Sechsunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 26. Julius 1848.

Trotz früherer Beschlüsse haben wir heute, Mittwochs (gleich wie in voriger Woche), die dritte Polensitzung. Ihr glaubt nicht, wie matt und müde es Leib und Seele macht, 5–6 Stunden lang in der Paulskirchenatmosphäre hundertmal Gelesenes und Gehörtes, noch hundertmal wiederkäuen und wieder schreien zu hören. Man muß den Kelch bis zum letzten Tropfen, das heißt bis zur Abstimmung, austrinken, und weiß nicht einmal im Voraus, ob diese ihn zum zweiten Male anfüllen wird.

Nebenher die gerechte Furcht: daß die am Himmel umherziehenden „Schwärke“ sich zu einem furchtbaren Ungewitter zusammenziehen und unsere ganze Ernte zerstören werden. Geht die Versammlung ein auf die Vorschläge einiger unpraktischen Doktrinaire, so werden nicht blos die kleineren Fürsten mediatisirt, sondern vor Allen — Preußen. Es geräth nachgebend in die Knechtschaft eines unbekannten Obern; oder muß widersprechen und sich dazu ganz anders auf die eigenen Füße stellen, als das schwache Ministerium und der babylonische Landtag es vermögen. Die traurigsten Aussichten! weil so Viele die Einheit Deutschlands nur in ertödtender Centralisation sehen, und die Mannigfaltigkeit jedes höheren physischen und politischen Lebens nicht begreifen. Alle Zeichen dieser Lebenskraft werden unter dem Namen Sonderinteressen jetzt so in Verruf gethan, wie zuvor der Gedanke an ein einiges Deutschland in Krieg und Frieden, Handel und Wandel.

Ich bin heute (mit Ausnahme weniger Minuten) von ½9 bis 3¼ in der Paulskirche gewesen und rien que — Posen! Ruge begann mit aufgebauschten Redensarten (sesquipedalia verba) und einer aus halbverstandener Philosophie hervorgehenden, neuen Weltschöpfung. Hierauf sprach er unter Anderem den Wunsch aus: daß die Deutschen möchten in Italien geschlagen werden. — Deshalb erhob sich ein gewaltiger Lärm und als sich der Präsident endlich konnte verständlich machen, sagte er ungefähr: Die Äußerungen des Redners schließen einen halben Verrath in sich; doch bin ich außer Stande ihn wegen seiner bekannten Weltanschauung zur Ordnung zu rufen. Hierin sah der größte Theil der Versammlung eine Erklärung: Hr. Ruge sei unzurechnungsfähig. — Als man des endlosen Geredes überdrüßig: zum Schluß rief; sagte er: ich will so lange reden, bis sie sich zu meiner Überzeugung bekehren, — worüber große Heiterkeit entstand und sich Aussichten in die Ewigkeit eröffneten. — Spätere, mehr praktische Reden, brachten sehr schlagend ans Tageslicht, daß die Polen sich nicht scheuen, Unwahrheiten für ihre Wünsche auszusprechen, und Hrn. V—s stundenlange Drahtzieherei steigerte die Ungeduld so, daß die Berathung durch Stimmenmehrzahl geschlossen ward, und morgen abgestimmt wird. So bin ich der Gefahr entgangen schlecht zu sprechen, oder doch hinter den ausgezeichneten Rednern weit zurückzubleiben.

Als gestern ein polnisch Gesinnter anfing zu sprechen, verließ ein baierscher Abgeordneter den Saal, badete im Main, aß hierauf zu Mittag und mußte (in die Paulskirche zurückkehrend) hierauf den Redner noch 25 Minuten anhören. — Überhaupt werden die Reden nicht kürzer, sondern immer länger und Nestor ist ein Spartaner im Vergleiche mit dem jetzigen kürzesten Sprecher.

Diesmal ist von Seiten der Rechten auf namentliche Abstimmung angetragen worden. Man will wissen, wer von der Linken und von ultramontanen Katholiken, für die Aristokratie des polnischen Adels und für die Polen, gegen die Deutschen stimmt. Neben dem Beweise: Frankreich, das die Bruderhand darreiche, könne und werde die Deutschen nie bekriegen, geht ungestört der Beweis her: es werde sogleich Krieg erheben, wenn man die posener Deutschen (nach ihrem Wunsche und unter Zustimmung des Königs, des Bundestages und des Reichstages) in den deutschen Bund aufnehme, oder vielmehr die bereits erfolgte Aufnahme bestätige. Wie auf einer Schaukel wird Deutschland den Rednern einer Partei bald übermächtig, bald ohnmächtig, bald tollkühn, bald feige. Ich sehe täglich, wie viel leichter es ist, halbwahre allgemeine Grundsätze zuzustutzen, und durch leere bombastische Redensarten Eindruck zu machen, als eine Sache praktisch anzugreifen und einer Rede wahren, positiven Inhalt zu geben. Es ist eine wahre Wohlthat wenn man aus jener Dunst- und Wolkenregion, aus dieser Schaukelei und Bammelei zwischen Himmel und Erde, endlich einmal wieder festen Boden erreicht. Jeder Narreneinfall gilt den Narren mehr als die wahren Verhältnisse der Gegenwart und die ganze Geschichte der Vergangenheit. Jeder Schüler dieser Schule hält sich für einen begeisterten Propheten; und Wahres, Halbwahres, Irriges, Unmögliches, Gerechtes, Ungerechtes, Weises, Dummes wird so durcheinander gequirlt, daß Einem Hören und Sehen vergehen möchte: bis man den Muth faßt dreinzuschlagen und zu rufen: da liegt der Quark!

