von welchen Gefühlen sie beherrscht war.

Rosa war sechs Jahre beim Theater und hatte ihr zweiundzwanzigstes Jahr hinter sich, ohne daß sie in eine ernstliche Herzensbeziehung wäre verflochten worden. Vor leichtsinnigem Vertrauen schützte sie nicht nur eine erfahrene, sorgsame Mutter, sondern ihr eigener heiter verständiger Sinn. Sie war durch Natur und Erziehung, was die Franzosen sage nennen, und ließ sich nun wohl huldigen, trat aber vor gewissen Annäherungen immer einen Schritt zurück, was dann die Folge hatte, daß sie als „kalt“ verschrieen wurde. Eigentlich war sie aber nur so klar, hinter gewissen Betheurungen die egoistische Absicht wahrzunehmen und darüber die entsprechende Geringschätzung zu empfinden. Sie sammelte sich daher in dieser Hinsicht keine „Erinnerungen,“ und ließ sich an ihrem Beruf, an geselligem Verkehr, an unterhaltender, unterrichtender Lektüre genügen. Auf der Bühne traf sie gleichwohl nicht nur den Ton einer fröhlichen und schalkhaften Liebhaberin, der ihr unmittelbar von Herzen ging, sondern auch den Ausdruck tieferer Neigung, worüber sich nur diejenigen wundern können, denen die Schöpferkraft der wahren Künstlernatur unbekannt ist. Um Liebe darzustellen, muß man nicht, was man sagt, geliebt haben, so daß man darnach seine eigenen Erfahrungen spielt, es genügt die Liebefähigkeit. Und diese besaß die Künstlerin, mächtiger als sie bis jetzt sich zugetraut hatte, wie sie nun zu ihrem Leide erfuhr.

Heinrich hatte schon einen freundlichen Eindruck in ihr hinterlassen nach der ersten Begegnung auf der Straße. Davon war die Ursache nicht nur seine jugendlich männliche Schönheit, sondern der Schein des Genius in seinem Gesicht und die Treuherzigkeit seines Wesens, der das lächelnerregende gelinde Ungeschick eher nützte als schadete. Als sie in dem ihr Empfohlenen den jungen Mann erkannte, der ihr so schnell interessant geworden war, hatte sie die angenehmste Empfindung, und die erste Unterredung ließ geradezu eine Neigung in ihr aufkeimen, wobei Streben und Vorhaben des Poeten heitere Bilder der Hoffnung vor ihre Seele riefen. Sein begeistertes Lob ihrer Franziska klang ihr um so wohlthuender, als sie darin ein Entgegenkommen sehen zu können glaubte; und wenn sie ihm bei zu geringer Schätzung des classischen Stücks mit einer empfindlichen Mahnung entgegen trat, so lag der Grund eben in der näheren Theilnahme, der an dem Liebgewordenen eine Schwäche ärgerlich war. Die leichten Lieder, die er heute gelesen, auch die ersten erotischen, aus denen kein natürlicher Ernst hervorsah, stimmten zu ihrer Hoffnung; und nun mußte die Erklärung des Verlobten die zarte Maienblüthe ihres Glücks mit einemmal hintilgen!

Die Mutter, als Rosa sich endlich in’s Lesen zu finden schien, ging in die Küche. Nach einer Weile kam sie wieder und jene, das Heft weglegend, bemerkte: „Da hab’ ich nächstens wieder ziemlich geschraubte Dinge zu sagen. Was doch die Poeten manchmal für Reden drechseln, die wir dann natürlich und zierlich vortragen sollen, mit einem Ernst, als ob sie uns just aus dem Herzen kämen!“ Die Mutter, ernst lächelnd, erwiederte: „Es wird so arg nicht seyn. Uebrigens gehört das eben zum Komödiespielen. Wenn die guten Dichter uns helfen, so müssen wir dagegen den mittelmäßigen beistehen.“ — „Eine Pflicht, die zuweilen sehr lästig werden kann,“ erwiederte Rosa mit einem Seufzer. Sie fuhr über ihre Stirn und sagte: „Ich bin müde und mein Kopf ist eingenommen. Am Ende,“ fuhr sie mit halbem Lächeln fort, „ist’s der Duft der Poesie, die wir heute vernommen haben. — Sey’s was es wolle, ich geh’ zu Bette.“ Sie reichte der Mutter die Hand und sagte mit weicher Stimme: „Gute Nacht, Mutter!“

Die gute Frau nahm sie in ihre Arme, küßte sie auf die Stirn und erwiederte herzlich: „Schlafe wohl, mein Kind!“ Beide sahen sich an und der feuchte Glanz ihrer Augen ließ sie wechselseits in ihren Herzen lesen. Die Mutter nickte mit dem Ausdruck ernsten Bedauerns. Da hob Rosa den Kopf empor, lächelte und rief: „Dummes Zeug! Gute Nacht, Mutter!“

Als sie das Zimmer verlassen hatte, stand die Frau eine Weile nachdenkend und sagte dann: „Ich hoffe, es wird vorüber gehen. Allerdings ist’s ihre erste Neigung und sie geht tiefer, als sie selber zu wissen scheint. Aber das Mädchen ist verständig und hat Charakter — sie wird’s überwinden.“

Nach Verfluß einiger Tage sah die wackere Frau den Liebling in einer Stimmung, die sie in ihrer Hoffnung bestärkte. Am andern Morgen nach jenem aufklärenden Abend hatte sie über Kopfweh geklagt und endlich unterbrochenen Schlaf bekannt; aber am folgenden zeigte sie ein heiteres Gesicht, scherzte zärtlich mit der Mutter und benahm sich fast ganz wie ehedem. Die Rolle, über deren Unnatur sie geklagt hatte, spielte sie mit mehr Leben und Beifall als früher, lächelte darnach über sich selber und kehrte mit zufriedenem Gemüth nach Hause zurück.

