VI.

Die Stürme des Herzens gleichen in ihrer Wirkung den Gewitterstürmen. Sie vertreiben aus der Atmosphäre der Seele die niederdrückende Schwüle und schaffen Raum für ein stilles und mildes inneres Leben. In einem Anfall von Verzweiflung, der in einen Strom von Thränen endet, wird eine Last abgeworfen. Was dem Menschen vorher unmöglich war, das wird ihm dann leicht, was er vorher mit größter Anstrengung nicht von sich zu erlangen vermochte, das kommt beinahe von selber. Es ist dieß mit ein Beweis, daß im Menschen eine Natur wohnt, die ihr eigenes Leben hat und nicht berufen zu seyn scheint, dem Geiste jederzeit Gehorsam zu leisten.

Zwei Tage später, um die Mittagsstunde, finden wir Mutter und Tochter im gemeinschaftlichen Zimmer des Schlößchens. Anna war in eine Ecke des Sophas gelehnt, ihr Gesicht war bleich, aber es drückte eine Melancholie aus, die nicht ohne einen gewissen Schein von Heiterkeit war — die Frucht der Ergebung. Wenn der Verlust eines theuren Wesens die Seele in tiefe Trauer versetzt, so weiß der Glaube ja, daß dieses Wesen nicht für immer verloren ist, und das Gefühl des Besitzes über die Welt hinaus wirft ein sanftes Licht in das Dunkel des Leids. Aber das Herz der Liebenden war auch durch die Hoffnung erhellt, welche nicht abließ, sich wieder und wieder in ihr zu erheben. Es war ein sonderbarer Zustand: eine Entsagung durch Hoffnung, und eine Hoffnung durch Entsagung gedämpft; ein Schweben durch eine milde Region der Trauer, deren Ende als Möglichkeit vor der Seele steht.

Die Mutter sah das schweigende Kind mit tiefer Besorgniß an. Sie erblickte in ihr nur ein hinwelkendes Bild der Resignation, und bei dem plötzlich aufsteigenden Gedanken, daß der Anfang einer Krankheit da seyn könnte, die sie dem Grabe zuführen müßte, fuhr sie erschreckt zusammen.

In diesem Augenblick trat der alte Diener ein und meldete einen Fremden, der sich Theodor Schmidt nenne und die gnädige Frau um einige Minuten Gehör bitte. — „Vielleicht ein Zimmermeister aus der Nachbarschaft, der sich um den Bau bewerben will. Führ’ ihn her!“ — Als der Fremde erschien, sah die Baronin gleich, daß sie sich geirrt hatte. Es war ein elegant gekleideter Mann in den Dreißigen, dessen Haltung den feiner Gebildeten, dessen Figur und Dialekt den Norddeutschen verriethen. Der Fremde begann: „Ich habe —“ einen Blick auf Anna werfend, hielt er jedoch inne, zog die Hand, die er der Brusttasche genähert hatte, wieder zurück und sagte nach kurzem Bedenken: „Ich habe Ihnen eine gute Nachricht zu überbringen.“ — Anna sah ihn an; die Mutter erwiederte: „Eine gute Nachricht? Zögern Sie nicht, werther Herr, wir bedürfen einer solchen.“ — Der Fremde fuhr fort: „Ich bin beauftragt von dem Herrn Baron von Waldfels —“ Anna, die keinen Blick von ihm verwendet hatte, rief: „Arthur von Waldfels? — Er lebt? Er ist gesund?“ — „Er lebt und ist gesund,“ erwiederte der Fremde. „Er befindet sich in Deutschland und ich bin beauftragt, die verehrten Damen zu ersuchen, meine Begleitung zu ihm anzunehmen.“ — Anna starrte ihn an; das Zuviel des Glücks machte sie mißtrauisch, aber das ehrliche Gesicht des Fremden tröstete sie wieder. „Ist es möglich?“ rief sie, indem eine glühende Röthe ihre Wangen übergoß, „ist es möglich?“ — Der Fremde nahm einen Brief aus der Tasche und übergab ihn Anna. Diese öffnete ihn und las und Entzücken leuchtete aus ihrem Gesicht.

Der Brief lautete: „Auf dem Boden des deutschen Vaterlandes, aus seiner ersten Handelsstadt, begrüße ich dich, Geliebteste, und die innig verehrte Mutter. Ich lebe des Glaubens, daß dieser Brief die theuersten Wesen, die ich auf der Erde habe, gesund antreffen wird und bereit, mein Glück zu theilen. Ich bin wiedergekehrt, nachdem ich den Zweck, um dessen willen ich ausgegangen bin, erreicht habe, mit tiefem Dank gegen den Himmel, der meine Thätigkeit über Erwarten gesegnet hat. Der Ueberbringer, mein Sekretär, dessen Treue erprobt ist, wird dich und die geliebte Mutter zu mir geleiten. Folge ihm und erfahre bei deiner Ankunft, warum es mir nicht möglich war, selber zu dir zu eilen.“

Frau von Holdingen hatte die Tochter, als sie den Brief nahm und öffnete, mit der höchsten Spannung betrachtet; auch ihr war das Glück zu unerwartet gekommen, als daß sie sich dem Glauben daran sogleich hätte hingeben können. Aber durch die Wonne der Liebenden sah sie die Nachricht bestätigt und Thränen füllten die Augen der geprüften Frau. Sie trat näher; Anna rief mit himmlischer Freude: „Es ist wahr! Mutter, liebe Mutter!“ und fiel ihr um den Hals. Lange hielten sie sich umfaßt. Die Ueberglückliche weinte am treuen Mutterherzen und ihre Thränen wollten kein Ende nehmen. Endlich richtete sie sich auf und sagte: „Das vollkommenste Glück, ein Glück, das mir keinen Wunsch mehr übrig läßt, war mir aufgespart — und ich hatte den Glauben daran verloren und war verzweifelt! Ich habe die Probe nicht ausgehalten, auf die ich gestellt wurde, und bin beschämt!“

Im Laufe des Gesprächs vernahmen sie, daß der Sekretär schon längere Zeit in Arthurs Diensten stehe. Die Mutter forderte ihn wie gelegentlich auf, etwas von den Schicksalen des Barons mitzutheilen. Aber jener versetzte, er bedaure, diesem Wunsche nicht entsprechen zu können; die Erzählung seiner Schicksale habe sich Herr von Waldfels selber vorbehalten. — „Ah,“ rief die Baronin heiter, „noch immer geheimnißvoll! — Nun,“ setzte sie mit Selbstgefühl hinzu, „wir glauben die Hauptsache errathen zu haben und können uns für das Uebrige noch einige Tage gedulden.“

Am andern Morgen fuhr ein Postillon mit einem stattlichen Reisewagen vor, den Arthur den Damen entgegengeschickt hatte. Unter fröhlichem Blasen ging es durch das Dorf, wo die am Wege stehenden Leute Grüße und Glückwünsche nachriefen. Bald rollte der Wagen auf der weißen Landstraße fort. Mit welcher Heiterkeit sah Anna die schönen Saaten, den grünen Wald und alles, was sich ihren Blicken darbot! Wie freundlich und wie heimlich sprach sie alles an! — Sie saß da so leicht, mit so edler und freier Haltung, daß Wagen und Pferde für sie erfunden zu seyn und keine höhere Aufgabe zu haben schienen, als ihr zu dienen.

