VII.

Wie man sich denken kann, hatte schon die Ankunft Arthurs und sein Einzug in Waldfels die Bewohner der Umgegend in große Aufregung versetzt. Als man aber bald nachher von den Vorbereitungen zu seiner Vermählung Kunde bekam, steigerte sich die Theilnahme auf’s Höchste. Dasselbe herzliche Mitgefühl äußerte sich in allen Schichten der Bevölkerung, und da es sich gleich von Anfang sehr entschieden aussprach, so wurde auch von Seiten der früher geschworenen Anhänger des Hauses Pranger kein Mißton laut, vielmehr machten sie Anstalten sich zu bekehren.

Am meisten Vergnügen herrschte vielleicht im Dorfe Waldfels selber. Die ererbte Anhänglichkeit der Bauern hätte sich bei diesem Anlaß auch bewährt, wenn der Sprößling der alten Familie, der in sein Erbe zurückkehrte, ohne persönliche Vorzüge gewesen wäre. Wie freuten sie sich nun erst der Wiederkehr eines so liebenswürdigen und gefeierten Herrn! Wie freuten sie sich seines Reichthums, seines Ansehens, seiner schönen Braut! Denn das hat der Träger eines alten Namens, wenn er ihm Ehre macht durch Eigenschaften des Geistes und Herzens, vor allen andern einmal voraus: man findet seine Erfolge durchaus in der Ordnung und hat selber ein Gefühl der Befriedigung, wenn er Glücksgüter erwirbt, die seinem Rang entsprechen.

Eine eigene Tonleiter von Empfindungen sollte bei dieser Gelegenheit der Oberst von Waldfels durchlaufen. Arthur hatte ihm seine Schicksale in einem Schreiben mitgetheilt, das aus dem Städtchen datirt und bestimmt war, ihn zu necken, indem das angenehme Resultat erst in den letzten Zeilen erwähnt wurde. Bei dem Worte „Kaufmannslehrling“ und „Handlungsdiener“ gerieth der alte Krieger in eine schwer zu beschreibende Entrüstung. Seine Augen funkelten, seine Hände zitterten und er machte eine Bewegung, als wollte er den Brief wegwerfen. Allein die Neugierde bewog ihn fortzufahren und sein Blut begann ruhiger zu fließen, als er von Rupien und Pfunden las. Im Ueberfliegen der letzten Seite erhellten sich seine Züge mehr und mehr, und als er an die Nachricht von der Wiedererwerbung des Gutes kam, stieß er einen Freudenschrei aus. Er las noch einmal, athmete tief auf und schüttelte dann lächelnd den Kopf, indem er sagte: „Wer hätte dem Jungen das zugetraut? — Zwar Verstand hat er immer gehabt und Obstination wie ein Satan! — Kaufmann! Verwünschter Einfall! — Aber die Hauptsache ist, daß er den Rupienbaum geschüttelt hat, wie die Engländer zu sagen pflegen. So oder so! Er ist der Baron von Waldfels und — beim Teufel! er ist zu rechter Zeit gekommen!“

Um den letzten Ausdruck zu verstehen, muß man wissen, daß der Oberst sich in der Zwischenzeit wieder seiner alten Passion, dem Spiel, ergeben hatte und in seinen Finanzen sehr zurückgekommen war. Der Gedanke, daß Arthur bei seinem bekannten Charakter ihm und namentlich auch seinem herangewachsenen Sohn unter die Arme greifen werde, hatte etwas sehr Tröstliches für ihn. Er konnte sich nicht enthalten, eine gewisse Hochachtung vor dem reichen Mann zu empfinden, und war stolz, sein Oheim zu seyn.

