III. Die Ziege.

Nachdem das Rind zum Haustier des Menschen erhoben worden war, kam als weiteres Nutztier die Ziege hinzu, bei deren Domestikation sich jedenfalls auch religiöse Motive geltend machten. Eduard Hahn macht in seinem Buch über die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen die Bemerkung, durch die ganze Ethnologie gehe die Anschauung, den Göttern sei das angenehmste Opfer dasjenige, das am schwersten zu gewinnen sei und am schmerzlichsten entbehrt werde. Bei den Assyriern und allen vorderasiatischen Völkern galt allgemein das eben der Mutter entrissene junge Tier als das wertvollste Opfer. Das Zicklein und die junge Antilope auf dem Arm des opfernden Königs kehren bei jenen in der Darstellung immer wieder, so daß obige Anschauungen als tief im Volksglauben eingewurzelt gelten können. Dieser grausame Zug machte vor dem Menschen selbst nicht halt, insofern man in schwierigen Lagen nicht zögerte, seine eigenen Kinder zu opfern. Man denke nur an das Molochopfer der Phönikier, die Opferung Isaaks durch Abraham, die allerdings durch göttliche Vermittlung abgewehrt und durch das Opfer eines Ziegenbockes abgelöst wurde. Daß solche Opfer insbesondere von erstgeborenen Söhnen als der Gottheit besonders wohlgefällige Darbringungen galten, beweisen verschiedene Tatsachen aus der morgenländischen Geschichte, von denen nur diejenige des um 850 v. Chr. lebenden Königs Mesa von Moab genannt sei, der uns in seinem einst in seiner Residenz Daibon aufgerichteten Altarstein, der 1868 vom Franzosen Ganneau aufgefunden wurde und jetzt sich im Louvre in Paris befindet, das älteste bis jetzt bekannt gewordene Schriftdenkmal semitischer Buchstabenschrift hinterlassen hat. Er berichtet darin, daß er den Israeliten die Stadt Nebo weggenommen habe und alle Bewohner, insgesamt 7000 Personen, tötete. Als er später von den Israeliten in seiner Hauptstadt belagert wurde und in arge Bedrängnis kam, opferte er, um seinen drohenden Untergang abzuwenden, auf der Stadtmauer im Angesicht der Feinde seinen ältesten Sohn.

Ebenso verbreitet als das Kindesopfer war die später von milder denkenden Generationen aufgebrachte Vorstellung, daß es die Gottheit ebenso sehr freue, wenn man das ihr gefällige Opfer, statt es zu schlachten, ihr weihe durch Freilassen in ihrem heiligen Tempelbezirke. So erzählt Älian, die Koptiten in Ägypten hätten die weiblichen Wildziegen, die sie gefangen, der Göttin geweiht, d. h. sie in deren heiligem Bezirke ausgesetzt, die Männchen dagegen geschlachtet. War einmal ein solch kleiner Bestand besonders weiblicher Tiere vorhanden, von denen wohl eine größere Zahl trächtig war, so waren sie, wie auch die von ihnen in der Gefangenschaft geborenen Jungen, als der Gottheit geweihte Tiere deren Eigentum, das der Mensch unter allen Umständen respektierte. So gewöhnten sie sich an den Menschen, der ihnen je und je Futter darbot und dafür sorgte, daß sie sich in der für sie kaum merkbaren Gefangenschaft ruhig vermehrten. Je nach Bedarf holte er sich dann ein Zicklein als Opfer für die betreffende Gottheit, der die Herde gehörte. Auch die Milch der Mutter wurde zu sakralen Zwecken verwendet und sank erst auf einer späteren, praktischer denkenden Stufe zum Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens herab. Ebenso wurde außer dem Fleisch, das nach und nach auch zu profanen Zwecken verwendet wurde, das lange Haar dieses Tieres zur Herstellung allerlei grober Gewebe, besonders der Zeltdecken des Nomaden, wie auch von Kleidern verwendet, da es viel wetterbeständiger ist und weniger Wasser aufsaugt als die Schafwolle.

Die Stammutter der ältest domestizierten Ziegen ist die im Hügel- und Bergland von Südwestasien heimische Bezoarziege (Capra aegagrus), an der H. Pohlig beobachten konnte, welch hohe Empfänglichkeit sie für den Anschluß an den Menschen besitzt. In Djulfa sah er eine Wildziege mit ihren beiden Jungen sich in einem Gehöft einnisten und sich so an diese neue Umgebung gewöhnen, daß sie von ihren Ausflügen pünktlich zur Fütterungszeit zurückkehrten. Das Verbreitungsgebiet dieser Wildziege erstreckt sich von Afghanistan und Beludschistan über die Gebirge Persiens, Syriens und Kleinasiens bis nach Griechenland, wo sie einst so gemein war, daß sie den Ägäischen Inseln (vom griechischen aix, Stamm aig, die Ziege) den Namen gab. Bevor sie der Mensch dort ausrottete, müssen sie auf den Küstenbergen des griechischen Meeres sehr gemein gewesen sein, wie etwa auf der Kyklopeninsel, von der es in Homers Odyssee heißt:

„Der Ziegen unendliche Menge durchstreift sie,

Wilden Geschlechts, weil nimmer ein Pfad der Menschen sie scheuchet.“

Daß sie damals vom Menschen eifrig gejagt wurden, ist begreiflich. So wird in der Ilias geschildert, wie der Schütze ihr auf dem Anstand auflauert, bis das Tier aus dem Felsenversteck hervortritt. Alsbald trifft es der Pfeil von unten in die Brust, so daß es sich überschlägt und die Felsen hinunterfällt. Sein Fleisch wird als willkommene Beute gegessen und das mächtige Gehörn zu einem starken Bogen verarbeitet.

Die Bezoarziege ist merklich größer als unsere von ihm abstammende Hausziege, die ihr übrigens besonders in der der Wildform noch sehr nahestehenden kräftig gebauten gemsfarbigen Varietät noch sehr ähnlich sieht. In beiden Geschlechtern besitzt die zahme wie die wilde Form einen starken Bart und ein unregelmäßig geknotetes, vorn scharf gekantetes, hinten gerundetes, sichelförmig nach hinten gekrümmtes, gegen die Spitze zu etwas zusammenstrebendes Gehörn, das beim Bock viel stärker als beim Weibchen entwickelt ist. Bei ihm erreicht es nämlich eine Länge von über 130 cm bei einem Umfang von nur 17–18 cm; bei der auch sonst kleineren Geis sind sie nicht nur viel kleiner, sondern auch nur schwach nach rückwärts gekrümmt. Sie stehen bei ihr am Grunde auch weiter auseinander als beim Bock. Im Winter ist der Pelz der Bezoarziege, der in kalten Klimaten weiches Unterhaar erhält, bräunlichgrau, im Sommer dagegen gelblich- oder rötlichbraun. Die Unterseite des Rumpfes und die Innenseite der Schenkel ist weißlich oder weiß. Alte Böcke sind blasser und am Hinterhals, auf den Schultern, an der Kehle und auf der Vorderseite der Beine mit Ausnahme der Kniee braun und weisen einen schwarzen Rückenstreifen auf, der bis zum Schwanz verläuft und ziemlich scharf abgegrenzt ist. Es sind dies alles Merkmale, die sich, wie auch die aufrecht gestellten Ohren, bei der ebenfalls ausgezeichnet kletternden gezähmten Bergziege in derselben Weise wiederfinden. Die Länge des ausgewachsenen Bockes beträgt bei der Bezoarziege etwa 1,5 m bei einer Schulterhöhe von 95 cm.

Tafel 17.

(Phot. von E. Reinhardt.)

Toskanisches Hausrind vor einen Holzpflug mit Metallspitze gespannt.

Kirgisisches Rindergespann vor einem primitiven Pflug.

Tafel 18.

Altägyptisches Relief des Alten Reiches aus Sakkarah (6. Dynastie, 2625–2475 v. Chr.) mit Darstellung einer Vogeljagd links und einer Ziegenherde mit ihrem Hirten rechts.


GRÖSSERES BILD

Tafel 19.

