Zweites Kapitel. In Perondo. Gründung der neuen Station Iringa.

Perondo, 8. Juli 1896.

Um 6¼ Uhr Aufbruch, zunächst durch Sumpf bis zum Fluß, dann guter trockener Weg, mit Wassergräben an beiden Seiten. Hier machten wir sämtlich erst Einzugstoilette, auch die Kompagnie, die ihre neuen Uniformen anlegte. Wir Europäer ritten an der Spitze des Zuges, hinter uns die Soldaten zu je drei Mann breit — mehr gestattete der Weg nicht — so bewegte sich die Kolonne durch die schöne Berg- und Waldlandschaft. Schon weit von der Station kamen uns Herr v. Stocki, Graf Fugger und Dr. Berg entgegen, die auch für eine prächtige Ausschmückung der Station gesorgt hatten; Ehrenpforten waren errichtet, und alles prangte im Schmucke der Fahnen und Girlanden; kaum eine Hütte ohne Palmen und Blumen. Über der Messe wehten die deutsche Kriegs- und die Handelsflagge; die Unteroffiziere, die Soldaten und die ganze Einwohnerschaft, an 2000 Personen, bildeten Spalier. Es war ein farbenprächtiges, schönes Bild. Zum Willkommenstrunk wurde Sekt gereicht, dann ein kurzes Plauderstündchen — und der Dienst machte seine Rechte an unsere Herren geltend. Zu Mittag folgten wir einer Einladung Herrn v. Stockis nach der Messe zu einem afrikanischen Festmahle — wenn ich einen europäischen Maßstab anlegen soll, kann ich es nur ein Austern-Diner nennen: also großartig! Sekt — der letzte — wurde reichlich getrunken, dank seiner belebenden Wirkung und der Freude über das erreichte Reiseziel war die Stimmung äußerst vergnügt, trotzdem mein Mann und Graf Fugger Fieber hatten (letzterer hatte noch Tags zuvor 40° gehabt!). Solch einen schönen Empfang hatten wir uns nicht träumen lassen, möchte doch diese unerwartete Freude, dieser schöne Anfang eine gute Vorbedeutung für die Zukunft sein!

Die Station liegt auf einem kleinen Hügel mitten in den Bergen, gegenüber ein mächtiger Wasserfall. So prachtvoll sich das Landschaftsbild dem Auge darbietet, so wenig entspricht der Ort gesundheitlich den Anforderungen, die man an eine mit Europäern zu besetzende Station stellen muß: ringsum Sumpf! Es bleibt nichts übrig, als die Station zu verlegen, und zwar nach Uhehe. Das macht Tom viel Arbeit und erfordert vieles und gründliches Kopfzerbrechen. Zunächst allein: wie die 2000 Lasten mit nur 700 Trägern nach der neu anzulegenden Station zu dirigieren — ohne daß es zu viel kostet! Die Wohnungsverhältnisse sind mehr praktisch wie glänzend: die Messe besteht aus einer offenen Hütte, alles übrige, was auf die Bezeichnung „Wohnung“ Anspruch macht, sind Lehmhütten, in denen der Zimmermann die üblichen Löcher für Tür und Fenster gelassen hat, ohne durch Tischler und Glaser ergänzt zu werden.

Perondo, 9. Juli 1896.

Wenn ich abends von unserer hochgelegenen Boma ins Dorf hinuntersehe, brauche ich meine Einbildungskraft gar nicht übermäßig anzustrengen, um mir den Anblick einer Berliner Straße in abendlicher Beleuchtung zu vergegenwärtigen: alles hell erleuchtet, Licht an Licht. Heute ritt ich durch Perondo, die Soldaten standen stramm, Frauen und Kinder, alles was auf den Straßen kreucht und fleucht, kam heran, um mich zu begrüßen, unzählige Male mußte ich „Jambo“ sagen.

Perondo, 12. Juli 1896.

Gestern gaben wir ein großes Diner! Die Vorbereitungen dazu nahmen schon den ganzen Tag vorher in Anspruch, bis ich alles nötige Küchengerät zusammen und die sonstigen Vorbedingungen zu einem europäisch-afrikanischen Festmahle erfüllt hatte. Am Morgen des großen Tages ging ich schon früh um 6 Uhr an die Arbeit, hatte aber auch die Freude, daß alles trefflich gelungen ist. Die kleinen Pasteten wurden mit dem stumpfen Ende des Hammers geformt, der Teig mit dem — natürlich sorgfältig gereinigten — Gewehrlaufe glattgestrichen und ausgerollt, Löffel, Messer und Gabel je nach Bedarf als Quirl, Spicknadel und ähnliches verwandt, die Speise in Ermangelung eines Reibnapfes in einem Teller verrieben; Töpfe und Schüsseln avancieren zu Bratpfannen und Backformen. Freilich wartet schon immer eins aufs andere, denn viel Vorrat und Auswahl ist nicht vorhanden, — aber wie gesagt, es ging trotz aller Umständlichkeit ganz prächtig. Unser Koch konnte mir wenig helfen, seine Kunst beschränkt sich bis jetzt nur auf die Zubereitung von Ziegen und Hühnern, die ihm übrigens ganz leidlich gelingen. Die Ausschmückung unseres „Speisesaales“ hatte mein Mann übernommen. Unsere Hütte ist ein aus ungeschälten Stangen bestehender, viereckiger Kasten, die Wände aus Bambus, ausgefüllt mit roter Erde, das schräge Dach ebenfalls aus Stangen, Bambusstöcken und Stroh. Zum Schutz gegen den Staub ließ Tom als Zimmerdecke unter dem Dache ein weißes Tuch ziehen. Die Hütte ist in drei gesonderte Räume abgeteilt, unser Schlafzimmer hat sogar eine Türe — man kann sie zwar nicht schließen, es ist aber doch immerhin eine wirkliche Tür! Die Fensterscheiben werden durch Drahtnetz angedeutet, die Dielen ersetzt festgestampfte Erde. Die Einrichtung besteht aus Tischen, Stühlen und Feldbettstellen. Tom hatte noch eine Veranda anbauen lassen, die gerade an diesem Tage fertig geworden war; sie und der große Mittelraum wurden nun zur Feier des Tages geschmückt. An die Wände wurde blaues Tuch gespannt, überall hingen Blumen, und zum Ersatze der heimischen Eichenholztäfelung wurden unten ringsum große saftiggrüne Blätter befestigt; es sah wunderhübsch aus — stilvoll-afrikanisch. Dazu in der Mitte der festlich gedeckte Tisch, reich verziert mit Blumen; an Tischgerät, wie Teller, Gläser usw., war kein Mangel (ich hatte mir alles Nötige zusammengeborgt), daneben ein gedeckter Tisch zum Anrichten und als Trägerin der „historischen“ Maibowle (es wird wohl die erste ihrer Art gewesen sein, die im Innern Deutsch-Ostafrikas getrunken wurde!), eine festlich verhüllte leere Kiste.

Die Boys bedienten flott und geschickt; trotzdem bei jedem Gang Messer und Gabel gewechselt wurden, klappte alles so gut, daß wir das Menu in knapp zwei Stunden erledigt hatten. Wer die vergnügte Gesellschaft in dem festlich geschmückten Raume beobachtet hätte, wäre kaum auf den Gedanken gekommen, daß er hier ferne von aller Zivilisation Europas sich im Innern Afrikas befände. Unsern lieben Gästen zu Ehren hatte ich Toilette wie zu einer großen Gesellschaft zu Hause gemacht. Den Kaffee tranken wir auf der Veranda, wo Tom unsere Koffer mit weißen Tüchern zu Kaffeetischen umgestaltet hatte. Um 7 Uhr abends trennten wir uns. — Es ist doch schön in Afrika, selbst in einer Hütte mit harten Stühlen.

Perondo, 13. Juli 1896.

Um 7 Uhr ging Tom zum Dienste, kam um 8 Uhr zum Tee und verschwand dann wieder. Ich zahlte den Boys ihr Gehalt, um 9 Uhr kam Dr. Berg; dann besah ich meine schöne Vorratskammer, die sogar ein Gestell aus Wellblech hat, denn Holzbretter sind ein seltener Artikel.

