I.

Auf der Besitzung des Baron Waldfels, in einem Thal des nordwestlichen Theils von Süddeutschland, war in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, an einem Tage, den man sich nicht wohl anders denken kann als schön, am Pfingstmontag, eine fröhliche Gesellschaft versammelt. Die Witterung war in der That höchst angenehm. Die Sonne, wiederholt durch leichte Wölkchen verschleiert, erwärmte die Luft nicht allzusehr, und doch glänzte die fruchtbare Gegend in den schönsten Farben des Frühlings. Ueber diese Gunst des Himmels war vor allen der Baron erfreut, der seit mehreren Tagen einen einflußreichen Mann und entfernten Anverwandten, den Grafen Warburg, bewirthete und heute durch ein Vogelschießen, das er dem guten Schützen zu Ehren in seinem Park veranstaltet, den bisherigen Festlichkeiten die Krone aufsetzen wollte. Wie es glückliche Tage gibt, so ging ihm dießmal auch alles nach Wunsch. Es hatten sich aus der Umgegend zahlreiche Gäste eingefunden, deren Namen und Titel zum Theil sehr wohlklingend waren. Die Schützen nicht nur, auch die Zuschauer und Zuschauerinnen, die an einer wohlbesetzten Tafel im Schatten einer Baumgruppe saßen, fanden sich bald in der heitersten Stimmung. Die Hauptsache war aber, daß keiner der Geladenen so unhöflich war, besser zu schießen als der Graf. Dieser machte bald nach einander Scepter und Reichsapfel fallen und kam dadurch in die freundlichste Laune. Der Wirth und die vorgestellten Gäste benutzten die Gelegenheit, das Geschick Seiner Excellenz auf das Wärmste zu bewundern und ihm darüber die zierlichsten Dinge zu sagen. Die ganze Gesellschaft wurde in eine freudige Aufregung versetzt, die eine geraume Zeit anhielt. Man schien sich glücklich zu preisen, so etwas mit angesehen zu haben.

Der Graf, der es liebte, sich nach allen Seiten hin einen guten Namen zu machen, hatte ausdrücklich gegen den Baron den Wunsch ausgesprochen, daß auch das Landvolk in den Park zugelassen werden möchte. Demgemäß hatte sich auf beiden Seiten des Grasplatzes, der den Schützen eingeräumt war, hinter nothwendig erachteten Planken eine bunte Menge von Bewohnern des herrschaftlichen und anderer benachbarter Dörfer im Sonntagsputz aufstellen dürfen. Die Bauern wußten natürlich, wer der König des Festes war, und vermöge jener verehrungsfrohen Theilnahme, die sich über alles beglückt fühlt, wenn ein Hochstehender sich auszeichnet, oder auch in Folge jener eben so volksmäßigen Schlauheit, die bei sich erwägt, welchen Nutzen möglicherweise eine gehörige Schmeichelei bringen könne, machte sich unter ihnen ebenfalls ein sehr lebhaftes Staunen über die Geschicklichkeit des Grafen laut. Wenn die einen Ausrufe des Triumphes hören ließen und aussahen, als ob sie selber den guten Schuß gethan hätten, so sagten andere, während der Gefeierte vorbei ging, für ihn vernehmlich, zu irgend einem Nachbar: „Das ist Einer! der versteht’s! Hast du schon so was gesehen? Da können sich die andern verkriechen“ u. s. w. Der Graf lächelte und schien über diese Art der Anerkennung nicht weniger erfreut als über die Glückwünsche der Schützen und der schönen Damen.

