Das Haus auf der Höhe.

Auf sonniger Bergeshöhe steht ein Haus. Zur Morgenstunde leuchtet es mit seinen röthlichen Holzwänden und seinen hellen Fensterscheiben freundlich nieder in das thaufrische Thal, wo zwischen den Wiesen und silberweiß schimmernden Weidenbüschen der dunkle Forellenbach hinzieht, und wo das Dorf liegt. Zur Morgenstunde hängt stets ein bläulicher Aetherschleier über dem Dorfe, aber die schlanke Kirchthurmspitze ragt heraus und läßt ihr vergoldetes Kreuz in der Sonne funkeln. Und wer nicht Augen hat, diesen Strahlengruß zu sehen, der hat wohl Ohren, das Morgenlied der Glocke zu vernehmen.

Zwei Männer, die aus dem Thale langsam gegen das Haus auf der Bergeshöhe emporsteigen, hören den Glockenklang und ziehen ihre spitzigen Hüte ab. Ein vorgeneigtes Greisenhaupt und ein nach rückwärts strebender strohlichter Lockenkopf sind es, die im Gehen ihre Morgenandacht verrichten und sich fromm einschließen in des Pfarrers Messe, deren Beginn die Glocke eben verkündet hat. Die beiden Männer haben mit einander eben nichts zu sprechen, und so überläßt sich jeder seinem Gebete. Der Alte ist demüthig, blickt zur Erde, zuweilen auch ein wenig nach rechts und links, denn es verlangt ihn zu wissen, wie die Saaten grünen. Der[S. 110] Kopf mit den Strohlocken richtet seine großen Glotzaugen und seinen halboffenen Mund geradewegs zum Himmel hinauf; da oben fliegen und zwitschern die Meisen und die Amseln, und er, der Strohlockenkopf erwirbt sich durch Vögelfangen sein Kegelschiebgeld und seinen Bruderschaftsbeitrag zum Jünglingsverein.

In solcher Andacht versunken, langten sie endlich oben am Hause an.

Das Haus stand auf freier Höhe und lehnte sich rückwärts an einen sanft abfallenden Tannenwald. Es war weder Stall noch Scheune da; ein kleiner Garten umgab den Bau und gegen die Morgenseite hin blühten Büsche und ragte eine Eiche. Das Haus war in dieser Gegend ganz seltsam: es war weit geschmackvoller als andere Menschenwohnungen der Gegend, und doch wieder viel einfacher als die Landhäuser der Reichen. Es war mit keiner dieser Gattungen vergleichbar. Das Haus ragte hoch, hatte an den Fenstern und Thoren feingeschnitzte Zieraten, nach Art korinthischer Säulen mit schön durchbrochenen Gesimsen. Die Fenster waren schmal und hoch, das Dach aus glatten Schindeln flach und luftig; gegen Mittag hin stand ein erkerartiger Söller hervor, mit festen Seitenwänden wohl verwahrt, mit einem Kranzgesimse in dorischer Form überbaut. Das Haus stand wie ein Tempel.

Wie die beiden Männer bisher ihr Haupt entblößt hielten, so bedeckten sie es jetzt, da sie in diesen Tempel traten.

War aber doch kein Tempel, war theils ein bequem und zweckmäßig eingerichtetes Wohnhaus, theils eine Künstlerwerkstätte.

An den Wänden standen Statuen aus Holz in allen Gestalten und Größen; mitten im Raume ragten Klötze, halbfertige Schnitzwerke, ihrer völligen Vollendung harrend.

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An einem solchen Klotz stand der Bildner, ein schier gebeugter, aber doch behendiger Greis mit schneeweißen Locken, starken weißen Augenbrauen und mit frischrothen Wangen. Auf diesem Antlitze hatte der Meißel des Schicksals den Ausdruck stiller Freude und Befriedigung, aber auch den Zug einer schweren Vergangenheit und den ehernen Hauch eines starken selbstbewußten Geistes eingegraben.

Als die beiden Männer aus dem Thale eintraten und einen christlichen Gruß sagten, zog der Bildner sein Käppchen vom Haupte. Aber die Ankömmlinge thaten nicht desgleichen, diese ziehen ihre Hüte nur vor dem lieben Herrgott und vor dem Herrn Pfarrer.

Der Bildner wies ihnen in der Nähe der Wandfiguren Sitzplätze an; das Grauhaupt nahm den seinen sofort in Beschlag, der junge Gelblockenkopf aber stand ganz verlegen und wendete sich und wußte nicht, wo er sein erröthendes Gesicht hinthun sollte.

„Nu, Steff!“ sagte das Grauhaupt, und das Wort war ein Ermahnen zum Platznehmen.

„Na,“ versetzte der Bursche, weinerlich lächelnd, „da setz’ ich mich nicht hin, ich nicht. Das ist schon gar aus der Weis’! – So – hell mutternackt!“

Wie konnte nur Meister Eman dem jungen unverdorbenen Kirchensteff, der zur Bruderschaft des heiligen Aloisius zählte, zumuthen, neben der capitolinischen Venus Platz zu nehmen! Indeß bemerkte der Bildner lächelnd sein Fehl, und in der Nähe einiger Kobolde und ziegenfüßiger Faunen fand sich eine prächtige Sitzstelle für den jungen Mann.

„Was verschafft mir nur heute den Besuch?“ fragte der Bildner.

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„Gelt, das ist zum Verwundern!“ rief das Grauhaupt und rieb sich vergnüglich einigen Erdstaub von seinem Zwilchärmel, denn er war der Todtengräber. Aber nicht in dieser Eigenschaft war er heute zu dem Hause des Bildners emporgestiegen, sondern in jener seines zweiten Amtes, denn er war auch Kirchenvater, d. h. der Mann, der nebst dem Pfarrer die Aufsicht über die Dorfkirche führte und an Sonn- und Feiertagen als Meßner waltete.

„Schaut, Meister Eman,“ sagte er schmunzelnd, „ein Grabkreuz brauch’ ich diesmal nicht, und redlich herausgesagt, Meister, die Grabkreuze macht Er nichts nutz. Mehr Blut muß auf die Herrgötteln kommen, viel mehr Blut; und die armen Seelen im Fegfeuer läßt Er ganz und gar aus. Hätt’ Ihm auch sagen mögen, daß sich ein Bildniß, wie Er es auf Seiner Gottseligen Grab gestellt, in einen christlichen Friedhof gar nicht reimt. Geht mich aber insoweit nichts an; und wir wissen es allmiteinand’, der Meister kann Seine Sach’ schon auch gut machen, wenn Er nur will. Wir bringen Arbeit, Meister.“

Der Meister lächelte ein wenig über den bevormundenden Ton des Kirchenvaters, und da er von den Leuten vollständig unabhängig war, so ließ er sich derlei Bemerkungen um so gleichgiltiger gefallen. Nun hatte er seinen Schnitzer beiseite gelegt und sich dem Grauhaupte gegenübergesetzt.

„Ja, ja,“ sagte der Kirchenvater und schlug seine flache Hand auf die Lederhose des Oberschenkels, daß es klatschte, „das ist eine verzweifelte Geschichte, jetzt; wir brauchen eine neue schmerzhafte Mutter Gottes auf unseren Hochaltar. Die alte ist schon caput über und über. In drei Tagen ist Frohnleichnam, mag Er uns bishin eine schaffen?“

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Der Meister zwinkerte mit den buschigen Brauen, hob langsam seine Stirne empor, daß sich das Gesicht erklecklich verlängerte und über die Schläfe scharfe Runzeln zog.

„Drei Tage arbeitet der Schneider an einer Joppe,“ sagte er hierauf.