Am zweiten Nachmittag fuhren sie durch eine Gegend, die den Damen bekannt war. Etwa drei Meilen weiter nach Westen lag das Thal mit Waldfels und dem Landhause. Anna sah hinüber und konnte nicht umhin, ein Bedauern zu empfinden, daß dem Bräutigam das schöne Gut seiner Ahnen verloren seyn sollte. Vor Kurzem hatte ein Besucher nach Schönbach die Nachricht gebracht, daß die Besitzung wieder verkauft worden sey. Sie hatte dieß unbewegt vernommen; wie konnte für die Tiefbetrübte eine solche Veränderung Bedeutung haben? Aber im Glück regen sich neue Bedürfnisse; wenn die großen Wünsche erfüllt sind, dann tauchen die kleineren wieder auf, denn die Menschenseele strebt nach dem Vollkommenen. Jetzt, mit den höchsten Geschenken des Himmels begnadigt, empfand sie in der That ein Verlangen nach dem Besitz von Waldfels, und es that ihr ernstlich leid, ihm entsagen zu müssen.

Die Seitenstraße, die nach dem Thale führte und zunächst einen kleinen Hügel hinanstieg, wurde sichtbar. Anna machte die Mutter darauf aufmerksam. Diese, ihre Gedanken errathend, rief in bedauerndem Tone: „’s ist Schade!“ — Die Anschauung ihres Gefühls an der Mutter brachte aber das Mädchen zur Selbsterkenntniß und sie sagte: „Was doch die Menschen ungenügsam sind! Ich habe das Höchste erlangt — ein Glück, dessen ich mich unwerth fühlte und das ich nicht tragen zu können glaubte; und jetzt wünsche ich eine Zugabe! — — Weg mit den Augen!“ sagte sie zu sich selbst und richtete die Blicke die Linie entlang, auf der sie dem Geliebten näher kommen sollte.

In andere Gedanken verloren, gewahrte sie es nicht, daß der Postillon in die Seitenstraße einbog; aber Frau von Holdingen rief: „Was ist das?“ und sah den Sekretär mit betroffen fragendem Blick an. Dieser versetzte mit einem Lächeln: „Wir fahren die rechte Straße, gnädige Frau.“ — Anna, die den Ausruf der Mutter und diese Antwort vernommen hatte, sah, wo sie war, und wie ein elektrischer Funke zuckte eine Ahnung durch ihre Seele. Der neue Käufer von Waldfels war Arthur! Sie sollte den Geliebten in der Besitzung seiner Ahnen wiedersehen — auch ihr letzter Wunsch sollte erfüllt werden! Mit erglühten Wangen faßte sie die Hände der Mutter und sah in ein Antlitz, aus dem ihr derselbe Glaube entgegen blickte. Und dieser Glaube wurde vom Abgesandten bestätigt — durch Schweigen. — Wie wonnig klopfte das Herz der Liebenden, wie selig lächelte sie, als der Wagen weiter und weiter rollte und sie dem Bräutigam näher und näher brachte! Endlich fuhren sie in das Thal ein, das im reichen Schmuck des Frühlings prangte. Der letzte Zweifel schwand. Sie sahen das Landhaus, sie sahen das Städtchen, aber ihre Blicke richteten sich nach Waldfels. Dort lag es, überglänzt von der Abendsonne, das Schloß mit dem Park, die Krone des Dorfs. Das Posthorn schmetterte — wie anders klangen jetzt seine Töne zum Wiedersehen, als vor Jahren zum Abschied! Der Wagen rollte in die alte Allee, dem Thore zu, das mit Blumen geziert hersah.

Ein schlanker Mann, in eleganter, einfacher Kleidung, eilte ihnen entgegen und rief: „Willkommen!“ Es war Arthur. Der Wagen hielt. Anna, von der Rechten des Geliebten ergriffen, flog an seine Brust. Es war kein Traum! Sie hielten sich in ihren Armen, ihre Herzen schlugen an einander — ihr Glück war vollendet! Ein Wunder der staunenden Seele, war es helle, klare, selige Wirklichkeit! — Anna erhob ihr Haupt, Freudenthränen rollten aus ihren Augen, die an dem Geliebten hingen. Arthur streichelte die Thränen von ihren Wangen und sah sie aus feuchten Augen mit unendlicher Liebe an. Dann sagte er in herzlichem Ton: „Siehst du, Anna? unser Vertrauen hat uns doch nicht betrogen! Die muthig unternommene Arbeit ist gesegnet worden; Alles ist erreicht, was wir gehofft haben, ja mehr als das; der Himmel ist mir günstig gewesen um deinetwillen — selbst über meine Träume hinaus!“ — Anna rief: „Was soll ich thun, Arthur, um so viel Glück zu verdienen?“ — „Bleibe, wie du bist!“ erwiederte dieser liebevoll.

Die Baronin stand vor ihnen. Arthur ergriff ihre Hand, umarmte sie und rief: „Verzeihen Sie, liebe Mutter!“ — Diese erwiederte gerührt: „Der Braut gebührt der Vorrang. — Meine Augen haben das Schönste gesehen, was eine Mutter sehen kann — Ihre Liebe zu Anna ist dieselbe geblieben.“

Aus dem Thor, durch das der leere Wagen gefahren war, kamen der Rentier und der Pfarrer von Waldfels. Von Arthur geführt, begab sich die Gesellschaft in den Hof, wo die Damen von der Dienerschaft ehrerbietig begrüßt wurden. Die Glücklichen erkannten in allem die Zeichen des wiederhergestellten Glanzes, und von welchen Empfindungen mußten sie bewegt seyn, als sie nach so vielen Jahren zum erstenmal wieder in das schöne Schloß eintraten!

Nach einer halben Stunde finden wir den kleinen Kreis in einem Zimmer vereinigt, dessen Wände mit den Familienbildern des Hauses Waldfels geschmückt waren und dessen Altan und Fenster die Aussicht in den Park boten. Während das verlobte Paar sich mit dem Geistlichen, der Rentier mit dem Sekretär unterhielt, saß die Baronin allein an der Seite und ließ ihre Blicke von Arthur zu einem Bilde gleiten, das einen stattlichen Krieger aus dem siebzehnten Jahrhundert vorstellte. Ihr schien, als ob ihr künftiger Schwiegersohn keinem seiner Ahnen mehr gliche als diesem, und sie fand es nun um so begreiflicher, daß die kriegerische Neigung desselben in ihm wieder erwacht sey. Arthurs Glieder waren beinahe so kräftig wie die des alten Generals, und sein Gesicht eben so gebräunt. Allerdings fehlte ihm die gewaltige Narbe, welche die Stirn des Vorfahren zierte, und wir können nicht verschweigen, daß die Baronin gleich nach der ersten Begrüßung in dem Gesicht des Wiedergekehrten nach einem solchen Zeugniß der Tapferkeit gesucht hatte. Allein es gibt glückliche Soldaten, die das Privilegium zu haben scheinen, unverwundet zu bleiben, und zu diesen mußte der Baron gehören. Die Neugierde, die sie bis jetzt unterdrückt hatte, regte sich aber bei dieser Vergleichung auf’s neue. Sie widerstand jetzt nicht länger, und zu der Gruppe tretend, erinnerte sie Arthur daran, daß er ihnen eine Erzählung seiner Schicksale und seiner Thaten schuldig sey. „Oder,“ setzte sie lächelnd hinzu, „wäre die Zeit dazu noch immer nicht gekommen?“ — „In der That, noch nicht ganz,“ erwiederte Arthur. „Wir haben bis zum Abendessen nur noch eine halbe Stunde, mein Bericht wird aber ziemlich lange dauern und ich will ihn daher Ihnen und mir erst nach einer entsprechenden Stärkung zumuthen. Ich mache Ihnen aber einen andern Vorschlag. Haben Sie die Güte, uns etwas von der letzten Zeit in Schönbach zu erzählen, von der wir hier nur sehr wenig und gar nichts Bestimmtes wissen.“