Alles das bewirkte, daß der Baron vor Genugthuung strahlte. Was kann es für einen gastfreien Mann auch Angenehmeres geben, als zu sehen, daß eine von ihm veranstaltete Festlichkeit gut verläuft? Das Anordnen ist unstreitig eine Kunst; aber zum Gelingen gehört außer der Kunst noch Glück. Beides, seine eigene Schöpfung und die Gunst des Augenblicks genießt der Wirth bei einem wohlgerathenen Fest mit einander; und wer bedenkt, wie selten wahre Fröhlichkeit in der Welt ist, wie sie gar oft auch da nicht erscheinen will, wo man sie mit pomphaften Veranstaltungen sucht, der wird die innige Zufriedenheit des Barons über ihre damalige Gegenwart um so begreiflicher finden. Herr von Waldfels gehörte zu den guten Naturen, die nicht nur fähig sind, sich von Herzen zu freuen, sondern denen die Freude auch wohl ansteht. Er war von stattlicher Größe und behaglicher Rundung. Ein schöner Kopf mit ziemlich hoher Stirn, nobler Nase und feinem Mund verrieth eben so wie seine Haltung den ächten Cavalier. Eine gewisse Röthe, die auf Kenntniß und Schätzung edler Getränke deutete, geziemte dem angehenden Fünfziger. Wer ihn heute sah, wie er mit unerschöpflicher Artigkeit den Wirth machte, wie er mit dem Schein der Absichtslosigkeit von einer Gruppe zur andern ging und jedem seiner Gäste, vom Grafen an bis zu dem geringsten derselben, ein passendes Compliment zu sagen wußte; wie er doppelt anmuthig und beglückt erschien, wenn er einer Dame den Hof machte; wie er gelegentlich auch einem Bauern oder einer hübschen Bäuerin einen Scherz zuwarf, der großes Vergnügen hervorrief, und mit Lächeln die Dorfbuben betrachtete, die sich in der Nähe der Tafel jubelnd im Grase wälzten — wer alles das auch nur als unbetheiligter Zuschauer gesehen, der würde ihn für einen ungewöhnlich liebenswürdigen Mann erklärt haben. Und daß diejenigen, die seine Kuchen aßen und seine Weine tranken, sich noch wärmer über ihn ausdrückten, begreift sich.

Als die Gesellschaft im besten Zuge des Vergnügens war, hatten sich zwei junge Leute von ihr entfernt. Sie wandelten in einer Allee unter einem prächtigen Laubdach hin und führten in gelegentlichen Fragen und Antworten nur ein abgerissenes Gespräch, schienen sich aber doch auf’s angenehmste zu unterhalten. Es war Arthur, der zwanzigjährige Sohn des Barons, und seine fünfzehnjährige Cousine, Anna, das einzige Kind einer Freifrau von Holdingen, welche heute bei dem verwittweten Baron die Honneurs machte. Arthur, der ein ziemlich geübter Jagdschütze war, hatte anfangs auch einige Kugeln nach dem Vogel gesendet, aber den Wettkampf um die von seinem Vater ausgesetzten splendiden Preise, wie billig, den Eingeladenen überlassen. Da er nun auch seinen geselligen Pflichten als Sohn des Hauses bereits genügt hatte, so konnte er wohl dem Verlangen nachgeben, mit seinem Bäschen ein wenig spazieren zu gehen.

Es hat einen eigenen Reiz, den Jubel eines Festes aus der Ferne zu vernehmen. Wir empfinden hier, was man die romantische Poesie des fröhlichen Lebens nennen könnte; wir athmen seinen zartesten und süßesten Duft ein. Sind wir ohnehin von einem schönen Gefühl bewegt, und lauschen wir an lieblich heimlicher Stelle, dann gleicht nichts dem Zauber, der bei solchen Tönen ungesehener Lust unser Herz erfüllt. Die beiden jungen Leute, wenn sie eine Fanfare hörten, die nach einem guten Schuß geblasen wurde, oder lautes Gelächter und frohen Lärm, wandten sich theilnehmend um und horchten. Sie sahen sich dann lächelnd an und freuten sich wechselseitig über ihr Vergnügen. „Wie schön ist heute Alles!“ rief zuletzt Anna mit einem Ausdruck des jugendlichen Gesichts, der das Fest mehr ehrte, als das geistreichste Lob. Arthur stimmte herzlich bei und sagte: „Es ist mir besonders lieb meines Vaters wegen, und daß der Graf sieht, wie vergnügt wir hier leben.“