Die übrig gebliebene Kalbskeule, mit der wir so schön taten, da sie seit sechs Wochen erst die zweite Unterbrechung der sonst immer nur aus Huhn und Ziege bestehenden Fleischkost bildete, dieses Haupt- und Prunkstück unseres festlichen Mahles, hat Schnapsel über Nacht aufgefressen. Der Feinschmecker!

Während ich hier schreibe, hält mein Mann Schauri. Das macht mir viel Spaß, und ich sehe gern zu; die Mimik der Schwarzen ist großartig. Meist handelt es sich um Diebstahl, und Kläger und Beklagter sind anwesend.

Perondo, 17. Juli 1896.

Ich war in den letzten Tagen nicht recht wohl und zu abgespannt zum Schreiben. Abends haben wir „Sterne geguckt“ oder die Herren waren bei uns. Am Sonntag ist Herr v. Stocki mit 300 Trägern ausgezogen, um Nahrungsmittel für die Leute zu kaufen; denn wer weiß, ob in Uhehe genügend Vorrat aufzutreiben sein wird. Graf Fugger ging gestern mit 300 Trägern, 24 Soldaten und einem Maximgeschütz nach Uhehe ab; zunächst muß er den ungemein steilen Berg hinauf, ein schweres Stück Arbeit mit den Lasten; etwa sechs Stunden weiter wird er dann eine kleine Boma anlegen, nach welcher später mit nur 700 Trägern 2000 Lasten hinaufgeschafft werden müssen; das nimmt für jeden Transport hin und zurück fünf Tage in Anspruch; die ersten sind schon unterwegs.

Schnapsel sucht sich durch besonderen Ordnungssinn wieder einzuschmeicheln, eben jagt er die Schweine fort, die sich bis an die Veranda gewagt haben; sonst sitzt er stundenlang vor einem Baum und beobachtet die Eidechsen oder lauert vor den Rattenlöchern in unserer Hütte.

Alles ist hier teuer. Ein Ei kostet 5 Pesa (10 Pfg.), ein mageres Huhn 1 Rupie (1,35 Mk.). Ein Grieche hat sich hier niedergelassen, der gute Geschäfte macht. Heute kommen 150 Futterlasten an. Reis gibt es reichlich.

Soeben erscheint die kleine, unansehnliche Figur unseres Koches auf der Bildfläche, um sich den heutigen Speisezettel zu holen. Nächstens werde ich wohl auch mit krummem Rücken und Triefaugen antreten, meine Küche ist ganz dazu eingerichtet: drei bis sechs offene Feuer an der Erde, deren Rauch die Augen beizt. Gestern habe ich eine Anzahl Lasten geöffnet. Eine wenig erfreuliche Arbeit: vieles ist verdorben, manches Notwendige finde ich überhaupt nicht.

In der Boma wird eifrig gebaut. Im Norden und Süden werden kleine Bastionen angelegt, Vorratskammern gebaut, mit Verandas für die beiden zurückbleibenden Europäer. Für Tom erhebt sich eine große Schwierigkeit: der Feldwebel scheint perniziöses Fieber zu haben und wird vielleicht die Expedition nicht mitmachen können; mit ihm müßte dann auch Dr. Stierling hier bleiben, und das bedeutet für Tom den Verlust von zwei Europäern. — Eine rechte Landplage sind hier die kleinen stecknadelkopfgroßen Sandflöhe, die besonders den barfüßigen Negern, aber auch uns bös zusetzen. Ferner eine winzige Fliege, die uns vor allem an die Ohren geht, so daß wir vielfach Taschentücher um den Kopf gebunden tragen müssen — ein spaßiger Anblick.

Perondo, 18. Juli 1896.

Träger aus Kisaki brachten heute einige Möbel. Gegen Mittag kam Kapongo blutend an. Herr v. Stockis Boy hatte auf ihn mit einem Revolver geschossen. Wir hielten die Wunde mit Tüchern zu, bis Dr. Berg kam und ihn verband. Der Attentäter ist vorläufig eingesperrt; der hoffnungsvolle Junge ist erst ungefähr 13 Jahre alt. Zur Pflege des schwerkranken Feldwebels hat mein Mann Nachtwachen für die Europäer angesetzt. Hoffentlich läuft es gut ab, ich werde mich seiner besonders annehmen.

Eine Delikatesse haben wir jetzt auf der Station: frische Milch! Leider darf ich einer Magenverstimmung wegen keine genießen, aber mein Mann ißt jeden Morgen saure Milch und trinkt über Mittag Buttermilch. Wir machen nämlich frische Butter, eine große Wohltat für unsern Küchenzettel!

Perondo, 19. Juli 1896.

Mit den Wahehes scheint es kritisch zu werden. Graf Fugger meldet soeben durch einen Boten, daß die Einwohner alle vor ihm geflohen sind, die Männer zu Quawa, die Weiber und Kinder in das Pori. Da er auf seinem Zuge nirgends Nahrungsmittel findet, wurden sofort zehn Futterlasten an ihn abgesandt. Wenn Quawas Einfluß an den Grenzen seines Landes schon so fühlbar wird, wie wird es dann erst im Innern werden?

Kapongo ist trotz seiner Wunde vergnügt, dem Feldwebel geht es nicht schlimmer, er ist aber sehr schwach.

Empfang in Perondo. Reitesel der Frau v. Prince.
(Zu S. 35.)

Von links nach rechts:
Oberleutn. Glauning. Hauptm. v. Kleist. Stabsarzt Dr. Stierling. Hauptm. v. Prince. Leutn. Graf Fugger. Leutn. Stadlbaur. — Frau Hauptm. v. Prince.

Unser Eßzimmer ist jetzt großartig eingerichtet: eine ganze Kommode und ein Waschtisch haben sich eingefunden; man muß sich an diesen Luxus erst langsam gewöhnen. Nur des Staubes kann ich nicht Herr werden: Erdboden und Wände sorgen für immer neuen Vorrat.

Heute gibt’s Radieschen zu Mittag, wirkliche echte Radieschen!! Sie sollen aber auch für meinen mit Arbeit überhäuften Mann eine besondere Überraschung werden; ein paar Hände mehr könnte er gut gebrauchen und, wenn’s ginge, auch noch ein paar Köpfe. Das kommt und geht in einem fort. Berichte schreiben, Schauri abhalten, dazwischen kommen Meldungen über unseren Quälgeist Quawa, Träger mit Lasten wollen abgefertigt sein, an die auswärts befindlichen Leutnants müssen längere Dienstschreiben mit Befehlen und Verhaltungsmaßregeln abgesandt, Klagen und Beschwerden angehört, untersucht und entschieden werden, dazu noch die astronomischen Aufnahmen, die Kompagnie mit ihren täglichen Anforderungen, kurz gesagt: der Tag hat oft vierundzwanzig Stunden zu wenig, um die ganze Maschine im Gang halten zu können.

Perondo, 22. Juli 1896.

Heute fühlte ich mich so wohl, daß ich Krankenbesuche machen konnte: erst bei Kapongo, dann beim Feldwebel Spiegel; es geht ihm schon besser. Aber wie wohnen unsere Offiziere und Unteroffiziere! Von irgendwelcher Bequemlichkeit keine Spur. Es ist wirklich im höchsten Grade anzuerkennen, mit welcher Genügsamkeit sie sich hier einzurichten wissen. Wir haben doch wenigstens mehr Wohnraum und bessere Betten, und das ist hier eine Hauptsache. Nun, nach Weihnachten werden wir es alle besser haben, dann ist die neue Station fertig, auf die sich alle unsere Wünsche und Hoffnungen richten.

