Drittes Kapitel. Mpangires Sultanat.

24. Dezember 1896.

Das war ein wichtiger Tag für uns. Das deutsche Weihnachtsfest mußte vor der für unsere hiesigen Verhältnisse wenigstens großen Haupt- und Staatsaktion der feierlichen Einsetzung Mpangires an Bedeutung zurücktreten. Aber gefeiert haben wir unser erstes afrikanisches Weihnachten doch, und zwar recht feierlich, nachdem wir der Politik ihr Recht gegeben hatten.

Um 10 Uhr vormittags meldete der Feldwebel alles zur Einholung fertig, und mein Mann, in voller Gala natürlich, begab sich zu dem neuen Sultan. Inzwischen waren die Patres, der Doktor Stierling und ich auf den Festplatz gegangen, wo dicht gedrängt die Leute in schönsten, schneeweißen Gewändern, die Frauen in ihren besten Tüchern standen. Ein farbenprächtiges Bild, umgrenzt von saftigem Grün, die Berge als Hintergrund. Das blaue Himmelsgewölbe hat vorher wohl kaum auf eine so lebenslustige und heitere Volksmenge an dieser Stelle herabgeschaut. Die Stelle der „höchsten Zivilisation“ vertreten Leutnant Glaunings und meine photographischen Apparate, für welche die bevorstehende Feierlichkeit viel zu tun gab.

Über 500 Mann Truppen in Paradeaufstellung, Offiziere und Unteroffiziere vor die Front gezogen, standen zum Empfange des neuen Herrn bereit, den mein Mann einzusetzen im Begriff stand. Endlich schlugen die Tambours an; die Herren, mit denen wir inzwischen geplaudert, eilten auf ihre Posten und wir Photographen an unsere Guckkästen. Jetzt kamen sie an. Rechts zur Seite Toms die stolze, stattliche Erscheinung des Mpangire, der seiner Würde bewußt einherschreitet — „jeder Zoll ein König“, ein echter Vertreter des Quawageschlechts. Vor der Front der Truppen angekommen, schwenkte die Musik nach dem Flügel ab, während Herr v. Kleist den Frontrapport erstattete. Dann hielt Tom eine kurze Ansprache an die Wahehe, in welcher er ihnen Mpangire als neuen Sultan bekannt gab; dem Sultan überreichte er als Zeichen seiner Herrschergewalt eine deutsche Flagge und ein von Sr. Majestät unserem Kaiser zu diesem Zwecke verliehenes prachtvolles Schwert. Die Truppen präsentierten, und ein vielhundertfaches Hurra! auf unsern Allerhöchsten Kriegsherrn, den Kaiser, weckte das Echo der Berge. Unter der umstehenden Volksmenge herrschte lautlose Stille; diese militärische Feierlichkeit machte augenscheinlich tiefen Eindruck, es war, als wenn die Masse erstarrt wäre, alles sah auf den Brennpunkt: meinen Mann und Mpangire. Zum Schluß wurden zugweise Salven und Schnellfeuer abgegeben. Dann ging es im Umzug in Sektionskolonnen durch die Stadt. Voran die Musik, dann mein Mann, Herr v. Kleist, Mpangire mit seinen Brüdern, ich, zum Schluß die Truppe, und genau so wie zu Haus bei solchen Gelegenheiten umgab uns die jetzt lärmende Volksmenge. Alles war aufs schönste mit Blumengewinden, Fahnen und Fähnchen geschmückt, jede Hütte war ausgeputzt.

Ich hatte mich bald von dem Zuge getrennt, um den Festzug aufzunehmen. Was ich laufen konnte, eilte ich an den Apparat; als der Zug ankam, knipste ich — aber alle Mühe war umsonst! Der Verschluß versagte! Glücklicherweise haben die andern gute Aufnahmen machen können.

Mittlerweile war es 11½ Uhr geworden, und jeder zog sich zurück, denn um 2½ Uhr war Preisschießen. Zu Hause machte ich eine Schüssel Konfekt und Marzipan, in der Mitte eine Ananas, zurecht, auf der eine Karte mit der Mitteilung steckte, daß wir der Unteroffiziersmesse ein Kegelspiel zu Weihnachten, vorläufig allerdings erst schriftlich, stifteten.

