XII.

Vierzehn Tage waren hingegangen, seitdem Rosa von der Intendanz die ehrende Aufforderung erhalten. Die Vorstellung des Dramas, in welchem sie die Hauptrolle geben sollte, hatte stattgefunden und sie darin eine Kraft, Leidenschaft und Kunst entwickelt, daß die Kenner mit Staunen folgten und das Publikum den aufgeregtesten Beifall spendete. Der Sieg war vollkommen und bildete denn auch andern Tags den Hauptgegenstand der Unterhaltung in den feineren Kreisen der Stadt.

Rosa, indem sie den früher schon gelungenen Versuch in überraschender Vollendung wiederholte, hatte ihre Begabung für die höhere Sphäre der strengsten Kritik dargethan. Die Verwandlung ihres Herzens und Willens im Bunde mit der angesammelten Erfahrung hatte neue Fähigkeiten in ihr zu Tage gebracht und nicht nur ihrer Gestalt und Miene einen edleren, heroischeren Ausdruck, ihrem Spiel mehr Feuer, Innigkeit und Schwung verliehen, sondern auch ihre Stimme umfangreicher und tönender erscheinen lassen. So wahr ist es, daß die physischen Mittel abhängen vom Geist, ein erhöhtes Wollen auch sie erhöhen und die unzureichend scheinenden zureichend machen kann.

Es war der Künstlerin doch eine große Genugthuung. Ein süßes Gefühl der Macht durchdrang sie, und am Abend während der Vorstellung, am andern Tag bei Besuchen glückwünschender Verehrer empfand sie die reinste Freude. Sie hatte sich’s ausgedacht, alle ihre Kräfte aufgerufen und zusammengenommen und das Bild ihrer Seele auf der Scene verwirklichen wollen; aber wer stand ihr gut dafür, daß sie es auch konnte? Nun mußte sie dem Beifall der Zuschauer, der allgemeinen Stimme glauben und durfte die Leistung für gelungen halten.

Nach und nach sank die bewegte Fluth, Ruhe kam in ihr Herz und die Befriedigung ihrer Seele gewann einen Charakter des Ernstes, von dem sich eine stille Melancholie nicht abhalten ließ. Die Grundempfindung war doch eine beglückende. Die innere Vertiefung wurde von ihr als ein Zuwachs ihres Wesens, als dauernder Gewinn empfunden.

Als sie am dritten Morgen aus ihrem Stübchen in’s Zimmer trat, fand sie die Mutter eifrig lesend. Verschiedene Zeitungen waren eingegangen, die sämmtlich das Lob der Tochter verkündeten, und die gute Frau schwelgte eben in einem wahren Hymnus, in den sich die gefürchtete Feder Emil Schilfs ergossen hatte. Dieser Gute konnte, wenn nicht höhere Motive entgegen traten, eben so tapfer preisen wie schmähen, und dießmal, von dem Spiel Rosas bezwungen, hatte er sein Feuilletongenie in einem Panegyrikus blitzen lassen, daß die Mutter Edelsteine und Perlen zu lesen glaubte. Mit leuchtenden Augen ging sie auf die Tochter zu, meldete ihr die Vollendung des Triumphs durch die Presse und küßte sie unter Thränen der Freude. Sie war über den Erfolg noch glücklicher, jedenfalls stolzer als Rosa, und ihre Mienen hatten zugleich etwas Geheimnißvolles, als ob aus dem umgedrehten Füllhorn noch eine Spendung zu erwarten wäre.

Zunächst beschäftigte sie ein anderer Gedanke. Nach einem Moment des Besinnens ernst geworden, faßte sie die Hand der Tochter und sagte: „Du hast Alles erreicht. Du hast gezeigt, daß du eine Künstlerin bist; die schärfsten Kritiker setzen dich schon den berühmtesten Namen an die Seite. Schau nun aufwärts, mein Kind! Widerstehe deiner Schwäche! Bezwing’ eine Leidenschaft, die an deinem Herzen zehrt! Vergiß ihn, der ohne Zweifel dich vergessen hat!“

