Einunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 17. Julius 1848.

Die preußischen und österreichischen Abgeordneten haben sich zeither gut vertragen, und die letzten anerkennen müssen daß der Erzherzog (es war kein anderer Ausweg möglich) seine Wahl der uneigennützigen Beistimmung der ersten verdankt. Aus diesem Gelingen scheint den Österreichern die Hoffnung zu erwachsen, das, zeither fast allgemein zurückgewiesene, Kaiserthum in die Verfassungsurkunde hineinzubringen und dasselbe für Österreich zu erobern. Wenigstens zeigen sich Spuren, daß sie das Monarchische nunmehr in einer Weise überall zu verstärken suchen, welche (wenn ein preußischer Prinz erwählt wäre) ihren Beifall gewiß nicht gehabt hätte. Leicht könnte sich daran ein Zerwürfniß zwischen den österreichischen und preußischen Abgeordneten, oder (noch allgemeiner) zwischen dem Interesse des Gesammtreiches und der Staaten anknüpfen. So verlangen z. B. Mehre: es solle in Deutschland nicht blos ein gleicher Münzfuß herrschen, sondern nur eine Reichsmünzstätte und ein Gepräge sein. Werden es sich aber die Preußen und andere Staaten gefallen lassen, ihren Herrscher oder ihr Stadtzeichen nicht mehr auf den Münzen zu sehen? Andere wollen das Finanzwesen der einzelnen Staaten und auch das Heerwesen auseinandersprengen, die Regimenter durch ganz Deutschland fortzählen, ja wohl auch ein buntes Fortrücken durch das eine ganze Heer eintreten lassen. Die hiesige Versammlung könnte (wenn sie sich mit scheinbarer Allmacht in dieser Richtung zu weit verlocken läßt) leicht ihre moralische Hauptgrundlage und Theilnahme einbüßen; es könnten (was die Meisten mit zu großer Zuversicht für unmöglich halten) die Völkerstämme und die Regierungen sich einigen und dieser französirenden, charakter- und physiognomielosen Einerleiheit und Centralisation widersetzen. Schon spricht sich hier neben dem zahlreichern Chorus der Gleichmacher, manche einzelne Stimme gegen derlei Übereilungen aus, und wenn die Österreicher sich von den Preußen trennen sollten, werden zunächst die Baiern und dann wohl noch Andere abfallen und selbst in der Linken neue Parteiungen entstehen. Die Gefahr wird jedoch dadurch geringer, daß man sie von Weitem schon erkennt, und, das rechte Ziel ins Auge fassend, zwischen der Scylla und Charybdis hindurchzusegeln sucht. Sehr viel hängt davon ab, wie der preußische Landtag sich benimmt, und ob unser besonderes Vaterland bald sein altes materielles und geistiges Gewicht wieder gewinnt. Dann wird man mit Preußen nicht so von oben herab umspringen können, wie man es jetzt mit Hannover versucht. Zunächst ist wenigstens der Gedanke durchgefallen, von hier aus das preußische Ministerium zu hofmeistern.

Die heutige Sitzung begann mit Ankündigung mehrer Fragen (zu deutsch Interpellationen) an die kaum geborenen Minister, sodaß Jordan von Berlin (der sich jetzt überhaupt mäßigt) mit Recht sagte: nach dem Antragsfieber würden wir wohl das Interpellationsfieber bekommen. Der Ausschuß für die Geschäftsordnung soll ein Gutachten abgeben, wie dem drohenden Übel abzuhelfen sei.

Die Berathung über den ersten Abschnitt der Grundrechte dauert bereits mehre Sitzungen hindurch, und manches Langweilige und Verkehrte ist gesprochen worden; aber der Gegenstand ist auch von der höchsten Wichtigkeit, und die Ansichten und Grundsätze sind allmälig geläutert und berichtigt worden. Ich gebe, um Euch nicht zu ermüden, nur ein Paar ganz kurze Andeutungen. Es handelt sich von dem Rechte der Niederlassung, des Gewerbebetriebes, des Bürgerthums, des Armenrechtes; von dem Verhältnisse des Gemeine-, Staaten- und Reichsbürgerrechtes. Es fragt sich: ob man mit jenem ersten oder mit diesem beginne, und ob das mittlere noch eigenthümliche Bedeutung behalte? Die Einen dringen auf umfassende Begründung eines Reichsbürgerrechtes, welches dann schon das Staats- und Gemeinebürgerthum, oder doch ein Anrecht auf dasselbe gebe; sonst werde die Mannigfaltigkeit der Forderungen und Bedingungen kein allgemeines Deutschthum aufkommen lassen, und die gegenseitige Behandlung von Deutschen, als wären sie Ausländer, fortdauern. In Preußen z. B. genüge es, gesunde Arme und Beine zu haben, um sich anzusiedeln; in anderen deutschen Staaten mache man dagegen sehr schwere, ja oft unerfüllbare Anforderungen u. s. w. — Denen, welche eine allgemeine, bestimmte, gleich anzuwendende Regel wollen, stehen Andere gegenüber, welche die Erhaltung von Verschiedenheiten natürlich finden, und behaupten, eine plötzliche Aufhebung derselben verletze Herkommen und Eigenthum; so, wo zeither ein geschlossenes Bürgerthum, Geldansprüche, Gemeinegüter vorherrschten oder vorhanden wären. Wolle man auch dem sich meldenden Deutschen die Ansiedlung nicht verwehren, so folge doch daraus nicht die Theilnahme an allen Gemeinerechten u. s. w. — Man fühlt: daß hier jedes einzelne Verhältniß ins Auge zu fassen und mit dem im Allgemeinen unabweisbaren Fortschritt zu versöhnen; daß, um Mißdeutungen oder thätliche Widersprüche zu vermeiden, jedes Wort genau zu prüfen ist. Manches Einseitige, Übereilte, zu Allgemeine oder zu Specielle ward schon verworfen, und wir kommen einer zweckmäßigen Fassung täglich näher, — wenn sie gleich vielfachem Tadel nicht entgehen kann. Der Eine wird sagen, es sei zu viel, der Andere, es sei zu wenig geändert und geneuert worden. — Überall blickt die Hauptfrage, das Haupträthsel hindurch: wie das eine deutsche Reich in ein richtiges Verhältniß zu den vielen deutschen Staaten zu bringen sei. — Weit leichter sind die berliner Aufgaben, und doch bleibt man dort hinter unseren Versuchen und Beschlüssen zurück.