Feierliche Einsetzung des neuen Sultans Mpangire.
(Zu S. 64.)

Lager des Sultans Kiwanga mit seinem Kontingente in Iringa.
(Zu S. 126.)

Wir aßen zu Mittag, und um 2½ Uhr waren wir auf dem Schießplatz. Mein Mann schoß mir den ersten Preis, einen sehr schönen Elefantenzahn. Für die Einsätze und Reugelder waren Elefantenzähne als Preise angekauft worden. Es wurde mit Mauser-Gewehren geschossen. Die Unteroffiziere und die ersten schwarzen Dienstgrade schossen auch mit. Ich wurde mit dem Auftrag beglückt, die Preise zu verteilen.

Nach dem Preisschießen folgte ein Rennen. Beim Eselrennen gewann mein Esel, von Dr. Stierling geritten, den ersten Preis. Dann wurden fünf Ochsen am Spieße gebraten, ganz wie bei der Kaiserkrönung im alten römischen Reiche deutscher Nation, und vergnügter wie unsere Schwarzen hier können die „Frankfurt am Mainer“ auch nicht gewesen sein, wenn wir auch keine Springbrunnen mit rotem und weißem Weine sprudeln lassen konnten.

Eine große Volksmenge war auf dem Rennplatz noch versammelt, wo nach dem letzten Maultierrennen ein Wettrennen zwischen Boys, Fundis, Trägern und Askaris stattfand, der Erste am Platze konnte sich die großen hingeworfenen Preise (Tücher!) aufheben. Daran schloß sich Strickreißen. In die stärkere Partei wurden auch Tücher hinein geworfen, die derjenige bekam, der sie zuerst auffing, natürlich entstand dann oft ein großer Streit, der den Tüchern allerdings nicht zum besten gereichte.

Ein Gejauchze und Gejuble, daß einem ordentlich das Herz mit lachte! Es war wirklich alles so nett und vergnügt. So schön habe ich mich beim schönsten Ball nicht amüsiert. Den Höhepunkt erreichte aber das Jubeln, als mein Mann und ich Pesas unter die Menge warfen!

Die Sonne war bei alledem schon untergegangen, und die Dunkelheit nötigte uns, aufzubrechen. Zu Hause angelangt, ging ich nun an meine Arbeit, denn in 1½ Stunde sollten unsere Gäste schon kommen. Während der verschiedenen Veranstaltungen hatte ich mich manchmal unbemerkt davon geschlichen, um zu Hause nach dem Rechten zu sehen. Ich war daher sehr stolz, als beim Essen mein Tischnachbar zu mir sagte: „Wie haben Sie das alles möglich gemacht? Sie waren doch bei allem dabei?“

Im Garten hatten wir des Morgens einen Baum aufstellen lassen (im Zimmer war es zu gefährlich), der mit selbst fabrizierten Lichtern aus Honigwachs und Silberpapier geschmückt war. Vorn war eine Karte befestigt, auf der wir vorläufig schriftlich der Offiziersmesse ein Krocket stifteten. Die Tafel hatte ich mit Blumen ausgeschmückt, zwischendurch nach dem Essen gesehen und kaum hatte ich Zeit, mich in höchste Eleganz zu stürzen, als unsere Gäste auch schon eintrafen.

Es war ein fröhliches Mahl, und zum Schluß wurde der Christbaum angezündet. Da hat wohl jeder von uns seiner Lieben gedacht. Nach einer feierlichen Stille, die von der vorhergegangenen Lustigkeit abstach, stimmte einer der Herren „Stille Nacht, heilige Nacht“ an, das wir alle mitsangen. Weiß Gott, es war ergreifend, wie das heilige Lied von den Lippen der jungen Offiziere erklang; es dauerte ein Weilchen, ehe wir uns wieder in die Wirklichkeit zurückgefunden hatten; dann waren wir wieder vergnügt und lustig beisammen. Mit Champagner wurde das Wohl aller unserer Lieben ausgebracht; unter Gläserklingen folgte noch manch lustiges Lied.

