Sechstes Kapitel. Auf Safari. Beendigung des Wahehe-Aufstandes und Quawas Tod.

Am 11. November 1897.

Schwere Wochen liegen hinter uns, ich war sehr krank — am 18. August traten die ersten Anzeichen einer schweren schmerzhaften Leberentzündung auf, die mich wochenlang ans Bett fesselte. Gott sei Dank, es bildete sich kein Leberabszeß, so daß die gefürchtete Operation nicht nötig wurde. Allein die furchtbaren Schmerzen, die zeitweise kaum durch die vierzehn Tage lang regelmäßig angewandten Morphiumeinspritzungen bewältigt werden konnten, hatten mich sehr mitgenommen. Und mein armer Mann! Zu allen Sorgen und Lasten des Tageslaufs nun noch der einzige Pfleger seiner schwer kranken Frau! — Als ich wieder mich in Haus und Garten bewegen konnte, war Tom selbst so gründlich herunter, daß er notgedrungen einmal ein paar Tage ausspannen mußte.

Am 11. Oktober gingen wir auf Safari, d. h. wir zogen für drei Tage „auf Sommerfrische“ in die Berge. Das waren drei herrliche Tage, in denen kein Schauri, kein Dienst, kein Berichtschreiben unsere Ruhe störte. Unsere Askaris und Träger wurden stets nach dem jeweiligen Lagerplatz vorausgesandt, und wenn Tom und ich dann nach kürzerer oder längerer Wanderung durch die herrliche Landschaft ankamen, fanden wir Zelt und Kochplatz bereits fertig vor. Abends bot dann unser Ruheplatz ein besonders malerisches Bild; wenn sich die abenteuerlichen Gestalten unserer Begleitung um das hellodernde Wachtfeuer drängten. Für diese drei Tage war die unausgesprochene Losung: „pole pole“, d. h. ruhig, mit Bedacht! — keine Überstürzung — ganz im Gegensatz zu unseren sonstigen Safaris, wo meist alles Hals über Kopf gehen mußte. Aber so ein „take it easy“ hat doch seine großen Reize, man kommt erst eigentlich zum Bewußtsein der herrlichen Gotteswelt, in der wir uns bewegen; welche Farbenpracht der Vegetation, welche Mannigfaltigkeit der Linien, in denen Berg und Tal sich abheben, jeder Baum, jeder Felsen von anderer Form wie sein Nachbar, oft grotesk und allem mir bisher Bekannten spottend — und doch: welche Harmonie liegt über diesem Gesamtbild! Vor unserem Zelte ein frisch dahinströmender Gebirgsfluß, dessen Rauschen unwiderstehlich lockt, als Abschluß des Bildes die dunkle Wand des Urwaldes. Und dazwischen wir munteren Menschenkinder, die wir in dieser grandiosen Natur Erholung suchen nach sorgenvollen Tagen! Wahrlich, nirgends fühlt man sich seinem Schöpfer näher, als inmitten seiner gewaltigen Werke....

So großartig das Landschaftsbild auch war, es konnte doch die Erinnerung an unsern deutschen Wald nicht verdrängen. Ich habe vor Jahren einmal irgendwo in einer Reiseschilderung einen Vers gelesen: „Das starre Laub am fremden Holz, es ist zum Flüstern viel zu stolz“. In der Tat, das geheimnisvolle Leben und Weben, das Flüstern und Kosen der leicht beweglichen Blätter, das unserem lieben deutschen Laubwald eigen, ist dem Tropenwald fremd. Oberon und Titania mit ihrer luftigen, lustigen Elfenschar kann ich mir nur im Rauschen unserer Eichen und Buchen oder auf dem Moosteppich unserer dunkeln Tannenwälder vorstellen.

Am zweiten Tage unserer Safari fand ich Gelegenheit, in einem prächtig klaren Gebirgsfluß, der ausnahmsweise einmal kein felsiges, sondern sandiges Ufer hatte, ein erfrischendes Bad zu nehmen. Da mir das Gewässer in Bezug auf Untiefen, Stromschnellen und Wirbel unbekannt war, mußte ich meiner Lust nach einer längeren Schwimmtour Zügel anlegen; daß man hier während des Badens auf das Auftauchen eines „Kiboko“ (Nilpferd) gefaßt sein muß, erhöht den Reiz ganz wesentlich — unsere deutsche Schuljugend plätschert ja bekanntlich auch mit Vorliebe an den Stellen im Fluß herum, die durch eine Tafel: „das Baden ist an dieser Stelle streng verboten“ als besonders geeignete Badeplätze kenntlich gemacht werden, und ob man sich dabei schuldbewußt nach dem Flurschützen und Gendarm oder nach einem Kiboko umschaut, das ist — ohne jede anzügliche Beziehung zwischen heimatlicher Obrigkeit und afrikanischer Zoologie — schließlich doch ganz egal! Selten hat mir im Leben ein Frühstück so gut geschmeckt wie der Spickaal, den ich mir nach diesem Bade spendierte.

An demselben Tage kamen wir auch an Höhlenwohnungen vorüber, wie sie unsere Herren kürzlich aufgestöbert hatten; diesmal ging der Besuch aber friedlich ab. Von der Bergspitze aus bot sich ein prachtvoller Anblick über die im saftigsten Grün und farbigem Blütenschmuck prangenden Wiesenflächen im Tal, durchzogen von silberglänzenden Gebirgsbächen, dazu der frische, erquickende Bergwind, der uns die Lungen weitete und das Blut frischer durch die Adern pulsieren machte. Beim Anblick dieser Landschaft wurde das Geheimnis von Quawas unerschöpflichen Hilfsquellen offenbar: das Land ist so fruchtbar, daß an ein Aushungern nicht zu denken ist. Die Felder und Wiesen sind so reichlich bewässert, daß sie selbst im heißesten Sommer nicht unter der hier sonst gewöhnlichen Dürre zu leiden haben; in jedem der vielen kleinen Seitentäler, die oft nur schluchtenartig vom Gebirgskamm ausgehen, finden sich Bäche, deren Wasserreichtum das ganze Jahr hindurch aushält. Auf dem Rückmarsch konnte ich es mir nicht versagen, in eine jener Höhlen hineinzuklettern, die mir durch die Kämpfe im Juli besonders interessant geworden waren. Wie sah es da aus! Mir krampfte sich das Herz zusammen bei dem Gedanken, daß Tom unsere Feinde in solchen unterirdischen Gängen und Höhlen aufgesucht hatte, und ich dankte Gott, daß er ihn in dieser furchtbaren Gefahr beschützt hatte. Tom sprach freundlich zu den Bewohnern dieser Höhlenniederlassung, er hielt ihnen vor, was für ein elendes Dasein sie führten im Vergleich mit ihren Stammesgenossen, die unter dem Schutze der Deutschen wieder ihre Felder bebauen, erzählte ihnen, wie sie von dem gefürchteten Quawa weder etwas zu fürchten noch zu erhoffen hätten, und bewog sie, sich in der Nähe von Prinages Boma wieder anzubauen.

Wir hatten die Karawane vorausgeschickt und fanden unser Zelt beim Eintreffen auf dem Ruheplatz fertig vor. Um für das Lager den nötigen Platz zu gewinnen, hatten die Träger das hohe verdorrte Gras angezündet; so saßen wir denn, angesichts dieses kleinen Steppenbrandes, vergnügt beim Frühstück. Die Sache gefiel mir ungemein, es lag ein gut Teil Romantik in der Szene, so etwas wie „Lederstrumpf“- und „Waldläufer“-Poesie, unsere schwarzen Askaris und Träger an Stelle der Komanchen, Apachen oder Sioux, es gehörte wirklich wenig Phantasie dazu, sich die Lieblingslektüre aus der Jugendzeit hier in die Wirklichkeit zu übertragen. Lange konnten wir uns dem Zauber dieses schönen Bildes nicht hingeben; der Wind hatte sich gedreht, und der beizende, scharfe Rauch trieb uns die Tränen in die Augen. Zugleich nahm der Steppenbrand die Richtung direkt auf unseren Lagerplatz. Schnell ließ Tom sämtliche Askaris und Träger antreten und den Raum zwischen uns und dem Feuer von allem Brennbaren, wie Gras, Buschwerk und ähnlichem säubern. Zuweilen suchte sich eine Flamme aus der lodernden Steppe durch das von unseren Leuten künstlich isolierte Gebiet zu drängen, da hieß es, gut aufpassen und sie noch rechtzeitig ausschlagen, damit sie nicht bis zum Zelt kam. Aufregender wurde die Sache, als plötzlich der Feind uns im Rücken angriff! Rasch wurde auch auf dieser Seite eine neutrale Zone hergestellt, so daß wir endlich richtig zwischen zwei Feuern saßen. Zum Glück war der Wind nicht stark, unser Zelt mit all unseren Vorräten wäre sonst verloren gewesen, so kamen wir mit einigen angesengten Kleidern davon. Mit großem Interesse beobachtete ich das eigentümliche, sozusagen sprungweise Vorgehen des Feuers, das ganz plötzlich, ohne sichtbare Verbindung mit dem Hauptherde, an einzelnen entfernteren Stellen aufflammte, während ich andererseits wieder, nachdem das Feuer niedergebrannt war, mehrfach einzelne lange, trockene Grashalme unversehrt aus der Asche hervorragen sah, an denen Glut und Flamme vorbeigezogen waren. Am anderen Morgen hatten wir anfangs einen bösen Weg durch all die Asche zu machen, bevor wir wieder im grünen „Pori“ unsere Erholungs-Partie fortsetzen konnten.

An diesem letzten Tage unserer Safari (14. August) machten wir noch eine lange „pumsika“, d. h. Ruhepause; wir wollten den Tag noch recht auskosten und erst spät abends nach der Station zurückkehren. So zogen wir denn abends auch nicht auf der Hauptstraße ein, sondern ritten um die Boma herum nach unserem Hause, um den Abend noch für uns allein zu haben. Mit dem Erfolge unserer Safari konnten wir in jeder Beziehung zufrieden sein — politisch, weil es Tom gelungen war, die Leute zu überzeugen, daß sie von Quawa hier in unserer Nähe nichts zu fürchten haben, um wieder viele von den verschüchterten Eingeborenen zur Ansiedelung in der Nähe der Station zu veranlassen, und gesundheitlich, weil diese abwechslungsreichen Tage uns beiden frische Kraft, körperlich wie seelisch, gespendet hatten.

Für Tom, der nur drei Tage auf der Station bleiben konnte, begann nun wieder eine endlose Reihe von Schauris; die Wahehe fingen an, des ewigen Kriegszustandes müde zu werden, und es kostete Tom übermenschliche Geduld, den Jumben immer und immer wieder in eindringlicher Rede klar zu machen, daß der Kampf bis zur Vernichtung fortgesetzt werden müsse, ehe sie auf Ruhe und Frieden rechnen könnten. Das waren sorgenvolle Stunden, als an dem zum Abmarsch bestimmten Tage sich keiner der versprochenen Wahehe sehen ließ! Endlich gegen Abend trafen sie ein, und zwar noch in größerer Zahl, als Tom erwartet hatte. Am anderen Tage brach Tom auf, die 500 Wahehe, zum Teil ganz prächtige Kerle, schlossen sich ihm an. Diesmal nahm er auch unseren Forstmann, Herrn Ockel, mit, der an einer geeigneten Stelle eine Versuchs-Landwirtschaft anlegen soll. Bei diesem Zuge durch unser Gebirgsland hat er die beste Gelegenheit, die Verhältnisse kennen zu lernen. Herrn Dr. Fülleborn gelang es, eine Anzahl recht guter photographischer Aufnahmen von unseren Wahehe zu machen; besser wie die meinigen, denn mein „Momentverschluß“ funktionierte nicht rasch genug. Dr. Fülleborn arbeitet allerdings auch mit einem Apparat, der ihm mit allem Zubehör 2000 Mark gekostet hat. Die Gelegenheit zu anthropologischen Studien und Schädelmessungen hat er hier mit fabelhaftem Fleiße und bestem Erfolge ausgenutzt. Am 26. August marschierte Dr. Fülleborn hier ab, um sich der Expedition anzuschließen. Wie gern hätte ich ihn begleitet, um wieder in Toms Nähe zu sein. Auch Herr v. Kleist, der mir nach Toms Abmarsch stets treulich Gesellschaft geleistet, hätte den Zug gern mitgemacht, aber am 28. Oktober traf mittags 1 Uhr die Post ein, die ihm den Befehl brachte, an Leutnant Engelhardts Stelle nach Songea abzugehen — zwei Stunden später war er schon unterwegs. Ein interessantes Jagdabenteuer des Leutnants Braun erfuhr ich von Dr. Stierling, der jetzt von Idunda zurück ist. Auf einem Jagdausflug sah Leutnant Braun sich plötzlich einem Trupp von fünf Löwen gegenüber. Zwei davon brachte er zur Strecke, zwei andere entkamen, nur eine alte Löwin stürzte sich auf ihn und schlug ihr Gebiß in seine linke Seite — ein Wunder, daß sie nicht ein paar Rippen zermalmt hatte. Leutnant Braun verlor aber in dieser gefährlichen Lage nicht die Besonnenheit: er schob die Mündung der Büchse mit der Rechten unter dem linken Arm durch und drückte ab, zum Glück traf die Kugel so sicher, daß die Löwin tot zusammenbrach. Als alles vorbei, erschienen auch die Askaris und Träger, die gleich beim ersten Auftauchen der Löwen sich im Pori verkrochen hatten, und trugen den schwerverwundeten Jäger nach der Station. Jetzt, nachdem die Bißwunden gut geheilt, freut Leutnant Braun sich seines afrikanischen Abenteuers.

Tom schreibt recht zufrieden über den Verlauf seiner Expedition. Zunächst ist Quawas wichtigster Msagira und Ratgeber, Mkakao, gefallen, und vier Weiber von Mpangire nebst dessen fünf Kindern sind gefangen. Bis jetzt hat Tom schon 400 Gefangene; das sind Verluste für Quawa, die er nicht mehr wieder gutmachen kann.

Lagerleben: Wasserträger.
(Zu S. 131.)

Lagerleben im Urwald: Ruhepause.
(Zu S. 141.)

Um die Einsamkeit weniger fühlbar zu machen, suche ich täglich an Arbeit zusammen, was irgend geht. Große Kleiderrevision mit Nähen und Flicken, Küche und Speisekammer werden gründlich kontrolliert und eine allgemeine Inventur gemacht, — letztere schien mir besonders nötig, denn es war mir bezüglich der Ehrlichkeit meiner schwarzen Hausbediensteten manches verdächtig vorgekommen. Richtig erwischte ich auch einen der Boys, wie er eine ihm vom Koch zugesteckte Flasche Wein in Sicherheit bringen wollte. Eine Revision unseres Weinvorrates hatte natürlich ein sehr betrübendes Ergebnis: die Kerle hatten gestohlen wie die Raben. Natürlich ließ ich sie, obschon es bereits 9 Uhr abends war, sofort zur Wache bringen. Den Koch freilich muß ich mir bei Toms Rückkehr wiederholen, denn dann ist er mir unentbehrlich — und das Schlimmste bei der Sache ist, daß die schwarzen Schlingel das selbst ganz genau wissen.

