5.

Dem ganzen höheren Erziehungswesen in Deutschland ist die Hauptsache abhanden gekommen: Zweck sowohl als Mittel zum Zweck. Dass Erziehung, Bildung selbst Zweck ist - und nicht das "Reich" -, dass es zu diesem Zweck der Erzieherbedarf - und nicht der Gymnasiallehrer und Universitäts-Gelehrten - man vergass das… Erzieher thun noth, die selbst erzogen sind, überlegene, vornehme Geister, in jedem Augenblick bewiesen, durch Wort und Schweigen bewiesen, reife, süss gewordene Culturen, - nicht die gelehrten Rüpel, welche Gymnasium und Universität der Jugend heute als "höhere Ammen" entgegenbringt. Die Erzieherfehlen, die Ausnahmen der Ausnahmen abgerechnet, die erste Vorbedingung der Erziehung: daher der Niedergang der deutschen Cultur. - Eine jener allerseltensten Ausnahmen ist mein verehrungswürdiger Freund Jakob Burckhardt in Basel: ihm zuerst verdankt Basel seinen Vorrang von Humanität. - Was die "höheren Schulen" Deutschlands thatsächlich erreichen, das ist eine brutale Abrichtung, um, mit möglichst geringem Zeitverlust, eine Unzahl junger Männer für den Staatsdienst nutzbar, ausnutzbar zu machen. "Höhere Erziehung" und Unzahl - das widerspricht sich von vornherein. Jede höhere Erziehung gehört nur der Ausnahme: man muss privilegirt sein, um ein Recht auf ein so hohes Privilegium zu haben. Alle grossen, alle schönen Dinge können nie Gemeingut sein: pulchrum est paucorum hominum. - Was bedingt den Niedergang der deutschen Cultur? Dass "höhere Erziehung" kein Vorrecht mehr ist - der Demokratismus der "allgemeinen", der gemein gewordnen "Bildung"… Nicht zu vergessen, dass militärische Privilegien den Zu-Viel-Besuch der höheren Schulen, das heisst ihren Untergang, förmlich erzwingen. - Es steht Niemandem mehr frei, im jetzigen Deutschland seinen Kindern eine vornehme Erziehung zu geben: unsre "höheren" Schulen sind allesammt auf die zweideutigste Mittelmässigkeit eingerichtet, mit Lehrern, mit Lehrplänen, mit Lehrzielen. Und überall herrscht eine unanständige Hast, wie als ob Etwas versäumt wäre, wenn der junge Mann Mit 23 Jahren noch nicht "fertig" ist, noch nicht Antwort weiss auf die "Hauptfrage": welchen Beruf? - Eine höhere Art Mensch, mit Verlaub gesagt, liebt nicht "Berufe", genau deshalb, weil sie sich berufen weiss… Sie hat Zeit, sie nimmt sich Zeit, sie denkt gar nicht daran, "fertig" zu werden, - mit dreissig Jahren ist man, im Sinne hoher Cultur, ein Anfänger, ein Kind. - Unsre überfüllten Gymnasien, unsre überhäuften, stupid gemachten Gymnasiallehrer sind ein Skandal: um diese Zustände in Schutz zu nehmen, wie es jüngst die Professoren von Heidelberg gethan haben, dazu hat man vielleicht Ursachen, - Gründe dafür giebt es nicht.

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