Als das letzte Licht am Baum erloschen, setzten wir uns auf die Veranda, wo Kaffee, Kognak usw., der Marzipan und der Ringkuchen verzehrt wurden. Ich hatte in einen großen Napfkuchen einen Ring eingebacken, der Anlaß zu viel Scherz und Heiterkeit gab. Das Essen war gut geraten, und auch der mit allerhand Schwierigkeiten bereitete Marzipan fand Beifall; ich sah mit dem Stolze, der jeder Hausfrau verständlich sein wird, daß mein eigenhändig gebackener Marzipan bis aufs letzte Krümelchen aufgegessen wurde. Erst nach zwei Uhr nachts trennten wir uns.

Den Abend des 25. Dezember verbrachten wir im Kasino bei Illumination und „italienischer Nacht“ — wir wurden sogar mit Musik empfangen. Am 26. früh verabschiedeten sich die Offiziere, Pater Alphons und ich machten noch einige Gruppenaufnahmen, dann ein letztes Händeschütteln, die Abteilungen traten an, die Herren übernahmen ihre Kommandos, und jeder rückte nach seiner Garnison ab. — Der Abschied ging uns nahe, es waren alles so liebe prächtige Menschen, die uns da verließen. Gott gebe, daß uns allen ein frohes Wiedersehen beschieden!

Mein Mann hatte nun viel zu tun, besonders Berichte zu schreiben, und ich versuchte, meinen Haushalt wieder ins gewohnte Gleis zu bringen.

Den Silvesterabend verlebten wir mit Herrn v. Stocki und den Missionaren, die am 29. noch eingetroffen waren, nach deutscher Sitte. Am 2. Januar wurde Herr v. Stocki durch Graf Fugger abgelöst; auch die evangelischen und katholischen Missionare zogen wieder ab. Leutnant Stadlbaur schickte zwei Strauße; sie sind sehr zahm, spazieren in den Straßen herum und sind der Schrecken aller Weiber, die ihr Mehl zum Trocknen im Freien ausbreiten. Ein kleiner, etwa drei Tage alter Elefant konnte nicht am Leben erhalten werden; trotz der Unmengen von Milch, die wir ihm vermittelst eines aus Tuch hergestellten recht ansehnlichen „Lutschbeutels“ beibrachten, ging er nach acht Tagen ein.

27. Januar 1897. Kaisers Geburtstag.

Frühmorgens kam ein Bote aus Iringa mit einer Alarmnachricht von den Patres: „Quawa sei in der Nähe!“ Tom schickte ihnen sofort Askaris zur Verstärkung des Postens, der unter diesen Umständen bedroht erschien. — Dann feierten wir den Geburtstag Sr. Majestät mit Parade, Salut von Kanonenschüssen und Ansprache meines Mannes an die Askaris, die ihrem obersten Kriegsherrn drei kräftige Hurras ausbrachten.

Nach der Parade tranken die Herren bei uns Wein, und abends waren wir im Kasino. —

Ich vergaß zu erwähnen, daß auch an unserem Hochzeitstage, am 4. Januar 1897, ein Alarmbrief kam. Leutnant Fonck hatte wieder ein Gefecht in Ubena gehabt! Überall gärt es noch, das Land ist eben noch lange nicht in Ruhe. Die meisten Frauen und Kinder Quawas sind in der Gewalt der Station.

Trotzdem von allen Seiten schlimme Nachrichten kommen, welche die gefährliche Nähe von Quawa und seinem Anhange melden, bewahrt mein Mann, auf dem die ganze Verantwortlichkeit ruht, eine beneidenswerte Ruhe.

30. Januar 1897.

Die beiden letzten Nächte habe ich sehr unruhig geschlafen, denn der Gedanke, einer von Quawas Anhängern könnte Feuer an unsere Hütte legen, ist doch zu ungemütlich. Man könnte ja bei dem Stroh auch nichts retten.