Die Baronin erklärte sich bereit. Nach einer kurzen Einleitung schilderte sie die Regentage und den Hagelschlag des vorigen Jahrs. Sie zeigte sich dabei in ökonomischen Ausdrücken so bewandert, daß Arthur sich nicht enthalten konnte, nach dem Bedauern ihres Unglücks auch seine Bewunderung ihrer landwirthschaftlichen Kenntnisse auszusprechen, was sie indeß mit einem leichten Achselzucken hinnahm, vielleicht um damit anzudeuten, daß die Kenntniß jener Ausdrücke noch lange nicht die Oekonomin mache. Als sie der Sorgen wegen des Ausbleibens einer Nachricht erwähnte, war Arthur betroffen. „Wie!“ rief er aus, „Sie haben meinen letzten Brief nicht erhalten?“ — Die Baronin erwiederte mit Bedeutung: „Wir haben keinen Brief von Ihnen erhalten seit mehr als anderthalb Jahren.“ — Arthur saß mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns da und sagte: „Ich bin sehr zu tadeln. Bei solcher Entfernung sollte man Nachrichten dieser Art in zwei oder drei nacheinander abgehende Briefe niederlegen, da die Möglichkeit des Verlustes um so viel näher liegt. Aber das Glück hatte mich verwöhnt: ich dachte nicht daran. — In diesem Schreiben,“ fuhr er zu Anna gewendet fort, „hatte ich dir gemeldet, daß ich Anstalt machte, meine Angelegenheiten in Ostindien zu ordnen und nach Europa zurückzukehren. Ausdrücklich war darin bemerkt, daß von dort aus kein Brief mehr nachfolgen würde.“ — Nach einer Pause begann die Baronin: „Eine Schilderung, wie wir unter solchen Umständen den Winter verlebten, will ich Ihnen erlassen.“ — Arthur, die Hand der Geliebten fassend, rief herzlich: „Verzeih mir!“ — Zuletzt schilderte sie den Brand in Schönbach, und die Männer äußerten ihre Verwunderung über diese Steigerung betrübender Erlebnisse. Arthur sagte: „Das Schicksal hat ungleich getheilt. Sie haben das Unglück gehabt und ich das Glück. Aber,“ setzte er hinzu, „mein Glück ist im Stande, Ihr Unglück zu decken.“ — „Es ist eigen,“ bemerkte Anna; „ich möchte mir jetzt das Unglück der letzten Jahre nicht nehmen lassen, sogar die Sorge und die Angst nicht, die ich um deinetwillen empfunden. Nur das erlebte Leid beruhigt das Herz bei allzugroßer Freude.“ — „Dieß,“ setzte der Geistliche hinzu, „ist unter andern der Zweck des Leides in der Welt. Aber in der Regel dankt man dem lieben Gott für das Mittel erst später.“

Nach Tisch saßen sie wieder in dem heimlichen Zimmer beisammen. Während des Essens hatte ein kurzer Gewitterregen die Natur erfrischt und balsamische Luft strömte durch die offenen Fenster. Die Sonne war unter-, der Mond aufgegangen, aber noch herrschte der Glanz im Westen. Niemand achtete der Schönheit des Abends; die Geister waren gespannt auf die Erzählung Arthurs. Dieser, neben Anna sitzend, begann endlich, indem er das Wort zunächst an die Baronin richtete.

„Sie wissen, daß mein Weg zuerst nach London ging. Dort lebte ein Kaufmann, ein Großhändler, den mein Vater vor etwa zehn Jahren sich verpflichtet hatte, indem er ihm bei einer Ehrensache einen wesentlichen Dienst leistete. Ich wußte dieß aus einem Dankschreiben, das sich unter den nachgelassenen Papieren fand, hatte mich brieflich an diesen Mann gewendet und Rath und Hülfe war mir zugesagt worden. In London stellte ich mich ihm vor. Ich fand einen rüstigen Fünfziger, der mich mit großem Wohlwollen aufnahm. Dadurch ermuthigt, theilte ich ihm sogleich mit, was in meinem Briefe schon angedeutet war: daß ich den Entschluß gefaßt habe, Kaufmann zu werden.“

Die Baronin wollte bei diesen Worten ihren Ohren nicht trauen. „Wie?“ rief sie, „Kaufmann? — daran dachten Sie? — Doch,“ setzte sie hinzu, indem sie sich bezwang, „ich will Sie nicht unterbrechen.“ — Arthur, der bei diesem erwarteten Ausruf ein Lächeln nicht unterdrücken konnte, fuhr fort: „Herr Goodman — dieß war der Name des Kaufmanns — sah mich prüfend an und sagte dann mit Ernst: „Ich begreife, daß Sie einen Stand ergreifen wollen, in welchem Sie das Glück, das Sie suchen, am schnellsten und sichersten erreichen zu können glauben. Allein es ist möglich, lieber Freund, daß Sie diese Laufbahn gar viel anders finden, als Sie erwarten, und es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen. Das Erlernen der Kaufmannschaft hat für eine gewisse Art von Menschen seine großen Unannehmlichkeiten. Ob Sie in Ihrem Alter und — wie er lächelnd hinzusetzte — als deutscher Edelmann dabei aushalten, das ist noch die Frage. Aber angenommen Sie bleiben standhaft und erlangen eine Stellung, in der Ihre Arbeit sich lohnt, so haben Sie bei der consequentesten Thätigkeit und Umsicht auch noch ungewöhnliches Glück nöthig, wenn Sie das Ziel, das ich aus Ihrem Brief kenne, endlich erreichen wollen. Ist Ihnen das Glück nicht günstig, werden Ihnen bloß die Früchte des Fleißes zu Theil, so verfehlen Sie Ihren Zweck.“

„Gut,“ rief hier die Baronin, „das schreckte Sie ab und Sie suchten —“ — „Keineswegs,“ fiel Arthur ein, „das schreckte mich nicht ab, denn ich war auf solche Einwendungen vorbereitet. Ich erwiederte mit Entschiedenheit, mein Entschluß sey reiflich erwogen, ich fühle mich zu dieser Thätigkeit hingezogen und habe mehr Vorkenntnisse, als er mir vielleicht zutraue; Mühen und Anstrengungen vermöchten mich nicht abzuschrecken und ich könne mich des Glaubens nicht erwehren, daß ich auf diesem Wege erreichen werde, was ich suche. Herr Goodman, der mich mit Ruhe angehört hatte, ergriff nun meine Hand mit jener männlichen Herzlichkeit, welche der Engländer denjenigen zeigt, die ihm gefallen. „Wenn das ist,“ versetzte er, dann will ich nicht mehr abmahnen, sondern helfen.“ Er hielt Wort — und Arthur Waldfels trat als Lehrling in seine Handlung ein.

