Zwei Untergäuer.
An der Thorschranke, wo das Untergäu aufhört und das Obergäu beginnt, standen zwei wunderliche Gesellen. Der eine war ein behäbiger schrötiger Mann, der bis an die stämmigen blaubestrumpften Waden hinab einen grünen Rock trug und eine ziegelrothe Weste anhatte, an welcher mitten herab wohl über dreißig haselnußgroße Silberknöpfe funkelten. Um den Bauch spannte sich ein breiter Ledergurt, in welchem mit weißem Geschnüre allerlei Zierat und die zwei Worte „hohe Weid“ gestickt waren.
Unter dem niederen, aber breitdachigen Hut des Mannes hingen Strähne schon ein wenig grauender Locken über den steifen Rockkragen; die Nase sprang wie ein mächtiger Keil aus der derben Stirn herab, die sorgfältig rasirten Backen standen kräftig vor; alle Züge waren rauh, aber ausdrucksvoll, etwa wie die Gesichtsformen eines Marmorbildes, bevor sie der Künstler glättet.
Der zweite Geselle war ein schwarzer, etwa vierjähriger Stier mit massigen Gliedern, einem ungeheueren Haupte, an dessen beiden Ecken zwei kurze Hörnchen hervorstanden. Um[S. 143] diese Hörner war ein Strick geschlungen, den der Mann mehrfach um seine rechte Hand gewunden hatte, während die Linke einen tüchtigen Haselstock hielt.
So standen sie da und sahen einander an. Die großen pechschwarzen Augen des Stieres glotzten voll Trotz, die ungeheueren Nüstern pusteten stoßweise. Der Mann streichelte dem Rinde den steifen Nacken und die mächtige Fahne, die von dem Unterkinn bis zum Brustblatt zurückging; „sei gescheidt, Schwarzer, sei gescheidt und geh,“ sagte er gelassen, während er bei sich murmelte: „Hätte ich dich nur erst daheim in meinem Hof, du stetiges Rindvieh, ich wollt’ dich schon lehren, wer dein Herr ist!“
Aber als er nun den Strick anzog und mit dem Stock sachte an des Thieres Hinterbeine klopfte, um doch endlich durch die Wegschranke zu kommen, da zog der Stier sein Haupt ein und stieß ein dumpfes Gebrüll aus.
Auf diese Aeußerung verhielt sich der Mann wieder eine Weile ruhig, knirschte aber vor Zorn mit den Zähnen; eine solche Widerspenstigkeit war er nicht gewohnt. Er sah aber auch die Gefahr ein, die ein wildgewordener Stier bringen kann. So blickte er rathlos in die Runde.
Nichts als Heidekraut, Erlsträuche und Föhrenbäume.
Als jedoch die Beiden eine lange Weile vor der Wegschranke so gestanden waren, da kam die Richtung aus dem Untergäu ein Bursche des Weges. Die Kleidung desselben war ärmlich, aus blaugefärbter Grobleinwand; über den rothbraunen Locken trug er eine bunt gestreifte Zipfelmütze. Das runde Gesicht war noch bartlos, aber stark geröthet. Das Haupt tief nach vorn gesenkt, so daß die Zipfelmütze gerade emporstand, die beiden Hände in den Hosentaschen, so schlenderte der Bursche heran.
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„He, Du!“ rief ihm der Mann im grünen Rocke zu, „geh’ her, hilf’ mir den Stier treiben!“
Der Zipfelmützenkopf hob sich empor.
Wer ist denn Der, daß er einem Fremden auf der Straße so mir nichts dir nichts Befehle giebt? Ich habe meines Wissens keinen Herrn, nunmehr gar keinen. – Na, der Bauer von der hohen Weid! Ei, das ist was Anderes, der ist der reichste und angesehenste Mann im ganzen Gäu, und der höchste obendrein, denn der Hochweidhof steht auf dem Rochusberg und blickt hoch über alle Dachgiebel und über Berg und Thal hin in’s Land. So ein Mann kann freilich auf allen Wegen und Stegen sein herrisch „Geh’ her! pack’ an!“ sagen.
„Ja,“ rief nun der Bursche, „ich will schon helfen.“ Er brach einen Weidenzweig. „Mit dem Stock wird das Vieh nur wild, Hochweidhofer.“
Nun der Stier sah, es wären ihrer Zwei, änderte er sein Verhalten, ging ruhig durch die Thorschranke und zwischen den beiden Männern behäbig einher.
„Bist Du vom obern Gäu, daß Du mich kennst?“ fragte jetzt der Bauer.
„Nein,“ antwortete der Bursche, „den Hochweidhofer kennt man auch im untern Gäu.“
Da schmunzelte der Andere. Der Bauer von der hohen Weid war eigentlich ein Großhirt. An Feldfrüchten nur spärlich Halme wuchsen auf den Höhen des Rochusberges; aber ein paar hundert Stück Vieh hatten jahraus jahrein ihr gutes Fortkommen auf den fetten Weiden und sonnigen Almen. Nur wurde es, rein wirthschaftlich genommen – und der Hochweidhofer nahm es immer so – zuweilen nothwendig, daß Blut aus den unteren Gegenden in das Rindvieh kam,[S. 145] und darum war der Bauer auch heute herabgestiegen, um einen gesunden und kräftigen Zuchtstier heimzuführen. Er hatte einen solchen im Thale gekauft und dabei geglaubt, es würde auch so ein Rind vor dem Hochweidhofer etwas mehr Respect haben, als vor anderen Leuten; jedoch der Stier bedeutete nur zu bald, daß er weder auf Geld, noch auf Rang sehe; er benahm sich sehr störrig, und als sie an die Wegschranke kamen, die den untern Gäu von dem obern trennt, weigerte sich der Schwarze, wie wir sahen, entschieden, sein Vaterland zu verlassen.
Nun der Zweite da war, folgte er willig und den Bauern wurmte es nicht wenig, daß das Thier sich erst durch die Gegenwart eines stockfremden Jungen veranlaßt fand, zu gehorchen.
„Wo willst Du eigentlich hin und was willst Du verrichten?“ fragte der Bauer den neuen Gefährten.
„Ich helf’ dem Hochweidhofer den Stier treiben,“ war die Antwort.
Jener sah den Burschen näher an. Ein Junge von siebzehn oder achtzehn Jahren, gut gewachsen, frischen Aussehens, mit ein paar großen, nußbraunen Augen, die fest und treuherzig blickten; vielleicht verwahrlost ein wenig, aber sonst kein übler Bursche.
„Bist Du ein Knecht von irgendwo?“ fragte ihn der Bauer.
„Ich bin Herr.“
„Also ein Grundbesitzer?“
„Der Herr über mich selber.“
Der Bauer sah ihn noch fester an. Ist das Trotz, oder will er hänseln? Troll Dich davon, Du! wollte der Mann schon losfahren, aber er sah ein, er bedurfte des[S. 146] Jungen. Es war dem Herrischen nicht gar behaglich in Gesellschaft der beiden Trotzköpfe.
„Du – wie muß man Dich heißen?“ sagte der Mann vom Rochusberge.
„Melchior.“
„Und – Dein Schreibname?“
„Der gilt nichts mehr.“
„Jetzt möchte ich aber wissen, wo Du daheim bist!“
Ein wenig schwieg der Bursche auf diesen fast gebieterischen Ausruf. „Ist das schon das obere Gäu?“ fragte er hierauf.
„Seit der Schranke her.“
„So bin ich im obern Gäu daheim.“
Der Bauer wollte jetzt stillstehen, aber der Stier erlaubte es nicht, trottete seinen gleichen Schritt.
„Mich däucht, Du bist ein Vagabund!“ rief der Hochweidhofer dem Burschen zu.
„Mich däucht auch,“ war die Antwort. Hierauf fuhr der Nirgendsdaheim mit seiner Hand streichelnd über den Rücken des Thieres, über den ein hellgrauer Streifen ging. „Der Schwarze wird weiß,“ sagte er halblaut, „ist er nur erst ein Ochse geworden.“
„Ja, verstehst Du denn vom Vieh was?“
Das Gespräch wurde unterbrochen. Zwei Gerichtsdiener mit bespießten Gewehren führten einen jungen Mann vom Berge herab und an unseren Dreien vorüber. Der Gefangene war in guter und geschmackvoller Gebirgstracht und eine schwere, silberne Uhrkette gängelte an der Weste. Die Arme hielt er über der Brust gekreuzt, durch ein Stahlkettchen aneinander geschlossen. Den grünen Hut, auf welchem keck Gemsbart und Hahnenfedern prangten, hatte er vorn schier[S. 147] bis zur Nase herabgedrückt; das Gesicht war etwas blaß und hatte ein leichtes Schnurrbärtchen.
Der Gefangene hatte bei der Begegnung seinen Kopf sogleich beiseite gewendet, aber Melchior war stehen geblieben, hatte ihn angestarrt, bis er vorüber war. Ein wunderliches Gröhlen stieß der Bursche aus, dann stand er noch eine Weile still und blickte der Gruppe nach.
„Der Forstadjunct Kilian, kennst Du ihn?“ sprach der Hochweidhofer.
Der Bursche nickte mit dem Haupte, auf seinem Gesichte spielten Todtenblässe und Dunkelröthe.
„Der hat sich sicherlich ein paar schwere Rehböcke zu Schulden kommen lassen,“ meinte der Bauer, „war aber sonst ein ordentlicher Mensch.“
„O du verfluchtes, o du vermaledeites Geld!“ stöhnte der Melchior, dann ging er wieder hinter dem Stiere her und sagte kein Wort mehr, was der Bauer vom Rochusberge auch fragen mochte.
So waren sie einige Stunden mitsammen gegangen, waren durch Gesträuche und Wälder gekommen und endlich auf einer Hochblöße angelangt, von der aus man den ersten freien Blick in’s Land hatte. Die Gegend ist zumeist Wald- und Haideland; nur selten steht an den sonnigen Hängen oder in den Wiesenthälern ein Haus, dann aber liegt ein Kornäckerchen und ein Krautgarten dabei. Der Blick geht so weit, bis die Waldhöhen blau werden und endlich an sonnigen Tagen die Berge und die Wölklein nicht mehr von einander zu unterscheiden sind.
„Sooh, mein Schwarzer!“ rief der Hochweidhofer gedehnt, „wir sind daheim! das ist schon meine Wiese – wenn’s gefällig!“
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Der Stier ließ sich’s nicht zweimal sagen und hub an zu grasen.
„Halte den Strick dieweilen!“ sagte der Bauer zum Burschen, dann zog er eine große, rothlederne Brieftasche hervor, faltete sie langsam auseinander, blätterte in den Banknoten, während er in halb singendem, höhnischem Tone folgende Sprache führte: „Nu, wollen sehen – mein vornehmer Herr Stromer, was sich findet –; sollst dem Bauer von der hohen Weid – nicht umsonst – nachgelaufen sein –.“
„Nachgelaufen bin ich nicht!“ sagte der Melchior.
„Je, nur nicht gleich so hitzig, Junge! – sollst es nicht umsonst gethan haben – wird morgen zwar – vertrunken – verspielt sein. – Nichtsnutzig Volk, das! – Lauft am hellen Werktag in der Lunger herum – stiehlt dem Herrgott seinen Tag. – Seh, da hast, das gehört Dein, Du Vagabund Du!“
Er hatte sich schon lange den Berg heran gefreut, wie er, des Burschen nicht mehr bedürftig, seine Meinung würde sagen können. Nun war’s heraus; aber auch eine noch nagelneue Zweiguldennote war heraus: „Seh, das gehört Dein!“
Der Bursche hatte dem Bauer gleichgiltig zugehört, ihn aber mißtrauisch angesehen. Als er nun die Banknote vor sich flattern sah, wendete er sich hastig weg und rief: „Nein, ich rühr’s nicht an, mein Lebtag nicht. Mein heiliger Gott wird mich hüten.“
Der Mann von der hohen Weid stutzte. „Nun, ist es vielleicht zu wenig?“
„Ich sag’ vergelt’s Gott!“ sagte darauf der junge Mann, „aber Geld nehm’ ich nicht. – Hunger hätt’ ich!“
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„Ei, das ist was Anderes. ’s ist keine halbe Stunde mehr bis zu meinem Haus, komm halt mit, und jetzt mach Dein Geld weg!“ Des Bauers Stimme war ein weniges milder geworden.
„Habt Ihr’s denn nicht gesehen, wie sie ihn davon getrieben?“ hastete der Bursche heraus, „ich nehm’s nicht! bei meiner Seel, ich nehm’s nicht!“
„Also, Du Bettelbub,“ versetzte der Bauer und stemmte seine Arme in die Seiten und streckte seinen Hals vor: „Du willst dem Hochweidhofer ein Almosen geben?“
Jetzt haschte der Andere nach der Geldnote und mit bebenden Händen zerfetzte er sie in viele Stücke.
Der Bauer starrte wunderlich drein und sagte kein Wort. Als er hierauf den Strick wieder in die Hand nahm, murmelte er: „Ja, wenn es so mit ihm steht, dann ist er freilich ein armer Teufel!“ Hierauf hob er seine Stimme zum Befehl: „Du kommst mit!“
Falsches Geld.
Der Hof auf der hohen Weid ist eine Almerei im Großen. Die silberweißen Schindeldächer des vielfältigen Gebäudes leuchten weit hinaus in die Gegend, sie sind von keinem Schutzbaume beschattet, sie liegen frei in einer sonnseitigen Mulde des Rochusberges. Im Hofe giebt es Schellengeklingel, Rindergebrüll und Ziegengeblök zu allen Tageszeiten. Wenn auch im Sommer große Heerden auf dem Hochboden und den Hinteralmen weiden, in Gegenden, die noch ein gut Stück höher liegen, als der Hof, so sind auch in diesem immer noch Kühe, Ochsen, Ziegen, Schafe und Schweine zur[S. 150] Genüge vorhanden, und ein prickelnder Duft, wie er zum Entsetzen der Recensenten häufig in Dorfgeschichten zu spüren sein soll, verleiht der großen Almwirthschaft erst den rechten Nimbus. Ein zahlreiches Gesinde, theils schläfrig, theils lustig, ist dem Viehstande beigemengt. Hinkende und bekropfte Schafhirten, alte, träge Ochsenwarte, aber auch flinke und ewig jodelnde Käserinnen, Buttermädchen, stets barfuß und hochgeschürzt und stets mit ihren Kühen und Kalben plaudernd, weil ihnen das Mannsvolk zu langweilig. Schuhe und Strümpfe tragen zur Sommerszeit nur die Großbäuerin und der Bauer und ihre zwei Söhne. Diese zwei Söhne sind junges, lustiges Blut; aber der Aeltere war so hoffärtig, daß er in die Stadt studiren ging; und der Jüngere ist seiner Schulzeit noch so nahe, daß er kaum erst den Katechismus wieder vergessen hat. Er beschäftigt sich viel mit Forellenfischen und Spatzenfangen, reitet den Ziegenbock, neckt die alten Kühe, bis sie ausschlagen, und ist somit dem Weibervolke auf der hohen Weid ein Gräuel.
Kein Wunder, die Langweile auf so einem Almhof, an dem keine Straße vorüberführt, auf dem man des Jahres außer den Viehhändlern kaum drei Fremde sieht. Gar kein Wunder, daß an diesem Tage, von dem wir erzählen, eine gewisse Stimmung des Hangens und Erwartens auf den Gemüthern lag. Der Stier kommt! Gestern ist der Bauer in das Untergäu gegangen, heute, längstens bis zum Nachmittagsbrot kommt der neue „Jodel“.
Die Stalldirnen fegten alle Spinnweben von den Winkeln, den Kehricht vor den Thüren weg, striegelten die Rinder glatt und sauber, und die Oberkäserin ging mit dem Gedanken um, zu Ehren des Ankömmlings einen Schottenkuchen zu beizen, der so groß wäre, wie ein Melkzuber.
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Endlich, zur Stunde, als die Giebel des Gehöftes schon lange Schatten legten über die frischgemähte Wiese hinab, erhob sich eine lebhafte Bewegung, und Alles rief oder flüsterte: „Er kommt!“
Dröhnend und mit heftig hin- und herschlagender Halsfahne trottete der Stier raschen Schrittes in den Hof. Daß der Bauer mit dabei war, verstand sich von selber, aber daß auch noch ein Anderer – – ein junger, hübscher Bursche, manierlich über und über! – Mit der Zunge hat er geschnalzt, als sie zum Thore hereinkamen. Jetzt hält er den Stier an den Hörnern, während der Bauer Anordnungen trifft. Will sich’s aber nicht recht gefallen lassen, der Schwarze, schnaubt und pustert und plötzlich macht er einen Sprung. „Laß aus, laß aus!“ rief man dem Burschen zu, aber dieser läßt nicht ab von den Hörnern, wird mit fortgeschleift. Das Weibervolk kreischt auf, ruft den Namen Jesu an; da läßt der Bursche mit der Rechten los, ballt sie zur Faust und versetzt dem wilden Rinde einen Schlag hinter dem Auge. Der Schlag war weit zu hören, der Stier stand still, wendete langsam das Haupt; es war ihm nicht wohlgemuth. Sie standen wieder ruhig beisammen. Das Heer der Knechte nahte. Die Butter-Toni war gar ein weichherzig Mägdlein, die wäre für ihr Leben gern dem jungen Menschen zugesprungen, um ihn zu fragen, ob er sich wohl nirgends weh gethan; aber ihre Scheu vor dem Schwarzen war doch zu groß. Erst als der Stier in seinem Stalle war, kam sie mit Nadel und Zwirn herbeigerannt, um dem Fremdling das Beinkleid zu schlichten, das am Knie einen großen Riß bekommen hatte. Der so freundlich erwartete Stier aus dem untern Gäu hatte die Zuneigung der Bewohnerschaft von der hohen Weid verscherzt; hingegen war dieselbe im vollen Maße dem[S. 152] tapfern Fremden zugefallen, der nun in die Gesindestube geführt wurde, wo ihm der Hausvater reichlich zu essen auftragen ließ.