Als Heinrich einen Tag später mit der Tragödie kam, wurde er von Mutter und Tochter so heiter wie freundlich empfangen und das Manuscript von der Künstlerin mit einem Ausruf des Vergnügens begrüßt. „Endlich,“ rief sie, indem sie es mit beiden Händen faßte, „haben wir es! — Und das andere?“ fuhr sie nach einem Moment fort, „haben Sie’s eingereicht?“ — „Heute,“ erwiederte der Poet. „Der Herr Intendant war nicht zu sprechen, ich hatte mich aber vorgesehen, das Manuscript mit einem Schreiben eingesiegelt —“ „Gut,“ rief die Künstlerin. „Mögen unsere Geschicke sich nun erfüllen! — Ich bin sehr neugierig, besonders nach der Andeutung, die Ihnen letzthin entschlüpft ist — auf die Heldin.“

Heinrich lächelte mit einer gewissen Unruhe. „Ich bitte nur,“ sagte er dann, „das Stück im Zusammenhang, Scene für Scene, und da es denn doch eine Tragödie ist, mit ernster Hingebung lesen zu wollen.“ — „Mit dem günstigsten Vorurtheil, mit Liebe werde ich’s lesen,“ erwiederte Rosa lächelnd. — „Um so besser,“ versetzte Heinrich. „Eine Dichtung kann nur wirken, wenn ihr der Leser mit Vertrauen und Neigung entgegen kommt. Es ist natürlich, die Gaben des Poeten sind eine Art von Speise, die nur munden kann unter Voraussetzung des entsprechenden Appetits.“ — „Da haben Sie’s bei mir eben getroffen,“ versetzte die Schauspielerin. „Was ich vor Ihrem poetischen Mahl fühle, ist nicht nur Appetit, sondern geradezu Hunger zu nennen. Das ist aber bekanntlich der beste Koch und kann auch —“ Sie unterbrach sich selbst und fuhr mit zurückgehaltener, nur leise durchscheinender Laune fort: „Genug, ich glaube nicht nur in bester Stimmung zu seyn, Ihre Dichtung zu würdigen, sondern ich verspreche Ihnen auch, mit allem Ernst an die Lektüre zu gehen und mit aller Andacht dabei auszuharren.“ — „Und ich,“ versetzte der Poet mit glänzenden Augen, „glaube Ihnen und sage Ihnen dafür den besten Dank.“

Er sah von der Tochter auf die Mutter und fuhr fort: „Es ist ein großes Glück für mich, daß ich so liebenswürdige Gönnerinnen gefunden habe. Ich weiß es aber auch zu schätzen. Lassen Sie mir’s nur auch ferner angedeihen! Entziehen Sie mir Ihr Wohlwollen nicht! Ich werde Ihres Raths und Ihrer Hülfe nur immer mehr bedürfen — und sie mit der dankbarsten Verehrung erwiedern.“

Auf diese mit Herzlichkeit gesprochenen Worte versetzte die Mutter: „Rechnen Sie auf jeden Dienst, den wir ihnen leisten können. Sie sind uns von einem braven Mann und bewährten Freund empfohlen, und in der kurzen Zeit, wo wir Sie kennen, haben wir Sie liebgewonnen, erwarten von Ihnen das Beste —“ — „Nun,“ rief die Tochter mit gütigem Blick, „und wenn es Sie beruhigen kann — so lassen Sie uns Freundschaft schließen, treue Freundschaft! —“ Sie bot ihm die Hand, Heinrich ergriff und drückte sie, indem ein Strahl des Dankes ihm aus dem Auge ging.

„Sie sind verlobt und glücklich,“ fuhr das Mädchen mit edlem Ausdruck fort, „und wenn der Erfolg hinzu kommt, haben Sie kaum noch etwas zu wünschen. Aber eine Freundin beim Theater kann einem Dramatiker immer noch nützlich seyn, denn hier findet sich immer was zu thun.“ — Sie hielt ein wenig inne, und indem ihre Miene sich anmuthig aufheiterte, fügte sie hinzu: „Nun, und für alle Dienste, die ich Ihnen zu erweisen gedenke, verlange ich nichts, als daß Sie mir gelegentlich eine hübsche Rolle schreiben.“

„Oh,“ rief Heinrich, „mit dem größten Vergnügen! Seit ich Sie als Franziska gesehen, ist mir ein Licht aufgegangen über den bezaubernden Reiz einer ächten Lustspielfigur, und ich sage mir, wie schön es wäre, wenn mir auch auf diesem Felde etwas gelänge. Aber lassen wir den Vortheil; ich verehre Sie, mein Fräulein — Ihre Kunst, Ihren Charakter, Ihre Herzensgüte, und wenn ich Ihnen etwas zu Danke machen könnte, würde ich mich unendlich glücklich schätzen.“

Dieß war mit einer Wärme gesprochen, daß Rosa, beglückt, gerührt, ihm nochmal die Hand gab, und die ernstfreundliche Mutter deßgleichen.

