KAPITEL XI. Regiment und Regierte

Der Sturz des Junkertums nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen worden, dass die Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn innerhalb des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten hatte, so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit der Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der buergerlichen Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt worden, wie jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die Anfaenge dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese innere Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr Bildungsprozess mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen fallen in diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die Zunahme der Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem furchtbaren Droehnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen zu lassen.

Die roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich, von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl, dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward, im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben aufzustellen und diese Bilder bei Todesfaellen von Familiengliedern im Leichenkondukt aufzufuehren; wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und die roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und ihren Nachkommen durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Juenglinge, der Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 - geringe Dinge, aber dennoch wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche Gleichheit auch im aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend des Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im Gefaengnis gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz auf dem Haupte oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen moegen teilweise schon in der Zeit des Patrizierregiments bestanden und, solange innerhalb des Patriziats noch vornehme und geringe Familien unterschieden wurden, den ersteren als aeussere Abzeichen gedient haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher erst durch die Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt wohl schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung hinzutraten. Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den Gemeindeaemtern, woran diese erblichen Ehrenrechte geknuepft waren, weder die niederen noch die ausserordentlichen noch die Vorstandschaft der Plebs gehoere, sondern lediglich das Konsulat, die diesem gleichstehende Praetur und die an der gemeinen Rechtspflege, also an der Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet ^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht zu sagen von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne Zweifel weil laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich eine solche Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen Gesetze kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt einen Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern rang nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die wichtigsten Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln.

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^1 All diese Abzeichen kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im fuenften Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von dem silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, spaeterhin denen aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen.

Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der Ritter, so dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal trugen; mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen.

^2 Plin. nat. 21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward durch Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde.

^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den kurulischen Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward.

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Die rechtliche Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten auf Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so gut wie unabhaengiges und in gewissem Sinn sich selber ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege, durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen, zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung in demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der Nobilitaet.

Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt. Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte, sich des Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der Servianischen Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden verfassungsmaessig ebenfalls von den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die Ritter nach militaerischen Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle durch Alter oder sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise den Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen ansehnlichen Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr Pferd liessen. Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden, dass der Senator dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So wurde es denn wenigstens tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den achtzehn Ritterzenturien stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben vorwiegend an die jungen Maenner der Nobilitaet kamen. Das Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch die effektive Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der Legionarreiterei, als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend des Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte dem Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb.

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^4 Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs, endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. 243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und durchaus nicht nach Livius’ Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung) und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige Bestand der roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll. Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil uebertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu nachdenklichen Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. 238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico, stehen seit fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem Pferd pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse; sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch.

In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als solche die Ritterbenennung weg.

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Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien; und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und nicht nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren republikanischen Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs in erster Reihe stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich durchaus nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der Gipfelpunkt und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen, als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung Catos um die Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich ruecksichtslosen und formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550 (204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren- und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren, ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz der blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man ab. Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers gegebenen Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu, indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen.

In dieser hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm, im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika (527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die materielle Unzulaenglichkeit der roemischen Magistratur.

Unter den von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden. Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung von der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen dabei zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung der Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl von Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden des demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171) es notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu ueberlassen.

Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem die Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war dies allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin, dass das Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre 537 (217) fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben und der Waehlerschaft das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen Faellen sich ueber jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den Angehoerigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der Eintritt in den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und geringeren Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der sozialen Aristokratie angehoeriger Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen zurueck auf besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der kurulischen Haeuser sich bewegten und ein “neuer Mensch” nur durch eine Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag eine gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt, insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, dem konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und der Nepotismus der Flaminine war womoeglich noch unverschaemter und aergerlicher als der der Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte in der Tat weit mehr solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die Republik. Man war schon dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm gegen die Familienregierung und ihre Konsequenzen in einem streng oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das ist der Grund, weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie opponierte, zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot.

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5 Die Stabilitaet des roemischen Adels kann man namentlich fuer die patrizischen Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt worden und sind fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553, 555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese patrizischen Konsuln und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den Geschlechtern:

Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener

             (366-254): (253-173): 16 patrizische Kollegien

Cornelier 15 15 14

Valerier 10 8 4

Claudier 4 8 2

Aemilier 9 6 2

Fabier 6 6 1

Manlier 4 6 1

Postumier 2 6 2

Servilier 3 4 2

Quinctier 2 3 1

Furier 2 3 -

Sulpicier 6 2 2

Veturier - 2 -

Papirier 3 1 -

Nautier 2 - -

Julier 1 - 1

Foslier 1 - -

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70 70 32

Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier, Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.