Auch das Photographieren betreibe ich eifrig, es gelingt mir aber nicht, auch nur halbwegs so gute Bilder zu erzielen wie Dr. Fülleborn. Am besten geriet noch eine Aufnahme, die ich von einer „mpepo“ machen konnte, der ich in der Hauptstraße begegnete. Mit grellbunten Tüchern, Perlenschnüren und Fellen behangen, das Gesicht rot und weiß bemalt und gepudert, durchzieht diese „Besessene“ (mpepo bedeutet eigentlich „Geist“, „Wind“, „Sturm“, dann in weiterem Sinne eine von einem Geist Besessene, Hexe, Zauberin) die Straßen, begleitet von einer ihr ergebenen Frau, die ihre Verzückungen und wirren Reden dem staunenden Volke ausdeutet. In diesem oft wochenlang anhaltenden Zustand darf der „mpepo“ kein Mann zu nahe kommen — im gewöhnlichen „nicht besessenen“ Zustande dagegen ist sie nichts weniger als Männerfeindin — an die von ihr gebrauten Liebestränke und andere „Dawa“ glauben die Schwarzen natürlich unerschütterlich fest. Leider konnte ich diese schwarze Miß Mabel Vaughan nicht während eines ihrer wilden Tänze photographieren, da der Momentverschluß meines Amerikaners wieder nicht klappte. Die Spekulation auf die Dummheit der lieben Mitmenschen macht sich übrigens auch hier bezahlt — diese „mpepo“ hat sich ein ganz ansehnliches Vermögen zusammengezaubert.

14. November 1897.

Ich nahm mir den Ombascha und zwei Ruga-Ruga heute mit, um Tom entgegenzugehen. Wahehekrieger, die uns begegneten, erzählten, Tom sei dicht hinter ihnen; also trotz der tropischen Sonnenglut munter vorwärts — da kommt nach dreistündigem Marsche eine ganz entgegengesetzte Meldung: Tom habe einen anderen Weg nach der Station eingeschlagen! Das war eine böse Nachricht! Ich schickte sofort den einen Ruga-Ruga quer durch den Wald nach der mutmaßlichen Übergangsstelle am Ruaha, den Tom passieren mußte, den anderen ließ ich in der von mir zuerst eingeschlagenen Richtung weitergehen; ich selbst ging mit dem Ombascha auf demselben Wege zurück. Als wir am Ruaha anlangten, hörten wir den Lärm der Karawane seitwärts von uns: also den Ombascha (Gefreiten) im Laufschritt fortgeschickt, obwohl er behauptete, das sei nicht desturi (Sitte, Gebrauch), und Tom werde ihn bestrafen, wenn er mich allein im Walde gelassen habe; ich bestand aber so fest auf meinem Willen, daß er schließlich doch forttrabte. Kurz vor der Stadt erreichte er Tom und brachte mir in atemlosem Laufe diese Nachricht zurück; auch mein Ruga-Ruga fand sich nach achtstündigem Marsche wieder bei mir ein, so daß ich das letzte steile Stück Weg frohen Mutes zurücklegen konnte. Wir kamen gerade noch zurecht, um an dem feierlichen Einzuge in die Station teilnehmen zu können, wo die heimkehrende siegreiche Truppe mit Jubel und Freude von den Einwohnern begrüßt wurde.

Die Zählung der Gefangenen ergab die stattliche Zahl von 550 Köpfen. Mit Ausnahme der Kinder Mpangires und seiner Halbschwester Fulimanga, die wohl und gutgenährt aussehen, befinden sich die Frauen und Kinder in einem elenden Ernährungszustand; wurden doch mehrere dabei betroffen, als sie Raupen und Käfer als Nahrung für sich und ihre Kinder sammelten! Mpangires Kinder, besonders einen hübschen vierjährigen Knaben mit großen schönen Augen, hätte ich gern bei mir behalten, die Politik gebietet aber, alle Mitglieder der ehemaligen Sultansfamilie aus unserem Gebiete zu entfernen; Tom schickte sie mit dem Lazarettgehilfen, der den kranken Bauleiter begleiten muß, zur Küste. Auch Mgundimtemi kam, um die Kinder ihres Mannes und seine Halbschwester Fulimanga zu begrüßen. Die hellen Tränen standen ihr in den Augen; sie trauert noch um ihren Mann, weder Schmuck noch bunte Tücher hat sie seit seinem Tode getragen.

Unser Garten am Ruahaufer steht in herrlichster Blüte, mit seinen Rosen, Nelken, Astern und Balsaminen macht er einen ganz heimatlichen Eindruck; jedenfalls ist er in seiner Art ein Unikum im tropischen Innern Ostafrikas.

Während Toms Abwesenheit beehrte mich auch Merere wieder mit seinem Besuch, ebenso seine Bibis; diese Huldigung, die nach afrikanischer Sitte stets mit einem Gegengeschenk erwidert werden muß, machte eine tüchtige Lücke in meine Vorratskammer. Für Tom brachte Merere ein ethnographisch sehr interessantes Stück mit: das aus einem mindestens zentnerschweren Stoßzahn geschnitzte Elfenbeinszepter des Sultans; diese Stücke sind schon recht selten geworden. Übrigens hat die Kultur, die alle Welt beleckt, sich auch auf unsern Freund Merere erstreckt: er hat sich für 500 Rupien einen Esel gekauft — zu meinem Bedauern; es sah ganz stattlich aus und paßte so ganz in das afrikanische Milieu, wenn Merere im goldgestickten schwarzen Rock und langen weißen Kanzu[7] auf seinem großen schwarzen Reitochsen, einem Prachtexemplar seiner Gattung, langsam einhergezogen kam. Aber Sultan Kiwanga reitet auf einem Esel wie in Uleia (Europa), und Farhenga, der jetzt in Uhehe der Mächtigste ist, hat sich ebenfalls einen Reitesel zugelegt, da war er es natürlich seiner Würde schuldig, vom Ochsen gleichfalls auf den Esel zu kommen.

Auf dem Marsche nach Likininda.

Jetzt sind wir wieder mal unterwegs! Oberlazarettgehilfe Prinage sollte, wie ich schon schrieb, den kranken Bauleiter zur Küste bringen und zugleich seinen Urlaub antreten, ein anderer Europäer war für diesen vorgeschobenen Posten nicht verfügbar, so entschloß sich denn Tom, selbst nach Likininda zu gehen und die Station so einzurichten, daß sie einige Zeit hindurch dem sehr tüchtigen Betschausch überlassen werden kann. Es haben sich bei der Boma dort bereits 40 Familien angesiedelt, die zu Quawas Anhängern gehörten; unter ihnen ein früherer Msagira Quawas, der seinem Herrn den Vorschlag gemacht hatte, sich den Deutschen zu unterwerfen. Für diesen gutgemeinten Rat hat Quawa ihm den Sohn erschlagen; einem andern hat er aus der gleichen Veranlassung Vater und Bruder getötet! Also Krieg bis zur Vernichtung, jeder andere Ausweg ist gänzlich ausgeschlossen.

Am 19. November brachen wir von Iringa auf, marschierten aber an diesem ersten Tage nur bis an den Ruaha. Am 20. ging es 4½ Stunden weit über Berg und Tal, weniger hoch wie steil, und deshalb besonders anstrengend. Von dem Landschaftsbilde ist besonders nördlich in der Ferne eine Felsengruppe bemerkenswert, die von den meist kuppenförmigen Bergen sich durch ihre zerklüfteten Zacken auffallend abhob; der nicht sehr hohe Gipfel erinnert mich lebhaft an den Dent du Midi. Beim Aufsuchen eines guten Zeltplatzes fanden wir in einer Felshöhle drei Trägerlasten mit Chakula. Zwar behauptete Farhenga, er habe die Lasten in jener Höhle versteckt, da er aber über den Inhalt keine Angaben machen konnte, wurde er tüchtig ausgelacht und die Lebensmittel an die Askaris und Träger verteilt. Da war die Freude groß. In dieser menschenleeren Gegend gibt es nirgends etwas zu kaufen oder zu — stehlen, so daß unsere Leute nur auf die von der Station mitgenommenen Vorräte angewiesen sind, und da sie diese auch noch selbst schleppen müssen, ist es leicht erklärlich, daß nur sehr knappe Rationen auf den Mann kommen. Ein Sack Mais, 60 Pfund, für zehn Träger auf vier Tage. Dieser unerwartete Zuwachs zu unserem Reisevorrat hatte übrigens unsere Schwarzen hellsichtig gemacht, sie krochen emsig in allen Winkeln der Höhle umher und förderten wirklich noch ein paar Lasten zu Tage. Tom verteilte gleich alles an die Träger, denen eine Extramahlzeit wohl zu gönnen war, und machte dabei aus der Not eine Tugend: hätten wir die Vorräte unberührt gelassen, so durften wir sicher sein, daß in der nächsten Nacht uns sämtliche Träger ausgekniffen wären, um sich an den Lebensmitteln gütlich zu tun, deren Versteck ihnen nun einmal bekannt geworden war. Am Nachmittag führt uns Farhenga an eine interessante Felsenformation, einen überhängenden Felsblock von gewaltigen Dimensionen, unter dessen Wölbung bequem zwei Zelte Platz gefunden hätten; schade, daß wir den schattigen kühlen Lagerplatz nicht früher kannten.

Dabagga, 21. November 1897.

Heute nur drei Stunden marschiert, da ich nicht recht wohl. Im dichten Busch, wo kaum ein Sonnenstrahl durchdringt, schlägt Tom sein Bureau auf und schreibt seine Berichte, während ich auf dem Feldbette mich gesund schlafe. Auf dem ganzen Marsche war ich wieder einmal ganz die gebietende Sultanin, so etwas wie „Königin von Saba“, die ja übrigens, wenn ich nicht irre, auch „aus hiesiger Gegend“ stammte. Toms aufmerksame Fürsorge ebnete mir den Weg durch die Wildnis. Der Marsch führte durch fruchtbares, wenn auch nicht angebautes Bergland. Unsere Wahehe fühlten sich in dem frischen Bergklima nicht so wohl wie in den wärmeren Teilen Uhehes, da es ihnen zu kühl und feucht hier oben.

Eine Zeitlang folgten wir einer Elefantenspur, ohne jedoch auf die Tiere selbst zu stoßen — zu meinem Bedauern — ich hätte diese Riesen, deren elementare Gewalt wir an den umgerissenen Bäumen und dem zerstampften Boden erkennen konnten, gern einmal in Natur betrachtet. Der Wald bot wundervolle Bilder: mannshohe Farne, üppig wucherndes Unterholz und Bambus, dazwischen rankten sich Schlinggewächse von Baum zu Baum, und das alles überspannt von dem dichten Blätterdach der Baumkronen, durch welches sich nur verstohlen hier und da ein Sonnenstrahl verlor. Die einzelnen Stämme fielen weniger durch ihren Umfang wie durch ihre gewaltige Höhe auf, leider waren die Lichtungen zu gering, um den zum Photographieren nötigen Abstand nehmen zu können; ich hätte gern einige Aufnahmen gemacht, um im Vergleich mit den Gruppen unserer Begleiter die menschliche Gestalt als Maßstab für die Baumriesen zu gewinnen. Im Laufe des Nachmittags passierten wir ein schönes, von einem hellen Gebirgsbach durchflossenes Tal, welches durch seine besonders in die Augen fallende Fruchtbarkeit unser Interesse erregte. Während wir uns über diese zur Ansiedelung einladende Stelle unterhielten, fiel es uns auf, daß unsere ganze Karawane, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, sich lautlos, schweigend weiter bewegte, Tom und mich mit ängstlichen Blicken streifend. Auf Befragen wurde uns die Erklärung, dies sei das Tal des Muúngu (Gott), welches die Menschen nur schweigend betreten dürften, — wer dies Gebot übertrete, über den habe der Sheitani (Teufel) Macht und werde ihm auf dem weiteren Marsche Übeles antun. Um uns von dem Verdachte zu reinigen, daß wir nunmehr dem Sheitani verfallen, ließ Tom zum Entsetzen der Karawane Signale blasen, die das Echo der Berge weckten; als da kein Sheitani erschien, beruhigten sich die abergläubischen Schwarzen sichtlich — der schwarze Teufel hat also augenscheinlich keine Gewalt über Europäer. — Wir fanden dieses ganze Berggebiet sehr fruchtbar, Wasser gab’s überreichlich, Bergbäche mit kristallklarem Wasser durchziehen die Täler, üppiger Farnwuchs deutet auf guten Boden. Zum Plantagenbau ist die Gegend sicher besonders geeignet, ob für den Pflug, scheint mir fraglich; die Hänge sind sehr steil.

Kuifuiri, 23. November 1897.

Die Märsche sind sehr anstrengend, besonders die Lianen zwingen zu großer Vorsicht beim Reiten; einmal wäre ich fast von meinem Maultiere herabgerissen worden, da sich eine Ranke mir um den Hals geschlungen; zum Glück hatte Tom es sofort gesehen und konnte sie durchschneiden, aber der Hals ist mir jetzt nach Tagen noch zerkratzt und zerschunden. Die Marschverpflegung besteht für Tom früh in einem Teller Milch (von den Kühen, die wir für die Station mitführen); ich esse, meines Magenleidens wegen, Mehlbrei. Während wir an schattiger Stelle in dem köstlichen klaren Wasser ein Bad nehmen, wird das Schlafzelt abgebrochen, während des Frühstücks auch das Wohnzelt; dann ertönt Toms Signalpfeife, und die Karawane ordnet sich zum Aufbruch. Während des Marsches gibt es kalten Tee. Am Lagerplatz angelangt, werden zunächst Tisch und Stühle aufgestellt, dann die Zelte gerichtet. Zum Abendessen wie zum Frühstück Fleisch oder Wurst sowie Wasser mit Kognak. Als abendliche Lektüre haben wir diesmal Treitschkes Deutsche Geschichte mitgenommen, auch die alten Zeitungen kommen hier noch einmal zu Ehren. Um den Abend im Freien verbringen zu können, wird eine Blätterlaube errichtet, in der Tom seine schriftlichen Arbeiten, Berichte usw. erledigt, dann spielen wir gewöhnlich noch eine Partie Schach oder Halma, bis das Abendessen fertig. Suppe aus Knorrschen Suppentafeln, Schaf- oder Hühnerfleisch, Wild, Reis mit Curry, Pickles.

Uquega-Likininda, 2. Dezember 1897.

Die letzten Tage machten wir nur kurze Märsche von etwa je 3½ bis 4 Stunden, allein die Flußübergänge machten sie recht beschwerlich: der Funsuku mit seinen steilen Ufern wird mir besonders in Erinnerung bleiben, zunächst rutschte ich auf einem Steine den steilen Abhang bis zum Flusse hinab, ein abgekürztes Verfahren, welches mir von den Treppengeländern aus der Kinderzeit im Elternhaus noch geläufig war und mich der halsbrecherischen Kletterei enthob. Durch den Fluß, den wir der Klippen wegen nicht durchreiten konnten, ging’s dann in vorsichtigen Sprüngen von Stein zu Stein.