Rosa hatte ernsthaft gehorcht. Bei den letzten Worten, ungläubig oder gegen den Gedanken sich wehrend, schüttelte sie den Kopf. — „Wie!“ rief jene, mit einem Anflug von Unmuth; „du zweifelst noch? Kommt er auch nur dazu, uns, die wir Alles für ihn gethan haben, ein paar Zeilen zu schreiben? Er denkt nicht an dich! Er lebt seiner Braut — oder seiner Frau. Er ist aufgegangen in seinem Glück — und wem verdankt er’s?“

„Du bist ungerecht, Mutter,“ entgegnete die Tochter mit dem Humor eines melancholischen Herzens. „Wem verdanke denn ich mein Glück? — wem verdank’ ich den Triumph, den ich gefeiert habe? Offenbar Ihm, wie du selber zugeben mußt, seiner Liebenswürdigkeit — was mir nämlich so vorkam — und seiner Lieblosigkeit! Beide mußten zusammen kommen, um mich zu der Schauspielerin zu machen, die nun vom Publikum und den Journalen gefeiert wird. Gestehen wir’s uns jetzt,“ fuhr sie nach einem Moment fort, indem sie ihr launig in’s Auge sah, „ich war in der That ein oberflächliches Ding. Possen zu machen war meine Kunst und mein Bestreben. Die Soubrettenrollen hatten mir nach und nach eine Frivolität beigebracht, daß mir der ehrlichste Ernst bereits anfing pretentiös zu erscheinen. Ich war leichtfertig und kalt — ja, auch kalt! In den besten Momenten war’s doch nur soso, und nicht das Rechte. Nun ist Alles anders geworden, und wenn ich wieder eine Rolle von der lustigen Gattung bekomme, werde ich auch diese feiner und schöner spielen. Es war eine Schickung,“ fuhr sie mit einem unterdrückten Seufzer fort, „und der Hauptvortheil ist auf meiner Seite. Also keinen Seitenhieb auf ihn — das bewußtlose Werkzeug meines guten Genius! Laß ihn das Glück genießen, das er um mich gar wohl verdient hat! Und wenn er uns dabei vergißt — dem Glücklichen, wie du weißt, schlägt keine Stunde.“

Die Mutter schüttelte den Kopf, indem ihre Augen feucht wurden. „Ich würde dich,“ entgegnete sie, „für das edelste Geschöpf der Welt erklären, obwohl du mein Kind bist, wenn ich nicht wüßte, daß die Liebe in allen Geschöpfen großmüthig ist. Du sprichst zu seinen Gunsten? Du liebst ihn also noch! — O Welt, o Welt!“

„Was hast du nur dagegen?“ versetzte Rosa mit Lächeln. „Wenn die Liebe großmüthig und edel macht, dann ist’s ja genug, zu lieben und die Vortheile davon zu haben. Ist edle Gesinnung nicht die Hauptsache? Und wenn zu ihr die bloße Liebe führt, wozu bedarf es da noch des Geliebtwerdens?“ — „Geh!“ rief die Mutter, halb gerührt, halb unwillig, „du bist eine Thörin!“ — „Das edelste Geschöpf,“ entgegnete Rosa, „eine Thörin?“ — „Allerdings,“ versetzte die Mutter, „eine Schwärmerin, von der ich sorgen muß, daß sie ihr Lebensglück versäumt, indem sie ein unerwiedertes Gefühl wie ein Heiligthum pflegt. Doch, ich hoffe, die Zeit wird das Ihre thun. Du bist noch jung, und was du dir auch einbilden magst, ehe Monate dahingegangen sind, wird diese Leidenschaft dir erscheinen wie ein Traum, über den man lächelt, wenn man erwacht. Du wirst die Augen aufmachen und endlich den Mann finden, der dich wieder liebt.“

Rosa, mit einer ablehnenden Bewegung, hemmte die Fortsetzung. „Es mag seyn,“ erwiederte sie nach einem Moment. „Bis jetzt hab’ ich aber nichts dergleichen im Sinn und das Träumen ist mir noch lieber als das Wachen. Lassen wir’s und erwarten wir alles Uebrige von der Zeit! Ich bin wirklich zufrieden; ich habe meine Plane als Schauspielerin und will die gute Gelegenheit benutzen, um noch einige Rollen zu spielen wie die so gut gelungene und so viel gepriesene. Ich werde sie bekommen — was will ich mehr?“