In dem Briefe nach Waldfels eingeladen, beeilte er sich, dem freundlichen Ruf zu folgen. Auf dem Wege traf er durch einen eigenen Zufall mit Seiner Excellenz dem Grafen zusammen. Dieser hatte seine Stellung in Folge der politischen Ereignisse verloren, neuerdings aber wieder gewonnen und war nun um so ängstlicher darauf bedacht, sie zu behaupten. Als ihm der Oberst seine Neuigkeit mittheilte, flüsterte ihm sein Gewissen zu, daß er in dem reich gewordenen Verwandten einen Gegner finden könnte; er wußte sich aber zu beherrschen und drückte mit Würde seinen freudigen Antheil aus, indem er hinzufügte, er sey überzeugt, daß der Baron von Waldfels durch seine ausgezeichneten Gaben die conservative Partei verstärken und eine Zierde derselben seyn werde. Der Oberst hatte die Bosheit, Seiner Excellenz die Möglichkeit entgegenzuhalten, daß Arthur im Auslande liberale Grundsätze eingesogen haben könnte und daß ihn eben seine unabhängige Stellung verleiten könnte, sie geltend zu machen. Der Graf erwiederte, er werde das von einem Baron von Waldfels nun und nimmermehr glauben.

Das Wiedersehen zwischen Oheim und Neffen war sehr herzlich. Der Oberst, dem graue Haare jetzt ein ehrwürdiges Aussehen gaben, schloß den Glücklichen in seine Arme und belegte ihn mit den schönsten Namen. Arthur richtete auch an ihn die launige Frage: „Sind Sie mit mir zufrieden? Grollen Sie mir nicht wegen —“ — „Lieber Neffe,“ fiel der Oberst ein, „wer so viel Glück hat, wie du, der hätte Unrecht, nicht das Sonderbarste und Tollste zu unternehmen. — Scherz bei Seite: du hast deine Sache gut gemacht und ich gebe dir meinen Beifall.“

Der alte Krieger lebte im Schlosse wieder ganz auf. Daß Waldfels der Familie gesichert war, erfüllte ihn mit stets erneuter Genugthuung. Arthur hatte sich auf eine gelegentliche Anspielung bereit erklärt, für seinen jungen „Vetter“ zu sorgen, was ihm eine große Last von seinen Schultern nahm. In der Freude seines Herzens zeigte er gegen die Damen von Holdingen alle Galanterie, deren er fähig war. Man hätte ihn für ganz verwandelt halten können, wenn er die alte Kraft des Zorns nicht zuweilen gegen irgend einen Diener bei einem wirklichen oder vermeintlichen Fehler desselben gezeigt hätte.

Bald nach dem Oberst trat ein anderer alter Bekannter im Schlosse auf: Herr Samuel Rosenheimer. Die Verhältnisse des Unterhändlers hatten sich ziemlich gebessert, er fuhr mit einem Einspänner im Land herum, wo er verschiedenartige Geschäfte mit Glück betrieb. Eben mit seinem jüngsten Sohn im Städtchen anwesend konnte er dem Verlangen nicht widerstehen, dem Herrn Baron seinen Besuch zu machen. Die Begrüßung war sehr warm. „Herr Baron,“ begann Rosenheimer nach den ersten Complimenten, „ich kann Ihnen versichern, keine größere Freude hab’ ich in meinem Leben gehabt, als wie ich gehört hab’, daß Sie wieder in unserem Lande angekommen sind! — und wie? — Edmund,“ rief er seinem Sohn zu, „küß dem Herrn die Hand! ’s ist ein großer Baron — aber ein noch größerer Kaufmann. Sieh dir ihn genau an, damit du weißt, wie so ein Herr aussieht!“ — Der Junge gaffte den Belobten mit einer Mischung von Dreistigkeit und Schüchternheit an, wobei indeß die Dreistigkeit überwog. Arthur gab ihm die Hand und der Kleine drückte einen Schmatz darauf.