Nachdem der Poet sich empfohlen und entfernt hatte, sagte Rosa zur Mutter: „Ich wünsche von Herzen, daß das Stück sich bewährt und auf dem Theater etwas macht. Es ist wirklich ein braver Mensch, voll des besten Willens und kein Falsch in ihm. Eine rührende Mischung von Geschick und Ungeschick, Verstand und Naivetät — von einer Naivetät, die andere vielleicht Blindheit nennen möchten —“ — „Ein Dichter,“ fiel die Mutter mit dem halb ironischen Lächeln des Wohlwollens ein, „der mehr in einer Welt der Träume als in der wirklichen zu Hause ist. Die Erfahrung wird ihn schon klüger machen, obwohl ich sehe, daß er auch schon mit seiner Naivetät gar sehr zu wirken und die Herzen für sich zu gewinnen vermag.“ — „Vielleicht,“ erwiederte Rosa, die nachdenklich dagestanden, „hilft sie ihm auch beim Publikum durch — es gelingt der erste Wurf, und wir haben einen Glücklichen mehr.“

Die Künstlerin hatte sich von dem ersten Schmerz, welcher nach dem plötzlichen Versinken einer lieblichen Hoffnung ihr Herz angefallen, in Wahrheit erholt. Es war still geworden in ihr, nachdem sie mit ausdauerndem Wollen den letzten Unmuth der Enttäuschung überwunden hatte, und da sie dem jungen Mann, für den eine Neigung in ihr entstanden war, doch eigentlich keinen Vorwurf machen konnte, so glaubte sie in dem erhebenden Gefühl der Genesung ganz zu seiner Freundin, seiner uneigennützigen Freundin geeignet zu seyn.

Nun mußte sie aber doch erfahren, daß eine Neigung, die, wie rasch immer, sich einmal in’s Herz gesenkt hat, nicht so leicht wieder vergeht oder in ein anderes Gefühl sich wandeln läßt. Das Bild des jungen Mannes stellte sich ihr vor die Seele, sie fühlte mehr und mehr einen Zug zu ihm hin, ein Hangen und Wohlgefallen, welches nicht das der Freundschaft war. Konnte sie nicht mehr hoffen, so war es doch immer noch Liebe, was sie empfand, und diese hatte nur einen andern Charakter. Es war die Liebe, die sich aus sich selber nährt und aus der stillen tiefen Freude an dem Geliebten; die Liebe, die sich mit Großmuth paart und im Bunde mit ihr auch die Entsagung versüßen kann. Es ist auch eine schöne Flamme, die heimlich im Herzen lodert und deren Strahlen geistig hold um den Geliebten spielen. Wenn sie unerwiedert bleibt, so ist eben damit ein eigenthümliches Glück verbunden; die liebende Seele kann sich dann des reinen Schenkens und Gebens bewußt seyn. Und wenn Geben, von Empfangen belohnt, seliger ist, Geben ohne Lohn ist edler und größer.

Rosa, der schmeichelnden Einladung folgend, wurde in einen Strom von Empfindungen getaucht, die ihr gänzlich neu waren und deren Schauer sie mit Staunen erfüllten. Wie oft hatte sie die Liebe schon gespielt, und mit Leben, ja mit Leidenschaft gespielt! Aber es war doch nur eine Leidenschaft der Phantasie, wobei das Herz nur in gewissem Sinn mitwirkte. Die Gefühle, die jetzt in ihr erstanden, waren That und Wahrheit, von Natur getränkt, und übten auf sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft.

In diesen Tagen einer verhängnißvoll sich entwickelnder Neigung war das Mädchen durch ein Zusammentreffen von Umständen an der Bühne nicht beschäftigt. Sie brachte die meiste Zeit daheim zu, verkehrte mit der Mutter in alter Gemüthlichkeit, die jetzt nur einen stilleren, sanfteren Charakter hatte, und die Mutter konnte wohl an eine vollendete Heilung glauben. Aber die Krankheit war eine Liebe, die vielmehr gepflegt und genährt wurde.

Zuweilen, wenn die Neigung in der Liebenden zum Verlangen wurde und sich plötzlich die Hoffnungslosigkeit vor sie stellte, begann es freilich in ihr zu beben und zu glühen, und sie fühlte: wenn das dauerte, wär’ ich verloren! Aber sie riß sich heraus aus diesen Empfindungen, die Kraft der Entsagung überwog, ihr natürlich frischer Sinn half, und es blieb von dem Leidgefühl nichts zurück, als eine milde Trauer, die sie gleichfalls in sich zu verschließen wußte.