Diese Eröffnung machte auf die Baronin und Anna einen gleich starken, aber sehr verschiedenen Eindruck. Die Verlobte, die sich zwar immer zu der Annahme der Mutter geneigt, aber sich nie ganz für sie entschieden hatte, war bei den ersten Worten Arthurs im Klaren. Gehörte nun auch nach ihrer Ansicht ein ungewöhnlicher Entschluß dazu, einen solchen Stand zu ergreifen, so war die Ausführung nur ein Beweis mehr für die Tiefe und Innigkeit seiner Liebe. In ihr erweckte daher diese Mittheilung nur Rührung, und aus ihren Mienen sprach eine herzliche Genugthuung. Frau von Holdingen dagegen erschien ganz außer Fassung gebracht. Mit der Röthe der Verlegenheit auf ihrem Gesicht rief sie: „Kaufmannslehrling! — ein Baron von Waldfels — — Ah,“ setzte sie nach einem Moment auf die Ahnenbilder deutend hinzu, „was würden diese da zu einem solchen Schritt ihres Abkömmlings gesagt haben!“ — „Diese da,“ entgegnete Arthur, „würden sich wohl nicht in der Lage befinden, von Ihnen gegenwärtig angerufen zu werden, wenn ich jenen Schritt nicht gethan hätte!“

Die Baronin war bei allen ihren Lieblingsanschauungen, wie dem Leser schon bekannt ist, eine verständige und keineswegs unpraktische Frau. Von dem Gewicht dieser Entgegnung getroffen und an die guten Folgen des seltsamen Unternehmens erinnert, faßte sie sich und erwiederte lächelnd: „Es mag wahr seyn. Am Ende gilt hier das Wort: der Zweck —“ — „Heiligt das Mittel?“ fiel Arthur ein. „In diesem Falle gewiß! Erlauben Sie mir übrigens, Sie auf das letzte der von Ihnen angerufenen Bilder aufmerksam zu machen: es stellt eine Dame vor, die, wie Sie sich erinnern werden, von Kaufleuten abstammt.“ — „Es ist wahr,“ rief die Baronin, auf welche das Bekannte, an das Arthur sie mahnte, wie eine Enthüllung wirkte. „Der Genius der Mutter hat in Ihnen gesiegt!“ — „Und dem Himmel sey dafür gedankt!“ versetzte Arthur; „denn der Genius meines Vaters — mit aller Hochachtung sey von ihm gesprochen — hätte mich schwerlich nach Waldfels zurückgeführt.“ — Die Baronin, welche die Wahrheit dieses Wortes zugeben mußte, schwieg. Sie nahm sich zusammen und sagte dann mit Anmuth: „Verzeihen Sie meine Verwunderung über Ihren Entschluß, dessen Ungewöhnlichkeit Sie selber nicht läugnen werden. Sie haben reussirt — das ist die Hauptsache.“

„Im Vorgefühl des Erfolgs,“ bemerkte Arthur, „wurde ich Kaufmann. Da ich gegen Herrn Goodman meine Ehre verpfändet hatte, so erfüllte ich alle meine Pflichten, auch die unerfreulichen, gewissenhaft. Mancher Auftrag schien mir nur ertheilt zu werden, um meine Geduld zu prüfen; ich bestand die Probe. Meine wissenschaftliche Bildung, meine Vorkenntnisse und eine gewisse Anlage zum praktischen Denken förderten mich rasch. Ich begriff den Zweck dessen, was ich treiben sollte, und lernte um so leichter. Ich hatte den Zusammenhang der verschiedenen Arbeiten vor Augen, und die einzelnen erschienen mir um so interessanter. Es dünkte mich, als ob jeder Tag mich weiter brächte, und schon jetzt machte ich die angenehme Erfahrung, daß das Schwierige mir geläufig wurde. — Sie sehen aus allem, daß ich ein ungewöhnlicher Lehrling war; ich hatte auch ein ungewöhnliches Schicksal. Noch war kein Vierteljahr verflossen, als mich Goodman zu sich rufen ließ, meine Ausdauer, meine Gewandtheit hervorhob und zu dem Schluß kam, daß ich verdiene, ein Kaufmann zu werden. (Hier konnte sich Frau von Holdingen nicht enthalten, ein wenig die Achseln zu zucken.) Er eröffnete mir, daß er mich in eine Stelle bringen könne, die mich unter glücklichen Umständen rasch fördern werde, — in die Stelle eines Commis bei einem Geschäftsfreund in Calcutta. Ich war auf’s angenehmste überrascht. Ostindien war das Land meiner kaufmännischen Träume und ich sah in diesem Ruf eine besonders günstige Vorbedeutung. Goodman hatte mir Aufträge in seinem Interesse zu ertheilen und rüstete mich mit den nöthigen Geldern aus. Ich beeilte mich, dieses erste Resultat nach Deutschland zu melden, und ein rascher Segler trug Cäsar und sein Glück.“

„Die Fahrt ging verhältnißmäßig schnell und ohne besondere Abenteuer vorüber — die „Stadt der Paläste“ lag vor mir. Ich erinnere mich noch wohl der zauberhaften Empfindung beim ersten Anblick und des Staunens, welches Tage lang bei mir anhielt. Eine Stadt, welche mit der Pracht Europas und der Pracht Asiens die Augen blendet — die Vereinigung der wunderbarsten Contraste — der Versammlungsort von Repräsentanten aller Nationen, aller Religionen und aller Stände — der Schauplatz der mannigfaltigsten und seltsamsten Gesichter, Figuren und Trachten im Rahmen einer tropischen Natur! — Es steht wie ein Mährchen vor den Augen, aber dieses Mährchen ist Wirklichkeit! — Doch,“ unterbrach sich der Erzähler mit einem Lächeln, „ich muß der Lust zu schildern Widerstand leisten, wenn ich meinen Bericht heute noch zu Ende bringen soll. Also zur Sache!“

„Ich wurde von dem Handelsfreunde meines Londoner Beschützers, Herrn Warren, gütig empfangen, besorgte mit seiner Hülfe die übernommenen Aufträge und trat als letzter Commis in ein großartiges Geschäft ein. Die neuen Verhältnisse machten neue Anstrengungen nöthig; aber ich ließ es daran nicht fehlen und orientirte mich bald. Das Talent — Sie erlauben mir schon, mir so etwas beizulegen — und die Liebe zur Sache erleichtern jede Arbeit. Man hat damit schon vorher eine Ahnung von dem, was man sich zu eigen machen soll; man sucht und man findet. Je weiter man vorrückt, je klarer und angenehmer wird die Thätigkeit. Für Leute, die reflektiren — und als guter Deutscher gehör’ ich zu diesen — hat die Beobachtung eines so bedeutenden Handelshauses an sich großen Reiz. Wie in einem gut regierten Staate thut jeder an seiner Stelle seine Pflicht, und das Haupt, allein oder mit Hülfe des Fähigsten, lenkt das Ganze und läßt Gedanken ausführen zum Gedeihen des Ganzen. Man benützt die Schöpfungen der Vorfahren, Erfindungen und Einrichtungen, welche dazu dienen, die Geschäfte zu vereinfachen und zu erleichtern. Wohlgeführte Bücher bewirken eine Art von Allwissenheit; sie befähigen den Kaufmann, über den Stand der mannigfaltigsten Geschäfte und Beziehungen sich jederzeit Rechenschaft zu geben. Der Geist herrscht, der Stoff ist bewältigt. Es ist ein Gefühl, ganz ähnlich dem eines Generals, der eine Armee kommandirt, oder dem eines Künstlers, der seinem Gegenstand Form und Schönheit gibt.“ Arthur hielt ein wenig inne und richtete seinen Blick auf den Rentier, dessen Gesicht bei den letzten Worten, im Andenken an die Zeiten, wo er selber als Buchhalter wirkte, sich angenehm aufgeklärt hatte. Die beiden Geschäftsleute nickten einander zu und Arthur nahm seine Erzählung wieder auf.