Die Mutter nickte und schwieg. Sie trat auf die Seite, machte sich an einem Schrank etwas zu thun und betrachtete dann die nachdenklich Dastehende mit einer eigenthümlichen Mischung von Trauer und Hoffnung, als plötzlich die Klingel ertönte und nach einigen Sekunden die Köchin mit einem Brief erschien „an die gnädige Frau.“ Diese erbrach ihn, las und ihre Wangen rötheten sich; mit Mühe hielt sie eine triumphirende Empfindung nieder, die sich auf ihrem Gesicht ausdrücken wollte, und sagte zu Rosa mit Lächeln: „Ich muß ausgehen! Studire derweil die Blätter.“ — „Wohin gehst du?“ fragte Rosa. — „Vorderhand,“ erwiederte die Frau, „bleibt das mein Geheimniß.“ — „Ah!“ rief jene, „du hast Geheimnisse vor mir? Das ist etwas Neues!“

Mit einem liebevollen Blick entgegnete die Mutter: „Nicht gegen dich, mein Kind, wie du dir denken kannst, sondern für dich! Für dein Glück — dein wahres Glück —“ — „Nun,“ versetzte Rosa mit einem Aufschauen des Argwohns, „ich hoffe nicht —“ — „Keine Sorge!“ unterbrach sie die Frau kopfschüttelnd. „Deine Freiheit soll dabei nicht angetastet werden.“ — „Dann,“ erwiederte jene, „thue, was du vorhast, und mögen deine Bemühungen gesegnet seyn!“

Die Mutter verließ die Stube. Rosa trat zu dem runden Tisch, nahm eine Zeitung und las. Ihre Züge erhellten sich. „Es thut doch wohl, ausgezeichnet zu werden,“ sagte sie endlich; „zumal von einem, dem sonst nichts gut genug ist und der lieber verwundet — um seinem Namen Ehre zu machen. Sonderbare Menschen! Die besten können die schlimmsten und die schlimmsten die besten werden! Sogar auf die Bosheit kann man sich heutzutag nicht mehr verlassen!“

Sie ergriff ein anderes Blatt, und schon die ersten Zeilen entrissen ihr einen Ausruf der Verwunderung. Es war der Preisgesang von Schilf, der mit seinen humoristisch-pathetischen Sprüngen auf die klare Seele der Gefeierten nur einen sonderbaren Eindruck machen konnte, aber sie doch erheiterte und vergnügte. Sie schüttelte den Kopf und lächelte. „Welche Bekehrung!“ rief sie zuletzt; „und was ist gegenwärtig nicht Alles möglich!“

Das Blatt weglegend, als ob sie von Lob gesättigt wäre, suchte sie unbewußt die Bank in der Laube auf. Ihr Herz verlangte zu träumen und gewissen Gedanken sich hinzugeben. Eine Rede der Mutter hatte sie getroffen. „Es ist in der That auffallend,“ sagte sie sich, „daß er nicht einmal schreibt — einige wenige Zeilen schreibt! — Hat er uns wirklich vergessen im Hause der Braut — oder der Frau? Undankbar ist er doch sonst nicht gewesen; im Gegentheil, er konnte mit seinen Danksagungen ordentlich zur Last fallen. Aber allerdings,“ fuhr sie mit einem traurigen Lächeln fort, „aus den Augen, aus dem Sinn, das ist ein bewährter Spruch. Das Glück entrückt den Geist, und das Erste, was wir dabei vergessen, ist die Pflicht, die leidige Pflicht.“ Innehaltend schaute sie vor sich hin. Dann sagte sie: „Oder wär’s doch anders? Hätte ihn das Glück vielmehr belehrt und ihm die Augen geöffnet über mich und meine Gefühle? Hätte er hinterdrein erkannt, daß ich ihn liebe, leidenschaftlich liebe, und wollte er mir durch eine Schilderung seliger Tage nur nicht wehe thun? Möglich auch das! und das stimmt mehr zu seinem Charakter!“

Sie schwieg und schien sich in eine Vorstellung zu vertiefen. Auf einmal erhob sie den Kopf und rief: „Sachte, Phantasie! Nach Glück ausschauen heißt sich Unglück holen! Machen wir aus der Noth eine Tugend,“ fuhr sie mit ruhiger Entschlossenheit fort. „Gönnen wir jener ihr Glück und befassen wir uns mit der vielgerühmten Entsagung! Am Ende bleibt mir mein Geist — wie ich hoffe, auch mein Humor — und die Kunst, das göttliche Gefäß, in das ich mein Herz, wenn es zu voll und zu schwer geworden, immer wieder ausströmen kann.“