„Halt nu,“ brummte der Kirchenvater, „wenn der Meister meint, daß Er in drei Tagen nicht fertig werden kann mit der Schmerzhaften, so hat’s ’leicht wohl Zeit bis zum Sonntag.“

„Mein sehr guter Vetter,“ entgegnete der Meister in der landesüblichen Redensart, „unfertig kommt nichts aus meinen Händen, denn die Dinge, die wir als Bildnisse aufstellen, halten länger als ich, als Ihr, als das jüngste Knäblein Eurer Gemeinde. Und wehe Dem, der Aergerniß giebt einem kommenden Geschlechte! Wenn ich bereit bin, die Arbeit zu übernehmen, so kann das Frauenbild bis zur Weinachtszeit hin fertig werden.“

Schier sprachlos war der Kirchenvater. Da ergiff sein Sohn, der Steff, das Wort, und meinte, gut Ding brauche Weile, und man müsse halt einstweilen den Fastenschleier über die Mutter Gottes hüllen, denn es sei schon gar alles Gold weg von ihrem Rock, und von den sieben Schwertern in ihrer Brust seien fünf schon armselig abgebrochen; in solchem Zustande, das sei wohl einzusehen, könne sie sich nicht mehr länger ansingen lassen.

„Liebe Leute,“ sagte nun der Bildner, „wenn ich das Bildniß schnitze, so soll es, so weit das in meinen Kräften steht, ein Kunstwerk werden. Ein einfaches, würdiges Bild, die Gestalt einer glorreichen Himmelskönigin und demüthigen Jungfrau zugleich; ein Bild, das die frommen Beter mit Andacht und Liebe erfüllt.“

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„Und der sieben Schwerter wegen wollt’ ich noch sagen,“ meinte das Grauhaupt, „wenn sie halt thäten vergoldet werden; die Ottenkircher haben es auch so.“

„Soll ich das Bild verfertigen,“ sagte der Meister nicht ohne Nachdruck, „so werden die Schwerter ganz wegbleiben. Der Schmerz der Gottesmutter soll in der Stellung der Gestalt und auf dem Antlitze ausgedrückt sein.“

„Eine Schmerzhafte ohne Schwerter!“ rief der Kirchenvater aus.

„Wohl,“ sagte der Meister, „die alte Darstellung mit den sieben Messern in der Brust ist albern und lächerlich, abgeschmackt im höchsten Grade – läßt sich mit der Kunst nimmer vereinen.“

„Thäten aber doch bitten,“ versetzte das Grauhaupt, „thäten ja die Ueberkosten gern extra bezahlen –“

„Eine solche Bestellung lehne ich dankend ab,“ sagte der Bildner und erhob sich; „wollt Ihr Fratzen haben auf Euren Altären, so seid Ihr bei mir am unrechten Mann.“ Sein Gesicht war dunkelroth, das Künstlerthum in seiner Seele war beleidigt.

Die Männer aus dem Dorfe schlichen achselzuckend davon.

Der Meister meißelte an seinem Lindenholze weiter. Aber nicht lange. Sein Arm zitterte, er legte das Werkzeug aus der Hand und starrte auf die Statuen hin, die an den Wänden aufgestellt waren. Der ganze sinnenlebendige Mythus der Griechen war hier verkörpert. Aber des alten Mannes Blick hing heute nicht an der lieblichen Eos, nicht an der hehren Pallas Athene, nicht an dem ehrwürdigen Zeus, nicht an den heiteren Gestalten der Musen; etwas länger weilte er an den finsteren trotzigen Recken der deutschen Göttersagen. – Tretet aus Eurer Starrniß und stürzet die Götzen[S. 115] der Nachkommen! – Das war vielleicht des Greises Gedanke. Endlich verließ er die Werkstätte und ging in das Freie.

An der schattigen Rückseite des Hauses, gegen den sonnengoldigen Tannenschachen gekehrt, stand ein anderes Bild. Es war eine junge, lieblich schöne Gestalt, halb noch Knabe mit frischen, vollen, trotzigen Lippen, mit aufgeweckter, stolzer Körperhaltung; halb Jüngling mit zarten, weithin gegossenen Locken, mit großen, schwärmerisch seligen Augen. Die Gestalt, in ein sich gefällig schmiegendes Schäferkleid gehüllt, war ein wenig vorgebeugt; am linken Arme trug sie eine Tafel, in der rechten Hand hielt sie einen Stift. So stand sie in ihrer Unbeweglichkeit da und betrachtete den herrlich leuchtenden Wald.

Die finstere Wolke verschwand auf des Meisters Stirn; er hielt seinen Schritt an und blickte wohlgefällig auf dieses freundliche Bild.

Nach einer Weile rief er den Namen: „Aladar!“

Da löste sich die Unbeweglichkeit der Gestalt, sie hüpfte heran und sagte mit heller Stimme:

„Vater, jetzt habe ich es erfaßt, was in den Wipfeln der Tannen ist. Aber sag’, hab’ ich es wohl auch ganz erfaßt?“

Mit dieser zweifelumschatteten Zuversicht hielt der Knabe die Tafel seinem Vater hin.

Der Meister betrachtete die Zeichnung; dabei wurde sein Angesicht fast furchenlos und er sagte die Worte: „Es ist gut. Aber höre: ganz hast Du es nicht erfaßt, was in den Wipfeln der Tannen ist. So geht es immer. Der Junge rechtet mit der Gegenwart, der Alte mit der Vergangenheit; der Junge mit der Natur, der Alte mit der Kunst; aber mich will es zuweilen bedünken, beide ringen vergebens. Wohl, mein Sohn, und es ist gut. Der Künstler darf in[S. 116] seinem Werke nie die volle Befriedigung finden; steht das Ideal seines Zieles nicht über dem Erreichbaren, so steht es zu tief. Das gilt besonders in der bildenden Kunst. Aus dem Nichtbefriedigtsein entspringt das ersprießliche Streben. Komm, Aladar, Du sollst das Gedeihen meines Helios schauen.“

Sie gingen in das Haus und standen vor dem Lindenklotz, an dem der Alte vorhin gearbeitet hatte. Aus dem rauhen Holze starrte ein Antlitz hervor, zwar noch herb und eckig, aber in seinen Hauptpartien doch edel und scharf markirt.

Der Bildner schien den bösen Eindruck des Morgenbesuches nun vergessen zu haben. Sein Blick lag freudig auf der allerdings noch sehr unvollendeten Arbeit und auf dem Jüngling, der die Holzsäule still und eingehend betrachtete.

„Der Gedanke in mir, das Sinnbild des Licht- und Flammengottes darzustellen, ist vielleicht dreimal so alt, als Du, mein Junge,“ sagte der Meister. „Aber das Geschick meines Lebens hat mich niemals zu jener Ruhe und Klärung kommen lassen, die zu einem solchen Versuche durchaus nöthig ist. Nur die kurzen Tage, die mir an Deiner Mutter Seite zu leben gestattet waren, hätten dazu vielleicht die Helle und Begeisterung geboten, nicht aber die Ruhe. Es ist in Stunden hochwogender Glückseligkeit, sowie in Tagen wilder Qual noch kein Kunstwerk geschaffen worden. Mir sind solche Zeiten nun vorüber und in diesen stillen Nachsommertagen habe ich mich endlich an meinen Lieblingsgedanken gemacht. Der Gottheit, die uns das Licht gegeben hat und von deren flammendem Wagen Prometheus das Feuer geholt – das göttlichste und wunderbarste der Elemente – dieser Gottheit will ich das letzte Werk meines Schaffens weihen, ehe ich eingehe zur ewigen Nacht.“

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Die letzten Worte waren in großer Gefühlsbewegung gesprochen. Aladar’s dunkle Augen sogen jedes Wort von den Lippen des Vaters und sie entflammten in Begeisterung. Der Jüngling legte seinen Arm um die Statue, und als der Meister aufgehört zu reden, sagte er: „Mein Vater, Du hast heute wieder ein Wort gesprochen, das ich nicht recht verstehen kann. So erzähle mir endlich von Deiner Vergangenheit und von meiner Mutter.“

„Du wirst noch zu jung dazu sein,“ antwortete der Greis.

