Siebentes Kapitel. Im Frieden. Besichtigungsreisen.

26. Juli 1898.

Die Fest- und Jubeltage, die Tom reichlich bewilligen mußte, sind nun endlich vorüber; der Lärm Tag und Nacht hat mich sehr angestrengt, umsomehr, als ich wieder bettlägerig war; in der freudigen Aufregung der ersten Tage habe ich mich wohl nicht genug geschont. Heute geht es mir besser, die Ruhe wirkt wohltuend. Es waren über 1000 Wahehe zur Station gekommen, die in ihren bunten Tüchern einen malerischen Anblick boten. Am 19. d. Mts. ist der neue Landwirt Hierl angekommen; als Ersatz für Hammermeister kam Feldwebel Liebhard und ein Unteroffizier Künster; als früherer Pionier wurde er gleich beim Brückenbau angestellt; hoffentlich hört nun das Balancieren über Baumstämme bald auf.

31. August 1898.

Förster Ockel ging gestern zur Küste ab; er nahm die Kettengefangenen mit, zu denen noch Schubert einige Quawaanhänger eingeliefert hatte. Später verabschiedete sich Herr v. Prittwitz vor seinem Abmarsche. Heute war Leutnant Kuhlmann unser Gast. Jetzt wird es auch bekannt, daß wir auf unserer letzten Safari in unmittelbarer Nähe von Quawa gewesen sind; wir haben sogar den Rauch seines Lagerplatzes gesehen, nahmen aber an, daß es Herrn v. Prittwitz’ Leute sein müßten, die unserer Berechnung nach in jener Richtung marschierten! Aber das Interessanteste dabei ist: unser Waheheführer wußte genau, daß Quawa dort lagerte! Die hohe Belohnung, die auf Quawas Kopf gesetzt war, lockte ihn nicht, seinen früheren Herrn zu verraten. Noch zwei Tage, bevor er bei uns sein Führeramt antrat, hat er dem Flüchtling Nahrungsmittel gebracht. Tom war oft stundenlang allein mit dem Führer im Pori; wie leicht hätte der ihn hinterrücks niederstechen können, wenn Tom mit Zeichnen und Aufnahmen beschäftigt war! Jetzt ist es mir auch klar, weshalb unsere Wahehe stets die seitlichen Anhöhen erstiegen, um Ausschau zu halten.

Ein schöner Charakterzug in diesen Leuten: sie wollten den Frieden für ihr Land, doch nicht nur durch Verrat an ihrem Sultan sollte er erkauft werden. Eins ist uns unbegreiflich: warum hat Quawa, der doch den Überfall von Kondoa, jenseits Kilossa, damals so strategisch wirklich scharf durchdacht angelegt und meisterhaft ausgeführt hat, bei all seiner Energie und Macht niemals unsere Station angegriffen!

Toms Schicksal ist ganz mit Uhehe verwoben — schon 1891 war er bis Mage vorgedrungen, dort mußte er umkehren, weil sich seine Zulus weigerten, noch weiter zu marschieren. Am Ruaha hat er sich dann mit einem Askari im Pori verirrt. Die Lage war sehr kritisch. Feinde ringsum, überall sahen sie die Feuerstellen ihrer Verfolger, der feindlichen Wahehe. Tom erzählte mir viel und interessant von jenen Tagen, wie sie vorsichtig auf Händen und Füßen die Lagerstätten der Wahehe in weitem Bogen umkreisten, bis sie eines Tages sich plötzlich einem größeren Lager gegenüber befanden, von dessen Bewohnern sie sich bereits entdeckt sahen! Da hat ihm doch das Herz geklopft, der Revolver war schußbereit zur Hand, um im letzten Augenblick mit einer Kugel der Gefangenschaft und dem qualvollen Tode unter den blutdürstigen Schwarzen zuvorzukommen — wie atmete er erleichtert auf, als sich die Neger als freundlich gesinnt erwiesen.

In Iringa hat Tom dann das Pulvermagazin Quawas in die Luft gesprengt. Zündschnur hatten sie nicht zur Hand, so wurde denn die Tembe, in welchen gegen 3000 Fäßchen voll Schießpulver lagerten, innen mit Stroh ausgekleidet und von der Türe aus in Brand gesteckt — und dann hieß es laufen! Tom hatte mit seinem Unteroffizier gerade hinter einer Tembe Deckung gefunden, als das Feuer das Pulver erreichte, eine furchtbare Explosion, ein Balken hätte beinahe den Unteroffizier erschlagen — und damit war Quawas Munitionsvorrat für lange Zeit vernichtet. Auch 1891 flog bei der Erstürmung von Sinna (am Kilimandscharo) ein feindliches Pulvermagazin auf; damals wurde Tom von dem gewaltigen Luftdruck zu Boden geworfen.

3. September 1898.

Heute besuchte mich Mgundimtemi; es fiel mir auf, daß sie nicht mehr in Trauer geht, sie trägt wieder bunte Tücher, Ketten und Armbänder. Sie hat einen ehemaligen Msagira aus einer reinen Wahehefamilie geheiratet, Tom will ihn als Jumbe eines kleinen Bezirkes einsetzen.