Sie stand auf und sah auf die Thüre. Ein Verlangen, die Mutter zu sehen, erhob sich in ihr — eine Neugier, was sie vorhaben möge. Auf einmal ertönte die Klingel, von kräftiger Hand gezogen. War das nicht ein Klingeln, wie —? Ohne zu wissen, was sie that, mit schauerndem Herzen, ging sie zur Thüre und öffnete sie, während die Magd eben die äußere aufmachte. Ein Schrei der Ueberraschung entfuhr ihr. „Heinrich Born!“ rief sie. „Sie kommen selbst?“ — Heinrich, der eingetreten und auf den Ruf still gestanden war, grüßte mit einem Ernst, den man feierlich nennen konnte, ging in’s Zimmer und gab ihr die Hand.

Rosa, nach der Ueberzeugung, die sie haben mußte, erkannte die Nothwendigkeit, ihn als liebende Freundin, als Schwester zu empfangen; sie raffte all ihre Kraft zusammen, und ihr Herz, wie mächtig es klopfte, fügte sich. „Nun,“ fragte sie mit gutmüthigem Lächeln, „Sie sind glücklich? Haben Alles nach Wunsch getroffen, und — Erzählen Sie mir! Sie wissen, welch innigen Antheil ich nehme.“

Heinrich stand betreten, verdüstert. Rosa, vergebens auf eine Antwort harrend, fuhr fort: „Was ist Ihnen? Das Glück macht ernst, ich weiß es — Aber Sie haben ein Aussehen — — Sind Sie nicht glücklich?“ — „Nein,“ erwiederte Heinrich mit traurigem Ton. — „Wie!“ rief das Mädchen. „Sind Sie nicht mit Auguste verheirathet? oder werden heirathen?“

„Nein,“ rief jener, indem er bitter den Mund verzog. „Das Verhältniß ist gelöst. Sie hat für gut gefunden, einen Andern — einen Reichen zu beglücken und wird nächstens —“ — „Ah!“ rief die Liebende, jäh bestürmt von den widersprechendsten Empfindungen, aber nach einem blitzähnlichen Gefühl der Freude doch mit einem Ernst des Bedauerns in ihrem Gesicht. „Sie sind betrogen — und unglücklich?“ fuhr sie mit dem Tone des Mitleids fort.

„Betrogen und unglücklich — ja,“ versetzte Heinrich; „aber unglücklich nicht durch den Betrug, sondern durch die unverantwortliche Selbsttäuschung, in der ich befangen und so sicher gewesen bin. Wie ist es möglich, daß ein Mensch eine solche Zeit in solcher Verblendung lebt? Was kann so einer noch von sich selber erwarten?

Rosa, durch den bittern und traurigen Ton dieser Antwort getroffen und irre geführt, sagte mit Ernst: „Der Glaube an eine Liebe, die man Ihnen so lang und so gut geheuchelt hat, kann Sie nicht beschimpfen. Er verräth nur ein liebendes, treues Herz, das auch Andere der Treue fähig hält, und das ehrt Sie und Sie können stolz darauf seyn. Trösten Sie sich,“ fuhr sie mit Güte fort. „Wenn es nicht der Verlust ist, der Sie unglücklich macht, dann fangen Sie nur wieder mit neuem Muth an zu leben! Unternehmen Sie eine Arbeit! Sie gehören ja zu den Glücklichen, die in ihrer Kunst den Balsam haben für die Wunden der Seele! Und wenn es ein Trost für Sie seyn kann, meine — unsere Freundschaft bleibt Ihnen. Wir sind nach wie vor bereit, Ihnen zu dienen und zu helfen, wo wir können.“

Die freundlichen Worte hatten auf den Ermahnten einen wohlthuenden und rührenden Eindruck gemacht. Er wollte reden; aber plötzlich, wie von einem heimlichen Gedanken getroffen, wandte er sich heftig weg. Das Mädchen sah ihn erstaunt, bestürzt an. „Was ist Ihnen?“ rief sie. „Hab’ ich etwas gesagt, das Sie beleidigt?“ — „Nein, nein!“ rief Heinrich in tiefer Erregung. Er schwieg, faßte sich wieder, und sagte mit traurig entschiedenem Ton: „Fragen Sie mich nicht! Ueberlassen Sie mich meinem Schicksal. Mir ist nicht mehr zu helfen.“