Von dem Assyrerkönig Tiglatpilesar III. auf einem syrischen Feldzug erbeutete Herden (8. Jahrhundert v. Chr.)
Oben links: Gefesselte Gefangene. Oben rechts: Eroberte Schafe und Ziegen. Unten: Anblick einer befestigten Stadt mit Dattelpalme und Sturmbock, im Hintergrund ein assyrischer Schreiber, der die erbeuteten Schafe und Ziegen aufschreibt. Im Vordergrund Ochsenkarren mit gefangenen Frauen und Kindern.


GRÖSSERES BILD

Tafel 20.

(Copyright by M. Koch, Berlin.)

Schraubenziege oder Markhor.

(Copyright by M. Koch, Berlin.)

Angoraziegen.

Die Bezoarziege bewohnt mit Vorliebe wüste, felsige Berge, wo sich ihre verschieden großen Herden gern an die Klippen und Schluchten halten. Sie ist sehr lebendig, klettert und springt mit bewundernswerter Sicherheit von einem Felsenkamm zum andern und scheint steile Felsenabhänge kaum zu beachten. Rasch und sicher läuft sie auf schwierigen Graten dahin und faßt sichern Stand auf dem kleinsten Felsvorsprunge, der sich ihr darbietet. Während der Paarungszeit, im November, kämpfen die Böcke hartnäckig und gewaltig um die Weibchen, die dann nach der Belegung im April oder Mai die Jungen zur Welt bringen, und zwar die jüngeren Ziegen eins oder zwei, die älteren stets zwei, nicht allzuselten auch drei. Diese folgen der Mutter sofort nach der Geburt, vom dritten Tage ihres Lebens an selbst auf den schwierigsten Pfaden, wachsen rasch heran und sind jederzeit zu Scherz und Spiel bereit.

Den Wildziegen wird von seiten des Menschen eifrig nachgestellt, da ihr Fleisch einen ausgezeichnet schmackhaften Braten liefert, der an Rehbraten erinnert und ebenso zart und mürbe wie letzterer ist. Es wird entweder frisch genossen oder, in lange, schmale Streifen geschnitten, an der Luft getrocknet, um es später verwenden zu können. Das im Winter erbeutete langhaarige Fell wird von den Orientalen mit Vorliebe als Gebetteppich benutzt und, weil man seinen scharfen Geruch angenehm findet, hoch geschätzt. Das kurzhaarige Sommerfell wird zu Schläuchen verwendet, die im Morgenland allgemein als Behälter für Wein oder Wasser an Stelle unserer dort unbekannten Holzfässer dienen, und das Gehörn zu Pulverhörnern, Säbelgriffen usw. verarbeitet.

Ihren Namen hat übrigens die Bezoarziege von dem früher auch bei uns berühmten, heute noch überall in Westasien bis Persien als eine Gegengabe gegen Gift geschätzten und als eine Arznei für viele Krankheiten betrachteten, gelegentlich in ihren Eingeweiden gefundenen Steine, dem Bezoarstein. Dieser stellt einen Gallenstein dar und war den alten Schriftstellern unter dem Namen Pasen bekannt, welche Bezeichnung offenbar aus Pasang hervorging, einer der männlichen Bezoarziege in Persien beigelegten Bezeichnung.

Der älteste und wichtigste Bildungsherd der zahmen Ziege aus der Bezoarziege ist jedenfalls Westasien, das ja von sehr alten Kulturvölkern bewohnt war, die am ehesten imstande waren, die Domestikation vorzunehmen. Überall treffen wir sie bei diesen seit der jüngeren Steinzeit als Haustier an. In Mesopotamien wurde sie zur assyrischen Zeit vielfach abgebildet. Daß sie damals schon sehr lange im Haustierstande verweilt haben muß, geht daraus hervor, daß sie bereits hängeohrig war. Im alten Ägypten erscheint sie ebenfalls häufig in bildlicher Darstellung. Wir sehen sie die zum Holzfällen ausziehenden Arbeiter begleiten und die Blätter der gefällten Sykomoren und anderer Bäume abfressen. Sie wird stets mit einem Bart und der Bock mit einem stattlichen Gehörn abgebildet. Etwa einmal wird ein Zicklein geschlachtet, an den Hinterbeinen am Geäst eines Baumes aufgehängt und mit dem Messer zerlegt, um einen willkommenen Braten zu liefern. Die Ziegenzucht muß im alten Ägypten einen großen Umfang besessen haben und trat weit vor die Schafzucht, was wir sehr wohl begreifen, wenn wir bedenken, daß die Bewohner des heißen Ägypten vom Beginn des dritten vorchristlichen Jahrtausends an nicht mehr Wollkleider, sondern die viel leichteren und angenehmeren weißen Linnenkleider trugen. Aus dem mittleren Reiche besitzen wir ein Dokument, worin einem Gutsherrn von seinem Oberschreiber 5023 Stück Vieh als Besitzstand angemeldet werden, worunter sich nur 924 Schafe, dagegen 2234 Ziegen und der Rest Rinder befinden.

Sagenhafte Überlieferungen, die weit vor die homerische Zeit zurückreichen, sprechen von einem Ziegenvolke, das von Kleinasien hervordrang und überall, wo es erschien, Angst und Schrecken verbreitete. Schälen wir den Grundgedanken der Sage aus der mythologischen Umhüllung heraus, so wird das wohl heißen, daß Griechenland die Hausziege in grauer Vorzeit von Westasien her erhielt. Hier wie überall sonst in den Mittelmeerländern hat sie als Begleiterscheinung einer primitiven Kultur willige Aufnahme und weite Verbreitung gefunden und in der Folge durch ihre Genäschigkeit und ausgesprochene Vorliebe für die Knospen und jungen Triebe von holzigen Gewächsen in Verbindung mit der Sorglosigkeit des sie haltenden Menschen als Verderberin des aufsproßenden jungen Waldes eine leider sehr verhängnisvolle Rolle gespielt.

In einer durch schlechte Haltung verkümmerten, kleinen Form treffen wir die Hausziege auch bei den neolithischen Pfahlbauern Mitteleuropas eingebürgert. Schon L. Rütimeyer wies darauf hin, daß in den Überresten der ältesten Pfahlbauten Ziegenreste viel häufiger als Reste des Schafes vorkommen, während dann mit dem Kulturaufschwung in der Bronzezeit das Verhältnis ein umgekehrtes wurde, d. h. die Ziegenzucht gegenüber der Schafzucht bedeutend zurücktrat, gleichzeitig aber auch die damals gehaltenen Ziegenrassen durch bessere Lebenshaltung größer und stattlicher erscheinen. Dieses Verhältnis in der Zucht beider Haustiere änderte sich hier auch in der Folge nicht. Wenn es auch noch zur Zeit Kaiser Karls des Großen viel Ziegen bei den Franken gab, so waren sie doch ziemlich weniger zahlreich als die Schafe. Dies drückt sich auch in dem uns erhaltenen Gesetzbuch der salischen Franken aus, laut dem das Schaf an Zahl die Ziege bedeutend überwog.

Bild 16. Ein zum Durchbohren der Felle gebrauchter Pfriemen der neolithischen Pfahlbauern der Schweiz, der aus dem Laufbein einer als Haustier gehaltenen Ziege verfertigt wurde. Auch Dolche wurden aus solchen Knochen hergestellt. (4⁄9 natürl. Größe.)