Durch die Thürfugen, durch die Fenster guckten die Mägde in die Stube, um den jungen Mann sitzen und essen zu sehen, bis der Bauer plötzlich den Ruf that: „Sakra! heißt das arbeiten?“ Da zogen sich die Augen zurück.
Jetzt ging die Thür auf, ein langer, hagerer Mann trat ein und sagte mit heiserer Stimme: „Glück herein, Unglück hinaus, der Herrgott beschütze dieses Haus!“
„Dank’ schön, dank’ schön,“ versetzte der Hochweidhofer und wendete seinen Kopf zum Fenster hinaus. Den alten Hirtengruß hörte er gern, aber den Mann, der ihn jetzt gesprochen hatte, mochte er nicht recht leiden.
Der Eintretende sah aber auch nicht just danach aus. Er hatte mattgraue Tuchkleider am Leibe, die aber schon recht abgetragen und an allen Enden zu kurz und schlottrig waren. Der obere Theil der Gestalt war stark nach links geneigt, so daß der dünne, schlanke Mann aussah wie ein geknickter Zaunpfahl. Die rechte Achsel war emporgezogen und auf derselben lehnte der kleine Kopf, der mit seiner niedern, breiten Stirn und dem scharfspitzigen Kinn eine dreieckige Form hatte. In diesem Dreiecke waren für’s Erste zwei wassergraue schielende Aeuglein, eine scharfe, aber zu kurz gerathene Nase mit weiten Nüstern, und ein erklecklich breiter Mund, an dem die Oberzähne so weit hervorstanden, daß sich die Unterlippe bequem hinter denselben bergen konnte. Zuckend hob der Mann den Arm, um seine braune Pelzmütze abzuziehen, denn artig war der Remini Dreihand immer, und die braune Pelzmütze trug er auch immer; diese war so zu formen, daß sie entweder ein Sonnendächelchen[S. 153] für das Auge, oder zur Winterszeit ein paar Schutzlappen für die Ohren gab.
So schlich der Remini nun durch die Stube, auf den Bauer zu, legte diesem eine Hand auf die Achsel und sagte gedämpft, aber hastig: „Hochweider! Hochweider! ’s ist schauderlich – ’s ist gar zum Närrischwerden!“
„Was denn?“
„Ach, ’s ist schauderlich! – Meine Mutter, wenn sie das gewußt, richtig, sie hätt’ mich mitgeschickt in die neue Welt hinüber. Und jetzt – Hochweider! – ist mir da in der alten herüben das passirt, Das, und mir! mir, dem guten, armen Remini, der ohnehin nicht weiß, wovon er leben soll in seinen alten Tagen –“
„Ei, geh mir!“ unterbrach ihn der Bauer, „Du bist das alte Klageweib, heut, wie immer, Du hast zu leben genug.“
Der geknickte Zaunpfahl schwieg einen Augenblick. Dann kramte er mit zitternder Hast in seiner Brusttasche. – „Hochweider,“ hub er wieder an und wickelte einen neuen Zehnguldenschein hervor, „Hochweider, hast schon einen falschen Zehner gesehen? – Nicht? – nu, da kann ich aufwarten; – ist nett gemacht, nicht wahr? – nett, fein –“; dann brach er los: „Fünf schwere Thaler hab ich ihm dafür gegeben, dem Lumpen, dem Schurken! – Und ich verliere mein gutes Geld, der Wisch ist falsch! Schau einmal, Hochweider, was das für ein Wasserdruck ist; mit Sauschmer ist er gemacht. – Aber heut’ haben sie den Fuchs aus dem Loch gezogen; weiß der Himmel, wie lange er’s schon getrieben!“
„Ja, wer denn? wer denn?“ rief der Bauer, „das ist ja ein ganz verrücktes Schwätzen!“
„Den Herrn Forstadjuncten Kilian Ehrlich haben heut’ die Schandarm’ abgeholt. Hochweider, einen Falschmünzer[S. 154] haben wir mitten unter uns gehabt. Aber ich sag’s, wenn er gehenkt wird, da laß ich mir was kosten, da muß ich dabei sein. Na ja, jetzt weiß man, wo die vielen nagelneuen Banknoten herkommen. Schau nach, Hochweider, ’leicht hast Du auch ein paar in Deinem Sack.“
Der Bauer fuhr gegen seine rothe Brieftasche, ließ sie aber im Rock stecken und murmelte: „Ich nicht. Der Bauer von der hohen Weid kennt sein Geld.“
Gut so, der Mann von der hohen Weid giebt sich nie eine Blöße, am wenigsten noch vor einem Menschen, wie dieser Remini Dreihand. Der Geizhals soll nicht die Freude haben, den Großmann des Berges auf der Stelle um ein paar Dutzend Gulden ärmer werden zu sehen.
Erst als der Geknickte mit weinerlichem Gesichte seine falsche Banknote mit derselben Sorgfalt wieder eingesteckt hatte, als wäre sie eine echte gewesen, und als er hierauf klagend wieder davongeschlottert war, ging der Bauer in die Stubenecke, in welcher neben dem letzten Fenster der braune Uhrkasten stand, und sichtete seine Banknoten. „Sakra, sakra!“ rief er plötzlich, „eine ganze Kuh ist hin! Fünf falsche Zehner!“
In zwei Minuten darauf war er wieder der Alte, schritt langsam gegen den Tisch und rief: „Nun, Herr Landstreicher, schmeckt’s nicht?“
Der Melchior hatte Messer und Gabel längst aus der Hand gelegt. Schon der falsche Zehner des Remini Dreihand hatte ihm den Appetit verdorben. Seitdem war er bewegungslos und blaß dagesessen.
„Gott vergelt es, ich bin satt,“ sagte er und stand auf, „aber ich wollt fragen, Bauer, könnt Ihr mich in Euren Dienst nehmen?“
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Der Hochweidhofer maß den Burschen vom Kopf bis zum Fuß, und zwar mit einer hochfahrenden Kälte, als wäre er ein alter Recrutenrevisor. – Gefällt mir übrigens von Dir! – tauglich! wollte er schon sagen, anstatt dessen entgegnete er langsam und trocken: „Der Bauer auf der hohen Weid nimmt Keinen in seinen Dienst, den er nicht so gut kennt, wie seinen Thürstock da, Keinen!“
„Mein Tauf- und Heimatschein liegt beim Müller im Untergäu,“ sagte der Andere, „ich bin die Zeit her beim Müller gewesen.“
„Wird beim Müller im Untergäu das Dienstjahr zu Jakobi aus?“ fragte der Bauer scharf.
„Beim Müller nicht, aber bei mir,“ antwortete der Bursche, „der Müller hat mich an der Ehre beleidigt, da bin ich ihm davongegangen. Ich bin ein ehrlicher Mensch, und wenn Ihr mich aufnehmt, Bauer, so mögt Ihr mir die schwersten Arbeiten schaffen, mögt mich scharf behandeln wie Ihr wollt, aber das merkt Euch, ich bin ein ehrlicher Mensch!“
Mit gehobener Stimme, fast drohend waren diese Worte gesprochen worden; der Sprecher hatte dabei die Fäuste geballt.
„Hm, hm,“ meinte der Bauer kleinlaut, „das laß ich ja wohl gelten. Mußt ihn nicht gleich so aufnehmen, meinen Landstreicher.“
„Der bin ich auch, und bin es so lang’, bis ich Arbeit gefunden hab’. Zum Müller bringen mich vier Rösser nicht mehr zurück.“
Der Hochweidhofer ging langsam in der Stube auf und ab und hielt die Hände am Rücken. Er trat fest auf, daß die Dielen knarrten. Dieser fremde Junge wollte Recht behalten vor ihm, dem Mann von der hohen Weid! Konnte[S. 156] er so Einen in seinem Hause dulden? Aber der Mensch schien einen Kern in sich zu haben; und lauter Hundsfötter im Gesinde, das thut auch kein gut.
„Weißt Du was, Melchior,“ sagte der Bauer und blieb vor dem Burschen stehen, „wir machen dieweilen noch nichts aus. Bleib’ Du ein paar Tage auf der hohen Weid. Gefall’ ich Dir und gefällst Du mir, dann spannen wir auf weiteres an. – Ist Dir das recht, so paß jetzt auf. Du und der neue Stier, Ihr seid zwei Bekannte, Du sollst den Schwarzen heut’ noch auf die Hinteralm führen. Der kleine Bub wird Dir treiben. Bei dem Sennermägdle auf der Hinteralm wirst Du über Nacht bleiben. Morgen wirst Du den Stier an die Heerde lassen und so lang dabei bleiben, bis Du siehst, er ist angewohnt. Nachher kommst wieder heim.“
Kommst wieder heim! Das Wort hat dem Melchior wohlgethan.
Das Andenken in der Zipfelmütze und das Sennermägdle.
Der Schwarze hatte dieweilen auch sein Willkommbrot genossen. Als hierauf die kleine Karawane gerüstet war, schoß noch die flinke Butter-Toni herbei und steckte dem Melchior kichernd ein weißes Päckchen in die Hand. Seine Zipfelmütze war’s, die er bereits vermißt hatte; sie war vorhin im Kampfe mit dem Rind in den Wust gefallen und mußte gewaschen werden. Als sie der Bursche nun über den Kopf ziehen wollte, fand er ganz hinten im Zipfel ein schwammiges Dingelchen. Was kann denn da drin stecken? Ein niedliches Lebkuchenherz und ein papiernes Bildchen darauf, und auf dem Bildchen ein goldenes Körblein, und im Körblein ein Nest von rothen Rosen und in den rothen[S. 157] Rosen ein Liebespärchen, das sich die Hand reicht, und darüber die Worte gedruckt:
„Zu einem treuen Angedenken
Will ich Dir mein Herzlein schenken.“
Da wollte sich des Burschen Gesicht schier zu einem Lächeln ziehen; er blickte um sich, sah kein Mägdlein, hörte aber Kichern im Gestalle.
Der kleine Bub, der als Treiber ging, war gewiß noch nicht zehn Jahre alt, aber er hatte einen so großen Filzhut auf dem Haupte, daß er das kleine Gesicht sehr hoch empor halten mußte, wollte er aus der ungeheueren Krempe hervor den schwarzen Stier und den blauen Knecht mit der Zipfelmütze noch sehen.
So zogen sie die Höhe hinan, über die Steinhalden und Grasblößen dahin, die schönen Matten des Hochboden entlang bis gegen die Hütten der Hinteralm. Der Kleine war Wegweiser. Sie hatten unterwegs manchen Strauß zu bestehen.
Dort und da waren in einem Schocke Rinder beisammen, die sich sehr für den vorüberziehenden Blutsfreund interessirten. Der Schwarze selbst wollte mit den Standesgenossen anbinden, und besonders, wo er Kühe und Kalben wahrnahm, da wollte er zu ihnen, oder er war kaum vom Flecke zu bringen. Die kräftige Hand Melchior’s gehörte dazu, um ihn zu bändigen, und der kleine Junge schlug stets einen solchen Lärm sowohl mit seiner Riemenpeitsche als auch mit seiner hellen Stimme, daß das Rindvieh ordentlich Respect davor bekam.
Endlich sahen sie die Hütte, aus welcher dünner Rauch in die Abendluft aufstieg und in welcher Melchior bei dem Sennermägdle übernachten sollte.
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Es wurde dem Burschen ganz seltsam auf dieser Höhe; da war’s so still, so weit, so frei. Seine Glieder waren munter, sein Herz war andächtig und übermüthig zugleich.
Vor der Hütte weideten einige Schweinchen; am Brunnen trank eine betagte Kuh, im Hollerstrauch daneben schäkerten ein paar Ziegen. Die Hüttenthür war offen, aber die untere Hälfte derselben war durch einen Gadern gesperrt, auf daß die vorerwähnten Thiere nicht freien Eintritt hatten in die menschliche Behausung, in welcher das Sennermägdle wirthete.
Der Melchior lugte schon von weitem auf die Thür. Er sah innerhalb derselben in der Dunkelheit und dem Rauch des Herdfeuers eine Gestalt stehen, die gemächlich den Stab eines Butterrührkübels auf- und niederzog und dabei ein Pfeifchen schmauchte. Das Gesicht war runzelig und gar verdorrt, die kurzgeschorenen Haare waren dünn und grau. Die Dreie nun bemerkend, ließ diese Gestalt den Rührstab ruhen und machte einen langen Hals, der rechtschaffen gebräunt und an dem die Adern wie ein Knäuel rauher Stricke ineinandergingen.
„Gelt, Nickerl, es wohnen mehr Leute in der Hütten als Einer?“ fragte Melchior den Knaben.
„Nein,“ antwortete dieser.
„Wer ist denn nachher das, was dort Butter rührt?“
„Das ist das Sennermägdle.“
Der Bursche schwieg, that aber einen so heftigen Ruck an dem Strick, daß ihn der Schwarze fragend anglotzte, was er doch schon wieder mißgangen haben könne?
„Mägdle, der neue Stier ist da!“ rief der Nickerl. Da kam denn die Gestalt mit den kurzgeschorenen Haaren und dem Tabakspfeifchen sofort herangetrippelt, und ihr Anzug, ein grauer, schwarzgestreifter Wiflingkittel mit der gleichfarbigen[S. 159] Schürze und dem einmal blau gewesenen Busentuch ließ keinen Zweifel mehr übrig: es war ein Weib, es war das Sennermägdle.
Der Stier wurde in eine bereitete Klause gethan und mit Bocksbart und Süßklee gefüttert. Der Nickerl war wieder davongehüpft, und man hörte ihn über die Almen hinaus lange noch lärmen; der Kleine suchte die Gespenster, vor welchen er sich in der Nacht fürchtete, durch helles Geschrei zu vertreiben.
Der Melchior saß völlig schwermüthig vor dem dürftigen Herd, auf welchem ihm das „Mägdle“ das Abendbrot kochte. Als sie die „Mehlspatzen“, die sehr fett waren, verzehrt hatten, ging die Alte den Burschen an um ein Pfeifchen Tabak.
„Weibel,“ entgegnete Melchior treuherzig, „ich hab’ meiner Tag nicht geraucht.“ Er redete weiters nicht viel, aber Eines ging ihm nicht aus dem Sinn; das Ding war auch ganz unerklärlich, es war gar nicht zu lachen darüber, es war geradezu ein Unding, ein neues Unding in seiner Welt. Das kleine Köpflein sah ja schier kahl und gerupft aus. Er war sonst nicht neugierig, aber nun that er doch den Mund auf: „Ist es des Herdfeuers wegen, daß Ihr Euch die Haare habt schneiden lassen?“
„Was brauch ich denn die Fetzen!“ fuhr sie ihn an; bald aber setzte sie, wie selbstgefällig, grinsend bei: „Ich verkaufe mein Haar!“
„Verkaufen!“
Der Melchior war von seinem umgestülpten Milchzuber aufgesprungen. „Geld und wieder Geld!“ rief er, und im Munde kaute er die Worte herum: „Herr je, was muß die nicht schon Alles verkauft haben, wenn die paar armseligen Haarweben nicht mehr sicher sind auf ihrem Schädel!“
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„Wie sagst?“ fragte die Alte.
„Ist schon recht,“ sagte der Bursche.
„Mein Gott, wo nähm’ unsereins sonst das Tabakgeld?“
„Ist schon wieder recht!“ rief der Melchior, „Sennin, ich möcht schlafen gehen!“
Auf dem Dachgeschoß der Klause, in welcher der Stier seine Nachtruhe hielt, lag frisches Heu; da hinein warf sich der Bursche aus dem Untergäu und streckte die Glieder weit von sich.
Geld! im Untergäu das Gift, im Obergäu das Gift – überall! – Mich bringst du nicht um, ich bin ehrlich, so steht’s in meinem Taufschein – und ich will’s verbleiben. Du kleines Ledertäschlein da, von meinem Pathen hab’ ich dich, für Geld wärest du gemacht. Nicht einen Pfennig kriegst mir hinein. Wart einmal, sollst nicht leer bleiben – sollst es gut haben – so!
Das Lebzeltenherz steckte er in den Geldbeutel. Dann barg er diesen tief in seinen Hosensack, dehnte sich noch einmal im weichen Heu und schlief ein.
Das Gegröhle der Schweine war es am andern Morgen, das unsern Melchior zu dem herrlichsten Alpensommertag erweckte. Der Bursche hatte nur einige Rispenhälmchen aus seinen Hosen und Haupthaaren wegzuzupfen, dann war er angekleidet und herausgeputzt. Kaltes Brunnenwasser goß er sich noch in das Gesicht und eine warme Molkensuppe in den Magen, dann war er bereit.
Er ging mit der Heerde auf die Weide. Es waren lustige Kühe und flinke Kalben da, und der Schwarze war Lebemann. Melchior sah es gleich, daß sich der Untergäuer hier nicht langweilen werde; er hätte denn sofort in das Gehöfte zurückkehren können. Allein auf der sonnigen Matte[S. 161] war es so wohlig zu liegen, die Augen zu schließen und dem Glockengeschelle zuzuhören. Er that’s und dachte dabei an das Lebkuchenherz, das er in seiner Geldtasche trug, dachte an die kleine Magd, die ihm das Ding zugesteckt hatte. Sie hatte ein kurzes rothes Kittelchen an und gelbe Haare auf dem Kopfe, das war Alles, was er von ihr wußte. Und es war genug, häufig genug. Er riß die Augen auf und sah in die Heerde hinein.