Trotz der gerühmten Schönheit des Festes entfernte sich das Paar, einem unbewußten Zuge der Herzen folgend, immer weiter davon. Sie waren an der westlichen Grenze des Gartens angekommen und gingen in’s Freie. Den jungen Mann schien ein Gedanke zu beschäftigen, der zugleich inniges Wohlgefühl und Befangenheit auf seinem Gesicht hervorrief. Ein süßes und banges Geheimniß schien ihm zum erstenmal klar und klarer zu werden. Als das schöne Kind diesen Ernst wahrnahm, wurde sie gleichfalls ernster und sah mit einer gewissen Verlegenheit vor sich hin. So wandelten sie schweigend neben einander bis zum Fuß der Hügelreihe, die sich hinter dem Garten erhob und deren nächste Partien Eigenthum des Barons waren. „Wir wollen hinauf,“ sagte Arthur wieder freundlich und traulicher; „es ist schon lang, daß wir nicht mehr zusammen herunter gesehen haben.“ Das Mädchen, statt aller Antwort, ging ihm voran. Als sie auf dem Heidegras glitschte und einen leichten Schrei ausstieß, ergriff Arthur ihre Hand, um sie zu führen. Eine Röthe glühte in den beiden Gesichtern auf, die über den Zustand ihrer Herzen keinen Zweifel mehr ließ. Aus wechselseitigem Wohlgefallen war in den jungen Seelen eine Neigung aufgekeimt, die dadurch, daß sie einen kindlichen Charakter behielt, nicht weniger tief und innig war, eine Neigung, die sich jetzt in wonnigem Gefühl offenbarte und in ihrer Bedeutung von Arthur klar erkannt, von Anna wenigstens geahnt wurde. Der Jüngling schien von Dank gegen den Zufall erfüllt zu seyn, daß er ihm Anlaß gegeben, Annas Hand zu ergreifen. Denn zwischen Verwandten ist ein traulicher Verkehr allerdings natürlich, aber die Liebe verändert das erste, unbefangene Verhältniß. Das Mädchen, mit dem ein junger Mensch umging, wie mit einer Schwester, wird durch sie ein wunderbares, heiliges Wesen, dem er nur mit inniger Scheu, mit tiefer Verehrung nahen kann. Die Vertraulichkeiten, die er sich früher erlaubte, scheinen ihm jetzt die kühnsten Wagnisse, und unmöglich dünkt es ihm, eine Hand zu berühren, die er sonst mit vetterlicher Unbefangenheit ergriff. Dafür ist aber, was früher ein Spiel war, jetzt auch ein unendliches Glück, wohl werth in Demuth erharrt oder mit kühnem Entschluß erstrebt zu werden.

Während die beiden Glücklichen Hand in Hand emporsteigen, wollen wir einen kurzen Rückblick auf ihre Vergangenheit und ihre Lebensverhältnisse werfen.

Arthur war das einzige Kind des Barons. Seine Mutter, die aus einer Patricierfamilie stammte, erlag einer Krankheit, als er zehn Jahre alt war. In der nächstfolgenden traurigen Zeit hatte der Vater das Glück, für den Knaben einen vortrefflichen Erzieher zu erhalten, der in ihm neben dem Sinn für die Wissenschaft ein Interesse für das Nützliche und Gemeinnützige weckte und ein unbefangenes Urtheil, einen festen Charakter in ihm ausbildete. Dieß war um so nothwendiger, als der Baron in dieser Zeit sich immer mehr den Neigungen eines Lebemanns überließ und für den Sohn ein gefährliches Beispiel werden konnte. Arthur war von fröhlicher Gemüthsart, er gefiel sich bei geselligen Vergnügungen und war keineswegs unempfänglich für Schmeichelei, Eigenschaften, die der Verlockung manche schwache Seite boten. In Folge der guten und klugen Führung lernte er sich aber beherrschen, und seine Studien und ein gehaltvolles Gespräch wurden ihm das Liebste. Mit Recht konnte man ihn für einen musterhaften jungen Menschen erklären.

Er war sechzehn Jahre alt, als die Baronin von Holdingen ihren Wohnsitz in der Nähe seines väterlichen Gutes nahm. Der Gatte dieser Dame war als Beamter in der Residenz gestorben und hatte ihr nichts hinterlassen als ein bescheidenes Landhaus. Da sie in der Stadt von ihrem Wittwengehalt nicht mehr standesmäßig leben konnte, bezog sie ihre Villa, die etwa anderthalb Stunden von Waldfels lag. Als eine Frau, die auf ihre Abstammung, auf die Stellung, die ihr Gemahl eingenommen hatte, große Stücke hielt, richtete sie sich mit ihren geringen Mitteln dennoch würdig ein und führte ein Hauswesen, das bei aller Einfachheit einen angenehm aristokratischen Zuschnitt hatte. Der Baron, als ziemlich naher Verwandter, war ihr mit Rath und That behilflich gewesen, und das Verhältniß der beiden Familien hatte sich dadurch nur um so fester geknüpft.