Bei den alten Griechen und Römern war die Ziege als Nutztier fast so beliebt als das Rind. Sie wurde besonders von der ärmeren Bevölkerung als Milch- und Fleischlieferant gehalten, wie sie ja heute noch die „Kuh des armen Mannes“ ist und als solche immer mehr zu Ehren gezogen zu werden verdient. Besonders in der älteren griechischen Zeit war die Ziegenzucht stark verbreitet. Zahlreiche uralte Namen, Abbildungen auf Münzen und die häufige Erwähnung in Sagen und in den homerischen Gesängen beweisen, daß ihr in älterer Zeit eine weit größere Bedeutung zukam, als später in der klassischen Zeit, da sich die Schafzucht wegen der Gewinnung der Wolle mehr in den Vordergrund drängte. Gleichwohl wurde sie auch dann noch häufig besonders von den Ärmeren gehalten und deren Milch nebst den Zicklein auf den Markt gebracht. Überall wurde die Ziegenmilch auch von der städtischen Bevölkerung gern genossen und aus dem Überschuß Käse bereitet. Der aus Spanien nach Rom gekommene römische Ackerbauschriftsteller Columella schreibt um die Mitte des ersten christlichen Jahrhunderts über das Halten von Ziegen: „Den Ziegenbock (caper) und die Ziege (capella) hält man für vorzüglich gut, wenn an ihrem Halse zwei sogenannte Glöckchen hängen und wenn der Kopf klein ist. Man sieht es auch gern, wenn das Haar glänzend und lang ist, so daß man es scheren und Mäntel für Soldaten und Matrosen daraus anfertigen kann. Es ist besser, wenn das Ziegenvieh keine Hörner hat, weil es mit ihnen nur Schaden anrichtet. Es bekommt oft Zwillinge, auch Drillinge. Zur Zucht wählt man vorzugsweise das stärkste Zicklein von Zwillingen, behandelt es im übrigen wie die Schaflämmer. Die Mutterziegen schafft man im achten Jahre ab. — Der Ziegenhirt muß ein rüstiger, ausdauernder Mann sein, der mit Behendigkeit über Felsen klettert, durch Wildnis und Dorngebüsch hindurchgeht, denn das Ziegenvieh ist rasch und kühn. Kann man die Ziegenmilch nicht frisch zur Stadt schaffen, so verwandelt man sie in Käse. Für den Handel macht man diesen von ganz frischer Milch, die man durch Lab (aus zerkleinerten Mägen) von Schaf- oder Ziegenlämmern zum Gerinnen bringt. Man setzt sie in die Nähe des Feuers, so daß sie warm, aber nicht heiß wird, gießt sie, sobald die Käseteile festgeworden sind und sich ausgeschieden haben, in dicht geflochtene Körbe und läßt die Molken ablaufen, was man noch durch aufgelegte Gewichte befördert. Dann nimmt man die Käse aus den Körben, bestreut sie mit pulverisiertem Salz und preßt sie nochmals. Dies geschieht 9 Tage hindurch, dann wäscht man sie mit reinem Wasser, legt sie an einen schattigen Platz so auf Horden, daß einer den andern nicht berührt, und bewahrt sie später, wenn sie mäßig trocken sind, an einem vor Luftzug gesicherten Orte auf.“

Columellas Zeitgenosse Plinius sagt in seiner Naturgeschichte, daß die Ziege in seltenen Fällen sogar 4 Zicklein bekomme und im Negerland 11, anderwärts aber meist nur 8 Jahre alt werde. „Kranke Augen kurieren sich die Ziegen selbst, indem sie eine Binsenspitze hineinstechen und sich so zur Ader lassen; die Böcke dagegen stechen sich einen Brombeerstachel hinein. — Mutianus erzählt ein merkwürdiges, von ihm selbst erlebtes Beispiel von der Klugheit dieser Tiere. Es begegneten sich nämlich zwei auf einer sehr schmalen Brücke, und da sie weder umeinander herum, noch zurück konnten, indem der Pfad zu eng und unter ihm ein brausender Waldbach war, der sie zu verschlingen drohte, so legte sich die eine nieder und die andere schritt über sie hinweg. — Nicht alle Ziegen haben Hörner; allein wenn sie da sind, kann man das Alter an der Zahl der Knoten erkennen. Die ungehörnten geben mehr Milch. Man sagt, die Ziegen sehen nachts so gut wie am Tage, und Leute, die am Abend schlecht sehen, müssen sich daher durch den Genuß von Ziegenleber heilen. In Cilicien und um die Syrten werden die Ziegen geschoren. Wenn die Sonne sich gesenkt hat, sollen sie sich auf der Weide so lagern, daß sie einander nicht ansehen, zu andern Tageszeiten aber so, daß sie sich ansehen, und zwar familienweise. Alle haben am Kinn einen Bart, und wenn man eine am Barte faßt und fortzieht, so sieht die ganze Herde staunend zu. Ihr Biß ist den Bäumen verderblich. Den Olivenbaum machen sie schon durch bloßes Lecken unfruchtbar und werden deshalb der Minerva nicht geopfert.“

In seinem Buche über die Landwirtschaft schreibt der gelehrte Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.), selbst Besitzer schöner Landgüter: „In den Gesetzen über die Kolonien steht geschrieben: Niemand soll Ziegen (capra) da weiden lassen, wo junge Bäume oder Sträucher stehen. An Saaten aller Art, namentlich aber an jungen Weinstöcken und Ölbäumen, können Ziegen gefährlichen Schaden anrichten. Um nun die Beeinträchtigung des Rebbaues durch sie zu sühnen, werden dem Gotte Bacchus, der den Weinbau erfunden, Ziegenböcke geopfert; der Minerva aber opfert man kein Ziegenvieh, weil es ihr wegen des Schadens, den es den Ölbäumen verursacht, verhaßt ist. Nur einmal im Jahre wird auf der Burg in Athen der Minerva eine Ziege geopfert, außerdem darf sich dort keine sehen lassen.“ Weiterhin bemerkt er, daß die Ziegen wie die Schafe in Herden von 50 bis 100 Stück gehütet werden, „doch haben sie die Eigenschaft, daß sie lieber in Wäldern und auf Bergen weiden als auf Wiesen; denn sie knuspern gern an Holzgewächsen. In einem großen Teile Phrygiens werden die Ziegen geschoren, weil sie lange Haare haben, und man verfertigt dort aus ihnen die sogenannten cilicischen Kleider. In Cilicien soll man zuerst die Ziegen geschoren haben.“ Schon Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. sagt in seiner Tiergeschichte, in Lycien schere man die Ziegen gerade wie anderwärts die Schafe, und Älian schreibt ca. 200 n. Chr.: „Tut man Ziegen zu einer Schafherde, so gehen sie voran und führen dieselbe. Orthagoras sagt in seinen Indischen Erzählungen, im Dorfe Koytha würden die Ziegen mit getrockneten Fischen gefüttert.“ Jedenfalls lassen sich diese Tiere unschwer an Fleischnahrung gewöhnen. So werden sie wie auch die Kühe auf Island vielfach mit getrockneten Fischen gefüttert. Daß die Ziegenhaare als Gespinstmaterial lange nicht so geschätzt waren als die Schafwolle, beweist die übrigens auch in den Episteln des Horaz vorkommende Redensart: über Ziegenhaare zanken im Sinne von: über Dinge zanken, die dessen nicht wert sind.

Bild 17. Von einem Hirten mit zwei Hunden getriebene Ziegenherde von einem altgriechischen (böotischen) Henkelbecher des Theozotos. (Im Louvre.)

Das lange Verweilen im Haustierstande hatte schon damals zu verschiedenen Rassen geführt und auch hornlose Arten hervorgehen lassen. So tritt zur Römerzeit neben der altangesessenen kleinen Hausziege noch eine zweite Form auf, die in den Kolonien der Nordschweiz mehrfach Reste hinterließ und offenbar ziemlich verbreitet war. Es ist dies eine zweifellos aus dem Mittelmeergebiet stammende, durch bessere Lebenshaltung größere Ziege von gleichfalls Bezoarziegenabstammung, mit bedeutend stärkeren Hörnern. Auch zeigen die Hornzapfen im Verlauf und in der Oberflächenbeschaffenheit deutliche Unterschiede, die sich auch späterhin genau verfolgen lassen. Sie begegnet uns außer auf altgriechischen Münzen in bildlichen Darstellungen, z. B. einer großen Silberpfanne aus Vindonissa von zweifellos römischer Arbeit in Gestalt einer großhörnigen, langbehaarten Ziege, die dann besonders zahlreich in Begleitung römischer Kultur in das Gebiet nördlich der Alpen eindrang. Hier hat sie sich wie der Molosserhund und das kurzköpfige Rind, die sich zum Bernhardinerhund und zum Eringerrind umgestalteten, als ein Relikt aus der Römerzeit ziemlich rein in den entlegenen Tälern des Oberwallis in der schwarzhalsigen Walliserziege erhalten, die ein ausgesprochenes Gebirgstier ist. Der kräftig gebaute Körper trägt in beiden Geschlechtern im Vorderkörper eine tiefschwarze, im Hinterkörper eine schneeweiße Behaarung, wobei die beiden Farben hinter der Schulter in senkrechter, scharfer Begrenzung zusammenstoßen. Die Klauen der Vorderfüße sind schwarz, diejenigen der Hinterfüße dagegen weiß. Der Rücken ist vollkommen gerade, der Hals und der Kopf kurz, die Stirne breit. Neuerdings wird diese Rasse vom Oberwallis aus stark nach Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich verbreitet.