„Ich weiß das nicht. Ich bin erwachsen und schon ein Mann; ich werde morgen sechzehn Jahre alt.“

Nach einer Weile entgegnete der Vater: „Daß man aufblühende Blumen nicht in den Schatten stellen soll, das weißt Du. So hätte ich Dich gern verschont, mein Kind, und Dich blühen lassen im Sonnenlichte. Ich wollte Dich nicht vorzeitig aus dem Arkadien Deiner Kindheit verstoßen, so sehr es mich oft gedrängt hat, mich ganz und voll Dir mitzutheilen. Nun, ich sehe, Du wendest Dich freiwillig von den kindlichen Freuden und bist ernst und männlich geworden schier vor der Zeit. So will ich Dir auf Dein Begehr, und da es doch einmal sein muß, zu Deinem sechzehnten Geburtstage das Angebinde des Schmerzes machen. Morgen zur Nachmittagszeit, wenn die Sonne hinter die Wipfel des Tannenwaldes wird gezogen sein, wollen wir mitsammen niedersteigen in das Thal.“

Ein Weiteres von dieser Sache wurde heute nicht mehr gesprochen. Jeder ging an seine Arbeit. Der Meister meißelte an seinem Helios, und Aladar – das Bedürfniß des Tages ist stets der Herr im Hause – wirthete in der Küche.

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Und am anderen Tage, als die Sonne hinter die Wipfel des Tannenwaldes gezogen war, wurde das einsame Haus auf der Bergeshöhe verschlossen und der Greis und der Jüngling stiegen niederwärts gegen das Thal.

Aladar hatte vom Hause weg kein Wort mehr gesprochen; auch der alte Mann schritt stumm dahin. Gar die Waldvöglein schwiegen zu dieser Tageszeit; nur daß zuweilen vom Tanne her das eintönige Hacken eines Spechtes vernehmbar war. „Selbst im Walde ist kein Sang mehr, ist nur das harte Pochen der Arbeit!“ sagte der Bildner. Eine Hummel summte über das grüne Heidekraut; da stand der alte Mann still und flüsterte: „Hörst Du die Glocken läuten?“

Der Bursche gab keine Antwort. Und als sie weiterschritten, hub der Mann an zu reden:

„In einem Thale jenes Gebirges, welches das weite Ungarland gegen Mitternacht hin begrenzt, bin ich geboren worden. Mein Vater war Hirt und hütete die Pferde des Gutsherrn. Auf wilden Pferden bin ich gesessen und habe sie gebändigt. Den Gutsherrn habe ich unsäglich gehaßt, denn er hatte einmal meinen Vater schlagen lassen bis auf’s Blut. Gewesen ist’s des einen Wortes wegen, das mein Vater gesprochen: Herr, unsereins ist auch ein Mensch, und es ist himmelschreiend, wie wir unterdrückt werden! So ein Wort hat früher schwerer gegolten, wie drei Todtschläge. Dazumal – Aladar, und das ist noch nicht lange her, diese junge Eiche hier ist noch in den Tagen der Knechtschaft aus der Erde gesprossen – dazumal hat der Gutsbesitzer willkürlich verfügt, nicht blos über seine Pferde und Schweine, sondern auch und weit rücksichtsloser noch über seine Unterthanen. Meine Mutter soll ein schönes Weib gewesen sein;[S. 119] als sie starb, war ihr letztes Wort zu mir: „Emanuel, und halte Deinen Nährvater in Ehren!“ – Mich hat dieses Wort in eine große Wirrniß gesetzt; aber meinem Vater, dem armen schutzlosen Hirten, bin ich treu gewesen, und zutiefst im Herzen habe ich geschworen mitten unter den wiehernden Rossen: „Die blutigen Streiche sollen nicht vergessen sein!“ – Gar bald bin ich von dem alten Manne gerissen worden, ich weiß heute noch nicht wie; nur das weiß ich, mit meinem Willen ist es damals nicht geschehen. Ich mag wohl irgend welche geistige Anlage gehabt haben; ich erinnere mich nur, daß ich nicht mit meinen Genossen hielt, daß ich sie aber beeinflußte. Auch schwebt es mir noch vor, daß ich als Hirte aus dem Lehme der Heide allerlei Gestalten formte. War das die Ursache, oder war es, weil ich unter meinen Standesgenossen mehrmals Aufwiegelungsversuche gegen den Gutsherrn gewagt hatte, die indeß stets armselig zu Schanden geworden sind – oder war es ein anderer Grund, kurz, ich wurde entfernt und bestraft, wie so großmüthig noch kein Thunichtgut bestraft worden ist. Der Gutsbesitzer ließ mich in die Hauptstadt Pest bringen und dort in eine Lehranstalt stecken. Anfangs war ich hier wie vom Himmel gefallen, wußte gar nicht, was das Alles zu bedeuten. Bald aber sah ich die gute Wendung ein.

„Ich habe lange und mit Liebe studirt. Nach wenigen Jahren schon war ich aus mir herausgewachsen. Ich sog den Geist der Alten ein und auch die Ideen der Neuen; das entzweite mich anfangs, ich empfand die Nothwendigkeit, daß hier eine Brücke gebaut werden müsse, und ich fand, daß nach den Gräueln zweier finsterer Jahrtausende sich die Welt wieder anschickt, in die Fußstapfen der Alten einzu[S. 120]lenken. In dieser Zuversicht atzte ich mein Herz an dem ewigen Schönheitsidole des alten Hellas und seiner heiteren Weisen, und in diesem Bewußtsein habe ich mich mit jauchzender Seele der bildenden Kunst ergeben. Nach zwölf Jahren arbeitete ich in klingendem Marmor. Meine Bilder wurden aufgestellt in Palästen.

„Jetzt wäre ich glücklich gewesen, aber das Wort der sterbenden Mutter hat mir im Herzen gebrannt. Und wehe dem Kinde, vom Verhängnisse berufen, seine Mutter etwa an seinem Vater rächen zu müssen!“

Der Greis schwieg. Sie gingen durch jungen, duftenden Anwuchs hinab, der dichter und höher wurde und endlich die Wandelnden in seine Schatten hüllte. Der Boden war steinig und von Wurzelarmen durchzogen. Da sagte der Vater zu seinem Sohne: „Habe Acht, daß Du nicht strauchelst!“

Endlich fuhr er in seiner Erzählung fort:

„Einst zur Sommerszeit kehrte ich in mein Heimatsthal zurück. Der alte Hirt – mein Vater – war begraben, seine Hütte verfallen. Aber ich wohnte ja im Schlosse und der Gutsherr ging mit mir Arm in Arm. Ich empfand stets, ich hatte durch das Studium meinen Beruf glücklich getroffen, aber ich fühlte gegen meinen Wohlthäter nicht die begeisterte Dankbarkeit, die ich wohl schuldig gewesen sein mochte. Mehrmals wollte ich den Herrn Arm in Arm auf den Kirchhof führen und zu einem Mauerwinkel hin, wo Nesseln wuchsen – unter denen meine Mutter lag. Er folgte mir nicht. – Zerstreuung, oder was man so nennt, gab es genug; der Gutsherr war ein Meister des Vergnügens. Würfeln und Schwelgen wußte er hoch zu betreiben; auch die Prügelbänke und den Galgen zählte er zu den Gegenständen seines Ergötzens. Einst[S. 121] ließ er zu Ehren eines erlauchten Gastes drei eingefangene Korndiebe ohne gesetzliche Aburtheilung an den Platanen des Lustgartens hängen. – Wohl, mein Sohn, es ist schade um Deine rothen Wangen, die ich jetzt verblassen sehe; aber sei ein Mann und höre mich weiter. – Eines Tages während meiner Anwesenheit im Thale war große Hirschjagd. Die Treiber waren schon zwei Tage und Nächte ununterbrochen bei Sturm und Regen in ihrem über Berg und Thal gezogenen Kreise gestanden, um das zusammengedrängte Hochwild einzuschließen. Die Jagd begann, wir durchbrachen auf unseren Rossen den Kreis; die Hörner schrillten, die Schüsse knallten von allen Seiten und das Johlen der leidenschaftlichen Jägerrotte gellte fast unheimlich durch die Waldung. Ich hielt mich abseits, mir war nicht um Schuß und Wild zu thun; ich band das Roß an eine Eiche und lagerte mich auf einen stillen, schattigen Anger und lauschte einer Quelle. Einen unsäglichen Ekel hatte ich vor dem Treiben dieser rohen, der crassen Willkür ergebenen Gesellen, die sich die Großen des Landes nannten. Unter den Schatten jener Eichen beschloß ich, keinen Tag länger in der Gegend zu verbleiben, sondern wieder dem geistigen Leben der Hauptstadt zuzueilen. Da hastete keuchend ein Mädchen durch das Dickicht heran, wild aufgeregt, mit zerfetzten Kleidern, blutenden Gliedern und angstglühenden Augen. Ein junges, kaum erwachsenes, schönes, merkwürdiges Mädchen, Aladar! – Vor meinen Füßen ist es zu Boden gestürzt, hat mich angefleht um meinen Schutz. Es war seiner Schönheit willen verfolgt von Jägern, eingeschlossen von dem Kreise der Treiber. – Das Kind hat seine Noth noch kaum in Worte gefaßt, so durchbrechen Pferde das Gestrüppe, zwei Reiter sprengen lachend auf das Mädchen zu; einer davon ist mein Gutsherr.[S. 122] Ich erraffe mein Doppelgewehr: „Hat solches Wild Vater Nimrod gejagt? Ihr Buben, wollt Ihr’s wagen, das Kind ist in meiner Hut!“ – Lachend ritten sie davon, aber ich sah es wohl, wie mein Gutsherr in stiller Wuth erblaßt war. Das Mädchen geleitete ich in sein Haus; es war sehr armer Leute Kind, das jeden Tag in den Wald ging, um wilde Früchte zu sammeln. Ich sah die Gefahren, die von diesem Tage ab doppelt über dem schönen Wesen schweben würden, und ich beschloß, es zu schützen. Allein noch an demselben Abend ließ mich mein edler Gönner und Gastherr in ein Gemach führen, das nur von außen zu schließen ist. Es war gar fest und sicher eingewölbt und das Fensterchen kräftigst vergittert; aber der Blick meiner Augen flog doch hinaus, und über der Hofmauer dämmerte der Bergwald herein – der Bergwald, in dem die Klause der armen Leute stand. Ich bin aber nicht lange in dieser Kammer gesessen. Die Zeit, mein Junge, war das Jahr des Heiles. Der Aufruhr wogte auch in das Bergthal hinein und da hat sich gewaltig viel Zündstoff gefunden. Die Vasallen, sonst feig und blöde wie eine Heerde von Mauleseln, wurden wach und verstanden die Stunde. Menschenmassen versammelten sich um das Schloß und ein langer hagerer Mann rief: „Mach’ uns auf, Du übermüthiger Schloßherr, in Deinem Hause ist unser gutes Recht vergraben, das wollen wir uns holen!“ Da flog ein Schuß aus des Magnaten Fenster und streckte den drohenden Waldmenschen nieder. Dieser Schuß hat dem Gutsherrn Schloß und Schlag gekostet. Das Gebäude wird gestürmt, bald brennt es an allen Enden, und der Gutsherr, für sein Leben zitternd, sucht ein sicheres Gewahrsam, stürzt in mein Kerkergewölbe und schutzflehend mir zu Füßen. – „Was steigst Du in den Kerker, in den Du mich geworfen[S. 123] hast!“ rufe ich bebend; „weißt Du es wohl, warum Du mich gefangen hältst, und weißt Du, Tyrann, vor wem Du liegst? Vor dem Sohne des Mannes, den Du mißhandelt! Heute giebt das Volk den Streich zurück!“ – „Erbarmen!“ stöhnte er, „Emanuel, vielleicht fleht in diesem Augenblicke Dein leiblicher Vater Dich an um sein Leben –“

„Ich habe den Mann vor der wüthenden Rotte beschützt; es gelang mir, ihn auf kurze Zeit in Sicherheit zu bringen. Bald aber ist er dem Zorne seiner sich selbst befreienden Unterthanen erlegen. – Ich habe in jenen Tagen nicht geruht, habe mitgerungen den wilden Befreiungskampf, der empörenden Unthaten gedenkend, die meinem Volke waren angethan worden. Das erste Opfer dieses Kampfes, der durch des Gutsherrn Kugel hingestreckte Mann war Nella’s Vater gewesen. Nella, freilich, so hat sie geheißen, die ich im Walde ihren Verfolgern entrissen. Nella – mein Sohn, Du kennst ihr Bild, es steht in unserem Hause und ist jene Büste, die ich Dir bisher Eos genannt habe. Nella ist mein Weib geworden.“

„Fast zur selben Zeit aber wird der Aufstand durch Schwert und Strick gebändigt und den Aufrührern werden lichte Pfähle zum Denkmal gesetzt. Mir hat es mein Gewissen laut genug gesagt, was ich gethan, ich habe für mein Volk gestritten. Wäre ich los und ledig gewesen, ich hätte mich ja hingestellt meinen Blutrichtern: „Da habt Ihr mich, Ihr Menschenschänder, mordet mich hin, wie Ihr Tausende gewürgt habt; ich bin ein redlicher Kämpfer meines guten Rechtes!“ – Aber ein geliebtes Weib an der Seite, bin ich geflohen. Ueber die Landesgrenze konnten wir nicht; wir wären verloren gewesen. Doch es hat auch brave Magnaten im Ungarlande gegeben. Ich sage das von dem Manne an der Theiß nicht,[S. 124] weil er uns in seine Burg nahm und beschützte, das that er vielleicht dem Künstler zuliebe, den er in mir verehrte. Ich sage das von jenem Manne, weil er den Geist der Zeit verstanden und ihm Rechnung getragen hat. Dieser Magnat hat seine Leibeigenen freigelassen vor den Tagen der Gewalt; so haben die Leute freiwillig sein Haus und sein Leben beschützt vor den wilden Stürmen der Revolution. – Ein Jahr lang haben wir unter fremden Namen in seinem Hause gewohnt. Hier hatte Nella Gelegenheit, ihren eigenen Geist zu bilden, auf daß er ihrem großen Frauenherzen ebenbürtig wurde. Ich habe in dieser Zeit unserem Schirmer aus Dankbarkeit ein Marmorbildniß gestaltet, von dem der gute Mann so entzückt war, daß er mich bittend zwang, eine Summe anzunehmen, die mir die Sorge für die Zukunft meiner Familie mit einemmale löste. Freilich kam rasch eine andere größere Sorge auf mich angestürmt. Unser Schützer starb an einem Herzleiden, und wir waren obdachlos. Und wir waren mitten im Lande, das mich in Acht und Bann gelegt hatte. – O, mein geliebtes Kind! der heißeste Vatersegen vermag es nicht, des Lebens allumfassendes Ungemach von Deinem Haupte zu scheuchen, aber niemals möge ein Tag Dir kommen, an dem Du heimatlos mit einer jungen Gattin die Menschen meiden mußt und friedlos Nächten und Wüsten entgegenfliehest, um für die zermarterten Glieder eine kurze Ruhestatt zu finden!“

Der alte Mann beugte tief sein Haupt und die schneeweißen Brauen seiner Augen wogten auf und nieder.