Wenn ich Schritte in der Nacht dicht bei uns höre, überläuft’s mich ganz kalt.

Gestern war der Pater da und hat von 5 bis 11 Uhr nachts uns von Quawa erzählt und mich eingegruselt. Mein Mann hatte darüber schon von anderer Seite gehört; also etwas Wahres muß daran sein. Er meinte, angreifen werde Quawa uns nicht, ohne daß es lange vorher bekannt würde. Aber Schabernack spielen, wie Feuer anlegen usw., das wäre schon möglich. Mpangire ist auch nicht ganz zu trauen, er kann sein echtes Waheheblut nicht verleugnen. Meinem Mann ist das gleichgültig, wenn Mpangire nur sonst treu ist und hier tüchtig das Regiment führt. Über Nacht sind jetzt viele Posten ausgestellt. Diese Nacht ging ich mit meinem Mann Wachen revidieren. Es war herrlich, der Himmel strahlte in seiner Sterne Pracht. Der südliche Himmel ist doch bei weitem schöner wie der zu Hause, es tat uns beinahe leid, als unser Rundgang zu Ende war; ich legte mich gleich nieder, aber mein Mann arbeitete die Nacht durch, denn er wird jetzt sehr von seiner Schlaflosigkeit geplagt.

Als unsere Gäste uns gestern verließen (wir hatten den Grafen Fugger angefeiert), machten wir noch einen Spaziergang. Plötzlich flammte Feuerschein im Dorfe auf, und als wir zurückeilten, fanden wir die Kompagnie bereits unterm Gewehr. Zum Glück brannte nur eine Tembe; Tom lief voraus, und als ich zur Feuerstelle kam, stand er bereits auf dem brennenden Dach und leitete mit Wort und Tat die Löscharbeit. So sehr ich um das Leben meines Mannes bangte, so war ich doch auch stolz, zu sehen, mit welcher Ruhe und Umsicht er und Graf Fugger immer da waren, wo die Gefahr am größten.

2. Februar 1897.

Heute morgen war Mpangire mit Gefolge da; wie immer wurde er reichlich bewirtet, aber etwas kühler behandelt wie sonst, denn es ist ihm durchaus nicht fest zu trauen. Unter anderem bekam er eine Zimtsauce zu essen; plötzlich fragte er, was alles in der Sauce sei. Als ich ihm alles aufzählte und von Eiern sprach, erschrak er und legte sofort den Löffel weg. Bei den Wahehes ist es nicht Sitte, Eier zu essen.

Mein Mann schreibt eben ein Gesuch an Herrn v. Schele. Er hat bei den Teilnehmern der letzten Wahehe-Expedition den Gedanken angeregt, den Gefallenen der Zelewskischen Expedition ein Denkmal hier zu setzen; es sollen nur die Herren daran teilnehmen, die 1891 und 1894 gegen die Wahehe gekämpft haben. Während er noch schrieb, kam wieder ein Alarmbericht von den Missionaren, sie hätten einen „Haufen Quawaleute“ gefangen genommen und bäten um Verstärkung. Graf Fugger brach sofort auf, um nachzusehen.

11. Februar 1897.

Gestern abend, als wir vom Reiten kamen, schlichen sich dunkle Gestalten an meinen Mann heran. Es waren unsere Vertrauensmänner Farhenga, Lupambila (Sadalla fehlte), und um diese Zeit bedeutet das immer etwas Wichtiges. So war es denn auch: wieder Unruhen! Quawa hat einen Msagira, den mein Mann in Ubena eingesetzt hatte, getötet. Die Mageleute hielten zu Quawa und schickten ihm große Vorräte, die Ruahaleute seien alle weggelaufen.

Mein Mann wollte gleich nach Mage aufbrechen, doch da es schon zu spät war, um noch vor Sonnenaufgang dort anzukommen und sie zu überraschen, unterblieb es. Ich war sehr froh darüber, denn meinen Mann auf einem nächtlichen, zwölf Stunden langen strammen Marsch zu wissen, gehört nicht zu meinen Freuden. Morgen wird der Tschausch mit Askaris und Lupambila dahin gehen, das fällt weniger auf, als wenn ein Weißer kommt.