Durch Zucht bedeutend weniger verändert und der Wildform noch recht nahe stehend ist die gemsfarbige Ziege von mittlerer Größe, dabei von kräftigem Bau. Ihr ganzer Körper ist mit kurzen, gemsfarbenen Haaren bedeckt, die auf dem Rücken und an den Schenkeln mitunter länger werden. Außer dem schwarzen Rückenstreifen sind Gesicht, Vorderbrust und Schultern ebenfalls dunkler gefärbt als der übrige Körper. Sie ist vorzugsweise eine äußerst geschickt kletternde Bergziege, die in den Zentralalpen sehr verbreitet ist, aber auch in anderen Gebirgsgegenden Europas, so in den Pyrenäen, in Süditalien, Griechenland, Bosnien und den Balkanländern, gehalten wird.

Während diese beiden Ziegenrassen der Wildform ähnliche Hörner tragen, ist die hornlose Ziege als Kulturrasse offenbar aus der vorigen hervorgegangen, und zwar schon im frühesten Altertum, da sie bereits von den alten Griechen und Römern gehalten wurde und als besonders milchergiebig galt. Diese zielbewußte Wegzüchtung des Gehörns ist hier wie beim Rind sehr wohl begreiflich; denn dem Menschen mußten die Hörner als Werkzeuge zu Zerstörung und Angriff bald unbequem sein, und außerdem wollte er den Organismus des von ihm vor allen Gefahren beschützten Haustiers vor aller Ausgabe von unnützem Bildungsstoff bewahren. Der mittelgroße Körper dieser hornlosen Ziege weist regelmäßige Formen auf mit verhältnismäßig langem Kopf, breiter Stirn und aufrechten oder etwas hängenden Ohren. An ihrem Halse kommen häufig glöckchenartige Anhängsel vor, die, wie wir hörten, bereits Columella erwähnt. Die Behaarung ist fein, am Rücken und Schenkel verlängert; die Färbung wechselt von Hellbraun bis zu Weiß. Stirn und Nasenrücken sind meist hellbraun, auch kommt ein dunkler Rückenstreifen vor. Diese Rasse ist in den schweizerischen Bergländern stark verbreitet. Am geschätztesten ist die Toggenburger Ziege von brauner Färbung, die aber als Rückschlagserscheinung bisweilen ein feines Gehörn besitzt. Dieser Schlag gilt als sehr milchergiebig und wird aus dem St. Galler Oberland stark nach Baden, Bayern, Sachsen und Holland exportiert. Die ebenfalls hornlose Saanenziege ist rein weiß oder gelblichweiß mit gleichfarbenem Flotzmaul und kommt in kurz- und langhaarigen Abarten vor. Sie stammt vom Oberlauf des Flüßchens Saane im Obersimmental (Berner Oberland) und hat sich über die ganze Schweiz verbreitet, da sie durchschnittlich 4 Liter Milch täglich gibt. Auch sie wird viel nach dem Auslande zur Aufbesserung der heruntergekommenen Stallziege oder zur Reinzucht exportiert. So wird sie in Reinzucht vom Ziegenzuchtverein in Pfungstadt gezogen und an Liebhaber in Deutschland verkauft.

Alle diese europäischen Rassen werden hauptsächlich der Milchnutzung wegen gehalten und verdienen in der Tat als Milchlieferanten der ärmeren Bevölkerung die weiteste Verbreitung. Da, wo sie das ganze Jahr im Stall bleiben und ohne sachgemäße Pflege behandelt werden, sind sie, besonders im Tiefland, weitgehend degeneriert. In den Mittelgebirgen dagegen, z. B. im Harz, wo sie wenigstens im Sommer auf die Weide getrieben werden, haben sich mit dem freieren, naturgemäßeren Leben schon bessere Schläge erhalten. Da aber, wo sie, wie in der Schweiz, den größten Teil des Jahres im Freien zubringen und im Gebirge, ihrem Lebenselement, herumklettern können und man ihrer Zucht von jeher größere Aufmerksamkeit schenkte, da treffen wir die weitaus edelsten, milchergiebigsten Rassen, die zur Reinzucht oder zur Auffrischung der verkommenen Schläge des Tieflandes die weiteste Verbreitung verdienen. Das hat man auch überall in Deutschland erkannt und handelt danach. Wenn es gelänge, durch Verbesserung des in Deutschland vorhandenen Ziegenmaterials von etwa 3 Millionen Stück einen Mehrertrag von auch nur einem halben Liter Milch pro Exemplar und Tag zu erzielen, so würde damit das Nationalvermögen in Deutschland nach Ulrich um nicht weniger als 30 Millionen Mark jährlich erhöht. Deshalb sollten nicht nur Private, sondern vor allem auch die Kommunen und der Staat zur Veredlung dieses so nützlichen Haustieres das ihrige beitragen.

Mit vollem Recht schreibt der Direktor des Berliner Zoologischen Gartens, Dr. Heck, im Tierreich: „In unserem Vaterland und den anderen europäischen Ländern ist die Ziege zwar überall zahlreich vorhanden, aber was sachgemäße Züchtung und Behandlung anlangt, neben dem Geflügel entschieden das am meisten vernachlässigte Haustier. In unserer zünftigen Landwirtschaft sieht man sie nicht so recht für voll an; die ‚Kuh des armen Mannes‘ nennt man sie halb scherzweise, halb verächtlich. Ich möchte aber diesen Spottnamen vielmehr als einen Ehrennamen in Anspruch nehmen: Kann es denn etwas Wichtigeres geben als ein milchergiebiges und billig zu haltendes Haustier für den kleinen Mann, den kleinen Bauer, den Handwerker und Tagelöhner auf dem Dorfe, den Fabrikarbeiter in der Vorstadt?! Gerade heutzutage, wo durch den Zustrom nach den Städten immer größere Massen des Volkes ins Proletariertum hinabsinken, das kein Heim mehr hat und nichts mehr sein Eigen nennt! Wie wohl täte die fette Ziegenmilch dem hohläugigen Armenkinde der Großstadt, das seinen Hunger notdürftig mit minderwertiger Abfallsnahrung stillen muß! Das ist freilich nicht zu verwundern, daß unter der ‚Pflege‘ der Armut bei kargem Futter, in schlecht verwahrtem Stall aus der Hausziege die fast sprichwörtliche ‚magere Zicke‘ wurde, deren Haltung kaum mehr lohnt; um so verdienstlicher ist es aber, wenn seit einigen Jahren landwirtschaftliche (Gräfin v. Mirbach-Sorquitten) und industrielle Kreise (meine Landsleute Dettweiler und Ulrich) die Bedeutung der Ziege für das Volkswohl erkannt und ihre Verbesserung energisch in die Hand genommen haben.“