Ich kam bei einer Menge von Frauen vorüber, die Reis ausstampften und lustig sangen. Sie begrüßten mich alle mit lautem Geschrei, dem untrüglichen Zeichen von großer Freude: je lauter der Neger, desto vergnügter. Der Reis und andere Körnerfrüchte werden hier auch vielfach ausgedroschen; die Dreschflegel sind den unseren ähnlich, selbst der anheimelnde Rhythmus unserer deutschen Scheunentenne wird innegehalten. Heute erhielt mein Geflügelhof einen Zuwachs von elf Hühnern. Die ganze Haus- und Hofwirtschaft gewinnt täglich für mich mehr an Wert, besonders weil ich mir doch fast alles nach und nach selbst schaffen und zusammenbauen muß, ohne die vielen Hilfsmittel und Bequemlichkeiten, die einem zu Hause so überreich zu Gebote stehen. Noch nie ist es mir so zum Bewußtsein gekommen, was uns Kinder einst so in den alten Robinson-Geschichten fesselte, wie hier in unserem Nomaden- und Ansiedlerleben, wo alle die Kleinigkeiten, die man in der Heimat kaum der Beachtung wert hielt, in ganz anderem Licht erscheinen. Freilich, Steck- und Nähnadeln habe ich mir aus Fischgräten noch nicht anzufertigen brauchen, aber oft genug muß man hier zu Aushilfsmitteln greifen, die auch eine Frau Robinson nicht verschmäht haben würde.

23. Juli 1896.

Gestern abend gemütliches Zusammensein in der Messe bis nachts 1 Uhr. Vom Grafen Fugger kam Nachricht, er baut tüchtig an seiner Boma; von den Einwohnern der Temben läßt sich niemand sehen, die Wahehe dagegen haben Beobachtungsposten ausgestellt. Es spitzt sich mehr und mehr zu, trotzdem mein Mann mehrere Gesandtschaften an Quawa geschickt hat, um diesen über den friedlichen Zweck unseres Zuges aufzuklären. An den Küsten hat man von den hiesigen Zuständen keine Ahnung, es wurde dort behauptet, Perondo sei sehr gesund und alles atme hier Frieden! Jetzt hat der zweite Unteroffizier auch Fieber.

Mit der Zeit schärft sich der Blick für die schwarzen Gesichter, ich kann jetzt schon die Frauen von den Männern unterscheiden; anfangs war das durchaus nicht leicht; beide tragen als Gewand große Tücher um Brust und Körper, die nur den Kopf, die Arme und die Füße freilassen; selten sieht man einmal einen Mann, der einen Anflug von Bart trägt.

Eben sitzt Kiwanga, einer unserer größten Häuptlinge, bei meinem Mann, ein stattlicher schwarzer Herr in europäischer Kleidung. Benehmen und Sprechweise machen einen guten Eindruck; schade, daß ich nichts von der Sprache verstehe; er scheint sehr klug zu sein. Unser Kognak hat seinen Beifall, er hat eine ganze Tasse voll getrunken! Er erzählte Tom, daß Quawa bei Iringa einen Streifschuß am Oberschenkel erhalten habe. Hätte der Schuß damals besser getroffen, brauchte mein Mann jetzt nicht all das Häßliche durchzumachen, was uns nun als sicher bevorsteht.

Kiwanga, unser Gast, scheint hier in hohem Ansehen zu stehen; während ich mich sonst immer darüber ärgern mußte, daß Koch und Boys in Gegenwart von Gästen stets ganz ungeniert ins Zimmer platzten, um sich die Befehle für die Mahlzeiten zu holen oder ihrerseits Wünsche und Klagen anzubringen, kommen sie heute nur leise angeschlichen und reden nur im Flüsterton: die Nähe von so viel schwarzer Hoheit bedrückt sie ganz augenscheinlich.

28. Juli 1896.

Ich habe die Tage über nicht schreiben können, denn es lag mir wie ein Alp auf der Seele: heute sind die Sachen für meinen Mann gepackt, die er auf seinem Zuge mitnehmen will! Sobald er seinen Bericht fertig hat, geht es ab! Der Krieg ist unvermeidlich, trotz aller Versuche, mit Quawa zu friedlichem Verständnis zu kommen. Tom hatte den Auftrag, ihm ein Geschenk zu überbringen, das ist nun natürlich ganz ausgeschlossen. Wenn mein Mann nicht glücklicherweise etliche von Quawas Leuten hierbehalten hätte, würde dieser Mensch unsere Abgesandten einfach aufknüpfen; unter diesen Umständen ließ Quawa sie gar nicht zu sich herankommen, sondern wies sie unter Androhung des Todes zurück. Welche Gesinnungen ihn beseelen, dafür nur einen Beleg: seinen Großen, die ihm zum Frieden rieten, ließ er den Hals abschneiden, deren Frauen wurden durch Ohrabschneiden verstümmelt! An 80 Leute haben dran glauben müssen. Welch ein Glück für uns, daß es nicht noch mehr solche Neger gibt, die durch den blutigsten Despotismus die Stämme unter ihrem Einflusse halten — mit der Besitznahme von Deutsch-Ostafrika sähe es sonst sehr böse aus. Quawa hat seine Anhänger um sich versammelt, man schätzt ihre Zahl auf 7000 bis 9000 Mann; ihnen stehen wir mit 130 Mann gegenüber, nach Abzug von 30 Mann Besatzung unserer Boma und weiteren 20 Mann, die die Verbindung der drei kleinen Bomas auf unserer Etappenstraße aufrecht erhalten müssen. Um unsere Boma gegen einen plötzlichen Handstreich zu sichern, haben wir sie in den denkbar besten Verteidigungszustand gebracht, der Versuch würde Quawa und seinen Kriegern teuer zu stehen kommen.

Ich bewundere bei all meiner Sorge die kaltblütige Ruhe meines Mannes. Bei der ungeheueren Verantwortlichkeit, die auf ihm ruht, bestimmt er alles mit einer Seelenruhe, als ob es sich um den alltäglichen Dienst handele! Mittags, gleich nach Tisch, ritt er ab mit 40 Soldaten und 100 Trägern. 400 Träger waren schon gestern abgegangen, sie sollten heute noch eingeholt werden. Ich begleitete Tom bis zum nächsten Fluß und war gegen 3 Uhr wieder zurück. Sofort erschien auch Kiwanga wieder und machte mir seinen Besuch, der mir in meiner sorgenvollen Stimmung wenig angenehm war. Ich setzte ihm Kognak und Zigaretten vor und da bei meinen mangelhaften Kenntnissen des Suaheli keine rechte Unterhaltung in Fluß kam, ging er bald wieder. Dann machte ich mir allerlei Beschäftigung, zog die Uhren auf, ging nach dem Hühnerstall und anderes mehr, bis der Dolmetscher mit der Meldung kam, soeben werde Herr v. Stocki schwer erkrankt ins Lager gebracht. Das war ein großer Schrecken. Ich ging sofort zu ihm, fand ihn glücklicherweise schon auf dem Wege der Besserung; er hatte ein perniziöses Fieber überstanden und hoffte, den Zug gegen Quawa schon mitmachen zu können. Nach dem Abendessen sah ich nach Lagerfeuern meines Mannes in den Bergen aus, es war aber nichts zu sehen.

29. Juli 1896.

In aller Frühe durch einen schriftlichen Gruß von Tom geweckt; ich schrieb sofort wieder, da der Bote mit Dienstsachen zurückging. Dann kam Kiwanga, brachte aber diesmal den Dolmetscher mit und blieb, da wir uns nun unterhalten konnten, eine ganze Ewigkeit. Außer dem üblichen Kognak und Zigaretten erhielt er einen kleinen Vorrat Salz zum Geschenk und einen von Toms Anzügen. Da ihm aber der Stoff an diesem Anzug nicht gefiel, mußte ich ihm einen anderen aussuchen, der seinem Geschmack besser entsprach! Später kam noch ein anderer Häuptling dazu, der ebenfalls mit Kognak und Zigaretten bewirtet werden mußte, sowie noch mehrere Gesandtschaften von weiter ab wohnenden Häuptlingen. Sie bleiben vier Tage hier; da geht es tüchtig über unsere Vorräte und besonders über die Zeuglasten her. „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“ — die Leute müssen warmgehalten und einigermaßen poussiert werden, damit sie uns Arbeiter für die Station schicken. Kiwanga war sehr erstaunt, als er zufällig sah, daß ich einen Revolver bei mir trage — ich sah, wie ich dadurch in seinem Ansehen stieg. Kiwanga war gekommen, um sich von mir zu verabschieden. Auf die Dauer fallen einem diese Gastfreunde doch etwas auf die Nerven.