Der Wald war gar hoch und finster geworden. Die beiden Menschen schritten rasch. Auf Aladar’s Antlitz hatten während der Erzählung Gluthröthe und Marmorblässe gewechselt. Jetzt preßte er die Lippen fest aneinander. Plötzlich[S. 125] aber stand er still und rief in erregtem Tone: „Vater, laß meine Eltern nicht so lange in der Noth!“

„In Bettlerlappen gehüllt, sind wir gegen den Untergang der Sonne gezogen,“ fuhr der Greis fort, „sind endlich in das grüne Bergland gekommen, dessen Alpenkronen den Satzungen der Menschen nicht unterthan sind, in dessen sangeslebendigen Wäldern blutdürstige Bannflüche spurlos verhallen. – Wir sind frei gewesen. Im Kreise des ewigen Menschenrechtes sind wir leichten und frohen Gemüthes langsam weiter gezogen, um in den deutschen Landen eine bleibende Stätte zu suchen. – Siehe, mein Sohn, nun lichtet sich der Wald; wir sind im Thale und vor uns liegt das Dorf mit den friedlich rauchenden Schornsteinen.“

„So ist es auch an jenem Abende gelegen, als ich und meine Gattin – das liebe treue Weib – des steinigen Weges gegangen kamen. Vor Freuden haben ihre schönen süßen Augen geweint, als sie zu dieser Stunde die traulich umfriedeten Menschenwohnungen gesehen. Allein, als wir durch die Dorfgasse schritten, da sind an den Häusern alle Thüren zugegangen. Ja, ich glaube es, die Bettlerlappen! Aber ich habe mein Schärflein wohl gewahrt gehabt an der linken Brust, unter einem häßlichen Filzpflaster. Und auf meinen Ruf, daß wir getreulich Alles bezahlen wollten, hat uns das Wirthshaus des Ortes aufgenommen. Und nun war es in derselbigen Nacht –“

Die Stimme des Alten wurde tonlos, wollte versagen. Tüchtig räuspern mußte er sich, dann schlug er mit beiden Armen in die Luft hinein und rief: „Ei, geh, das ist albern; hätt’s längst schon verwunden gehabt! – In derselbigen Nacht, da – ja, Freuden, Freuden hat’s gegeben! – Ein Kind hat mir mein Weib geboren. – – O, Du armer,[S. 126] armer Knabe, daß Du das Mutterherz nicht hast empfunden in Deinen Kindestagen! All’ die Liebe und Freude und Sorge und Sehnsucht und Treue des Vaters ist nimmer im Stande, das Mutterherz zu ersetzen. Am Tage Deiner Geburt ist Deine Mutter gestorben. – Komm, Junge, wir wollen an dem Kirchhofe nicht vorübergehen; Du weißt ja den Hügel unter dem Ginster.“

Sie traten in den kleinen Friedhof, schritten still zwischen den armen Holzkreuzen hin, einer grauen Statue zu, die im Dunkel eines Strauches ragte. Diese Marmorstatue stach ganz wundersam ab von den stümperhaften und abgeschmackten Darstellungen des Gekreuzigten, der „Schmerzhaften“, und Insonderheit von den bildlichen Menschengerippen mit Stundenglas und Hippe, wie sie auf dem Kirchhofe zu sehen waren.

Die Marmorstatue stellte eine Frauengestalt dar, die in ernstem Sinnen an einer Urne stand, die linke Hand leicht an die Stirn legte und mit der rechten eine gesenkte Fackel hielt. Ein schönes Ebenmaß lag in dem Bilde, man fühlte Beruhigung und Frieden, wenn man es betrachtete.

Als sie vor der Statue standen, ergriff der Greis des Jünglings Hand und sagte: „Hier, Aladar, habe ich Deine Mutter begraben.“

Und nach einer Weile banger, schmerzlicher Stille brach der Bildner in den Ruf aus: „O, du göttliches Volk der Hellenen! Du hast deine Todten der heiligen Flamme gegeben und ihr Aschenschnee hat deine Wohnungen zu Tempeln geweiht. Uns Heilverlassene fesselt die Liebe an eine Erdscholle und unsere Herzen müssen zu des Gedächtnisses Feier niedersteigen in die Grauen der Gräberfäulniß. – – Vielleicht, mein Junge, habe ich an Dir gefehlt, daß ich Dich einer städtischen Bildung entzogen; aber es ist mir unmöglich ge[S. 127]wesen, dieses Grab zu verlassen. Ich war noch nicht an die vierzig Jahre, und dennoch, mein Schicksal ist erfüllt gewesen. Meine ganze Welt lag in diesem umwaldeten Thale. Dort oben auf der Bergeshöhe kaufte ich ein Stück Erde und baute das Haus. Das Waldland ist Deine Wiege geworden, mein Kind, der Frieden der Berge hat Dich gehütet, Dein einsamer Vater hat das wenige Gute, das in ihm selber zu finden, in Dich gelegt. Ich hoffe, Du hast nichts verloren dadurch, daß Dir die Welt, oder was sie so heißen, bisher fremd geblieben. An der Kunst erfreut sich Deine junge Seele, so wie die meine noch; und können wir unsere Ideen hier auch nicht in Marmor gießen, so hauen wir unseren Olymp aus den Stämmen des Tanns und meißeln unsere Götter aus dem weißen Holze der Linde. – Ueber ein Kurzes, und meine Zeit wird ja erfüllt sein. Und ist sie erfüllt, dann mein Kind bette mich hier an die Seite Deiner Mutter. Vergiß es nicht, Aladar, und lasse mir das zum Troste sein. Das Menschengemüth siegt über die Schrecken des Todes und in dem Gedanken der Vereinigung läßt sich’s freudig sterben. Und hast Du mich begraben, so verkaufe das Haus auf der Bergeshöhe und ziehe mit Deiner jungen frischen Kraft in die Welt. Ziehe nicht gegen Mitternacht, dort herrscht die kalte herztödtende Vernünftelei; ziehe nicht gegen Abend, dort waltet die schale Phrase und die stolze Ichsucht. – Ziehe gegen den sonnigen Mittag hin und küsse mir den Boden der Hellenen.“ – –

Diese feierliche Stunde ist aber auf eine recht widerliche Weise unterbrochen worden.

Es lag schon das Abendroth auf dem Marmorbilde, welches das Grab unter dem Ginster hütete. Der alte Mann wendete sich zum Gehen.

[S. 128]

Eine Magd trieb drei meckernde Ziegen heran und gerade dem Kirchhofsthore zu. Als Aladar sah, daß die Thiere Miene machten, in den heiligen Garten zu trippeln, stellte er sich sofort vor den Eingang.

„Weg davor!“ rief die Magd, „wirst aber gleich weggehen, Du vertrackter Bub’, Du!“

„Was wollt Ihr denn?“ sagte Aladar, „die Ziegen gehören nicht auf den Gottesacker.“

Da hub die Magd gewaltig an zu keifen, und bald eilte aus dem nahen Pfarrhause ein junges kugelrundes Frauchen herbei; das stemmte seine Arme in die Seiten und konnte gar possirlich schwatzen. – „Du Lotterbub!“ rief sie hell, „die Gaisen laß durch, hörst Du?“

„Nein,“ sagte Aladar gelassen, „die Gaisen laß’ ich nicht durch, und sollte ich bis zum jüngsten Tag da stehen müssen. Ich habe ein Grab in diesem Garten und habe das Recht, dasselbe vor Entweihung zu schützen.“

„O du nichtsnutzig Volk!“ schrie das Frauchen, „ansonsten sind sie Heidenkerle über und über, verlästern die Mutter Gottes ihrer heiligen sieben Schwerter wegen, schnitzen Weibsbilder, rein wie sie Gott erschuf –“

Ueber ihre eigene Wendung erschrocken, hielt sie inne.