Den Lukossi konnten wir durchreiten. Der Strom ist leider für die Bootfahrt nicht zu benutzen, seine Stromschnellen und Wasserfälle sind zwar recht malerisch, verhindern aber den Verkehr zu Wasser mit dem großen Ruaha. Die Station Likininda liegt auf einer freien, weithin sichtbaren Höhe inmitten einer guten Gras-Landschaft. Förster Ockel kam uns am Fuße des Berges entgegen. Seinen Ansprüchen genügt die Gegend nicht zum Anlegen einer Musterfarm, auch hält er sie für zu steil, als daß man hier mit dem Pflug viel ausrichten könnte; ich fürchte übrigens, daß er auch auf dem weiteren Entdeckungszug in der Nähe kaum ein Gelände finden wird, das seinen europäisch hochgestellten Anforderungen entsprechen wird: eine viel größere ebene Fläche mit üppig wuchernden Farnen, dem Anzeichen fruchtbaren und kulturfähigen Mutterbodens, wird er kaum finden, und unter dem tut er’s nicht. Er soll sich jetzt Herrn v. Prittwitz anschließen, um die Gegend nach Perondo zu sich anzusehen. Förster Ockel hat als tüchtiger Weidmann unseren Tisch reichlich mit Antilopenfleisch versorgt. Oberlazarettgehilfe Prinage war schon ganz nervös vor freudiger Aufregung: er möchte rechtzeitig zu dem am 5. Januar von Dar-es-Salaam abgehenden Dampfer kommen, um seinen Heimatsurlaub in Deutschland zu verleben. Tom entließ ihn denn auch gleich nachmittags, gleichzeitig entsandte er aber auch einige Züge Wahehe in die Berge, die richtig am 27. November 20 Weiber und Kinder einbrachten; von Quawas Kriegern waren drei gefallen. Dieses fortwährende Inatemhalten ist das einzige Mittel, unseren Todfeind nach und nach so zu isolieren, daß ihm weder Anhänger noch Lebensmittel bleiben. Deshalb bedeuten die gefangenen Weiber für uns insofern einen Erfolg, als nach Negerart den Frauen alle Feldarbeit obliegt.

Am 29. kam Herr v. Prittwitz an, der im Augenblick sich auch mit der Wegaufnahme beschäftigte. An einem großen Zuge, den Tom jetzt vorhat, wird er sich beteiligen; auch einigten sich die Herren darüber, wie die Leute in Muhanga zur Ansiedelung zu bewegen seien, in der Art, wie es seinerzeit bei uns in Iringa gelungen war; Tom überließ Herrn v. Prittwitz zur besseren Durchführung dieses Planes unseren bisherigen Begleiter Farhenga. Wir verlebten recht gemütliche Abende mit ihm, bis er am 2. Dezember abzog. Am Tage vor Herrn v. Prittwitz’ und Ockels Abmarsch kam der zweite Zug Wahehe zurück, den Tom in die Berge geschickt hatte, er brachte 33 Weiber und Kinder ein, mehrere Quawa-Krieger waren gefallen.

Lukossi, 3. Dezember 1897.

Von 5 Uhr morgens bis 8 Uhr Verteilung der Gefangenen an die Wahehe, zum Zwecke schärferer Beaufsichtigung und Ausgabe von Chakula an Askaris und Träger. Um 8 Uhr Abmarsch nach dem Lukossi-Fluß, der Übergang nahm 1½ Stunde in Anspruch, besonders der steilen Ufer wegen. Mein kleiner Ombascha Achmed zeigte seine Schwimmkünste; er hat sicher früher zu den Jungen gehört, die in Aden vor den Dampferpassagieren ihre Fertigkeit im Schwimmen und Tauchen produzieren, indem sie nach kleinen Geldstücken tauchen, die ihnen von Bord aus zugeworfen werden. Es wurde unerträglich heiß: nirgends ein Baum oder Strauch, nur der heiße ausgedörrte Boden, dazu kein Lufthauch — der Marsch über die steilen kahlen Berge in der glühenden Sonnenhitze ließ mich die Leiden einer Safari gleich en gros empfinden. So kamen wir nur 2½ Stunden weit. Auch das Lager mußten wir an einem gänzlich schattenlosen Bergabhang aufschlagen und den Tag über im Zelt bleiben. Das einzig Angenehme dieses Marschtages war ein hübscher Blick nach einem Wasserfall, deren der Lukossi hier eine ganze Anzahl bildet.

Manasanga, 4. Dezember 1897.

Viereinhalb Stunden marschiert, mit ½stündiger Pause, meist durch bewaldete Berge. Wir fanden einige gut versteckte Maisfelder von Quawas Leuten, die frischen Maiskörner schmeckten ganz gut; ich fing einen prächtigen grünen Schmetterling von einer mir ganz neuen Art. Während des Marsches plötzlich „Halt!“, alles kauert im Grase nieder: Feind in Sicht! Ich machte mich fertig, um in dem in Aussicht stehenden Gefecht nicht als müßige Zuschauerin beiseite zu stehen, aber der Feind, eine Anzahl schwarzer Gestalten, hielt nicht stand, sondern verschwand eiligst im Pori; unsere verfolgenden Askaris und Wahehe brachten richtig wieder fünf Weiber an, von denen die eine wieder zu ihren Leuten entlassen wurde, um sie zur Ansiedlung bei der Station zu bewegen. Abends stellten sich dann auch drei Männer, große, stattliche Gestalten mit offenen, klugen Gesichtern, jetzt aber erbärmlich abgehungert; sie hatten mit ihren Weibern die Felder bebaut, die wir heute passiert, und Quawa mit Mais versorgt. — Das Gelände scheint günstiges Ansiedlungsgebiet, flache Hügel mit gutem Boden.

Landschaft Quihangana Mwakikongo, 8. Dezember 1897.

Vier anstrengende Marschtage mit allerhand Aventiuren und Fährlichkeiten. Zunächst verschwand am 5. Dezember morgens, als wir die Landschaft Majida (Mapalele) passierten, ein Träger mit der Last (es war die Kiste mit Schwämmen, Seife und anderem notwendigen Gerät). In 5¾stündigem Gewaltmarsch, ohne die übliche, längere Pause, kommen wir bis Kanugare. Hier hat jeder Berg, jedes Tal, jeder Fluß seinen besonderen Namen. Unterwegs hatte Tom das hier seltene Jagdglück, eine Elen-Antilope zu schießen, ein besonders stattliches Tier. Wir nahmen die Decke für uns, das Fleisch ließen wir den Trägern (der Rücken allein bildete eine Trägerlast), die sich tagelang daran labten. Am anderen Tag hatten wir ein tüchtiges Gewitter, das Lager also denkbar ungemütlich. Das Gebiet durchweg fruchtbar und für Ansiedler geeignet; hier wäre der Platz für Plantagen- und Ackerwirtschaft. Im Gegensatz zu den dürren Steppenflächen, in denen die trockenen, harten Grashalme büschelweise aus dem ausgedörrten Boden zwei bis drei Meter hoch emporschießen, hier in den Gebirgstälern herrliche Wiesen, reichliche Bewässerung durch klare, wasserreiche Bäche, deren sich oft mehrere in ein und demselben Tale finden. Selbst der Blumenschmuck fehlt nicht, die Rasenfläche ist bunt übersät mit den mannigfachsten Arten von Feldblumen — mein galanter Gatte pflückte mir heute einen prachtvollen Strauß, und was sonst den afrikanischen Blumen fehlte, fand ich hier: sie dufteten lieblich.

Am 7. Dezember wurden uns wieder Gefangene eingebracht, die das bestätigten, was Toms Patrouillen erkundet hatten: in der Nähe ein großes Feindeslager. Der Ombascha, der mit den Askaris sofort dahin aufbrach, fand aber die Vögel bereits ausgeflogen und mußte sich begnügen, das Lager zu zerstören. Am 8. Dezember wieder 5 Stunden marschiert, mit einem Umweg in die Landschaft Quihangana-Mwakikongo. Die Gegend scheint ihres Grasreichtums am meisten zur Viehzucht geeignet. Unterwegs wurden mit dem Feinde einige Schüsse gewechselt, auf feindlicher Seite ein Toter, dann großes Schauri mit den Gefangenen, kurzen, gedrungenen Gestalten mit wahren Galgengesichtern, während die Wahehe doch eigentlich durchweg stattliche, hübsche Leute sind, ihre Weiber freilich sind fast ohne Ausnahme häßlich, so daß man sich fragen muß, wie solche häßlichen Frauen meist so ansehnlichen Söhnen das Leben geben können. Bei uns ist jetzt Schmalhans Küchenmeister; die nachbestellten Träger sind nicht eingetroffen, Gott weiß, wo sie stecken. Nun sind Brot, Mehl, Zucker, Wein, Tee, Kaffee und Salz auf die Neige gegangen. Dagegen hilft nur ein Mittel, der Humor, und der ist reichlich vorhanden. Während wir zum Frühstück Yams und Bataten (die süßlichen Verwandten unserer braven deutschen Kartoffel) verspeisen, schwelgen Askaris und Träger in Elenbraten. Dem Geruch nach zu urteilen, der zuweilen zu uns herüber dringt, befindet sich das Wildpret bereits in einem Zustand, für den „le plus haut-gôut“ nur eine schwache Andeutung ist.

Station Iringa, 11. Dezember 1897.

Über Ugawiro (am 9.) und Himbu (am 10.) heute glücklich wieder eingerückt. Auch diese letzten Tage wurden wir durch feindliche Wahehes belästigt, so daß ich einmal schon glaubte, selbst zum Revolver greifen zu müssen. Sie ließen einen Toten am Platze, einen Verwundeten nahmen sie mit. Eine Anzahl wurde gefangen eingebracht, andere stellten sich freiwillig. Nachmittags hatte ich viel zu tun; ich verband die Wunden und freute mich, zu beobachten, wie dankbar und anhänglich die Leute für diese Hilfe waren. Die Gegend wurde etwas steiniger, der Boden war jedoch immer noch gut. Wir fanden viele Termitenhügel im Walde, während solche sonst meist nur auf baumlosen Flächen vorkommen. Ich machte eine gelungene Aufnahme von einigen unserer Wahehe, die einen einzelnen riesigen Felsblock erklettert hatten; ihre Wachsamkeit gleicht der der Gemsen, jeden erhöhten Punkt benutzen sie zum Ausblick. — Kurz vor Himbu erreichten uns Boten von der Station mit Briefen: auf der Station sind einige leichte Pockenfälle vorgekommen. Wir mußten zweimal über den Mtitufluß, die Gegend ganz im Charakter wie bei Iringa. In Himbu schickte uns der Msagira Tengulemembe durch seine Großen Kartoffeln und Pombe als Geschenk, die ich mit einem bunten Tuche erwiderte. Bei der üblichen Poliklinik nachmittags großes Gedränge: jeder will zuerst verbunden sein. Am Wege wiederum Menschenschädel als Spuren früherer Überfälle. In Himbu inspizierte Tom die von den Askaris geschickt und mit einem gewissen Geschmack errichtete Boma. Das Dorf machte einen vorteilhaften Eindruck, die Leute waren freundlich und zutraulich — noch vor wenigen Wochen würden sie uns überfallen und ermordet haben. Während Tom Schauri hielt, ließ ich mir Tengulemembes Kinder zeigen und schenkte der ersten seiner Frauen ein Tuch, das sie mit großer Freude gleich anlegte. Da der Verwundeten so viele waren, konnte ich sie nicht alle verbinden, sondern mußte an die Jumben Verbandmittel für ihre Leute verteilen.

Die vermißten Lasten trafen ein, nun war wieder Vorrat von allem vorhanden. Wir aßen an dem Tage gleich ein ganzes Brot auf. Zugleich traf auch der Sudanesen-Ombascha Musa mit schlimmer Nachricht ein: Sergeant Richter von unserer 2. Kompagnie ist verwundet. Richter war mit acht Askaris einer feindlichen Spur gefolgt, als er sich plötzlich Quawa gegenüber sah, der mit etwa 100 Mann — davon die Hälfte mit Hinterladern bewaffnet — gleich Feuer auf den kleinen Trupp gab. Es gelang dem Sergeanten, obwohl verwundet, mit zwei Askaris in das Pori zu gelangen, wo er sich vier Tage lang ohne Nahrungsmittel, ohne Wasser, geschwächt von Blutverlust, versteckt hielt, während der Ombascha zur Station weiter eilte. Dr. Stierling ist gleich mit Verstärkung zu Richter abgegangen, und die Station ist zurzeit ohne ärztliche Hilfe — trotz der Pocken. Das ist ein bedeutungsvoller Zwischenfall: Quawa stellt sich also selbst zum Kampf, dem er bisher immer auszuweichen wußte! Der Ort des Gefechtes liegt etwa 2 Stunden Wegs abseits unserer letzten Safari-Route. Quawa und seine Anhänger nennen Tom den „Kapirimbu“, d. h. „der alle Kraft an sich zieht“. Noch immer ist die Furcht vor der Rache ihres ehemaligen Sultans groß: unser Freund Kiwanga hat sich aus Ukalinga zurückgezogen und Schutz vor einem Überfalle Quawas im Pori von Massalika gesucht, und gerade jetzt kommt es darauf an, daß Kiwanga bei uns stand hält. An Stelle des beurlaubten Grafen Fugger wird Leutnant Kuhlmann ihn aufsuchen und seinen Mut wieder etwas auffrischen. Bei der Rückkehr nach der Station Iringa empfing uns Leutnant Kuhlmann und zu unserer großen Überraschung auch Leutnant Braun, der auf dem Wege zu Hauptmann v. Prittwitz’ Kompagnie ist. Abends 6 Uhr rückten wir ein, Leutnant Kuhlmann ließ es sich nicht nehmen, das Ende unserer Safari mit Sekt zu feiern. Mit dem Erfolge sind wir zufrieden; es war uns eine stolze Genugtuung, selbst beobachten zu können, wie meines Gatten kluges Verhalten den Wahehe gegenüber sich bewährt hat — möchte doch endlich auch der letzte Schlag gelingen, den bösen Geist der Auflehnung gegen die deutsche Oberhoheit für immer zu bannen. Auch körperlich ist die Safari uns gut bekommen, ich bin von der Sonne braun gebrannt, meine Hände haben die Farbe reifer Kastanien.

Sonntag, den 12. Dezember 1897.

Seit 6 Uhr Rundgang durch die Station, im Bureau alles in Ordnung, Feldwebel Merkl hat seine Sache wieder einmal gut gemacht. Dann Besuch von zwei Missionspatres, die sich verabschiedeten. Zu Ehren Leutnant Kuhlmanns, der, energisch wie immer, schon morgen abmarschiert, hatte ich die Herren zum Mittagessen eingeladen, da sich aber mein Koch und die Boys betrunken hatten, mußte ich mich auf belegte Brötchen mit Bowle beschränken, die ich ohne diese schwankenden „Stützen der Hausfrau“ herstellte.

15. Dezember 1897.

Am 13. rückte Leutnant Kuhlmann ab. Ich beschäftigte mich viel mit Mpangires Kindern, sie tun mir sehr leid. Es macht mir viel Spaß, unsere Sudanesenweiber zu beobachten, mit welcher Energie trotz ihrer Häßlichkeit sie die Männer unterm Pantoffel haben. Auch der Juma kauft sich beim Griechen, dem „Rudolph Hertzog“ im Lande Uhehe, stets die teuersten Hemden von leichtem Mullstoff, die natürlich schnell zerreißen; auf meine Frage sagte er: „Ja, sonst hat mich meine Frau nicht lieb.“

Mit den Händlern habe ich viel Ärger. Dieser Tage boten sie mir meine eigenen beiden Strauße, die mir abhanden gekommen waren, zum Kauf an, das Stück zu 12 Rupien! Obwohl es weit und breit in der Gegend nur mein Straußenpaar gibt, behaupteten sie ganz frech, sie seien ihr Eigentum.