Unser zweiter Elefant ist gleichfalls trotz aller Mühe gestorben; wahrscheinlich verhungert, trotzdem er riesige Mengen Milch bekam. Die Kuhmilch mag wohl nicht genügend Nährkraft für einen Dickhäuterorganismus enthalten. Im „Brehm“ steht nichts über Aufzucht der Elefanten!

12. Februar 1897.

Was für eine qualvolle Nacht liegt hinter mir! Gestern nachmittag kam plötzlich mein Mann hereingestürzt und rief mir zu: „Bitte mach schnell Essen und zwei Decken zurecht“, dann war er auch schon verschwunden. Zwei Stunden zermarterte ich mein Gehirn, was bloß geschehen sein mochte! Jedenfalls wollte er irgendwohin abmarschieren.

Endlich kam er, und jetzt erfuhr ich, daß Quawa den Ruahaposten überfallen und die Askaris niedergemetzelt habe. Daraus kann man wohl auch schließen, daß Magdalenenhöhe und Perondo, so entsetzlich es auch ist, das gleiche erfahren haben. Tom wollte nun gleich nach Iringa, um Mpangires Nest auszuheben, während Graf Fugger nach den Etappen ging.

Alles wurde heimlich vorbereitet, damit die Wahehe hier nicht die Leute in Iringa benachrichtigen könnten. Als alles so ziemlich bereit war, wurde nach Quawas angesehenstem Halbbruder Gunkihaka geschickt, der vor ein paar Tagen angekommen war, um sich hier anzubauen. Mein Mann sagte gleich: „Dem muß ich tüchtig auf die Finger sehen.“ Nun war es schlimmer, als wir dachten: er wollte uns nicht bloß ausspionieren, sondern im Rücken überfallen. Daß in der letzten Zeit etwa 30 Temben gebaut wurden, erschien uns jetzt auch in einem anderen Licht.

Graf Fugger aß mit uns, da das Essen in der Messe noch nicht fertig war und es so am wenigsten auffiel. Dann ging er, seine Sachen zu ordnen. Selbst mein Mann war diesmal des Ausgangs nicht gewiß! Dann kamen Gunkihaka und ein Msagira, der eben erst angekommen war. Mein Mann hatte das Gewehr vor sich hingelegt, fertig zum Schuß, wenn Gunkihaka entfliehen wollte. Einen Menschen so vor dem Gewehrlauf sitzen zu sehen, war — milde ausgedrückt — aufregend! Aber konnte nicht derselbe Mensch sich plötzlich auf meinen Mann stürzen, ehe er losdrücken konnte?

Jeder Nerv war in höchster Spannung. Alles war regungslos und totenstill, auf einer Seite des Zimmers saßen Farhenga und Sadalla, gegenüber die zwei Boys, die die Unglücksbotschaft gebracht hatten.

In der Veranda mein Mann, Gunkihaka und ich um einen Tisch, auf dem die Lampe brannte, an der Erde hockend der gefangene Msagira, dahinter zu den Seiten zwei Askaris.

Gunkihaka benahm sich musterhaft, aber trotz der zur Schau getragenen Ruhe vibrierte seine Stimme etwas, und über sein Gesicht ging hin und wieder ein leichtes Zucken. Er sollte über ihren Plan berichten und über das Geschehene, doch es war keine Silbe aus ihm heraus zu bekommen.

Da kommt der Effendi (schwarzer Offizier) mit einem Träger atemlos mit der schrecklichen Botschaft, die II. Etappe sei auch überfallen, nur ein Askari entkommen! Gleich wurden die zwei Wahehe gebunden und dem Grafen Fugger mitgegeben, sie sollten diesem die Quawafährte zeigen.

Wie sie so dastanden, ein Bild von Kraft. Gunkihaka einen Kopf größer als mein Mann, der Msagira ihn aber noch fast um einen Kopf überragend. Der eine jung mit dem großen Auge, das alle Quawaangehörigen haben, der andere mit kleinen listigen Augen! Sie wurden abgeführt.