Verhältnismäßig selten wird in Deutschland die Ziegenmilch zu Butter und Käse verarbeitet. Letzterer wird in Altenburg und anderswo, besonders auch in der Schweiz, in bis tellergroßen Scheiben von Fingerdicke auf den Markt gebracht und mit Kümmel und Salz gewürzt gegessen. Die bei der Gerinnung des Käsestoffs ablaufende zucker- und nährsalzreiche grünlichgelbe Flüssigkeit, die Molke, wird noch vielfach als Heilmittel für Brustkranke verwendet. Erwachsen kommt die Ziege als Schlachttier wenig in Betracht, obschon die Haut ein vorzügliches Leder für Damenschuhe und feinere Sattlerarbeiten liefert und die Därme für Saiten von Musikinstrumenten sehr gesucht sind. Schon Karl der Große befahl den Verwaltern seiner Güter, nicht bloß Herden von Milchziegen, sondern auch von Böcken zu halten, deren Hörner und Felle ihm abgeliefert werden sollten. Damals wurde auch das Fleisch der Böcke gern gegessen, teils frisch, teils aber geräuchert. Besonders aber dienten und dienen heute noch die Zicklein, soweit man sie nicht aufziehen will, als leckerer Braten. Außer dem trefflichen Fleisch liefern sie das beste Material für die Herstellung von Glacéhandschuhen, für die allein aus der Schweiz nach Frankreich, wo in Grenoble — dem alten Gratianopolis — in der Dauphinée das Hauptzentrum für diesen Fabrikationszweig besteht, jährlich etwa 300000 Stück ausgeführt werden. Die Ziegenhaare werden nur noch ausnahmsweise verarbeitet, dagegen dienen Ziegenfelle den Hirten auf Korsika und Sardinien als Bekleidung.

Überhaupt ist die Hausziege am stärksten im gebirgigen Südeuropa von Spanien bis Griechenland und Zypern vertreten und ist ihre Zucht hier in manchen Gegenden wichtiger als die Schafzucht. Auch in den Gebirgstälern der östlichen Karpathen, in Siebenbürgen, in den österreichischen, schweizerischen und französischen Alpen ist die Ziege ein gemeines Haustier. Nach Fankhauser beträgt in der Schweiz die Zahl der Stallziegen etwa 180000, der Herdgeißen, die täglich ausgetrieben werden, 164000 Stück und der während des Sommers in den Alpen gesömmerten Ziegen ungefähr 65000 Stück. In Süd- und Mitteldeutschland hat die Ziegenzucht in neuerer Zeit eine Zunahme erfahren, während sie in Nordeuropa in Abnahme begriffen ist. Ganz unbedeutend ist sie in England, etwas mehr in Schottland, reich dagegen in Irland vertreten. In Frankreich läßt sich ein Rückgang ihrer Zucht feststellen, mit Ausnahme der südlichen Departemente. In ganz Europa werden reichlich 20 Millionen Ziegen gehalten.

Wie in Europa finden sich die Ziegen von Bezoarabstammung auch in Nordafrika und Westasien. Im tropischen Afrika sind sie zu einer Kümmerform degeneriert, die wir als Zwergziege vom äußersten Osten bis zur Westküste in verschiedenen Schlägen antreffen. Einzelne derselben, wie besonders diejenigen Westafrikas, erinnern in ihrer Färbung ganz an unsere gemsfarbige Ziege. Ihre dem heißen Klima entsprechende kurze Behaarung ist rotbraun mit schwarzem Rückenstreifen und dunkler Schulterbinde; andere neigen stark zu Leucismus, wie die blendend weiße Somaliziege, die aber als Erbstück der Stammform sehr häufig einen schwarzen Rückenstreifen sowie eine über die Stirn und zwei über die Augen verlaufende dunkle Binden beibehalten hat. Alle diese Zwergziegen sind kurzbeinig und gehörnt, doch bleibt das Gehörn stets kurz. Ebenfalls ein kurzes, nach hinten und außen in einem Halbbogen verlaufendes Gehörn mit meist scharfer vorderer Kante hat die gleichfalls von der Bezoarziege stammende Mamberziege Westasiens, deren Ausgangspunkt vermutlich Syrien ist, von wo aus deren Zucht sich über den Orient verbreitete. Sie unterscheidet sich von allen anderen Ziegenrassen durch die ungeheuer langen Hängeohren, die die Kopflänge um das Doppelte übertreffen. Der gestreckte Kopf ist in der Stirngegend sanft gewölbt, der Hals ziemlich lang, der Leib von stattlicher Größe und hochgestellt. Die Behaarung erscheint am Kopf kurz, am übrigen Körper sehr lang, zottig und seidenartig glänzend. Die Färbung ist einförmig weiß, auch gelbbraun oder schwarz. Das Verbreitungsgebiet dieser Ziegenrasse, die offenbar schon sehr alt sein muß, da sie bereits Aristoteles bekannt war, erstreckt sich vom Mittelmeer bis nach Persien und Mittelasien hinein. Hier grenzt an sie eine andere, meist kleinere Ziegenrasse, die sich durch lange Behaarung und schraubenartiges Gehörn auszeichnet und sich damit als Abkömmling einer in den Bergen Afghanistans und Kaschmirs lebenden Wildziege, der Schraubenziege oder des Markhor (Capra falconeri) erweist. Es ist dies ein Gebirgstier von der Größe eines Steinbocks mit gerade verlaufendem, korkzieherartig gedrehtem, zweikantigem Gehörn, das eine Länge von 1,5 m erreicht und bei gewissen Varietäten nach hinten und außen gebogen ist. Das fahlbraune Haarkleid ist auf dem Rücken und am Vorderkörper stark verlängert. Ungleich den Steinböcken, die sich an die schwer zugänglichen Felsenlabyrinthe des Gebirges halten, liebt der Markhor Wälder mit felsigem Boden, in denen er sich so viel wie möglich versteckt; nur gelegentlich kommt er auf offenes Gelände hinaus. Wie andere Ziegen, gleich denen er in Herden lebt, hält er sich mit Vorliebe an steilen Felsklippen auf. In Afghanistan, wo Wälder meistens fehlen, wird er in steinigen Schluchten und an steilen Berglehnen gefunden, von wo ihn nur starker Schneefall den Tälern zutreibt. Er klettert vortrefflich und sein Weibchen bringt im Mai-Juni 1 oder 2 Junge zur Welt. Wiederholt hat sich der Markhor erfolgreich mit Hausziegen gepaart. Sein Verbreitungsgebiet erstreckte sich früher wahrscheinlich weiter nach Westen und reichte vielleicht bis zu den Bergen im Osten von Persien. Am frühesten tritt uns ein Abkömmling dieser innerasiatischen Wildziege in einem in Nordbabylonien ausgegrabenen Bronzekopf aus dem Anfang des zweiten vorchristlichen Jahrtausends entgegen. Auch aus späterer Zeit sind Darstellungen oft langhaariger Ziegen mit langem, schraubenartig gewundenem, geradem Gehörn und Bart auf uns gekommen, so auf Bildern aus der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrtausends, auf denen assyrische Krieger sie als Beute vor sich hertreiben. Durch ihre Schlappohren und die geringe Größe erweisen sie sich als weitgehend durch Domestikation veränderte Haustiere.

Diese Hausziege von Markhorabstammung drang dann mit der Zeit nach Syrien und Ägypten vor, erhielt sich aber hier nicht rein, sondern wurde weitgehend mit der Mamberziege gekreuzt. Diese Kreuzungsprodukte, die sich teilweise durch Mopskopf und außerordentlich lange Ohren auszeichnen, so daß letztere gelegentlich gestutzt werden müssen, damit sie die Tiere nicht am Weiden hindern, sind heute von Ägypten über ganz Vorder- und Mittelasien verbreitet.