Den 27. Julius.

Über die Entstehung der gelben Reichscanarienwürde (dessen Inhaber ich in bildlicher Ähnlichkeit übersandte) sind mir zwei verschiedene, mythische oder geschichtliche, Berichte mitgetheilt worden. Nach dem ersten sahen sich die Wähler genöthigt ihrem Erwählten einen vollen Anzug machen zu lassen, und wählten dazu (der Ersparniß halber) ein Stück Zeug gleicher Farbe. Nach dem zweiten Berichte, muß von der Linken aus der Galerie ein Zeichen gegeben werden, wenn sie klatschen oder zischen soll. Dies Zeichen ward, von dunkeln Gestalten ausgehend, oft übersehen; deshalb gründete man die hellgelbe Reichscanarienwürde, und Mißverständnisse sind nicht mehr möglich.

Ich eile über die heutige, sehr wichtige sechsstündige Sitzung, kurzen Bericht zu erstatten. Zuvörderst erschrak ich als mir ein, von der äußersten Linken ausgehender Antrag in die Hände kam, wonach ein Ausschuß wegen Abschaffung des Cölibats sollte erwählt werden. In einem Augenblicke wo es von höchster Wichtigkeit ist, keine confessionelle Brandfackel zwischen die Parteien zu werfen, keine Sache in Anregung zu bringen zu deren Ausführung wir weder berufen, noch ermächtigt, noch im Stande sind, ließen sich selbst Männer zur Beistimmung verlocken, wie — u. s. w. Dieser Mißgriff ward auf der Stelle ausgebeutet um mehre Katholiken hinsichtlich der posener Angelegenheit umzustimmen, und Keiner konnte vorhersehen, daß die Gegner noch größere Fehler begehen, und dadurch die Sache in integrum herstellen würden. Um nicht über die Hauptfrage: die schließliche Aufnahme der deutsch-posener Abgeordneten mitzustimmen, erklärte die Linke bescheiden: die Sache sei nicht hinreichend aufgeklärt. Jeder sah aber den letzten Zweck ein, die dringend nothwendige Entscheidung ad calendas graecas zu verschieben. Als nur 139 für, und 333 gegen den Antrag stimmten, erklärte die Linke mit vermeintlich großem Rechte und großer Würde, sie werde über jene Hauptfrage nicht mitstimmen, sondern sich entfernen. Dieser Donnerschlag war aber ein kalter, und verblüffte Niemand. Diese Escapade, dieser Hinterthürrückzug befriedigte weder Polen noch Deutsche. Die Abstimmung entschied mit 342 gegen 31 Stimmen für die Aufnahme des deutsch-posener Antheils in den deutschen Bund, und die Zulassung seiner Abgeordneten. Der Sieg war entscheidend und als die linken Abgeordneten zurückkehrten (über ihren großen Mißgriff wohl zur verdrießlichen Klarheit gekommen) erhoben sie, ohne alle weitere Veranlassung, ein bestiales Geschrei (ich möchte glauben sie hätten sich in der Zwischenzeit betrunken). Man verstand kein Wort in dem Tumulte, und erst nach langem Gebrüll, hörte man, daß der Präsident ihr Betragen mit größtem Rechte als unwürdig bezeichnete. — Glänzend wie ein Sieger, stürzte Schaffrath auf die Rednerbühne und forderte: daß die Nationalversammlung erkläre, Polens Theilung sei eine Schmach, und seine Herstellung die heiligste Pflicht Deutschlands. Einen Augenblick lang waren nicht Wenige bedenklich, wie sie stimmen sollten; rasch aber liefen Erklärungen umher des Inhaltes: die Versammlung sei nicht berufen, über längst vergangene geschichtliche Thatsachen kritische Urtheile abzugeben, und für eine ungewisse Zukunft Versprechungen und staatsrechtliche Erklärungen zu ertheilen. Die namentliche Abstimmung, welche die Linke verlangte, ward (da dem ganzen Angriff die Spitze abgebrochen war) unweigerlich angenommen. 331 sagten muthig: Nein, und 101 Ja. — Nunmehr, ruft die Linke, ist die Versammlung todt und vor ganz Europa an den Pranger gestellt. Unbefangene werden dagegen einsehen: daß sie unbekümmert um sentimentale Regungen und poetische Wünsche, lediglich an ihrem jetzigen, staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Berufe festgehalten hat. Es ist ein Sieg der guten Sache, über wohlwollende oder böswillige Thorheiten.

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