Dort nicht weit stand ein Wassertrog, der war aus Föhrenholz, es klebte noch die dicke, gefurchte Rinde daran. Melchior ging zum Troge, trat mit der Schuhferse ein Stück Rinde davon und begann mit seinem Taschenmesser an diesem Stücke zu schnitzen.
Er schnitzte, murmelte, pfiff, sang dabei Schelmenlieder aus dem Untergäu. Und endlich war das Ding fertig. Er hub es mit der rechten Hand ein paar Schuh weit von sich in die Luft hinaus, drückte ein Auge zu und mit dem andern lugte er so d’rauf hin. Gut gerathen war’s, ein Vögelchen spitzte die Stoßfedern, hob das Köpfchen, sperrte das Schnäbelchen auf. Ja, so schnitzen aus Föhrenrinden, das hat er schon als Knabe gelernt, das bringt Keiner so zu weg, wie der Melchior. Aber die kleine Magd mit dem gelben Haar, wird sie ihn schließlich nicht gar ausspotten, daß er ihr für das nette Lebkuchenherz nichts zu bieten weiß, als so ein hölzernes Dingelchen da? Sie kichert und lacht so gern, das hat er schon gesehen... Sie soll aber nicht kichern und lachen über ein Andenken, das ihr Melchior giebt, sie soll sehen, wie tief in’s Herz hinein ihn ihr Lebkuchen gefreut hat, sie soll merken, wie er das Lebkuchenherz verstanden hat, sie soll wissen –
Was nur soll sie wissen?
[S. 162]
Der Melchior hat an seiner Halsschnur ein messing Marienbildchen und ein silbernes Ringlein hängen. Das Marienbildchen hat er von seiner Mutter – Gott schenk’ ihr die himmlische Freud’. Das Ringlein hat er von einem frommen Kapuziner, der einmal mit einer großen Blechbüchse in’s Haus gekommen ist und dem die Mutter um Gotteswillen einen schweren Klumpen Rindschmalz in die Blechbüchse gelegt hat. Der Pater hatte mancherlei Schätze bei sich und aus Dankbarkeit für den Klumpen steckte er dem Knaben ein funkelndes Silberringlein an den Finger. Der Finger war bald zu groß gewachsen, da kam der Ring an die Halsschnur.
Der Melchior dachte daran, nahm seinen geschnitzten Vogel wieder zur Hand und schlitzte ihm den Bauch auf. Eine tiefe Spalte nämlich schnitt er in das hölzerne Thier; dann that er das Ringlein von der Schnur, rieb es ein Weilchen an der blauen Leinwandhose, bis es in der Sonne wie Gold funkelte, that es dann in den Spalt und verklebte diesen sorgsam mit Splitterchen.
„Jetzt, Rothkröpfel, ist auch ein Herz in dir!“ rief er lustig, „jetzt bist schon recht für die Rothkitteldirn!“
That das Vöglein in seinen Hosensack, rief der grasenden und scherzenden Heerde zu: „Viel Glück auf der Hinteralm und stoßt euch kein Hörndel ab und – das Sennermägdle, das laß’ ich von weitem schön grüßen!“ und ging davon.
Ueber die stundenlange Schneide des Rochusberges ging er hinaus.
Hier auf der Höhe – wo ihm nicht der geizige und nergelnde Müller mit seinem ewigen Brummen und Befehlen zur Seite war, wo er seine schlanken Beine einmal fest und sicher in den Boden setzen, seine hohe Brust einmal ordentlich[S. 163] hervorkehren, sein Haupt einmal keck in die Höhe heben konnte, wo er seinen klaren Augenblick einmal trotzig, lebensfreudig in’s Weite schießen lassen wollte, wo jeder Athemstoß ein Jauchzen wurde – machte er Halt. „Es ist Platz für mich, und wenn ich einmal doppelt werde, Platz genug!“ – da hätte man’s sehen können, was der ganze Bursche für ein prächtiger Kerl war.
Das dünne, weiche Leinenkleid that nichts dagegen, daß man seinen drallen, echt älplermäßigen Gliederbau durchaus kennen lernen konnte; zudem stand zu vermuthen, daß der Melchior gar kein Hemd anhatte. Die Hände hielt er stets in den Hosentaschen; in der rechten hielt er das Beutelchen mit dem Lebkuchenherz, in der linken den Vogel. So schlenderte er fürbaß und der weißrothe Haubenzipfel schlug am Nacken bei jedem Schritte wie ein Pendel hin und her.
Je näher der Bursche aber gegen den Hochweidhof kam, desto mehr verging ihm die Lustigkeit. Unter den Menschen war er wieder der arme Schelm. Und vielleicht hat es der Bauer schon erfahren, weß Stammes und Namens er, der Melchior, ist und wird ihn gleich aus dem Hause weisen. Die Menschen gehen alle nach dem Schein, alle! Der Bauer von der hohen Weid, sagt man zwar, der gehe schnurgerade der Nase nach und dem Kern zuleibe. Dann freilich wär’s gewonnen. – Heute oder morgen muß der Melchior doch den Mund aufmachen, will er auf der hohen Weid verbleiben. Heute ist’s besser als morgen.
„Nu, Melchi, wie steht’s auf der Alm?“ fragte der Bauer sogleich, als der Bursche vor sein Auge trat.
„Könnt’ gar nicht besser stehen,“ antwortete der Melchior.
„Was schafft das Sennermägdle?“
„Nicht einmal scheu ist er worden,“ sagte der Bursche.
[S. 164]
„Wer?“
„Der Stier.“
„Vor wem?“
„Vor der alten Vettel.“
Jetzt that der Bauer einen ganz gewaltigen Lacher. „Bist ein rechter Sakra, Du!“ rief er, dem Burschen die flache Hand auf die Achsel werfend, „ein Höllsakra übereinand! Und nun schau, daß Dir die Bäuerin Dein Mittagsmahl giebt, die Leut’ haben schon abgegessen. – Hast denn noch was auszurichten?“
„Bauer,“ sagte nun der Untergäuer stockend, „meine Mutter hat fort gesagt, wenn das Herz voll ist, so hat im Magen nichts Platz. Mir gefällt’s schon auf der hohen Weid und ich möcht was reden mit Euch, aber ganz allein.“
„Mit mir was reden willst? Lug einmal, Junggesell, seit wir Zwei uns kennen, giebst Du mir ja einen Befehl um den andern! Willst Du was reden, so hast mich fein zu fragen, ob ich was hören will. Nu, für ein andermal. Kannst jetzt mit mir gehen.“
Er führte den Burschen über eine Stiege in eine rückseitige Kammer empor. Hier hingen, lehnten und lagen allerlei Werkzeuge, Messer, Hacken, Sägen, Feilen, Bohrer und andere Dinge, deren Zweck gar nicht zu errathen war. Des Bauers Werkstatt, in der er die Halsjöcher seiner Ochsen zimmerte, die Melkzuber und Milchbutten band, die Haarstriegel schärfte, die Messer schliff, mit denen den Rindern die Hörner und die Klauen beschnitten wurden, und allerlei andere Dinge schuf und verrichtete, die in der Wirthschaft nöthig waren.
Der Bauer setzte sich nun sofort auf die Hanselbank, zwängte einen Balken unter den hölzernen Haltkopf, begann[S. 165] mit einem Reifmesser daran zu schneiden und sagte: „Melchi, jetzt kannst was reden mit mir.“
Der Bursche setzte sich auf einen Ahornblock, schlug mit den Händen auf die Oberschenkel, daß es klatschte, zuckte die Achseln und stieß das Wortlein: „Ja!“ heraus. Dann schwieg er und trampelte mit den Schuhen.
Der Hochweider schnitt gelassen an seinem Balken.
„Bauer,“ sagte nun der Melchior kleinlaut, „möcht Euch sagen, wie’s mit mir steht. ’s ist eine schwere Sach’, weiß nicht, wo ich anfangen soll. Mein Vater, der ist im Gefängniß gestorben, weil er sich unredlich Gut zugelegt hat; meinen Bruder haben die Gendarmen weggeführt, weil er Banknoten gefälscht; mich hat der Müller im Untergäu verjagt, weil ich kein Schurke hab sein wollen; seht, das ist meine ganze Geschichte.“
Der Bauer hatte beim „Schurken“ sein Messer still gehalten. Nun schnitt er wieder; als er aber sah, der Bursche wollte nicht mehr weiter reden, blickte er mit scharfem Auge auf: „Der paar Worte wegen hast mich über die Stiegen herauf gehetzt?“
„Habt Ihr den Ehrlich-Schmied vom Untergäu gekannt, Bauer?“
„Den Alten noch, hat mir ja im Eismonat meine Ochsen beschlagen, wenn ich Fuhrwerk im Thal gehabt!“ sagte der Hochweider, „hat seinen Namen nicht umsonst getragen, ist ein Ehrenmann gewesen.“
Der Melchior stieß einen tiefen Athemzug aus der Brust. – „Ah!“ sagte er sich aufrichtend, „jetzt Bauer, jetzt red’ ich mich leichter. Der Ehren-Schmied, der alte, von dem Ihr da sagt, der ist mein Großvater gewesen. Als so ein Bübel bin ich noch auf seinem Knie gesessen. Alle[S. 166] Leut’ haben mich den Ehren-Schmied-Buben geheißen, in der Schul’ bin ich der Ehren-Schmied-Melchi gewesen, wir haben uns ja auch Ehrlich geschrieben. D’rauf, wie mein Vater die Wirthschaft übernommen hat, ist’s abwärts gegangen. Meine Mutter, die ist gut gewesen, rechtschaffen gut, sie hat mehr an die Armen verschenkt, als es hätte sein sollen, und das hätt’ sie doch nicht thun sollen, daß sie von der Wirthschaft heimlich Korn und Speck und Fleisch verkauft hat. ’s ist bitter für mich, zu sagen, der paar Groschen wegen ist’s ihr zu thun gewesen. Wie das Sprüchel sagt: das Weib kann mit der Schürze mehr aus dem Haus tragen, als der Mann mit dem Erntewagen einfährt. Ganz und gar sind wir verarmt. Mein Vater ist mit traurigem Gesicht im Hause umhergegangen, die Arbeit hat ihm nicht mehr schlaunen wollen; wär’ sie schon umsonst, so hätt’ er keine Freud’ mehr zu ihr. Ein Terno in der Lotterie gewonnen, könnt’ wohl noch retten! Hat viel simulirt, mein Vater, wie er nur wieder zu Geld kommen könnt’. Da ist einmal ein mühseliger Hausirer in unserm Hause über Nacht geblieben, in derselben Nacht erkrankt und so hat mein Vater den armen Mann, um den sich sonst Niemand hat wollen annehmen, unter seinem Dach behalten und meine Mutter hat ihn wohl um Gotteswillen fleißig gewartet. Nach vier Monaten ist der alte Mann bei uns gestorben. In aller Still’ haben wir ihn auf den Kirchhof getragen, wie ein Bettelmann schon begraben wird. D’rauf, wie mein Vater das Sterbebett aus dem Stübel tragen will, findet er im Strohsack in ein blaues Tüchlein gewickelt – Geld. Ich, der junge Bub, hab’s erst viel später erfahren, es sollen an die neunzig Gulden gewesen sein. Jetzt Hochweider, wenn Einen die Gnad’ Gottes jah verläßt!... Baargeld! Wer hätt’ so was beim Bettelmann gesucht? Wer[S. 167] frägt danach! Keine Schrift, kein einzig Wort ist laut. Und die Krankenpflege hat Müh’ gemacht und die Kost und die Medicin hat Geld gekostet, wie kann’s denn eine so große Sünd’ sein, die kleine Baarschaft da in aller Still’ für’s Haus zu verwenden! – So wird’s meinem Vater halt in den Kopf gekommen sein. Auf das geht eine Weile hin, steigt der Gerichtsdiener in die Ehren-Schmiede. Ja, der ist wohl auch sonst zuweilen gekommen, aber diesmal wird mein Vater todtenblaß. Er muß vor’s Gericht, muß sich ausweisen, was es mit dem Gelde ist, das er im Strohsack des Hausirers gefunden! – Eine Magd in unserm Haus, die dahinter gekommen, hat’s verrathen; mein Vater hat auf das erste Wort Alles gestanden, er hätt’ nicht vorgehabt, den Fund beim Amte anzuzeigen, hätt’ ihn für die Mühen und Auslagen im Haus behalten wollen. Jetzt, Hochweider, haben sie den Ehren-Schmied eingesperrt.“
Diese letzten Worte hatte der Melchior nur so vor sich hingemurmelt und hatte dabei stark mit den Schuhen auf den Fußboden geklopft. Seine Wangen waren hochroth, seine Augen blinzelten und richteten sich zu Boden. Der Bauer von der hohen Weid saß ruhig auf seiner Hanselbank und schnitt und hobelte und hielt den Balken wagrecht vor sein prüfend Auge hin, ob er wohl schon gleich und glatt genug sei.
„Mit dem Andern,“ sagte der Bursche jetzt, „will ich warten, bis Euer Holz fertig ist, Bauer.“
Da ließ dieser von seiner Arbeit ab und versetzte: „Wie Du siehst, bearbeite ich das Holz mit den Händen und nicht mit den Ohren.“
„Der Ehren-Schmied-Sohn muß es leiden, wie man ihm zuhört,“ sagte der Melchior und schlug wieder auf seine Schenkel. „Mein Vater, der ist nach wenigen Wochen im[S. 168] Gefängniß gestorben, nicht lange darauf auch meine Mutter. Die Schmiede ist in fremde Hände gekommen. Meinen älteren Bruder, viel gescheidter und anstelliger als andere junge Leut’, hat der Oberförster Tarnwald zu sich genommen. Der Kilian, hat es geheißen, hätt’ lieber studiren und ein Baumeister oder Maler werden sollen, er hat manchmal allerhand so Zeichnungen gemacht. Um mich, den einfältigen und noch kleinen Jungen hat sich Niemand kümmern wollen und Verwandte wissen wir in der ganzen Gegend keine aufzuweisen. Da hat mich der Müller genommen. Beim Müller hab ich gezogen wie ein Ochs, getragen wie ein Esel, sieben Jahr’ lang. Das ist auch in der Ordnung gewesen, ich hab’ meine geraden Glieder und ich will gern arbeiten. – Da geht Euch vor etlichen Tagen auf einmal das Gerede, die neuen, falschen Banknoten, die in der Gegend umliefen, hätt’ der Forstjung Kilian Ehrlich gemacht! – Keiner hat gefragt, ob’s wahr, Jeder hat’s geglaubt auf’s erste Wort. Ehrlich! haben sie geschrien und hell gelacht – die braven Ehren-Schmiedleut! Das Weib hat den Mann bestohlen, der Mann hat den armen Hausirer ausgeraubt, der Sohn ist ein Fälscher geworden – ist eine nette Bande. – – Die Ehrabschneider! die Teufelsleut’!“ Die Worte blieben dem Burschen im Halse stecken, seine Fäuste bebten auf den Knieen und der Hochweider, der nur so hinblinzelte auf sein Gesicht, sah das schäumende, knirschende Antlitz eines Rasenden.
„Und ganz recht haben sie,“ sagte später der Melchior scheinbar ruhig, „der Wahrheit kann man nicht auf den Mund schlagen. – Nur daß Ihr’s wißt, Bauer, wie wir zugrunde gerichtet sind. – Und –“ jetzt sprang er auf, „das verfluchte Geld ist Schuld an meiner Mutter, an meines Vaters, an meines Bruders Verderben. Und gestern, wie uns der Kilian zwischen den Gendarmen unten an der Leuten begegnet ist, da[S. 169] hab’ ich bei mir den Schwur gethan: mein Lebtag nicht einen Heller will ich haben von dem vermaledeiten Geld, das die braven Leut’ umbringt!“
Der junge Mann schlug sich die beiden Hände in das Gesicht und kam in ein Schluchzen, das den ganzen Körper schüttelte.