In reiner Form hat sich die Hausziege von Markhorabstammung nur in der Kaschmirziege erhalten, die die eigentliche Hausziege Innerasiens ist. Auch sie ist gegenüber ihrem freilebenden Stammvater bedeutend kleiner geworden. Sie ist ein gefällig gebautes Tier von beinahe 1,5 m Gesamtlänge und 60 cm Schulterhöhe mit einer ihrer kalten Heimat Tibet entsprechenden dichten Behaarung. Ein langes, feines Grannenhaar überdeckt die kurze, flaumartig weiche Wolle. Die Färbung wechselt, ist oft einfach weiß, gelb, braun oder schwarz; häufig sind die Kopfseiten, der Hals und Kehlbart schwarz, die übrigen Teile des Körpers aber silberweiß. Der gestreckte Leib ist dick; der kurze Kopf trägt nicht sehr lange hängende Ohren und in beiden Geschlechtern Hörner, die beim Männchen sehr lang und wie bei der Stammform schraubenförmig gedreht sind, von der Wurzel an auseinanderweichen und in schiefer Richtung auf- und rückwärts, beim Weibchen dagegen fast gerade verlaufen. Ihr Stammland ist das Hochland von Tibet von Ladak bis Lhassa. Von da an reicht ihr Verbreitungsgebiet über Buchara bis zum Lande der Kirgisen einerseits und bis in die Mongolei andererseits. Neuerdings wurde sie auch in das Gebiet der Südabhänge des Himalaja nach Bengalen eingeführt. In Kaschmir selbst lebt sie nicht, sondern dort wird nur ihre aus Tibet stammende Wolle zu den feinen Kaschmirschals verarbeitet, die einst Weltruf besaßen und früher als ein äußerst gesuchter Handelsartikel in Menge exportiert wurden. Unter der Herrschaft des Großmoguls sollen 40000 Schalwebereien in Kaschmir bestanden haben. Doch sank dieser wichtige Erwerbszweig im Laufe des vergangenen Jahrhunderts so sehr herab, daß viele tausend Menschen, denen die Weberei ihren Lebensunterhalt verschaffte, aus Mangel an Arbeit aus dem Lande auswanderten.

Höchst schädigend auf diese Industrie wirkte die Tatsache, daß Frankreich vor etwa hundert Jahren die Fabrikation dieser feinen Wollwaren bei sich einführte. Der französische Arzt Bernier, der im Jahre 1664 im Geleite des Großmoguls Kaschmir bereiste, erfuhr als erster Europäer, daß zwei Ziegenarten, eine wild lebende und eine gezähmte, solche Wolle liefern. Ein einzelnes Tier liefert 0,3–0,4 kg brauchbaren Wollflaums. Am gesuchtesten ist das reine Weiß, das in der Tat den Glanz und die Schönheit der Seide besitzt.

Als Ternaux zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Schalweberei in Frankreich einführte, kam er auf den Gedanken, statt der teuren Kaschmirwolle die Kaschmirziegen selbst zu beschaffen. Zur Erreichung dieses Zweckes bot sich ihm ein gewisser Jaubert an, der sich 1818 nach Odessa einschiffte. Hier erfuhr er, daß die Nomadenstämme zwischen Astrachan und Orenburg Kaschmirziegen hielten; er reiste zu ihnen, überzeugte sich durch genaue Untersuchung des Flaums von der Echtheit der Tiere und kaufte 1300 Stück an. Diese Herde brachte er nach Kaffa in der Krim, schiffte sich mit ihr ein und landete im April 1819 in Marseille. Aber nur 400 Stück der Herde hatten die lange, beschwerliche Seereise ausgehalten, und diese waren so angegriffen, daß man wenig Hoffnung hatte, Nachzucht von ihnen zu erhalten. Namentlich die Böcke hatten sehr stark gelitten und gingen in der Folge auch tatsächlich ein. Glücklicherweise sandten darauf fast zu gleicher Zeit die französischen Naturforscher Diard und Duvaucel einen kräftigen Bock der Kaschmirziege, den sie in Indien zum Geschenk erhalten hatten, an den Tiergarten zu Paris. Er wurde der Stammvater all der zahlreichen Kaschmirziegen, welche gegenwärtig in Frankreich leben und diesem Lande jährlich 16 Millionen Mark einbringen. Von Frankreich aus kam dann die Kaschmirziege auch nach Österreich und Württemberg; doch erhielt sich leider hier die Nachzucht nicht.

Eine hochgezüchtete Form der langhaarigen Mamberziege, die, wie wir sahen, weitgehend Blut der Kaschmirziege in sich aufnahm, ist die Angoraziege, ein schönes, großes Tier von gedrungenem Körperbau, mit starken Beinen, kurzem Hals und Kopf, mit Hängeohren, aber nicht korkzieherartig gewundenem Gehörn, wie sie es als teilweiser Abkömmling der Kaschmirziege tragen könnte. Beide Geschlechter tragen Hörner. Die des Bockes sind scharf gekantet und hinten stumpf zugespitzt, stehen gewöhnlich wagrecht vom Kopfe ab und bilden eine weite, doppelte Schraubenwindung, deren Spitze sich nach aufwärts richtet. Das Weibchen trägt kleinere, schwächere, einfach gebogene, runde Hörner. Nur das Gesicht, die Ohren und der unterste Teil der Beine sind mit kurzen, glatt anliegenden Haaren bedeckt; der übrige Körper trägt eine überaus reichliche, dichte, feine, weiche, seidenartig glänzende, lockig gekräuselte Behaarung von meist gleichmäßiger weißer Farbe. Selten zeigen sich auf dem weißen Grunde dunkle Flecken. Im Sommer fällt das Vlies in großen Flocken aus, wächst aber sehr rasch nach. Französische Züchter fanden, daß ein Vlies zwischen 1,25 und 2,5 kg wiegt.

Ihren Namen trägt diese Ziegenrasse nach der kleinen Stadt Angora im türkischen Paschalik Anadoli in Kleinasien, der schon im Altertum hochberühmten Stadt Ankyra. Ihre Heimatsgegend ist trocken und heiß im Sommer, jedoch sehr kalt im Winter, obwohl dieser nur 3–4 Monate dauert. Erst wenn es keine Nahrung mehr auf den Bergen gibt, bringt man die Ziegen in schlechte Ställe; das ganze übrige Jahr müssen sie auf der Weide verweilen. Sie sind höchst empfindlich, obwohl die schlechte Behandlung nicht dazu beiträgt, sie zu verweichlichen. Reine, trockene Luft ist zu ihrem Gedeihen eine unumgänglich notwendige Bedingung. Während der heißen Jahreszeit wäscht und kämmt man das Vlies allmonatlich mehrere Male, um seine Schönheit zu erhalten. Die Zahl der in Anatolien gehaltenen Angoraziegen wird auf eine halbe Million geschätzt. Auf einen Bock kommen etwa 100 Ziegen und darüber. Angora allein liefert fast 1 Million kg Wolle, die einem Wert von 3,8 Millionen Mark entsprechen. Ein Teil davon wird im Lande selbst zur Herstellung starker Stoffe für die Männer und feinerer für die Frauen, sowie auch zu Strümpfen und Handschuhen verarbeitet, alles übrige geht nach England. Man hat beobachtet, daß die Feinheit des Mohairs, wie man diese Art Wolle bezeichnet, mit dem Alter seiner Erzeuger abnimmt.

Die erste Notiz, die auf Angoraziegen deutet, findet sich bei dem Venezianer Barbaro, der 1471 diese Ziegen bei Sert östlich von Diarbekr in Kleinasien antraf. Dort benutzte man deren Haare zur Verfertigung eines feinen Wolltuchs, des Camelots, dessen Name andeutet, daß es ursprünglich aus Kamelwolle hergestellt wurde. Dann hat Bellon um 1580 diese weiße Wollziege in der Nähe von Konia, dem alten Iconium, gesehen und erzählt 1589 in seinem in Antwerpen erschienenen lateinischen Werke, daß sie noch nicht geschoren, sondern nach dem älteren Verfahren gerupft werde. 1598 sah sie der deutsche Harant auf Zypern und sagt, daß es damals schon welche in Böhmen gab. Es scheinen dies nach Ed. Hahn die 1575 nach Wien gekommenen „Schafe von Anguri“ gewesen zu sein, deren Zucht dann in den Kriegswirren des folgenden Jahrhunderts unterging. Im 18. Jahrhundert hat sie dann ein Mitglied der fürstlichen Familie von Lichtenstein wieder eingeführt. 1725 hatten die Holländer sie am Kap der Guten Hoffnung zu akklimatisieren versucht; 1740 hatte man sie in Schweden, 1771 in der Pfalz und 1788 in Holland, England, Venezien usw. Zu derselben Zeit bemühte sich Buffon um ihre Einführung in Frankreich, und in Südrußland waren sie damals nach Pallas sogar sehr häufig. Aber alle diese Kulturen verschwanden später wieder spurlos, teils durch Entartung der Zuchttiere, teils aber auch weil die technische Verwendbarkeit der Haare nicht den hohen auf sie gestellten Erwartungen entsprach.

