Kapitel 3

Papst Sixtus würdigte Sandros Werk, indem er – laut Vasari – Botticelli reiche Geldsummen auszahlen liess; aber »dieser lebte, seiner Gewohnheit nach, in den Tag herein, verwirtschaftete alles noch während des römischen Aufenthaltes und kehrte, nachdem er vollbracht, was ihm aufgetragen worden, gleich nach Florenz zurück« … Hier konnte er sich bald wieder als Meister des Freskos erweisen. Diesmal galt es, die Vermählung Lorenzos Tornabuonis mit der schönen Giovanna degli Albizzi zu verherrlichen. Auf dem einen Fresko wird der junge Lorenzo in den Kreis der sieben freien Künste eingeführt: Voll edler Schüchternheit blickt er die weisen Schwestern an, indes ihn die »Dialectica« zur Philosophie, einer betagten [39] Matrone geleitet. In dem andern Fresko begrüssen die vier Kardinaltugenden Giovanna degli Albizzi. Es ist ein ungemein delikater Zug Botticellis: gelassen und prüfenden Auges erwarten die Wissenschaften den Jüngling, der um ihre Gunst erst werben soll. Die Tugenden aber schreiten auf Giovanna zu, als wollten vier Schwestern eine fünfte umarmen, die lange fern geweilt. Heute gibt ein Treppenhaus im Louvre den halbzerstörten Fresken Obdach. Voreinst schmückten sie Chiasso Macerelli, eine Villa der Tornabuoni unweit den Bergen von Fiesole, und hier, unter Cypressen und wilden Rosen, in stiller Sonnen-Einsamkeit muss die erdenferne Poesie dieses Werkes unendlich ergriffen haben.

In strengen geraden Linien fliesst Giovannas rotes Kleid den hochgewachsenen Körper entlang. Orangenfarbige, weisse, gelbe und grüne Gewänder umhüllen die schlanken Mädchen, bei deren Anblick man sich erinnert, dass Alberti in seinem Malerbuch sagt: »Wenn man Diana malen wollte, wie sie den Chor der Nymphen anführt, so thäte man gut, die eine Nymphe in Grün, die andere in Weiss, die dritte in Rosa, die vierte in Gelb zu kleiden und so eine jede[40] in eine andere Farbe.« Leone Battista Alberti, der grosse Theoretiker der Frührenaissance, hatte sein Malerbuch bereits im Jahre 1435 vollendet; aber erst Botticelli, der ganze elf Jahre später zur Welt kam, machte seine Anregungen sich zu nutze. Dass er's überhaupt that, hängt mit seiner Sonderstellung innerhalb der Florentiner Malerei zusammen. Die Nachahmung des Wirklichen, die den andern das Endziel aller Kunst schien, war für Botticelli nur ein Mittel; denn er glaubte mit Alberti: »man müsse darstellen, was dem Geist zu denken giebt; nicht, was die Augen sehen«. Sandro besass den feinsten Sinn für das Wesen der Form, den Gefühlswert der Farbe, mit selbstschöpferischer Phantasie war er begnadet, und all diese Maler-Eigenschaften gingen mit einem sterilen Gelehrtentum eine ebenso fesselnde als komplicierte Verbindung ein. Er war ein »letterato«, hatte den Respekt der Halbgebildeten vor Gedrucktem und Geschriebenem und nur sein Künstler-Genie beschützte ihn davor, der erste academische Maler, Ahnherr einer Professoren-Malerei zu werden. Dass gerade Botticelli zu solcher Geistesrichtung neigte, lässt sich begreifen. Im gastlichen Palazzo Lorenzos de' Medici, wo[41] er als Freund verkehren durfte, begegnete er Dichtern und Gelehrten und diese grossen Herren sprachen so menschlich mit dem gesellschaftlich tiefer stehenden Maler, wiesen ihm Pfade in versunkene Welten, die ihr Zauberwort eben neu belebte, und gaben dadurch seiner Kunst manche Themata.

London, National Gallery.