Der Hochweidhofer erhob sich langsam und sagte, „Melchi, Du bist ein braver Bursch! Dich wird auch das Geld nicht verderben, wenn Du nur erst eins hast.“
„Wie der Will,“ fuhr der Melchior dazwischen, „den Geldleuten, den Rechtschaffenen, wie den Lumpen, allen will ich zeigen, wie man ohne einen einzigen Pfennig in der Tasch’ durch die Welt kommen und der Ehrlich bleiben kann. Und die Untergäuer sollen sehen, daß das Blut vom alten Ehren-Schmied noch lebt!“
Solcher Sinn gefiel dem Bauer von der hohen Weid. Er hätte aber nicht geglaubt, daß dieser Junge, dem er manchen Vagabunden an den Kopf geworfen hatte, so denken und seine Worte so gesetzt und rechtschaffen vorbringen konnte. Er hätte ihm mögen die beiden Hände fest drücken, doch besann er sich noch früh genug, er sei der Bauer von der hohen Weid, und so sagte er nur: „Melchi, bist ein wackerer Bursch; aber was Du mir da erzählt hast, das weiß ich schon seit drei Stunden. Ich hab’ vom Müller im untern Gäu Deine Siebensachen und Deine Papiere holen lassen und da ist mir gesagt worden, wie’s mit Dir und den Deinigen steht. Der Müller hat mir freilich berichten lassen, daß einem Menschen, der eine solche Verwandtschaft weist –“
„Nicht zu trauen ist!“ ergänzte der Melchior. „Ja, das wird er gesagt haben, ich kenne den Müller. Will’s Euch nur noch erzählen, Bauer, warum ich ihm aus dem Haus[S. 170] gegangen bin, das hat er Euch sicher nicht berichten lassen. Gestern in aller Frühe, weit ehe noch die Sonne auf ist, kommt er in die Kleienkammer, wo mein Bett steht. Ich will gleich aufspringen, ’s giebt viel Arbeit im Tag. – Nu, nu, Melchior, sagt der Müller, was wirst denn schon jetzt aus dem Nest steigen, ’s ist ja Zeit, schläft noch das ganze Haus. Hab’ Dir nur was sagen wollen, Melchior. Wirst es wissen, vor ein paar Wochen, in der Mariaheimsuchungnacht, ist dem Gutsverwalter unten der Fischbehälter ausgeplündert worden. Und jetzt ist die Sach’ so angestellt, daß ich auch in die Schmier hineinkommen soll. Ich will die vielen Laufereien zu Gericht nicht haben und deswegen, Melchior, ’s kann sein, daß Du gefragt wirst – weißt Melchior, ich muß einen Zeugen haben, daß ich in der Mariaheimsuchungnacht zu Haus gewesen bin. – Den Zeugen muß halt die Frau Müllerin machen, sag’ ich. – Geht nicht, sagt der Müller, Eheweiber werden nicht angenommen. Aber bei Dir ist’s was Anders, Du wirst es ja wohl wissen, daß ich in derselben Nacht daheim gewesen bin. Du brauchst ein neues Paar Stiefel, Melchior, soll gar keinen Umstand haben, und es bleibt jetzt dabei, Du bist mein Zeug’, daß ich in der Heimsuchungnacht in der Mühl’ gewesen bin. – Ich kann der Zeug’ nicht sein, Müller, sag’ ich, ich weiß ja gar nicht, ob Ihr daheim gewesen seid, ich hab’ fest geschlafen. – Bist sieben Jahr’ in meinem Haus gewesen, sagt drauf der Müller, hab’ Dich als armen Waisen aufgenommen, wie Dein Vater im Arrest gestorben ist; hab’ Dich allerweil wie mein eigen Kind lieb gehabt, wirst mir nicht undankbar sein, Melchior. – Ein falsches Zeugniß geb’ ich nicht! schrei ich auf. Da thut der Müller einen Lacher: – Schau das Galgenbandl! will den Gewissenhaften spielen! – Hochweider, wie ich das[S. 171] gehört – hell mutternackt bin ich aus dem Bett gesprungen. – Weil sich die Meinen vergangen haben, so willst mich auch zum Schurken machen, Müller! ruf’ ich aus. – Marsch aus meinem Haus! schreit er aufgebracht. – Heut’ lieber wie morgen, sag’ ich, werf’ meine Kleider über und lauf davon. Er ruft mir noch viele gute Worte nach, ich sollt’ nur bleiben, ’s wär Alles vergessen. Hab’ davon nichts mehr verstehen mögen; bin fortgesprungen, bin herumgegangen auf der Haid, Hochweider, dann habt Ihr mich angerufen.“
Der Bauer hatte längst nicht mehr am Holze geschnitten.
„Melchi,“ sagte er jetzt, „’s hat Alles den rechten Schick, wenn Du von Deinem alten Dienstherrn noch was wissen willst: den Müller haben heut’ die Gendarmen geholt.“
„Der Müller geht mich nichts mehr an,“ sagte der Bursche trotzig, „hab’ mit mir selber zu thun. Jetzt sagt es, Bauer, wollt Ihr mich in Dienst nehmen oder nicht?“
„Wie Du bist,“ versetzte der Bauer, „so wirst Du Dienstplätze überall finden. Willst auf der hohen Weid verbleiben, so ist’s abgemacht, bin ich mit meinem Knecht zufrieden, so soll’s auch er mit mir sein; da hast dieweilen Dein Angeld.“
„Bauer! ich leiste was ich kann und Ihr gebt mir, was ich brauch!“
Nicht einen einzigen Blick warf er auf das ihm vorgehaltene Geld, der Hochweidhofer mußte es wieder einstecken.
Hierauf ging der Melchior in die Gesindestube, um sein Mittagsmahl zu verzehren.
Der Bauer kam ihm nach: „Noch was will ich Dir sagen, Melchi, meine Leut’ wissen es nicht, daß Du der Bruder vom Forstadjuncten bist, sie brauchen es auch nicht zu wissen.“
[S. 172]
In demselben Augenblick wankte draußen vor den Fenstern die geknickte Gestalt des Remini Dreihand vorüber. Unter der rechten Achsel, wie man sonst die Regenschirme trägt, trug er heute ein Schießgewehr bei sich. Der Bauer lachte laut über diese Figur, da krächzte der Remini durch ein Fenster: „Hab mich bezahlt gemacht. Vom Forstadjuncten ist’s; ein feiner Doppelstutzen! Ist mehr werth als der falsche Zehner!“
„Ha, das glaube ich!“ rief der Bauer, „Mancherlei wiederum ist keinen Schuß Pulver werth. Gieb acht, Remini, daß der Stutzen auf Dich selber nicht losgeht!“
Die Wirthschaft auf der hohen Weid wird hier nicht näher beschrieben. Die Thiere pflegen und hüten, die Ställe in Stand halten, die Scheunen mit Heu und Streu füllen, die Milch, Butter und Käse bereiten, das waren die Hauptbeschäftigungen der Leute, die daran jahraus jahrein übergenug zu thun hatten.
Es ist eine seltsame Stimmung im Hirtenhause. Lustigkeit, Leichtlebigkeit, Uebermuth, Trotz, Unbändigkeit und Ungezwungenheit allerwärts – wie’s eben geht, wo Mensch und Vieh zusammen sich des Lebens freuen. Den Hochweidbauer ficht das nicht an; wenn nur die Wirthschaft ihren guten Lauf hat und Jeder seine Arbeit thut, alles Andere mag gehen, wie Gott es will. Der Herr Pfarrer im Untergäu hat freilich einmal zu verstehen gegeben, er, der Bauer auf der hohen Weid, wie überhaupt jeder Hausvater, sei nicht allein für das leibliche Wohl seiner Hausgenossen, sondern auch für deren Seelenheil verantwortlich. Darauf hatte aber der Bauer in seiner vollen Ungeschlachtheit geantwortet: „Ja, sakra! wenn jeder Hausherr selber Seelsorger sein soll, wozu brauchen wir dann die Pfaffen! –[S. 173] Ich laß meine Leut’ in die Kirche und zur Beicht’ gehen, so oft das vorgeschrieben ist, das Weitere geht mich nichts an.“ Gleichwohl that der Mann in seiner Gewissenhaftigkeit ein Uebriges, er sah immer darauf, daß die Mannspersonen seines Hofes stets um fünfundzwanzig Jahre älter waren, als die Weibsleute. Dadurch regelte sich Vieles. Ferner hatte der Mann von der hohen Weid auch die Vorsicht, des Nachts stets einen oder zwei Rundgänge durch und um das Gebäude zu machen, schon des Feuers, der Diebe, der Ordnung in den Stallungen wegen. Auch wurden zur Nachtszeit die zwei großen Kettenhunde losgelassen.
Ob der Bauer, als er den noch nicht neunzehnjährigen Melchior Ehrlich in’s Haus genommen, seine Regel vergessen hatte, oder sie absichtlich umging, läßt sich nicht bestimmen. Er fand eben Gefallen an dem kernigen Burschen und dachte, es könne nicht schaden, daß in sein schläfriges oder leichtfertiges Gesinde einmal ein wenig Sauerteig käme.
Dem Melchior jedoch, dem ging es ganz eigen. In den Geschäften, denen er zu obliegen hatte, stellte er seinen Mann, mitunter sogar seinen doppelten; auch war er sich bewußt, daß er stets gute Courage in der Brust fand, wollte er was durchsetzen. Und trotzdem – und dennoch – er war nun schon drei Wochen im Hof auf der Weid und er wußte noch immer nicht, was die kleine Buttertoni eigentlich für ein Gesicht hatte. Wenn sie an ihm vorüberlief, oder er an ihr hinstreifte, oder wenn sie sich von einer Futterkammer in die andere irgend einmal ein paar schalkhafte Worte zuriefen, so glitt sein Blick wohl an ihren stets sauber gehaltenen Barfüßchen hin, an den Waden, am rothen Kittelchen empor, bis wo die Masche des Schürzenbandes ist, kam aber nicht höher, als bis zum obersten Busenhäklein, wo zuweilen auch[S. 174] eine kleine, wilde Rose stak, mit sammt den Dörnchen aber, so daß der alte Ochsenwart, wenn er, anmaßender als der Melchior, mit seinen kartoffelbraunen Knochenfingern nach derselben langen wollte, sich allemal recht tüchtig stach.
Und von dieser Unkenntniß ihres Angesichtes stammten die unsinnigen Träume, die den jungen Untergäuer fast jede Nacht umgaukelten. Er sah die glatten, runden Füßchen, das schmiegsame Kittelchen, die strammgespannten Busenhäklein, das gelbe Lockenhaar, welches gern in wilden Strähnen niederhing über den Nacken – sah das Alles fein und genau, aber das Gesicht hatte eine ellenlange Nase, auf welcher graue, kurzgeschnittene Haare standen, wie auf dem Haupte des Sennermägdle.
Als nun aber der Melchi, wie er im Hofe stets genannt wurde, an der Butterkammerthür ein Bohrloch entdeckt hatte, und mehrmals des Tages, wenn ihn sein Weg just vorüberführte, davor stehen blieb und durch dasselbe die junge Butterin betrachtete, auch vom Busenhäklein aufwärts betrachtete, da gestalteten sich die Träume freundlicher.
Die kleine Buttertoni, die Rothkitteldirn, hatte ein gar nettes Lärvchen. Die frischrothen Lippen legten sich nach oben und unten ein wenig heraus, wie die Blättchen einer Rose anfangs thun, ehe sie sich erschließen; sie waren immer ein bischen offen, und wenn das Mädchen kicherte, da sah man, was es für frische Zähne hatte. Das Näschen war hübsch aufgeschweift, die Augensterne duckten sich halb unter den langen Brauen, als wollten sie mit wem Verstecken spielen. Wenn die Brauen aber doch mitunter emporgezogen wurden, so zitterte ein ganz seltsamer Thauglanz über den blaugrauen Augen, vor dem der Melchi erschrak. Die kleine Toni verhielt sich selbstverständlich durchaus ungenirt in ihrer Butter[S. 175]kammer, das Kübeltreiben macht warm; da that sie das Jöppchen mehrmals so weit auseinander, daß der Melchi durch das Bohrloch alle Flicken ihres Pfaidleins gesehen hätte, wäre er nicht rechtzeitig mit einem Stöpsel aus Fichtenmoos in das Loch gefahren, um dieses seinen und auch anderen Augen gründlich zu verstopfen.
Daß der Bursche unter so ängstlichen Stimmungen bisher nicht dazu gekommen war, der kleinen Toni als Gegengabe für das Lebkuchenherz den föhrenrindenen Vogel anzubieten, ist erklärlich. Oft genug wollte er’s thun, hatte aber nicht die Schneid dazu. Da fiel es ihm eines Tages ein: die Rothkitteldirn solle sich den Vogel selber nehmen, wenn er ihr gefiele. Er stellte ihn auf ihr Kammerfensterchen; aber da blieb er stehen und sie sah ihn nicht. Hingegen bemerkte ihn der kleine Nickerl und dieser verband sich mit dem Fritz, dem jüngern Sohn des Hauses, um den possirlichen Vogel vom Fenster abzunehmen. Noch rechtzeitig kam der Melchi der Verschwörung dahinter, steckte den föhrenrindenen Vogel wieder in seinen Hosensack und trug ihn herum wie vor und eh.
Da trug es sich zu, daß der Bursche einmal beim Erlbuschhacken zur Stallstreu ein Loch in seine Hose riß, gerade über den Hüften. Er kam des Abends heim mit der Bitte: „Du, kleine Toni, gelt, Du bist so gut und heilst mir den Riß da mit Zwirn und Nadel zu?“
Sie lachte hell und kam sogleich mit dem Werkzeug herbei. „Na, Du mußt Dich auf die Kübelbank setzen, sonst wackelst mir allzuviel hin und her. So! und jetzt halt still und rühr’ Dich nit. Bübel weißt, die Nadel beißt.“
„Stich zu,“ sagte der Bursche, und jeder Stich ging ihm heiß durch Mark und Bein, es war ihm gerade, als nähe die Rothkitteldirn sein Herz an das ihrige fest.
[S. 176]
„Wirst einmal ein sauberer Soldat, Du,“ sagte die Butterdirn.
„Mag keiner werden,“ versetzte er trotzig, „mir steht das Leutumbringen nicht an. Schau um, Leut’ sind zu wenig, Geld ist zu viel.“
„Grad verkehrt hast es gesagt,“ bemerkte die Butterdirn.
Der Melchior schwieg und gab sich der ganzen wohligen Empfindung des Zunadelns hin.
„Uh Jesses, mein Lebertag!“ rief das Mädchen plötzlich und brach in ein so heftiges Lachen aus, daß der Athem gar nicht mehr zurückkehren wollte und der gute Melchi mit beiden Fäusten auf ihrem Rücken trommelte, um sie vor dem Ersticken zu retten.
„Mein Lebertag!“ röchelte sie wiederholt und kam stets neuerdings in’s Lachen, „was ist denn das für ein spaßiger Brocken da drin?“
Sie hatte den föhrenrindenen Vogel entdeckt.
„Das da?“ entgegnete der Bursche, „das ist ein Rothkröpfel. Gefällt es Dir?“
Von Neuem ging das Röcheln des Lachens los und als sie endlich zu sich gekommen war, fragte sie ganz heiser: „Na, Du dalkerter Bub, das hast gewiß selber gemacht und kann mir’s wohl denken, das willst Du Deiner Schönen geben! ’leicht einer sauberen Untergäuerin! Na wart, das kriegst mir nimmer zurück!“
Den Vogel aus dem Sack hinter ihr Busentüchlein stecken war eine rasche That, dann kicherte und schäkerte sie noch eine Weile lustig fort.
Der Melchi war überglücklich.
„Der ist ja für Dich, Toni,“ flüsterte er und wußte dabei nicht, wohin mit seinen Augen, „für das schöne Leb[S. 177]zeltenherz, Toni, weißt? Und paß nur recht auf, ’leicht legt der Vogel einmal ein Ei, das soll auch Dein sein...“
Neuer Lachkrampf. Der hölzerne Vogel legt ein Ei! So was Possirliches hatte die Rothkitteldirn all ihr Lebtag nicht gehört.
„Melchi!“ rief jetzt der Bauer von draußen.
Die Beiden waren mäuschenstill. Der Bauer entfernte sich wieder.
„Ein dummes Hocken da!“ rief der Bursche plötzlich und sprang zornig auf. „Was ist denn Heimliches dran, wenn mir die Dirn das Loch zuflickt!“
Er eilte dem Hausherrn nach.
Schlechtes Geld.
Der Forstadjunct Kilian war nicht mehr zurückgekehrt. Es hieß, er sei auf lebenslang in einen tiefen Kerker geworfen worden.
Der Melchior war darüber sehr traurig, aber der Hochweidhofer tröstete ihn: „Ein junger, das erstemal ertappter Falschmünzer auf lebelang, das wäre unerhört, das ist gar nicht wahr.“
„Und ein zum zweitenmal Ertappter?“ rief der Bursche erregt; „mir ist hart um’s Herz, denk ich an meinen Bruder; aber sie sollen ihn nur im Kotter behalten; wenn er auskommt, der laßt’s nimmer.“
Dann wieder simulirte er, wie er seinem Bruder etwas Gutes thun könnte, unterdrückte aber den Gedanken und rief sich zu: „Melchior, halte dich an ehrliche Leut’!“
Zur Herbstzeit, als der Abtrieb von den Almen kam, war der warmblütige Bursche längst wieder bei Lust und Uebermuth.
[S. 178]
Der Herbst bringt im Gebirge immer die schönsten Tage des Jahres. An einem solchen Tage war es, als sie herabkamen gegen den Hochweidhof, die braunen, weißbesprenkelten Rinder mit den Schellen und mit den Kränzen aus Rhododendronlaub, Enzian und Zirmgesträuche. Um die Stirn hatte Jedes seinen Strauß; die hoffnungsvolleren Kühe hatten auch Kränze um den Hals, grünes Gezweige um die Hüften geschlungen. Und der Stier aus dem Untergäu schon gar! Der mußte sich zu allseitiger Befriedigung aufgeführt haben, er sah schier aus wie ein wandelnder Rosenstrauch. Waren diese blauen, weißen und gelben Blumen und Rosen, die er um seinen Leib gewunden trug, denn alle auf der herbstlichen Alm erblüht?
Ein paar schäkernde Ziegen machten sich viel um ihn herum zu thun und erhaschten dann und wann ein Maul voll Bocksbartkraut und wilden Thymian, mit welchem der Stier geschmückt war.