„Ich arbeitete mich rasch empor. Warren, den mein Eifer freute, begünstigte mich ungewöhnlich. In den ersten dritthalb Jahren fungirte ich als Korrespondent und als Reisender. Bei einer Handlung, die jährlich Millionen umsetzte, dürfen Sie hier an nichts Kleinliches denken. Ich vermittelte bedeutende Geschäfte, lernte Land und Menschen kennen, lernte die Sprache des Landes und konnte unserem Hause manchen guten Dienst leisten. Gestützt auf solide Kenntnisse regte sich mein Geist und ich hatte Ideen. Warren hörte sie, hieß sie gut, und sie bewährten sich. Wir ersahen hie und dort unsern Vortheil, kauften wohlfeil ein, verkauften theuer und machten großen Gewinn.“

Bei dieser Mittheilung war die Baronin bedenklich geworden, und unwillkürlich rief sie: „Aber Sie werden doch nicht —“ — Sie hielt inne, das Wort wollte nicht über die Zunge. — „Betrogen haben?“ ergänzte Arthur heiter. „Mit nichten, verehrte Frau! — Erlauben Sie mir, bei dieser Gelegenheit überhaupt mich der Kaufmannschaft anzunehmen. Daß im Handel betrogen wird, ja, daß der Handel zum Betrug reizt, will ich nicht läugnen. Aber der Betrug ist hier, wie auf andern Gebieten, nur ein Surrogat für mangelnde positive Eigenschaften. Um als Kaufmann etwas zu erwerben, muß man Kenntnisse, Verstand, Einfälle, Muth und Glück haben. Wer dieß nicht hat und doch zu etwas kommen will, der wird sich auf Betrug legen. In der Regel wird aber gerade der Betrüger die kleinen und mittelmäßigen, der begabte und muthige Kaufmann dagegen die großen Geschäfte machen. Nur muß man die Dinge sehen, wie sie sind. Wenn ich ein Auge habe auf die politischen und merkantilischen Ereignisse, wenn ich in die Zukunft sehe, ihre Bedürfnisse erkenne und zu rechter Zeit mich in den Stand setze, sie zu befriedigen, so bin ich ein guter Geschäftsmann und kein Betrüger. Wenn ich mir Waaren verschaffe, wo sie billig, und sie dahin fördere, wo sie theuer sind, benachtheilige ich weder Verkäufer noch Käufer, im Gegentheil, ich diene beiden und verdiene ihren Dank. Ich nehme von dem, der abgeben will, und gebe ab an den, der nehmen will; ich befriedige die Wünsche beider und nütze beiden. Der Gewinn, der dabei abfällt, gebührt mir von Rechtswegen, denn ich habe gethan, was ihn zur Folge hat, und niemand gehindert, dasselbe zu thun. — Shakespeare, wie Sie wissen, nennt seinen Kaufmann von Venedig einen königlichen Kaufmann. Kann man denken, daß Antonio sich mit Betrug abgegeben hat? Aber solcher königlichen Kaufleute gibt es jetzt mehr als jemals. Es gibt Männer, die sich an dem Handel betheiligen mit dem vollen Bewußtseyn der segensreichen Wirkungen desselben für die Welt, Männer, deren Reichthum die Frucht ihrer Einsicht und ihres Fleißes ist und die von ihm noch dazu den achtungswerthesten Gebrauch machen.“

„Ich geb’ es zu,“ erwiederte die Baronin, „und sehe nun wohl, zu welchen Kaufleuten Sie sich gesellt haben.“ — Arthur fuhr fort: „Die Folge meiner Dienstleistungen war, daß mir Warren sein ganzes Vertrauen schenkte. Er gab mir davon den sprechendsten Beweis, indem er mich zu dem Posten eines Disponenten oder Handlungsvorstehers erhob.“ — „Das also,“ fiel die Baronin lächelnd ein, „war der bedeutende Posten, zu dem Sie sich emporgeschwungen haben? Ich will Ihnen gestehen, ich dachte, Sie wären wenigstens Major geworden. Nachdem ich Ihren ersten Brief aus Calcutta gelesen, glaubte ich nämlich nicht anders, als Sie hätten den Militärstand ergriffen.“ — „Damit sagen Sie mir nichts Neues,“ versetzte Arthur. „Ich konnte das schon lange aus Annas Briefen abnehmen. Allein gestatten Sie mir eine Bemerkung. Wenn ich auch Geld und Gunst genug gehabt hätte, um die dort gewöhnliche Zahl oder Unzahl von Concurrenten aus dem Felde zu schlagen und eine Lieutenantsstelle zu erlangen, so wäre ich dadurch in derselben Zeit doch schwerlich in den Stand gesetzt worden, mit solchen Erübrigungen nach Hause zu kehren. Ich will nicht läugnen, daß man auch als Offizier in Indien sein Glück machen kann, zumal wenn man in dieser Eigenschaft mit irgend einem diplomatischen Posten betraut wird; allein immer bleibt der Unterschied, daß der Offizier, wenn nicht außergewöhnliche Einflüsse im Spiele sind, die Gaben der Fortuna erwarten muß, während der Kaufmann ihnen entgegen gehen kann. Ich fühlte einen Drang, selbstständiger zu handeln, meine Gedanken rascher zu verwerthen, und wählte den Stand des Kaufmanns.“

„Das mag seyn,“ erwiederte die Baronin; „allein ich wurde zu meiner Annahme durch den Glauben verleitet, Offizier zu werden läge dem Baron Waldfels am nächsten.“ — „Ich begreife das,“ versetzte Arthur. „In Deutschland sieht man das so an, aber in England und in Indien hat man dafür einen andern Standpunkt.“ — Anna, die mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte, wagte hier die Mutter daran zu erinnern, daß das indische Reich einer Gesellschaft von Kaufleuten seine Gründung verdanke und noch von einer solchen regiert werde. „Die Armee steht im Dienste der Compagnie, sie wird von einem Manne befehligt, den diese gewählt hat, und es ist wohl natürlich, daß die Machthaber sich nicht unter ihren Dienern fühlen, wie ehrenvoll die Stellung derselben auch seyn mag.“

Frau von Holdingen erröthete ein wenig. Es war ihr begegnet, was so oft geschieht: sie kannte die Thatsachen, aber sie hatte nie diese Folgerung daraus gezogen. Arthur bemerkte: „Allerdings regiert in Indien eine Handelsgesellschaft, wenn auch nicht absolut, und diese Gesellschaft hat nicht nur Diener aus den ersten Familien Englands, sie hat auch Fürsten und Könige des Landes unter sich und schreibt ihnen die Wege vor, die sie wandeln sollen. Daß bei solchen Verhältnissen der Kaufmann, zumal wenn er Aktien der Compagnie besitzt, ein nicht geringes Selbstgefühl hat, ist schwerlich zu verwundern. Doch,“ setzte er hinzu, „das hat er auch in Deutschland, und man gönnt es ihm, wenn er reich ist.“ — „Nun wohl,“ rief die Baronin nicht ohne eine gewisse gute Laune, „ich bin überwunden und Ihre Erzählung wird von jetzt an vor meinen Einreden sicher seyn.“ — „Ich bitte Sie um das Gegentheil,“ versetzte Arthur. „Wenn mein Bericht Anlaß zu einer interessanten Erörterung gibt, so ist es um so besser. Lassen Sie mich übrigens bei dieser Gelegenheit noch gestehen, daß der Stolz der Geburt — und zwar nicht nur der, den man zeigen zu können glaubt, sondern auch der, den man innerlich hegt und aus Klugheit hinter Höflichkeit verbirgt — daß dieser Stolz, sage ich, für den, der nachzudenken pflegt, eben in Indien einer starken Probe ausgesetzt ist. Wenn man den Kastengeist in seiner vollendetsten Ausbildung und mit all seinen Folgen erblickt, wenn man jenen Stolz an Persönlichkeiten wahrnimmt, bei denen er uns absurd und lächerlich erscheint, wenn man überhaupt die verschiedensten Menschen mit den verschiedensten Prätensionen hervortreten sieht, die man schwach finden muß, so kann man sich wohl fragen, ob man nicht Ursache hat, das eigene Selbstgefühl eben so zu beurtheilen.“