Auf der Station treten die Pocken wieder auf, diesmal ziemlich bösartig. Die Leute sind zum Glück recht vernünftig, beim geringsten Anzeichen bringen sie ihre Kranken. Auch die ankommenden Karawanen werden genau untersucht. Etwa eine halbe Wegstunde von der Station entfernt ist ein Pockenhospital eingerichtet. Ich wünsche sehnlichst, die Lymphe käme endlich von der Küste an, damit wir uns alle impfen lassen können.

Von Quawas Grausamkeit werden immer mehr Beispiele bekannt. Als er damals von Luhota aus entfloh, hielt er sich einen Tag in der Nähe der Station versteckt; dort erschlug er einen seiner Anhänger, dem er nicht mehr traute, und schnitt ihm einen Fuß und ein Stück Schulterfleisch ab; die am Feuer gedörrten Stücke trug er dann stets bei sich; wirklich hat Feldwebel Merkl beides bei seiner Leiche gefunden.

Um so erfreulicher blüht Handel und Wandel jetzt nach des Unruhestifters Tod. Tom unterschreibt soeben wieder einen Scheck; in diesem Monate haben die Händler bereits 16000 Rupien in die Stationskasse eingezahlt. Das ist für unser Iringa doch gewiß ein schöner Umsatz. Auch die Bautätigkeit ist rege.

Meinen Geburtstag mußte ich ohne Tom verleben, aber trotzdem ging es hoch her! Schon früh am Morgen war alles bekränzt. Dann kamen der Wali mit den Honoratioren, der Effendi namens der Kompagnie, sämtliche Europäer und Abordnungen von Frauen der Askaris, der Fundis, Farhengas große Bibis, kurz, die Gratulanten nahmen kaum ein Ende. Abends besuchten mich dann zu meiner Freude die am 18. August hier angelangten Schwestern, mit denen ich noch einer Einladung nach der Messe folgte; dort wurde ich auch angefeiert. In der Stadt und im Askaridorfe herrschte lustiges Treiben an allen Ecken und Enden, mit Tanzen und Jubeln. Die Schwestern blieben bis zum nächsten Nachmittage; ich hatte aus unserer Vorratskammer mit Hilfe von Decken und Zeug ein hübsches Zimmerchen für sie hergerichtet. Auf Toms dringenden Wunsch sind uns diese vier Schwestern bewilligt worden, der Präfekt Maurus[9] brachte sie uns selbst. Ich empfing die willkommenen Gäste mit einem feinen Diner und mit Sekt; dem Präfekten ließ ich einen Rosenstrauß überreichen; von dem Empfange waren sie sichtlich gerührt. Die Schwestern erzählten mir, daß die Schwarzen ihnen schon viel von der weißen Bibi erzählt hätten, die in Iringa wohne, die lesen und schreiben könne, stets einen Revolver bei sich trage, sehr langes Haar und nur einen Mann habe. Daß die vier neuen Bibis auf der Station großes Aufsehen erregten, ist natürlich; ich hatte große Mühe, unseren Leuten beizubringen, daß die Schwestern nicht die Frauen der Patres von der Mission seien.

21. September 1898.

In unserem Garten liegen große Stapel von Holzstämmen; die Wahehe verdienen sich das erste Geld, was sie je in Händen gehabt, mit Baumfällen; sie sind so eifrig dabei, daß sie mehr anbringen, wie für die Dachbauten voraussichtlich nötig sein wird. Je nach der Güte der Stämme erhalten sie ihre Pesas, die sie vergnügt in der Stadt beim Händler schleunigst wieder ausgeben.

Diese Förstertätigkeit macht viel Arbeit, jeder Stamm muß besichtigt werden, und dann zahlt Tom auch den Leuten selbst aus. Am meisten beschäftigt ihn jetzt die Steuerfrage! Die Wahehe haben ihre Steuern reichlich durch Kriegsdienst und Straßenbau abgeleistet, ebenso die meisten Einwohner unseres Bezirkes. Nur die Leute am Ruaha, die Wapawegas und andere, die für körperliche Anstrengungen zu schlaff sind und denen der Chakula sozusagen in den Mund wächst, sollen eine Naturaliensteuer entrichten. Von den Stadtleuten wird eine Hüttensteuer erhoben.

3. Oktober 1898.

Heute ist unser Freund Kiwanga[10] wieder abgezogen; er kam am 28. v. M. mit seiner großen Bibi auf Besuch zu uns; wir besuchten ihn auch einigemal in seiner Tembe. Ein Versuch, sein ausgesprochen jüdisches Profil durch einen Schattenriß an der Wand zu verewigen, scheiterte an seiner Beweglichkeit, der photographischen Kamera entging er aber auch diesmal nicht, trotz seiner herzbewegenden Klage: „Ach Bibi, jeder Europäer macht Bilder von mir, ich werde alle Tage photographiert.“ Als ich ihm aber die Bilder zeigte, die ich früher von ihm und seinem Kriegslager aufgenommen hatte, geriet er doch in die freudigste Aufregung. Auch unser braver Schnapsel war in diesen letzten Wochen krank, ein großer Hund hatte ihn in den Hals gebissen; dank der liebenswürdigen Bemühungen Dr. Drewes und unserer sorgsamen Pflege kam er wieder zu Kräften; wir hätten den treuen Hausgenossen doch schwer vermißt. Dem Hühnerstalle hat ein Leopard einen nächtlichen Besuch abgestattet und 7 Enten mitgenommen; ich glaubte erst, es seien Diebe gewesen, heute nacht hat er aber wieder einige 30 totgebissen und zum Teil gefressen, auch meine Puten sind verschwunden; deutliche Spuren und vereinzelte Federn verrieten aber, daß hier ein zweibeiniger Spitzbube auf Konto seines vierbeinigen Kollegen gearbeitet hat.