Den 18. Julius.

Man kann so wenig einen Staat, als sich selbst plötzlich ganz neu machen. Es muß dem Veränderten etwas Beharrliches zu Grunde liegen, und das Beharrliche kann (so lange es Leben in sich trägt) von dem Verändern nicht ganz unberührt bleiben. Zwischen Sein und Nichtsein liegt das Werden. Trunken von Begeisterung für das noch nicht ins Dasein getretene, verschmähen jetzt Viele alles Frühere, sprechen mit Hohn und Verachtung von der tausendjährigen deutschen Geschichte, und vergeuden alle Errungenschaften um der künftig unausbleiblichen Schätze willen. Sie vergessen: daß, wenn sie ihre Vorfahren nicht achten, Kinder und Kindeskinder dereinst mit ihnen ähnlicherweise verfahren und ihre neue, unerprobte Weisheit zur Seite werfen. — Ists nöthig, die Gegenfüßler dieser Sturmschreiter, dieser Siebenmeilenspringer oder Radschläger näher zu bezeichnen? Es sind die zu Salzsäulen gewordenen Maulwürfe und Faulthiere, welche in der Vergangenheit keine Bewegung erkennen, denen die Gegenwart nur ein vereinzelter, götzendienerisch verehrter Augenblick ist, und die an keine Zukunft glauben, auf keine hoffen. — Zeigt sich denn (wie das gemeine Geschrei behauptet) die ächte Wahrheit und Kraft in diesen beiden Äußersten? Leben ihre Bekenner nicht in dem äußersten, verbrannten oder erfrorenen Thule? Vegetiren oder zappeln und strampeln sie nicht in der Sonnenferne von dem belebenden Herzschlage der rechten Mitte?

Die heutige Sitzung begann mit dem ersten Anfalle des Interpellationsfiebers; hierauf Zweifel, ob die Versammlung bei Urlaubsgesuchen strenger verfahren solle; Berichte über thörichte Gesuche (z. B. eines alten Schullehrers über Wiederanstellung!!); Frage, ob namentliche Abstimmung abzuschaffen? (Nein! Damit, wenigstens in wichtigen Fällen, die Wähler erfahren, wie jeder Abgeordnete gestimmt habe; auch Keiner sich scheue, seine Überzeugung muthig darzulegen.) In der Voraussetzung, daß Viele sich für jene Abschaffung erklären würden, verlangten Einige diesmal namentlichen Aufruf, bis sich beim Aufstehen ergab, fast Alle seien einig für die Beibehaltung. — Antrag, wiederum wöchentlich sechs Sitzungen zu halten. Aus früheren Gründen (besonders der Arbeiten in den Ausschüssen halber) verworfen. — Antrag: die Sitzungen statt um 9 Uhr um 12 Uhr zu beginnen; von Lichnowsky unterstützt, von mir bestritten.

Da zu verwickelten Arbeiten und schwerer Leserei die Fassung und Gemüthsruhe fehlt, so werde ich mich in die Jugendzeit der Geschichte versetzen und die Ilias und Odyssee wieder einmal griechisch lesen. Es giebt wenig sogenannte Heldengedichte, oder Epopeen, denen man im Alter noch rechten Geschmack abgewinnen kann. Die Nibelungen? Ja! — Ariost und Tasso? Schwierig. — Milton, Klopstock, Henriade gar nicht, — und am wenigsten die endlosen indischen Gedichte. — Müßte ich indeß zur Ilias und Odyssee alle die bändestarken kritischen und ästhetischen Noten der Philologen lesen, oder gar die Sandhaufen unbedeutender Varianten durchmustern, — so würde ich schon bei den ersten funfzig Versen Lust und Liebe verlieren. Welch ein unermeßlicher Wust unnützer und geschmackloser Gelehrsamkeit in diesen philologischen Palästen des Augias! Daran ermüdet unsere Jugend und verekelt sich die Meisterwerke des Alterthums! — Wie sich diese philologischen Schulmeister auf dem Boden der Tagsgeschichte geberden, dafür haben wir nur zu viele, traurige Beispiele.

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