Zahlreiche Senninnen, junge und minder junge aus der ganzen Gegend waren dabei und Jede hatte vorne ihre Schürze zu einem Sack aufgebunden und aus diesem Sacke vertheilten sie an die Mannsleute kleine Käsekuchen und Butterkrapfen. Mancher von den Mannsleuten war freilich so keck, sich mit eigener Hand das Kräpflein aus der Schürze zu holen, was aber nicht Jede ungestraft geschehen ließ. Auch einige der Almerinnen hatten freundliche Rosmarinkränzchen auf den Locken; blos das Sennermägdle von der Hinteralm hatte nichts als einen ungeheuren Strohhut auf ihrem geschorenen Haupte. Auch sie hatte Krapfen im Vortuch, doch wollte Keiner d’rum kommen, nur der alte Remini Dreihand fand sich ein und aß ihr den ganzen Schürzeninhalt auf. Die Alte ließ es geschehen und machte dieweilen Feuer mit Stein und Zunder und paffte aus ihrem Pfeifchen.
[S. 179]
„Dieses Weib wär’ mir nicht halb so widrig, wenn es nicht das Sennermägdle heißen thät,“ vertraute der Melchior dem höckerigen und kropfigen Ochsenwart.
„Je!“ rief dieser, „der Name ist noch das Beste an ihr.“
„Das schon, aber probir’s nur Du und heiße das schöne Hänschen; Alles wird Dich auslachen und spotten; und so Du der alte, bucklige Hans bist, geht Jeder ernsthaft an Dir vorbei. Aber sag’ mir doch, wer hat denn der Alten den närrischen Namen gegeben?“
„So viel ich weiß,“ sagte der Ochsenwart, „hat sie den selber mit sich gebracht, als sie vor vierzig oder fünfundvierzig Jahren aus dem Kärntnerland zu uns auf die hohe Weid gekommen ist. Sie ist eine gar brave Almerin, Melchi! Du, die kann mit dem Vieh umgehen! Nicht drei Stückel sind ihr verdorben, so lang’ sie bei uns auf der Alm ist. Nu, das Sennermägdle ist ihr verblieben aus Gewohnheit. Vor drei oder vier Jahren hat sie der Bauer einmal die alte Froni genannt, so heißt sie. Hat auf das hin aber den Dienst wollen aufsagen auf der Stell’. Ist sie seitdem halt wieder das Sennermägdle.“
Als der Bauer von der hohen Weid an diesem Tage gesehen hatte, wie frisch, glatt und wohlgenährt seine Heerde von der Hinteralm zurückgekommen war, da hieß er das Sennermägdle zu sich in den Streuschupfen treten und drückte ihm drei funkelnagelneue Thaler in die Hand.
Der geknickte Zaunpfahl war nicht weit davon gestanden; und als das Mägdle hierauf in die Graskammer ging, und in das Milchgelaß, und endlich auf den Rübenacker hinaus, wo es in seiner Arbeitsamkeit überall Geschäfte fand, schlich ihr der Alte nach und sein dreieckiges Gesicht grinste süßlich d’rein.
[S. 180]
Später stieg das Mägdle in die Krautgrube hinab, wie solche bei den meisten Alpenwirthschaften jener Gegend zur Aufbewahrung des Kohlkrautes als ein mehrere Klafter tiefer Schacht sich vorfindet. Die Alte war tief unten und trat mit ihren breiten Füßen die früher durch heißes Wasser eingeweichten Krautköpfe fest. Auch zu dieser Grube, die ein wenig abseits vom Hofe an einem Hagebuttenstrauche war, kam der alte Schleicher nach. Eine Weile lugte er, am Rande des Schachtes stehend, nach allen Richtungen um sich, dann zog er seine Pelzhaube an, duckte in die Tiefe hinab und sagte: „Sennermägdle!“ Seine Stimme war so schmiegsam und weich, als wäre sie über und über mit Fuchsschmalz geschmiert worden. „Sennermägdle,“ sagt er, „Du bist so viel fleißig und Dir schlaunts besser, wie drei anderen Weibsleuten im Hochweidhof zusammen. Bist erst von der Alm gekommen und machst Dir da schon wieder zu schaffen. Du, Sennermägdle!“
„Jetzt hab’ ich keine Zeit zum Schwätzen!“ rief die Alte von der Grube herauf und trat wacker auf die Köpfe los.
„Freilich nicht,“ entgegnete der Remini, „aber Deine guten Butterkrapfen vorhin, die haben mir frei so viel taugt. Gern, daß ich Dir auch einmal einen Gefallen thun möcht.“
„Ist schon recht,“ sagte das Mägdle.
„Ich hätt’ wohl noch ein Anliegen, Sennermägdle,“ schnürfelte der Alte, „ist aber nit schicksam, thät’s auch nit, hätt’ ich die Sach’ nit gar so nöthig.“
Die Magd stand still und blickte auf: „Wirst doch nit Noth leiden müssen, Remini!“
„Das dieweilen just nit, Gott sei Lob und Dank! gleichwohl man’s nit wissen kann, wie’s Einem in seinen alten Tagen noch gehen wird. Aber – nu, siehst Du, Mägdle,[S. 181] wohlthätig sein will Einer doch auch ein wenig, wie man halt kann und mag. Und da hab’ ich im Untergäu ein Pathenkind, ein armes Waiserl, und dem möcht’ ich recht gern ein klein Ding schenken, so zum Andenken was, daß Unsereiner auch nit ganz vergessen ist, wenn so ein Mensch einmal in die Welt wachst. Ich hab’ gesehen, Sennermägdle, Dir hat heut’ Dein Bauer für Deine Bravheit drei Thaler zugesteckt; wenn Du nichts dagegen hättest, die möcht’ ich Dir zu gern auswechseln. Thät’ Dir frei einen Zehnerbanknoten geben.“
„Du meine Zeit!“ rief die Magd in der Grube und hüpfte beständig auf den platten Kohlköpfen umher, „meine drei Schimmel werden wohl so viel nicht werth sein; und herausgeben kann ich nicht.“
„Fünf Gulden mögen sie just decken,“ fiel der Alte rasch ein, „und die andern fünf will ich Dir gern bis auf Deinen Jahreslohn zu Weihnachten borgen. Mägdle, wir machen’s gleich ab.“
Noch einmal blickte der Remini mißtrauisch um sich. Dort auf dem Zaun sitzt eine Krähe! Na, kindisch, ’s ist doch nur eine Krähe. So kann er die Banknote schon hervorholen. Das Sennermägdle beginnt auch die Thaler aus der Joppe zu nesteln; ei, thut’s ja gern, wenn dem Alten damit gedient ist; bleibt eh kein Geld, ob’s von Silber ist, oder von Papier – bleibt kein Geld bei einer Almerin.
„Vetter!“ rief in demselben Augenblick der Hagebuttenstrauch. Der Alte wäre vor Schreck schier in die Krautgrube gefallen.
Der Melchior kroch hervor: „Nicht als ob ich zu horchen gekommen wär’,“ sagte er, „ich hab’ dahinten dem kleinen Fritz ein paar Kranabetherschlingen aufgerichtet. – Seid so gut, Remini!“ Er langte mit kecker Hand nach der Banknote[S. 182] und sah sie an. „Schau, noch ein falscher im Land! – Remini, das ist derselbe, den Ihr vorig Sommer vom Forstadjuncten bekommen. Was habt Ihr denn das Papier gar so abgeknittert? ’s ist doch ein neuer. Geht, Remini, zerreißt den Fetzen; Ihr habt Euch ja schon entschädigt durch den Doppelstutzen.“
Der Bursche war so boshaft, zu diesen seinen Worten ein lächelndes Gesicht zu machen. Im Dreieck des Alten aber zuckte jede Muskel, und er zog seine scharfe Unterlippe weit hinter den schartigen Oberkiefer zurück.
„Anschmieren hat er mich wollen?“ zeterte die Alte im Loch, „Du Spitzbub, Du schlechter! – Dank Dir Gott, Melchi! – Wart, Du vertrackter Galgenstrick, Du! Dir will ich noch einmal Butterkrapfen schenken! – Ein falsches Geld für meine guten Thaler! – Dank Dir Gott, Melchi! – Dein Glück, Du alter Schleicher, daß ich nicht oben bin, Dir wollten ein paar Tüchtige nicht schaden auf Dein Ohrfeigengesicht! – Hell betrogen hätt’ er mich, der Kerl da! Na, schaut’s aber da her, schaut’s den Lumpen an! – Vergelt’ Dir’s tausendmal Gott, Melchi!“
So zeterte das zornige und das dankbare Sennermägdle.
Der Alte trollte sich sachte davon und murmelte: „Nichts als Malheur! ’s ist des Teufels! Ach, hätt’ mich meine Mutter lieber in die neue Welt geschickt!“ Dann schoß er nur noch ein paar giftige Blicke auf Melchior zurück.
Jetzt erst kam diesem die Wuth. Die Banknote riß er mitten auseinander, dann ging er, ohne noch ein Wörtchen mit dem Sennermägdle zu wechseln, in den Hof zurück.
Der alte Dreihand schlich, doppelt geknickt, die Lehne hinab gegen seine Klause, die in einer Schlucht stak und in welcher wilde Früchte für den Winter, als dürre Beeren,[S. 183] Holzäpfel, Holzbirnen, Pilze u. s. w., in großen Haufen geschichtet lagen. Die Hütte war ganz erbärmlich und gar nichts Nennenswerthes darin, als etwa der Doppelstutzen, der hinter dem Bettstroh ruhte und in welchem immer noch die Ladung stak, mit der sie der Alte zur Hand bekommen hatte. Der Remini hätte manches Reh, das in der Schlucht lief, von Herzen gern damit niedergeschossen, aber er kam nicht dazu. „Am Ende,“ meinte er, „treff’ ich das tolle Thier nicht und dann ist auch das Pulver hin.“
Doch war dem Alten das Schußgewehr ein angenehmer Geselle in den langen, öden Nächten. Hieß es ja, der Remini Dreihand berge Geld in seiner Klause.
Die Liebe blüht.
Im Winter ging es auf dem Hofe noch lebhafter zu, als im Sommer. Da war Alles von den Almen beisammen auf der hohen Weid. Auch kamen die Viehhändler, die Fleischhauer von den Ortschaften herauf, und zur Weihnachtszeit kam mancher neue Dienstbote und mancher alte ging.
Zur Weihnachtszeit war es auch, als der Hochweider den Melchior mit in sein Stübchen nahm: „Bist mir zwar zu Jakobi erst in’s Haus gekommen, aber ist der Bauer von der hohen Weid mit Einem zufrieden, so giebt’s beim Auszahlen kein halbes Jahr. Haben nichts Festes ausgemacht, also siebzig Gulden für’s vergangene Jahr.“
Er zählte das Geld auf den Tisch.
„Ich frag’ nur Eins, Bauer,“ sagte der Melchior, „muß ich fort, oder soll ich dableiben?“
„Ich denk, Melchi, bis auf weiteres weißt, wo Du daheim bist. Und willst schon Deine besondere Ehr’ haben,[S. 184] auch recht, so sag ich: sei so gut, Melchior, und bleib mir noch für’s nächste Jahr auf meinem Hof.“
„Ist recht, Bauer. Habt Ihr sonst was anzuschaffen? Nicht, so geh ich wieder an meine Arbeit.“
Er ging und das Geld blieb liegen auf dem Tisch. Keinen Blick hatte der Bursche nach demselben geworfen.
„Seit die Welt steht, ist so ein Knecht noch nicht herumgegangen auf der hohen Weid!“ brummte der Bauer, „und früher sicherlich auch nicht. Wie der Will, das Geld werd’ ich ihm aufbewahren. Wart, Junge, ’s kommt eine Zeit, wo Du danach fragen wirst!“
Und der Melchior ging in den Stall zu den zwanzig Ochsen, die ihm anvertraut waren, und er redete in’s Heu hinein: „Geld? Geld hat er wollen geben. Und nicht einmal die fünfzig Gulden hätt’ er mir abgezogen, um die ihn die fünf falschen Zehner von meinem Bruder betrogen haben. Ich nehm’ gar nichts. Ich hab’ mein Essen und ich hab’ meine kleine Toni. Ich leb’ wie ein König, aber nicht so unruhig. Wenn ich mir schon was wünschen möcht’, eine neue Zipfelmütze.“
Und wie es schon manchem Menschen gegeben ist, daß jeder seiner Wünsche in Erfüllung geht: als der Dreikönigstag kam, hatte der Melchior seine neue Zipfelmütze. Es war ein Angebinde zum Namenstag von – der Rothkitteldirn.
Wohl hatte dieselbe nicht immer dasselbe rothe Röcklein an, aber dadurch verlor sie natürlich nicht an Werth in Melchior’s Augen. Wäre in dem vielbelebten Hofe nur öfter Gelegenheit gewesen, mit ihr heimlich zu plaudern! Wohl löste sich zuweilen ein Knopf von Melchi’s Kleidern, den die kleine Toni anheftete; wohl kam beim Heuschütteln manchmal ein Splitterchen in des Mädchens Auge, das der Bursche[S. 185] sofort mit vielem Geschick herauszubekommen wußte, oder er zog ihr mit seiner Taschenveitelspitze ein eingetriebenes Holzspaltchen aus der Hand – aber das wollte den Leutchen allweg noch zu wenig Unheil sein.
Nur gegen den April hinaus wußte die Toni den Burschen einmal unversehens in ihre Butterkammer zu bekommen. Sie wartete ihm sofort mit einem über und über bebutterten Brotschnitten auf. Da sah sie der Melchi groß an: „Toni, weiß es der Bauer?“
„Gut keine Red’,“ kicherte das Mädchen, „desweg magst ganz und gar ruhig sein.“
„Der Bauer weiß es nicht, daß wir da von seinem Brot und Butter naschen wollen? Dirn, Du mußt – gescheidt sein!“ – ehrlich hatte er eigentlich sagen wollen.
Die kleine Toni hub gewaltig an zu lachen, und als sie damit fertig war, aß sie das Butterbrot selber.
Eine nachhaltige Mißstimmung hatte diese kleine Meinungsverschiedenheit nicht zur Folge.
Der junge Knecht wußte wohl, daß die Toni sonst ein braves, fleißiges und auch sparsames Mädchen war, welches viel auf die Wirthschaft und den Erwerb hielt, so verzieh er gern das kleine Fehl. Und sie selber hatte ja ein Recht zum Verkosten; mußte doch wissen, wie ihre Butter schmeckte.
Mit den Veilchen, mit den Maaßliebchen, mit den ersten Schwalben kam den beiden jungen Leutchen neue Wärme in’s Herz. Sie waren sich gar sehr zugethan und Eins vertrat im Hofe die Vortheile des Andern; war es in der Arbeit, die sie theilten, oder bei Tische, wo sie einander die besten Bissen zuschmuggelten. – Die Liebe solch’ armer Dienstboten hat einen gar seltsamen Reiz, sie wird durch das Beisammensein, durch das Mitsammenleiden, durch das heimliche Verlangen nach[S. 186] Gegenseitigkeit, durch das hingebende Vertrauen zu dem einen Menschen stets neu entfacht und muß sich doch im Verborgenen halten, sich vor dem Hausherrn, vor den Hausgenossen verleugnen, soll sie nicht Gefahr laufen, zerstört zu werden. „So warm ist kein Feuer, keine Gluth ist so heiß, als heimliche Liebe...“
Der Melchior war denn endlich auch recht zutraulich geworden, er lugte dem Mädchen längst nicht mehr durch das Bohrloch in die Augen. Und er hatte auch mehrmals sich schon erkundigt, ob der föhrenrindene Vogel das Eierchen noch nicht gelegt habe, worüber die kleine Butterdirn stets in ihren Lachkrampf verfiel.
Der Melchior war nun volle neunzehn Jahre alt geworden und er empfand es, was das für ein Unterschied ist, ob man achtzehn oder neunzehn zählt. Auch nahm er bereits den Schnurrbart wahr, was die Toni nicht recht glauben wollte, bis er sein Gesicht einmal recht tapfer an ihren rothen Wangen rieb.
Die kleine Buttertoni behauptete bei jeder Gelegenheit, daß sie auch schon gegen die Zwanzig ginge; doch zählte sie in Wahrheit erst über siebzehn ein halb Sommer, deßohngeachtet sprang im Laufe dieses Sommers ein Busenhäklein um’s andere auf.
Es kam der Mai. Die Heerden zogen mit frischgeputzten Schellen angethan wieder in’s Freie und mit ihnen die Halter und Halterinnen, die Kühjungen, die Ochsenwarte, die Senninnen.
Der Melchi trieb jeden Morgen seine Ochsen und Kälber zu den jungen Matten des Hochbodens hinan. In einer Thalung derselben stand ein Schachen mit sehr alten Fichtenbäumen und einigen Föhren, welche den Hirten in Zeiten böser Wetter[S. 187] als Schirmbäume dienten. An diese Baumgruppe schloß sich auch ein junges, grünes Wäldchen aus Tannen und Lärchen, das sehr dicht und dunkel war und auf dessen sanftem Moosboden der Melchi gern ein wenig ruhte, wenn ihm auf der freien Höhe zu sengend, oder auch der Wind zu scharf wurde. Nicht drei Schritte sah man von sich, wenn man in diesem Dickicht lag, sah auch nicht ein groschenbreites Scheibchen von dem blauen Himmel. Kohlschwarze Amseln schwirrten durch das Reisig und riefen: Tack, tack! zir, zir, hast was bei Dir?
Mitten d’rin in diesem jungen, dichten Gestämme fühlte sich unser braver Hirt wieder einmal ganz als sein eigener Herr. Da konnte er auf dem Rücken liegen, oder auf dem Bauch, auf den Füßen stehen oder auf dem Kopf, wen ging’s was an? Da zog er wohl auch mitunter sein Geldbeutelchen heraus und sah das lebkuchene Herz an und betrachtete das Bild mit dem Pärchen, das im Rosenkörbchen saß, und las die Ueberschrift, die längst überholt war, und schleckte endlich ein wenig an dem süßen Kuchen.