Am 14. Post aus Europa mit Geburtstagsbriefen, Büchern und Wein! Ich lege alles beiseite, um Tom am Weihnachtsabend zu überraschen. Meine Küche ist nun auch fertig. Der Gouverneur hat mir eine eiserne Herdplatte geschickt, nun hat die Negerwirtschaft mit den Steinen ein Ende. Eine Küche mit eiserner Herdplatte und einem wirklichen, echten Rauchfang — so etwas hat die afrikanische Sonne in diesen Breiten sicher noch nicht beschienen. Nun macht das Kochen noch einmal so viel Freude.

Heute stellte sich ein angesehener Häuptling mit 30 Kriegern; einige davon waren aus Quawas Lager. Dieser habe, wie sie berichten, einen Aufruf an alle Wahehe erlassen, „Wer ihn liebe, solle sich ihm anschließen,“ jetzt sei er mit seinem Anhange in Viransi. Auf dem Marsche dahin ist der Zusammenstoß mit unserem Sergeanten Richter erfolgt. Die Vernehmung der neu angekommenen Quawaleute hatte ein interessantes Ergebnis: Der Sultan hat seine Leute ganz militärisch organisiert, in Kompagnien mit eigenen Hauptleuten und Unterführern, sein Nachrichtenwesen ist sehr gut eingerichtet; es stellt sich immer mehr heraus, was für ein gefährlicher Gegner er ist.

23. Dezember 1897.

Gott sei Dank, Tom kann den geplanten Zug noch nicht unternehmen: Dr. Stierling schreibt, vor dem 1. Januar sei Sergeant Richter nicht transportfähig. So verleben wir doch den heiligen Abend zusammen. Ich konnte und wollte Tom das Herz nicht schwer machen mit Klagen, wenn ihn die Pflicht abrief; aber jetzt bin ich froh, daß er nun doch Weihnachten noch bei mir ist.

25. Dezember 1897.

Den heiligen Abend verlebten wir froh, ich mit besonders dankbarem Herzen. Auf der Veranda brannte der Christbaum; leider waren die bestellten Weihnachtsgeschenke nicht eingetroffen. An die Herren auf den verschiedenen Außenposten, Hauptmann v. Prittwitz, Förster Ockel, nach der Mission, an Unteroffizier Buchner hatte ich Marzipan, Kuchen und Pfeffernüsse geschickt, an den Leutnant Kuhlmann eine gebratene Ente, so daß möglichst jeder unserer deutschen Landsleute eine kleine Weihnachtsfreude haben sollte. Wir hatten diesmal auch die Unteroffiziersmesse eingeladen und waren bei Bowle und Abendessen recht vergnügt.

5. Januar 1898.

Neujahr verlebten wir still für uns. Was wird das neue Jahr bringen? — Gestern, an unserem Hochzeitstage, marschierte Tom ab, genau zu derselben Stunde, in der wir vor zwei Jahren unseren Traualtar aufstellten.... Quawa hatte am 28. Dezember ein Gefecht mit unseren Wahehe gehabt und 39 von ihnen erschlagen, er selbst verlor nur 3 Mann. — Am 1. Januar Alarm, weil Unteroffizier Schubert und der Dolmetscher unweit der Mission Gewehrschüsse und Weiber- und Kindergeschrei gehört hatten. So fing das Jahr für uns an.

Am 2. Januar traf Hauptmann Ramsay bei uns ein, der auch gestern abmarschierte. Es war mir eine Freude, einmal einen unserer „alten Afrikaner“ kennen zu lernen. Nachts wurde wieder alarmiert.

7. Januar 1898.

Tom schickte die Zelte und Feldbetten zurück sowie alles Entbehrliche — wie wird es ihm nun bei der Regenzeit an allem fehlen. Ich fühle mich krank vor Sorge und Aufregung. Sie folgen jetzt der Quawaspur. Dr. Stierling hat schon seine chirurgischen Bestecke verpackt, um bei der ersten Nachricht von einem Gefechte aufbrechen zu können. Jede Nacht wird die Station alarmiert; diese ununterbrochene Aufregung geht an die Nerven. Gestern hatte ich Pater Ambrosius als Gast — seine Nachrichten lauteten auch nicht gerade beruhigend: an dem kleinen See in der Nähe der Mission ist wieder ein Araber mit 15 Chakula-Trägern ermordet worden. Die Lebensmittel werden jetzt sehr teuer, und wenn nun auch noch die Heuschrecken einfallen sollten, die ich schon in dichten Wolken über uns hinwegziehen sah, dann haben wir die Hungersnot im Lande. Im Garten habe ich täglich zwei Weiber, die mit leeren Petroleumkannen einen Heidenlärm vollführen, um die Heuschrecken abzuhalten. Meine Mädels müssen jetzt auch tüchtig mit im Garten und Feld helfen, dafür brennen sie mir abends gern durch, um sich herumzutreiben, wie z. B. gestern abend. Nachmittags war ich zum Griechen gegangen, um einige Einkäufe zu machen, als ich in der Ferne Trommelschlag hörte: Tom kehrte mit seiner Truppe zurück! Morgen ist sein Geburtstag, ich hatte mich schon in den Gedanken eingelebt, den Tag ohne ihn verbringen zu müssen!

Über den Verlauf seines Zuges erzählte Tom mir etwa folgendes:

Es war ihm gemeldet worden, Quawa beabsichtige einen Einfall in das Tal Makaneras, wo er große Rinderherden wußte; auf dem Marsche dorthin hatte er unsere 39 Wahehe bei einem Überfalle erschlagen, deren Leichen Tom am Ruaha-Übergange noch vorfand. Nun änderte Quawa seinen Plan; Tom hatte durch Überläufer die Lager von Quawas Leuten ermittelt und ging mit Feldwebel Merkl und Hammermeister, 130 Soldaten, 160 ausgesucht tüchtigen Wahehe und dem Maximgeschütz am 4. Januar nach dort ab. Eine neue Meldung, die sich aber als falsch herausstellte, verursachte zunächst einen Zeitverlust von 48 Stunden, auch mußte Tom sicherheitshalber einige Soldaten und 60 Wahehe von seinen Leuten abzweigen.

In ununterbrochenem 21stündigen Marsche, bei strömendem Regen, erreichten sie am 7. Januar Quawas Lager, dasselbe lag westnordwestlich von Viransi in der Landschaft Quihangana auf hohen, mit breiten Waldstreifen umgebenen Hügeln, übrigens sonst in ziemlich übersichtlichem Gelände. Des Dickichts wegen konnte nur der Zugangsweg für den Angriff benutzt werden, dessen letztes Stück einen dicht überwachsenen Laubtunnel bildete. Das Lager selbst bestand aus etwa 250 im Dickicht verstreuten erbärmlichen Hütten, die so gut versteckt waren, daß sie erst aus allernächster Nähe zu sehen waren; so war es den Bewohnern leicht, beim ersten Alarm im Pori zu verschwinden.

Kaum waren unsere Leute, Tom und Merkl voran, aus dem Laubtunnel in das eigentliche Lager eingedrungen, als sie sofort heftiges Feuer aus Gewehren Modell 71 erhielten. Im Laufschritt nahmen unsere Wahehe den Angriff auf und stürmten in das Lagerdorf, welches schnell geräumt war. Vom Feinde fielen 19 Mann, darunter drei sehr wichtige Wasagira; unter den gefangenen 100 Weibern und Kindern waren ein Sohn und zehn nahe Verwandte Quawas. Die Leute sahen erbärmlich abgemagert aus; im ganzen Lager, das an 1000 Insassen gehabt, fand sich nicht eine Last Getreide vor. Zuletzt hatte Quawa überhaupt nur noch von der Jagd gelebt; er soll kürzlich an 30 Elefanten erlegt haben, um für sich und seine Anhänger Lebensmittel zu haben.

Quawa selbst entkam wieder. Tom erbeutete aber sein letztes Besitztum: seinen Patronengürtel aus Otterfell, einen Speer und eine Anzahl Lendenschurze und Halsschnüre aus Perlen von seinen Weibern und Kindern. Unsere Wahehe haben sich bewährt, sie gingen mit solcher Wut gegen die Quawaleute vor, daß sie von Greueltaten und Grausamkeiten zurückgehalten werden mußten.

Das ist ein großer Erfolg, umso mehr, als dem Volk durch diesen Angriff auf das von dem gefürchteten Sultan selbst befehligte Lager nun ein gut Teil von dessen Nimbus des Unbesiegbaren geschwunden ist. Patrouillen, die Tom zur Ermittelung von Quawas Aufenthalt ausschickte, bestätigten die Mitteilungen unserer Gefangenen: Quawa tritt jetzt persönlich in den Kampf, den er mit aller Verzweiflung nun um seine Existenz führt. Jedes Gefecht kostet ihn einige seiner Anhänger, ein Verlust, den er nie mehr ersetzen kann.

12. Januar 1898.

Mein Leberleiden macht sich wieder fühlbar; ich suche ihm mit Karlsbader Salz beizukommen. Der Frühspaziergang, der zu dieser Kur gehört, wird zur Inspizierung der Station benutzt, da ich meinen Mann auf seinem Rundgang begleite.

Die Moschee ist beinahe fertig, es fehlen nur noch die Türen. Zum Beginn des Ramassan soll sie den Arabern übergeben werden. Schon jetzt bitten sie Tom, er möge die heilige Stätte nur noch unbeschuht betreten. Das Fundament für das Hospital ist gelegt; bis jetzt diente eine geräumige, von einem schönen schattigen Baum überschattete Hütte als solches; auch eine geräumige Schauri-Hütte ist bereits in Angriff genommen, halbkreisförmig mit einer nischenartigen Ausbuchtung für den Tisch des Schauri-Leiters, der von da aus sämtliche Anwesende gut übersehen kann. Sobald die Moschee fertig ist, geht es an den Bau einer Markthalle.

Auf der Station wimmelt es von Wahehe, die gleich Tom auf sichere Meldungen warten, um die Quawa-Jagd wieder aufzunehmen. Es ist wirklich viel von den Leuten, trotz der Erntezeit hier wochenlang untätig zu liegen, während auf ihren Schambas die Feldfrüchte der Ernte entgegenreifen. Ihre Anhänglichkeit an Tom hält stand; Dr. Stierling sagte noch gestern: wer weiß, wie sich die Wahehe nach Toms Abgang stellen würden; sie haben sich ihm persönlich unterworfen, und es liegt nahe genug, daß sie seinem Nachfolger auf der Station sich nicht so botmäßig zeigen werden. Dr. Stierling sieht wohl zu schwarz, immerhin bereitet Tom die Wahehe jetzt schon darauf vor, daß er demnächst die Station verlassen werde.

Am 23. ging Leutnant Orthmann nach Idunda ab.

30. Januar 1898.

Aufregende Tage; Patrouillen und Meldungen, aber niemals eine sichere Nachricht. In Rungembe, welches als Sammelpunkt für die Expedition bestimmt war, ist Leutnant Engelhardt mit fast 2000 Kriegern des Merere und der anderen befreundeten Häuptlinge angekommen.

Über den Tod des unglücklichen Unteroffiziers Karsjens berichtet ein Mann unseres Freundes Farhenga näheres: er hatte den Unteroffizier gewarnt, Quawa sei ganz dicht in der Nähe, er solle die Leute, die zu seinem Trupp gestoßen, als Spione festhalten — das ist aber nicht geschehen! Andern morgens wurde plötzlich der Posten vor dem Zelte niedergeschossen, von den sich um das Zelt sammelnden Askaris fielen unter dem mörderischen Mauser-Gewehrfeuer aus dem Dickicht sofort drei Mann, ein Vierter etwas später. Unteroffizier Karsjens erhielt beim Heraustreten aus dem Zelte die tödliche Kugel. Sein Boy trug ihn nach dem Feldbett, wo er binnen wenigen Minuten verstarb.

Die Askaris hatten sich bei dem Überfall sehr schneidig gezeigt; nachdem sie die eigene Munition verschossen, leerten sie die Patrontaschen der gefallenen Kameraden, ehe sie sich ins Pori zurückzogen; Karsjens Boy nahm das Gewehr und die Munition seines Herrn nach dessen Tod an sich und versteckte beides im Gebüsch, wo sie Unteroffizier Schubert, der zur Beerdigung der Leichen an den Unglücksplatz ging, fand. Jeder der Gefallenen hatte zwei Speerstiche in der Brust.

Tom hat in diesen Tagen mit der Verteilung von Saatkorn begonnen. Die Lebensmittel fangen an, knapp zu werden, deshalb hat Tom so viel Korn wie möglich aufgekauft, damit fürs nächste Jahr genügend ausgesät wird. Für jeden Sack Saatkorn, den die Leute erhalten, müssen sie nach der Ernte zwei Säcke zurückgeben. Ich habe vor ungefähr 14 Tagen den ersten frischen Mais geerntet.

Heute meldete ein Mhehe, sein Sohn Magunda, welcher zu Quawas Gefolge gehörte, sei von diesem bei dem Lukanda-Überfall gefangen und getötet worden, weil er sich auf der Station stellen wollte.

7. Februar 1898.

Auf der Station reges militärisches Leben, Patrouillen und Boten kommen und gehen, und die Schauris nehmen kein Ende. Quawas Beweglichkeit erfordert immer neue Maßnahmen. Leutnant Kuhlmann, Feldwebel Merkl und die Unteroffiziere auf den einzelnen Posten, jeder muß von den bei uns „im Hauptquartier“ eingegangenen Meldungen in Kenntnis gesetzt werden und entsprechende neue Instruktion empfangen. In all dem sorgenvollen Trubel nur einmal ein Lichtblick: Msatima kommt, mir seine Aufwartung zu machen, und zwar angetan mit einer roten Bluse, die ich seiner Frau geschenkt hatte. — Leutnant Kuhlmann meldet, daß Quawa weiter westlich zu suchen sei — also wieder neue Dispositionen an die Einzelposten! Herr v. Prittwitz kommt an. Es wird großes Schauri mit sämtlichen Jumben gehalten; als dessen Ergebnis erfolgt die Festnahme des Jumben Makirendi; er wird an die Kette gelegt und ihm Todesstrafe angedroht, wenn seine Leute sich als Verräter zeigen sollten. Das ist eine Gewaltmaßregel, zu der Tom durch die gefahrdrohenden Umstände gezwungen ist, obwohl er ganz genau weiß, wie leicht die Festnahme eines angesehenen Häuptlings schlimme Folgen haben kann. Es bleibt kein anderes Mittel, als den Wahehe zu zeigen, daß sie kein doppeltes Spiel wagen dürfen; viele von ihnen wollen erst abwarten, ob Quawa nicht doch wieder hochkommt, wie damals 1894, wo er bei dem Scheleschen Zuge nach Ubena, und früher, gelegentlich der Zulu-Invasion, nach Ugogo geflüchtet war und nach dem Abzug der Europäer aus seinem Lande triumphierend wieder einzog.