31. Juli 1896.

Von Tom kommt jeden Tag — Gott sei Dank! — gute Nachricht, nur beunruhigt es mich, daß er über den voraussichtlichen Erfolg sich niemals äußert. Gott gebe, daß alles gut geht! Herr v. Stocki hat mir von seiner Safari zwölf Hühner mitgebracht. Er erzählte mir, warum die Wahehe uns nicht schon längst einmal überfallen hätten. Bei den Schwarzen ist die Zauberei noch sehr im Schwang, und „Medizinmänner“ stehen in hohem Ansehen. Es gibt aber auch „Medizinweiber“ unter ihnen, und eine solche schwarze Velleda hat sich auch Quawa rufen lassen. Die hat ihm denn nun folgendes offenbart: Der Sakkarani (nämlich Tom) habe sich eine Bibi Sakkarani mitgebracht, die einen großen Zauber besitze, nämlich eine kleine weiße Flasche; wenn sie die unter die angreifenden Wahehes werfe, würden sie sämtlich umkommen! Diese prophetische Warnung ist nun überall verbreitet, die Schwarzen ringsum erzählen sich schon davon.

Von meinem Gastfreund Kiwanga erhielt ich gestern als Geschenk ein kleines Mädchen zugesandt. Das arme kleine Ding, ich werde mich seiner recht annehmen. Zunächst ließ ich es durch Mabruks Frau gründlich waschen, dann wurde ihr der Kopf rasiert und sie mit neuen Tüchern ausstaffiert; sie soll stopfen, nähen und waschen lernen. Vorläufig habe ich als Gegengeschenk Zeug an Kiwanga geschickt, was weiter geschehen soll, wird Tom gelegentlich bestimmen. Jetzt geht’s in die Küche und dazu gehört immer ein fester Entschluß: eine Wellblechhütte, von der afrikanischen Sonne durchglüht, mit den offenen Feuern zum Kochen.

Perondo, 12. August 1896.

Ich habe keine Zeit gehabt, in diesen Tagen etwas zu schreiben. Nach neun Tagen der Einsamkeit das Wiedersehen mit meinem Manne und zugleich die Aussicht, ihn so rasch wieder für vier Wochen in das Ungewisse ziehen zu lassen! Wir haben in diesen wenigen Tagen nur der Gegenwart gelebt und die bange, trübe Sorge mit Gewalt zurückgedrängt. Das waren kurze Stunden des Glückes: Gott gebe, daß es nicht die letzten gewesen sind.

13. August 1896.

Als Tom wieder abzog, hatte er starkes Fieber; noch habe ich keine Nachricht von ihm, obwohl er besondere Leute für den Nachrichtendienst mitnahm. O diese Ungewißheit; jetzt gilt es vor allem, sich die trüben Gedanken, die aufregenden Vorstellungen von all den Gefahren fern zu halten, die Tom jetzt drohen! Denn nichts ist gefährlicher als diese Gemütserregungen, die meist heftige Fieberanfälle zur Folge haben sollen. Um mich zu zerstreuen, bitte ich öfters den Zahlmeister zu mir, auch der Lazarettgehilfe wird dann hinzugezogen, und da hilft dann Kartenspiel, „Sechsundsechzig“, über manche Stunde der Einsamkeit und der trüben Gedanken hinweg. Wir Europäer sind hier ganz besonders aufeinander angewiesen. Wenn sonst mein Mann weg war, ist mir nie so schwer zu Mute gewesen. Hier gilt es unsere ganze Zukunft, das Leben meines geliebten Mannes, die Sorge lastet auf mir wie eine dunkle Wolke.

15. August 1896.

Von Tom gute Nachricht! Mit seinem Fieber geht es besser. Gott sei gedankt für diese Freudenbotschaft.

Ich selbst leide am Fieber; dazu schlaflose Nächte und die ekelhafte Plage der Sandflöhe. Die bohren sich tief ins Fleisch, dann heißt es, die Blase mit den Eiern sorgfältig entfernen, damit nichts zurückbleibt, sonst wird die Sache nur noch schlimmer. Heute habe ich solche Geschwürchen herausgenommen. Die kleine Muhigu, Kiwangas Gastgeschenk, leidet so stark unter dieser Landplage, daß sie kaum gehen kann. Sie ist grundhäßlich, aber ein freundliches, zutuliches Wesen. Zu meinen Pflegebefohlenen gehört auch ein kleines, etwa vier Jahre altes Indermädchen; sie ist Waise, und da sie an krampfartigen Anfällen leidet, die sie meist am Gehen hindern, will niemand etwas von dem armen Kinde wissen; auch an den Händen ist sie gelähmt, dazu blöde Augen, — es ist schmerzlich, das arme Ding anzusehen. — Auf dem Hühnerhofe ein Erfolg: eine Pute legt Eier und eine Ente ist am Brüten. Letzte Nacht prachtvolles Steppenfeuer, das sich bis in die Berge zog und den Wasserfall wunderbar beleuchtete. Die Eingeborenen hatten auf weite Strecken hin das trockene Steppengras abgebrannt. Durch Schnapsels Rattenjagd werden meine Nächte auch nicht erquicklicher; er fängt natürlich keine, denn durch die engen Löcher in den Wänden kann er nicht nachkommen. Neulich fielen in der Nacht zwei von diesen scheußlichen Tieren von der Decke auf mich, ich schrie laut vor Schrecken; eine lebensmüde Ratte fand ich im Waschbecken ertrunken.

Lager am Ombascha-Posten, 19. September 1896.

Welche Glücksbotschaft gestern! Um vier Uhr kam ein Brief von Tom: sobald unser Gepäck „tajari“ (fertig gepackt zum Mitnehmen), soll ich zu ihm kommen! Er hatte für das Verpacken zwei Tage gerechnet — natürlich war ich schon am anderen Morgen „tajari“ und rückte mit meinem Begleiter, dem Oberlazarettgehilfen, ab. Ein tüchtiger Gebirgsmarsch. Sehr müde!

Lager am Kihansifluß, 20. September 1896.

Ich darf wenigstens sagen, daß ich Afrika kennen lerne; freilich ist dieser praktische Geographieunterricht recht anstrengend, dafür aber nur interessanter. In der Schweiz habe ich nicht solche Kletterpartien gemacht wie hier; selbst nicht am Julier, wo ich mir Edelweiß geholt habe von Stellen, die für Damen als unerreichbar galten. Gestern waren acht Berge zu nehmen, 600 bis 800 Meter hoch, so steil und unwegsam, daß ich mich oft hinaufziehen lassen mußte, wenn ich die für mich eingehauenen Stufen in den Felsblöcken selbst auf „allen Vieren“ nicht mehr schaffen konnte. Aber jeder bestiegene Berg war ja ein Hindernis weniger auf dem Wege zum Ziel! Da vergaß ich gern 33° Reaumur! Die Aussicht war großartig, aber die Müdigkeit ließ mich doch nicht zum Genuß kommen.

Magdalenenhöhe, 21. September 1896.

Morgen oder übermorgen sehe ich meinen Mann wieder! Was waren das für schreckliche Wochen! Wie zitterte ich um des Geliebten Leben, wie oft kamen Nachrichten, die mir das Blut in den Adern gerinnen ließen! Wußte ich doch Tom mit seinen 230 Mann und den 8 Deutschen — von denen drei eben erst das perniziöse Fieber überstanden hatten — einem an Zahl weit überlegenen blutdürstigen Feinde gegenüber. Anfangs erhielt ich alle paar Tage Nachricht — dann blieb vierzehn Tage lang jede Botschaft aus! Doch nun ist ja diese schreckliche Zeit der qualvollen Ungewißheit vorüber, ich ziehe ihm entgegen, soll ihn nun bald gesund und fröhlich wiedersehen! Die größte Gefahr ist abgewendet, wenn auch noch viel, sehr viel zu tun übrig bleibt: nämlich Quawas habhaft zu werden. Dazu müssen aber erst Hilfstruppen abgewartet werden, Toms kleine Schar ist in diesem ungeheuren Gebiete dieser Aufgabe natürlich nicht gewachsen. Für mich zum Glück: bis zum Eintreffen der Verstärkungen darf ich bei meinem Manne bleiben! Als Tom das Lager Quawas nahm, ist dieser entkommen, so konnte dem ganzen Feldzuge leider nicht mit einem Schlage ein Ende gemacht werden. Das Gefecht war infolge von Quawas Flucht ziemlich kurz, Tom hatte keine Verluste, auf der feindlichen Seite aber Tote, Verwundete und Gefangene. Es wurden an 1000 Stück Großvieh und 1100 Kleinvieh erbeutet — an Fleischmangel wird die Station also nicht mehr zu leiden haben.