Arthur hatte an seiner kleinen Cousine gleich beim ersten Anblick großes Wohlgefallen. Er behandelte sie anfangs mit der wohlwollenden Herablassung, die einem Jüngling, auf dessen Wangen sich schon die ersten Spuren eines Flaums zeigen, gegen ein eilfjähriges Kind natürlich ist; aber bald kam er davon ab. Anna, die eine sehr gute Erziehung erhalten hatte, war ihren Jahren körperlich und geistig voraus. Sie gehörte zu den Naturen, die sich in harmonischem Wachsthum entwickeln, immer dieselben zu bleiben scheinen und immer liebenswürdiger werden. Wenn es Mädchen gibt, die zuerst ein unscheinbares Aussehen haben, in der Zeit des Uebergangs vom Kinde zur Jungfrau sich aber schnell zu überraschender Schönheit ausbilden, so war Anna schon als Kind von großer Schönheit, und diese erreichte später nur einen höheren Grad der Vollendung. Eine schlanke, feine Gestalt, ein Gesicht von aristokratischem Gepräge, das aber, von kindlicher Freude und herzlicher Güte belebt, nicht eine Spur von äußerlicher Vornehmheit zeigte. Sie war wie eine edle Blume, fein, ätherisch, aber durchaus frisch und natürlich. Schon früh zeigte sie entschiedene geistige Fähigkeiten, durch welche sie nach und nach in den Stand gesetzt wurde, ernsthaften Gesprächen mit Interesse zu folgen und mit verständigen Worten selber daran Theil zu nehmen. Alles das flößte dem Jüngling eine Achtung ein, die ihn ein anderes Verhalten gegen sie annehmen ließ. Er behandelte sie nun wie ein Mädchen von seinem Alter, und dieß schien auch ihr am besten zu gefallen. Da sie häufig beisammen waren, so entstand zwischen ihnen ein vertrauliches Verhältniß, in welchem sich beide wohl und glücklich fühlten. Es war jedoch vollkommen harmlos; nicht ein Hauch von Leidenschaft, wie sie in solchem Alter auch schon möglich ist, regte sich in ihnen.

Nach einer Reise durch die Schweiz und Frankreich bezog Arthur die Universität. In der akademischen Freiheit gab er sich den Studien hin, die ihn am meisten anzogen, und seine Lieblingsfächer wurden Naturgeschichte und Physik, auf der andern Seite Nationalökonomie und Statistik, und seine Lieblingslektüre Reisebeschreibungen. Die Erde mit ihrem Reichthum an Natur- und Kunstprodukten, deren beste Anwendung und Vertheilung, Handel und Wandel kennen zu lernen, wurde der vorherrschende Trieb in seiner Seele. Da er bei der Liebe zur Sache leicht faßte und bald einen Zusammenhang ausfindig machte, so hatte er über diese Gegenstände selber seine Gedanken und hielt sie für wichtig genug, um sie niederzuschreiben. Er führte bei seiner angenehmen Beschäftigung ein geregeltes Leben, zeigte sich aber in vorkommenden Fällen seines Standes würdig, und schonte da, wo es eine Ehrensache war, etwas zu thun, das Geld weniger, als andere seiner Commilitonen, die sich eines bessern „Wechsels“ rühmten. In der neuen Welt, die ihm in seinen Studien aufging, und bei den Bekanntschaften, die er machte, war ihm das Bild der kleinen Anna einigermaßen erblaßt, und zufällig ward ihm in den ersten anderthalb Jahren seines Universitätslebens nicht die Gelegenheit, es durch eine Zusammenkunft wieder aufzufrischen. Vor wenigen Tagen nun, wo ihn sein Vater des Grafen wegen nach Hause gerufen, sah er seine Cousine zum erstenmal wieder. Sie war beinahe völlig herangewachsen. Ihr Wesen verrieth schon jene Fülle des Gemüths und jenen eigenthümlichen Gehalt, der bei andern Naturen erst später hervorzubrechen und dem Aeußern den Charakter der Tiefe und eines geheimnißvollen innern Lebens zu geben pflegt. Es war die Jungfrau in ihrer ersten, rosigen Erscheinung, noch Kind und doch schon Weib — ein überaus holdes Bild des in Unschuld blühenden Lebens. Arthur fühlte sich bei ihrem Anblick tief in’s Herz getroffen. Er stand nach dem ersten Gruße scheu und verlegen vor ihr. Nur mit Mühe faßte er sich und suchte den früheren vertraulichen Ton mit ihr zu finden, was ihm einigermaßen gelang. Aber ein Keim war in seine Seele gesenkt, der nun rasch aufging und sich drängend entfaltete. Eine ahnungsvolle Sehnsucht bemächtigte sich seiner, das liebe Kind allein zu sprechen, und als er am heutigen Fest Alle mit ihrem Vergnügen beschäftigt sah, lud er sie zu dem kleinen Spaziergang ein.