MARS UND VENUS

In den religiösen Bildwerken trägt Botticelli – nennt ihn doch bereits Vasari eine »persona sofistica« – den Talar des mittelalterlichen Scholastikers: er malt den »hortus conclusus« Marias, und in einem andern Gemälde der Berliner Galerie, das seinem Atelier entstammt, erblickt man die sieben Geister Gottes der divina commedia als leuchtertragende Engel. Er entwirft, wiederum in Anlehnung an Dante, eine Himmelsglorie, geht, im nämlichen Bilde, auf Matteo Palmieris gelehrte Wünsche ein und Sixtus IV. hat genau gewusst, warum er gerade Botticelli das Fresko der Reinigung des Aussätzigen zuwies; kein andrer Maler hätte eine theologische Erörterung über die Sühnekraft des Blutes in Kunst umsetzen können. Selbst Äusserlichkeiten und kleine Züge verraten Sandros gelehrte Neigungen. Er meisselt Danteske Verse in Marmorthrone;[42] man erblickt, wo es nur angeht, aufgeschlagene Bücher, Schriftrollen und Tintenfässer; auf dem Berliner Bilde der Palmen-Madonna werden die Olivenzweige in den Vasen nicht von Bindfaden, sondern von lateinischen Spruchbändern zusammengehalten; unmöglich grosse Edelsteine schmücken die Handschuhe und Mitren der Bischöfe, und gewiss möchten, an der Hand eines »liber gemmarum« mittelalterlich-symbolische Beziehungen zwischen der Wesensart der Heiligen und der Natur der Juwelen sich offenbaren.

Sein Gelehrtentum bedingte auch Botticellis eigenartiges Verhältnis zur Antike. Die Maler neben ihm, die Pollaiuoli, Ghirlandajo und seine Schüler füllten ihre Gemälde mit mehr oder minder freien Copien antiker Bauten an. Das war – im allgemeinen – Botticellis Sache nicht. Wohl nimmt auf dem Fresko von dem Untergang der Rotte Korah Constantins Triumphbogen die Mitte der Scene ein; aber die lateinische Inschrift, die seine Vorderfront trägt, »Nemo sibi assumat honorem nisi vocatus a deo tanquam Aron« mildert diesen Anachronismus und verbindet das altrömische Bauwerk mit dem alttestamentarischen[43] Inhalt des Freskos. Ein gedankenloser Kopist antiker Kunst ist Sandro nie gewesen; er dankt ihr entscheidende Anregungen; nur führte ihn – das ist bezeichnend – Leon Battista Albertis Traktat zur alten Kunst. In dieser ästhetischen Bibel Sandros steht zu lesen: »Es gefällt, im Haare der Menschen und Tiere, in den Zweigen, im Laub, in der Gewandung eine gewisse Bewegung zu sehen« und für derartige »Bewegungen« der Haare und besonders der Gewandung, aber auch nur für solche, wurden ihm die Reliefs spät-römischer Sarkophage zum Vorbild. Seine Unabhängigkeit gegenüber der Antike hat Sandro jedoch – bewusst oder unbewusst – stets gewahrt. Dies zeigt sehr deutlich ein weibliches Idealporträt im Staedelschen Institut zu Frankfurt. Vom Individuellen ausgehend, näherte Sandro die Züge des Modells der strengen Regelmässigkeit antiker Gemmenköpfe und gab dem blonden Haar, das erst zu Zöpfen aufgebunden ist, dann lose über die Wangen rieselt, durch Bänder, Reiherfedern und eingeflochtene Perlen jene von Alberti gewünschte »Bewegung«.