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Von diesem allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel das Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung geteilte Regiment verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber klare und feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit den grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden roemischen Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht uebersehen werden, dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen fast entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat.

Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr, was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern; und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen und die Gunst der Menge durch strenge Worte und ruecksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des Herrenstandes hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus, als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter Art sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer den faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch, im grossen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerruetteten hellenischen, phoenikischen und orientalischen Staaten in diesen Beziehungen damals noch unendlich ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom vor. Wie die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro, sondern gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher erzaehlt worden. Und in welcher Art die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt der Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia (562 192) - um seinen Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele in der Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste der Senatoren strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten Koteriehaeupter des Senats.

Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom nicht - stiegen infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen Gebietes, welche es zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe zum Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten; wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu. Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr bedeutende Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die je auf einmal in die roemische Kasse gelangt ist.

Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben groesstenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, kosteten wohl ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege- und andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets; auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem gemeinen Wesen verursachten sehr namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von ihrer ueppigen Wirtschaft aus gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten noch die Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefaehr danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, von dem Betrieb der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die Kasse bestehlen wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behoerde sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, wie schon gesagt ward, die Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen, sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen in der Hauptstadt und sonst auf oeffentlichen Grund und Boden uebergegriffen und das Wasser aus den oeffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt und sie zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen der Roemer eine merkwuerdige Weite. “Wer einen Buerger bestiehlt”, sagt Cato, “beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber, wer die Gemeinde bestiehlt.” Wenn trotz dessen, dass das oeffentliche Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland kaum hier und da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife; wie der roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur, dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem Barbestand des Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen finden wir in Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel der Einkuenfte verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184) verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des hauptstaedtischen Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24 Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache nach angehoert, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem Anschein nach stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren. Allein bei den ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein glaenzendes Gesamtergebnis.

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^6 Die Kosten von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2).

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Am bestimmtesten tritt der veraenderte Geist der Regierung hervor in der Behandlung der italischen und ausseritalischen Untertanen der roemischen Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die latinischen bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die roemischen Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe dieser Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war, jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und ganzen betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten.

Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch die in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen, hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird.

Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem die meisten mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen, wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000 samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie Fregellae uebergesiedelt seien.

Dass die Latiner, das heisst jetzt die wenigen noch ausserhalb des roemischen Buergerverbandes stehenden Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der Herniker, und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk 577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger je drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der Buerger der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer Behoerden ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die Unmoeglichkeit, unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu leisten, veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus der Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin nur hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183) begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577 184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht zu vertauschen.

Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. Das aeltere Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen einzuverleiben, hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch uebermaessige Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr zu dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet. Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in das roemische Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die latinischen Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer einzelne der bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen Nichtbuerger ^7.

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^7 So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der Buergerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch nach bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben, wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch haeufig dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gruendung einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an eine beschraenkte Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).

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Diesen tatsaechlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit nicht abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert und, waehrend die Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch Uebergaenge zu vermitteln bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall die Mittelglieder beseitigt und die verbindenden Bruecken abgebrochen. Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus, waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte die Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die Abgeschlossenheit des verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalitaet seiner Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt selbst sich ein in die starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms zu empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten, zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten, ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass ferner in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen eine noch gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der Verachtung und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den Italikern zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die Furcht hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Maennern das roemische Buergerrecht und Sitz im Senat zu gewaehren, war freilich zur Unzeit gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein wuerde.

Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich diejenige, welche am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der bisher eingehaltenen Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere roemische Staatsrecht kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die ueberwundenen Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft oder in der roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verstaendigste und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren entriss. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war es anfaenglich die Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der Verwaltung und Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon ab, als man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es weit weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, als darauf, dass man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; fuer den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuss. Das neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von Voegten, deren Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich war. Wie die roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt; wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist auch keine Frage, dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die Grenze der Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch ihre altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen nachdruecklich imponierten. Auch die Provinzialen befanden sich unter ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man war durch die karthagischen Voegte und syrakusanischen Herren nicht verwoehnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den nachkommenden Skorpionen der gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es ist wohl erklaerlich, wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den roemischen Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der Vogt ganz reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt. Die ueble Sitte, dem Amtmann “Ehrenwein” und andere “freiwillige” Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein; schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen, diese Hebungen zu regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und ueberhaupt der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das wichtigere Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung des Heeres oder bei anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz auszuschreiben, wurde schon so arg gemissbraucht, dass auf die Klagen der Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu werden; die masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat, offiziell dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der roemische Beamte sich am Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst gegen die abhaengigen Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das zeigen die Raubzuege des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die heillose Wirtschaft in Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die Regierung hatte kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder ernstlichen Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen Willkuerregiments fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht ganz. Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr als bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die Sache in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde von dem Senator, der die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der damaligen Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen. Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes, und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch Klagen von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden Aristokratie vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern und Geschworenen von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine Bahre zum Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um den edlen Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den Griechen Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten, sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen von Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft, wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts wegen straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; woraus denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten Verwaltung liegt in der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments sich geltend. Von Rechts wegen haetten die Voegte einer weit strengeren und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo das Reich grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert werden, durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden Institute, die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine der spaeter erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation der obersten Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der roemische Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von der Oberverwaltung tatsaechlich unabhaengig, endlich mit einer gewissen Notwendigkeit dahin gefuehrt, sein und seiner Administrierten Interesse von dem der roemischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den Weg wieder zurueck in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, dass die beiden fundamentalen Saetze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter den Haenden zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus den Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so zweckmaessigen Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis hervor, welche die weiterblickenden roemischen Staatsmaenner vor der hier gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment der Nobilitaet entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen Richtung, und der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch ungehemmten stetigen Fortgang.

Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf als die alte Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern.

Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht dem bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das Glueck der Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem Grade geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl oft geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in buergerlicher und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde die Maschinerie, mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der oeffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen ihr durch ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an der Westkueste noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte; innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die Seekolonien an den italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische Vollbuergerrecht besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der juengsten Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und eine sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche, gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora et conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die Zwecke der Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher schon erwaehnten stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, teils wohl auch schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen und transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in den Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr, die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit. hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die roemischen Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie zum Beispiel bei der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und kuemmerlich auslaufende Opposition.

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^8 In der bekanntlich zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche Eroerterung der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach Rom gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer einer Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der Gegend domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward, die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom, sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden.

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Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen, wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben, und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand. Die Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten, jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben. Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550 204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche maechtige Konkurrenz der abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem selbstaendigen Mittelstand machte.

Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem sich fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in den Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser als die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete.

Aber es wirkten nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen eines hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette zeigen duerfen; aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der Beamten, namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten, machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den Aedilen moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte Cato, dass die Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender Weise zu. Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes: “plebejische Spiele” hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung der Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren der neu aus Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter hinzugefuegt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen Krieges - bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, dass die Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure Opfer zumuten musste, in solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln - so die kurulischen Aedilen zu dem alten Volksfest noch das Fest der Goettermutter und das der Flora, die plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation fuer die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige “Leistung” (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt, sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus, warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an, auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner mit Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben verfuhr, da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen, nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen Doerfern wegwarf.

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^9 Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius (p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen.

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Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter diesem Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg (576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer, ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand. Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180) stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen.

Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend, um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens 5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter durch falsche Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den vornehmen Haeusern manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich zur Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560 194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm, wenn er abends durch die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein Fackeltraeger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer eine Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schoepfen; welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begruendet hat, indem er sich selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter den von Spanien nennen liess ^10. Dem Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. Wenn der Herrenstand es nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten, wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven, sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem gemeinen Buerger, den Sproessling eines kurulischen Hauses von dem gemeinen Senator - und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das Werk der buergerlichen Gleichheit war!

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^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus gleichartig.

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Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern.

Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht wird man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen Mittelstandes gegen die neue hellenisch-kosmopolitische Nobilitaet. Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter Flaccus’ Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz. Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender Bauernwitz, seine Kenntnis des roemischen Rechts und der roemischen Verhaeltnisse, seine unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten ihn zuerst in den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt und in der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war, zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem einreissenden Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen, und noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den Augen und auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser Schaerfe und Haerte gegen alles und alle, rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der polizeilichen Ordnung und der kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht, ein Feind aller Bueberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die Quellen des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren sahen zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht, ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und ausser dem Senat zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator und dem Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister vor, allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und jeden neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste gestrichen wurden.

Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die Gesinnung war, aus der sie hervorgingen, konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf eine kurze Weile zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, so ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen der Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse wenigstens in den politisch wichtigen Faellen durchgaengig ganz ebenso erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur Beschraenkung des Luxus und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden.

