Dreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 15. Julius 1848.

Bei dunkelem Wetter beruhigt sich der Reisende nicht mit der allgemeinen Gewißheit, daß sich der Himmel zuletzt gewiß aufhellen werde; sondern er beobachtet theilnehmend, ob die Wolken irgendwo zerreißen, und sich ein Stücklein blauen Himmels zeigt. So beobachte ich aus der Ferne Euern berliner Horizont, und erfreute mich an der großen Mehrzahl, mit welcher Jacobi’s unnütz aufregender Antrag verworfen ward. Mag diese Mehrzahl auch daher entstehen, daß sich, sonst entgegenstehende, Parteien vereinigten (nämlich die Gegner einer demokratischen Verantwortlichkeit des Reichsverwesers, und einer unbegränzten Allmacht der hiesigen Reichsversammlung); immer geht daraus hervor, daß die Umtriebe der Linken noch nicht von Allen für den rechten politischen Weihrauch gehalten werden, daß sich noch nicht Alle bei der Nase herumführen lassen.

Lieb ist es mir ferner, daß die Stadtverordneten, hinsichtlich der Brottaxen nicht von ihrem alten, wohlüberlegten Beschlusse abgegangen sind. Endlich will ich gern in dem Steigen der Papiere eine Rückkehr des unentbehrlichen Vertrauens sehen. Sehr zweifelhaft bleibt es mir dagegen, ob die Minister muthig und staatsklug handelten, indem sie bei jenen wichtigen Verhandlungen ganz still schwiegen und den Ausgang unthätig erwarteten. Mochten sie dessen gewiß sein, so war es doch keine Windstille, wo der Steuermann schlafen durfte. Hiemit steht in Verbindung, daß die preußische Regierung sehr mit Unrecht keinem einzigen der hiesigen Abgeordneten vertraulich einen Fingerzeig über Zustände, Wünsche, Zwecke zukommen läßt, der Vielen zur Richtschnur, oder doch zur Aufklärung dienen könnte. Bei umgekehrtem, jedoch vorsichtigen Verfahren, würden weniger Zweifel, Spaltungen und Unsicherheiten eintreten.

Es ist sehr natürlich, daß in dem Maße als die Dinge hier in Frankfurt eine gewisse Festigkeit zu gewinnen scheinen, auch Forderungen und Wünsche mancherlei Art hervortreten. So sind Gesuche und Beweise eingegangen: das Reichsgericht sei nicht in Nürnberg zu errichten, sondern wieder nach Wetzlar zu verlegen. Die Reichsversammlung müsse man nach dem sichern, besser und mehr in der Mitte Deutschlands liegenden Erfurt übersiedeln, und Stadt und Bezirk für unabhängiges Reichsgebiet erklären. Auch Leipzig, auch Regensburg regen sich; während Frankfurt allen Angriffen nachdrücklichst zu widerstehen sucht. Gewiß ist dessen Lage die schönste und der Aufenthalt am angenehmsten. Wenn einst diese Fragen entschieden werden, — bin ich wahrscheinlich auch schon versetzt, ohne mitzustimmen, — oder auch nur davon zu hören!

Den 16. Julius.

Die gestrige Sitzung war im Ganzen anziehend und wichtig; denn sie betraf die Kriegsverfassung Deutschlands, und neben flachen und langweiligen Reden wurden auch gründliche und zweckmäßige gehalten, z. B. von Lichnowsky und Radowitz. Der Letzte hält vorzugsweise an Dem fest, was er versteht, und stellt sich auf den Boden der Gegenwart, ohne viel zu untersuchen, wie sich derselbe zu dem Boden seiner Vergangenheit verhält.

Daß Deutschland verhältnißmäßig schlechter gerüstet sei, als Rußland und Frankreich, konnte Niemand bestreiten; dessenungeachtet sprachen Viele, aus verschiedenen Gründen, gegen den Antrag des Ausschusses. Dieser ging nämlich dahin: die Zahl der kriegerisch Eingeübten, bis zu zwei Procent der Bevölkerung zu vermehren, und hiebei nicht die Volkszählung von 1815, sondern die neueste zum Grunde zu legen.