Ein besseres Schulbeispiel noch, Botticellis[44] Art zu »erklären«, bietet jene Pallas, die – lange verschollen – heute ein Gemach in den Wohnräumen des Palazzo Pitti schmückt. Auch dies Gemälde verherrlicht die Unterdrückung der Pazzi und bezeichnend für das rein ästhetische Verhältnis der mediceischen Kreise zu Christentum und Antike ist: der nämliche Botticelli feierte die Errettung Lorenzos de' Medici in einem christlichen Votivbilde, der Epiphanie, und durch eine antikisierende Allegorie, eben diese Pallas mit dem Centauren. Voll Symbolik steckt das Gemälde. Der Centaur, dem Pallas mit der Rechten bändigend ins Haar greift, war seit Dantes Zeiten ein Sinnbild der Zwietracht. Die Linke der Göttin hält eine Hellebarde und einen Ölzweig, der sich in einzig schönen Linien um ihr Gewand ranken will; das bedeutet Kraft und Frieden; ihrer Vereinigung entspriesst eine segensreiche Herrschaft: nur die Medici können mit einer solchen die Arnostadt beglücken; darum durchwirken, eine Impresa Lorenzos, drei Ringe, die sich ineinander schlingen, das Kleid der Olympierin. Das klingt pedantisch und schulmeisterhaft; aber Botticelli war ein Künstler, dem alles, was er schuf, selbst eine[45] politische Allegorie, zum inneren Erlebnis wurde; er war ein Maler, und das will sagen: jedem, auch dem kleinsten Flächenstück in seinen Bildern kommt, lange vor seiner symbolischen, eine bestimmte sinnliche Bedeutung zu; alles ist, bevor es Allegorie wurde, als Form und Farbe erdacht gewesen. Darum wird man stets das Pathos des Centauren, den malerischen Reiz der hellen Frauenhand im dunklen Haar des Unholdes bewundern und kann, auch ohne literarische und culturgeschichtliche Vorkenntnisse, von der traurigen Schönheit der Pallas ergriffen sein.

Florenz, Accademia.

DER FRÜHLING

Nicht anders ist es mit der herrlichsten Allegorie Botticellis, dem »Frühling« der Florentiner Accademia. In einem menschenfernen Haine webt der Lenz und tausend farbenbunte Blumen spriessen empor; Grazien in goldgesäumtem Schleiergewand reichen einander die Hände zum Reigen; auf zarten Füssen eilt eine Blütenfee durch all die Frühlingspracht, in der selbst der rastlose Hermes gern verweilt; seiner Mutter zu Häupten gaukelt Amor faltergleich in Lüften und mit sinnendem Lächeln blickt Venus auf ihr ewiges Reich … »ridegli intorno tutta la foresta« … Wer je empfand, wie die Einzelschönheiten der[46] Formen und Farben beim Betrachten sich zur dichterischen Einheit zusammenschlossen, mag bewundert haben, wie hier ein Poet zum Maler, ein Maler zum Poeten geworden; die Frage, was ist hier gemalt, mögen sich nur wenige gestellt haben. Und doch sind darüber Aufsätze und Bücher geschrieben worden, in letzter Zeit sogar erbitterte Fehden entbrannt, und die Pforten zum Reich der Venus sind von hadernden Gelehrten umlagert, die uns durch Citate aus Ovid und Horaz, aus Alberti und Polizian, durch Hinweise auf die Revers-Seite von Medaillen und mailändische Holzschnitte den wahren Sinn eines Gemäldes offenbaren wollen, das sich allen Ungelehrten anscheinend von selbst erklärt. Man streitet ums Ganze wie ums Einzelne, möchte die Entstehung des Bildes mit einem Ereignis der Florentiner Zeitgeschichte in Verbindung setzen, weiss aber nicht, ob mit dem Tode der bella Simonetta Vespucci, der Muse des mediceischen Kreises oder mit der Hochzeit Lorenzo Tornabuonis; dass Botticelli mancherlei Anregungen den prunkenden Stanzen von Angelo Polizianos »Giostra« schuldet, wurde sehr scharfsinnig und überzeugend nachgewiesen; Alberti mag ihm eingegeben[47] haben, die Grazien zu schildern, wie sie »lächelnd, mit ungegürteten und durchsichtigen Gewändern angethan, einander an den Händen halten«; verweist man jedoch, um die Anwesenheit des Hermes im Reiche der Venus zu »rechtfertigen«, auf eine horazische Ode an Venus, wo nichts weiter zu lesen ist, als »Amor und Hermes geleiten dich«, so heisst das, einen grossen Künstler nicht verstehen. Dass Botticelli ins Reich der Venus auch einem göttlichen Jüngling Einlass gewährt, musste er sich dazu erst von einer klassischen »Belegstelle« die Erlaubnis holen, und lässt sich die Wahl dieser vielgedeuteten Figur nicht vom rein künstlerischen Standpunkt aus begreifen? Vielleicht hätten diese Frauengestalten, ohne den Kontrast zu einem männlichen Akte, nicht so eindringlich gewirkt; wie könnte jene Bewegung, die, allmählig leiser werdend, das Bild von rechts nach links durchzieht, edler ausklingen, als in der geraden Linie des jünglinghaften Hermeskörpers, und glaubt man wirklich, dass nebeneinander gestellte Illustrationen zu fünf oder sechs Autoren als Summe eine unvergessliche Stimmungseinheit ergeben?