11. Oktober 1898.

Gestern brachte Pater Ambrosius den am Fieber erkrankten Herrn v. der Marwitz nach der Station und ging mit dessen Stellvertreter, dem Unteroffizier Künster, wieder auf seinen Posten zurück.

Ich war in großer Unruhe! Herrn v. der Marwitz’ Fieberanfall hatte noch in der letzten Woche unseren Arzt sechs Tage lang von der Station ferngehalten, jetzt gerade, wo ich ärztlicher Hilfe voraussichtlich bald dringend bedarf! Gott sei Dank, diese Sorge bin ich los, nun geht das „große Reinemachen“ noch einmal so flott. Es soll wenigstens alles in Haus und Hof imstande sein, wenn ich nicht jeden Tag selbst mehr nach dem Rechten sehen kann.

Utengule, 28. Mai 1899.

Schwere Zeiten liegen hinter mir, Wochen und Monate so banger, verzehrender Sorge, wie sie nur einer Mutter beschieden sein können..... Wir befinden uns auf Safari. Tom hatte schon früher den Wunsch geäußert, sich die Gegend hier genauer anzusehen, nun sind wir seit dem 27. April unterwegs.

Die Landschaft Irole übertrifft an Fruchtbarkeit alle unsere Erwartungen, sie liegt 1400 Meter hoch und zeichnet sich durch gesundes Klima und für uns Europäer angenehme Temperatur aus. Am 30. April besuchten wir das auf einer Anhöhe bei der Residenz des Jumben Kawenda von Irole gelegene Zelewski-Denkmal: eine 8 Meter hohe Steinpyramide auf einem 7 Meter hohen Sockel, in welchen eine Kupferplatte mit den Namen der zehn Gefallenen der unglücklichen Zelewski-Expedition von 1891 eingefügt ist. Mit tiefer Rührung las ich die Namen: vor acht Jahren fielen zehn deutsche Männer an dieser Stelle im blutigen Kampfe gegen die Wahehe — und heute stehen wir hier als die Herren des Landes, und die Wahehe sind unsere tapfersten Kampfgenossen. Das teure Blut unserer tapferen Landsleute ist nicht fruchtlos geflossen.

Wir schmückten das Denkmal mit Blumen und Laubgewinden und zogen weiter in die steilen Utshungwe-Berge. Anhaltendes Regenwetter vereitelte aber Toms Arbeiten, Wegaufnahmen und Kartieren; auch ich hatte natürlich keine Freude an dieser „Wasserpartie“. Kurze Sonnenblicke, die zuweilen die Nebelwand zerrissen, ließen erkennen, daß wir uns in fruchtbarem und eigenartig schönem Berggebiete befanden.

Sehr überrascht waren wir eines Morgens, als wir aus unserem Zelt anscheinend in eine Schneelandschaft traten; es war jedoch nur der frische Morgentau, der auf den dicht behaarten Halmen einer weißlich schimmernden Grasart glänzte. Die Täuschung war wirklich überraschend. Auf dem Rückzug aus den Bergen mit vielen Flußübergängen ist mir besonders eine prächtige Schirmakazie aufgefallen, die ihr flaches Dach gegen 7 Meter weit nach allen Richtungen hin ausbreitete; leider konnte ich den stattlichen Baum nicht photographieren, Nebel und Regen folgten uns auf dem ganzen Marsch bis Malangali.

Von besonderem Interesse war mir auf dieser Safari, daß wir am 5. Mai an einem Platze Halt machten, in dessen Nähe ich vor 2½ Jahren mit Tom nach monatelanger, in dem Fieberneste Perondo unter Angst und Sorge um sein Leben zugebrachter Einsamkeit wieder zusammenkam. Das Wiedersehen wog all die sorgenvollen Wochen auf! Noch eine andere Erinnerung knüpft sich an diesen Platz: hier wurde damals der Askari meuchlerisch ermordet, das erste Zeichen des beginnenden Aufstandes.

Zu unserer Begrüßung kam der Jumbe Lupambile aus Mugama, ein Verwandter des Sultans Kiwanga, ins Lager. Er brachte mir die Hühner und andere Lebensmittel, die ich vorausgesandt hatte. Ihm vertraute ich meine beiden jüngsten Pflegekinder an: Mumiri und Mpanga. Wider Erwarten zeigten sich die beiden Kleinen den Anstrengungen der Safari nicht gewachsen, die ersten paar Tage hielten sie auf ihren Eseln, die ich besonders für sie angeschafft hatte, ganz tapfer aus, besonders Mumiri; das kleine frische Kerlchen klammerte sich mit den Armen um den Hals seines Grautieres, auf die Dauer freilich wurde ihm diese Stellung doch zu unbequem; sobald er sich aufrecht setzte, fiel er herunter, auch wurde er oft von den Bäumen aus dem Sattel gestreift. So war es denn besser, die Kinder hier zu lassen, umsomehr, als sie bei Lupambile in bester Hand sind.