Die Baronin mußte ihre Zusage schon jetzt brechen, indem sie sich nicht enthalten konnte, zu rufen: „Wie, wollen Sie Geburt und Stand für nichts erklären?“ — „Keineswegs,“ erwiederte Arthur mit Ernst. „In einer Welt, wo sich jeder seiner Vorzüge freut und sich etwas darauf zu gute thut, freue ich mich auch dessen, was mir zu Theil geworden ist, und namentlich des Glücks, unter meinen Vorfahren Männer zu wissen, die sich in Krieg und Frieden ausgezeichnet und das Ansehen verdient haben, dessen sie genossen. Ich sehe mit Liebe und Stolz auf die Bilder, die ihre Züge bewahren, und danke Gott, daß der Boden, auf dem sie gewandelt sind, wieder mein Eigenthum geworden ist. Baron Waldfels,“ setzte er heiter hinzu, „klingt schön, und ich freue mich, so genannt zu werden.“ — „Gut!“ rief die Baronin ebenfalls heiter; „aber? — denn ein Aber wird doch nicht fehlen.“ — „Aber,“ fuhr Arthur fort, „indem ich mich dieser Empfindung hingebe, sind meine Augen offen für die Vorzüge Anderer, ich bewundere diejenigen, mit welchen Gott die Geister und Herzen der Menschen ausgestattet hat, und ich empfinde Hochachtung, wo ich unter andern Umständen vielleicht nur eine gönnerhafte Billigung hätte blicken lassen, die uns nicht mehr zu Gesichte steht. Ich will es Ihnen gestehen, ich hatte dazu einen gewissen Hang und es war gut, daß ich durch das Schicksal davon geheilt wurde.“ — „Ich habe zwar,“ versetzte die Baronin, „von einem solchen Hang nichts bemerkt; indessen wollen wir Ihr Wort gelten lassen und dafür um die Fortsetzung Ihrer Geschichte bitten.“

Arthur begann wieder: „Es war ein Beweis großen Vertrauens, daß mich Warren so jung auf diesen Posten erhob; allein ich kann sagen, daß ich es rechtfertigte. Die Geschäfte gingen lebhafter als je und ich nützte dem Hause auf mannigfaltige Weise. Da ich einen Gehalt hatte, um den mich ein Major hätte beneiden können, der Chef des Hauses mir überdieß einen Antheil an dem Gewinn bewilligte, so gediehen dabei auch meine eigenen Angelegenheiten und ich sammelte mir, was bei uns ein Vermögen seyn würde, dort aber freilich nicht viel heißen will. Dennoch konnte ich damit etwas thun, was mich außerordentlich freute und immer meine schönste Erinnerung von jenem Lande bleiben wird.“

Als Arthur hier eine kleine Pause machte, sahen ihn die Zuhörer erwartungsvoll an, und er fuhr fort: „Nicht lange nach meiner Ankunft in Calcutta hatte ich die Bekanntschaft eines Kaufmanns gemacht, der um etliche Jahre älter war als ich, eine anmuthige Frau und reizende Kinder hatte. Ich kam oft in sein Haus, denn es gehört zu meinen größten Genüssen, Glückliche zu sehen, und namentlich eine glückliche Familie. Im Lauf der Zeit wurde aus der Bekanntschaft wahre, herzliche Freundschaft. Mackenzie war ein Engländer von der besten Art, jeder Zoll ein Gentleman, und besonders unter den Seinen von dem angenehmsten Humor und der größten Liebenswürdigkeit. Eines Abends, als ich ihn aufsuchte, traf ich ihn in seinem Zimmer allein und sehr niedergeschlagen. Er wollte eine Zeitlang nicht mit der Sprache heraus; endlich gestand er mir, daß er in jüngster Zeit einen großen Verlust erlitten habe und daß gegenwärtig beinahe sein ganzes Vermögen einem Schiff anvertraut sey, das er mit einer Ladung Baumwolle nach Europa geschickt habe und mit Manufakturwaaren zurück erwarte. Ich tröstete ihn, so gut ich konnte, und es gelang mir, ihn wieder aufzuheitern. Bald darauf kam ein Gerücht zu meinen Ohren, das Schiff Mackenzie’s sey verunglückt. Ich ging sogleich zu ihm und fand ihn in stummer Verzweiflung. Auch er wußte nichts Bestimmtes, aber er sah voraus, daß in Folge dieses Gerüchts Forderungen bei ihm eingehen würden, denen gegenüber er sich für insolvent erklären müsse. Mein Entschluß war gleich gefaßt; ich eilte nach Hause und bald konnte ich dem Bedrängten nicht nur mein Vermögen, sondern auch eine namhafte Summe von Warren zur Verfügung stellen. Die ängstlichen Gläubiger wurden befriedigt und mein Freund war gerettet.“

„Ah,“ rief die Baronin, „da sieht man den Edelmann unter den Kaufleuten!“ — Arthur erwiederte: „Es wäre schlimm für die gedrängten Kaufleute, wenn nur die Barone unter ihnen einer solchen Handlung fähig wären! — Uebrigens hatte diese Aushülfe die Folgen der feinsten Spekulation: sie war es, die mein Glück entschied. Das Schiff Mackenzies war allerdings einem heftigen Sturm ausgesetzt gewesen, aber es hatte ihn bestanden und lief eine Woche später glücklich ein. Freude und Wohlstand kehrten mit ihm wieder. Mein Freund, dessen erhobener Geist sich jetzt mit kühnen Entwürfen trug, bat mich dringend, mich mit ihm zu verbinden, und da ein vor kurzem angekommener Verwandter Warrens nach meiner Stelle trachtete, so gab ich nach. Wir strengten unser Talent an, wir wagten und wir gewannen. — Ach, liebe Mutter,“ fuhr der Erzähler fort, „welchen Reiz hat das Leben eines Kaufmanns! In welcher Spannung wird er erhalten und in welches Entzücken kann er versetzt werden! Nichts gleicht der Freude, die er empfindet, wenn ein wohlberechnetes, aber immer noch gewagtes Unternehmen gelingt und der Segen desselben in goldener Wirklichkeit in sein Haus einzieht.“

Annas Gesicht erheiterte sich bei diesen Worten und sie sagte: „Es scheint doch, daß du nach und nach gelernt hast, dein Metier um seiner selbst willen zu lieben.“ — „In gewissem Sinn allerdings,“ erwiederte Arthur, „ich will es nicht läugnen; aber doch nicht eigentlich. Der Beweis liegt vor. Als ich das Vermögen, das ich in die Handlung meines Freundes gebracht hatte, um das Vierfache gemehrt sah und hinreichend fand, um denen, die mich so großmüthig hatten ziehen lassen, ein angenehmes und würdiges Loos zu schaffen, da sagte ich zu mir selber: Genug! und kündigte dem Freund meinen Entschluß an, nach Deutschland zurückzukehren.“ — Ein Blick von Liebe und Dankbarkeit war die Antwort der Verlobten, ein beifälliges Kopfnicken verrieth die Empfindung der Baronin.