Sonderbare Gedanken gingen durch ihren Kopf. „Was ich jetzt habe,“ sagte sie sich einmal, „ist mir doch lieber, als meine frühere leichte Fröhlichkeit. Ich würde mir’s nicht mehr nehmen lassen! — Wer weiß? Vielleicht ist das eben recht für eine Schauspielerin! Die Andere ist glücklich in der Wirklichkeit, ich im Bilde, und vielleicht spielt nur die Entsagung mit wahrer Innigkeit und Leidenschaft, und ich gewinne an Ruhm auf dem Theater, was ich an Glück im Leben verliere.“

Eine Woche ging hin, ohne daß sie zum Lesen der Tragödie gekommen war. Wie stark erst ihre Neugierde gewesen, es erhob sich in ihr eine Scheu, das Manuscript anzusehen, die mächtiger wurde und sie immer wieder zögern ließ. War es die Besorgniß, die Dichtung möchte nicht gelungen seyn, der Geliebte möchte sich nicht rechtfertigen als dramatischer Poet und sie in die Lage kommen, ihn beklagen, mit ihm leiden zur müssen? Oder war es ein Zagen vor der Heldin, deren Urbild der Autor hatte errathen lassen? Die Furcht, sie möchte diesem Idealbild allzu unähnlich seyn, allzu tief unter ihm stehen, und schmerzlicher Demüthigung, unwiderstehlicher Eifersucht überliefert werden? Vielleicht alles zusammen. Nachdem sie diesem Gefühl indeß wieder und wieder nachgegeben, kam zu der innern Mahnung, ihr Versprechen zu halten, größeres Vertrauen zu dem Dichter und zu sich selber. Eines Abends, wo die Mutter ausgegangen war, nahm sie das Heft vor und las.

Das Verzeichniß der Personen mit den Namen und Titeln alter Zeiten ermangelte nicht, ein gewisses romantisches Verlangen in ihr zu erregen. Sie ging die erste, zweite, dritte Scene durch und fühlte sich angezogen. Warme Situationen, und ein warmer, inniger Ton, dem die Ueberschwänglichkeit, zu welcher sich einzelne Worte und Zeilen verstiegen, nicht eigentlich schadete; glühende, tiefe Liebe zweier Personen, die für einander geschaffen und einander werth waren; heroische, opferfreudige Kraft, mit feindlichen Mächten in Kampf zu treten und zu siegen in Triumph oder Untergang.

Die Schauspielerin, sich selbst vergessend, las weiter. Die geahnten, gefürchteten Wolken steigen am Horizont der sonnebeglänzten Landschaft, in welche das Liebespaar gestellt erscheint, rasch empor und entfalten sich drohend. Ein erster Zusammenstoß erfolgt, und die Liebe, die Treue siegt. Aber andere Menschen mit andern Leidenschaften und Zwecken treten auf, nähern sich der feindlichen Gewalt, sehen sich von ihr angezogen, beredet, und in Verflechtung selbstischer Interessen knüpft sich ein Bund, welcher dem Neid, der Eifersucht und dem giftigen Groll unwiderstehlich dienen zu können scheint.

Der erste Akt ist zu Ende. Für die Aufführung allerdings zu lang und einzelne Scenen in der zweiten Hälfte nicht klar, nicht schlagend genug. Aber beiden Uebelständen kann durch Streichen und theilweises Umarbeiten abgeholfen werden. Dann wird er nicht nur als Exposition seine Schuldigkeit thun, sondern bereits wirklich ergreifen, einen großen romantischen Prospekt eröffnen und durch die eigenthümliche dichterische Sprache das Publikum anziehen und erheben.

Die Künstlerin, die über ihre bisherige Rollensphäre hinaus begabt war, fühlte sich zufrieden und wahrhaft glücklich. Sie freute sich im Namen des Poeten, der sich als dramatischen, als Bühnendichter bewiesen; sie freute sich der Poesie, die aus dem Buch in ihre Seele strömte; und — sie freute sich über sich selber, daß die ihr allerdings nicht ähnliche Heldin, mit der sie aber dennoch fühlen konnte, ihr vielmehr lieb geworden war. Die Poesie ist heilig und heiligend. Wenn die Seele zu ihr sich erhoben hat, schweigen die irdischen Gefühle und Leidenschaften, und bewußt oder unbewußt sieht der Geist die Wirklichkeit vom Gesichtspunkt des Ewigen.

Rosa, wie gerührt sie war und wie sehr sie auf das Kommende sich freute, wollte für jetzt doch nicht weiter gehen. Sie fühlte sich durch das Bisherige schon eingenommen und gewissermaßen gesättigt. Es war ein guter, ein sehr guter Anfang; an ihm wollte sie sich ergötzen, ihn wollte sie in der Seele tragen und den Genuß des verheißenen guten Fortgangs auf die folgenden Tage sparen. War ihre Liebe zu dem Manne doch schon jetzt vertieft und erhöht — durch die Achtung, die er ihr eingeflößt! Wie schön, wenn er durchdrang mit seiner ersten Dichtung, um ihr immer bedeutendere, reifere nachfolgen zu lassen! — Sie stand auf, ernst und gehoben, mit dem Ausdruck eines guten und gut seyn wollenden Gemüths.