Am 6. Mai rasteten wir am Iragolabach; von der Fülle der herrlichsten Blumen, Lilien und Orchideen, nahmen wir eine Menge Knollen zum Einpflanzen mit. Der Zug durch die Landschaft Fuagi war besonders für unsere Schwarzen beschwerlich, es fehlte an Holz zum Lagerfeuer; die armen Kerle froren Tag und Nacht. Auch der Übergang über den Uuhai (Nebenfluß des Ruaha) bot, der steilen Ufer und des weichen Moorbodens auf unserer Seite wegen, große Schwierigkeiten; die Karawane brauchte länger als eine Stunde zum Durchwaten, ich „schwebte“ wieder auf den Köpfen von zwei Askaris über die Flut hinweg; ein besonders langer Mhehe stapfte hinterher, um die teure Last vor unfreiwilligem Bade zu bewahren, falls einer meiner beiden Träger im Wasser stolpern oder fallen sollte. Es ging aber gut ab. Von Wild sahen wir nur ein Wildschwein und eine Antilope auf einem Felsblock, deren Silhouette sich scharf gegen den rotglühenden Morgenhimmel abhob — ein prächtiges Bild. Am Kufaribache (8. Mai) fand sich viel Brennholz; trotz der milden Sommernacht schichteten die Träger wahre Scheiterhaufen zusammen, als wollten sie sich nun bei dem reichlichen Holzvorrat nachträglich noch an Hitze ersetzen, was sie in den holzarmen Strecken entbehren mußten.

Am 9. Mai stellten wir die Quelle des Ruaha fest. Wir hielten da einen Ruhetag, weil Tom Berichte schreiben und seine Beobachtungen und Aufnahmen in Ordnung bringen wollte. Unser Herbarium erhielt auch hier reichen Zuwachs; in dem die Ruahaquelle umgebenden Sumpfe wuchsen wunderschöne Blumen, von denen wir uns einen Vorrat preßten; freilich mußten wir in dem Sumpf und dem Bache herumwaten. Das ganze Land ist sehr wasserreich: binnen sechs Tagen mußten wir mehr als 250 Wasserläufe passieren, zum Teil von ansehnlicher Tiefe. Am 12. lagerten wir am Malangali-Ruaha, den wir zum Unterschied von unserem großen Flusse den Ruahabach nannten. Bemerkenswert waren die in der Nähe befindlichen charakteristischen Erderosionen, wie man sie selten von solcher eigenartigen Schönheit antrifft.

Am 14. Mai trafen wir auf Station Malangali ein, wo Herr v. der Marwitz ein wunderhübsches Offiziershaus mit Wohnzimmer, Schlafzimmer und Baderaum gebaut hatte. Hier war soeben der arme Geograph Schmidt am Fieber gestorben. Auch Idunda passierten wir, die Station, welche Tom seinerzeit eingehen lassen mußte, weil der Platz von Dysenterie so verseucht war, daß man der Krankheit nicht Herr werden konnte. Am Sanibach kamen wir in das Gebiet Mereres, nach Ubena. Der Charakter dieser Landschaft ist ganz verschieden von dem Uhehes, lang ausgedehnter welliger Steppenhügel mit wenig Wasser, doch fehlt es nicht an fruchtbaren Stellen. Am meisten fällt der gänzliche Mangel an Baumwuchs auf, es gibt hier meilenweit weder Baum noch Strauch. Als Brennmaterial dient der Dünger der Rinderherden, der hier von den Schwarzen überall gesammelt und in der Sonne zum Trocknen ausgebreitet wird. Die Temben sind meist aus Schilf, selten ist einmal ein Holzstab durchgezogen, den sie sich von weit her holen müssen.

In Gawiro kam uns Merere entgegen, an der Spitze seines Hofstaates. Er ist jetzt ganz „Europäer“ geworden, selbst den Gebrauch des Taschentuches hat er sich angewöhnt. Übrigens spielt er in seinem, gegen manchen seiner Stammes- und Standesgenossen stark kontrastierenden Selbstbewußtsein als Sultan eine gute Figur. Mich behandelte er mit ausgesuchter Höflichkeit; es imponierte ihm, daß ich lesen und schreiben kann. Als Tom in Ruipa neulich Volkszählung hielt, sagte Merere: „Wir zählen nicht einmal unsere Rinder, wie sollen wir unsere Frauen zählen?“ Daß Tom gefragt wird, wieviel Rinder er für mich bezahlt hat, kommt öfter vor.

