KAPITEL VIII. Die umbrisch-sabellischen Stämme. Anfänge der Samniten

Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie in aeltester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die illyrischen Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als die etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend spaeter als die Landschaft nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter nach der roemischen Eroberung im Vergleich mit dem zaehen Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im noerdlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende Latinisierung der suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass von Norden und Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie spaeter innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre aehnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die Tusker den Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwuenscht.

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^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen (R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo sentem …. dedet cuando … cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften gefunden von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.

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Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und mit ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen mit den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen Westkueste wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so frueh und so schnell sich latinisieren konnten.

Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste die bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern wich oder sich unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen apulischen Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren, preiszugeben und ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze bescheren moechten. Den einen Schwarm fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In aehnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die uebrigen kleinen Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den Volskern und den Latinern sich beruehrend. In ihnen allen blieb das Gefuehl der Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Staemme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrueckt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Staedtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre geographische Lage sie beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung genuegten die Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie bei den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in voelliger Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an, umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in Samnium keine einzelne Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen, dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass die Erweiterung des Gebiets planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung veranlassten Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt abzuschlagen.

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