„Mackenzie bot alle Kraft der Ueberredung auf, mich zurückzuhalten. Er rief: Das Glück ist für uns, noch einige Jahre und wir sind Millionäre! Obwohl diese Aussicht reizend und die Liebe, die mein Freund für mich an den Tag legte, rührend war, so blieb ich dennoch fest, wobei ich übrigens gern gestehe, daß das Gewicht des Hauptgrundes, der mich nach Hause trieb, durch das einiger andern noch verstärkt wurde.“ — „Und die sind?“ fragte die Baronin. — „Zunächst das Klima, das zu einem Leben nöthigt, in welchem die Sinne eine größere Rolle spielen, als einem Deutschen von meinem Schlage lieb seyn kann. Wir haben dort Monate der schönsten und angenehmsten Witterung; aber auf sie folgt eine heiße Zeit, gegen deren Gipfelpunkte die heißen Tage in Deutschland Kinderspiel sind, und die Glut wird endlich durch eine Regenzeit gekühlt, deren stärkste Ergießungen die Welt scheinen ertränken zu wollen. Die Feinde der Menschheit unter den Insekten und Amphibien bedrohen und verfolgen uns fast unausgesetzt, und man kann Dinge erleben, die an eine Landplage Egyptens erinnern. Allerdings wissen sich die Reichen gegen die Unbilden der Natur zu schützen, und es ist interessant, die verschiedenen Mittel kennen zu lernen, durch welche man jene lästigen Erscheinungen zu beseitigen oder zu mildern sucht. Die Häuser erhalten durch solche Einrichtungen einen neuen Zuwachs von Prunk und einen sehr eigenthümlichen Charakter. Allein diese Rücksichtnahme auf materielle Anfechtungen und die Erholungen, die man sich dabei gönnen zu müssen glaubt, machen selber materiell, und es gehört ein fester Wille dazu, wie er nicht jedermanns Sache ist, um den Kopf oben zu halten und den verschiedenen Reizungen zu widerstehen. — Was mich betrifft, so war ich von einem Gedanken erfüllt und durch eine, ich darf wohl sagen fieberhafte Thätigkeit in Anspruch genommen. Ich ging also durch die Ausflüsse des Klimas hindurch zu dem Ziel hin, das ich als Leitstern vor Augen hatte. Mein Wille und mein Streben hoben meine Körperkraft und ließen mich die Anfälle der tropischen Natur überwinden. Aber zuletzt war ich doch froh bei dem Gedanken, den Anstrengungen und Aufregungen des dortigen Lebens zu entgehen und zu einer geistigeren Existenz in das Vaterland zurückkehren zu können.“ — „Das leuchtet ein,“ bemerkte die Baronin.

„Ein anderer Grund lag in den politischen Verhältnissen des Landes. Ich bin zwar ein zu guter Germane und glaube zu sehr an einen vernünftigen Gang der Geschichte, als daß ich die Herrschaft der Engländer in Indien für ein Uebel und nicht vielmehr für einen Erfolg im Interesse des Menschengeschlechts halten sollte. Ich kenne auch wohl die Anstalten, die man in’s Leben gerufen hat, um jene Herrschaft im Sinne des Geistes und der Kultur zu rechtfertigen. Aber bis jetzt sind mit ihr immer noch gewaltige Mißbräuche verbunden, Mißbräuche auf Kosten der Eingeborenen, von denen auch nicht abzusehen ist, wann sie ein Ende finden können und werden. Ich will ein andermal Beispiele geben und Sie werden mir dann zugestehen, daß das englische Indien kein Land ist, wo ein Mann von meiner Lebensanschauung wünschen konnte, Hütten zu bauen.“

„Ich begreife das,“ nahm jetzt der Pfarrer das Wort, „freue mich aber, daß Sie über das englische Regiment nicht den Stab zu brechen haben. Denn wir müssen an dem Glauben festhalten, daß die Herrschaft eines christlichen Volks und die geistigen Güter, die sie mitbringen, dem beherrschten Lande zuletzt immer zum Segen gereichen werden.“

„Hoffen wir das und glauben wir, daß die Keime, die jetzt vorhanden sind, nach und nach sich entfalten werden. Aber mein Herz trachtete endlich aus diesen Verhältnissen heraus, nach dem Aufenthalt im Vaterlande, wo das Christenthum das Leben zwar auch noch lange nicht ganz nach seinen Grundsätzen gemodelt hat, aber in der Umbildung doch schon weiter gekommen ist. — Meine Sehnsucht nach der Heimath,“ fuhr der Erzähler zu Anna gewendet fort, „wurde hauptsächlich durch die Briefe angefacht und gemehrt, die ich aus Schönbach erhielt und die mir in der Glut meiner Thätigkeit die köstlichste Erquickung waren. Wie reizend die Schilderung des äußern Lebens, wie schön und ergreifend die Mittheilungen aus dem innern! — Da es mir nicht einfallen konnte, dich und die Mutter nach Indien zu rufen, so blieb mir nichts übrig, als nach erreichtem Zwecke zu euch nach Deutschland zu eilen. — Ich stellte meinem Freund alle diese Verhältnisse vor und überzeugte ihn; und mit demselben Eifer, mit welchem er sich zuerst meiner Abreise widersetzt hatte, förderte er sie nun. Das Vermögen, das ich mir im Schweiß meines Angesichts erworben hatte, wurde mir in London und Hamburg zur Verfügung gestellt; ich nahm Abschied und bestieg das Schiff, das mich nach Europa führen sollte. — Darf ich dir gestehen, daß ich in den letzten Tagen, wo meine Seele bei dem Gedanken jauchzte, dich und meine Freunde in Deutschland wiederzusehen, doch Augenblicke hatte, wo ich Bedauern empfand, von dem Feld meiner Thaten auf immer scheiden zu müssen? — Mein Leben ist im Vaterland, und ihm will ich dienen, nachdem ich mir die Mittel verschafft habe, es in meinem Sinne zu thun. Aber nie werde ich jenes Land vergessen mit den Wundern seiner Natur und seiner alten Kunst! Nie die gewaltigen Eindrücke auf meinen Reisen und die Abenteuer, die ich erlebte! Nie die kolossale Thätigkeit der Hauptstadt und die großartigen Erscheinungen ihres Weltverkehrs!“

Als Arthur nach diesen mit Wärme gesprochenen Worten innehielt, benützte Frau von Holdingen die Gelegenheit, zu fragen, wie es sich denn mit den Gefahren verhalte, die er in jenem Lande bestanden habe. Sie wolle bekennen, durch diese Nachricht hauptsächlich in ihrer Meinung bestärkt worden zu seyn, daß er in der Armee diene. Arthur erwiederte: „In einem Lande, wo es Löwen, Tiger und Schlangen erster Größe gibt, in welchem, wie Sie aus den Zeitungen erfahren haben werden, ein Geheimbund von Schwärmern existirt, die ihrer Gottheit durch Mordthaten zu huldigen suchen, und wo der Reisende fast ausschließlich auf Selbsthülfe angewiesen ist, da braucht man keineswegs Militär zu seyn, um in Lebensgefahr zu gerathen. Ich werde Ihnen die Abenteuer gelegentlich mittheilen, die mir aufstießen, und kann Ihnen jetzt schon sagen, daß ich mich dabei auf eine Weise aus der Affaire gezogen habe, die eines Cavaliers nicht ganz unwürdig war.“