Beim Einzug in Gawiro war feierliche Einholung; von weither kamen uns die Leute entgegen, in Gawiro selbst offizieller Empfang. Merere nahm auf dem von seinem Vater ererbten, schön geschnitzten und mit Metall eingelegten Stuhle Platz, der ihm überall von einem eigens hierzu angestellten Jüngling nachgetragen wird. Wir setzten uns neben den Sultan. Die Leute knieten nieder, indem sie, die Handflächen aneinander reibend, die vorgestreckten Arme hin und her bewegten, und sagten „adse senja“ (Gegrüßt seist du, Rindvieh!), worauf Merere erwidert: „Guiri juga“ (Guten Morgen, wir grüßen dich!). Wenn Merere von einer Reise zurückkehrt, wird er mit dem zweimal wiederholten Rufe begrüßt: „Guage senja“ (Guten Morgen, Rind!), „Wadjeri Msenga“ (Guten Tag, o Rindvieh!). Die Halle, in der diese Begrüßung stattfand, war mit Spiegeln an den Wänden, Fellen und Waffen ganz geschmackvoll ausgestattet. Auch die übrigen Räume fand ich ganz wohnlich eingerichtet; unter Mereres Stuhl war sogar ein schönes Leopardenfell als Teppich ausgebreitet. Von besonderem Interesse war für uns Mereres Haus, da es an den Außenseiten mit Wandmalereien geschmückt war, die in der ganzen Auffassung des Dargestellten am besten für die kindlich naive Anschauungsweise unserer schwarzen Freunde sprechen. Auf den Bildern aus grellbunten Erdfarben, die der eingeborene al fresco-Künstler sich an Ort und Stelle zusammengemischt hatte, war Quawa dargestellt, wie er mit Mpangire und seinen Brüdern zum Kriege auszieht, die Fahne voran; ferner ein Jäger, der, hinter einem Baum versteckt, auf einen Elefanten schießt; die Zeichnung des Elefanten, dem der Maler beide Stoßzähne auf die dem Beschauer zugekehrte Seite gemalt hatte, erinnerte lebhaft an die naiven Darstellungen auf altägyptischen Bildern; an der Vorderseite waren zwei große Giraffen aufgemalt. Diese Wandbilder sind im ganzen Gebiete die einzigen Zeichen von künstlerischer bezw. malerischer Betätigung; Quawa hatte sie sich auf die Wände seiner Tembe malen lassen; da sie in der dunklen Halle jedoch nicht zur Geltung kamen, ließ Merere auf den Außenwänden seiner Tembe dieselben Bilder anbringen. Bemerkenswert ist auch, daß Merere als erster schwarzer Herrscher im Innern sich ein zweistöckiges steinernes Haus bauen läßt; das Aufrichten lotrechter Wände macht ihm freilich viel Kopfschmerzen.

Mit Herrn v. der Marwitz, der inzwischen eingetroffen, setzten wir uns weiter in Marsch, und zwar kamen wir nun in wildreiche Gegend; besonders die Zebras, denen ich auf meinem Maultiere mich bis auf etwa 100 Meter nähern konnte, boten einen prächtigen Anblick; die mit Leierantilopen vermischten Herden formierten sich manchmal wie eine Kavallerie-Brigade mit vorgezogenen Kommandeuren und Adjutanten. Bei Usafa, etwa drei Stunden nördlich von Gawiro, geht das charakteristische weitgewellte Ubena-Grasland der Uheheberge auf, und es beginnt die Tischplatten-Niederung des Mpangali oder großen Ruaha, welche zunächst bis zur größten Ortschaft Kiwere mit Busch und Strauch bedeckt ist. Über Kiwere hinaus, und zwar bis an den Usafaabfall im Westen, die Vorhügel von Niam-Niam im Norden, an die Irongoberge im Osten, dehnt sich, soweit das Auge reicht, eine gewaltige, fast baumlose Ebene aus, die zwar in der Regenzeit mit Gras bestanden, aber in den trockenen Zeiten, namentlich nach den Grasbränden, unbeschreiblich öde wäre, wenn nicht die kolossalen Wildherden Leben in das Bild brächten. Verschiedentlich glaubte ich noch aus 1500 Meter Entfernung, mitten in der gelben Ebene, eine lange Strecke Buschwald vor mir zu sehen, der sich aber bei Annäherung als eine etwa 1000 Stück starke Herde von vorherrschend Zebras und Leierantilopen auswies. Rhinozeros und Elefanten sind auch nicht selten, während Löwen nachgerade hier zu Hause zu sein schienen. Merere wurde eingehend über den Wert des Zebras belehrt. Am Mpangali selbst liegen keine Dörfer, wohl aber ist eine Reihe Niederlassungen, meist Neuansiedelungen, durch Merere ein bis zwei Stunden vom Flusse ab in der Steppe verstreut; nur am linken Ufer ist die Steppe von Ulanga westlich menschenleer und fast ohne Wald. Bei Ulanga, einer Niederlassung mit 60 Hütten, trennten wir uns am 19. Mai 1899. Merere ging auf direktem Wege nach seiner neuen Residenz Utengule, um Vorbereitung zum Schauri zu treffen.

Am Ruaha schlugen wir unser Lager auf, an der einzigen Stelle, wo der Fluß einigermaßen passierbar ist; die vielen Krokodile, die sich hier aufhalten, machen den Übergang doch etwas riskant, ich balancierte, die Füße auf den Hals meines Maultieres gelegt, glücklich und ohne weitere Anfechtung hindurch. Dann trafen wir nach kurzer Mittagspause Vorbereitungen zur Kibokojagd (Nilpferd). Ich war in keiner geringen Aufregung: zum erstenmal auf Flußpferde pürschen — da darf man schon Jagdfieber haben.