Sie waren auf dem Rücken des Hügels angekommen. Obgleich hier eine Hülfe nicht mehr nöthig war, ließ Arthur die geliebte Hand doch nicht los, indem er die Eigenthümerin derselben durch Bemerkungen über das Fest zu beschäftigen suchte. Er führte sie auf die nächste Erhöhung, wo sie ihrem erklärten Zweck zufolge die Aussicht genießen wollten. Der Anblick, der sich ihnen hier darbot, entriß ihnen trotz ihrer anderweitigen Gedanken doch herzliche Ausrufungen der Bewunderung. Es war um die sechste Stunde, der Himmel völlig rein geworden und der Glanz der Sonne im Westen nicht durch das kleinste Wölkchen mehr getrübt. Die fruchtbare Landschaft lag in abendlich warmer Beleuchtung vor ihnen: rechts der Park, wo das Knallen der Büchsen und das entfernte Zischen der Kugeln den Fortgang der männlichen Lustbarkeit anzeigte, und das nach Osten gebaute Schloß; weiterhin, rechts und links sich ausdehnend, das Thal mit einem wohlgebauten Städtchen, freundlichen, von Obstgärten umkränzten Dörfern, reichen Getreidefeldern und üppigen Wiesen, durch welche der Segen des Thals, der blinkende Fluß dahinströmte; die gegenüberliegenden Hügelreihen mit herrlichen Laubwäldern bedeckt, an ihrem Fuße hin und wieder herrschaftliche Wohnungen und auf einem Gipfel, aus Bäumen hervorragend, eine verwitterte Burgruine. Durch das allgemeine Grünen und Blühen hatte die Landschaft einen eigenen, frühlingsseligen Charakter erhalten, und dieser stimmte so völlig zu dem Frühling in den Herzen der jungen Leute, daß sie mit feuchten Augen die vor ihnen ausgebreitete Schönheit und in lautloser Verständigung sich selber ansahen.

Endlich rief Anna mit kindlicher Freude: „Wie herrlich ist’s hier oben! Man möchte da wohnen und gar nicht mehr hinuntergehen!“ — „Ich hab’ auch im Sinn,“ bemerkte hierauf Arthur mit einem gewissen Selbstgefühl, „hier oben ein Belvedere bauen zu lassen.“ — „Auf dieser Stelle?“ fragte das Mädchen. — „Nein,“ versetzte der junge Mann, „nicht hier.“ — „Warum nicht?“ entgegnete sie verwundert. Arthur wiegte das Haupt und ein geheimnißvolles Lächeln umspielte seinen Mund. Anna sah ihn fragend an und sagte: „Wo ist es denn schöner?“ — „Komm,“ erwiederte Arthur und ergriff die losgelassene Hand wieder. Er führte sie nordwestlich an zwei kleinen Anschwellungen vorüber auf einen etwas höher liegenden und mehr vortretenden Punkt und sagte: „Hier ist’s schöner.“ Das Mädchen sah umher und schien den Unterschied nicht gleich wahrnehmen zu können. Auf einmal rief sie: „Ah, da sieht man unser Haus — und mein Fenster, ganz deutlich!“ Eine glühende Röthe ergoß sich bei diesen Worten über das Gesicht des Jünglings. Anna wendete sich zu ihm, und wie durch einen Zauber flammte dieselbe Röthe in ihrem Antlitz auf. Sie hatte den Grund der Wahl dieser Stelle erkannt. Was bisher nur in Ahnung vor ihre Seele getreten war, das stand jetzt klar wie der Tag vor ihr: sie war über alles geliebt, sie liebte über alles und für’s ganze Leben. — Ein Schauer von Wonne ergriff sie; bebend und wie niedergedrückt durch die Fülle des Glücks, senkte sie das Haupt. Aber die Liebe war zu mächtig, sie besiegte die Bangigkeit und die Scham und ihr Sieg kündigte sich in der Heiterkeit an, die sich über das Gesicht des schönen Mädchens verbreitete.