Die kleine Toni hatte es nicht so gut; sie mußte, wenn in der Butterkammer nichts zu schaffen war, unten auf der Heukehr die Ziegen weiden und hatte außer den paar Johannisbeersträuchen und Erlstauden gar keinen Schatten. Sie nähte, sie strickte für sich und für ihn. Aber die Sonne brannte heiß auf die Finger. Mehr als einmal sehnte sie sich nach dem Schirmschachen.
Was sich im Schirmschachen zugetragen.
Am Pfingstmorgen war’s. Alles, was aus dem Gehöft fortkonnte, war hinab in den untern Gäu zur Kirche gegangen. Der Melchi und die kleine Toni führten wie gewöhnlich ihre Heerden auf die Weide.
[S. 188]
Auf dem Anger, bevor sie sich trennten, blieb der Bursche stehen, bohrte mit seinem Peitschenstock einen Grashalm in die Erde und sagte, stets auf den Grashalm blickend: „Toni, sind Deine Ziegen recht überschwenglich? Halten sie sich gern auf in der Heukehr?“
„Das ist gewiß,“ lachte das Mädchen, „sie suchen Dir alle Sträucher ab und es fangen die Sträucher erst an zu blühen.“
„So, sonst hätt’ ich gemeint, Toni, Du könntest sie heut’ ein wenig gegen den Hochboden hinauftreiben.“
„Du, das ist aber auch wahr,“ versetzte das Mädchen ernsthaft, „Du meinst der Hexen wegen? Nicht? Ja, hast Du noch nichts erzählen gehört, daß am Pfingstsonntag die Hexen auf die Weide kommen und die Kühe und die Ziegen ausmelken? Ja, das hab’ ich oft gehört und die Kühe und Ziegen thäten nachher das ganze Jahr eine blutige Milch geben. Ja, es ist gar kein Spaß und ich fürcht’ mich frei. Und dann sollt’ Eins heut’, kommt man schon nicht in die Kirche, einen Rosenkranz beten.“
„Freilich, und das können wir thun,“ sagte der Bursche, „und oben im Schirmschachen ist ein schöner Platz dazu. – So um die Zeit, wenn’s Neun schlägt, wirst wohl beim Schachen sein können...“
Der Grashalm unter dem Peitschenstock war gründlich zerquetscht. Einen heißen, aber scheuen Blick noch gegen das Mädchen und der Melchi leitete seine Ochsen dem Hochboden zu.
Die Sonne stand erst einige Spannlängen hoch über den fernen Bergen, hinter denen sie hervorgekommen war. Sie schien so freundlich und warm und sog den Thau der jungen Gräser auf. Die Glocken der Heerde klangen hell und langsam die Höhe hinan. Die Ochsen schritten gar feierlich d’rein, die Kälber hüpften und scherzten.
[S. 189]
Der neunzehnjährige Hirte ging hinterher und steckte seine Hände in die Hosentaschen. Er spitzte den Mund und wollte ein Liedchen pfeifen. Da versagte ihm heute der Athem dazu; in seiner Brust war ein heißes Regen und Bewegen. Er schritt hastig, aber mäuschenstill über den weichen Rasen, dann schüttelte er zuweilen das Haupt mit den aufquellenden Ringellocken und mit der Zipfelmütze, und dann riß er plötzlich seine Hand aus dem Sack, schlug sie dem nächsten Mannkalb auf den Rücken und rief: „Ja, mein lieber Scheck, so geht’s uns! Hätten wir Zwei Geld im Sack, ’leicht wär’ uns allerhand verboten.“
Als sie auf dem Hochboden angekommen waren, hub die Heerde sogleich an zu grasen. Der Melchior ging gegen den Schachen hin, an dessen Schattenlänge er merkte, daß es bereits acht Uhr vorüber. Langsam schlenderte er zwischen den alten Bäumen hin und her und lugte und spähte. Da roch er plötzlich Tabaksrauch und wie von einem Wipfel gefallen, wackelte das Sennermägdle daher.
„Was hat die Alte da zu suchen?“ fuhr sie der Bursche an.
„Ich? Einen Junggesellen,“ wisperte sie grinsend. „Kann mir’s denken, daß ich Dir unbequem bin – da im Schachen.“
„Gar nit, gar nit,“ sagte der Melchior trotzig.
„Nit? nu, nachher kunnt’ ich ja helfen, Rosenkranz beten!“
Der Bursche sah sie wild an.
„Melchior!“ versetzte nun die Alte, in der einen Hand das Pfeifchen haltend, mit der andern den Arm des Burschen fassend, „Du hast mir im vorig’ Herbst eine Gutthat erwiesen. Hast mir meine drei Thaler behütet; das gedenk ich Dir; Du hast keine Mutter und keinen rechten Freund auf der Welt, und desweg möcht’ ich Dir gern was Rechtschaffenes erzeigen. –[S. 190] Wär’ mir lieb, wenn Du Dich ein wenig da zu mir auf den Stock setzen wolltest.“
„Warum denn nit!“ sagte der Hirt, der durch den ernsten und weichen Ton der vorigen Worte völlig besänftigt war, „ich setz’ mich schon, aber Euren Stinktiegel müßt Ihr wegthun. Ein rauchendes Weibsbild kann mir gestohlen werden.“
„Hast schon Recht,“ antwortete die Alte, „aber bei mir ist’s halt was Anderes; ich darf das Feuer nicht ausgehen lassen! – Und das muß ich Dir erzählen, Melchior; gelt, Du wirst mir deswegen nicht bös sein?“
„Wenn’s was Gescheidtes ist, so hör’ ich zu.“
„Wirst mir’s nit glauben: ich bin einmal jung und schön gewesen,“ hub sie an. „Das Wörtl: Sennermägdle ist mir noch davon geblieben, sonst gar nichts. Zu derselben Zeit und in derselben Gegend ist ein lustiger und sauberer Tirolerbursch gewesen, dem haben meine seidenen Haare so gefallen. Ja, die seidenen Haare und wohl auch, was daran gehangen ist. Haben uns leiden mögen. Zu mir auf die Sennerei ist er oftmals gekommen; vor der Hütte im Schatten sind wir gesessen die längste Zeit, und was haben wir gethan? Aus meinen Lockenhaaren hat er Bänder und Zöpfe geflochten. Allbeide haben wir gemeint, wir wären brav; aber einmal sind wir doch zu lang gesessen. – Wie der Tiroler, was nenn’ ich seinen Namen! später wiederum in die Sennhütte kommt, sag’ ich zu ihm: Du, ich muß Dir was anvertrauen! und heb’ vor ihm zu weinen an. – Hat’s verstanden. Eine gute Weile sitzt er da an der Bank, stopft seine Pfeife und schlägt Feuer, bläst an und raucht. Er raucht, daß ich sein Gesicht gar nicht seh’, und sagt nicht ein einzig Wörtl. Da steht er jählings auf und geht gegen die Thür. – Wo willst[S. 191] hin? schrei ich auf. – Ein wenig hinaus, sagt er, bleib Du da! – Und wie er’s schon öfter so gemacht, wenn er was Eiliges zu thun gehabt hat, giebt er mir die Pfeife in die Hand: Froni, da, schau, daß mir dieweil das Feuer nit ausgeht. – Ich will auch nicht die Verzagte sein, nehm’ die Pfeife und thu’ ein paar Züge, daß sie nicht auslischt, bis er wieder hereinkommt. – Melchior,“ sie klopfte dem Hirten auf die Achsel, „Melchior, bis auf den heutigen Tag ist der brave Tiroler noch nicht hereingekommen, und so ist mir halt das Pfeiflein im Mund verblieben.“
„Ja,“ meinte jetzt der Bursche, „wie ist denn das gewesen?“
„Verlassen hat er mich!“ sprach das Sennermägdle; „damit ich ihm nicht nachlauf zur Thür hinaus, hat er das mit der Pfeife gethan. In sein Tirol wird er gegangen sein; ich hab’ ihn nicht mehr gesehen. In der größten Noth – das kannst nimmer glauben – hab’ ich das Kind geboren. In der Armuth, in der Verlassenheit, im Spott der Leute hab’ ich gelebt in einer Köhlerhütte; ich bin völlig allein, hab’ keine Hilf; mein Kind ist mir verdorben, und – Gott Dank, Gott Dank! – gestorben! – Jetzt hab’ ich die Tabakspfeife noch gehabt vom Tiroler, und verrückt, wie ich gewesen bin, hab’ ich gesagt: Ich will mein Wort halten und das heiße Feuer soll in Deiner Pfeife brennen, bis Du mir wieder zurückkommst. – Wär’ er gekommen, ich hätt’ ihm Alles verziehen; aber allein und unglücklich hat er mich gelassen. Mein schwarzes Haar, das mich zuerst in’s Unglück gezogen hat, das hab’ ich mir vom Haupte geschnitten, und alle Jahre hab’ ich das gethan zum traurigen Angedenken. Und auch er selber, gleichwohl er ehrlich und brav gewesen ist in seinen jungen Tagen, kann kein ruhiges Gewissen mehr ge[S. 192]habt haben. Einer einzigen Stunde wegen sind wir elend geworden Allbeide. – Die Pfeife – ja, es ist noch die seine – die hab’ ich mir angewohnt, und wie ich den Tiroler nimmer vergessen kann, so soll auch, so lang’ ich leb’, das Feuer da d’rin nicht ganz verlöschen. Und vielleicht kommt er doch noch einmal zur Thür herein; meine größte Freud’ im Himmel und auf Erden, wenn ich ihm könnt’ sagen: Da, mein Herzallerliebster, da nimm Deine Pfeife, sie brennt noch!“
Der Melchior war aufgestanden. „Ihr seid brav,“ sagte er heiser, „aber ich bin ein schlechter Mensch, ich hab’ mich mehr als einmal lustig gemacht über Eure Pfeife und über Euer geschorenes Haupt.“
„Da hast ja Recht gehabt, Du Tropf!“ rief die Alte. „Ich lach’ mich selber aus, aber ich halt’s; ich kann meine Reu und Treu nicht besser beweisen.“
Nach diesen Worten faßte sie wieder des Burschen Hand: „Melchior, jetzt wird’s bald Neun schlagen unten auf der Kirchenuhr. Sei mir ja nicht bös, daß ich da bin, aber ich wollt’ Dich nicht verlassen; es ist Deine gefährliche Stund’. – Hast mich nicht gesehen unten am Hof? Wie Du die Toni da zum Schachen her hast beschieden, bin ich nicht weit von Euch gestanden. – Jetzt will ich aber wieder davongehen; Du bist Dein eigener Herr. Nur das sag’ ich Dir, Melchior, gieb Acht, daß Du das Unglück nicht aufweckst, für Dich und für sie; es geht dann nimmer schlafen! – Und das ist der Dienst, den ich Dir erweisen kann; nimmst ihn, oder nicht. Jetzt behüt’ Dich Gott! Behüt’ Dich Gott!“
Sie hastete davon. Der Melchior Ehrlich stand allein im Schatten der alten Bäume.
Nicht lange hernach hörte er die Schellen der Ziegen. Die kleine Toni huschte dem Schachen zu.
[S. 193]
„Hast Du sie auch gesehen, Melchi?“ rief sie dem jungen Hirten zu.
„Wen?“
„Die Hexe, die Pfingsthexe! Da über die Höhe ist sie hingelaufen, gegen die Hinteralm.“
„Das ist das – Sennermägdle gewesen,“ antwortete der Bursche zerstreut.
Sie gingen eine Weile zwischen dem Gestämm hin und wußten nicht, was sie einander sagen sollten. Beide blickten auf das braune Moos des Bodens.
„Daß aber da keine Pilzlinge wachsen!“ bemerkte endlich das Mädchen.
„’s ist noch zu früh an der Zeit,“ entgegnete der Bursche.
„Vielleicht dort im jungen Anwachs d’rin,“ sagte die Butterdirn.
Aber der Melchi wandte sich hinaus gegen die Lichtung, zog langsam die Mütze vom Kopf: „Ich denk’, Toni, wir heben an mit dem Rosenkranz.“
Falsches Geld.
Pfingsten war glücklich vorbeigegangen.
„Brav sein, dieweil!“ sagte sich der Melchior, „sie kann arbeiten, ich kann arbeiten; ’s wird geheiratet.“
Da stand wenige Wochen nach Pfingsten an einem Samstag-Abend die kleine Toni am Brunnentrog und wusch ihr rothes Röcklein. Am andern Ende des Troges saß der Melchior und rieb mit kräftiger Hand Ochsenfett in seine Sonntagsschuhe. Kam der alte, bucklige Hans mit seinen Kühen heim und brummte, weil ihn der Feierabend lustig machte, das Liedchen:
[S. 194]
„Ein Einser und ein Zweier,
Die machen just ein’ Dreier,
Und die Henne, die auf’s Feld geht,
Die frißt gern der Geier.“
Man weiß nicht, ob es der alte Schalk mit diesem Vierzeiligen auf Jemanden abgesehen hatte, oder ob er thatsächlich an eine unvorsichtige Henne dachte. Die Buttertoni kicherte, plätscherte mit dem rothen Kittelchen, daß das Wasser bis zum Melchi hinspritzte, und sang:
„Und die Henne, die auf’s Feld geht,
Die frißt gern der Geier;
Und die föhrenrindenen Vögel
Legen packfong’ne Eier.“
Der Melchi horchte auf. Er hatte es sofort verstanden, der hölzerne Rothkropf hatte das Ringlein endlich ausgebrütet, oder vielmehr, das Mädchen hatte es in dem Vogel entdeckt.
„Sollt’s – nicht von Silber sein, Toni?“
„Hi, hi,“ lachte diese, „das Ringlein hat schauderlich die Gelbsucht.“
„Von Packfong?! O Du verdangelter Kapuziner, auch Du gehst um, Leut’ betrügen!“
„Ja, ja,“ rief die Toni und lachte nicht dabei, „was kann der Kapuziner dafür, wenn Du dummerweise seine Hergab’ für Silber hast gehalten. Du hättest aber auch so Einer werden sollen von der Gattung Kutten, die kein Geld im Sack haben dürfen, weil ihnen ohnehin all’ gut’ Sach’, die sie brauchen, zugesteckt wird.“
Sie ließ das Wasser gischten: der Bursche rieb doppelt heftig an seinem Schuh und war gar roth im Gesicht.
„Hätt’st mich nimmer gern, Toni?“ sagt er nun halblaut.
[S. 195]
„Ei ja,“ sagte sie, „hast mir ja nichts gethan.“
Sie sah nicht mehr auf den Burschen hin, hub an, mit ihrem rothen Rock zu schwätzen, daß er ihr jetzt „weiß“ genug sei und daß sie ihn auf die Stange spannen werde.
Und als sie mit dem Waschkörbchen davon ging, schlug sie ihre Stimme über und sang:
„Im Beutel a Geld
Und im Herzen an Schatz,
Und a Schneid muaß da Bua hab’n,
Sunst g’hört er der Katz.“
Nun war’s doch wahrhaftig deutlich genug, die Butterdirn war aufgebracht.
Worüber nur? Weil der Ring im Vogel nicht von Gold oder Silber gewesen? Weil der Melchi kein Geld in der Tasche trug und ihr kein Taffetschürzchen kaufen konnte? – Nein, so klein denkt die kleine Toni nicht. Oder – hätte sie doch der Rosenkranz am Pfingstsonntag verdrossen?
Es verging eine Woche um die andere, die Butterdirn gab sich mit dem Melchior nicht mehr und nicht weniger ab, wie mit den anderen Mannsleuten, sie war lustig und lachte wie immer, aber ihr Lachen – wer ihm aufgepaßt hätte – scholl lauter und härter als sonst.
Der Melchior befliß sich zu zeigen, daß er ganz so sei, wie immer, und brummte seinen Ochsen zuweilen auch wohl das Liedchen vor:
„Wegen oan Dirndl traurig sein,
Däs follt ma gor nit ein,
Brauch’ nit erst ’s Dutzend z’ zähl’n,
Krieg’s nach der Ell’n.“
Aber dann guckte er doch wieder einmal durch das Bohrloch in die Butterkammer hinein.
[S. 196]
An Sonntagen, wenn die Toni zur Kirche hinabgegangen war, kam sie nun häufig später nach Hause als sonst, und im Hof gingen allerhand Neckworte herum vom Leisten, von der Ahle, von Schmier und Pech u. s. w., die auf die Butterdirn gemünzt waren und die der gute Melchior Ehrlich nachgerade nicht begriff.
Da stand der Bursche in einer Nacht aus seinem Bette auf und schlich gegen das Kammerfenster der Toni.
„Mein Dirndl!“ flüsterte er und klopfte an die Scheibe.
Sie schlief.
„Toni, hast mich denn nimmer gern?“
Sie schlief fest.
„Hätt’ ich Dir was Leids gethan, Toni, thu mir’s nicht verschweigen. Schau, ich bin Dir von Herzen treu.“
Jetzt öffnete sich das Fensterchen, aber anstatt aller Antwort kam der föhrenrindene Vogel mit dem Ringlein heraus. Das war auch eine Antwort.
Der Melchior sagte kein Wort mehr; er steckte das kleine Schnitzwerk in seinen Hosensack und ging langsam seinem Bette zu.