Wir waren kaum 300 Meter am Ufer entlang gegangen, als wir auch schon die ersten Tiere sahen: prustend kamen zwei unförmliche Schnauzen aus dem Wasser, um nach ein paar schnaufenden Atemzügen rasch wieder unterzutauchen. — Hier faßte Herr v. der Marwitz Posten, während Tom und ich weitergingen. Bald fanden wir eine ganze Familie: die Alten scheu und vorsichtig immer nur auf Augenblicke den Kopf aus dem Wasser reckend, die Totos dagegen vergnügt und sorglos herumplätschernd. Wir beobachteten eine Zeitlang das interessante Bild, als plötzlich von der Seite unseres Jagdgenossen ein Schuß fiel, dem bald noch mehrere folgten. Jetzt galt es auch für uns, zum Schusse zu kommen, ehe die Dickhäuter sich von dem Knall verscheuchen ließen. Ich stellte mich hinter Tom, um ihm rasch die Patronen zureichen zu können. Es war nicht ganz leicht, den stärksten Kopf von den oft nur sekundenlang auftauchenden Ungetümen aufs Korn zu nehmen, und es dauerte lange, bis Tom endlich schoß. Das getroffene Tier warf sich hoch auf aus dem Wasser, schlug mit den kurzen plumpen Beinen und versank dann lautlos; wir hatten die Kugel dicht unter dem Auge einschlagen sehen, wenn es also nicht zu weit abtrieb, mußten wir das Tier finden.

Die badende Kibokoherde hatte eine Anzahl Krokodile angelockt, von denen Tom eins, welches auf einer Sandbank am Ufer sich sonnte, zur Strecke brachte; es war ein stattlicher Bursche.

Herr v. der Marwitz hatte Glück gehabt, sein Kiboko hatte ihm den Gefallen getan, angeschossen auf das Ufer zu klettern, wo er ihm den Fangschuß geben konnte. Angesichts dieses Kolosses wurden wir doch zweifelhaft, ob unser Kiboko auch wirklich tödlich getroffen wäre; es ließ Tom keine Ruhe, und so ging er denn selbst noch einmal, um den Fluß abzusuchen; sehr vergnügt kehrte er mit der Nachricht zurück, daß auch unsere Jagdbeute glücklich auf einer Sandbank im Strome gestrandet sei.

Am anderen Morgen galt es, die beiden Kolosse und das Krokodil zu bergen. Das war keine leichte Arbeit; unsere Leute strengten sich gewaltig an, die starren, unbeweglichen Fleischkolosse durch den Fluß und die Uferhöhe hinauf zu schleppen; die Aussicht auf den seltenen Überfluß an Fleisch schien ihnen Riesenkräfte zu verleihen.

Die Nachricht von unserem Jagdglück hatte sich mit Windeseile in der Gegend verbreitet, von allen Seiten kamen Einwohner der umliegenden Dörfer, um von der Beute ihr Teil zu holen. Ehe wir sie ihnen überließen, photographierte ich die beiden Kibokos und das Krokodil; dann wandten wir uns ab von dem scheußlichen Anblick dieser gierigen, heulenden, hungrigen Schar, die mit Messern, Äxten und Speeren in dem Fleische der toten Tiere herumwühlte und sich um die besten Stücke zankte.

Nur mit Mühe brachten die Wasagiras, die sich vorher schon über die Verteilung des Fleisches geeinigt hatten, Ordnung in dieses tobende Chaos.

Während hier der tollste Lärm um unsere Riesenbeute tobte, saß Herr v. der Marwitz unweit davon am Ufer und holte mit seiner Angelschnur in größter Seelenruhe Fisch auf Fisch aus dem Wasser, die uns zu Mittag vortrefflich schmeckten.

Nachmittags passierten wir, nachdem wir den Fluß nochmals durchschritten, eine Stelle, an der Herr v. der Marwitz vor einigen Monaten 32 Flußpferde erlegt hatte; die von den Hyänen abgenagten Knochenhaufen machten einen unheimlichen Eindruck. Kurz darauf kamen wir nach Ulanga, einem Dorfe mit runden Hütten. Am anderen Morgen großer Alarm: soeben war ein Trupp Elefanten dicht am Dorfe vorbeigelaufen, in der Ferne konnten wir sie noch sehen! Eine Verfolgung blieb, wie zu erwarten, ohne Erfolg, nur einen Antilopenbock brachte Tom zur Strecke. Mehr Glück hatten wir später in der Nähe einer kleinen Ansiedelung von acht Hütten, Karadja; dort konnte ich eine Strecke photographieren, bestehend aus 1 Zebra, 1 Kuhantilope, 3 Nämära, 1 Swala, 1 Schwarzfersenantilope. Die Leute leben hier fast ausschließlich von der Jagd, Feldfrüchte bauen sie fast gar nicht, tauschen solche vielmehr in den Nachbardörfern gegen das Fleisch ihrer Jagdbeute ein, und damit ist beiden Teilen aufs beste geholfen.

Im weiteren Verlaufe unseres Marsches hatte ich Gelegenheit, mich dicht an einen größeren Trupp von Zebras anzupirschen und die prächtigen Tiere lange zu beobachten; ein wunderbares Bild: die zierlichen Tiere fühlten sich ganz sicher, die Fohlen spielten und sprangen um die alten Tiere herum, die sorglos grasten; erst als mein Maultier hart auf einen großen Stein auftrat, schraken sie zusammen und wurden flüchtig.