Jetzt bricht auch mein Mann auf, die Askaris sind lautlos angetreten, und so ziehen sie ins Dunkle hinein.

Als sie ein Weilchen weg sind, wird Alarm geblasen, und die Askaris treten für Graf Fugger an. Während wir so dastehen, kommen verschiedene Nachrichten, daß am Fuß des Berges viele Leute zu sehen seien, die ein Kriegsgeheul ausstoßen! Übrigens hatte mein Mann auch schon so etwas verlauten hören und sagte mir, ich sollte die Koffer mit dem Wertvollsten auf die Veranda stellen, damit, wenn die Wahehe Feuer anlegten, wenigstens das Wertvollste gerettet werden könnte, aber er glaube nicht, daß sie die Station angreifen würden! Die Frage, ob wir uns alle wieder sehen würden, lag uns sehr nahe, ach, es war — nein, ich finde keine Worte für die Stimmung! Aber trotzdem sagte auch Graf Fugger: „Das ist doch Leben, hier weiß man, zu was der Soldat da ist.“ Als auch er weg war, ging ich beklommenen Herzens nach Hause. Schlafen konnte ich nicht!

Als der Tag hereinbrach, war es mir eine Erlösung. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als mein Mann kam. Ich hörte Lärm und lief ihm schleunigst entgegen.

Er konnte mich nur flüchtig begrüßen, es genügte mir aber; war er doch heil zurück und seine Aufgabe gelungen! Alle Leute Mpangires, dieser selbst, seine Weiber und Brüder gefangen. Inwieweit Mpangire an der Verschwörung teilgenommen hat, ist noch nicht klar. Wenn er seinen Bruder Quawa nicht ausliefert, kann er nicht Sultan bleiben und kommt zur Küste. Wie weit die Rebellion um sich gegriffen und warum die Leute am Ruaha weggelaufen sind, ist noch nicht festzustellen! Jetzt gilt es, des Hauptschuldigen, Quawas, habhaft zu werden, aber wie und wo in dem großen Reich?

Mein Mann ruhte nur einige Stunden, dann wurde alles zu einem neuen Abmarsch für den Nachmittag fertig gemacht. Das war schnell getan, denn er nimmt fast nichts mit (trotzdem er auf unbestimmte Zeit fort bleibt), um nicht am schnellen Marschieren durch die Träger aufgehalten zu werden. Kein Bett, kein Zelt, keine Kochlast! Zwei Decken, ein Luftkissen, zwei Kochtöpfe, Messer, Gabel, Löffel, Teller, Tassen, ein Stück Zeug für die Nacht zum Überspannen, einen Stuhl und eine Last Essen! Und da war er noch ungehalten und sagte: „Früher habe ich oft noch viel weniger mitgehabt!“

Ich begleitete Tom den Berg herunter, aber es war schon ganz dunkel, und ich mußte zurück. Wenn ich nur nicht so schrecklich allein wäre!! Das Dach von unserem Haus ist fertig. Natürlich stockt überall die Arbeit. Spiegel, infolge des Perniziösen fast dienstuntauglich, ist nach Iringa und Stephan meinem Mann nachgegangen. Der beklagenswerte arme Baumeister ist immer noch krank, ich besuche ihn täglich.

Jetzt sind überall die Posten verstärkt, es sind zwei Hauptwachen. Ich bin ganz von Soldaten umgeben, auf der Veranda sogar schläft einer. So ist eigentlich nachts mehr Leben als am Tage, nur die Fundis arbeiten. Auf der Straße sehe ich nur zwei kleine Jungen mit dem Kreisel spielen.

Jetzt, wo mein Mann unterwegs ist, regnet es nicht nur am Tage, sondern auch fast die ganze Nacht hindurch.