Am nächstfolgenden Sonntag wurde in der Untergäuer Kirche von der Kanzel verkündet: „Der Bräutigam Mirtel Gegerle, Schuhmacher in der Gemeinde Sterzen; die Braut Antonia Schwanner, bisher Dienstmagd im Hof auf der hohen Weid im obern Gäu...“
Man beglückwünschte die Braut, die als einfache Dienstmagd eine so gute Partie mache. Der Schuster Gegerle hatte ja Geld. Jung und schön war er zwar nicht, der Meister, hatte auch schon drei Kinder von seiner ersten und zweiten Frau im Hause; aber er kaufte seiner zukünftigen Dritten ein grünes Seidenkleid und gab ihr obendrein ein[S. 197] Antraugeld, das mehr ausmachte als ein ganzer Jahrlohn auf der hohen Weid.
„Ist auch gut,“ meinte der Melchior, „sie heiratet das Geld! mein Weib muß mich heiraten.“ – Einmal aber, als der Knecht die Sache so recht überdacht hatte, war er doch wild geworden, hatte sich in seinem Zorne die Zipfelmütze vom Haupt gerissen und sie mit den Füßen getreten. – „Geld!“ schrie er laut, „Geld! Wiederum ist es dieses Best, das mich will zugrunde richten. Meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder, meine Herzliebste hat mir das Geld gefressen!“
Der Bauer hatte es gehört. „Geh, Melchi,“ sagte er, „sei kein Narr. Geld muß der Mensch mit Geld wett machen! Wirst auch noch einmal was anfangen können, Junge; Du weißt, was Du bei mir liegen hast.“
„Mag nichts hören davon!“ schrie der Bursche und stampfte den Fuß auf den dröhnenden Boden.
Bei der Hochzeit der Butterdirn war der halbe Hochweidhof mitgewesen, auch der geknickte Zaunpfahl hatte nicht gefehlt, war sogar auf einem Ehrenplatz gesessen und hatte unerhört viel Braten und Krapfen verzehrt. Der Remini Dreihand war ein guter Freund des Bräutigams.
Der Melchior war am Hochzeitstage auf der Alm wie ein wildes Thier herumgerannt. Ueber die Heukehr war er gelaufen, wo die kleine Toni so oft die Ziegen gefüttert hatte. Aber als er am Schachen des Hochbodens vorüberging, da lachte er hell auf und die Bäume lachten mit. Eilig ging er der Hütte auf der Hinteralm zu, nahm das Sennermägdle bei der welken Hand und sagte: „Vergelt’ Euch Gott den Pfingstsonntag!“
[S. 198]
Die Liebe blutet.
Jetzt gingen der Jahre eines und zweie und etliche dahin.
Der Melchior blieb auf der hohen Weid und war fleißig und verläßlich und arbeitete für Zwei.
In den ermüdendsten Bewegungen, im Heumähen, im Streutragen, im Brennholzspalten ging er voran und war thätig vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Der junge Mann meinte, das, was ihn immer so sehr in seinem Herzen drücke, sei nichts als dickes Blut, und das Blut müsse durch Bewegung und Schweiß gereinigt werden.
Er war völlig anders als sonst, er war nicht mehr heiter und gesellig, er war still und oft traurig, hielt’s mit Niemandem; ganz allein ging er um.
Vor dem Soldatenleben, das dem frischen Burschen bevorstand, hatte er sich sonst gescheut, nun wollte er am liebsten „ziehen fort auf’s weite Feld und streiten mit dem Feind“, wie’s im Liede heißt.
Den Bauer respectirte er stets als seinen Dienstherrn, des Weiteren hielt er seine Selbstständigkeit aufrecht.
Nur bei dem Sennermägdle saß er zuweilen in der Hütte. Jetzt mochte er auch ihre Tabakspfeife leiden. Andere Leut’ rauchen und wissen nicht warum; aber beim Sennermägdle hat’s eine Bedeutung. Und wie sie sich seit vielen Jahren ihr Haar vom Haupte schnitt als Zeichen der Reue und Treue, so wollte auch er, der Melchior Ehrlich, an seiner Satzung halten: keinen Heller von dem verfluchten Gelde besitzen sein Lebtag lang’.
Was war mit dem Lebkuchenherz geschehen?
Das trug der Bursche stets noch in seinem Geldbeutel. Was konnte auch das Herz für die Butterdirn!
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Auch den föhrenrindenen Vogel ließ er nicht mehr aus seinem Sack, so lange er die blauleinene Hose trug; später, als er vom Bauer eine grauleinene bekam, mußte mit dem Burschen freilich auch das hölzerne Rothkehlchen übersiedeln. Das Rothkehlchen mitsammt dem Lebkuchenherz, das bereits eingetrocknet war wie die Mumie eines lieben Abgestorbenen.
So lebte und so trieb es der Knecht aus dem untern Gäu. Der schwarze Stier, der einst mit ihm heraufgekommen war, erfreute sich längst schon einer zahlreichen Nachkommenschaft auf der hohen Weid. Der Melchior war Junggeselle.
War es und wollte es verbleiben.
Der Jude wird verbrannt.
Auf dem großen Almhofe hatte sich die Zeit her Manches gewendet. Der kleine Fritz war zu einem Jungen herangewachsen, der für die Zuchtruthe des Vaters zu alt, für den Ernst der Wirthschaft noch zu jung war. Seinetwegen hatte das ganze junge Weibsvolk aus dem Hause müssen.
Der ältere Sohn des Bauers hatte es in der Stadt richtig zu einem Medicindoctor, und zwar zu einem Militärarzt gebracht, und sandte den Eltern allerlei Recepte nach Hause. Half aber nichts gegen das Alter. Die Bäuerin starb; der Bauer hatte nicht mehr die Spannkraft in sich, wie vorher.
Den Melchior hatte er längst zum Oberknecht gemacht und mehr und immer mehr kam die Wirthschaft der hohen Weid auf die Schultern des jungen Mannes zu ruhen. Nur alle Verkäufe und Einkäufe mußte der Bauer besorgen, weil sich der Melchior thatsächlich vor den Geldstücken scheute, wie ein gebrannter Hund vor glühenden Kohlen.
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Zuweilen hinkte auch der alte Remini in den Hof; er machte sich immer irgend welche Geschäfte, entweder hatte er eine Botschaft auszurichten, die nirgends von geringerer Wichtigkeit war, als im Hofe; oder er fragte in seinen Angelegenheiten um Rath, den er hernach sicherlich nicht befolgte; oder er hatte dieses oder jenes auszuborgen oder zurückzubringen. In Wahrheit aber kam er nur, um Bissen und Brosamen, die in dem großen Hause abfielen, zu erschnappen oder zu erbetteln, rostige Nägel vom Boden aufzulesen und sonstige kleine Dinge, die man im Hofe für unbrauchbar hielt, mit sich zu nehmen. Er löste daraus stets ein paar Kreuzer und wollte so allmählich die Sorge „für seine alten Tage“ verringern, ein Bestreben, welches einem Remini Dreihand nimmer gelingen wird. „Ach,“ seufzte er oft, „mancher Mensch ist wahrhaftig zum Elend geboren. Mit mir stünd’s anders, hätt’ mich meine Mutter nach Amerika gehen lassen.“
„Ja, und warum hat sie denn das nicht gethan?“ fragte ihn der Melchior einmal zornig.
„Weil – weil sie mich nicht mitgenommen haben,“ antwortete der Geknickte und zog seinen dreieckigen Kopf ein, „purer Neid ist es gewesen, heller Neid von den Leuten, die dazumal ausgewandert sind. Die haben längst ihre Goldsäcke voll. Unsereiner muß bitter darben.“
Die Goldsäcke voll! Das war sein Denken und Streben, sein Glauben und sein Himmelreich.
O, Dir thät ich’s wünschen, alter Gauch, Du hättest die Goldsäcke voll und müßtest sie fortweg auf Deinem Höcker schleppen, daß sie Dich derb ritten und drückten! Das wären die Sorgen für die alten Tage! – So dachte der Melchior dem Alten einmal nach.
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Nun, er, der Melchior selber, bot freilich Alles auf, um sich vor einer solchen Last zu bewahren.
Der Hochweidhofer wurde immer kränklicher; seine hohe Weid, die seine Kraft, sein Stolz, sein Leben war, wurde ihm immer gleichgiltiger. So ging er denn d’ran, das Gut seinem jüngsten Sohne zu verschreiben.
Zuvor aber beschied er den Melchior in seine Stube. Dieser nahm gar seine Mütze ab, denn der Bauer schien ihm blaß und krank zum Versterben.
„Melchi,“ sagte der Kranke, „wir Zwei haben noch was auf gleich zu bringen miteinand. ’s ist vier Jahr’ und drüber, daß Du in meinem Haus bist. Bist brav und ordentlich, bist letzt’ Zeit her meine rechte Hand gewesen. – Der Fritz merkt wohl auch, was er an Dir hat, und mir wird’s noch in der letzten Stund’ taugen, wenn ich weiß, Du wirst auch auf hinfür noch im Haus verbleiben. Hätt’s auch gern gesehen, daß Dich mein Sohn, der Doctor, des Soldatenlebens wegen untersucht und für untauglich erklärt hätt’, ’s wär’ leicht gegangen. Nu, wenn Du nicht willst! – Aber die alt’ Sach’ muß jetzt richtig gemacht werden, ’s könnt’ sonst leicht Anständ’ geben, wie’s schon geht bei den Leuten.“
Der Hochweidhofer richtete sich im Bette auf und that unter dem Kopfpolster ein kleines Packetchen hervor, das er schon früher bereitet haben mochte. Es war in weißer Leinwand und mit einer blauen Schnur umwickelt. Er hob es mit der Hand und schaukelte damit ein paarmal auf und ab, als ob er seine Schwere prüfen wollte. Dann sagte er mit leiser Stimme: „Melchi, das ist Dein Eigenthum.“
Der junge Mann erschrak fast und that seine Hände hinter den Rücken, daß sie ja nicht angreifen konnten.
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„Melchi!“ fuhr der Kranke fort, „mach’ jetzt keine Albernheiten, jetzt ist keine Zeit dazu. Die Sache gehört Dein, Du hast sie redlich verdient und Du wirst sie noch brauchen! – Greif an, laß’ mich nicht so lang’ reden, Du siehst wohl, daß es mich aufregt.“
Der Melchior war gegen das Fenster gegangen und starrte nun in das Freie hinaus. – Draußen auf herbstlichem Gras hüpften gelbe Laubblätter umher; in der Stube lag ein todtkranker Mann, und da wird noch von Geld und Gut gesprochen...
Der Bursche schüttelte traurig den Kopf, er nähme nichts.
„So,“ sagte der Bauer darauf mit einer Gelassenheit, hinter der Wuth steckte, „so, also schenken, schenken willst Du’s dem Bauer von der hohen Weid!“
„Ich hab’ nichts zu schenken,“ versetzte der Melchior, „ich hab’s gut bei Euch gehabt; bei Euch im Hof ist meine schönste Zeit gewesen; ’s kommt keine solche mehr. Jetzt, wenn Ihr auch wollt versterben...“
Er wendete sich ab; die Zipfelhaube hatte er fest in die Faust geballt, jetzt fuhr er sich damit rasch über das Gesicht.
„Melchi,“ sagte der Alte, „geh’ her zu mir. Gieb mir die Hand. So, ’s thut mir gut, daß Du da bist. Mein Sohn, der streift in den Weiten herum. Der ist leichtfertig und unerfahren, ich will Dich bitten, daß Du ihm fort recht zur Seite bist. Uebrigens – kann’s auch mit mir besser werden; hätt’ ich nur erst den Winter überdauert! – Nu, wie’s Gott will. – Jetzt, Melchi, nimm das! Kränk’ mich nicht, nimm das. – Denk’ halt, ’s wär kein Geld d’rin – nur ein Angedenken –“
„Kein Geld!“ murmelte der Bursche. Darauf stand er eine Weile unentschlossen da und schließlich nahm er das Päckchen.
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Aber beklommen verließ er die Stube. Er ging in die Kammer, dort öffnete er mit zitternden Händen das Packet.
Als der Inhalt offen dalag, schüttelte er den Kopf und lächelte trüb: „Hab’ mir’s gedacht, hab’ mir’s gedacht!“
Fünf Stück Hunderterbanknoten hatte er in der Hand.
Er sah sie blinzelnd an und begann so mit dem Papier zu reden: „Jetzt seid ihr da! jetzt seid ihr auch bei mir da? Wollt ihr mich auch haben? O, der Melchi, das ist der Unrechte! – Der Krug, der geht so lang’ zum Brunnen, bis er bricht – kennt ihr’s nicht, das Sprüchel? – Geld, wo ist meine Mutter, mein Vater? Geld! Du hast mir meinen Bruder verdorben, hast mir meine Liebste weggenommen! Du hast schon viele Leute zum Galgen geführt oder zum Narren gemacht. – Mein Leben und meinen Namen hast du zugrunde gerichtet, du verfluchtes, du vermaledeites Geld.“
Und während er knirschend diese Worte sprach, ballte er die Banknoten mit krampfigen Fingern zusammen; schon hob er den Arm, um den Ballen weit von sich zu schleudern, da hielt er plötzlich ein und ein Lächeln flog über sein bleich gewordenes Gesicht.
Er entwirrte die Blätter, legte sie glättend in Ordnung aneinander und steckte sie in seine Hosentasche.
Er hatte vorhin den alten Remini um den Hof schleichen gesehen; diesen wollte er nun aufsuchen.
Er eilte durch den Gemüsegarten und über die Matte quer hinab gegen den Waldrand. Und am Waldrande hockte der Alte bei einem frisch knisternden Feuer und schob Kartoffeln in die Gluth.
„Nu, Vetter,“ redete ihn der Bursche an, „wo habt Ihr heut’ die Erdäpfel gestohlen?“
„Ich? die Erdäpfel!“ stotterte der Geknickte, „gefunden –“
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„Ha, ha, da drüben auf dem Acker unter der Erde, gelt! – Je nu, Gott gesegne sie Euch für die alten Tage. Ich hätt’ Euch nur fragen mögen, Remini, da, der Dinger wegen. Wißt, ich hab’ heut’ vom Hochweidhofer meinen Lohn erhalten, beiläufig so für vier oder fünf Jahr. Jetzt aber – Ihr wißt, man muß fort auf der Hut sein – bin ich so ängstlich und möcht’ genau wissen, ob die Banknoten da wohl auch gut und echt sind?“
„Na, na, das kennst Du gar gut!“ zischelte der Alte, aber als der Bursche das Geld hervorzog, da zuckten jenem die Finger, daß sie schier klapperten. „Laß ’mal sehen!“ Mit Hast und Gier erfaßte er die Papiere: „Drei – vier – fünf – hundert!“ er rang nach Athem, seine grauen, schielenden Aeuglein thaten, als wollten sie heraushüpfen auf die vornehmen Ziffern. „Blitz ’nein, Blitz ’nein,“ murmelte er fortwährend, „das ist viel!“
„Und echt wären sie?“ fragte der Bursche, indem er den Geknickten so recht von der Seite anlugte, um zu beobachten, wie die Leidenschaft in ihm wüthete.
„Echt, das ist gewiß, wie das Silber, wie das Gold, das dafür bezahlt wird!“ stieß der Remini fast fiebernd heraus, „ein schönes Geld, das! ein schönes Geld! – Der Tausend, Melchior, weit hast es gebracht, weit! – fünfhundert – auf einmal! das ist viel! – ist viel!“
„Wie man’s nimmt,“ versetzte der Bursche wegwerfend und langte wieder nach den Scheinen, „könnt’ auch mehr sein. Von fünfhundert aufwärts ist weiter, als von fünfhundert abwärts; könnt’ auch mehr sein. – Werdet aber wissen, Remini, ich bin kein Freund davon, brauch’s auch nicht.“
Bei diesen Worten zuckte gleich der lustigen Flamme des Feuers, vor dem er kauerte, eine Freudengluth über das[S. 205] aschenfarbige Gesicht des Alten. – Er ist kein Liebhaber davon? Braucht es nicht?... Der Remini ließ das Papier nicht aus den Augen.
„Echtes Geld, meint Ihr, Remini?“
„Wie nur was echt sein kann!“ krächzte der Geknickte begeistert.
Der Melchior schüttelte ungläubig den Kopf: „Will’s doch lieber versuchen. – Paßt auf!“
Hoch hob er die zusammengedrehten Banknoten und mit einem kräftigen Schwung warf er sie in das Feuer hinein.
Der Alte stieß einen gräulichen Schreckruf aus, dann tastete er mit beiden Händen in die Flammen, zog sie aber stöhnend wieder zurück. Das Papier zuckte, wand und ringelte sich in der Gluth, ein brauner Hauch zog über die weißen Blätter, jetzt brannten sie lichterloh, jetzt flatterte der graue Aschenflaum, jetzt zuckten die schwarzen Flöckchen zusammen und vergingen im Gluthpfuhl.
Der Melchior war mit gekreuzten Armen dagestanden; nicht lächelnd, sondern mit zuckenden Zügen und funkelnden Augen hatte er dem Verbrennen der Banknoten zugesehen.