„Aber sagen Sie mir, Herr Baron,“ fuhr Rosenheimer mit galantem Lächeln fort, „wie haben Sie’s angefangen? Wie ist’s möglich, daß man in so kurzer Zeit ein solches Vermögen sammeln kann? — Ja, ja,“ setzte er hinzu, „wir dürfen uns gratuliren, daß nicht mehr Herrn Barone auf den Einfall kommen, Kaufleute zu werden. Gott soll hüten! was würde aus uns werden?“ — Arthur konnte nicht umhin, über diese Art von Schmeichelei zu lachen, und meinte dann, über das Glück eines Kaufmanns sollte sich am wenigsten derjenige wundern, der nach allem, was man sehe, selbst bedeutend vorwärts gekommen sey. — Rosenheimer protestirte gewaltig gegen diese Annahme. „Rückwärts, Herr Baron, rückwärts! — Und wie soll’s anders seyn? Die Geschäfte gehen für unser einen alle Tage schlechter. Kein Mensch will mehr bezahlen, und wenn man jemand hilft, wär’s Noth, man gäb’ ihm noch Geld dafür, daß er sich helfen läßt.“ — Er hielt ein wenig inne, dann fuhr er mit einem gewissen Ernst fort: „Herr Baron, weil wir gerade unter uns sind, erlauben Sie mir ein Wort. Ich habe das Glück gehabt, Ihnen einen Dienst zu leisten. Ich hab’s gern gethan und ich bin dafür bezahlt worden, es fällt mir nicht ein, Ansprüche zu machen. Aber wahr bleibt wahr: ich hab’ doch ein klein wenig dazu beigetragen, daß Sie jetzt wieder der Besitzer Ihres väterlichen Gutes sind, und ich bin überzeugt, wenn Sie werden wieder Geschäfte machen, werden Sie sich erinnern, daß es einen gewissen Samuel Rosenheimer in der Welt gibt.“

Arthur erwiederte, das Geschäftemachen habe aufgehört und er gedenke jetzt auf seinen Lorbeeren zu ruhen. — Rosenheimer lächelte. „Sagen Sie das einem andern, Herr Baron! Wer einmal so gute Geschäfte gemacht hat, wie Sie, der kann’s nicht mehr lassen! — Und wenn Sie so gewiß, als Sie wieder Geschäfte machen, Ihren gehorsamen Diener mit Aufträgen beehren werden, so will ich mich glücklich schätzen.“ — „Unter dieser Bedingung,“ versetzte Arthur, „haben Sie mein Versprechen.“ — „Ich dank’ Ihnen,“ erwiederte der Jude. — „Ach,“ fuhr er nach einer Pause fort, „Sie glauben nicht, wie gern ich mit solchen Herrn zu thun habe, wie Sie! Haben sie wieder ein Geschrei gemacht gegen die Herrn von Adel! Ich möcht’ wissen! Der gemeine Pöbel, der ist stolz und hoffärtig und anmaßend; ich will die Grobheiten nicht zählen, die ich von solchen Leuten schon hab’ verschlucken müssen. Aber die rechten vornehmen Herrn sind freundlich und höflich. Wer Grund hätte, stolz zu seyn, der ist’s nicht, und wer keinen Grund hat, der ist’s. Wie kommt das, Herr Baron?“ — „Das ist schwer zu sagen,“ versetzte Arthur erheitert. „Vielleicht aber daher, weil es eine Art von Schwachheit ist, stolz zu seyn und namentlich seinen Stolz merken zu lassen, und weil Leute von Bildung es nicht lieben, für schwach zu gelten.“ — „Sie haben Recht,“ erwiederte der Jude. „Bildung! — Siehst du, Edmund? Hab’ ich dir’s nicht immer gesagt? — Herr Baron, ich danke Ihnen nochmal und freue mich außerordentlich auf Ihren ersten Auftrag.“ — Er fuhr sehr befriedigt nach Hause. —

Daß dem Glücklichen gehuldigt wird, ist eine bekannte Sache. Wir erwähnen darum nur im Vorbeigehen, daß Waldfels zu dieser Zeit eine nicht geringe Anzahl Gäste sah, welche die Erfolge Arthurs durch ihre Bewunderung zu illustriren suchten. Doch mögen in wenigen Fällen so viele Gratulationen von Herzen gegangen seyn, wie in diesem.

Der Augenblick, der Arthur und Anna für immer verbinden sollte, nahte heran. Hätten wir erwähnen sollen, daß die Verlobte schon auf der Reise nach Waldfels ihre ganze frühere Kraft und Frische wieder erlangt hatte? Dergleichen sagt man sich von selbst. — Am Tage der Trauung glänzte sie in einer Schönheit, die selbst ihrer Mutter auffiel. Die Aufregung des Moments gab ihrem Antlitz einen bezaubernden Ausdruck; eine wonnige Feierlichkeit sprach aus ihrem ganzen Wesen. Es war die vollendete Schönheit, erfüllt von dem edelsten und lieblichsten Leben der Seele. — Wir bewohnen eine Welt der Unvollkommenheit; aber in dieser Welt gibt es doch Geschöpfe, die von ihrer Regel ausgenommen zu seyn scheinen; und diese Geschöpfe haben Momente, wo man sagen möchte: Engel des Himmels müssen neben ihnen verlieren!