Eine Episode aus diesen sechs Wochen Einsamkeit muß ich doch noch nachtragen. Eines Abends saß ich mit dem Zahlmeister Winkler und dem Lazarettgehilfen Prinage beim Skat, als plötzlich einige Griechen und Araber auf unserer Veranda mit der Schreckensnachricht angestürzt kamen: „Die Wahehe sind da! Sie wollen die Boma stürmen!“ Da hieß es „Kaltes Blut“ — nicht den Kopf verlieren; es war das erstemal, daß ich mich in solcher Lage nur auf mich selbst angewiesen fand. Während Winkler und Prinage Patronen an die sofort alarmierten Soldaten ausgaben, die Boys und Träger mit Vorderladern bewaffneten und jedem seinen Posten anwiesen, ließ ich Wasser herbeiholen, brachte die Reittiere in der Boma unter, sammelte die mit Speeren bewaffneten Männer aus dem Dorfe, brachte sämtliche Windlichter und Laternen zusammen und suchte möglichst Ordnung in das schwarze Menschengewühl zu bringen, denn Weiber und Kinder bildeten ein kaum entwirrbares Knäuel. Dann steckte ich Revolver und Patronen zu mir, legte mein Bestes an Schmuck obenauf im Koffer, um im Falle eiliger Flucht alles zur Hand zu haben, dann machten wir einen Rundgang, um uns von der richtigen Ausführung aller unserer Anordnungen zu überzeugen. Die ganze Alarmierung war in fliegendster Eile vor sich gegangen; nach kaum einer halben Stunde spielten wir auf unserer Veranda weiter. Wir blieben die ganze Nacht auf, — ich hatte die Weiber und Kinder inzwischen auch untergebracht — und vertrieben uns die Zeit mit Kaffeetrinken und Postenrevidieren. Der Höllenlärm unserer aufgeregten Nachtgäste ebbte nach und nach ab, und der prachtvolle Sonnenaufgang fand uns in verhältnismäßiger Ruhe. Die Wahehe waren nicht gekommen, unsere Vorbereitungen für einen möglichst warmen Empfang also vergeblich gewesen. Die Weiber trauten aber dem Landfrieden doch noch nicht: tagelang hielten sie sich in Zelten dicht an der Boma auf, aus Furcht vor den Wahehes.

Die Aufregung jener Nacht hatte wohltuende Wirkung: sie riß mich gewaltsam aus aller kopfhängerischen Angstmeierei, die doch zu nichts nützen konnte, und führte mir mit der wünschenswertesten Deutlichkeit vor Augen, daß ich hier, besonders wenn Tom nicht auf der Station anwesend, wirklich nicht „zum Staat“ da bin. An Beschäftigung habe ich mir in der Zeit alles nur Denkbare hervorgesucht. Meinen Pflegekindern habe ich Kleidchen gemacht, Wäsche geflickt u. a. m. Viel Arbeit verursachte die Herstellung eines Kopfkissens für Tom. Alles, was von Vieh etwas längere Haare hatte, wurde geschoren, aber der Ertrag war nicht groß, denn Ziegen und Schafe haben hier meist ein glattes Fell, Schafwolle kennt man nicht; da ich zu dieser Arbeit die Papierschere benutzen mußte, hatte ich bald Blasen an den Fingern. In diese sechs Wochen fiel auch mein erster Geburtstag als junge Frau! Die Feier hatte ich mir auch anders vorgestellt. Tom hatte für reichen Blumenschmuck meiner Hütte gesorgt, von ihm selbst kam ein herzliches Schreiben — aber doch eben nur ein Schreiben! Als Gratulanten erschienen der Zahlmeister und der Lazarettgehilfe; aus der alten Heimat kein Gruß, kein Glückwunsch. Die Soldaten gaben, wie an hohen Festtagen, mir zu Ehren drei Salven, dann spendierte ich ihnen Geld und den Boys eine Ziege.

Als wir von Perondo abzogen, kam das ganze Dorf, um mir eine gute „Safari“ zu wünschen, mindestens an 300 Weiber begleiteten mich ein Stück Wegs, und als sie schließlich Spalier bildeten, drängten sie sich alle an mich heran, um mir noch einmal „Kwaheri“ zu sagen. Diese Anhänglichkeit, über die ich mich wirklich freute, verdanke ich wohl meiner Gewohnheit, im Dorfe öfter selbst Einkäufe zu machen und die Kinder mit Erdnüssen und dergleichen zu beschenken.

Magdalenenhöhe, II. Etappe, 24. September 1896.

Wiedersehen mit Tom, den ich von hier aus begleite. Der Marsch bis zur II. Etappe (24. September) bot viel Schönes und Interessantes. Zerklüftete Berge, auf deren saftig grünen Matten sich kleine Ansiedelungen zeigten, die mich an die Schweizer Sennhütten erinnerten; rauschende Bergbäche, die ihr kristallklares Wasser in kleinen Kaskaden von Fels zu Fels stürzten, dichtbelaubte, blumenreiche Ufer und ein Wald von Farnen, deren Fiederfächer über uns zusammenschlugen. Unvergeßlich wird mir der große Wasserfall bei Magdalenenhöhe bleiben, zu dem Prinage mich begleitete. Der Weg war ungemein beschwerlich, glatt und steil, der Lohn für die Anstrengung aber ein hoher! In einer Breite von 8 bis 10 Metern stürzen gewaltige Wassermassen einen an 800 Meter hohen Felsen herab, um aus der Tiefe, an den durch Jahrtausende hindurch ausgehöhlten Klippen zerstäubt, als diamantenschillernde Wolke aufzusteigen, das Ganze umrahmt von üppigem Gehänge tropischer Flora, die überall zwischen den Klippen und Felsblöcken hervorquillt — und all diese Pracht im Farbenspiel der afrikanischen Sonne. Kein Maler hat Farben auf der Palette, den Zauber dieser Beleuchtung wiederzugeben — und Worte vermögen es noch weniger. Zu dem nachhaltigen Eindruck, den dieses Tropenbild auf mich macht, kommt noch das Bewußtsein: ich bin die erste weiße Frau, der dieser Anblick vergönnt ist.

Der Weg bis zur III. Etappe und weiter vom Ruaha aus bot ebenfalls viel Abwechselung, ich stand aber noch zu sehr unter dem mächtigen Eindruck dieses in all seiner fremdartigen Schönheit gewaltigen Landschaftsbildes, um der hügeligen Landschaft erhöhtes Interesse zuzuwenden. Während wir auf der II. Etappe waren, brachte einer unserer Schauisch (schwarzer Unteroffizier) 18 Wahehekrieger an, die er samt ihren Weibern und Kindern mit seinen Askaris gefangen genommen. Die Leute waren mit Mauser-Gewehren der Zelewski-Expedition und reichlicher Munition versehen, sie wurden demgemäß unter scharfer Aufsicht bis zur III. Etappe mitgenommen, wo Tom dann schließlich feststellte, daß sie auf dem Marsche nach der Station sich befanden, um sich zu ergeben, als sie von unseren Leuten aufgegriffen wurden. Das ist ein erfreulicher Erfolg von Toms geschicktem diplomatischen Verhalten: durch langsames Vorgehen, ohne Blutvergießen, ohne eine Tembe zu verbrennen, ist den Leuten ad oculos demonstriert worden, daß die Besitznahme des Landes auch auf friedlichem Wege möglich. Nun kommen sie so nach und nach an, um sich den neuen Herren zu unterwerfen. Aber bis mein Mann das erreicht hat, mußte er sich’s viel Sorge und Mühe kosten lassen, und wir alle beide haben diesen Erfolg mit einem Stück Gesundheit bezahlt!