Das wichtigste Ereignis stand mir jedoch noch bevor. Etwa 150 Schritt abseits unseres Weges stieg plötzlich eine schwarze Wolke von Aasgeiern auf, dort mußte also ein ausgiebiger Futterplatz sein. Aber sollten wir auf diese Entfernung hin das Frühstück gestört haben? Ich schickte einen Wahehe nach der Richtung, doch der war kaum in die Nähe gekommen, als sich plötzlich ein mächtiger Löwe aus dem hohen Grase erhob! Es war ein prachtvolles starkes Tier mit dichter Mähne, die er zornig schüttelte. Der Wahehe stand vor Schreck wie festgenagelt, und ich meinte nicht anders, als daß der Löwe ihn im nächsten Augenblicke unter seinen Pranken haben würde — aber ich hatte den Wüstenkönig überschätzt. Ehe noch Tom aus dem Sattel und mit der Büchse zur Stelle war, hatte der Löwe sich schon bis auf etwa 300 Schritt entfernt; dann wandte er sich wieder und äugte nach uns herüber, sobald wir ihm aber folgten, brachte er immer größere Strecken zwischen sich und uns, bis er endlich am Horizonte verschwand.

Das ganze Benehmen deutet auf alles andere, als auf die vielgerühmte Tollkühnheit und Tapferkeit des sogenannten „Königs der Tiere“ — mir kam es erbärmlich feige vor, als das kraftvolle stattliche Tier Reißaus nahm. Unverbesserliche Optimisten mögen darin vielleicht ein Zeichen der sprichwörtlichen „Großmut“ erkennen, daß er sich nicht auf den Wahehe stürzte. Das Urteil über die bewundernswerten Eigenschaften des Wüstenkönigs scheint mir nach allem, was unsere „Afrikaner“ davon erlebt und erzählt und was ich selbst von ihm gesehen habe, sehr der Revision bedürftig. Jedenfalls darf man den Begriff „König“ nicht in dem Sinn auffassen, wie wir Europäer das zu tun gewohnt sind; man kommt der Sache schon besser bei, wenn man den Begriff nach dem Beispiele der sehr ehrenwerten Mitglieder des Pickwick-Klub „in a Pickwickian i. e. African point of view“ nimmt.

Da Tom für seine kartographischen Aufnahmen den Fluß als Basis benutzen wollte, hielten wir uns die nächsten Tage am Ruaha auf. Noch am Vorabende unseres Aufbruches, am 24. Mai, hatte ich Gelegenheit, mich auf eine Kibokofamilie anzupirschen, die sorglos im Strom badete. Ich muß gestehen, daß ich in nicht geringer Aufregung war, als ich zum ersten Male die Büchse erhob, das Herz schlug mir hörbar bis zum Hals hinauf, so daß ich mein Ziel, den in kurzen Zwischenräumen auftauchenden Kopf meines Wildes, kaum fest in die Visierlinie bringen konnte: ich hatte das richtige Büchsenfieber! Endlich, als sich meine Nerven beruhigt hatten, paßte ich meine Gelegenheit ab; ich blieb im Anschlag liegen, bis der ungefüge Kopf des zur Beute erkorenen Tieres aus dem Wasser auftauchte, und diesmal ließ ich ihm keine Zeit, mich wieder zu necken; noch ehe er wieder im Wasser verschwinden konnte, gab ich Feuer — die Kugel schlug dicht über dem rechten Auge ein, und mein Kiboko verschwand im Wasser! Wenn ich auch meiner Sache ganz sicher zu sein glaubte, daß der Schuß gut gesessen, war ich doch in großer Spannung, in die sich allmählich auch gelinde Zweifel mischten, ob wir das Tier finden würden, um so größer daher meine Freude, als unsere Leute mit Jubelgeschrei verkündeten, daß mein Kiboko mit weidgerechtem Kopfschuß etwas weiter stromabwärts an einer Sandbank angetrieben sei.

Mein Jagdglück feierten wir nach dem Abendbrote unten am Fluß. Im Mondschein floß der Ruaha wie ein silbernes Band leise rauschend durch die dunklen Schatten seiner waldigen, hügeligen Umgebung; als afrikanische Staffage belebt dies in majestätischer Ruhe vor uns ausgebreitete Landschaftsbild eine Familie von Flußpferden, die im Gefühl, so ganz unter sich und zu Hause zu sein, ihre schwarzen nassen Leiber im Silberglanze des Mondlichtes aufblitzen ließen, die kühle wohltuende Nachtluft, säuselnd in den Palmenwipfeln — es war ein herrlicher Abend, der mir unvergeßlich bleiben wird, es waren Stunden, die zum inneren Erlebnis werden, die Herz und Gemüt, Körper und Geist so vollkommen mit ihrem Zauber durchdringen, daß sich die tiefste Trauer, der heftigste Schmerz in linde Wehmut lösen, in stille Sehnsucht, wie Windstille nach dem Sturme. Die schwere Zeit, die eben jetzt hinter mir liegt, mit ihren Ängsten und Sorgen, mit ihren Leiden und — Hoffnungen, werden mich solche Stunden freilich nicht vergessen machen; aber es liegt jetzt wie ein verklärender Schimmer über der Erinnerung an jene Leidenszeit, eine versöhnliche Stimmung, die den unfruchtbaren Hader mit dem Schicksal aufgibt und den Blick wieder fest und vertrauensvoll auf das gesteckte Ziel richtet. Blicke ich zurück auf diese unsere letzte Safari in unserem ersten Wirkungskreise, in dem ich meinem Gatten bei Erfüllung der schweren Pflichten seines Amtes, soweit es in meinen Kräften stand, zur Hand gehen konnte, dann ist es mir, als wollte dies wilde, unwegsame Land der „weißen Bibi“ nach all ihrem Leid nun auch alle seine Wunder offenbaren, wie zum Trost für das schwere Opfer, mit der das Mutterherz sich ein Heimatsrecht in diesem Lande erkaufen mußte.