Unterdessen hatte sich Heinrich weiter in der Residenz umgesehen, neue Bekanntschaften gemacht und, da er nicht feiern konnte, sogar eine neue dramatische Arbeit begonnen — wieder ein Trauerspiel. Dieses freilich nicht aus Trotz gegen die Rathschläge der Klugheit und auf seinen Genius pochend, sondern einfach, weil er nur dazu einen Entwurf besaß und nicht zu einem Schauspiel oder Lustspiel. Er trat aber darin dem Schauspiel bereits etwas näher, und sehr schmeichelte ihm nun der Gedanke, die Vorzüge der Tragödie und des Dramas in der neuen Dichtung vereinigen und beide Parteien zufrieden stellen zu können. Das allein schien ihm auch die seiner in der That würdige Aufgabe, während er sich, ein Schauspiel fertigend, wie man es wünschte, von der Höhe, zu der er sich berufen halten mußte, doch einigermaßen herabzusteigen schien.

Doctor Willmann hatte ihm einen Gegenbesuch gemacht; er suchte ihn wieder auf, benahm sich schon freier, kameradschaftlicher gegen ihn, und der Schriftsteller nahm ihn eines Abends in eine Gesellschaft mit, die sich in einem Bierlokal zu versammeln pflegte. Es waren meist jüngere Männer, Beamte, Aerzte, ein paar Offiziere und mit Willmann drei Literaten. Heinrich wurde von seinem Einführer als Dramatiker vorgestellt und dann besonders mit einem der Schriftsteller bekannt gemacht, der ungefähr seine Jahre hatte. Doctor Dorn — so hieß derselbe — bot ihm einen Stuhl neben sich, und es zeigte sich bald, daß er, unter anderem, auch Theaterkritiker war. Als Heinrich dieß vernommen, konnte er nicht umhin, seine Freude darüber auszusprechen und in seiner Miene eben so viel Achtung wie Vergnügen an den Tag zu legen. Dem Kritiker gefiel dieß; er erkundigte sich nach dem Stück, und auf unsern Poeten hatte die Residenzluft schon so gut gewirkt, daß er unwillkürlich über die Aufgabe mit Wärme, über die Leistung aber bescheiden sich ausdrückte und dem andern dadurch als ein Mensch erschien, dem man seiner Bravheit wegen unter die Arme greifen könne. Das Bier, das man in dem Lokal erhielt, war schmackhaft, die neuen Bekannten stießen wiederholt an, tranken nach Durst und gingen um Mitternacht fast als gute Freunde nach Hause, indem sie unter dem dunkeln Nachthimmel mit Köpfen hinwandelten, die durch Getränk und Gesprächeslust hell erleuchtet waren.

Zwei Tage darauf las man in einer Zeitung, deren Feuilleton hauptsächlich der Feder Dorns offen stand: „An der hiesigen Hofbühne ist eine neue Tragödie eingereicht, welche durch effektvolle Scenen und durch eine edle, schwungvolle Diktion große Hoffnungen erweckt. Der Dichter, Heinrich Born, dem literarischen Publikum durch geistreiche Aufsätze und Kritiken bekannt, weilt hier und ist bereits wieder mit einem neuen Stück beschäftigt.“ — Heinrich, der das Blatt in einem Speisehaus arglos zur Hand genommen hatte, fühlte sich durch die öffentliche Hervorhebung so betroffen, daß er ordentlich zurückfuhr. Nach der ersten Ueberraschung wog aber das Vergnügen, mit so viel Ehren genannt zu seyn, als es zunächst irgend möglich erschien, doch bei weitem vor; er las die Notiz wiederholt, überlegte den wahrscheinlichen Effekt auf Publikum und Intendanz und verließ die Restauration mit den angenehmsten Empfindungen.

Zufällig kam ihm auf der Straße Willmann entgegen. Mit einem Lächeln, worin Bonhomie und gemüthliche Satire bis zur Liebenswürdigkeit gemischt waren, rief dieser: „Nun, ich gratulire! Sie haben doch gelesen?“ — „So eben,“ erwiederte Heinrich, indem er ihm die Hand reichte. „Es freut mich, und ich muß Ihnen für die Bekanntschaft nochmal herzlich danken.“

Der Doctor zuckte ablehnend die Achsel und bemerkte: „Er muß sehr für Sie eingenommen seyn; sonst ist er mit Lob und Empfehlung nicht so rasch bei der Hand.“ Heiter für sich hinsehend schwieg er einen Moment. „Apropos,“ setzte er dann hinzu, „haben Sie die beiden Herrn schon besucht?“ — „Besucht wohl,“ erwiederte der Dramatiker, die Regisseure verstehend, „aber nicht zu Hause getroffen.“ — „Ich habe vorgestern,“ sagte der Andere, „mit ihnen gesprochen. Gehen Sie morgen früh zu ihnen, beide werden zu Hause seyn.“

Sie trennten sich händeschüttelnd, und Heinrich sagte sich im Weitergehen, daß er, mit Ausnahme eines Einzigen, bis jetzt eigentlich doch lauter freundliche, liebenswürdige Leute hier getroffen habe und alles nur immer besser sich anlasse.

Andern Tages machte er sich bald auf den Weg und besuchte zuerst den Regisseur des ernsten Dramas. Er fand einen stattlichen Mann von reifem Alter, dessen bedeutendes, mit einigen Runzeln versehenes Gesicht eben so viel Würde als Wohlwollen ausdrückte. Man sah ihm an und fühlte auch durch seine Höflichkeit hindurch, daß er seit Jahren Heldenväter spielte und eben so auf dem Schlachtfeld wie im Thronsaal oder auf dem Throne selbst an seinem Platze war. Nach dem ersten Willkomm gestand er dem jungen Dramatiker, daß er sein Stück nur dem Titel und den Personen nach kenne, sich aber freuen würde, eine Tragödie im höheren Styl darin zu finden, die er zur Aufführung befürworten könnte. Denn man möge sagen was man wolle, das Trauerspiel bleibe immer die Hauptsache für das Theater und müsse namentlich an Hofbühnen, wie die hiesige, gepflegt werden.