„Also doch!“ erwiederte Rosa nach einem Moment des Schweigens, mit einem Ausdruck des Mitleids und der Betrübniß. „Sie verzweifeln, und können und wollen keinen Trost annehmen! Aber Sie sind ungerecht! Wenn Ihnen die Geliebte untreu geworden ist, dürfen Sie deßwegen der Freundin untreu werden? Das finde ich nicht schön gehandelt!“

Heinrich, mit sich selber kämpfend, stand ein Raub schmerzlich verwirrter Empfindungen. — „Ermannen Sie sich!“ fuhr das Mädchen liebevoll mahnend, wie zu einem Kranken fort. „Versuchen Sie, was eine neue Beschäftigung und der Umgang mit treuen Freunden vermag! Ich weiß wohl,“ setzte sie mit einem Schein traurigen Lächelns hinzu, „die Freundschaft ist kein Ersatz für verlorene Liebe; aber etwas sollte die unsere, die ja nicht von gestern ist, doch vermögen. Wenn nicht das Glück, so sollten Sie doch die Ruhe der Seele bei uns wieder finden können.“

Heinrich, mit unwillkürlichem Widerspruch, schüttelte den Kopf. „Wie!“ rief das Mädchen, nicht ohne ein Gefühl der Kränkung ihrerseits; „auch das nicht? Sie sind also unheilbar? Sie wollen es seyn?“

Der so wunderbar Verkannte sah sie an. Eine Rührung übermannte ihn, und in ihr kam unaufhaltsam ein Schmerzensblick der Liebe aus seinem Auge. Obwohl er ihn so schnell als möglich in einen Blick des Bedauerns, der Bitte um Vergebung wandelte, so hatte ihn Rosa doch bemerkt und ahnte die Wahrheit. Unmöglich war es ihr, von ihrem Antlitz einen Schein der Freude, von ihrem Blick ein Leuchten der Liebe zurückzuhalten. Aber noch war es nicht gewiß, noch war es nicht ausgesprochen, und sie konnte sich irren. Mit ernstem, herzlichem Ton fuhr sie fort: „Ihr Benehmen ist sonderbar. Die kränkende Behandlung, die Sie erfahren haben, macht Sie nicht unglücklich, sagen Sie? und doch geberden Sie sich wie einer, der es ist. Sie geben sich für verloren, unrettbar verloren; und wenn man Ihnen Trost einsprechen will in der besten Meinung, wenden Sie sich wie beleidigt ab. Sie sind also noch immer unglücklich! Warum?“

„Weil — weil —“ rief der Gedrängte, wie einer, der nicht länger an sich halten will. Aber als ob ihm die Zunge plötzlich den Dienst versagte, schwieg er dennoch. Dann, mit großer Anstrengung den Tumult der Seele niederhaltend, erwiederte er: „Mein Fräulein, beste Freundin! ich habe Sie nach meiner Rückkehr besuchen und begrüßen wollen; aber ich sehe, daß ich in einer unsinnigen Stimmung bin, daß ich mich vor Ihnen wie ein Thor benehme, und es ist meine Pflicht, Sie von diesem Anblick zu befreien. Ich bin zu Ihnen gekommen mit Vorsätzen, die ich nicht halten kann. Vergeben Sie mir, und leben Sie wohl!“

Er wandte sich, um zu gehen; allein Rosa, die jetzt nicht mehr zweifeln konnte, erröthend, mit einem Ausdruck um die Lippen, dessen Ernst das Entzücken der Seele nur einigermaßen zu dämpfen vermochte, rief: „Bleiben Sie! Reden Sie! antworten Sie aufrichtig und ohne Rückhalt! Warum?“

„Weil,“ rief Heinrich, und stockte noch einmal. Aber nun antwortete besser, schöner und rührender ein Blick der Liebe und Verehrung, der aus der tiefsten Seele kam, und Thränen, die in seinen Augen glänzten.