Nun folgten schöne Tage. Mit meinem Mann zusammen konnte ich den letzten Teil unseres Marsches zurücklegen, aus dem mir noch eine höchst malerische Felsenbildung in Erinnerung steht, Trümmer und Säulen wohl vulkanischen Ursprungs, die in ihrer malerischen Anordnung uns das Kolosseum in Rom ins Gedächtnis riefen.

Am 29. September näherten wir uns unserer künftigen Station, und unsere Hochzeitsreise hatte nun ihr Ziel erreicht: Iringa!

Tom war sehr gespannt, ob schon Nachricht da wäre von den von ihm verlangten Truppen, ohne welche die Verfolgung Quawas nicht möglich wäre, und mich interessierte besonders, ob unser Haus schon fertig sein wird!

Wir wurden gleich militärisch empfangen: Leutnant Stadlbaur[5] und Dr. Reinhard mit den Askaris von Kilimatinde begrüßten uns beim Einzug. Die beiden Herren begleiteten uns, sobald die dienstlichen Geschäfte erledigt waren, zu unserem Haus: ein niedliches Strohhäusel, mitten in einem Wäldchen, mit Durchblick nach den Bergen und der Boma; wenn der Wind geht, pfeift er frischweg durch unsere drei Zimmer; es hat auch zwei Veranden, die hintere Veranda richteten wir gleich als Stapelplatz für Lasten und Futterkisten ein. Die Decken der Zimmer sind mit weißem, die Wände mit blauem Zeug ausgeschlagen; das machte alles einen wohnlichen Eindruck, die Herren hatten zudem noch die Wohnung so reizend mit Blumen geschmückt, daß wir unsere herzliche Freude daran hatten! So war uns doch unerwartet ein festlicher Einzug in unser neues Heim durch diese Liebenswürdigkeit bereitet worden. Sobald der Bauleiter eintrifft, wird ein größeres Haus aus festerem Material für uns aufgeführt werden. Die beiden Herren gaben uns ein Willkommensfrühstück auf unserer Veranda, sie selbst bewohnen ein Zelt; nachmittags besahen wir uns die Station, und abends waren die Herren unsere Gäste.

Am anderen Tage ging’s ans Auspacken und Einrichten; besonders das Wohnzimmer sah recht nett aus mit seinen Dekorationen an Gehörnen, Speeren, Gardinen und Felldecken. Als wir die Herren bei uns zu Tische sahen, waren sie freudig überrascht, alles so „europäisch“ zu finden. Sie empfanden es als eine lang entbehrte Wohltat, endlich wieder einmal an einem Tisch, mit wirklichem Tischzeug, mit vollständiger Gläser- und Serviergarnitur und Silberzeug speisen zu können. Unsere Lampen machten sich famos: die Glocken waren natürlich sämtlich gesprungen, aber Tom hatte aus rotem Zeug sehr geschickt Lampenschirme hergestellt; die Sache sah sehr „modern“ aus, genau wie die großen Seidenschirme Stück zu 40 Mark in Berlin W. Wir waren recht vergnügt; ich zog mich aber etwas früher zurück, da ich sehr müde war. Anderen Tags Abschiedspicknick auf einem schön gelegenen Felsen, der eine prächtige Rundsicht bot. Wir hatten Maibowle (Waldmeisteressenz, recht gut) und alles mögliche mitgenommen, u. a. auch Rebhühner. Die Herren waren bei bestem Humor, sie überboten sich im Erfinden neuer Aufmerksamkeiten. Als wir uns trennten, geschah es mit aufrichtigem Bedauern — am nächsten Tage marschierten sie ab. Die Station war also schön eingeweiht worden, meine Befürchtung, hier so ganz ohne Sang und Klang einziehen zu müssen, hatte sich dank der Liebenswürdigkeit der beiden Herren nicht verwirklicht. — —

Nun kamen zwei Ruhetage, in der die Kleinigkeiten in Ordnung gebracht wurden.

Dann traf Herr v. Kleist von Kilossa bei uns ein und nach weiteren zwei Tagen Leutnant Glauning aus Mpapua. Am vierten Tag zogen auch sie fort; wir begleiteten sie ein Stück Weges.

Darauf kam ein Pater Basilius, der hier eine Mission gründen will. Das würde für uns einen erfreulichen Zuwachs von zwei gebildeten Europäern bedeuten. Er blieb zwei Tage bei uns. Die nächsten Tage ruhte ich mich aus, denn es war doch etwas anstrengend gewesen.

Am 12. Oktober 6 Uhr abends erklärte plötzlich mein Mann: „Wir marschieren morgen, auf wie lange kann ich nicht sagen!“ Es handelte sich darum, den Bruder Quawas in unsere Gewalt zu bekommen. Im Nu war alles gepackt, und am nächsten Morgen um 7 Uhr marschierten wir ab. Das Einpacken hier zu Lande ist nicht so ganz einfach, denn da sind nicht nur Kleider, Wäsche usw. mitzunehmen, sondern Haus-, Wasch- und Kochgeschirr, Teller, Messer und Gabeln, kurz und gut, eine ganze kleine Einrichtung, und die Hauptsache: alles Essen und Trinken.

Es war für mich eine höchst interessante „Safari“. Am ersten Tage (13.) kamen wir nach Quawas Sultansresidenz, der eigentlichen Stadt Iringa, einer Negerstadt von etwa 9000 Einwohnern, von der noch ein großer Teil in Trümmern lag; auch Quawas Tembe ist nur zum Teil, und zwar niedriger wie früher, wieder aufgebaut; sie imponiert aber trotzdem durch ihre großen Räume und die zahlreichen labyrinthartigen Verbindungsgänge, in der Küche zählte ich an 60 der hier üblichen primitiven Feuerstellen. Unter dem großen schattigen Baume vor der Tembe war noch der erhöhte Sitz, von dem aus Quawa seine Truppenrevüen abhielt; hatte er doch seine Truppen in besonders kenntliche „Regimenter“ eingeteilt, mit Offizieren und Unteroffizieren; der eine dieser Truppenkörper trug z. B. nur ganz weiße Schilde!

Am 14. Oktober erreichten wir Quawas altes Lager; schon auf dem Wege dahin stießen wir auf viele kleine Lager; das große Lager liegt so versteckt in den Bergen, daß man es gar nicht gefunden hätte, wenn nicht Waheheleute es gezeigt hätten. Es maß wohl 1600 Schritte im Umfang.

Hier sollte sich der Zweck unserer Safari erfüllen: im Lager fanden wir Mpangire, den einzigen rechten Bruder Quawas, und Kapande, seinen Halbbruder, mit ihren Leuten. Sie kamen, sich zu unterwerfen.

Im Lager fand sodann großes Schauri statt, in welchem mein Mann erklärte, Mpangire solle als Sultan an Quawas Stelle eingesetzt werden; bis zur Gefangennahme Quawas jedoch müsse er ihn in Haft nehmen. Mpangire ist ein großer, hübscher Mann mit offenen Zügen und freiem Blick, sein ganzes Wesen macht einen guten Eindruck. Außer den beiden Brüdern Quawa und Mpangire (ein dritter Bruder endete durch Selbstmord) leben noch drei Schwestern: die eine ist die Frau des Merere, die beiden anderen waren bis jetzt bei ihrem Bruder Quawa, kamen aber mit Mpangire zu uns.

Mereres Frau ist es übel ergangen: als Quawa sich mit seinem Schwager Merere entzweite — er hatte auch eine Schwester von diesem zur Frau — ließ er dem armen Weibe, der Schwester seines nunmehrigen Feindes, die Augen ausstechen — worauf nun Merere an Quawa Rache nahm und dessen Schwester auf gleiche Weise blenden ließ!

Am 16. kamen wir mit unseren Schutzbefohlenen hier wieder an. Sie wurden in einer Tembe mit Dornboma untergebracht, die sie nicht verlassen dürfen, sonst kann jedermann sie besuchen. Am Tage haben sie zwei, nachts vier Wachtposten.

Zu meiner Freude fanden wir schon etwas Garten an unserm Hause angelegt.