Heinrich war damit freudig einverstanden und drückte die Hoffnung aus, daß seine Tragödie, für deren höhere Haltung er einstehen könne, auch als wirksames Theaterstück sich erproben möchte. Nur zu lang würde sie wohl noch seyn!

Der Regisseur, der bis jetzt ernst dagestanden, zeigte in seinem Gesicht den Ausdruck heiterer Ueberlegenheit. „Wenn das Stück nur sonst gut gebaut ist,“ sagte er dann, „den Uebelstand der Länge wollen wir schon beseitigen.“ Der Poet nickte begreifend, mit einem Lächeln, in das die Ahnung eines mörderischen Einbruchs in seine Verse einen leisen Zug von Schmerz und Verlegenheit brachte. Der Heldenvater, dieß gewahrend, fuhr fort: „Ich weiß wohl, daß wir den Herrn Dichtern an’s Herz greifen, wenn wir ihnen Stellen herausstreichen, die sie gern für ihre schönsten zu halten pflegen. Aber es geschieht doch nur zu ihrem Besten, und ich würde Ihnen rathen —“

Heinrich, nach einer heroischen Anstrengung, entgegnete: „Herr Regisseur, ich stelle Ihnen meine Tragödie zur Verfügung. Verfahren Sie damit ganz, wie es Ihnen gut dünkt; denn ich weiß, ein Künstler wie Sie, streicht nur das Ueberflüssige und wirklich Schädliche, damit das Aechte, Schöne und Reine um so besser wirke.“ — „Darauf,“ erwiederte der Regisseur, „können Sie sich verlassen! Das Theater und der Dichter haben Ein Interesse, und wir werden nichts aufgeben, womit man auf die Zuschauer Effekt machen kann. Ein Stück zum Lesen und ein Stück zum Aufführen ist zweierlei. Was beim Lesen charmant seyn kann, wird auf der Bühne, wenn es die Handlung aufhält, unangenehm, sehr unangenehm, und ohne die Streichfeder der Regie würden die meisten deutschen Bühnendichtungen an ihrer eigenen Poesie zu Grunde gehen. — Vertrauen Sie,“ fuhr er lächelnd fort, „in dieser Beziehung ganz den Schauspielern. Wenn Ihr Stück angenommen wird, so dürfen Sie später auch den Vorschlägen der einzelnen Darsteller unbedenklich folgen und noch mehr aufopfern; denn womit einer etwas machen kann, das läßt er sich nicht nehmen.“

Unser Poet, die Skrupel, die in ihm aufgestiegen waren, unterdrückend, gab seine Zustimmung mit Ernst und in so guter Manier, daß der Künstler geradezu für ihn eingenommen wurde. Er eignete sich für das Stück ein günstiges Vorurtheil hauptsächlich wegen der Einsicht an, die der junge Mann bewies, und sagte endlich, indem er ihm die Hand gab: „Was ich für Sie thun kann — natürlich in Uebereinstimmung mit den Interessen der Bühne — das geschieht, verlassen Sie sich darauf! Es sollte mir sehr lieb seyn, wenn wir aus Ihrer Dichtung mit einander ein rechtes Theaterstück herausarbeiten könnten. Ich bin jetzt um so neugieriger darauf und hoffe, ich werde es bald vornehmen können.“

Mit großer Beruhigung verließ Heinrich den einflußreichen Mann. Er fühlte, wie sich ihm der Boden unter den Füßen zusehends consolidirte, und freute sich nun auf den Besuch bei dem zweiten Regisseur, obwohl er in Folge der ihm gewordenen Charakteristik eine gewisse Scheu vor ihm empfunden hatte. Unmittelbar verfügte er sich zu ihm.

Eingetreten in eine Stube, die eine ziemlich malerische Unordnung verrieth, wurde er von einem länglichen, hageren Mann willkommen geheißen, in dessen Gesicht und Accent ein sarkastischer Ausdruck stehend geworden war, so daß nun auch die Versicherung seiner Freude, den Autor des eingegangenen Theaterstücks kennen zu lernen, einen unverkennbar ironischen Klang hatte. Heinrich, dem sich dieß aufdrängte, fühlte sich etwas aus der Fassung gebracht, und es wurde ihm noch unheimlicher, als der Regisseur ihn mit einer Miene betrachtete, welche, durch alle äußere Freundlichkeit hindurch, zu sagen schien: „Der sieht mir auch aus, als ob er uns Zeug brächte, das niemand genießen kann!“