Auch Arthur hatte sich von der ersten Verlegenheit erholt; er sah auf Anna mit der Zärtlichkeit eines durchaus redlichen Gemüths, eine freudige Hoffnung leuchtete aus seinen Zügen. Da wendete sich Anna zu ihm und schaute ihn mit einem Blick an, der in unendlicher Güte die ganze Liebe und Treue ihres Herzens offenbarte. Arthur faßte entzückt ihre beiden Hände und rief: „Anna! liebe gute Anna! Du liebst mich! Ja, du liebst mich!“ Das Mädchen, die ja schon alles gestanden hatte, erwiederte nichts; aber Arthur wollte das holde Wort von ihren Lippen hören und rief dringend: „Sprich, Anna! Liebst du mich? Willst du mir gehören?“ Das Mädchen erhob ihr Haupt, und mit dem Ton inniger Liebe, mit dem Ausdruck einer heiligen Verpflichtung erwiederte sie: „Ja, Arthur!“ Der Jüngling preßte ihre Hände an seine Brust und rief, indem Thränen seine Augen füllten: „Dank dir, Anna! tausend, tausend Dank! Ich bin dein in Freud und Leid! Und kein anderer Trieb soll mein Herz erfüllen mein ganzes Leben hindurch, als dich zu lieben und dich glücklich zu machen!“ — —

Nach einer Weile finden wir das junge Paar auf dem Rückwege. Die Liebe erweckt in redlichen und lebensvollen Gemüthern vom ersten Moment ihres Entstehens an bei jedem Schritt ihrer Entwicklung wunderbare Empfindungen; aber das höchste und reinste Glück gewährt sie nach dem ersten gegenseitigen Geständniß. Hier ist ihr süßes Leben verschmolzen mit der Heiterkeit des Siegs, mit dem Wohlgefühl des gewissen Besitzes. Der freudige Stolz, ein Herz gewonnen zu haben, ist mit innigem Dank für ein erhaltenes höchstes Geschenk verbunden. Die Seele ist klar und ruhig bewegt, aber die Empfindung tiefer als je vorher. Der Himmel, in welchem die Liebenden wandeln, erscheint ihnen so vertraut, als ob sie immer in ihm geweilt hätten, und doch so neu, wie ein Wunder, das sich eben vor ihren Augen begeben.

Hätten Arthur und Anna ihre Empfindungen schildern können, sie hätten sich vielleicht in dieser Weise ausgedrückt; aber sie waren in ihr Glück versenkt und hatten keine Zeit, sich selber zu beobachten. Sie vergaßen auch des Redens unter sich und gingen schweigend den Hügel hinab. Ihr ganzer Verkehr beschränkte sich darauf, daß sie von Zeit zu Zeit die jugendlichen Gesichter gegen einander wandten und sich wie träumend mit seligem Lächeln ansahen.