„Ja wohl,“ lachte der Jüngling, „wie sie Gott erschaffen in der Schöne und in der Unschuld.“

„Ei ja, spott’ nur zu: Du kannst lange spotten, bis Du unserm lieben Herrgott ein Ohr abspottest. Euch ist schon gar nichts heilig, als etwan der schwarz’ Bub’ mit den Hörnern. Wollt’ aber einmal so ein unschuldig Zickel da drin ein paar Halme nagen, gleich fiele Euch der Himmel ein. Ja, der Herrgott ist um eine Klafterlänge barmherziger als so ein hergelaufen Gesindel, der läßt auch im Kirchhof[S. 129] Futter wachsen. Für wen denn? Fressen die Todten Gras? Gut, Du Neidhammel, so laß es den Ziegen, und trotz’ nicht und mach’ Dich fein bald auf die Socken, Du Vagabund, Du!“

Der Greis hatte sich bei dieser Angelegenheit jeglichen Wortes enthalten. Nun hielt es auch Aladar für überflüssig, noch einmal den Mund aufzuthun. Er verscheuchte die Thiere, schlug das hölzerne Thor zu und nahm den Schlüssel mit sich. Das Frauchen zeterte noch, daß es im ganzen Dorfe nachklang.

Der Bildner suchte den Kirchensteff, um ihm den Schlüssel zu übermitteln. Er fand den Strohlockenkopf in der Futterkammer seiner Stallung, unweit der Kuhmagd, und zwar in einem Zustande, der sich nicht ganz zu jener Entrüstung reimen wollte, die den Steff gestern abgehalten, bei der capitolinischen Venus Platz zu nehmen. Die Beiden, der Steff und die Magd, führten nämlich in dieser Verborgenheit ein behend Tänzchen auf, zu welchem der Brunnen draußen den Takt plätscherte. Das eben ist das Mißliche bei den Mitgliedern der Aloisiusbruderschaft, daß sie öffentlich kein Tänzchen und kein Küßchen halten dürfen.

„Der Freithofschlüssel ist das?“ stotterte der Bauernbursche nun vor dem Alten, „ja, dann muß ich ihn aber gleich der Pfarrerköchin schicken, sie kunnt ja die Gaisen nicht unterbringen über Nacht, und der Ziegenstall ist noch nicht fertig.“

Als unsere Bildner wieder durch den abendlichen Wald hinaufgingen, sagte der Greis zum Jüngling:

„Was meinst Du, mein Junge, wirst Du noch einmal den Anwalt der Todten spielen?“

„Das werde ich,“ versetzte Aladar trotzig.

[S. 130]

„Du Schwärmer, ich will Dir ein Wort sagen.“

„So sage es.“

Der Alte blieb stehen und sagte gelassen: „Der Lebende hat Recht.“

*
**

Das Frohnleichnamsfest war pomphaft abgehalten worden. Die Gemeinde war mit Fahnen und Kränzen durch das Thal gezogen; der Weihrauch stieg empor und verschwamm in dem Sonnenäther des Morgens. Weiße Jungfrauen trugen das dicht verschleierte Bild der „Schmerzhaften“ mit den Schwertern. Kerzenlichter flimmerten und zwei Glöcklein begleiteten den Zug. Der Kirchenvater hatte einen rothen Mantel um und trug mit noch drei anderen ehrenhaften Männern den „Himmel“, unter welchem der Priester ging. Der Steff trug die Aloisiusfahne und seine Augen schlug er fromm zum Himmel auf oder züchtig zur Erde nieder.

Der alte Eman stand auf dem Söller seines Hauses und blickte in das Thal und auf den Gottesdienst unter freiem Himmel. Er hörte die Glöcklein, er sah das Flimmern der Lichter.

„Wohl,“ lispelte er, „die Trophäe des Prometheus tragen sie auch mit sich. Noch lebt ein Funken der Lichtsehnsucht unter den Menschen.“

Aladar hatte den kirchlichen Auszug von der Nähe besehen, als er nach Hause kam, war er kleinlaut und schwermüthig.

„Du bist ergriffen, Aladar,“ bemerkte der Alte, „ja, es liegt etwas unendlich Rührendes in dem Gedanken, wie heiß die Menschen aller Länder in ihrer Art nach dem Reiche Gottes ringen.“

Aber der Jüngling wendete sich ab und schwieg. Und sein sonst so freundlich offenes Gesicht war betrübt.

[S. 131]

Das blieb tagelang so, und Meister Eman kam schon auf den Gedanken, es sei in seines Sohnes Herz jener Funken gefahren, der ewiglich aus Eros’ Fackel sprüht, alle Jugend durchlodert und die Welt vor Erstarrniß wahrt.

Aber es war etwas Anderes, und seines Jungen Schwermuth sollte der Alte auch an sich selbst erfahren. Eines Tages, als Eman wieder das Grab seines Weibes besuchte, fand er die Marmorstatue zertrümmert. Jedes der Stücke, die auf den Hügel lagen, trug die Spur einer gewaltsamen Zerstörung. Eman fragte nicht, wer es gethan. Er wankte nach Hause, that einen Blick nach der Büste der Eos, stieg empor die Treppe, setzte sich auf den sonnigen Söller und starrte hinaus in die Himmelsweite.

In seiner Werkstatt hatte er von diesem Tage ab nichts mehr angerührt. Helios’ schönes, kunstreich vollendetes Haupt ragte fast dämonenhaft aus dem starren Holzklotze; kein Schnitt wurde an dem Bilde mehr gethan. Der alte Mann saß, selbst eine Bildsäule geworden, auf dem Söller und blickte unverwandt in den lichten Sommer hinaus. Er war im Herzen getroffen.

Aladar war Tag und Nacht bei seinem kranken Vater. Einmal hatte er es versucht, ihn zu trösten, da lächelte der alte Mann und sagte: „Des Menschen Werk wird vergehen, aber sein Ideal lebt. Und es lebt die Treue. Laß mich, mein Kind, das Auge noch im Lichte weiden, ehe es in den Schatten des Grabes vermodert.“

Als in den nahen Tannen die reinen Lüfte des Herbstes zu rieseln begannen, war der alte Eman in dem Tempel seines Hauses entschlummert.

Aladar, der schöne Jüngling mit dem stolzen freundlichen Lockenhaupte, stand vor dem Schläfer und ließ sein[S. 132] umschattetes Auge ruhen auf dem lieben alten Antlitze, das die Silbersträhne des Haares und des Bartes ehrwürdig umrankten. Das war ein freundliches Bild, die Furchen der Stirn waren völlig geglättet, auf den schmalen Wangen lag ein mildes Weiß und auf den Lippen lag die Güte und das Lächeln des Entschlummernden versteinert.

Aladar umarmte den Todten und küßte mit Innigkeit das Angesicht. Dann ließ er ihn auf dem wohlverwahrten Söller sitzen, das Antlitz nach dem Aufgange der Sonne gewendet.

Und dann verschloß er das Haus. Im Freien stand er still und blickte rings um sich. War das sein heiteres Heimatsthal? Nein, das war die kalte Fremde.

Zum Dorfe stieg er hinab und im Pfarrhofe klopfte er an.

Das Frauchen ließ ihn unzähligemal klopfen und war gar außerordentlich vergnügt, daß es jenen verweigerten Eingang in den Kirchhofsgarten an diesem Thore vergelten konnte. Endlich kam der Pfarrer selbst, um zu öffnen.

Aladar berichtete den Tod seines Vaters und bat den Pfarrer, das Grab für den Verstorbenen an der Seite jenes seiner Gattin bereiten lassen zu wollen.

„Lieber junger Herr,“ entgegnete der Seelsorger, „selbst der beste Christ kann bei uns die Stelle seines Grabes nicht wählen; wir begraben die Leute nach der Reihe.“

„Irre ich nicht, Hochwürden, so ist in dieser Zeit die Reihe ungefähr am Grabe meiner vor sechzehn Jahren hier verstorbenen Mutter. Der Todtengräber hat mir gesagt, daß der Kreis auf dem Kirchhof von sechzehn zu sechzehn Jahren vollendet wird. Der Preissatz wird für beide Gräber sofort bezahlt werden.“

[S. 133]

Der Pfarrer ging langsam die Stube auf und ab und barg seine Hände in den Taschen seines Taffet-Talars.