Ja, Afrika ist jetzt unsere zweite Heimat, wir haben sie uns erkämpft und erstritten, nicht nur mit der Waffe in der Hand. Und das Zeichen unseres Sieges?... ein kleiner Grabhügel in Iringa, der nun alles birgt, was Elternherzen an hoffnungsvollen Zukunftsträumen gehegt! Ruhe sanft in deutscher Erde, Du liebes Jungchen!

Am 25. Mai brechen wir vom Zusammenflusse des Barali und Kumani mit dem Ruaha auf, einem landschaftlich besonders interessanten Punkte; die drei großen Flüsse bilden eine seeartige Erweiterung, auf deren flachen Sandbänken sich zahlreiche Krokodile sonnten; Tom schoß zwei davon. Über Kimara erreichten wir am 27. den Kimarafluß in der Nähe des Dorfes Komalingi; hier hatten kürzlich die Pocken furchtbar gehaust, von 62 Bewohnern waren nur 23 übrig geblieben. Am 28. waren wir in Mtengule, dem Stammsitze Mereres, dessen Vorväter schon hier als Sultane gesessen haben. Tom hielt hier Steuer-Schauri, in Anbetracht der langjährigen Bedrückungen von seiten des Sultans Quawa wurden die erbetenen Vergünstigungen gewährt. Tom hatte den Ort an Merere wieder zurückgegeben, der nun, nach unser aller Quälgeist, Quawas, Tod zum Mittelpunkt einer seßhaften, landbauenden Bevölkerung zu werden verspricht. Merere thronte auf dem von seinen Vätern ererbten Stuhle, auch ein großes, mit allerhand Stäbchen durchflochtenes Perlenhalsband gehörte mit zu den Attributen seiner Würde.

Hier trafen wir auch den auf einer Forschungsreise begriffenen Dr. Fülleborn. Er versah uns reichlich mit Lymphe, so daß wir im weiteren Verlaufe unseres Zuges zahlreiche Impfungen vornehmen konnten. Wir verlebten mit diesem liebenswürdigen Gelehrten recht frohe Stunden. Von allen Ehrungen, die uns von seiten Mereres zuteil wurden, war der Tanz seiner etwa 300 alten und jungen Weiber entschieden die anstrengendste für beide Teile, denn diese Feierlichkeit dauerte 24 Stunden! Wir sahen sie uns natürlich nur für kurze Zeit an, aber das Geschrei dieser schwarzen Mänaden klang noch in unsere Nachtruhe hinein. Übrigens stellten wir zu unserer Verwunderung fest, daß von sämtlichen jungen Frauen auch nicht eine einzige wirklich hübsch zu nennen war.

Am 30. Mai kamen wir nach ziemlich anstrengendem Marsche durch eine etwa 40 Kilometer breite, rings von Bergspitzen und Kuppen umsäumte Grasebene nach Ruipa, dem Grenzorte von Mereres Reich und Residenz seiner Mutter. Die alte Dame — man kann diesen europäischen Begriff in der Tat auf die weißhaarige, mit einer gewissen vornehmen Zurückhaltung auftretende Mutter des Sultans anwenden — machte auf uns den besten Eindruck; sie hat viel natürlichen Anstand, und die Unterhaltung mit ihr war wirklich interessant. So viel Achtung und Ehrerbietung die kluge, alte Sultanin auch bei ihrem Volke genießt, in Gegenwart ihres Sohnes, des regierenden Herrn, darf sie sich nicht auf einen Stuhl setzen, sondern muß in seiner Nähe auf dem Boden kauern, wie es auch die Araber tun müssen, die sich doch weit erhaben über die Neger dünken.

An der Ruahaquelle, am 13. Juni 1899.

Die letzten beiden Wochen passierten wir mehrere Dörfer, in denen die schwarzen Pocken furchtbar gewütet hatten; vom Kinde bis zum ältesten Greise kaum eine Person ohne Pockennarben. Auch die Malaria machte sich wieder recht fühlbar. Wir haben, jedenfalls aus dem Lager am 3. Juni in Mbarali, die Fieberkeime mitgebracht; Toms heftiger Anfall ging zum Glück rasch vorüber, aber ich bin so schwach, daß ich mich für den Rest unserer Safari noch tragen lassen muß.

Am 21. Juni treffen wir wieder in Alt-Iringa ein.

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