Als sie mitten im Park waren, hörten sie unmittelbar nach einem Schuß ein allgemeines Freudengeschrei. Die Trompeter und Hornisten bliesen den Siegestusch mit nie vernommener Stärke und wiederholten ihn mehrmals. Offenbar hatte sich etwas Großes ereignet. Das Paar beflügelte neugierig seine Schritte, und am freien Platz angelangt, erblickten sie den Grafen, von Herrn und Damen umgeben, die ihm mit dem lebhaftesten Eifer Complimente machten. Bald erfuhren sie warum. Es hatte sich in der That etwas Wunderbares begeben, wie es aber im Leben doch nicht ganz ungewöhnlich ist. Wir sehen bei Hazardspielen, daß gewisse Spieler an gewissen Tagen unwiderstehlich glücklich sind. Dasselbe können wir bei den Unterhaltungen bemerken, wo es hauptsächlich auf Geschicklichkeit ankommt und wo es um vieles begreiflicher ist, da die Freude über das erste Gelingen offenbar eine die Fähigkeiten steigernde Kraft besitzt. Nun wohl, der Graf hatte heute seinen gesegneten Tag und so eben seinen Leistungen die Krone aufgesetzt, indem er die Krone des Vogels herunterschoß und damit den ersten Preis gewann. Freilich hatte ihn der Zufall dabei sehr begünstigt. Andere Schützen hatten das Stück, welches dießmal besonders gut befestigt war, so wohl getroffen, daß es bereits wankte. Aber was konnte das helfen? Sie hatten das Verdienst, der Graf das Glück und die Ehre. Es versteht sich von selbst, daß ihm sein Glück nun eben als das höchste Verdienst angerechnet wurde. Die vornehmeren Gäste, die ihn umgaben, überboten in Artigkeiten sogar ihre früheren Leistungen, und einige Bauernbursche hatten beim Fallen der Krone gerade heraus gejauchzt wie bei einem Kirchweihtanz. Dieß hätte man sonst wohl als ungehörig empfunden, jetzt wurde es ganz wohl aufgenommen, so hoch war der Strom der Begeisterung gestiegen.

Es dauerte einige Zeit, bis Arthur zu dem Grafen durchdringen konnte. Als er ihn begrüßte, rief dieser: „Ah, junger Freund, wo stecken Sie? Man hat Sie seit zwei Stunden nicht gesehen.“ — Arthur erwiederte, er habe sich erlaubt einen Spaziergang zu machen. „Allein?“ fragte der Graf. „Sind Sie Poet? Philosoph? Wie?“ — Der junge Mann bemerkte, er habe seine Cousine, Anna von Holdingen, begleitet. — „Ah so!“ rief der Graf und lächelte. Der edle Herr war ein großer Kenner in Herzensangelegenheiten, hatte schon früher einen Blick aufgefangen, den Arthur arglos auf Anna warf, und ein leichtes Erröthen desselben machte ihn jetzt in seiner Vermuthung um so gewisser. Durch seinen Erfolg als Schütze zur Güte und Milde gestimmt, unterdrückte er indeß vor den andern eine neckende Frage, die ihm schon auf der Zunge lag, und sagte beifällig: „Damendienst geht allem vor. — Aber,“ setzte er vergnügt hinzu, „etwas früher hätten Sie doch kommen sollen. Sie haben etwas versäumt.“ — In Arthur regte sich nun auch ein gewisser Humor und er sagte: „Ich bedaure unendlich, nicht Augenzeuge von einem Schusse gewesen zu seyn, von dem man in Waldfels „noch reden wird in spätsten Zeiten.“ Allein überrascht hätte mich der Anblick der fallenden Krone keineswegs: Excellenz können was Sie wollen.“ — „Ei, ei,“ versetzte der Graf, „Sie schmeicheln!“ — „Die Schmeichelei,“ erwiederte Arthur, „liegt nicht in dem, was ich sage, sondern in dem, was Excellenz thun.“ — „Schon gut,“ sagte der Graf. „Uebrigens,“ fuhr er heiter fort, „muß ich gestehen, daß der heutige Tag der schönste ist, den ich seit lange erlebt habe. Ich erinnere mich kaum, so vergnügt gewesen zu seyn und werde meinem freundlichen Wirthe dafür ewig Dank wissen.“ — „Der heutige Tag,“ erwiederte Arthur mit schelmischem Doppelsinn, „wird einen Glanzpunkt in der Geschichte von Waldfels bilden. Was sich an ihm Wunderbares begeben, werde ich getreu bemerken und die spätesten Geschlechter sollen sich noch daran erfreuen.“ — Der Graf lachte und verabschiedete den jungen Vetter mit einer huldvollen Handbewegung. Später sagte er zu dem Baron: „Ihr Arthur gefällt mir immer besser. Er hat Geist, viel Geist, und wenn er sich für den Staatsdienst bestimmen will, verbürge ich Ihnen, daß er seine Carrière machen wird. Was ich dazu beitragen kann, ihn in die Höhe zu bringen, soll mit dem größten Vergnügen geschehen.“