Als die letzte Spur davon vergangen war, sog er einen langen, schweren Athemzug in seine Brust und hauchte: „Jetzt bist du gerichtet. Gott Lob, Gott Lob!“
Der Remini war einer Ohnmacht nahe gewesen. Aber auf einmal sprang er auf wie besessen, schlug seine Hände zusammen und schrie: „Du Narr! Du Wahnsinniger! Du Bösewicht! Jesus im Himmel, jetzt hat er das Geld verbrannt!“
„Das Geld? Nu, das Geld eigentlich nicht,“ versetzte der Bursche, „nur das Papier.“
„Vier lange Jahre gearbeitet mit schwerer Müh’!“
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„Das wohl,“ sagte der Melchior, „aber die hätten diese Fetzen doch nicht mehr leichter gemacht. Und, Remini, jetzt sag’ mir einmal, wo ist denn der Schaden? Ist ein Stück Gut weniger auf der Welt, seit da die Asche fliegt? Ist meine vierjährige Arbeit auf der hohen Weid desweg verloren? Nicht ein einziger Nagel, den ich eingebohrt hab’, ist darum aus der Wand gesprungen.“
„Du hunderttausendfältiger Narr, Du selber hast den Schaden!“ rief der Remini.
„Das ist nicht bewiesen,“ sagte der Melchior, „ich hätt’ das Geld vielleicht in die Stadt geschickt, daß es Zinsen sollt’ tragen, ich wär’ ein Hirt gewesen auf der Alm wie vor und eh’ und hätt’ gelebt, wie die anderen Hirten leben, und wär’ zuletzt gestorben, wie die anderen Hirten sterben. Jeder Mensch braucht kein Geld, mein lieber Vetter Remini, und das Essen und Trinken und die Kleider wachsen aus dem Erdboden auf, und dem Erdboden ist das Geld zu schlecht, der muß Mist haben, Mist und fleißige Hände. Meine Scheidemünzen sind die Arbeitstage, mit denen ich der Welt das tägliche Brot abkaufe.“
„Jetzt hat der Mensch das Geld verbrannt!“ klagte der Alte noch immer, „ist aber das eine Schande, wo ja ohnehin das Geld gar so rar ist. – Du, Melchior! vor’s Gericht kommst! Aufhängen werden sie Dich!“
„Ha, das werden sie sicherlich bleiben lassen!“ lachte der Bursche. „O, gäb’ es nur mehr solcher Leut, die ihr Papiergeld thäten verbrennen dem Land zulieb! Das Land glaub’ ich, hat ja Nutzen davon, wenn man Papiergeld verbrennt. Ihr könnt es freilich nicht verstehen, wenn ich sag: dahier am Waldrand, unter dem freien Himmel hätte der Melchior Ehrlich, der Ehrenschmiedsohn, von seiner Jugend[S. 207] vier Arbeitsjahre seinem Vaterland geschenkt. Und er weiß, warum er’s gethan hat. – So, Vetter, und jetzt laßt Euch die Erdäpfel schmecken und denkt dabei: sie müssen echter sein, als die Banknoten; die sind verbrannt, die Erdäpfel sind nur gebraten.“
Der Melchior steckte seine Hände in die Hosentasche und trottete langsam davon.
Der alte Remini Dreihand hatte gar keinen Appetit mehr nach den Kartoffeln; endlich aber verzehrte er sie sammt den Schalen. Vielleicht war darauf doch noch irgend ein Aschenstäubchen von den verbrannten Hundertern kleben geblieben.
Die Liebe reift.
Der Bauer von der hohen Weid war noch im selben Herbste verstorben. Kaum lag er zwischen den sechs Brettern des Sarges, so dehnte sich der Junge aus – der Fritz. Er polterte und commandirte fürchterlich herum im Gehöft und nannte den „Bauer von der hohen Weid“ noch öfter, als sein Vater es gethan hatte.
Den Melchior beachtete er anfangs gar nicht; dann aber hieß er ihn nie anders, als den Halbnarren. Im ganzen Ober- und Untergäu war es offenbar, daß der junge Knecht aus Narrheit und Uebermuth seinen mehrjährigen Arbeitslohn zu eitel Asche verbrannt habe.
Viele kamen auf die hohe Weid, blos um den Narren zu sehen.
„Ist er schon selber zu dumm für ein Geld, so hätte er’s den Armen geben sollen!“ Das mußte der arme Bursche hundertmal hören.
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Die Armen, die lagen ihm nun allerdings auf dem Gewissen. Er hätte Manchen aus Noth und Hunger retten können. – Ja, war’s denn aber seine Schuldigkeit, daß just er, der Dienstknecht, arme Leute aus Noth und Hunger retten sollte? – Aber er hätte es doch gethan, wäre sein Herz besser gewesen, als sein Kopf.
Ja, so rechten die Menschen vom Tage.
Keiner im ganzen Gäu hatte geahnt, was das Herz des jungen Mannes erfüllte und daß am Waldrande ein Gedächtniß- und Sühnopfer geschehen war für Eltern und Bruder. –
Auch in die Kreisstadt war die Banknotengeschichte gedrungen und die Folge davon war, daß der „Narr“ Melchior Ehrlich aus der Rekrutenliste gestrichen wurde.
Und so sind dem braven Burschen für die vier verbrannten „Arbeitsjahre“ elf andere geschenkt worden.
Der Melchior sah bald ein, daß unter der neuen Herrschaft seines Bleibens als „Narr“ auf der hohen Weid nicht länger mehr sein könne. Er nahm seine paar Sächelchen, schnitt einen guten Stecken aus dem Lärchenanwuchs des Schirmschachens und zog fürbaß.
Er zog in die Gegend von Sterzen hinab; dort kehrte er beim Schuhmacher ein.
Er hätte es nicht gethan, aber er hatte es gehört, was im Schuhmacherhause geschehen war. Der Meister Gegerle war an der Auszehrung gestorben. Darauf war ein Mann gekommen mit einem großen Schuldbrief und vielen Zinsbögen und hatte alles Hab und Gut der Witwe davonschleppen lassen. Dieser Mann war der Freund des Verstorbenen gewesen und hieß Remini Dreihand.
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Jetzt stand die arme Toni da, hatte nichts als ein leeres Haus und die drei unmündigen Kinder ihrer Vorfahrinnen. Ihr grünes Seidenkleid war auch dahin; ihre Augen waren roth; oft in den langen Nächten, wenn sie im Bette saß und nähte, dachte sie an die schöne Zeit, da sie beim Bauern Butterdirn gewesen.
Trat denn eines Tages in dieses Haus der Melchior Ehrlich ein. Die Toni that einen hellen Schreckruf, der auf der hohen Weid für ein lustig Jauchzen gegolten haben würde.
Darauf stand sie wie versteinert still und wußte nicht, sollte sie rückwärts treten und sich verbergen in der leeren, finsteren Lederkammer ihres Mannes, oder vorwärts, und dem guten alten Bekannten die Hand schütteln.
„Melchi,“ sagte sie endlich leise, „Du suchst mich heim?“
„Such’ Dich nicht heim,“ antwortete der Bursche. „’s führt mich nur mein Weg vorbei, und weil ich hungrig geworden bin, so hab’ ich mir gedacht, klopfst an um ein klein Stückel Brot.“
Jetzt sprang das Weib mit Ungestüm über ihn her, nahm ihn um den Hals und rief: „Melchi! Alles, was mein Tisch kann bieten, soll Dir aufgewartet sein. Mich freut’s zu tausendmalen, zu tausendmalen!“
Der Melchior saß fröhlich bei Tisch und aß ein weniges von der Milch. Sie strich ihm Butter auf ein Stück Brot.
Er nahm’s und sagte: „Für das ganz extra mein Vergelt’s Gott! Gelt, das ist eigene Wirthschaft, das wird schmecken.“
Und er steckte bedächtig den Mund voll, daß er für eine Weile stumm war und die Toni Zeit hatte, sich aus ihrer[S. 210] kleinen Verlegenheit wegen der Erinnerung an eine abgelehnte Butterschnitte auf dem Hochweidhofe wieder zu erholen.
Zwei halb erwachsene Mädchen und ein kleiner Knabe waren im Hause. Dieser war bald mit Melchior gut Freund, stieg auf die Bank, auf welcher Letzterer saß, ließ die Quaste der Zipfelmütze tanzen, zupfte gleichwohl noch vorsichtig und sachte an dem Ringellockenhaar des Mannes, an seinem falben Schnurrbärtchen endlich, und zuletzt entschloß sich der Kleine nach langem Saugen am Zeigefingerchen zu dem verlockenden Wagestück, in den Kleidertaschen des Gastes ein wenig Sichtung zu halten.
Die junge Hausfrau suchte Alles aufzubieten, um die Armuth des Hauses möglichst zu verbergen – aber das böse Gespenst lugte doch aus allen Winkeln hervor. Der Melchior bemerkte nichts und war lustig. Und die Toni kam aus einer Verlegenheit in die andere; sie wollte mehrmals versuchen, so frisch und keck wie einst aufzulachen, aber es ging nicht mehr.
Plötzlich jedoch stieß ihrerstatt der kleine Knirps ein mächtiges Gejohle aus und hoch in seinen Händen schwang er – den föhrenrindenen Vogel.
Diese trautsame Erscheinung veranlaßte jedoch vorläufig nicht viel Heiteres. Die Toni legte ihr Haupt an Melchior’s Brust und schluchzte.
„Wie lang’ ist’s her, daß Dein Mann gestorben?“ fragte der Bursche.
„Gut über ein halbes Jahr.“
„Na, nachher wird das Flennen, mein’ ich, nicht mehr nöthig sein,“ versetzte der Schalk. „Und was meinst Du, Toni, weil denn dieser närrische Vogel allweg noch lebt – was meinst, wir fingen ihn noch einmal ein?“
[S. 211]
Jetzt war das Lachen da. Es war wieder da, es war so hell und weich wie einst, es wollte nicht enden, und die Augen standen in hellen Thränen.
„Nein, das ist wahr!“ schluchzte sie endlich, „Du bist ein herzensguter Bub!“
„Weißt, Toni,“ sagte der Melchior, und war auch selbst verlegen geworden, so daß er mit seinen Schuhspitzen viel zu laut am Trittbrett des Tischschragens klöpfelte, „ich weiß jetzt mit meiner Zeit nichts anzufangen. Auf der hohen Weid freut’s mich nimmer und zu den Soldaten wollen sie mich auch nicht nehmen.“
„Hast einen Fehler?“ fragte sie theilnahmsvoll.
„Hier drin, meinen sie, müßt’s hinken,“ versetzte der junge Mann und stemmte seine beiden Zeigefinger auf die Stirn.
„Ich hab’ gehört, daß Du so theures Brennholz heizen thätest,“ bemerkte das Weib und machte sich mit dem Kleinen zu schaffen, den sie nach und nach mit Ernsthaftigkeit und Liebkosungen aus dem Stübchen schob.
„Festweg, Toni, brauchst Dir keine Sorg’ zu machen, das ist vorbei,“ sagte der junge Mann und klöpfelte; „unser Häusel thäten wir schon mit Scheiterholz auswärmen. – Wohl wahr, wir hätten die fünf Hunderter leicht anwenden können; aber für’s Erst’ hab ich meinen Zorn auslassen wollen gegen das Geld, das mir allerlei böse Tage gemacht und zuletzt gar mein Herzlieb davon geführt hat. Und für’s Zweit’, Toni, möcht’ ich gern wissen, was denn wohl der Melchior – frisch und gesund und bald dreiundzwanzig Jahr’ alt, bisher Halter auf der hohen Weid, just für sich, nach der Elle oder nach dem Pfund gemessen – werth sein kann.“
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Er schwieg ein wenig, sie wußte auch nichts zu sagen. Nein, sie hätte schon was gewußt. Es war ihr wohl heiß um’s Herz.
Der Bursche zog sein Geldbeutelchen aus der Tasche; „’s ist nicht ganz leer, Toni,“ sagte er. Das Lebkuchenherz war drin.
„Und nachher, weißt,“ rief er und stemmte seinen Ellbogen fest auf den Tisch, „weil’s vorbei ist, was vorbei ist, so seh’ ich jetzt wohl ein, daß der Mensch ohne Geld halt doch einmal nicht recht wachsen will. Mir thut das in die Länge wachsen nimmer noth, aber in die Breite gehen möcht ich. Jetzt wär’ das schon recht, hätt’ ich mir vor Zeit das Geld nicht abgeschworen für all’ mein Lebtag. Was man schwört, muß man halten, und jetzt denk’ Dir, Toni, so steh’ ich da. – Hab’ mir aber schon was ausgetipfelt, Toni, wollt’ mir nur wer dabei helfen. – Heiraten muß ich, ’s giebt sonst kein Mittel für mich. Ich will auf dem Gütel arbeiten, oder im Tagelohn, oder draußen im Dorf, oder drin im Wald, oder auf der Alm. Ich schick mich in Alles, und mein Weib, das wird das Geld dafür in die Hand nehmen und damit machen, was sein muß. – Was meinst, Toni, ist der Rath zu brauchen?“
„Ja,“ sagte das Weib und räumte den Tisch ab, „zu brauchen – – zu brauchen ist er schon.“
„Und – und willst Du mein Geldbeutel werden?“ fuhr es dem Burschen heraus.
Wieder das Lachen und die Thränen – viele Thränen – lautes Schluchzen, so daß der Knabe draußen erschrocken zu seinen Schwestern lief: „Geht geschwind, der fremde Mann, der thut der Mutter was!“
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Gutes Geld.
So hat sich’s zugetragen mit dem Geldfeind, mit dem Melchior Ehrlich – dem Ehrenschmiedsohn. Er hat sein altes Lieb, die Rothkitteldirn, geheiratet.
Ueber der Thür des Häuschens war ein hölzerner, grün angestrichener Stiefel gehangen; der mußte herab. Es wohnte kein Schuster mehr im Hause. Ein paar Gärten und Aecker waren dabei und die Wirthschaft war ein Bauerngütchen geworden. Die Leute drin arbeiteten mit Lust und Fleiß, und nach und nach füllten sich die Räume wieder, die der geknickte Zaunpfahl so hämisch ausgeleert hatte.
Von den Kindern des verstorbenen Gegerle ist auch nur Gutes zu sagen.
Die beiden Jungfrauen verheirateten sich, der Knabe kam auf die hohe Weid als Hirtenjunge, mit dem leichtlich die Idylle wieder anhebt. Es ist das alte leichtherzige Leben im Hofe auf dem Rochusberge, nur schier noch ungebundener als unter dem alten Bauer. Das Familienleben zwischen Mensch und Vieh wird einträglich fortgeführt. In der Butterkammer wirthet manch’ heitere Magd, über die Weiden der Heukehr springen und scherzen die Ziegen und die Kälber. Auf dem Hochboden steht noch der Schirmschachen und der Anwachs ist höher geworden und spendet noch immer den freundlichsten Schatten. Freilich wackelt das Sennermägdle allzu selten vorüber.
Aber es lebt noch, das Sennermägdle auf der Hinteralm. Es waltet die Heerden, es ist völlig frisch; es wartet immer noch auf den Tiroler und saugt und saugt an dem Pfeifchen, auf daß das Feuer nicht sollt verlöschen.
Einen traurigen Ausgang hat es mit dem alten Remini Dreihand genommen. Der ist eines Tages todt in seiner[S. 214] Klause gefunden worden; er hing am Staffel seines Bettes. Man wußte nicht, weiß es heute noch nicht, ob sich der alte Geizhals aus Sorge um „seine alten Tage“ selbst erhenkt hat, oder ob er durch Mörderhand erdrosselt worden. In dem wurmstichigen Schrank der finsteren Klause fand man nicht einen Heller Geld, aber unter der Bettstatt, tief in die schwarze Erde gegraben, wurde bei der Untersuchung ein Ledersack entdeckt, in dem altes, schweres Silber lag.
„Der,“ sagten die Leute, „der ist der Geldfeind gewesen; er hat es lebendig begraben.“
„Und der Menschenfeind dazu!“ riefen Andere.
Da erhob bei der Bestattung des alten Mannes der Pfarrer das Wort: „In jedem Menschenherzen schlummert ein Dämon. Möge Jeder denselben bekämpfen mit seiner Kraft und wachen! Des Herrn Gnade sei mit uns Allen!“
Das ehemalige Schuhmacherhäuslein auf der Sterzen mit den dazu gehörigen Grundstücken heißt jetzt das Ehrengut, nach dem Namen des Besitzers Melchior Ehrlich. ’s geht fröhlich drin zu; ein kleiner Melchi und ein kleines Tonerle purzeln auf dem Boden herum und schlagen johlend die Beinchen in die Luft und streiten wohl auch zuweilen mit Händen und Füßen um des Vaters bunte Zipfelmütze. Das Lebkuchenherz und das föhrenrindene Rothkröpfchen möchten sie auch wohl gern haben; aber diese Dinge hängen hoch oben im Winkel des Hausaltars, und die Mutter sagt: „Kinder, das kriegt Ihr erst, wenn Ihr groß seid!“
Die Toni weiß das Geld, welches ihr der Mann stets redlich in’s Haus schickt, prächtig zu handhaben und damit für die Familie allerhand Gutes und Liebes zu stiften. Da kommt der Melchior wohl auch zur Ueberzeugung, das Geld kann nur auf zweierlei Weise Unheil stiften: erstens, wenn[S. 215] es in die Hand des Boshaften und des Leichtfertigen geräth, zweitens – wenn es der Brave nicht hat.
Eines Tages – ’s ist noch nicht lange her – hat der Melchior eine sehr überraschende Nachricht aus der Hauptstadt erhalten. Der Sohn des Hochweidbauers, den er einst auf dem Hofe kennen gelernt hatte, theilt ihm mit, daß die Strafzeit des vormaligen Forstadjuncten Kilian Ehrlich zu Ende gehe und daß beschlossen worden sei, den talentvollen Mann in „des Kaisers Geldwerkstätte“ aufzunehmen.
„Juchhe!“ jauchzt der Melchior, „jetzt ist’s gut. Mein Bruder selber macht echte Banknoten. Her damit, ich kann sie brauchen!“
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