21. Oktober 1896.

Heute besuchten mich eine richtige und eine Halbschwester von Quawa. Rotwein schien ihnen sehr zu schmecken, Butterbrot weniger, umsomehr aber Zucker und vor allem Cakes. Sie baten mich, ihnen das Nähen beizubringen, und wollen zu diesem Zwecke bald wiederkommen. Beide sind hübsche Geschöpfe mit kleinen Füßen und schmalen Händen, besonders Quawas rechte Schwester gefiel mir durch ihr offenes Wesen. Wir waren sehr lustig miteinander und schlossen gute Freundschaft. Nur beim Essen und in sonst noch einigen Bewegungen verrät sich zuweilen die „Wilde“.

Unser Renommierstück, auf welches Tom besonders stolz ist, wurde heute fertig: die Diele im Schlafzimmer. Alles, was an Einpackholz aufzutreiben war, ist dazu verwandt worden; sie sieht zwar demnach etwas sehr gestückelt aus, ist aber trotzdem sehr schön; da sie einen Fuß hoch über dem Boden angebracht ist, werden wir immer trockenen Fußboden haben. Das Linoleum kommt uns ganz besonders gut zu statten: wir haben es ringsum an der Wand des Schlafzimmers gezogen, nun hält es den Wind ab und sieht hochfein aus!

Ab und zu machen wir einen Spaziergang; ein Aussichtspunkt ist ganz in der Nähe, der sich mit den schönsten Schweizer Glanzpunkten messen kann. Dazu die prachtvolle, klare Luft; wir fühlen uns nach all den Sumpfniederungen wie in einem klimatischen Kurort, und das Bild unserer ersten Station Perondo kann neben diesem schönen Lande hier nicht aufkommen. Die Nachwehen unseres Marsches äußern sich übrigens, ich habe zuweilen kleine Fieberanfälle. Die Bazillen müssen erst wieder herausgetrieben werden. Heute kamen die Schwestern wieder und brachten 20 Ehefrauen Mpangires mit. Die beiden Quawa-Schwestern, Salatamanga und die Halbschwester Fulimanga, und die „größte“, d. h. erste Frau Mpangires, Hamuna, erhielten Stühle sowie Tee und Zucker, die andern hockten auf der Erde. Mit dem Nähen wurde es aber nichts: Hamuna erklärte mir, Arbeit sei etwas Häßliches, und nun wollen die beiden andern auch nichts mehr lernen. Hamuna ist hübsch und scheint außer ihrer Faulheit auch ein gut Teil Schlauheit zu besitzen, sie hat aber kein so gutes Gesicht wie die beiden Schwestern. Da aus der Nähstunde nichts wurde, zeigte ich ihnen die Bilder in Brehms Tierleben, das begeisterte sie sehr, namentlich die der ihnen bekannten Tiere. Da mein Toilettenspiegel zerbrochen angekommen ist, schenkte ich jeder ein Stück davon: das machte großen Eindruck, sie wurden nicht müde, sich darin zu bewundern.

Soeben schickt mir Mpangire das landesübliche Gastgeschenk: ein kleines Mädchen, Paligungire, ebenso landesüblich lasse ich das kleine Ding zunächst im Flusse einer gründlichen Reinigung unterziehen und stecke es dann in eines der Kleidchen meiner kleinen Muhegu; mein neues „Eigentum“ hat ein drolliges Kindergesichtchen, mit großen treuherzigen Augen. Vorläufig sehen sich nun beide Mädels Bilder an, morgen soll der erste Nähversuch gemacht werden. Mit Teller und Löffel hantieren sie ganz geschickt.

Aus der Heimat seit drei Monaten keine Nachricht!....

Das Auspacken und Einrichten macht viel Freude; die Wirtschaft wächst mir zusehends unter den Händen, und jedes frisch ausgepackte Stück wird wie ein lieber alter Bekannter begrüßt. Noch 14 Tage ungefähr, dann hört hoffentlich das Leben aus den Koffern und Kisten auf. Mit Vorräten für ein Jahr wirtschaften, ohne Vorratskammer oder Keller zu haben, über diese Aufgabe muß Henriette Davidis noch einen besonderen Nachtrag schreiben, für afrikanische Hausfrauen und solche, die es werden wollen.

24. Oktober 1896.

Heute brachte ich Mpangire und Kapande mein Gegengeschenk für das kleine Mädchen. Während ersterer durch stattlichen Wuchs sich auszeichnet und überhaupt vorteilhaft von seiner Umgebung absticht, ist der um vieles ältere Kapande kleiner und unansehnlich, hat aber ein gutes, freundliches Gesicht. Mpangires energisches, freies Auftreten, sein offener Blick zeigen Rasse. Für die Frauen nahm ich Tücher mit, für ihn eine Flasche Rotwein. Damit reizte ich seine Begehrlichkeit zu allerlei größeren Wünschen: noch einen neuen Anzug, ein Schwein und anderes. Ich erklärte ihm aber, ein so reicher Mann wie er, mit solchen Elfenbeinvorräten, könne sich das an der Küste alles selbst kaufen. Die Unterhaltung war nicht so ganz einfach. Mein Dolmetscher versteht auch kein Kihehe; meine Worte mußte er nun erst einem anderen Sprachkundigen übersetzen, der sie dann dem Sultan weiter vermittelte. In einer Ecke standen die Sklaven zusammengedrängt, die Frauen waren nicht anwesend; seine „erste Frau“ und die Schwester mußte ich rufen lassen, um sie zu begrüßen; sie entfernten sich gleich wieder. Die niedere Stellung, die den Frauen hier angewiesen ist, erschwert mir meine Aufgabe ganz bedeutend; wenn mich die Frauen hier auch als ihnen überlegen ansehen, den Männern gegenüber muß ich mir meine Stellung erst herausbeißen. Zu diesem Besuche hatte ich mir einen großen Stuhl hintragen lassen, auf dem ich Platz nahm, der Sultan saß auf einem niedrigen Stuhle, alles übrige stand um uns herum.

27. Oktober 1896.

Meine Boys machen mir viel Ärger; sie stehlen wie die Raben, dazu die angeborene Faulheit. Juma, der schon seit Jahren bei meinem Mann ist, und von dem ich glaubte, ob seines Verwöhntseins nicht mit ihm auszukommen, ist jetzt der Beste von allen; seine „Güte“ ist zwar niemals aufregend, aber er bleibt sich wenigstens immer gleich und zeigt vor allem niemals die ausgesprochen schlechten Eigenschaften seiner schwarzen Kollegen.

Abends machen wir gewöhnlich einen Spazierritt. Die Natur ist hier so herrlich, die Luft so klar und erfrischend, man fühlt bei jedem Atemzug: hier ist Gesundheit, hier ist das Quisisana, dessen wir nach all den Fiebergegenden, die wir durchzogen, so dringend benötigen. Kleine Fieberanfälle stellen sich leider bei Tom immer noch zuweilen ein, und selbst ich habe schon einige gehabt. Die vielen Reitwege ringsum geben uns gute Gelegenheit, die Gegend genauer kennen zu lernen; unsere Maultiere klimmen die steilsten Felsenpfade hinan, die für ein Pferd wohl ganz unpassierbar sein würden.

Meine schwarzen Damen scheinen mich heute nicht zu besuchen. Kürzlich zeigte ich ihnen einen an einem Gummiball mittels dünnen Schlauches befestigten, recht naturgetreu aussehenden Frosch, der infolge des Luftdruckes ganz natürlich forthüpfte: ganz wie in Europa fürchteten sich meine schwarzen Damen auch hier vor dem kleinen Ungetüm. Schade, daß ich bei den Weihnachtsbestellungen nicht an mehr dergleichen Spielereien gedacht habe; Weihnachten wollen wir nämlich großartig feiern. Hoffentlich treffen die bestellten Sendungen pünktlich ein.

30. Oktober 1896.

Die Regenzeit meldet sich an, bedeckter Himmel, entfernter Donner und heute der erste Regenguß — viel zu früh für uns, denn noch ist längst nicht alles unter Dach und Fach. Namentlich die wasserdichten Wohnungen für die Soldaten sind noch nicht fertig; es fehlt uns sehr an Werkzeug, um den Bau zu beschleunigen. Unsere Zimmer standen zum Teil, die Veranda vollständig unter Wasser, und es ist mir mancherlei verdorben. Übrigens sieht man hier schon den Kulturfortschritt: alle haben doch schon wenigstens einige Kleidungsstücke an! Die Männer allerdings im allgemeinen mehr als die Frauen.