17. Februar 1897, 10 Uhr abends.

Jetzt fängt es aber doch an, ungemütlich zu werden, vor allen Dingen, wo mein Mann nicht hier ist. Wo man hinhört, Aufruhr, Empörung! Heute nachmittag brachte mir Dr. Stierling die Nachricht, daß von Mage bis hierher alles in Aufregung sei, der Schmied habe viele neue Speere geschmiedet, und Quawa sei mit einer großen Heeresmacht nur 12 Stunden von der Station entfernt. Heute abend 8 Uhr rückte Dr. Stierling dahin ab.

Das Dorf ist in großer Aufregung, und die Kriegsegoma wird geschlagen, viele sind betrunken.

Ich ritt heute nach einer Tembe des Msagira Kimali Mali, doch war alles ausgeflogen, also wahrscheinlich auch bei Quawa.

Ich werde jetzt schlafen gehen, mich aber nicht ausziehen, denn man kann nicht wissen, wie es kommt. Den Revolver habe ich stets bei mir. Übrigens, noch eins! Die Karawane eines Arabers nach hierher ist bei Mage geplündert, der Araber getötet worden, gewiß auch der kleine Jumbe Mangatua mit seinem Anhang. Die Weiber, die er hier bekommen hatte, sollen in Quawas Hände gefallen sein.

20. Februar 1897.

Gestern nachmittag kam Tom zurück, er hat die Landschaft anscheinend ruhig gefunden, einen neuen Jumben eingesetzt und Stephan mit der Anlage eines Sicherungs-Postens beauftragt. Jetzt läßt er hier eine Dornenboma und Stacheldrahtzäune anlegen, als ersten Schutz gegen einen plötzlichen Überfall der Wahehe; derartige Hindernisse geben unseren Askaris bei nächtlichem Angriff genügend Zeit, ihre Verteidigungsstellungen einzunehmen und sich zum Ausfall zu sammeln. Am Abend kam Dr. Stierling zurück; er hat den Eisenfundi, den Speerschmied, gefangen. Leider sind aber sieben Kettengefangene entsprungen — das bedeutet für unseren Feind Quawa einen Zuwachs von ebensovielen Kriegern.

21. Februar 1897.

Die Post mit vielen Briefen und Berichten meines Mannes ging gestern abend ab, ehe ich etwas mitgeben konnte, und es ist dies ganz günstig. So denken sie daheim alle, wir sind ganz ruhig und sicher hier, und brauchen sich nicht zu ängstigen.

Der Pater Superior kam sehr elend gestern an, er soll sich hier etwas erholen. Mein Mann würde gern die Mission einziehen, doch würde er damit zu erkennen geben, daß er einen Überfall befürchtet, und um dies zu vermeiden, wird der Posten auf zehn Askaris verstärkt.

Gerade als wir fertig mit dem Abendbrot waren, kam Graf Fugger und brachte ausführliche Berichte. Von allen drei Etappen sind die Askaris hingemordet worden. Zu dem einen Askari sind drei Kerle gekommen, die ihm Essen zum Kauf anboten, sie haben ihn dann überfallen, gebunden und mit Stöcken totgeschlagen! Seine Frau mit Kind führten sie mit sich, doch ist die Frau wieder entflohen, und Graf Fugger, dem sie auf der Flucht begegnete, hat sie mit hergebracht. Von Magdalenenhöhe hat man noch nichts Näheres erfahren.

Bei Ruaha sollen die Leute von zwei Seiten gekommen sein, d. h. von den Utschungubergen und von Iringa! Inwieweit Mpangire beteiligt ist, kann man nicht ergründen, trotz Drohungen ist nichts aus diesem harten Waheheschädel heraus zu bekommen. Nur soviel steht fest, daß er und seine Brüder alles gewußt haben!

Jedenfalls hat Mpangire mit Quawa im Einverständnis gehandelt. Viele behaupten, er habe die Station auf Quawa hetzen wollen, um sie selbst dann leichter einzunehmen und die Europäer und Askaris niederzumetzeln.

Morgen wird Kriegsgericht gehalten, auch über Mpangires Brüder und zwei Msagiras. Sie haben hochverräterisch gehandelt und werden es wohl mit dem Leben büßen müssen. Sie haben ihr Quawablut nicht verleugnen können!