Dem nämlichen Gefühlskreise wie der »Frühling«,[48] – »Reich der Venus« wäre ein besserer Titel für das Gemälde – der nämlichen mediceischen Antike gehört auch die »Geburt der Venus« in den Uffizien. Zu Vasaris Zeiten schmückten beide Bilder einen Raum und als Gegenstück zum »Frühling« ist dies künstlerisch nicht ganz so hoch stehende Bild zweifellos von Botticelli erdacht worden. Rosenblüten gaukeln durch sonnenvolle Luft und Windgötter hauchen die Schaumgeborene, die aufrecht in einer blanken Muschel steht, über das blaugrüne Meer zum Strand. Eine goldhaarige Nymphe im Blumengewande harrt, die leuchtende Nacktheit der Gebieterin mit dem Königsmantel zu bergen. Die Herrscherin betritt ihr Reich: vergebens sucht Flora, sich der stürmenden Glut des Zephirs zu entwinden, in dumpfer Mädchensehnsucht schlingen die Grazien den Reigen; alle treibenden Säfte und Kräfte des Frühlings werden lebendig, – »vereint sind Liebe und Lenz« … Anregungen von seiten Polizians und Albertis lassen sich auch in diesem zweiten Bilde nachweisen; aber Sandro wahrte doch seine Künstlerfreiheit. So wird, um ein prägnantes Beispiel einzuführen, Venus bei Polizian, gemäss[49] dem Homerischen Hymnus an Aphrodite, von drei Nymphen empfangen; Botticelli malte nur eine und vielleicht braucht man das nicht, wie ein wohlmeinender Kunsthistoriker that, mit »Vergesslichkeit« von seiten Sandros zu entschuldigen. Jenen Glanztagen botticellesken Schaffens entstammt auch das wundersame Idyll von Mars und Venus in der National-Gallery. Wiederum erkennt man leise Anklänge an manche Reime der »Giostra«; aber niemandem werden vor diesem Gemälde Homerische Verse einfallen: die hellenischen Götter lachen, Sandros Olympier verziehen kaum den Mund zu träumendem Lächeln. Um den schlafenden Kriegsgott, – den besten männlichen Akt, den Botticelli je geschaffen, – treiben mit den Waffen des Schlachtenerregers bocksbeinige Satyrknaben ihr tollgraziöses Spiel. Aber das schmerzverzogene Antlitz des Gottes steht in seltsamem Kontrast zu ihrem Thun, und Aphrodite, die von golddurchwirktem Pfühl mit lächelndem Ernst auf den Schlummernden blickt, ist zwar schön, aber nicht, gleich ihrer Homerischen Schwester, »unbändigen Herzens« … Jene antike Sinnlichkeit, die untrennbar ist von gesunder und kraftvoller Schönheit, hat Sandro[50] in seiner Venus nicht geschildert; sie hat auch mit der vampyrhaften »Frau Venus« des Mittelalters nichts gemein. Als Bewunderer der Antike schaut Sandro ehrfürchtig zum Olymp empor; selbst die entthronte Aphrodite bleibt ihm eine hoheitsvolle Göttin. Sie gleicht der nazarenischen Maria, und niemand könnte einen Heiligenschein um ihr Haupt störend empfinden. Die keuscheste nackte Frauengestalt schuf Sandro in seiner Venus; aber der »naive alte Meister« wusste auch um süsse Teufelinnen, um Weiber, die nichts als geschlechtliche Wesen sind. Da ist die »Salome« der Accademia; rostrote Haare, gierige Augen und Lippen, die verruchter Sünde entgegenzittern. Von dieser kleinen und leider nur wenig beachteten Predella führt kein Pfad zur Vergangenheit. Botticellis Salome ist nicht das »Mägdlein« der Bibel, kein Zug gemahnt an die kirchlich strenge Prinzessin Giottos, an Filippo Lippis fröhlich tanzendes Kind; aber man findet von dieser Salome einen Weg in die fernste Zukunft, zur perversen Erotik der Oscar Wilde und Aubrey Beardsley. Auf einer andern Predella naht dem heiligen Eligius die Versuchung; aber metallisch funkelnde Hörner im[51] goldigen Zauberhaar verraten die Herkunft der Dämonin; ihre lachenden Augen und der blutrote Dirnenmund werden den Mann Gottes nicht verführen; denn er weiss: »Mulier est confusio hominis, bestia insanabilis … fetens rosa, tristis paradisus, dulce venenum« …