„Weil Sie mich lieben!“ rief mit leuchtendem Antlitz das Mädchen. „Weil Sie mich lieben!“ wiederholte sie, „und weil Sie glauben, ich hegte für Sie nur Gefühle der Freundschaft! Ist’s nicht so?“

„Ja!“ rief Heinrich erschüttert. „Ja, weil ich Sie liebe und Ihrer nicht werth bin! Das ist der Grund! Und nun strafen Sie mich für meine Anmaßung, verschmähen Sie mich!“

Das Mädchen erwiederte süß lächelnd: „Das werd’ ich nicht thun, lieber Freund! Ich freue mich allzusehr über diese Bekehrung —“ — „Wie,“ rief Heinrich, „Sie könnten verzeihen?“ — „Ich habe Sie geliebt,“ erwiederte sie, „vom ersten Tag an, wo ich Sie sah. Bei der ersten Begegnung schon regte sich’s in meinem Herzen!“

Heinrich, der voll Entzücken gehorcht hatte, faßte sie bei den Händen und drückte sie zärtlich. Auf einmal rief er bestürzt: „Himmel! und mit dieser Gesinnung haben Sie die Lobpreisungen der Andern gehört?“ — „Nun,“ erwiederte sie, „ich will’s Ihnen nur gestehen: das hat mir auch wirklich manchmal Kummer gemacht.“ — „Und doch!“ rief Heinrich ergriffen. „Sie sind das liebenswürdigste und beste Geschöpf, das mir auf dieser Welt begegnet ist! Gott sey gepriesen, daß er mich Sie finden ließ! — Und Sie könnten — Sie wollten die Meine werden?“

Rosa, indem ein seliges Licht ihr Antlitz verklärte, erwiederte: „Da es nun doch einmal heraus ist, ja! Und von Herzen gern!“

Nun hatte der Glückliche keine Worte mehr. Er umfing die Geliebte und küßte die Lippen, die so lieblich entschieden hatten, mit dem Feuer der innigsten Leidenschaft, mit Thränen der Rührung und der Freude. Rosa schauerte zusammen. Endlich, endlich fühlte sie die Seligkeit der Gegenliebe!

Aus dem Wonnerausch, in den ihr ganzes Wesen getaucht war, sich erhebend und den Geliebten mit nassen Augen zärtlich ansehend, rief sie: „Wie schön ist Alles gegangen! Ich würde mir nichts nehmen lassen von dem, was ich erduldet habe! Zum glücklichen Leben bleibt uns noch Zeit genug, und es thut wahrhaftig gut, wenn man vorher etwas ausgestanden hat! Wie wird sich die Mutter freuen! — die Mutter,“ setzte sie horchend hinzu, „die, wie ich höre, so eben die Thüre aufschließt!“

Einen Moment später erschien die gute Frau, und zwar mit großer Genugthuung, im Zimmer und wollte eben reden, als sie den Poeten erblickte und ihn überrascht ansah. „Doctor Born!“ rief sie, „Sie sind hier, mit Frau Gemahlin?“

Heinrich schüttelte erröthend, lächelnd den Kopf und ging auf sie zu, ihre Hand zu fassen. Rosa, mit anmuthiger Heiterkeit, antwortete für ihn: „So gut ist’s uns nicht geworden! Man hat sich für einen Andern, einen Reichern entschieden; als der Poet kam, war die schöne Hand vergeben und die gepriesenen Lippen der Angebeteten wünschten ihm glückliche Reise. So ist er nun wieder hier, ein armer Betrogener, mit wundem Herzen Trost suchend bei seinen Freunden in der Residenz, welche sich dießmal ausnahmsweise etwas herzlicher benommen haben, als die Leute draußen im Land, wo die Biederkeit zu Hause ist.“

Die Mutter sah von einem auf’s andere, sah die Gesichter glücklich, die Augen strahlend von Liebe, und ahnte, wußte die Wahrheit. Rosa nickte der gerührt Blickenden zu und sagte: „Du erräthst es, liebe Mutter! Ja, er hat sich bekehrt! er liebt mich, liebt mich so schön, wie man’s nur wünschen kann — und hat um meine Hand angehalten! Werden wir ihm einen Korb geben?“