„Es ist gar sehr die Frage, junger Mann,“ entgegnete er nun, „ob es überhaupt statthaft ist, Ihren Vater in unserem katholischen Friedhofe zu begraben. Wie stand es mit seiner Religion?“

„Ich kann den Taufschein aufweisen,“ sagte Aladar.

„Ei jerum!“ machte der Pfarrer, „auf den Taufschein kommt es nicht an; einen solchen hat der Luther auch gehabt. Es sind ganz andere Bedenken. Ihr Vater hat lange Jahre in unserer Gemeinde gelebt; ist er aber jemals in der Kirche gesehen worden? Hat er nicht mit unseren altehrwürdigen Bildnissen gehadert? Hat er nicht zum Aerger der ganzen Gemeinde eine stockheidnische Darstellung mitten in unseren Kirchhof gesetzt? Und sein Haus dort oben, ist es nicht ein wahrer Götzentempel voll gottloser unzüchtiger Bildnisse? Der Künstler hat sein Talent von Gott; wehe Dem, der es zu Gottes Schmach mißbraucht!“

„Mein Vater hat sein Künstleramt gewissenhaft erfüllt!“ versetzte Aladar mit Nachdruck.

„Leider hat er diesen frevelnden Stolz bewahrt,“ entgegnete der Priester mit leiser Stimme und blieb vor dem jungen Manne stehen; „Verirrungen sind menschlich, und Gott, der ein verlorenes Schaf mit Schmerzen sucht, hat Ihrem Vater durch eine wochenlange Krankheit reichliche Gelegenheit zur Bekehrung und Buße gegeben. Hat er die Gnadenzeit benutzt? Hat er auch nur ein einzigmal die Tröstungen der Religion verlangt? In vorsätzlicher Unbußfertigkeit ist er gestorben.“

„Herr!“ unterbrach hier Aladar, aber er kämpfte seine Aufwallung nieder.

[S. 134]

„Junger Mann,“ sagte der Pfarrer, „rufen Sie Ihr „Herr“ auf der Gasse, wo Ihresgleichen ziehen. Im Pfarrhofe haben Sie Ehrerbietung zu beobachten. Verstehen Sie mich?“

„Ich bitte um Verzeihung, Hochwürden, aber die Vorwürfe, die Sie gegen meinen Vater schleudern, sind sehr ungerecht; er war ein Ehrenmann. Auch er hat Ehrerbietung zu fordern.“

Der Seelsorger schwieg einen Augenblick, dann sagte er etwas gedämpft: „Mag sein, darüber wird Gott im Himmel richten. Was aber das Begräbniß Ihres Vaters anbelangt, so thut es mir leid, Ihnen mittheilen zu müssen, daß die Kirche einem solchen Mann ihren Segen und die geweihte Erde nicht gewähren kann.“

Aladar erblaßte.

„Und Sie wollen meinem Vater ein Grab auf dem Kirchhof verweigern?“ sagte er fast tonlos.

Der Priester zuckte die Achseln:

„Ich verweigere es nicht, ich bin ein Diener der Kirche. Und die Kirche kann einen Menschen, der so weit entfernt war, der Unsere zu sein, der so böses Aergerniß gegeben – sie kann schon aus Rücksicht für die Gemeinde einen solchen Menschen nicht in die Gemeinschaft der Christgläubigen aufnehmen.“

„Und wissen Sie, daß mein Vater, als er sein Weib hier begraben hatte, auf die Welt, auf ihre Güter und Ehren, auf die Künstlerlaufbahn verzichtete, in dieser Gegend verblieb, Entbehrung, Schmach und Kränkung in aller Weise erduldete, nur um den Grabhügel seiner Gattin zu hüten und dereinst an ihrer Seite ruhen zu können? Aber nein, Ihr wißt ja nicht, was Gattenliebe heißt, was Herzenstreue bedeutet –“

[S. 135]

Diese unüberlegte Aeußerung traf.

„Jetzt hab’ ich genug!“ rief der Geistliche mit dunkelrothem Gesicht, „lästern Sie den Satan! Wir sind fertig und der Todte wird hinter der Kirchhofsmauer begraben.“

„Das wird er nicht, mein Herr!“ sagte Aladar und legte seine rechte Hand auf die Brust.

Ruhigen Schrittes verließ er den Pfarrhof. Durch das Küchenfenster grinste ein volles Gesichtchen heraus und ahmte das Meckern einer Ziege nach.

Zur selben Stunde läuteten die Kirchenglocken, sie läuteten alle vier, sie läuteten lange. Es waren Todtenklänge; ein reicher Bauer der Gemeinde war verschieden.

Aladar schritt in den Kirchhof. Der Kirchenvater und sein Sohn, der strohlockige Steff, arbeiteten am Ginsterstrauch und gruben ein Grab. Sie gruben es nicht für den fremden Mann, der oben im fremden Hause verschieden war; sie gruben es für den reichen Bauern.

Aladar blieb entsetzt stehen und starrte auf die Arbeiter hin. Sie gruben in den Grabhügel seiner Mutter ein. Schon wollte er hinstürzen und ihnen den Spaten aus der Hand reißen, da besann er sich: „Ei, sie haben ja Recht, sie sind an der Reihe. Das Weib, das sie vor sechzehn Jahren zur ewigen Ruhe bestattet, hat nur zur Miethe hier gewohnt. Die Zeit ist aus, die Schaufel klopft an....“

Er trat an das Grab heran und blickte hinab. – Moder des Sarges, fahle Lappen, Knochen, Haarlocken – Jüngling, das war ein grauenhafter Anblick, der hat dir das lieblich schöne Bild der Mutter, wie es dir dein Vater in der Erzählung und in dem Bildnisse der Eos als Erbe hinterlassen, ganz und gar zerstört. Das Grab wurde durchwühlt, die Gebeine herausgeworfen auf den Rasen. Aladar[S. 136] erfaßte das Knochenhaupt mit beiden Händen und seine thränenschweren Augen starrten in die tiefen Höhlen.

So hat das Kind seine Mutter zum erstenmal gesehen. – –

Als Aladar zu seinem Hause zurückkam, stand der Todtenbeschauer vor der Thür. Er beschaute kopfschüttelnd den ehrwürdig schönen Greis, der auf dem Söller saß, und er beschaute die vielen Bildnisse in der Werkstatt und er beschaute das Haus.

„Werden Sie hier verbleiben?“ fragte er den Jüngling.

„Ich werde nicht hier verbleiben,“ war die Antwort.

„So werden Sie das Haus und diese Statuen verkaufen?“

Aladar sann, dann entgegnete er: „Das weiß ich nicht.“

Der Dorfarzt stand noch eine Weile da, dann zuckte er die Achseln und ging davon.

Und als Aladar wieder allein war, ging er auf den Söller und setzte sich zu seinem todten Vater. Fast so regungslos wie dieser saß er da und richtete sein Auge in die weite blaue Himmelsglocke hinaus. Es war so still und mild. Das Laub der gegenüberstehenden Eiche wollte schon ein wenig gilben. In der Luft spannen die Fäden des Herbstes. Ein einzigesmal läutete eine Waldbiene vorbei, dann war es wieder still. Gegen Abend hob sich unten aus dem Gebüsche ein hellrothes Flämmchen, es flackerte und schwamm empor gegen den Söller und hin über das Haus.

Ein verspäteter Aurorafalter war es gewesen.

Als auf der fernen Felsenhöhe, die hinter den Wäldern hervorleuchtete, die Gluth der Abendsonne verlosch, stand Aladar auf, erfaßte die kalte blasse Hand seines Vaters und sagte: „Sie wollen Dir das Grab an der Mutter Seite[S. 137] verweigern. Aber Dein Kind wird Dich verstehen und die Treue erfüllen.“

Als der Mond aufging, stieg Aladar nieder zum Dorfe und ging in den Friedhof hinein. Er ging zwischen den Kreuzen hin bis an die finsterstarrende Grube. Auf dem thaufrischen Rasen lagen noch die Knochen. Der Jüngling hub sie auf, schlug sie in ein Tuch und trug sie davon.