Daß sie bedeutende und befähigte Neger sind, beweist auch ihr jetziges Verhalten. Sie haben an Verstellung das Menschenmöglichste geleistet.

Natürlich ist die Spannung groß, wie die Wahehe es aufnehmen werden, wenn einer ihrer Größten aus der Quawafamilie den Tod als Verräter sterben muß.

Jenseit des Ruaha ist ein Teil der Bevölkerung zu Quawa gegangen, ein anderer aus Angst vor der Station in die Berge geflüchtet.

21. Februar 1897, 4 Uhr mittags.

Den ganzen Morgen habe ich mich zu nichts aufschwingen können; Tom ist auch ganz verstört. Während des Kriegsgerichts hielt ich es nicht mehr aus und ging ins Gefängnis zu den Mpangirefrauen. Sie saßen dicht zusammen, das Gesicht der Wand zugekehrt! Ich rief Mgumditemi zu mir. Sie war kaum wieder zu erkennen, so abgemagert und abgehärmt sah sie aus, die Tränen standen ihr in den Augen, sie litt wirklich mit Mpangire, während die andern, Sadangombe ausgenommen, nur ihr eigenes Schicksal zu betrauern schienen, sie bettelten auch gleich um besseres Essen. So sehr mich die Mgumditemi gerührt hat, so stießen mich die andern ab.

Stadt Iringa, 23. Februar 1897, abends.

Jetzt sitze ich mit meinem Mann um 7½ Uhr abends im Zelt in der früheren Sultanstadt. Vor ungefähr acht Wochen waren wir auch hier im Begriffe, den künftigen Sultan abzuholen. Jetzt ist es mit der Sultansherrlichkeit für immer vorbei. Mein Mann hatte gehofft, die Quawabrüder so zu verpflichten, daß sie der Station ergeben wären, aber der Quawatrieb, allein zu herrschen, war zu mächtig in ihnen, und so mußten sie es mit dem Leben büßen. — Sie wurden verurteilt, und als ihnen die Ketten abgenommen und sie zum Galgen geführt wurden, hat Mpangire einen noch recht menschlichen Zug gezeigt. Er hat gefragt, was wohl aus seinen Kindern werden würde! Das versöhnt einigermaßen wieder mit dem Verräter. Alle Europäer waren für ihn eingenommen, auch mich hatte das hübsche Gesicht, der freie Blick, das große Auge, das manierliche und nette Wesen, der chevalereske Ton, sein schnelles, kluges Auffassen so geblendet, daß mir sein jähes Ende sehr nahe ging; ich habe bitterlich geweint, und noch jetzt traure ich um den schwarzen Gentleman, trotzdem meine Vernunft sich dagegen sträubt.

Mein Mann ist jetzt zu einem Schauri in die Tembe eines Großen der Wahehe gegangen. Ich ängstigte mich um ihn! Wie leicht kann ein fanatischer Kerl ihm etwas antun. Die Askaris sind auch von Leuten, die schon 5 bis 6 Monate mit ihnen freundschaftlichst verkehrten, auf den Befehl von Quawa ermordet worden.

An der Küste müssen sie uns ganz in Frieden denken; ein Herr Kaufmann hat die Erlaubnis bekommen, meinen Mann um 20 Wahehe zu der Ostafrikanischen Ausstellung in Leipzig zu bitten — und wir sind froh und dankbar, wenn wir mit den Leuten zu einem friedlichen Verhältnis kommen!! — Schöne Exemplare sind es schon; es würde lohnen, sie auszustellen, freilich würden sie das als eine harte Bestrafung ansehen.

Die Weiber und Kinder der Quawafamilie und die Quawaanhänger, so auch der Eisenfundi, werden des Landes verwiesen und an die Küste geschickt.

Selbst auf unsrer Safari haben wir Gäste. Zum Abendessen war Pater Alphons, der uns schon entgegengekommen war. Pater Superior hatte auch am Kriegsgericht teilgenommen.

Share on Twitter Share on Facebook