8. Februar 1898.

Es ist eine erschütternde Tragödie, die sich in unserem weltfernen Winkel hier abspielt: der Kampf um die Heimat, und die Treue, mit der dem vertriebenen Herrscher seine Krieger Gefolgschaft leisten, versöhnt auch uns, seine Feinde, mit diesen schwarzen Söhnen der Berge. 1½ Jahr dauert nun schon dieser Vernichtungskampf, Hunderte von Kriegern sterben als Märtyrer ihrer Vasallentreue für einen Herrscher, der ihnen weder Nahrung noch Kleidung mehr gewähren kann, während sie täglich erfahren, daß ihre auf und bei den deutschen Stationen angesiedelten Stammesgenossen ein sorgenfreies Dasein genießen. Die Tragik dieses Kampfes, in welchem ein Volk für das Leben seines Sultans verblutet, trat mir gestern recht ergreifend vor Augen: die Gefangenen sollten über den Aufenthalt ihres Herrn aussagen. Man sah ihre innere Aufregung, die Angst, als Aufrührer zum Tode verurteilt zu werden — aber Quawas Name kam nicht über ihre Lippen. Das sind Feinde, denen man die Achtung nicht versagen kann.

Ein anderes Verhör brachte etwas zu Tage, was Tom längst vorausgesehen hatte: 26 von Unteroffizier Lachenmeyer eingebrachte Leute waren Spione Quawas! Auf seinen Befehl hatten sie sich unterworfen, um ihren Herrn mit dem Ertrage unserer Felder zu versorgen und ihm genaue Angaben über die Stärke der einzelnen Stationen und detachierten Posten zu machen. Dann sollte an einem bestimmten Tage der große Schlag gegen uns geführt werden! Gott sei Dank, daß wir die Möglichkeit eines solchen Überfalles niemals außer acht gelassen haben — was wäre aus uns geworden, wenn Tom im Gefühl scheinbarer Sicherheit die schärfste Beaufsichtigung unserer neuen Ansiedler und Zuzügler nicht so streng durchgeführt hätte.

Unter diesen Spionen waren auch die Anführer des Überfalles von Mtandi und der Mörder des unglücklichen Karsjens; sie waren dem Feldwebel Merkl als Patrouillenführer mitgegeben worden; kein Wunder, daß der Streifzug keinen Erfolg hatte. Karsjens hatte, wie sich nun herausstellt, einen Schuß durch beide Oberschenkel erhalten, der ihn niederstreckte, den von seinem Boy auf dem Feldbette niedergelegten Wehrlosen hat der Mörder mit zwei Speerstichen in die Brust getötet.

Unsere Leute sind furchtbar erbittert; als für einen sofortigen Streifzug unter Unteroffizier Schubert „Freiwillige vor!“ kommandiert wurde, traten unsere Askaris sämtlich wie ein Mann vor.

10. Februar 1898.

Heute marschierte Herr v. Prittwitz ab nach Himbu; Bauleiter Selling ist nach Kuifuri, um dort nach Holzarten zu suchen, denen die Bohrkäfer nichts anhaben können. Auf der Station wimmelte es von gefangenen Weibern, aber auch halbverhungerte Träger finden sich ein; von Förster Ockels Karawane sind hier schon 16 Mann eingetroffen.

12. Februar 1898.

Jetzt ist kein Halten mehr; einer der Führer hat Quawas Lagerplatz verraten! Tom benachrichtigte sofort alle von der Station abkommandierten Europäer, er selbst zog sofort los (nur ein Unteroffizier bleibt hier). Zunächst bis Ndéuka, in der Nacht geht’s dann weiter, so daß bei Tagesanbruch das Lager überfallen werden kann. Gott gebe ihm diesmal Erfolg, damit endlich diese furchtbare Aufregung aufhört, der ich auf die Dauer doch nicht gewachsen bin.

8 Männer kommen mit 48 Weibern, um sich zu unterwerfen.

13. Februar 1898.

Aus der Nachmittagsruhe wurde ich durch Lärm auf der Veranda gestört. Zuerst glaubte ich, es sei Tom, und rannte hinaus, fand mich aber einem schwarzen Ehepaare gegenüber; es war schwer zu sagen, wer von beiden am betrunkensten war, der Mann oder die Frau; diese war von ihrem Gatten dermaßen geschlagen worden, daß ihr das Blut am Körper herunterlief, bei mir hatte sie Schutz suchen wollen. Ich nahm ihr das Kind ab, das jeden Augenblick in Gefahr war, ihr vom Arme zu fallen, und warf beide Eltern schleunigst hinaus; dann brachte mir ein Suaheli noch ein weinendes Kind, welches nach mir verlangt hatte. Es ist ein unruhiges Leben auf der Station, eine unheimliche Aufregung hat sich aller bemächtigt; auf der Wache können sie kaum alle die Männer und Frauen unterbringen, die täglich eingeliefert werden.

17. Februar 1898.

Gestern kam Feldwebel Merkl mit vielen Gefangenen zurück; er ist krank und elend, die Strapazen dieses Marsches bei Tag und Nacht haben den kräftigen, kerngesunden Mann entsetzlich mitgenommen. Was unsere deutschen Unteroffiziere hier leisten müssen, davon macht man sich in Deutschland keinen Begriff, aber sie sind mit einem Pflichteifer und mit einer Liebe zur Sache dabei, die höchste Anerkennung verdienen.

Da ich am 14. keine Nachricht von Tom erhielt, muß ich annehmen, daß sein Zug erfolglos war. Heute kommt auch die Bestätigung.

18. Februar 1898.

Von Quawas Anhängern macht sich besonders Kolakola bemerkbar; er hat unsere Leute bei Kissinja überfallen und sich dann in unserem Tale, unweit der Station, Eßvorräte geraubt; dann überfiel er, nach Toms Abmarsch, Lula, schleppte mehrere Kinder fort und erschlug neun Leute. Was mir am meisten Sorge macht, ist, daß Tom einem solchen unvorhergesehenen Überfall auf dem Marsche zum Opfer fallen kann. Einer seiner besten Wahehe erhielt von einem im Grase versteckten Feind einen Speerstich in den Oberschenkel, an welchem er verblutete.

23. Februar 1898.

Tom kam sehr elend zurück. Das Kommando hat er Herrn v. Prittwitz übergeben, da der Hauptteil des Zuges erledigt.

26. Februar 1898.

Großer Ramassan mit der üblichen Gratulationscour. Zuerst kommen die schwarzen Händler; sie werden von Tom zur Rede gestellt, weil sie sich geweigert hatten, unsern Askaris den Mais für 5 Rupien zu verkaufen; sie verbrauen den Mais nämlich lieber zu Pombe (pombe = eigentlich Bier aus Hirse) und verdienen am Sack dann 15 bis 20 Rupien. Dann erscheinen die Araber und Beludschen, die ich mit Tee, Kaffee und Schokoladenplätzchen bewirte. Wir waren in nichts weniger als festlicher Stimmung — sollte doch noch an demselben Tage das Urteil an den vom Kriegsgericht zum Tod durch den Strang Verurteilten vollstreckt werden! Von den zwölf Verurteilten waren drei begnadigt worden.

Nachmittags kamen sämtliche Sudanesenfrauen, 36 an der Zahl! alle in ihrem schönsten Staat, mit silbernen Ketten und Armringen von riesigem Umfang und großen Silberdosen als Anhängsel, in denen sie ihre dawa (Medizin, Zaubermittel) bewahren. Mit ihren faltigen, farbigen Gewändern und weißen Tüchern über den schwarzen Gesichtern bilden sie wirklich malerische Gruppen. Sie werden wie die Araber mit Tee, Kaffee und allerlei Süßigkeiten bewirtet, ebenso wie diese ihre Sandalen ablegen, ziehen auch sie vor dem Eintritt in mein Zimmer ihre Schuhe aus.

6. März 1898.

Seit dem 27. Februar liegt Tom an schwerem Bronchialkatarrh zu Bett; inzwischen kam Leutnant Orthmann zurück, er hat sich einen tüchtigen Gelenkrheumatismus geholt, mit dem er drei Wochen lang sich durch die unwegsamen Berge schleppen mußte; heute kam noch Dr. Stierling, mit ihm Leutnant Kuhlmann, der an Milzanschwellung mit starkem Fieber leidet. Sergeant Richter laboriert an seiner Schußwunde, die Wunde eitert noch, und zuletzt wird Lazarettgehilfe Schuster von der 3. Kompagnie auch noch krank, starker Bronchialkatarrh mit hohem Fieber. Von den acht Europäern der Station sind nur zwei gesund.

Tom hat jetzt eine annähernd genaue Liste von Quawas Anhängern aufgestellt: Es müssen deren jetzt noch etwa 250 sein. Sein Häuptling Kimulimuli, der sich seinerzeit mit Mpangire gestellt hatte, dann aber wieder heimlich zu Quawa zurückging, ist jetzt bei diesem gestorben; seine Frau hat sich dann erhängt, um ihrem Herrn und Gebieter in den Tod zu folgen. — Als Mpangire noch Sultan war, sollen diese und Kimulimuli den zur Unterwerfung bereiten Quawa mit Gewalt davon abgehalten haben. Wie viel Blutvergießen wäre vermieden worden, wenn Quawa damals mit Tom persönlich hätte verhandeln können.

9. März 1898.

Vorgestern kamen unsere Wahehe von der Expedition zurück. Ich freute mich, das Gaunergesicht unseres braven Farhenga wiederzusehen; gestern trafen der neue Zahlmeister und ein Unteroffizier für die 6. Kompagnie ein; auch Offenwanger soll mit dorthin gehen. Da bleibt also der Doktor allein zurück — über Mangel an Beschäftigung wird er nicht zu klagen haben, er hat hier für vier bettlägerige und zwei revierkranke Europäer zu sorgen — abgesehen von den Schwarzen. Richter mußte operiert werden; es wurden sehr große Knochensplitter aus der Wunde entfernt.

10. März 1898.

Heute besuchten Tom und ich den kranken Leutnant Orthmann. Um jede Zugluft abzuhalten, sind die Wände der Strohhütte ganz dicht verstopft worden; so kann der arme Patient sich nicht einmal die Zeit mit Lesen vertreiben. Wir haben ihm in der Boma ein luftiges, lichtes Zimmer herstellen lassen, damit er dort seine Krankheit leichter übersteht.

Mein Name wird hier schon als Machtmittel mißbraucht! Von unseren Wahehe wird mir gemeldet, daß 20 Händler und Träger nebst zwei Eseln in der Gegend umherziehen und von den Leuten Chakula eintreiben — und zwar in meinem Namen! Tom schickte sofort eine Askari-Patrouille hinter ihnen her, die die Kerle auch richtig abfaßte. Heute erscheinen sie de- und wehmütig und spielen die reuigen Sünder. Zunächst müssen sie den Eigentümern die gestohlene Chakula bezahlen und dann erhalten sie wegen Mißbrauchs meines Namens pro Mann 25 Hiebe. Das hat hoffentlich gewirkt.

Von Quawas nächster Umgebung, seiner Leibgarde, stellten sich heute drei Mann mit Gewehren Modell 71. — Das Ende des Gefürchteten naht!

15. März 1898.

Gestern vergnügtes Picknick bei Farhenga in der Nähe des Aussichtspunktes; abends gegen 9 Uhr kamen wir bei Laternenschein nach Hause. Heute mittag kam Leutnant v. d. Marwitz an; ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt, ein breitschulteriger brünetter Hüne. Herr v. der Marwitz ist seit vier Jahren in Afrika, er war längere Zeit im Kilimandscharo-Gebiete.

16. März 1898.

Leutnant Engelhardt verabschiedete sich heute, er brachte mir noch hübsche Blumen. Zum Kaffee war Herr v. der Marwitz bei uns. Seit langer Zeit wieder große Freude: gute Nachricht von zu Hause!

20. März 1898.

Am 17. war Tom mit Leutnant Kuhlmann nach Dabagga marschiert, um dort nach dem Rechten zu sehen — heute kamen sie schon zurück, also viel früher, als ich erwartete. Solche friedlichen Expeditionen lasse ich mir gefallen, die Zeit vergeht viel schneller, wenn mich die Angst um meinen Mann nicht aufreibt. Morgens besorge ich die Hausarbeit, während der tollsten Mittagshitze ruhe ich oder lese, dann holen mich die Herren ab zum Krocket oder Spaziergang, wir besuchen unseren kranken Leutnant Orthmann und machen Einkäufe bei unserem „Hoflieferant Borchardt“, dem Griechen. So vergehen mir die Tage, die Tom abwesend ist, im Fluge. — Mit meiner Hühnerzucht habe ich viel Verdruß: die eben ausgekrochenen jungen Perlhühner sind nach wenigen Tagen eingegangen. Gestern abend in der blumengeschmückten Messe großes Festmahl, gegeben von Dr. Drewes und Bauleiter Hentrich; die Sache verlief sehr hübsch. Wir waren alle sehr vergnügt und kehrten erst gegen Mitternacht zu den häuslichen Penaten zurück.

Schnapsels Nachkommenschaft ist erloschen, er überlebt sein Geschlecht. Seinen Sohn und präsumtiven Nachfolger hat ein Leopard direkt von unserm Hofe weggeholt; der Posten schoß auf den frechen Räuber, so daß er seine Beute fallen ließ; so konnten wir den treuen Wächter des Hauses andern Tags im Garten begraben. Schnapsel trug bei der Bestattung eine dem tragischen Ende seines Sprößlings angemessene Trauer zur Schau; er scheint ihn noch lange vermißt zu haben. Einige Abende darauf holte der Leopard sich auch noch den andern Hund, und zwar diesmal von der Veranda!

Unter unserem Dach hat sich ein Bienenschwarm eingenistet, alles Ausräuchern ist vergeblich, wir müssen uns die Mitbewohner also gefallen lassen.

30. März 1898.

Tom ist wieder hinter Quawa her! Heute brachten unsere Wahehe einen Trupp Gefangener ein; zu unserer freudigen Überraschung waren darunter Quawas wichtigste Frauen und seine Schwester. Diese wollte Tom an Quawa zurückschicken mit der Botschaft an ihren Bruder, er solle sich mit seinem ganzen Anhange stellen, als Strafe würde er nur des Landes verwiesen werden, sein Leben sei bei gutwilliger Unterwerfung nicht bedroht. Allein die Schwester weigerte sich, diese Botschaft zu überbringen, weil Quawa sie ohne weiteres dafür töten würde. Es befanden sich weiter unter den Gefangenen fünf Sultanstöchter, Schwestern des jetzigen Sultans Merere, der sie nach Ubena abholte, ferner Tochter und Nichte des Sultans von Sikki, erstere eine interessante Erscheinung, von präraffaelisch schlankem Wuchs mit feinen Zügen und großen, traurig blickenden Augen — ich mußte an die zarten und doch so vornehmen Frauenbilder von Alessandro Botticelli denken. Für Tom war diese Begegnung mit der Tochter des Sikkisultans von besonderem Interesse: als er 1893 dessen Boma stürmte, waren gerade Quawas Abgesandte dort, um diese Tochter für ihren Herrn als Frau zu holen; sie entging damals nur knapp der Gefangenschaft — heute hat sie das Geschick doch ereilt. Sie berichtete uns, Quawa habe geäußert, wenn er gewußt hätte, daß wir uns so lange in Uhehe halten würden, hätte er sich gestellt; er habe angenommen, daß wir auch diesesmal, wie 1894, bald wieder abziehen müßten.