Die Trauung fand in der Schloßkapelle, unter Anwesenheit nur der nächsten Freunde statt. Der Geistliche sprach über einen Text, der ihm Gelegenheit gab, das Heil der Prüfungen zu schildern, die über den Menschen verhängt werden. Es waren Gedanken, die zum Theil schon von dem Brautpaar ausgesprochen waren, die aber vor dem Altar, an die höchsten Gründe angeknüpft und an den größten Beispielen bewiesen, feierlich erhebend und ergreifend wirkten. Kein Auge blieb ohne Thränen der Rührung.

Bei dem darauf folgenden Mahle fand die Baronin Gelegenheit, zu dem Rentier zu sagen: „Ich finde, daß mit dem Bräutigam während seiner Abwesenheit doch eine Veränderung vorgegangen ist. Er ist freilich unterdessen ein Mann geworden — aber das ist es nicht allein. Er hat in seinem Benehmen etwas Eigenthümliches, was mir sehr gefällt; und ich glaube, man kann sagen, er hat etwas —“ — „Von einem Engländer,“ ergänzte der Freund. — „Allerdings,“ erwiederte die Baronin, „und zwar erinnert er mich an die edelsten, die ich gesehen. Doch — das ist begreiflich!“ — Sie sah mit einem Blick inniger Liebe auf das Brautpaar und setzte hinzu: „Er sieht so unendlich zuverlässig aus! Mein Kind wird glücklich seyn!“ —

Nach einigen Tagen befand sich die junge Frau allein in ihrem Zimmer, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt. Aus einer gewissen Erregung und einem gelegentlichen Horchen nach der Thüre hin konnte man schließen, daß sie jemand erwartete; und so war es. Nach einer Weile kam Arthur und lud sie zu einem Spaziergang ein. Lächelnd erhob sie sich, denn das Ziel desselben war ihr nicht unbekannt. Sie gingen durch den Park, jener Thüre zu, hinter welcher die Anhöhen lagen. Wie anders war jetzt ihre Empfindung, als an jenem Pfingstmontag, wo sie unter der süßen Last einer unausgesprochenen Liebe diesen Weg wandelten! Aber die Erinnerung daran füllte ihre Herzen jetzt mit der reizendsten Empfindung. Von dem Hügel sah ein zierliches Belvedere herab, das erst vor einer halben Stunde der letzte Handwerksmann verlassen hatte, und ein bequemer Steig führte zu ihm hinan. Arthur hatte sein Wort von damals gehalten und Anna dankte mit einem liebevollen Blick. Am Fuße des Hügels angekommen, lächelte die junge Frau; sie ließ den Steig bei Seite und lief mit jugendlicher Leichtigkeit einige Schritte über das Haidegras hin; plötzlich glitschte sie, stieß einen Schrei aus und fiel in die Arme Arthurs, der ihr nachgeeilt war. Herzlich lachend klommen sie Hand in Hand zu dem hübschen kleinen Gebäude empor. Anna rühmte und bewunderte es und beide sahen von ihm schweigend in das Thal hinab, das wieder im Glanz der Abendsonne dalag. Nach einer längeren Pause sagte Arthur mit einem Ausdruck von Laune, durch die er den innern Ernst zu verdecken strebte: „Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle!“ — Und Anna erwiederte: „Wir haben in früher Jugend gewünscht, und der Himmel hat die Gnade gehabt, uns von der Bedingung des Alters zu dispensiren.“ — „Ja,“ sagte Arthur, „er gab uns das Glück in der besten Zeit! Aber das soll uns nicht niederschlagen; wir vertrauen dem Geber und wollen von seinem Geschenk einen Gebrauch machen, durch den wir die Gunst, wenn nicht abverdienen, doch nach Möglichkeit rechtfertigen.“ — Die junge Frau reichte ihm schweigend die Hand.

Anmerkungen zur Transkription

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