Man entgegnete: 1) die stehenden Heere sollen vermindert, nicht vermehrt werden. — Antwort: Hievon ist nicht die Rede, sondern von einem schnellern Wechsel der Einzuübenden, wodurch die Zahl der Krieger mittelbar vermehrt wird. — 2) Die Kosten sind unerschwinglich und zur Hebung der Gewerbe, Beschäftigung der Arbeiter u. dgl. zu verwenden. — Antwort: In noch ungünstigern, ärmern Zeiten (z. B. 1813) hat man größere Anstrengungen nicht gescheut. Auch werden die Kosten, bei zweckmäßiger Beurlaubung, nicht sehr groß sein. Wenn aber manche, besonders kleinere Staaten hiebei hinter ihrer, bereits bestehenden, Pflicht zurückgeblieben sind, so ist dies ihre Schuld, und kein Grund vorhanden, eine solche Nachlässigkeit länger zu dulden. — 3) Volksbewaffnung und Bürgerwehr reichen aus, ohne die Zahl der stehenden Heere zu vermehren. — Antwort: Die gesammte Kriegsgeschichte widerlegt die Behauptung, und aus einzelnen, meist durch Oertlichkeit (z. B. in der Schweiz) bedingten Beispielen, läßt sich das Gegentheil nicht erweisen. In Spanien schlossen sich die Guerillas an das vortreffliche englische Heer an. Eine Volksbewaffnung verursacht endlich noch größere Ausgaben, als die von uns vorgeschlagene Maßregel. — 4) Von Rußland ist kein Krieg zu befürchten. — Antwort: Sonderbar daß Diejenigen, welche die Gefahr, ja die Nothwendigkeit eines russischen Krieges hervorhoben, jetzt plötzlich (wiederum ohne Beweis) das Gegentheil beweisen, und nicht berücksichtigen, was sich an der untern Donau vorbereitet. — 5) Frankreich reicht uns die Bruderhand, und von da hat Deutschland nichts mehr zu befürchten. — Antwort: Alle Parteien, unter allen Regierungsformen, trachten nach dem linken Rheinufer, und französischer Beistand ist nie ohne Eigennutz geleistet worden u. s. w. u. s. w.

Etwa zwei Drittel stimmten für, etwa ein Drittel gegen den Vorschlag des Ausschusses. Ich gehörte zu jenen, und die namentliche (von der Linken verlangte, von Allen ohne Widerspruch angenommene) Abstimmung scheint diesmal Keinen eingeschüchtert zu haben. Die Gegner des Vorschlages sprachen nicht alle Gründe rücksichtlos aus; so nicht den, daß sie sich dadurch bei den sorglosen, nur ihrer Bequemlichkeit nachtrachtenden, Massen beliebt machen wollten. Nebenbei Complimente über Bürgerwehr und Volksbewaffnung, Schelten auf die verknechteten Soldaten u. s. w. Vor Allen aber stimmten die Abgeordneten der kleinen Staaten wider einen Beschluß, der sie zur Erfüllung ihrer vernachlässigten Pflichten anhalten sollte. Für Preußen, welches zeither immer mehr gethan, als jener gesetzliche Buchstabe vorschreibt, entsteht durchaus keine neue Last. Aber die kleinen Kläffer, welche Preußen immer anbellen und verläumden, welche vorzugsweise immer herrschen wollen, ohne etwas zu thun, suchen Vorwände aller Art jetzt, nach wie vor, hinter ihrer Schuldigkeit zurückzubleiben.

Gestern Abend sah ich „Stadt und Land“ von der Birch-Pfeiffer zum ersten Male. Obgleich ich Auerbach’s Erzählung nicht kannte, fühlt man doch, daß die Grundlage epischer Art ist, und Vieles sich dramatisch nicht abrunden will. Auch giebt der Schluß keine rechte Beruhigung und Bürgschaft für die Zukunft. Ich ließ indeß, nach meiner Weise (bei dem Zwecke, meinen Abend angenehm zuzubringen), alle verdrießliche Kritik ganz zur Seite, und dies um so mehr, da in der That die Hauptpersonen ausgezeichnet spielten: z. B. die Lindner als Bärbele, Dem. Hausmann als Lorle, der Vater Hr. Meck; Ida Dem. Janauschek. —

Wie hat nur — so sinken können, daß selbst seine alten Freunde hier nichts mehr von ihm wissen wollen. Zuletzt hängt es mit dem Wahne zusammen, daß Kraft und Wahrheit allein im Aeußersten, in den Extremen zu finden sei, und doch hat schon Aristoteles erwiesen: die Tapferkeit sei die rechte, lebendige Mitte, zwischen Feigheit und Tollkühnheit u. s. w. — Ich wünsche, daß Hrn. Pultes poetische Begeisterung, nach 50 Jahren, anerkannte prosaisches Wahrheit sei, und man die Sorgen der jetzigen Tage völlig vergessen habe. Der Himmel fällt niemals auf die Erde; die Unterwelt kann sich aber auch nie dauernd da auferbauen, wo von Natur die Sonne herrscht.

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