Während ich beim Entwickeln photographischer Platten bin, höre ich großes Geschrei — eine gute Nachricht ist von der Expedition eingetroffen: am 26. hat Tom das Lager Quawas aufgestöbert und zersprengt: diesmal bestand es nur aus einzelnen, im Gebüsch verstreuten Feuerstellen; der Sultan selbst entkam ins Pori, sein Schwager fiel, einer seiner Schwiegersöhne und mehrere Weiber und Kinder wurden gefangen, darunter ein sechzehnjähriger Sohn, alle bis zum Skelett abgemagert. Tom schickte den ganzen Troß mit den Wahehe zurück, um den Schein zu erwecken, die Expedition sei nach der Station zurückgekehrt, er selbst blieb mit Leutnant v. der Marwitz und den Unteroffizieren Schubert und Hammermeister im Versteck, um die Versprengten noch einmal zu überraschen, die sich wahrscheinlich an dieser Stelle wieder zusammenfinden würden. Eine der gefangenen Quawafrauen hatte kurz vorher einen Knaben geboren; beide befinden sich nach den Anstrengungen des Marsches wohl. Auch bei unserem Effendi ist der Storch eingekehrt — übrigens, um auch diese naturwissenschaftliche Tatsache festzustellen: die jungen Erdenbürger kommen mit weißer Haut zur Welt und bilden einen eigenartigen Farbenkontrast zu ihren schwarzen Müttern; von der zweiten Woche an beginnen sie nachzudunkeln.

2. April 1898.

Der 1. April brachte mir eine freudige Überraschung: Tom kam zurück. Sein Plan war richtig: die Quawaleute sammelten sich auf einem Maisfelde, um Chakula zu holen; sie wurden überfallen, und in dem Kampfe fielen die meisten von Quawas letztem Anhange, viele wurden gefangen, und der Rest ist dermaßen zersprengt, daß es nicht mehr lohnte, sie weiter zu verfolgen. In die Freude über Toms glückliche Rückkehr mischte sich auch ein gut gemessen Teil Stolz, daß es wiederum mein Gatte war, der unsere schlimmsten Gegner in ihrem eigenen Lager angegriffen.

6. April 1898.

Gestern feierten wir Leutnant Kuhlmanns Geburtstag; früh sandte ich ihm eine Sandtorte und einen Likörbecher, mittags waren der „Jubilar“ sowie Herr v. der Marwitz und der neue Zahlmeister unsere Gäste. Ich bin mit meinem Koche schon so eingefuchst, daß unsere afrikanischen Diners immer vorzüglich klappen! Von der Arbeit macht eine deutsche Hausfrau sich freilich keine Vorstellung.

Heute traf ein Mann auf der Station ein, dem Quawa früher einmal die Hände und Ohren abgeschnitten und ihn derart verstümmelt an seinen Sultan zurückgesandt hatte, um diesem die Strafe für Verräter ad oculos zu demonstrieren!

Mittags 12 Uhr marschierte Tom wieder ab; Herr v. der Marwitz und Sergeant Richter, dessen Wunde noch immer nicht ganz verheilt, begleiteten ihn: auf den Feldern von Iringa sind Spuren gefunden worden, die auf Quawa deuten. Es sollen nur drei kleine Lasten mitgenommen werden, da muß ich genau überlegen, welche Stücke unumgänglich nötig, welche entbehrlich sind.

Karfreitag.

Ich feierte den „stillen Freitag“ in Wahrheit in aller Stille — Gott gebe meinem Manne den langersehnten Erfolg, damit das Land nach jahrelangen Kämpfen endlich zum Frieden komme! — Ein gutes Anzeichen: kurz nach Toms Abmarsch stellte sich ein Krieger aus Quawas nächster Umgebung! Tom ist auf der richtigen Spur; damit unser Todfeind diesmal nicht ausbrechen kann, marschieren Merkl und Hammermeister, die eben erst von einem Zuge zurückkamen, gleich wieder in den von Tom ihnen bezeichneten Richtungen ab; überall sieht man die Signalfeuer unserer Wahehe: das Wild ist umstellt!

Als Belohnung für die Einlieferung Quawas hat das Gouvernement große Elefantenzähne im Preis von 5000 Rupien ausgesetzt, die hier für jedermann zur Ansicht ausliegen.

Ostersonntag.

Tom kehrte heute zurück. Er hat dreimal Quawas Feuerstelle gefunden, einmal war er, wie gefangene Weiber aussagen, bis auf 50 Meter an Quawa heran, als dieser noch mit der Gewandtheit eines Wiesels im Pori verschwand. Auf dem steinigen Boden war schließlich auch für Waheheaugen die Spur nicht mehr erkennbar. Mit einem guten deutschen Schweißhund hätte man die Verfolgung weiterführen können.

Von seiten unserer Jumben kommen sehr häufig — so auch heute — Lasten mit Chakula für uns an; sie schicken sie als den üblichen Sultanstribut; als solchen nehme ich sie natürlich nicht an, sondern erwidere das Geschenk mit dem gleichen Werte an Zeug, aber erst durch die ausdrückliche Erklärung, daß ich das als ein Gegengeschenk, nicht etwa als Kaufpreis betrachte, kann ich sie zur Annahme bewegen.

15. April 1898.

Was Tom im Dezember vorigen Jahres in einem Berichte an den Gouverneur in bestimmte Aussicht gestellt hatte, ist in Erfüllung gegangen; binnen vier Monaten wird Quawa, von allen seinen Anhängern getrennt, dem Hungertod im Pori verfallen sein. Nach dem Verzeichnis, das Tom von allen Quawaanhängern zusammengestellt und dessen Richtigkeit durch die Aussagen von Gefangenen und durch Berichte unserer Patrouillen bestätigt wurde, kann er jetzt nur noch seinen ältesten Sohn und präsumtiven Nachfolger Sapi, einen jüngeren Sohn und zwei Mann der Leibwache bei sich haben. Seine Spur wurde dicht bei unserer Station wiedergefunden, auf einem Berge, von dem aus man einen guten Überblick hat. Der Blick auf das blühende, rege Leben in der Stadt, auf die Boma, die vielen Ansiedelungen und auf unser massiv aus Steinen gebautes Haus — ein solches hat er wohl nie vorher gesehen — mag ihm eindringlich genug bewiesen haben, daß seine Hoffnung auf den baldigen Abzug seiner Feinde diesmal nicht wieder in Erfüllung gehen wird! — In diesen Tagen fieberhafter Aufregung, wo alles aufgeboten wurde, den Todfeind zum entscheidenden Kampfe zu stellen — hat dieser selbe gehetzte Flüchtling in einer Tembe unweit der Station übernachtet, sich am langentbehrten Herdfeuer Speise bereitet und die müden Glieder geruht! Merkls Patrouillen sahen den Rauch dieser Tembe und wollten darauf zu marschieren, allein die führenden Wahehe hielten die Askaris unter allerhand Ausflüchten davon ab: es seien Leute in jener Hütte, die das Wild von den Feldern abhalten sollten, und ähnliches. Die Sache erschien aber unsern Askaris verdächtig, sie gingen in der Richtung der verdächtigen Tembe vor, und richtig: von einem als Posten ausgestellten Jumben gewarnt, eilte Quawa mit seinen beiden Söhnen und den letzten beiden Kriegern seiner Leibwache dem Walde zu, nachdem er noch einen unserer Askaris erschossen. Die Kugeln unserer Patrouille erreichten ihn nicht mehr. Der Wald nahm ihn in seinen Schutz. — Doch der Überfall sollte gute Folgen haben; zwei Tage danach stellten sich die beiden Quawasöhne und die beiden letzten Krieger; sie hatten ihren Herrn im Pori nicht wiedergefunden! —

So ist denn Quawas Geschick besiegelt! Er steht nun ganz allein, jede Aussicht auf Unterstützung, auf Zufuhr ist ihm abgeschnitten; wird er seinen Ausspruch wahr machen, den er einst getan: er werde sich erschießen, sobald sein Sohn in die Hände des Bana Kapirimbu fiele? In der Tembe fanden die Askaris Quawas Messer und Trinkbecher. Die Leute erzählen sich, der Sultan habe weder Feuerholz bei sich, noch, verstehe er überhaupt selbst Feuer anzumachen, da er hierfür immer seinen besonderen Diener gehabt habe. Trotz aller Sorge und Todesangst, die ich in diesen zwei Jahren um meinen Mann gelitten, hätte ich dem tapferen Feinde doch ein anständigeres Ende, den Tod von einer deutschen Kugel, gewünscht, als es ihm jetzt beschieden ist: Hungertod oder Selbstmord!

Mgaga, den 6. Mai 1898.

Der Arzt hat uns am 28. April auf Safari geschickt; die Strapazen der letzten Streifzüge haben Tom sehr mitgenommen, und auch meine Nerven bedürfen nach all der Aufregung der Auffrischung. Tom benutzt diese „Erholungstour“ zur Erkundung und Kartierung der Umgegend. Wir machen kartographische Aufnahmen der Wege, stecken die Basis für die trigonometrischen Messungen ab; Azimutbestimmung, Entfernungsmessen, Bestimmung der geographischen Breiten füllen unsere Tage aus. Mein Herbarium schwillt an, der Dolmetscher hat mir eine Blumenpresse angefertigt, sie ist etwas sehr geräumig ausgefallen (für eine Reise um die Erde könnte ich sie als Handkoffer benutzen), aber sie erfüllte ihren Zweck. Vom Gongo ya Luimtuira, einem 2100 Meter hohen Felsengipfel, großartige Aussicht! Am 3. Mai waren wir wieder in unsern alten lieben Bergen, die wir schon früher durchwanderten. Leider werden unsere astronomischen Ortsbestimmungen durch trübes Wetter sehr beeinträchtigt, auch die Kälte macht sich recht unangenehm bemerklich. Einmal mußten wir mit unserm Lager dem Überfalle eines echt afrikanischen Feindes weichen; die Siafus, eine bösartige Ameisenart, die sich weder mit Wasser noch mit Feuer vertreiben lassen, zwangen uns, den Lagerplatz weiter den Berg hinan zu verlegen. Wahrscheinlich hatten sie von dem großen „Schlachtfest“ Witterung bekommen; da unser Mehlvorrat verbraucht war, ließ Tom nämlich zum Jubel unserer Leute einen Ochsen schlachten; es war ein buntes, bewegtes Bild, als er im Kreise der rings um ihn hockenden Schwarzen stand und jedem nach Verdienst und Würdigkeit seine Fleischportion zuteilte; die helle Freude leuchtete aus den Augen der armen Kerls über die Aussicht, sich einmal wieder an Fleisch sattessen zu können.

Mgaga, 10. Mai 1898.

Nach dem neunstündigen Ritt bin ich heute sehr müde. Unser Lagerplatz befindet sich an einer Stelle am Saume des Urwaldes, an der vor kurzem noch unsere Feinde sich häuslich eingerichtet hatten; eine Anzahl Feuerstellen ist noch vorhanden, auch einige niedere Grashütten wurden von unseren Askaris aufgestöbert. Tom ist allein losgezogen, ich habe inzwischen „Höhe abgekocht“, Pflanzen gepreßt und mich in Semmlers „Tropische Agrikultur“ vertieft. Eine angenehme Unterbrechung bot die Ankunft der Postsachen, mit ihnen der vergessene — Spiegel, der aus Versehen nicht mit eingepackt worden war. Früher hätte ich es einfach für unmöglich gehalten, daß ein weibliches Wesen vierzehn Tage lang ohne Spiegel existieren könne, ich bin aber doch schon so stark verafrikanert, daß ich ihn wirklich kaum noch vermißte. Als Ersatz für Schnapsels Sohn Pombe, den uns der Leopard totgebissen, haben wir jetzt eine Tochter dieses in der Blüte seines Daseins Geknickten in Gestalt eines muntern, sehr zierlichen Hündchens als Haus- bzw. Zeltgenossen, dem wir, seinem lebhaften mutwilligen Wesen entsprechend, den Namen „Sillery“ gaben; die Dynastie Schnapsel blüht also weiter. An Stelle meines bisher besten Boys — er stand bei allen Gläubigen als Zugehöriger zur Familie der direkten Nachkommen des Propheten in hohem Ansehen —, den ich seinem Vater auf dessen Wunsch zurückgab, habe ich jetzt einen jungen Mhehe, ein prächtiges Kerlchen mit großen, klugen Augen. Mein Koch klagt mir wieder sein Hauskreuz: seine bessere Hälfte behandelt ihn zu schlecht! Das würde mir nun wenig Kopfschmerzen machen, wenn diese ehelichen Zwistigkeiten sich nicht auf meine Küche erstreckten. Eines schönen Tages war meine „Perle“ verschwunden — für mich ein unersetzlicher Verlust! Tom hetzte sofort den Wali und unsern Freund Farhenga auf seine Spur, die auch Leute auf die Suche schickten; überdies wurde für seine Einlieferung ein Rind als Belohnung ausgesetzt! Endlich — ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, meine Perle je wiederzusehen — kam mein Mpischi ganz von selbst wieder an — seine Frau hatte ihn wieder mal so schlecht behandelt, daß er im Pori Schutz gesucht hatte. Hoffentlich wirkt die Safari auch auf seinen Lebensmut wieder auffrischend; noch hat er sich von seinem Seelenschmerz nicht erholt.

12. Mai 1898.

Tom wieder unterwegs, um womöglich die Quelle des Kihansi zu finden. Aus Berlin traf ein Brief von Toms Jugendfreund, Leutnant v. Thaer, ein, der mich meiner Lieben daheim wegen sehr beunruhigt. Herr von Thaer ist sehr besorgt um unser Schicksal; ihm war die Schreckensnachricht zugegangen, Tom und ich seien von den Wahehe ermordet worden, selbst die Einzelheiten dieses Mordes waren angegeben; auf persönliche Anfrage beim Auswärtigen Amt hatte man ihm gesagt, amtlich sei nichts derartiges bekannt, nach einigen Tagen wurde die Nachricht dann auch offiziell als unbegründet bezeichnet. Hoffentlich bewährt sich auch an uns der alte Volksglaube: daß Totgesagte ein hohes Alter erreichen! Welcher Schrecken aber für alle unsere Lieben daheim, wenn sie tagelang unter dem fürchterlichen Druck der Ungewißheit leben müssen, falls das Gerücht auch zu ihnen gedrungen ist! Ich habe die Briefe von zu Hause noch nie mit solcher Sehnsucht erwartet, wie diesmal.

Dabagga, 15. Mai 1898.

Toms topographische Ausbeute ist reichlich: er hat die Quellen nicht nur des Kihansi, sondern auch die des Mtitu festgestellt; so sehr ich mich über jeden Erfolg meines Mannes freue, so unzufrieden bin ich doch manchmal mit ihm, denn im Eifer, das vorgesetzte Ziel zu erreichen, vergißt er Essen und Trinken; so hat er auch diesmal wieder den ganzen Tag nichts genossen; er war aber über das Ergebnis seiner Erkundungsmärsche so vergnügt, daß ich die Gardinenpredigt, mit der ich ihm das Abendbrot zu würzen gedachte, für eine bessere Gelegenheit noch zurückhielt.