Am Thore schritt ein Mann vorüber, der hielt ihn an: „Was tragt Ihr da?“

„Einen Auferstandenen.“

Der Mann schauerte und eilte weiter.

Aladar stieg mit seiner seltsamen Last langsam den Berg hinan. Auf der Höhe leuchtete das Haus im Mondenscheine.

*
**

Am anderen Tage war ein völliger Feiertag im Dorfe. Die Kirche war in Trauer gehüllt. Stille Messen und laute Gebete wechselten ab und am Nachmittag rüstete sich Alles zum Begräbnisse.

Der verstorbene Bauer war ein sehr angesehener Mann gewesen, und in seinem Testamente stand ein Satz, der seiner christlichen Gesinnung wegen dem Pfarrer so gefiel, und dessentwillen er schon eine ganze Stunde vor dem Begräbnisse wieder alle Glocken läuten ließ. Die Kirche konnte ja doch wohl füglich klagen, sie gehörte mit zu den Erben.

Der Arzt des Ortes stand auf der Gasse und plauderte mit dem Kirchenvater. Beide waren gar ernsthaft und in würdiger Trauerkleidung.

„Hätten auch den alten Kauz da oben in den Kirchhof tragen lassen können,“ sagte der Arzt, gegen das Haus auf der Bergeshöhe weisend. „Der Mann war mehr Narr als[S. 138] Heide. Und auch sein Sohn tritt in die Fußstapfen des Alten. Der hat mir gestern gesagt, daß er fortziehen will. Gut, mag es thun, das ist die Narrheit nicht. Bin heute wieder bei ihm gewesen: ob er sein Haus verkaufe. – Nachbar, wie hoch schätzest Du dieses Haus?“

„Den Heidentempel!“ versetzte der Kirchenvater, „wer kann ihn denn brauchen? Ich achte das ganze Holz, das darin steckt, auf zwei Kohlenmeiler; das sind kaum hundert Gulden.“

„Da habe ich allerdings anders gerechnet,“ entgegnete der Arzt, „mir gefällt der Bau, es ist Geschmack daran und die Holzschnitzereien sind nicht ohne Werth. Ich habe dem Burschen eine Tausendernote dafür geboten.“

„Bader, Du bist ein Narr!“

„So ist dieser Junge ein noch größerer,“ rief der Arzt, – „verzehnfacht die Summe, hat er gesagt, und dann kommt und ich werde Euch dafür das Haus meines Vaters noch nicht verkaufen.“

Der Kirchenvater lachte laut auf, und das hatte sich schier nicht geschickt, denn es nahte schon der Leichenzug.

Die Menschen der ganzen Gegend waren beisammen, es wurde fast der Kirchhof zu klein. Die Windlichter flackerten hell in die Abenddämmerung hinein. Drei Priester im Ornat standen an dem Grabe und schwangen Sprengwedel und Weihrauchgefäße.

„Morgen kommt der Jude dran, oder was er ist,“ flüsterte ein Weib der Nachbarin zu, „hast Du die Grube hinter der Mauer schon gesehen?“

Die Antwort wurde abgeschnitten durch das Rollen des Sarges, der in die Tiefe glitt. Der Sarg war bunt bemalt. Jetzt gossen sie Weihwasser darauf hinab, da die Thränen[S. 139] mangelten. Der Verstorbene hatte weder Weib noch Kind hinterlassen; und fremde Erben weinen nicht. Der Pfarrer nahm die Schaufel, streute Erde hinab und rief in seiner todten Sprache die Worte:

„Ruhe Deiner Asche!“

Der Spruch war einem Anderen nachgerufen.

In demselben Augenblicke ging ein Getöse durch die Menge und Feuerrufe wurden laut. An der Wand des Kirchthurmes und auf den Dächern der Häuser lag ein mattzitternder Schein. Das Haus auf der Bergeshöhe stand in Flammen.

Die Leute drängten aus dem Gottesacker; an der finsteren Grube gab es nun für sie nichts mehr zu thun und zu schauen. Einsam steht der Sarg im tiefen Grabe, der Verwesung harrend, die nun naht mit ihrem jahrelangen Grauen.

Durch die hell erleuchteten Dorfgassen wogten die Menschen; einige eilten den Berg hinan.

Das Haus auf der Höhe war zu einer herrlichen Flammensäule geworden; senkrecht stieg sie in den Abendhimmel auf und die anstrebenden Funken schienen sich mit den Sternen des Himmels zu vereinen.

Aladar stand unter der Eiche und sah dem brennenden Hause zu. Seine Seele loderte vor Begeisterung mit den Flammen um die Wette.

Ein halb Stündlein früher war es gewesen, da hatte Aladar den brennenden Span in eine Spalte der Heliosstatue gesteckt. Er hatte gesehen, wie die glühende Zunge aufflackerte zu dem Bilde des Lichtgottes, wie die hellen Flüglein emporflatterten zu den übrigen Kunstgestalten und an der Wand hin, mit Begier wachsend und sprühend. Bald war die Werkstatt zu einem Flammentempel geworden und nur einzelne[S. 140] Häupter der hellenischen Mythe ragten aus dem wogenden Feuerbrodem. Gar bald brachen die Flammen zu den Fenstern heraus und flutheten die sonnengebrannte Holzwand hinan und züngelten gegen die Erker des Söllers. Das Feuer krachte, brüllte, durchbrandete das Haus nach allen Ecken hin, und von allen Seiten kam es nun mit wilder Gewalt gegen den Söller gebrochen, wo der alte todte Mann saß, wo vor dem Bildnisse der Eos ein Häufchen Friedhofsknochen lag. Aladar blickte durch Rauch und Flammen noch hin auf des Vaters Angesicht. Mit einer blühenden Röthe hatte dieses des Feuers Widerschein übergossen. Da sprühten von dem Haupte des Todten plötzlich Strahlen aus – wie Regenbogenstrahlen – und es loderten die Locken, ein Gluthmantel schleuderte sich über den Leichnam, über den Söller, über das ganze Haus.

Wie versteinert, aber mit leuchtenden Augen stand der Jüngling unter der Eiche und sah den Opfertisch seines Erbes in unbeschreiblicher Herrlichkeit verlodern.

Leute aus dem Dorfe waren herangeschlichen, aber als sie den Leichnam verbrennen, als sie im rothen Scheine die Bildsäule unter dem Baume sahen, da zogen sie sich mit Entsetzen zurück.

Als der Mond aufging, war das Haus auf der Höhe bereits in sich zusammengebrochen. Aus den einstürzenden Bränden sprühten noch die Funkenschwärme, entfachte sich noch ein letztes Aufleuchten, und als der Morgen dämmerte und dort auf den Wipfeln des Tanns die Vögel zwitscherten, war Alles und auch der letzte Strunk zu Asche verzehrt.

Aladar suchte am Rande der Brandstätte, wo der Söller niedergebrochen war, nach Knochen. Er fand keine. Der Morgenwind fachte und wirbelte in der weißen Asche und trug manches[S. 141] Stäubchen hin über die Häupter der Tannen zum Aether empor.

Und als die Sonne aufging, blickte Aladar noch einmal in die Runde des Waldlandes, in das Wiesenthal mit den Weidenbüschen und dem Dörfchen. Und noch einmal richtete er sein überthautes Auge auf die Aschenstätte – dann wendete er sich und zog davon.

Er zog durch schattige Wälder, er zog über Berg und Thal, er zog über Meere. Er zog gegen den sonnigen Mittag, um den Boden der Hellenen zu küssen.

[S. 142]

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