Seiner anderweitigen Protektionen gedenkend, faßte sich aber der Poet und empfahl seine Dichtung mit Würde, indem er hinzufügte: die Urtheile, die er schon darüber vernommen, berechtigten ihn zu der Hoffnung, daß sie auch dem Herrn Regisseur nicht ganz mißfallen werde. — „O,“ rief dieser mit Emphase, „davon bin ich überzeugt! — Auch die Presse,“ fuhr er nach einem Schweigen mit bedeutsamem Blick fort, „hat auf das Stück bereits aufmerksam gemacht —“ — „Aber ohne daß ich dazu Veranlassung gegeben,“ fiel Heinrich ein. „Ich wurde selber davon überrascht.“

Mit einem Gesicht, welches vergnügten Unglauben ausdrückte, entgegnete der Schauspieler: „Fällt mir nicht ein, das anzunehmen! Man kennt ja die Herrn Feuilletonisten und ihre Art voreilig zu protegiren, um hinterdrein — Nun, ich bin auf Ihre Dichtung gespannt und zweifle nicht, daß sie vortrefflich seyn wird. Aber ich muß Ihnen doch gestehen: Tragödien sind eigentlich nicht mein Fach, und, um Alles zu sagen — auch nicht meine Passion. Sie sind schwierig zu lernen, kostspielig in Scene zu setzen und lohnen sich selten.“

„Wenn aber eine einschlägt,“ warf Heinrich ein, „dürfte sie doch —“ — „Ein Gewinn seyn?“ ergänzte der Andere, indem er ihn heiter fixirte, „ja. Und wenn ich das der Ihrigen ansehe, ist Ihnen meine Empfehlung gewiß.“

„Tragödien,“ fuhr der Poet nach leichtem Kopfneigen mit halbem Lächeln fort, „können am Ende doch nicht ganz vom Repertoire ausgeschlossen werden.“ — „Natürlich nicht,“ erwiederte der Regisseur. „Was würden wir da mit unsern Tragikern — unsern Heldenspielern und Heroinen anfangen? Und sogar das Publikum will hie und da noch ein neues Trauerspiel sehen.“ — „Zur Abwechslung,“ setzte der Poet hinzu, der auf die Manier des Mannes einzugehen anfing. — „Ja wohl,“ versetzte der Andere, „und am Ende aus alter Gewohnheit. Aber sie müssen selten kommen — immer seltener —“ — „Bis sie endlich ganz verschwinden können!“ setzte der Poet halb fragend hinzu. — „Ich meinerseits,“ entgegnete der Schauspieler, „würde mich zu trösten wissen.“

Heinrich, der im Regisseur nun deutlich die lustige Person erkannte, lachte und jener schien das wohl aufzunehmen. Er sah den Poeten freundlicher an und fuhr dann mit einer gewissen Bonhomie fort: „Sie dürfen diese Aeußerungen nicht so schlimm aufnehmen, Herr Doctor. Jeder liebt am Ende, was er kann und womit er Ehre einzulegen hofft, und meine Sphäre ist die Komödie, das Conversationsstück, und was so drum herum liegt. In Tragödien kommt höchstens einmal ein Bösewicht an mich, der mehr drolliger Schuft als erhabener Verbrecher ist, und größere Ansprüche kann ich auch nicht erheben. Abgesehen davon, daß das Erhabene nicht mein Fach ist, so besitzen wir hier für die große Gattung einen Mimen, der schon durch sein Auftreten und den Schauerblick seines rollenden Auges dem Publikum Grauen einflößt, und wenn dieser in Ihrem Stück eine Rolle hat, gratulire ich Ihnen im voraus. Eine edle, tugendhafte Partie in einem Trauerspiel ist für mich geradezu ein saurer Apfel, in den ich nur beiße, wenn’s eben nicht anders geht. So ist mir der Sinn für die Tragödie, den ich in meiner Jugend wohl auch gehabt habe, fast gänzlich entschwunden, und ich fühle leider, daß ich auch die hochpoetischen nicht ganz so schätzen kann, wie sie’s verdienen. Indessen,“ fügte er mit einer Miene hinzu, die es fast bis zum Ernst brachte, „meine Pflicht verlangt, den ehrenvollen Ruf und den Vortheil der Bühne im Auge zu haben, und wenn sich dieß mit Ihren Wünschen vereinigen läßt — zählen Sie auf mich!“

Der Dramatiker, durch das launige Bekenntniß ergötzt und die ernstliche Zusage ermuthigt, reichte dem Künstler dankend die Hand und beide schieden mit beinahe freundlichen Empfindungen, jedenfalls unter cordialen Betheurungen.

„Auch das,“ sagte der Poet auf der Straße zu sich, „ist besser gegangen, als es zuerst das Aussehen hatte. Nun, der Poesie kann am Ende niemand widerstehen, und wenn er sich dem Stück hingibt —“ Er sah geradeaus und seine Miene erhellte sich froh: in einer jungen Dame, die auf ihn zukam, hatte er Rosa erkannt. Grüßend trat er zu ihr und betrachtete sie verwundert. Aus ihrem Gesicht sprach eine Freude und eine Güte, die es glänzend verschönten, und zugleich ein höherer Ernst, als er je an ihr wahrgenommen hatte.