Bei weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona, Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem die meisten dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei zugeschrieben werden. Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens durch den Hannibalischen Krieg und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und ueberhaupt der freien italischen Bevoelkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen Mannes.

Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die roemische Regierung zu dem gluecklicherweise verunglueckenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der fuer den Dienst im Buergerheer bisher geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von 11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt und wurden im Notfall auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten Freigeborenen in das Buergerfussvolk miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche angehoerenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die servianische Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie taten doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und sodann auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus entsprang eine der wichtigsten Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende ging (513 241).

Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die Ansaessigen gestimmt, aber doch die Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter gestimmt, das heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die Hoechstbesteuerten, das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens 100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der ersten Klasse durch das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen werden, zumal in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf die Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul- und zweite Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis 582 172), diese noch ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu besetzen, ja in dem gefaehrlichsten Moment, den die roemische Republik erlebt hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich erfolgte Wahl des nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle einzig seines Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen ward, das den Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung, sondern ausschliesslich auf die erste Klasse ueberging. Diese sowie ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, dass der Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward. Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze bei dem allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine Ausdehnung des Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der reformierten Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die neuen Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer Tribus angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden musste. Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus eingeschrieben worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und waehrend sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier staedtischen Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell das gleiche Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der Zenturienversammlung gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in der Weise festgestellt, dass von den 70 Zenturien der ersten Klasse jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansaessigen Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher Weise muss auch in den vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei, den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. Diese Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsaenderung, die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann, der erste Sieg der eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in der Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits der Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung der Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen, Gesetzvorschlaege, Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung der Buergerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die Tributkomitien gebracht und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch ueblich war, um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht ein neues Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in der praktisch haeufigeren und wichtigeren Kategorie der Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung dieser Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung, dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen Reform auf den politischen Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen. Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform noch die frueher schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten roemischen Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern sich gleichzeitig breiter und tiefer zog.

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^11 Ueber die urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von ¾, ½, ¼, 1/9 stehen. Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen Muenzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die Zensussaetze in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht des leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat er dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte die spaeteren Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine Herabsetzung der Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben wuerde. Gegen beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben; doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften Jahrhunderts noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen Massregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im Wert gewechselt haben wuerden.

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Fasst man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht ward, so hat sie dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber auch dem uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im grossen und ganzen zu bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden konnte, bleibt billig dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser Zeit aber scheinen mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und den grossen Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf ihrer Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu haben.

Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit emporkam, so trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche Oppositionspartei die volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute, die an der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine freiwillig einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat, diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537 (217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren Institut den Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538 216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem ein fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr wuenschenswertes Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das Eintreten der Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die Instruktion: nach Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen, und damit einen dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand herbeizufuehren. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch wichtigsten Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese Koerperschaften ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber wohl die Bezeichnung der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus dem Schosse dieser Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde ueberging; wobei ueberdies noch, mit echt roemischer formaler Goetterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke, also nicht das “Volk” den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung war das zunehmende Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche Fragen aus dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss von 537 (217), wodurch das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren Generalissimus und seinem populaeren und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn geteilt ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft verfuehrte tribunizische Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher Kriegfuehrung (545 209), welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung vor dem Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den Triumph abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste Bekleidung eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210); hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat ihm denselben verweigere, sich von der Buergerschaft bewilligen zu lassen (549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen, der Buergerschaft wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht ungerechtfertigte Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167); hierher das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloss, weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf das aelteste und wichtigste Recht der Regierung: die ausschliessliche Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil die Unterstellung der wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit, der Aufteilung der Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der Buergerschaft mit Notwendigkeit der Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt, sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft und gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess, durch freiwillige Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste aller Agitationsmittel abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre 522 (232) an die Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt; aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische, administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine boeswillige Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not in der Regel in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten Schaedigungen und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus sich verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines besonderen Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem naechsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden.

Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, schon auch schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren. Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um sich eine Stellung zu verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken, denen gegenueber Beamte und Regierung formell gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt, im Weinhaus Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen in Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten Recht war.

Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch die geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen? Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen sowohl hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen. In der Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt den Staatsmaennern der folgenden Generation als der Eroeffner derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und - setzen wir hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution hervorging. Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart, der Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht, liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als der erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen.

Die Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein, wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen geschah von seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die Majoritaeten noch wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die Parteien trennte, noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die schlimmsten Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht verstopfte, so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen und Daemmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmaessigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder in frische Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die roemische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter darueber hinaus; aber die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der Vorbote der Revolution.

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