„Nun, Gott sey Dank,“ fiel Anna ein, „du bist jetzt zu Schiff und hast dieses Land hinter dir!“ — „Ja,“ versetzte Arthur, „ich bin zu Schiff, ich segle nach Europa mit dem Landsmanne, den ihr hier seht und der mir in den letzten Jahren der treueste Gehülfe war. Die Reise ging auch dießmal ohne jedes außergewöhnliche Erlebniß von Statten. Wir fuhren zuerst nach London. Da ich Goodman wieder einen kaufmännischen Gefallen hatte erweisen können, so empfing er mich mit doppelter Freude und war stolz auf seinen Zögling. — Von London aus, wo ich mehrere Tage verweilen mußte, schrieb ich an unsern würdigen Freund Hellmuth. — Was man wünscht, das glaubt man gern. Ich konnte nicht umhin zu hoffen, daß Waldfels wieder zu erlangen seyn würde; und da man in solchen Fällen eine gewisse ahnungsvolle Aengstlichkeit hat, so bat ich unsern Freund, mein Anerbieten sogleich Herrn von Pranger mitzutheilen. Mein Brief kam zu rechter Zeit, denn schon waren die Gläubiger im Begriff, es an einen Liebhaber abzugeben.“

„So ist es,“ bemerkte der Rentier auf einen fragenden Blick der Baronin. „Da mir aber der Herr Baron den unkaufmännischen Auftrag gegeben hatte, genau denselben Preis, den er dafür erhalten, wieder zu bieten, so war es mir leicht, den Concurrenten aus dem Felde zu schlagen. Die runde Summe trug übrigens dazu bei, Herrn von Pranger den Vergleich mit seinen Gläubigern zu erleichtern und ihm die Fortführung seines Geschäfts möglich zu machen.“

„Das hör’ ich gerne,“ rief Anna. „Möge ihm der Verkauf des Gutes so wohl gedeihen, wie dir,“ sagte sie zu Arthur. — Dieser nickte und fuhr fort: „Die Nachricht von dem Abschluß des Kaufs traf mich in Hamburg. Ich sandte Herrn Schmidt nach Schönbach und eilte nach Waldfels, um es würdig zu machen für den Einzug meiner theuersten Gäste. — Daß ich diese gesund und froh wiedergesehen habe, das ist die Krone meines Glücks — und Gott möge es mir erhalten!“

Nach diesen herzlich und feierlich gesprochenen Worten trat eine Stille in der Versammlung ein, indem alle den Empfindungen sich hingaben, welche die Erzählung in ihnen angeregt hatte. Dann ergriff Arthur auf’s neue das Wort und sagte: „Wenn ich zurückdenke an die Zeit des letzten Abschiednehmens, so kommt mir alles, was unterdessen geschehen ist, wie ein Traum vor. Ich frage mich, wie das, was jetzt als eine Thatsache vor mir liegt, möglich gewesen, und erschüttert danke ich dem Himmel, der solche Wunder an mir gethan hat. Der Instinkt, der mich beherrschte, hat mich richtig geleitet; das Bild meiner Phantasie ist eine Wahrheit geworden. Ich habe alles, was mir zur Freude des Lebens nothwendig ist, ich bin in den Stand gesetzt, meinem Vaterlande und meinen Freunden nach meiner Neigung zu dienen. Und dieses Glück habe ich mir erkämpft, es ruht auf Arbeiten, deren Erinnerung mich erfreut und erhebt, und die mir Bürge seyn dürfen, daß ich mir’s auch erhalten werde. O meine Freunde! ihr werdet mir glauben, wenn ich euch sage, daß ich mich jetzt ohne Vergleich glücklicher fühle, als wenn mir der Wohlstand, dessen ich mich erfreue, geschenkt worden wäre. Gesegnet sey das Mißgeschick, gesegnet sey die Nothwendigkeit, die mich zwang, durch eigene Kraft mir Güter zu erwerben, die ich nun im tiefsten Sinne des Wortes mein nennen kann!“

Einer unwillkürlichen Regung folgend, richtete er dann seine Blicke auf das Porträt des Vaters, auf welches eben der Schein der Lampe fiel. Der Baron, der in seiner besten Zeit und in der schönsten Stimmung gemalt worden war, sah mit frohem Selbstgefühl auf die Gesellschaft, und dem phantasiebegabten Betrachter konnte es scheinen, als ob ihn die Erzählung des Sohnes mit freudiger Theilnahme erfüllt hätte. Arthurs Augen glänzten; nie waren die liebenswürdigen Eigenschaften des Vaters so klar und rein vor seiner Seele gestanden, als in diesem Augenblick. Die Gesellschaft errieth und begriff seine Gefühle. Mit heiterer Miene wandte er sich zu der Baronin und sagte mit der Laune eines liebevollen Gemüthes: „Werden Sie mich jetzt absolviren, beste Mutter? Werden Sie mir verzeihen, daß ich ein so ungewöhnliches Mittel ergriffen habe, mein Wort zu halten?“ — „O,“ rief die Baronin mit freundschaftlichem Vorwurf, „wollen Sie mich beschämen? Sie sind gerechtfertigt durch den Erfolg, der Ihr Unternehmen krönte, und wir müssen Sie preisen, das Mittel gewählt zu haben, das zum Ziel führte.“

Der erreichte Zweck hatte in der That seine Wirkung auf die Seele der Baronin schon vollständig geübt, das Mittel glänzte verschönt in den Strahlen seines Lichtes. In dem Vergnügen, das sie nun empfand, begegnete es ihr, den Schwiegersohn zu fragen: warum er denn aus seinem Projekt ein Geheimniß gemacht und sie nicht gleich in dasselbe eingeweiht habe? Hier konnten Arthur und Anna nicht umhin, sich lächelnd anzusehen, und jener versetzte: „Ich habe nicht zu hoffen gewagt, daß meine Wahl schon vor dem Erfolg Gnade vor Ihren Augen finden würde, und hielt es für sicherer, zu schweigen.“ — Die Baronin hatte den Humor zu erwiedern: „Sie mögen Recht gehabt haben.“ —

Es war unvermerkt spät geworden. Der Mond stand hoch am Himmel, der Zeiger der Uhr wies auf eilf. Arthur trat zu einem Wandschrank, nahm ein Papier heraus und sagte wiederkehrend zu Frau von Holdingen: „Für heute hab’ ich noch eine Bitte an Sie. Ich bin zwar aus Indien nicht als Millionär, aber doch mit einem Vermögen zurückgekehrt, das durch den Wiederkauf von Waldfels noch nicht erschöpft ist. Erlauben Sie mir nun, daß ich auch Ihnen ein Geschenk mache, wodurch Sie wieder das werden, was Sie zur Zeit meiner Abreise gewesen sind: die Eigenthümerin der kleinen, zierlichen Villa, in der wir so schöne Stunden verlebt haben. Es ist jetzt für uns eine Zeit der Restauration; und wenn Sie auch später mit uns das Schloß bewohnen werden, so müssen Sie uns doch, wie früher, in den geweihten Räumen zuweilen bewirthen können.“ Er übergab ihr das Dokument und die Baronin erwiederte: „Ich nehme das Geschenk an und danke Ihnen von Herzen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich irre mich wohl nicht, wenn ich annehme, daß dort heute schon alles zu unserer Aufnahme bereit ist?“ — „Allerdings,“ versetzte Arthur. Die Baronin drückte ihm die Hand.

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