„Es freut mich sehr,“ antwortete sie auf den Gruß, „daß ich Sie treffe! Ich hab’ Ihre Tragödie gelesen — anderthalb Acte —“ — „Nun?“ rief Heinrich, dessen Herz zu pochen anfing. — „Ich wünsche Ihnen Glück von ganzem Herzen! Was ich bis jetzt kenne, hat mich außerordentlich angezogen; es ist ein förmlicher Zauber, und wenn das so fortgeht —“ — „O,“ rief Heinrich, an weitere Scenen denkend, mit inniger Ueberzeugung, „es muß noch besser kommen!“ — „Nun,“ versetzte sie, „dann kann ich wenigstens nur an einen vollständigen Erfolg auf dem Theater glauben. — „Ah,“ rief der Autor, dem ein Strom der Wonne durch die Brust ging, „das ist heute ein glücklicher Tag!“

Er berichtete ihr in Kürze über seine Besuche und ließ deren Ergebniß unbewußt im besten Licht erscheinen. Rosa’s Gesicht erheiterte sich und sie rief: „Das geht ja gut über Erwarten! Vor Berger (so hieß der Regisseur des Lustspiels) brauchen Sie nicht bange zu seyn. Wenn ein Trauerspiel wirklich ergreift und fortreißt, hat auch er Respekt davor, und überhaupt ist er nicht so schlimm, wie er aussieht. Ich gestehe Ihnen, ich freue mich außerordentlich, das Stück zu Ende zu lesen und dann mit Ihnen darüber zu sprechen. Diese Woche bin ich freilich sehr beschäftigt, aber in der nächsten hoffe ich damit fertig zu werden.“ Sie grüßte den Autor mit dem Blick einer Schwester und ging dem Theater zu, wohin sie eine Probe rief.

Heinrich sah ihr nach und wandte sich nur zögernd um. „Eine wahre Freundin!“ rief er weitergehend. „Sie nimmt wirklichen Antheil an mir und meinem Schicksal. Wie schön, daß ich sie gefunden habe!“

Das Glück des Poeten war aber heute im Zug und die Fülle seiner Gaben noch nicht erschöpft. Als er nach Hause kam, fand er ein Schreiben von Auguste. Er erbrach es mit hastigem Finger, las und seine Mienen sagten: das ist mehr, als ich verdiene! Die Stellen, die ihn am meisten erfreuten, lauteten:

„Auf deinen lieben, schönen, poetischen Brief hätt’ ich dir schon früher geantwortet, wenn ich nicht mit der Mutter acht Tage auf Besuch bei Vetter Kronfeld gewesen wäre, der, wie du weißt, seine Fabrik eine halbe Tagereise von uns hat. Die Leute sind reich, gastfrei und waren gegen uns besonders freundlich. Der alte Herr, der mich längere Zeit nicht sah, hat mich förmlich in Affektion genommen, und ich mußte ihm beim Abschied versprechen, nächstes Frühjahr auf längere Zeit wiederzukehren, um, wie er sich ausdrückte, seiner Tochter (die der Mutter nachschlägt und etwas in sich gekehrt und kopfhängerisch ist) zum Vorbild zu dienen. Wie viel Vergnügen wir aber dort hatten, ich bin jetzt doch auch wieder herzlich froh, zu Hause zu seyn, und benutze die erste freie Stunde, um dir zu schreiben.

„O Heinrich, du bist gut, und ich wünsche über Alles, daß es dir auch gut gehe und du für dein Streben, deinen Fleiß und deine Ausdauer nach Verdienst belohnt werdest. Gewiß, niemand in der Welt kann sich mehr über dein Fortkommen und das Gelingen deiner Pläne freuen. Wie schön wäre es, wenn du unsern rechnenden Kaufleuten beweisen könntest, daß man sich auch durch poetische Arbeiten eine ehrenvolle Existenz zu schaffen vermag — von dem Ruhm des Namens zu schweigen. Und warum sollte es nicht möglich seyn? Dir trau’ ich zu, daß du alle Zweifler beschämen wirst.

„Die Schilderung der Bekanntschaften, die du gemacht hast, war von großem Interesse für mich; das Benehmen des Professors hat mich aber in deinem Namen recht geärgert. Unser guter Rektor, dem ich’s vorhielt, lachte und sagte zu seiner Entschuldigung nur: „Ich meinte, er hätte sich gebessert; nun scheint es aber nach den Angriffen, die sein letztes Buch erfahren hat, mit ihm noch ärger geworden zu seyn. Es schadet nichts. Unser Dichter wird Freunde genug finden und den Zopf entbehren können.“

Daß sich die Schauspielerin für dich interessirt, ist sehr gut. Mache dir nur Freunde und cultivire alle Bekanntschaften, die dir nützlich werden können, denn der Werth der Leistungen reicht allein noch nicht aus, man muß auch die Gunst der Menschen dazu gewinnen, und da darf uns kein Gang und keine Artigkeit reuen. Aber, aber! — die schöne Künstlerin, die „einem andern gefährlich werden könnte,“ läßt mich doch auch für dich nicht ganz ohne Sorge! Wirst du immer so „gefeit“ seyn, wie du mir schreibst? Bist du deines poetischen Herzens so ganz sicher? Doch, es ist mir eigentlich nicht ernst mit diesen Reden. Du bist die treueste, ehrlichste Seele, ich kenne dich und ich vertraue dir. Lebe wohl! Versäume nichts, was deinem Unternehmen dienlich seyn kann. Dein Stück, wenn es nur gegeben wird, muß dem Publikum gefallen. Schreibe mir bald wieder.“

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