Unser Garten wird sehr hübsch, bei seiner Bestellung spielt ein Rechen mit Zinken aus Zimmermanns-Nägeln die Hauptrolle. Der Blick von einem Fenster aus bietet viel Interessantes, ich sehe die rege Bautätigkeit und kann verfolgen, wie aus Holzstäben, Bast, Gras und Erde Häuser, eine Straße, ein ganzes Dorf entstehen. Die Einwohner, die sich mit ihrem Vieh und wertvollerem Besitztum in die Schluchten des unwegsamen Gebirges geflüchtet hatten, sind wieder zurückgekehrt, auch die meisten von Quawas Verwandten und seinem Anhang, die Sikki-Gesellschaft, die Mutter, eine Tochter mit Klumpfüßen und ein Sohn, haben sich in Toms Schutz begeben. Es war uns dies um so auffallender, da ihr Vater von Tom 1892 in Tabora geschlagen wurde. Als dessen Hauptburg fiel, sprengte er sich mit seinen Weibern in die Luft.

Mein Mann läßt den Sohn ein Wanjamwesi-Dorf hinter der Station gründen. Unten im Tal will er dann auch ein Dorf von Kondoa-Leuten anlegen; diese Einrichtung wird sehr nutzbringend für die Station sein, es können dann die von den Wahehe geraubten Leute dort Unterkunft finden.

Heute kam eine Frau, die aus Ubena entflohen war, um bei uns Schutz zu suchen. Ihr waren die Ohren abgeschnitten worden. Jetzt fangen die Frauen an, zu mir zum Schauri zu kommen, ich habe täglich sechs bis acht von ihnen bei mir, die natürlich dann auch beköstigt sein wollen.

31. Oktober 1896.

Heute ist der zweite Mhehe gehängt worden, der einen unserer Trägerführer am Ruaha ermordet hat. Mein Mann ließ diese durch die traurige Notwendigkeit zur Unerläßlichkeit gewordene Hinrichtung mit einer gewissen, auf die Gemüter der Eingeborenen wirksamen Feierlichkeit ausführen: Sämtliche Wassagira aus Iringa mußten der Exekution beiwohnen. Auch eine große schaulustige Menge hatte sich, wie mir Tom nachher erzählte, zu dem traurigen Schauspiel eingefunden, darunter sehr viele Frauen, welche Tom den Platz verlassen hieß. Die Schaulust zeigte sich jedoch hier stärker als der sonst eingefleischte Gehorsam, und erst als der Befehl durch Festnahme und Abführung eines der Weiber gründlichen Nachdruck erhielt, bequemten sich die übrigen, sich zu entfernen. Der Mörder ist so in sein Schicksal ergeben gewesen, daß er den Kopf selbst in die Schlinge gesteckt hat. Ein Gnadenschuß, den Tom bei solchen Exekutionen stets abgeben ließ, hatte den sofortigen Tod des Verurteilten zur Folge. Das abschreckende Beispiel einer solchen Hinrichtung ist um so nötiger, als auch einer unserer Askaris, der seinerzeit bei dem anstrengenden Marsche hinter der Kolonne zurückblieb, Meuchelmördern zum Opfer fiel. Die Täter sind noch nicht entdeckt.

Von Quawa kamen zwei Leute, angeblich um sich zu unterwerfen; in Wahrheit waren es Spione, die unsere Station auskundschaften wollten! Sie verschwanden bald wieder, und Tom ließ sie durch Patrouillen verfolgen.

1. November 1896.

Der Gemüsegarten wird in der Nähe der Stelle angelegt, wo nach Grundwasser gebohrt wird. Wir sahen uns die Arbeit an, die, da wir keinen Erdbohrer haben, nur langsam fortschreitet.

Wir haben jetzt 1000 Stück Vieh, und das zu verwalten ist auch keine Kleinigkeit. Mein Mann will dem Volk den Reichtum nicht ganz entziehen, deshalb gibt er ein Drittel dem Sultan, ein Drittel dem Gouvernement und ein Drittel wird größeren Leuten zum Beaufsichtigen gegeben, dieselben bekommen jedes dritte Kalb als ihr Eigentum, das andere soll zur Küste geschickt werden.

Heute nachmittag ließ mein Mann Mpangire und seine zwei Halbbrüder Kapande und Sadangamenda zu uns kommen. Bei ersterem und letzterem hat man wirklich nicht das Gefühl, sich mit Schwarzen zu unterhalten.

Entsprechend dem im ganzen Volke hier in einem Grade ausgeprägten Selbstgefühl, wie man es sonst bei Negern kaum findet, treten auch die Mitglieder der Sultansfamilie mit ganz besonderem Selbstbewußtsein auf. Sie wissen sich gut zu unterhalten, aus ihren klugen Fragen sprechen Wißbegierde und Intelligenz, unsere europäischen Gewohnheiten suchen sie sich möglichst anzueignen. So saß Mpangire kürzlich bei uns im Zimmer; der Teppich reichte nicht bis zu seinem Platz, deshalb glaubte er nichts Unpassendes zu tun, wenn er seinen Zigarettenstummel einfach auf den Boden warf. Sadangamenda dagegen, dessen Stuhl auf dem Teppich stand, wagte nicht, diesen zu beschmutzen und war sichtlich aus großer Verlegenheit erlöst, als ich ihm einen Aschbecher reichte, auf den er seinen Stummel deponierte. Mpangire verfolgte dieses Manöver mit großer Aufmerksamkeit, und bald hatte er — von mir anscheinend unbeobachtet — seinen Zigarettenrest vom Boden aufgelesen und in den Aschbecher praktiziert. Es ist ein Vergnügen, die beiden intelligenten Burschen zu beobachten, dabei sind es hübsche Leute, an Gesicht sowohl wie an Wuchs. Auch an Galanterie fehlt es ihnen nicht; Mpangire und seine Brüder küssen mir stets die Hand, und heute hat mir ersterer als Beweis seiner besonderen Wertschätzung einen schönen — Ochsen verehrt. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.

Die Kunst, dem Neger durch marmorne Unbeweglichkeit der Gesichtszüge zu imponieren, besonders wenn die unbewußte Komik unwiderstehlich zum Lachen reizt, habe ich immer noch nicht raus. Tom ist Meister darin. So mußte ich gestern einfach die Hütte verlassen, als ich mit ansah, wie ein Neger meinem Manne durchaus die Füße küssen wollte: der am Boden rutschende Neger, der Toms Füße zu haschen, und Tom, der sein Piedestal in Sicherheit zu bringen suchte, boten ein Bild, welchem meine Seelenruhe noch nicht gewachsen war.

3. November 1896.

Nach drei langen Monaten heute endlich die Post — Briefe aus der Heimat! Was das bedeutet, kann mir nur ein „Afrikaner“ nachfühlen. Auch die Boys erhielten Briefe, Mpischi z. B. einen von seiner Mama, d. h. seiner richtigen Mama, im Gegensatz zu der bei den Negern (auch den Frauen) beliebten angenommenen „Mama“, d. h. mütterlichen Freundin. Sie verwahrt dem Neger das verdiente Geld, macht seine Schauris, sorgt für seinen Anzug, kocht für ihn. Es gibt auch unter ihnen ganz junge „Mama’s“, die sind meistens recht kostspielig. Am liebsten würde mein Mann die Mamas an der Küste ganz abschaffen.

4. November 1896.

Heute traf vom Gouvernement die Genehmigung zu allem ein, was mein Mann bis jetzt getan hat und noch tun will. So wird alles in kürzester Zeit in schönster Ordnung sein. Auch Merere soll als Sultan in Ubena und Mpangire in Uhehe eingesetzt werden. Die Offiziere können mit den Kompagnien jeden Tag eintreffen. Ich schenkte heute Mpangire eine Flasche Gin und auf einem Teller ein schönes Stück Schinken. Den Teller wollte er natürlich auch behalten.

Share on Twitter Share on Facebook