Der Regen hat uns übrigens auf dieser geographischen Expedition zu vielen Marschpausen gezwungen, da wir bei trübem, nassem Wetter keine genauen Aufnahmen erzielen. Tom hat jedoch seine Karte um eine große Zahl wichtiger Punkte bereichern können, und für mich war es noch besonders wertvoll, unser Gebiet so kreuz und quer zu durchstreifen.

Meine Sorge, daß unsere Lieben in Deutschland durch die Tataren- oder vielmehr „Kaffern“-Nachricht von unserer Ermordung in Angst gesetzt seien, wird durch heute eingelaufene Zeitungen bestätigt: Papa hat nach Dar-es-Salaam um Nachricht telegraphiert. Nun haben sie inzwischen wohl alle die beruhigende Nachricht erhalten, daß es uns gut geht. Wie mag wohl das Gerücht entstanden sein? Gott sei’s gedankt, Toms politische Haltung den Schwarzen gegenüber, sein kluges, freundliches Eingehen auf die nationale Eigenart der einzelnen Stämme hat uns die Herzen dieser großen Kinder Schritt für Schritt gewonnen, wir fühlen uns sicher mitten unter ihnen. Wer hätte früher je gedacht, daß die stolzen Wahehekrieger einst für die Weißen friedliche Arbeit tun würden? Jetzt schlagen sie Wege für uns durch den Urwald und sind anstellig für jede friedliche Beschäftigung. Selbstverständlich lassen wir uns nicht in untätige Sicherheit einwiegen, sondern halten die Augen nach allen Seiten hin offen. So hat Tom jetzt für die Feldarbeit auf der vom Förster Ockel eingerichteten landwirtschaftlichen Versuchsstation hier in Dabagga auch Wapawagas aus dem Bezirk Uhehe eingestellt; es hatten sich auf die erste Aufforderung hin sofort 30 Mann gemeldet, vorsichtshalber wurden aber erst 15 zur Probe angenommen; sie mußten sich jeder in einem besonderen, mit ihrem Handzeichen versehenen Kontrakt auf vorläufig drei Monate verpflichten, eine Förmlichkeit, bei der sie sich ungemein wichtig vorkamen; jetzt führen sie mit viel Geschick den Spaten; der Förster ist sehr zufrieden mit ihnen. Ob sie aushalten werden, ist eine Frage der Zeit. Neue Besen kehren gut. Je länger man in Afrika lebt, je klarer offenbart es sich einem, daß das Gedeihen der Kolonie davon abhängt, wie man sich die Schwarzen erzieht; ihre richtige Behandlung ist eine Kunst, für die nicht jeder zugänglich ist.

Ich war von Dabagga überrascht, es würde sich bei der schönen Lage zum Luftkurort eignen. Der Förster hat sich ein allerliebstes Häuschen gebaut und sein Wohnzimmer schmuck und heimisch eingerichtet. Im Kamin prasselte ein tüchtiges Feuer, um welches wir uns, da es empfindlich kalt geworden war, gemütlich zusammenfanden. Der Boden ist vorzüglich: Weizen und Raps gedeihen gut, ebenso Erdbeeren, Mandeln und allerlei Baumarten; nur mit dem Gemüse klappt es noch nicht, ohne ersichtlichen Grund. Nachmittags hielten wir Scheibenschießen: von den Askaris erzielte der beste Schütze zweimal zehn Ringe bei freihändigem Schießen auf 170 Meter.

Als besonders denkwürdig notiere ich noch: photographierte das Forsthaus und den ersten deutschen Pflug im Lande Uhehe!

Suka, 20. Mai 1898.

Am 18. Mai Abschied vom gastlichen Förster[8], vier Stunden Marsch nach dem Ifigaberge, wo Tom Vermessungen machte, Basis absteckte und andere topographische Arbeiten. Die Safari nähert sich ihrem Ende, wir denken stark an den Heimmarsch. Wahehe, die noch vor wenigen Wochen gegen uns gekämpft haben, sind unsere Führer!

Station Iringa, 24. Mai 1898.

Am Sonntag, den 22., trafen wir wohlbehalten wieder ein, abgesehen von einem ohne Folgen verlaufenen Sturz mit dem Maultier, ohne jeden Unfall; ich habe mich prächtig erholt — von Tom ist es mir fraglich, er hat sich auf der Safari wenig Ruhe gegönnt. Unser Haus fanden wir schön mit Blumen geschmückt, den Tisch zierlich gedeckt; dann kamen sämtliche Europäer an, uns zu begrüßen; wir saßen noch zwei Stunden beim Weine und erzählten uns.

Am 2. Pfingstfeiertag, 30. Mai 1898.

Iringa wird Weltstadt! Wir sind Poststation geworden, als sichtbares Zeichen unserer Zugehörigkeit zum Weltpostverein wurde der erste Briefkasten angebracht, und jeder drängt sich, seine Korrespondenz ihm eigenhändig einzuverleiben! Gleich am ersten Tage wurden ihm über 500 Postkarten anvertraut, die der staunenden Mitwelt von dem großen Ereignis Mitteilung machen sollten. Natürlich gab das auch Anlaß zu einer mehr feucht-fröhlichen wie feierlichen Einweihung. Für Leutnant Braun, der auf Urlaub geht, kam Leutnant Bischoff als Ersatz, für Feldwebel Langenkemper Feldwebel Schütz, mit ihnen Tischler Wunsch und vier Goanesen, die sich auf Tischlerarbeit verstehen. Die Station soll gut ausgebaut werden; projektiert sind zunächst ein Försterhaus und ein Haus für den demnächst eintreffenden Landwirt Hirl.

Gestern mittag zum 1. Pfingstfeiertag haben wir die Herren bei uns angefeiert, da gab’s denn morgen für mich viel Arbeit; nachmittags ruhte ich ein Stündchen, um 7½ Uhr waren wir in der Messe eingeladen. Das war ein anstrengender Tag. Zum Pfingst-Heiligenabend war großer Zapfenstreich mit Fackelzug und am Sonntag früh großes Wecken — ganz so, wie es sich für eine deutsche Garnisonstadt gehört!

31. Mai 1898.

Leutnant v. der Marwitz marschierte heute ab, um die Station Mlangali zu übernehmen. Quawa ist verschollen, allerorts, wo er in letzter Zeit sich in den Bergen aufgehalten, wird nach seinem Gewehr gesucht; man vermutet, daß er tot sein muß, denn es ist kaum anzunehmen, daß er so ganz allein sich im Pori halten kann.

Durch ganz Uhehe zieht sich jetzt ein Netz von Straßen. Die Wahehe, noch vor kurzem der Schrecken aller Nachbarstämme, bewähren sich in friedlicher Arbeit; sie hauen die Wege durch den Urwald, auf der Station helfen sie beim Bau einer Tembe, ja auf unserer Safari trugen sie sogar unsere Lasten mit Chakula. Ihre stramme Organisation zeigte sich besonders beim Bau längerer Straßen, sie arbeiteten unter besonderen Aufsehern, jeder Trupp an der ihm übertragenen Strecke, und ihre Jumben haben sich in der Nähe der Baustrecke niedergelassen, um das Ganze besser kontrollieren zu können.

1. Juni 1898.

Der Monat fing bös an. Das Kriegsgericht mußte einen von einer Patrouille eingebrachten Msagira zum Tode verurteilen, der einige unserer Askaris ermordet hat; heute fand die Exekution statt. Solch ein Tag ist für mich schrecklich; gebe Gott, daß es der letzte gewesen. — Als seinerzeit der Mörder gehenkt wurde, der den Araber und seine Leute erschlagen hatte, baten Leute aus unserer Stadt um seine Leiche, um sie aufzuessen! Sie halten das für die wirksamste Rache an dem Mörder und für eine Sühne, die sie dem Erschlagenen schuldig sind. Welch schwere Aufgabe, in dieser geistigen Nacht einen Funken göttlichen Geistes zu erwecken.

4. Juni 1898.

Meine kleinen Mädels und zwei Frauen kauern auf der Veranda hinter dem Hause und reiben Weizen zu Mehl; ihre Handmühle besteht aus einem flachen, muldenartig vertieften Stein, auf welchem sie die Körner mit einem andern Stein zerreiben. Ihr fröhliches Lachen und Singen dringt bis zu uns herein, so daß ich sie ab und zu zur Ruhe bringen muß, da wir bei dem Lärm nicht arbeiten können. Die Jungen sieben das Mehl durch; ich erziele so ein wirklich gutes, reines Brotmehl.

Mit der Ernte, unserer zweiten in Uhehe, sind wir sehr zufrieden: 5 Lasten Saat haben 106 Lasten = 53 Zentner ausgedroschenen Weizen ergeben.

Heute habe ich einen 80 Pfund schweren Elefanten-Stoßzahn im Werte von 400 Rupien gekauft, ein schöngeschwungenes Prachtexemplar und großartiges Dekorationsstück! Es sah bei mir aus wie in einem Laden: auf dem Boden hatte ich alles ausgebreitet, was sich die Leute als Gegenwert gedungen hatten; nun suchte sich jeder nach seinem Geschmack und Bedarf aus. Sie waren so vergnügt über das gute Geschäft, daß sie wie berauscht mit ihren Schätzen abzogen. Die Händler in der Stadt werden nun ein paar gute Tage haben.

Die deutsche Reichspost funktioniert übrigens doch noch nicht mit fahrplanmäßiger Sicherheit, trotz des neuen Briefkastens: unsere Weihnachtskiste aus Liegnitz ist heute erst angelangt. Wir sehen hier aber weniger auf die Fixigkeit, und wenn’s nur mit der Richtigkeit stimmt, dann ist die Weihnachtsfreude auch im Juni groß! Diesmal bin ich persönlich aber auch ganz besonders auf meine Kosten gekommen: Schokolade, gefüllt und ungefüllt, verzuckerte Walnüsse, Pralinés, gebrannte Mandeln — für die ich immer geschwärmt! — und von Leutnant Glauning aus Berlin ein Postkistchen voll herrlichsten, auserlesensten Konfektes und Früchte! Seit zwei Jahren hatte ich solche süßen Herrlichkeiten nicht gesehen — und nun dieser embarras de richesse! Tom meint, unter einer gründlichen Magenverstimmung würde es wohl nicht abgehen! Aber nein: es wird hübsch haushälterisch mit den Schätzen gewirtschaftet, nur so ab und zu einmal genascht. Der Wein, von dem mir die Eltern schreiben, ist nicht mitgekommen, aber die Schuhe passen vorzüglich. Bis auf die gefüllten Schokoladensachen, aus denen der Likör ausgeflossen, kam alles in tadellosem Zustande an.

7. Juni 1898.

Heute sind’s 14 Jahre seit unserer Verlobung! Ich trug noch das Schulränzel, als wir uns darüber einig waren, daß wir zwei zueinander gehörten. Den 7. Juni feiern wir als den eigentlichen Verlobungstag, den Segen unserer Eltern empfingen wir zehn Jahre später, am 19. Juni 1894. Ich habe jetzt viel Zeit, die Geschichte meines Lebens zu rekapitulieren, denn ich muß seit einigen Tagen liegen. — Überanstrengung in der Wirtschaft nennt es unser Äskulap und verordnet mir Ruhe, nochmals Ruhe und zum drittenmal Ruhe.

13. Juni 1898.

Meine Wirtschaft muß sehen, wie sie ohne mich fertig wird; ich darf vor 10 Uhr nicht aufstehen, dann muß ich warme Bäder nehmen. Juma hat das Plätten hübsch gelernt, er stärkt und plättet die Kragen ganz schön. Das ist ein großer Luxus, der hier, wo alles „ungeplättet“ einhergeht, berechtigtes Aufsehen macht. Die Herren wollen sich nun auch Plätteisen von der Küste kommen lassen. Sergeant Hammermeister ist gestern auf Urlaub nach der Küste abgegangen; wir werden den tüchtigen Mann alle vermissen; Tom schätzte ihn sehr als äußerst zuverlässigen Unteroffizier, und dann war er, was für unsere Verhältnisse besonders ins Gewicht fällt, ein tüchtiger Landwirt, dessen Umsicht wir für den Erfolg unserer Weizenernte viel verdanken, und — last not least — das Schweineschlachten und Wurstmachen verstand er großartig. Feldwebel Richters Wunde eitert noch, Unteroffizier Schubert liegt wieder an Lungenentzündung, den Feldwebel Merkl hat Herr v. der Marwitz mitgenommen, so ist die Kompagnie ohne Unteroffiziere, und Tom und Leutnant Kuhlmann besorgen den Dienst allein. Gestern brachte Farhenga einen Mhehe aus Quawas Anhang mit 14 Weibern und Kindern an.

1. Juli 1898.

Heute haben wir den Tischler Wunsch beerdigt. Binnen 1½ Jahr schon der dritte Europäer, der dem Fieber erlegen — alle drei junge, kräftige Leute. Sie alle haben sich die Krankheitskeime auf den Märschen durch die sumpfigen Niederungen geholt, denn die Lage von Iringa ist anerkannt gesund und vor allem fieberfrei. Der Tod war für den armen Mann eine Erlösung. Ich habe ihn täglich besucht, er war mir so dankbar dafür: nur in den letzten zwei Tagen vor seinem Ende konnte ich seine furchtbaren Qualen nicht mehr mit ansehen, die ihm doch niemand erleichtern konnte! In den neun Jahren, die er in Afrika zubrachte (er war als Laienbruder der katholischen Mission herübergekommen), hat er siebenmal Fieber gehabt, d. h. perniziöses Fieber; die gewöhnlichen Fieberanfälle werden ja nicht gerechnet. Sein Tod wurde durch ein Geschwür herbeigeführt, welches sich nach dem letzten Fieberanfall am Ohre bildete und schließlich bis auf die Kinnladen ging, so daß der Ärmste weder essen noch trinken konnte. Der neue Pater Superior der Mission, Severin, hielt ihm die Grabrede. Das Begräbnis war sehr feierlich.

Mit Pater Severin kam zugleich ein neuer Bruder, der mit dem bisherigen Superior, Pater Ambrosius, in Ubena eine Missionsstation gründen soll.

Station Mlangali.
(Zu S. 173.)

Der erste Pflug im Lande Uhehe.
(Zu S. 172.)

Am 23. vorigen Monats traf von Herrn v. Kleist eine Anzahl Obstbäumchen ein, die er uns zum Geschenk machte; sie waren sehr sachgemäß verpackt, und wir hoffen, daß der größte Teil davon trotz des weiten Transportes gut fortkommen wird. Wir gaben die Bäumchen nach Dabagga, weil sie in unserm Garten doch vielleicht nicht so gut gediehen wären, wie unter der fachmännischen Pflege unserer landwirtschaftlichen Versuchsstation.

Mdogori, 8. Juli 1898.