Nach dem letzten glücklichen Schuß zog sich der Graf von dem Wahlplatz zurück und überließ es Andern, das schon geplünderte Thier vollends zu Grunde zu richten. Als die Sonne gesunken war, bestimmte und vertheilte man die Preise, und der Graf, der die drei ersten erhielt, war doppelt und dreifach der König des Tages. Den würdigen Schluß des Festes machte ein Souper, das im Gartensaal aufgetragen wurde. Der Graf bildete natürlich den Mittelpunkt der Gesellschaft. Vor ihm prangte in schönster Vase ein riesiger Blumenstrauß; hinter ihm an der Wand hatte man die von ihm gewonnenen prächtigen Fahnen aufgehängt. Er war offenbar von dem Gefühl dessen, was er war und wofür er gehalten wurde, vollständig durchdrungen; aber dieses Gefühl gab sich in der Form der Huld und jedermann gönnte es ihm nicht nur, sondern fand es schön und groß. Arthur hatte es einzurichten gewußt, daß er neben seine Cousine zu sitzen kam. Er unterhielt sich in der Freude seines Herzens unbefangen mit ihr, und das Paar theilte sich die lieblichsten Dinge mit, ohne daß die Nachbarn es merkten. Nur Seine Excellenz fanden Zeit, hie und da einen Blick auf sie zu werfen und Wahrnehmungen zu machen, die Sie zu ergötzen schienen. Der Baron ließ seine Blicke über die Gesellschaft hingleiten wie ein Feldherr über seine Truppen. Er sah, daß in dem herrlich erleuchteten Raum an schön geschmückten Tafeln untadelich servirt wurde; er vernahm von allen Seiten das empfundene Lob der Speisen und Getränke; er bemerkte, wie das Vergnügen eher zu- als abnahm und die verschiedenen Unterhaltungen endlich in einen frohen Lärm zusammenfloßen, der nur durch lautes Gelächter zuweilen unterbrochen und überboten wurde. Das alles freute ihn in tiefster Seele. Und als er nun zuletzt in Champagner ein Hoch auf den Grafen und Schützenkönig ausbrachte, in welches die Gesellschaft mit grenzenlosem Enthusiasmus einstimmte, und der Gefeierte in höchst anerkennenden Ausdrücken den Wirth leben ließ, da mußte es den Gästen vorkommen, als ob sie nie einen glücklicheren Mann gesehen hätten, als den Herrn von Waldfels. Nur wenige schienen diese Ansicht nicht ganz zu theilen, und an einem der Geladenen hätte man beim Serviren des Champagners sogar ein unwillkürliches Achselzucken wahrnehmen können.

Zuletzt fand auch dieser schöne Tag ein Ende. Der Graf zog sich in seine Gemächer zurück und die Gäste verabschiedeten sich. Arthur fand Gelegenheit, der Geliebten durch einen Händedruck zu sagen, was seine Lippen vor der Mutter nicht auszusprechen wagten, und die beglückendste Antwort zu empfangen. Er war zu aufgeregt, um sich schon zur Ruhe zu begeben, und ging allein in den Park zurück. Die Nacht war schön, thauig, zaubervoll. Der Mond strahlte vom reinsten Himmel und verklärte die Landschaft mit jenem silberklaren, ahnungsvollen Licht, das in gewisse Stimmungen süßer einklingt, als das goldene Sonnenlicht. Der Liebende suchte die Plätze auf, die er mit dem theuern Mädchen durchwandelt, ließ die Erlebnisse des Tages an sich vorüberziehen und entwarf reizende Plane für die Zukunft, indem er einstweilen an dem Bilde des Lebens sich weidete, das auf Schloß Waldfels erblühen sollte. Spät ging er zu Bette und setzte in Träumen fort, was er wachend begonnen hatte.

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