Fünfunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 24. Julius 1848.

Von 9 bis ½3 Uhr habe ich heute geduldig der Berathung über die posenschen, oder polnischen Angelegenheiten zugehört; dann ging ich nach Hause und entbehre so, was Hr. V. des Breiteren darüber noch beigebracht hat. Wenn ich bedenke wie viel Zeit ich in meinem Leben auf Polen verwandte, wie viel Vorwürfe es mir zugezogen, wie viel Geld es (das Rektorat) gekostet hat, wie viel Bücher und Handschriften ich habe lesen, wie viel Sitzungen beiwohnen, wie viel Gespräche anhören müssen; — so erscheine ich wie ein wahrer Kreuzträger, den man wohl entschuldigen kann, wenn er nach 5½ Stunde Amen ruft. Und nicht einmal die Genugthuung wird mir für meine Anstrengungen zu Theil, auch einmal ein Wort über eine Sache zu sagen, worüber ich fast die wichtigsten Nachrichten aus den Archiven zu Tage gefördert. Denn erst hieß es: ich sei der 13. der eingeschriebenen Redner, nun bin ich plötzlich der 37. unter 65 (!!) — das heißt — schweige still. Um nun nicht an Redesehnsucht zu sterben, werde ich ein kurzes Argumentum niederschreiben und Euch schicken.

Ernsthaft gesprochen, muß ich behaupten oder einräumen, daß die heutige Verhandlung im Vergleich zu den berlinern, bewundernswerth war, und ich gewiß nicht so gut gesprochen hätte, als es von einigen Rednern geschah. Weit das Übergewicht der Gründe, des Inhalts, der Beredtsamkeit, war auf Seiten Derjenigen, welche wider den falschen Polenenthusiasmus und für die Deutschen sprachen. So gehörte eine Rede des Abgeordneten Goeden aus Krotoszyn zu den besten die ich in der Versammlung gehört. Noch mehr überraschte eine zweite Jordan’s. Sonst zur äußersten Linken gehörig, hat er sie heute mit der größten Geschicklichkeit bekämpft, ja bis jetzt aus dem Felde geschlagen. Er legte alle Mißbräuche des alten Polenthums kühn zu Tage, wies nach wie die Theilung möglich, ja nothwendig geworden, ein herrschender Adel kein Volk bilde, sentimentale Träume keine Politik wären, und das deutsche Vaterland und die Deutschen nicht, um der Polen willen, preiszugeben und zu verrathen seien. — Die Linke war überrascht, ich möchte sagen verdutzt; und was Blum und Vogt beibrachten, waren dagegen nur Worte über das polnische Himmelblau ins Blaue hinein gesprochen. — Ich glaube nicht, daß wir morgen schon zur Abstimmung kommen, obwohl gewiß das Wichtigste bereits gesagt ist. — So zieht sich hier Alles in die Länge, während meine Lebensdauer sich immer mehr verkürzt, und meine hiesige Wirksamkeit mir täglich unbedeutender erscheint. Meine Spreu, so überleicht sie ist, hat doch noch mehr Gewicht und ist noch eher ein Zeichen eigenthümlichen Lebens, als all mein hiesiges Laufen und Sitzen, Lesen, Reden und Schreiben!

Der Reichsverweser hat nicht daran gedacht sich selbst zum Oberbefehlshaber der deutschen Heere zu ernennen; vielmehr glaubt man bis jetzt: es sei am besten diese Stelle im Frieden unbesetzt zu lassen. Erst beim Ausbruch eines Krieges könne man wissen, wer in dem Augenblicke der tauglichste sei. Doch wird die Art von anerkennender Huldigung, welche der Reichsverweser von allen deutschen Heeren verlangt, in vielen Staaten schon große Unzufriedenheit erregen, wenn Form, Inhalt und Bedeutung nicht sehr geschickt erwählt und erklärt wird. — Noch mehr, und gerechten Anstoß, würde ein neuer Abschnitt des Verfassungsentwurfes geben, wie ihn Theoretiker entworfen haben. General Peuker (welcher jetzt nach seinem Wunsche den Berathungen des Verfassungsausschusses beiwohnt) hat das Verdienst darauf aufmerksam zu machen: Preußen werde sich in der bezweckten Weise nicht mediatisiren lassen, und das Ziel auf dem eingeschlagenen Wege nicht erreicht werden.

Gestern ward in der Reichsversammlung (trotz der langen und unnützen Vorberathungen) von den deutsch-posener Abgeordneten, eine große strategische Thorheit begangen. Die Meisten erklärten: sie wollten in dieser persönlichen Angelegenheit nicht mitstimmen; und doch war von ihren Personen gar nicht die Rede, sondern von dem Schicksale ihres Landes, welches zu vertreten sie doppelt verpflichtet waren. Sie gewannen durch diese falsche Großmuth auch nicht eine Stimme; sondern veranlaßten, daß sich die Mehrzahl der Versammlung gegen ihr Stimmrecht erklärte und vielleicht eine höchst unglückliche, folgenreiche Niederlage des deutschen Interesses herbeigeführt wird. Man wird dabei zu Muthe, als wenn ein Feldherr den Theil seines Heeres davonlaufen sieht, auf den er glaubte sich am meisten verlassen zu können!

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