Heute sind es zwei Jahre, daß wir in Perondo ankamen! Ich sitze im herrlichsten Urwald, der Tag ist ganz für mich, denn Tom kommt heute abend erst von Iduma zurück, wohin ich ihn nicht begleiten konnte, da der Tagesmarsch für mich zu anstrengend. Wir brachen am 4. dieses Monats von Iringa auf. Unser Haus und meine kleinen Totos habe ich einer zuverlässigen Sudanesenfrau übergeben, die ich mir als „Stütze der Hausfrau“ angelernt habe. Sie soll die Wirtschaft führen, solange ich mich nicht darum kümmern kann, und mich pflegen, wenn ich krank bin. — Hoffentlich erfüllt sie die auf sie gesetzten Hoffnungen. —

Gestern habe ich nun auch mein Abenteuer erlebt, ohne das ein „Afrikaner“ eigentlich keinen Anspruch hat, ernstgenommen zu werden — in Deutschland wenigstens —: ich habe einem Löwen gegenüber gestanden! Ich hatte mir ein schattiges Plätzchen zur Siesta ausgesucht, unweit des Lagers, aus welchem die Klänge von „Heil Dir im Siegerkranz“ und „Ich bin ein Preuße“ zu mir herüber drangen, als plötzlich mein Schnapsel mit allen Zeichen des Schreckens und wütend bellend unter meinem Kleide Deckung suchte; ich sah mich um: etwa 40 Schritte ab steht zwischen den Bäumen eine Löwin! Im ersten Augenblick stockte mir der Atem, dann rief ich nach dem Ombascha, der auch sofort angesprungen kam, leider ohne Gewehr. Ich sah die Löwin noch im Dickicht verschwinden und schickte Askaris hinterher, die Spur war aber bald verloren, und die Leute kamen unverrichteter Sache zurück. Nach etwa einer halben Stunde wurde ich in meiner Lektüre wieder durch Schnapsels Bellen aufmerksam; links von mir, kaum zehn Schritt weit, steht die Löwin wieder und äugt nach uns! Hätte mein braver Schnapsel mich nicht gewarnt, hätte die heimtückische Bestie sicher den Sprung getan! Diesmal trat ich aber schleunigst den Rückzug nach dem Lager an, indem ich wieder nach dem Ombascha rief. Auch diesmal entging uns die Beute; sie wird aber sicher wiederkommen. Schnapsel band ich fest, — auf ihn hatte die Löwin es wohl zunächst abgesehen, dann stellten wir eine Falle mit Selbstschuß. Nun habe ich auch mein Löwenabenteuer! Schade, daß Tom nicht zugegen war, sie wäre dann gewiß nicht entkommen. Einen Leoparden, der sich in einer von Dr. Stierling gestellten Falle gefangen, sah ich kürzlich. Das stattliche Tier hatte die Fangeisen mit furchtbarer Gewalt aus dem Boden gerissen und war mit denselben auf einen Baum gesprungen, wo sich die Kette derart in den Ästen verschlungen hatte, daß ihm jede Flucht abgeschnitten war. Ein gutgezielter Fangschuß machte ihm dort ein Ende.

Dabagga, Sonntag den 10. Juli 1898.

Mittags kamen wir hier an; der Förster hat uns ein reizendes Häuschen aus Bambus errichtet, bestehend aus einem Zimmer mit Veranda, und bewirtete uns mit einem trefflichen, von ihm selbst bereiteten Mittagsmahl. Sehr betrübt erzählte er uns, wie ungern er jetzt von der Stätte seiner Tätigkeit scheide; er hat alles so praktisch und wirklich schön eingerichtet, daß er nun nicht gern einem andern Platz machen möchte. Daß er es rasch gelernt hat, die Eingeborenen richtig zu behandeln, beweisen die Wahehe-Ansiedelungen, die sich unter seiner Leitung bei der Station Dabagga schön entwickeln.

12. Juli 1898.

Wir machten einen Ausflug nach Langomoto, herrliche Bergpartien, von denen wir die Stätten der zahlreichen Quawakämpfe übersehen konnten. Auf Anraten des Dr. Drewes, der von Muhanga gekommen war, bewilligte Tom einen Ruhetag — zu meiner Freude, denn dadurch gewinnen wir einen Tag für das schöne Dabagga.

Iringa, 21. Juli 1898.

Endlich! Endlich! Aus vollem, dankbarem Herzen möchte ich es hinausjubeln in alle Welt, die Freudenbotschaft: „All’ Fehd’ hat nun ein Ende“ — Quawa ist tot! Mit dieser Nachricht erst ist Toms sieben Jahre langer Kampf um den Besitz Uhehes zum guten Ende gelangt! Wie dankbar bin ich, daß meinem Mann nun die Freude ward, das Werk seiner unsäglichen Mühe und Sorge, die Arbeit von sieben Jahren voller Kämpfe und Strapazen mit Erfolg gekrönt zu sehen. Nun ist der Name Tom Prince für immer verknüpft mit der Geschichte unserer deutschen Kolonien. Wer will es mir, seiner Frau, verdenken, wenn ich mit frohem Stolze auf den Geliebten blicke; ist er mir doch durch dieses letzte Ereignis in dem blutigen Vernichtungskampfe erst so recht eigentlich neu geschenkt! Wie oft zitterte ich um sein Leben, wenn ich ihn auf dem Zuge gegen Quawa wußte, mit welcher Furcht, mit welch heißem Gebet traf ich stets die Vorbereitungen für seinen Marsch — und durfte ihm doch das Herz nicht schwer machen mit meiner Angst, mußte Frohsinn heucheln, während mir die Angst die Gedanken benahm — und nun steigt die Morgenröte des Friedens strahlend über unsern schönen Bergen auf! —

Das Siegeszeichen, welches Feldwebel Merkl heute bei Tom ablieferte, ist freilich gräßlich — und doch gab es keinen anderen Ausweg, den Tod unseres furchtbarsten Feindes dergestalt ad oculos zu demonstrieren, daß kein Zweifel mehr an seiner endgültigen Vernichtung übrig bleiben kann: Merkl brachte den Kopf des erschossenen Sultans Quawa mit zur Station! Auf seinen ruhelosen Streifzügen durch sein ehemaliges Gebiet war Quawa mit vier Boys, einem seiner letzten Getreuen und dessen Weib und Kind endlich auch in den Bereich der 2. Kompagnie gekommen. Toms Vertreter, Leutnant Kuhlmann, schickte sofort, als dies der Station gemeldet wurde, wie üblich, den Feldwebel Merkl mit 14 Askaris und 10 Wahehe zur Verfolgung aus. Ich lasse am besten unseres braven Merkl Bericht hier folgen:

„Pawaga erreichten wir am 15. Juli 1898 mittags 12 Uhr nach dreizehnstündigem, anstrengendem Marsche. Wir versteckten uns im dichten Busch und verkleideten uns als Wahehe. Hierher ließ ich mir den Jumben Kissogrewe kommen, der die Nachricht zur Station gebracht und aus Furcht, Quawa werde vor dem Eintreffen der Europäer entfliehen, einen Zug gegen Quawa unternommen hatte. Um 5 Uhr nachmittags traf der Jumbe ein, mit drei Boys von Quawa, die gefangen waren. Von den Boys erfuhr ich, daß er nach Makibuta gehen wolle. Er führe einen Karabiner Modell 71 bei sich, an dem vor einigen Tagen der Lauf an der Mündung geplatzt sei, was ihn sehr beunruhigt habe. Sein Begleiter habe eine Jägerbüchse. — Den Ombascha mit fünf Askaris und fünf Wahehe schickte ich nach Makibuta, blieb aber selbst mit den übrigen Leuten hier, weil die am großen Ruaha verloren gegangene Spur Quawas nach Pawaga zeigte und hier das Stehlen in den im dichten Gebüsch versteckten Schamben und den so sehr verstreuten Hütten sehr leicht ist. — Am 16. Juli 1898 wurde das Weib des Quawa begleitenden Mannes gegen Morgen 4 Uhr ergriffen. Sie sagte, Quawa wäre vom großen Ruaha nach dem südlichen Teile von Pawaga gegangen, von wo er nach dem Utshungwegebirge zurück wolle. Sie selbst sei ausgerissen und irre die ganze Nacht umher. Mittags erhielt ich Nachricht, daß Quawa Mais und ein Schaf geraubt habe. Ich nahm sofort die Verfolgung auf. Die Spur, ins Pori in westlicher Richtung führend, konnten nur die Wahehe erkennen. Gegen 5 Uhr verloren auch sie dieselbe und konnten sie bis zum 17. d. Mts. trotz des Umherstreifens nicht wiederfinden. Quawa mit seinem Getreuen und den Boys marschierten jeder in einer anderen Richtung. Das Schaf wurde mit zugebundenem Maule getragen. Am 18. d. Mts. kam der Ombascha zurück. Am 19. schritten wir am linken Ruahaufer in der Richtung Iringa nach der Stelle zurück, wo wir am 16. die Spur verloren hatten. Hier gingen wir durch den Busch auf Humbwe zu. Mittags 12 Uhr erreichte ich es mit dem Ombascha Adam Ibrahim, Askari Said Ali I und Said Borelli und dem Uhehe-Msagira Mtaki. Wir machten Halt, um die zurückgebliebene Karawane zu erwarten. Plötzlich sahen wir einen etwa fünfzehnjährigen nackten Knaben auf uns zukommen, der, sobald er uns sah, die Flucht ergriff, aber doch eingefangen wurde. Auf energisches Zureden gestand er, der vierte Boy Quawas zu sein. Er war des Morgens weggelaufen. Quawa liege drei Stunden weit krank danieder und spucke Blut. Gestern abend habe Quawa seinen Begleiter erschossen. Sofort brachen wir auf. Eine halbe Stunde marschiert, hörten wir in südwestlicher Richtung einen Schuß fallen. Um 2 Uhr nachmittags waren wir nach Aussage des Boys Quawa sehr nahe. Ich beschloß jetzt, Gepäck abzulegen und die Schuhe auszuziehen. Um die Stelle zu beobachten, kletterte ich auf einen Baum. Da der Boden sehr steinig war, war der Marsch ohne Schuhe sehr schmerzhaft. In kurzer Entfernung sahen wir Rauch aufsteigen. Wir mußten etwa 200 Meter auf dem Bauche rutschen. Jetzt konnten wir nicht näher heran, ohne gehört zu werden. Wir sahen zwanzig Schritt vor uns zwei Gestalten, anscheinend schlafend, liegen. Die eine wurde von dem Jumben als Quawa bezeichnet. Da sehr viel dichtes Gebüsch in der unmittelbaren Nähe war und ein Sprung genügt hätte, daß uns Quawa vor der Nase entwischt wäre, wie’s ihm schon oft gelungen, schossen wir auf ihn. Unsere Schüsse waren umsonst; Quawa hatte seinem Leben selbst ein Ende gemacht. Bei ihm war noch nicht die Leichenstarre eingetreten, und den Schuß, den wir gehört, hatte er sich selbst gegeben.“ —

So bleibt der 2. Kompagnie das Verdienst, den Quawafeldzug zum guten Ende geführt zu haben; sie allein hat mit Quawa direkt zu tun gehabt, sie hat ihn aufgestöbert und verfolgt, so ist es nur recht und billig, daß ihr auch jetzt, gerade noch vor Toresschluß, zu dem soldatischen Ruhme treuester Pflichterfüllung auch der materielle Lohn zuteil wird: 5000 Rupien — etwa 8000 Mark hatte bekanntlich das Gouvernement auf Quawas Kopf gesetzt! Dieses Preisausschreiben sollte nur noch bis zum 1. August in Kraft bleiben, es fehlen also nur noch 14 Tage, und Feldwebel Merkl und die 2. Kompagnie wären um den wohlverdienten Lohn gekommen.

Der Jubel, der unsere kleine Welt hier erfüllt, kennt keine Grenzen. Europäer, Soldaten und Eingeborene, einmütig feiern sie alle Tom als den Führer, durch dessen Umsicht und Tatkraft der Quawafeldzug nun endlich beendet ist. Leutnant Kuhlmann hatte alles mögliche ersonnen, um Tom zu ehren, und auch ich kam nicht zu kurz bei all dem Jubel: die Soldatenfrauen trugen mich im Triumphzug durch die Straßen mit Freudengeschrei und Jauchzen. Halb betäubt von dem ohrenzerreißenden Lärm und nicht ohne blaue Flecke wurde ich von Leutnant Kuhlmann der freudetrunkenen Schar entzogen und beim Griechen in eine weniger lebensgefährliche Umgebung gebracht; aber auch hier folgte man mir; gegen 200 Weiber kamen, um mich dort zu feiern; wie vor ihrem Sultan lagen sie vor mir am Boden, mit Jubelgeschrei und Grüßen. Eimerweise ließ ich ihnen Scherbet (Fruchtlimonade) reichen. Die Soldaten machten ihrem Jubel durch tolles Schießen Luft, sie waren ja auch in der Tat „die Nächsten dazu“ — war doch kaum einer unter ihnen, der im Laufe dieser sieben Kriegsjahre nicht an einem Zuge gegen Quawa beteiligt gewesen war. Aber der Wahrheit die Ehre: wir Europäer gaben uns dem Jubel über unsern Erfolg ebenso freudig hin. Bei Beginn der Dunkelheit brachte die Kompagnie uns einen prächtigen Fackelzug, an der Spitze Leutnant Kuhlmann, der Tom einen Kranz überreichte, und die Unteroffiziere. Dann zogen Tom und ich an der Spitze des Zuges durch die Stadt, Tom brachte ein „Hoch“ aus auf den obersten Kriegsherrn, unsern geliebten Kaiser Wilhelm, dann forderte Leutnant Kuhlmann die Kompagnie zu einem „Hoch“ auf ihren Hauptmann auf. Unter dem Siegesgesang der Sudanesen zogen wir dann nach unserm Hause, wo ich mich verabschiedete, während Tom wieder mit zum Griechen mußte. Es dauerte lange, bis auf die große Aufregung dieses bedeutungsvollen Tages die Reaktion eintrat, aber allmählich kam doch die Erschöpfung, und ich fiel in einen festen wohltätigen Schlaf. —

Tom machte von Quawas Kopf eine photographische Aufnahme. Noch im Tode gönnt dieser mächtigste und tatkräftigste aller Negerfürsten, dessen Antlitz gesehen zu haben sich bisher kein Weißer rühmen kann, seinen Todfeinden nicht den Anblick seines wahren Gesichtes, er hat sich in den Kopf geschossen, so daß seine Züge entstellt sind. Doch ist das Charakteristische des Kopfes noch zu erkennen: kleines Gesicht mit eigenartigen, geschlitzten und dennoch verhältnismäßig großen Augen; starke Nase, wulstige Lippen, besonders die Unterlippe auffallend herabhängend, fast bis zu dem stark hervortretenden energischen Kinn; dieses Kinn, die wulstigen Lippen und die vorgeschobenen Kinnladen geben dem Kopf einen ausgesprochenen Zug von Grausamkeit und Willenskraft. Eine stark angeschwollene Beule auf der Stirn, von einem Speerstich herrührend, hat wohl den Anlaß zu der weitverbreiteten Meinung gegeben, Quawa trage ein Horn an der Stirn. Wie Feldwebel Merkl berichtet, war Quawa von großer, sehr kräftiger Gestalt, etwa 1,80 Meter. Sein Körperbau entsprach also vollkommen dem gewaltigen Herrschergeist und dem eisernen Willen dieses letzten Sultans von Uhehe. Seine Tat, als er sein Reich und sich selbst verloren gab, entsprach diesem blutigen und doch in seinem Verzweiflungskampfe uns sympathischen Despoten: seinen letzten, treuen Begleiter erschoß er auf der Flucht, um nicht wie ein gewöhnlicher Mensch allein, ohne eine dem tapferen Häuptling und Krieger gebührende Begleitung ins Jenseits zu gehen!

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