Die Frau lächelte und schwieg: „Was du thun wirst,“ versetzte sie dann, „weiß ich nicht. Ich für meine Person hab’ einen Korb in Bereitschaft.“ — „Wie!“ rief Heinrich, einen Scherz erkennend, mit heiterer Frage. — „Den Korb mit dem Hochzeitsgeschenk,“ erläuterte die Gute, indem sie ein groß besiegeltes Schreiben hervorzog. — „Ah!“ rief die Tochter ahnend, „das ist dein Geheimniß?“ — „Allerdings,“ versetzte jene, indem sie ihr den Brief übergab. „Dein Erfolg von letzthin hat meine Bemühungen unterstützt: du bist aufgerückt und dein Gehalt beinahe verdoppelt!“

Rosa öffnete das Schreiben der einsichtsvollen Intendanz, überflog es und rief: „Tausend mehr — das ist stark! — Aber gut!“ setzte sie mit einem Blick auf den Poeten hinzu, — „sehr gut! Wir werden es zu brauchen wissen.“

Der Poet nickte erheitert, sagte dann aber: „Ich sehe, du meinst, ich selber bringe nichts als meine Lieder und meine Liebe! Erlaube mir, daß ich doch noch eine kleine Rente hinzufüge, die meine guten Eltern mir ausgeworfen haben — für den Haushalt.“ — „Wie schön!“ rief das Mädchen und faßte lächelnd seine Hand.

„Ich will es bekennen,“ fuhr Heinrich fort, „ich bin hierher gekommen mit einer Liebe, die ich zu verbergen entschlossen war; aber die Hoffnung ließ ich mir nicht völlig rauben. Ich wollte schweigen, aber schweigend die unendlich Geliebte zu verdienen, zu gewinnen suchen, wie lange es dauern mochte. Das hab’ ich meinen Eltern gestanden, und sie, welche die edelsten Seelen aus meinen Schilderungen kannten, gaben mir ihren Segen dazu. „Versuche dein Glück,“ sagte die gute Mutter zum Abschied; „eine bessere Frau wirst du in der ganzen Welt nicht finden.“ Und weil es denn doch eine Gnade gibt in der Welt, so hab’ ich sie gefunden und,“ setzte er mit liebendem Blick auf die Mutter hinzu, „zur besten Frau die beste Schwiegermutter!“

Diese gab ihm gerührt die Hand und Heinrich umarmte und liebkoste sie mit der Zärtlichkeit eines Sohnes. Die drei Glücklichen tauschten Reden und Bezeigungen der Liebe, als die Klingel wieder ertönte und gleich darauf Männertritte sich hören ließen. Die Thüre ging auf und es zeigten sich die beiden Regisseure mit Doctor Willmann.

„Gratulire, gratulire!“ rief der Heldenvater, der den Zug eröffnete. Als er bei den Damen auch den Poeten erblickte, setzte er überrascht hinzu: „Sie schon wieder hier? Und mit einer Miene — — was muß ich denken?“

Heinrich besann sich kurz, nahm die Geliebte bei der Hand und sagte: „Meine Herrn, erlauben Sie mir eine Vorstellung! Rosa Wendling, erste Liebhaberin der Hofbühne — meine Braut!“

Rufe des Staunens und der Freude antworteten auf diese Eröffnung. Nachdem Heinrich in der kürzesten Form erklärt hatte, wie es gekommen, folgten Glückwünsche unter frohem Beloben und Händeschütteln.

„Nun,“ rief Berger dem Poeten zu, „nun sind Sie fertig! Arm in Arm mit Ihr werden Sie das Jahrhundert in die Schranken fordern! Sie werden Schauspiele schreiben, Lustspiele —“ — „Und Tragödien!“ fiel Hallfeld ein. — „Diese letzteren,“ fuhr Berger fort, „wenn sie unvermeidlich entstehen, werden wir mit dem größten Interesse lesen.“ — „Und wenn sie gelesen sind und sich erprobt haben — spielen,“ setzte Hallfeld hinzu.

Berger sah Willmann an, der angenehm lächelte, und zuckte die Achsel. Heinrich versetzte: „Meine Freunde, ich habe Erfahrungen gemacht, die mir auch zu dramatischen Arbeiten sehr förderlich seyn werden. Alles, was Arbeit heißt, bleibt aber der Zukunft vorbehalten. Zunächst will ich glücklich seyn und Hochzeit machen, Hochzeit mit der edelsten und liebenswerthesten Braut, wie sie nur je der Glücklichste heimgeführt hat — wozu die Herrn freundlich geladen sind.“

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