Weniger edle Zuchten der Angoraziege als im trockenen Hochland findet man an anderen Orten Kleinasiens bis in die Tartarei. Deren ebenfalls feines, langes Haar wird regelmäßig geschoren und hauptsächlich nach Konstantinopel ausgeführt und in europäischen Fabriken verwoben. Eine Abart davon wird in Persien von den dort häufig gehaltenen großen, schwarzen oder gefleckten Ziegen gewonnen, deren Wolle regelmäßig geschoren und zu Teppichen verarbeitet wird. Die Bergvölker verwenden zur Bereitung der von ihren Frauen gewebten Teppiche das Haar der sogenannten Murgüsziege. In ganz Innerasien wird, wie oben gesagt, die Kaschmirziege gehalten, deren langes Haar dort einen wichtigen Handelsartikel bildet. In Tibet und in der Mongolei dient das Tier auch als Transportmittel, indem man die Herden, mit Salz oder einem andern Handelsartikel beladen, langsam weitertreibt. Nach Norden hin verschwindet es und bildet bei den russischen Bauern in Sibirien nur eine untergeordnete Rolle, ist dagegen in den Kaukasusländern stark verbreitet. Seit dem Ende der 1880er Jahre gelangen als „japanische Ziegenfelle“ ziemlich große Felle der langhaarigen Mongolenziege über China zu uns.

Wie in Afrika ist die Ziege auch in Südasien ein wichtiges Haustier. In manchen Gegenden Ostindiens, wie besonders an der Malabarküste und bei den Malaien der Sundainseln, trifft man eine eigentümliche Ziegenrasse mit schafartigem Kopf, die von allen übrigen Rassen abweicht. Diese hat jedenfalls ziemlich viel Blut vom Tahr (Hemitragus jemlaicus) in sich, einer stattlichen, im Äußeren der echten Ziege sehr ähnlichen Halbziege, die im Himalaja in Höhen von 2000–2300 m lebt, aber in einer Abart auch auf den Blauen Bergen vorkommt. Dieses die hochgelegenen Bergwälder seiner Heimat bewohnende Tier erreicht eine Schulterhöhe von 0,9–1,0 m und eine Körperlänge von 1,45 m. Es hat einen langen Kopf mit schmalem, geradem Gesicht und schwach quergerunzelte, stark zusammengedrückte 0,3–0,38 m lange Hörner, die sich von der Wurzel an auseinander und stark nach rückwärts krümmen, an der Spitze jedoch einander etwas nähern. Es ist am Kopfe kürzer, am Körper länger behaart und trägt als alter Bock eine zottige Halsmähne. Die dunkelbraune Färbung geht im Gesicht und an der Vorderseite der Gliedmaßen fast in Schwarz über, auch läuft ein dunkles Längsband über den Rücken. Junge Tiere sind graubraun. Gleich den echten Ziegen bildet auch der Tahr Herden, in denen sich die im Winter paarenden Tiere, deren Weibchen im Juni oder Juli in der Regel je ein Junges werfen, den größten Teil des Jahres über nach den Geschlechtern getrennt halten. Da er sich leicht mit der Hausziege paart und, wie mehrfache Versuche ergaben, unschwer zu zähmen ist, ist das Auftreten von Bastarden, die zu neuer Rassenbildung führten, durchaus verständlich. Ein solches Produkt ist die von Ostindien bis Celebes gehaltene Malaienziege, ein hochbeiniges Tier mit entschieden schafartigem Kopf, breiten, hängenden Ohren und einem mäßig langen, im Bogen sich nach hinten wendenden, auffallend dicken Gehörn mit gerundeten Kanten. Die Querwülste der Hornscheiden erscheinen regelmäßig, breit und niedrig. Der wie derjenige des Tahr dunkelbraune, kurzbehaarte Kopf mit schwarzer Stirnbinde und kastanienbraunen, schwarz eingefaßten Ohren trägt lichtgelbbraune Augen, während der Leib schwarz oder schiefergrau gefärbt und bald kurz, bald lang und zottig behaart ist. Derselben Rasse gehört offenbar auch die kreuzhörnige Ziege von Tibet an, bei welcher sich die Hornspitzen nach innen wenden.

Amerika hat seine Ziegen durch die Europäer erhalten, und zwar waren Spanier und Portugiesen, dann Engländer und Franzosen an deren Import beteiligt. Erstere haben sie aus ihrer Heimat nach Südamerika, letztere dagegen nach Nordamerika gebracht. Nach Garcilasso kamen sie bereits 1544 nach Peru. Bedeutend früher waren sie in Mexiko eingeführt, das heute besonders in den nördlichen Staaten Ziegen in großer Zahl züchtet, um deren an der Luft getrocknetes Fleisch und Felle in den Handel zu bringen. In den Vereinigten Staaten ist die Ziegenzucht beschränkt, doch hat sich neuerdings in Kalifornien die Angorazucht eingebürgert. Auf den Antillen wird neben der von den Spaniern importierten gemeinen Hausziege auch die von den Negersklaven aus Westafrika mitgebrachte Zwergziege, die dem Tropenklima gut angepaßt ist, gehalten. Ebenso ist es in Brasilien, wo die Zwergziege, wie ihre westafrikanische Stammutter, kurzgehörnt ist und glatt anliegendes gelbrotes Haar besitzt mit einem über den Rücken verlaufenden schwarzen Streifen. Peru hat auffallenderweise heute nur wenig Ziegen, dagegen sind sie in den gebirgigen Teilen Chiles und Argentiniens zahlreich und hat dort die Verwertung von deren Fleisch und Fellen einen ziemlichen Umfang angenommen.

Australien hat sein Ziegenmaterial erst zu Ende des 18. Jahrhunderts, um 1788, zuerst aus Europa, dann aus Südasien erhalten; neuerdings hat man dort auch Versuche mit der Einbürgerung der Kaschmir- und Angoraziege gemacht, die im gebirgigen Südwesten von Erfolg begleitet waren. Sehr gut eingelebt hat sich die Angoraziege in Neuseeland, deren Bergweiden ihr vortrefflich zusagen. In den letzten Jahren hat sich der Export ihrer Wolle aus jenem Lande bedeutend gehoben.

Da sich die Ziege gegenüber dem Schaf durch größere Selbständigkeit auszeichnet, ist es erklärlich, daß sie sich gern selbständig macht und dann verwildert. Als geschickt kletterndes Gebirgstier weiß sie sich dabei geschickt den Verfolgungen von seiten des Menschen zu entziehen. So gab es schon im Altertum wie heute noch verschiedene schwach oder gar nicht von Menschen bewohnte Inseln im Mittelmeer und im Persischen Meerbusen, ebenso manche Gebirgsgegenden des Festlandes, die von solchen verwilderten Ziegen bewohnt waren. So spricht Varro von wilden Ziegen der Insel Samothrake, wie auch von den Gebirgen von Fiscellum und Tetrica in Italien, die zweifellos nur verwilderte Hausziegen und keine wildlebenden Bezoarziegen waren. Verschiedene der ägäischen Inseln und der Italien umsäumenden Eilande bargen schon im Altertum solche verwilderte Ziegen; von andern, die ihren Namen davon erhielten, wie Capreae (das heutige Capri) und Capraria (das heutige Capreja bei Sardinien), sind sie heute verschwunden. Auch die von Garibaldi nach seiner Internierung 1867 zurückgelassenen Ziegen traf Heinrich v. Maltzan schon nach kurzer Zeit verwildert. Die meisten wilden Ziegen von allen Mittelmeerinseln hat die nicht beständig von Menschen bewohnte kleine Insel Tavolara bei Sardinien, auf der nach Cetti bei Jagden im 18. Jahrhundert bis 500 Stück erlegt wurden. Auch in Irland und Wales verwilderten in manchen Gebirgsgegenden Ziegen, die dann in wenigen Generationen viel größere Hörner als ihre zahmen Ahnen erhielten.

Von den afrikanischen Inseln sind eine ganze Reihe mit verwilderten Ziegen besetzt. Die ältesten sind wohl diejenigen von Teneriffe, wo sie die Flanken des Vulkanberges bewohnen und die dunkelbraune Farbe des dortigen Gesteins angenommen haben. Von Fuerteventura, einer andern der Kanaren, erwähnt sie J. v. Minutoli. Älteren Datums sind auch die verwilderten Ziegen der Kapverden, die schon im Jahre 1576 sehr zahlreich waren. Der Naturforscher der Challengerexpedition, Moseley, traf sie auf St. Vincent; auch dort hatten sie die Farbe des umgebenden Gesteins angenommen und waren rotbraun geworden. Bald nach der Entdeckung setzten Portugiesen — vielleicht 1509 Fernan Lopez — Ziegen auf St. Helena aus, wo sie sich sehr rasch vermehrten, so daß ein Einsiedler im 16. Jahrhundert deren jährlich etwa 500 schoß, um von ihrem Fleisch zu leben, während er die Felle an ankehrende Segler verkaufte. Thomas Herbert erzählt 1627, daß sie durch die beständigen Nachstellungen von seiten des Menschen ungemein scheu und vorsichtig geworden waren und, wie ihre wilden Vorfahren, Wachen ausstellten. Zweifellos haben sie neben den verwilderten Schweinen das meiste dazu beigetragen, nachdem diese Insel des einst sie bedeckenden Waldes vom Menschen beraubt war, durch beständiges Abnagen der Knospen und jungen Triebe den jungen Nachwuchs zu zerstören, so daß kein Baumwuchs mehr aufkam und das Eiland zu dem öden Felsen wurde, als der er uns heute entgegentritt. Auch Tristan da Cunha, Inaccessible, Mauritius, Réunion (schon 1691 bei der Anwesenheit Leguats), die kleine verlassene Inselgruppe Amsterdam und St. Paul, wie auch Sokotra bergen in den Gebirgen des Innern verwilderte Ziegen, die vollkommene Wildfärbung mit Ausmerzung aller hellen Töne angenommen haben. Gleicherweise gibt es in der Inselwelt der Südsee da und dort verwilderte Ziegen, so u. a. am Mauna Loa auf Hawaii, noch von Vancouver herrührend. Besonders bekannt sind die verwilderten Ziegen auf der Insel Juan Fernandez durch Defoes Robinson geworden. Diese waren von Juan Fernandez selbst bei der Entdeckung der Insel im Jahre 1563 ausgesetzt worden. Durch diese Wildziegen bot die Insel in der Folge allen möglichen Piraten- und Kaperschiffen eine bequeme Ruhe- und Verproviantierungsstation; so haben sie auch dem Urrobinson Alexander Selkirk, dem Seefahrer Dampier und andern Fleisch geliefert. Im 17. Jahrhundert sollen französische Seeräuber dort sogar einen regelrechten Herdenbetrieb eingerichtet haben. Um den Piraten diese angenehme Fleischversorgung abzuschneiden, setzte die spanische Regierung 1675 Hunde auf der Insel aus, die sich aber nicht bewährten; denn die Ziegen flüchteten sich in die unzugänglichsten Teile der Insel, wohin ihnen die Hunde nicht folgen konnten. Als dann die Hunde durch Nahrungsmangel umgekommen waren, vermehrten sich die Ziegen wieder ungestört. Sie sollen lange, weiche Haare besitzen. Auch auf der Schwesterinsel Masa fuera gibt es verwilderte Ziegen. Auf den Galapagos sind sie, durch die dort vorhandenen wilden Hunde beschränkt, nur gering an Zahl. Auf den Falklandsinseln, wo es wilde Pferde und wilde Rinder gibt, die aus einer von Argentinien ausgesandten verunglückten Kolonisation hervorgingen, fehlen wilde Ziegen, da die Spanier bei der Besiedelung der Insel offenbar keine solchen mitgebracht hatten.

Da die Ziege durch ihre besondere Neigung zu Knospen und jungen Trieben von Holzgewächsen überall dem Waldnachwuchse verhängnisvoll wird, sah sich schon 1567 das Parlament von Grenoble gezwungen, in einem großen Bezirk der Dauphinée das Halten der Ziegen ganz zu verbieten. Doch war diese Maßregel undurchführbar, da die Leute dort eben einfach nicht ohne die Ziege und deren Milch leben können. So ging die Waldzerstörung ruhig weiter, bis die ganze Gegend zu jener kahlen, alles Kulturlandes baren Felswildnis wurde, die zu verhängnisvollen Überschwemmungen und Murbrüchen Veranlassung gab. Auch in Italien, Istrien, Griechenland, Kreta, Zypern, Kleinasien und Syrien, die einst reichbewaldete Gebiete waren, ist der Baumwuchs durch die Sorglosigkeit des Menschen verschwunden. Und wenn auch da, wo infolgedessen der Humus nicht weggeschwemmt wurde, neuer Wald wachsen könnte, kommt er überall dort nicht auf, wo die Ziegen weiden und die jungen Baumpflanzen zugrunde richten.

Außer den drei genannten ist keine der andern, übrigens auf die gebirgigen Gegenden der Alten Welt beschränkten Wildziegen gezähmt und in den Dienst des Menschen gestellt worden. Einzig der Steinbock (Capra ibex), der in unsern Alpen auszusterben droht, ist mit der Hausziege gekreuzt worden, um sein Dahinschwinden aufzuhalten. Alle Steinbockarten der europäischen wie der asiatischen Gebirge haben als echte Hochgebirgstiere ihren Ausgang von Hochasien genommen, wo der sibirische Steinbock (Capra sibirica) der Stammform wohl am nächsten steht. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich über das sämtliche Hochgebirge Zentralasiens von Sibirien bis zum Himalaja. Das Steinwild bildet Rudel von verschiedener Stärke, zu denen sich die alten Böcke nur während der Paarungszeit gesellen, während sie den übrigen Teil des Jahres ein einsiedlerisches Leben führen. Die Ziegen und Jungen leben zu allen Jahreszeiten in einem niedrigeren Gürtel als die Böcke, bei denen der Trieb nach der Höhe so ausgeprägt ist, daß sie nur Nahrungsmangel und grimmige Kälte zwingen kann, tiefer herabzusteigen. Mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und geradezu unverständlicher Sicherheit klettern sie über die steilen Felswände und springen über tiefe Abgründe von einer Klippe zur andern.

Früher, als es noch Steinböcke in unsern Alpen gab, paarten sie sich nicht selten freiwillig mit den auf den Alpenweiden grasenden Hausziegen. Die so erzielten Bastarde werden bald äußerst wilde, zudringliche Tiere, die dem Menschen keine Ruhe lassen, bis er sich ihrer auf irgend welche Weise entledigt. Aber selbst das Aussetzen dieser starken Tiere hat seine großen Schwierigkeiten. Echte Alpensteinböcke gibt es nur noch in einem vom Könige von Italien gehegten savoyischen Revier zwischen Monte Rosa und Mont Blanc. Nach den Kulturüberresten der Pfahlbauzeit lebte er damals noch in den Voralpen. Zur Römerzeit konnten noch hundert und mehr auf einmal für die Kampfspiele der Arena lebendig gefangen werden. So berichtet Julius Capitolinus, daß Kaiser Gordian im Jahre 242 für die Jagdspiele 200 Steinböcke (ibex) aus den Alpen nach Rom schaffte, und bei Flavius Vopiscus lesen wir, daß Kaiser Probus (reg. 276–282) zu den Jagdspielen zahlreiche Steinböcke nach Italiens Hauptstadt befördern ließ. Durch die rücksichtslose Jagd seit Erfindung der weitreichenden Schießgewehre ist dieses edle Wild heute fast überall ausgerottet worden. Seit hundert Jahren ist es in der Schweiz erloschen; in Salzburg und Tirol verschwand es noch ein Jahrhundert früher.

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