Florenz, Uffizien.

GEBURT DER VENUS

Als Botticelli seine Geburt der Venus malte, dachte er vielleicht, ein im Altertum viel gefeiertes Bild des Apelles gleichsam neu zu schaffen; ganz deutlich offenbart dies Streben nach Rekonstruktion eines verlorenen Kunstwerkes seine »Verläumdung des Apelles« in den Uffizien. Lucian gab in den Dialogen über die Verläumdung eine genaue Beschreibung von dem Bilde des Apelles. Alberti nahm diese Schilderung in sein Malerbuch auf, und aus diesem wird sie Botticelli gekannt haben. Hier, wo es in seiner künstlerischen Absicht liegen musste, folgte Sandro genau den Worten Lucian-Albertis. Man vergleiche: »Es zeigt jenes Bild einen Mann mit sehr grossen Ohren, zu dessen Seiten zwei Frauen standen, deren eine man »Unwissenheit«, die andere »Argwohn« nannte. Dann kam die »Verläumdung«; dies war ein Weib, prächtig von Ansehen, doch zeigte ihr Antlitz allzuviel Verschlagenheit;[52] ihre Rechte hielt eine brennende Fackel; mit der Linken schleppte sie an den Haaren einen Jüngling herbei, der seine Hände zum Himmel emporstreckte. Dann war ein bleicher Mann da, hässlich, schmutzbedeckt, von schaurigem Ansehen … Dieser führte die Verläumdung und man nannte ihn den »Neid«. Zwei andre Frauen versehen die »Verläumdung« mit Schmuck: »List« und »Täuschung« waren ihre Namen. Ihnen folgte die »Reue«, eine Frau im Trauergewande, die sich selbst zerfleischt. Endlich kam ein Mädchen, zag und schüchtern, – die »Wahrheit« …« Nur diese eine Gestalt hat Botticelli – gewiss zum Vorteil des Bildes – geändert. Eine hüllenlose Frau hebt ihre Rechte wie anklagend und beschwörend zu den ewigen Göttern auf. Zum Schauplatz der antiken Scene bestimmte Sandro eine sonnendurchflutete Renaissance-Halle, wo in goldenen Nischen ungemein plastisch empfundene Statuen stehen, deren manche geradezu Motive Castagnos und Donatellos kopieren. Vasari preist dies Gemälde in wenigen aber begeisterten Worten; ob jedoch Leon Battista Alberti seinem Jünger Beifall genickt hätte? »Alle Bewegungen« – konnte man[53] im Malerbuch lesen – »sollen, immer aufs neue weise ich darauf hin, massvoll und lieblich sein« … »Denn heftige Gebärden rauben nicht nur der Malerei jegliche Anmut (grazia e dolcezza), sondern lassen auch den Geist des Künstlers allzu wild und feurig erscheinen.« Und in Sandros Bild ist jede einzelne Figur durchschauert von inneren Stürmen, die sich nach aussen in heftige und leidenschaftliche Gesten umsetzen. Botticelli wusste um diese Vorschrift Albertis und hat sie viele Jahre treulich erfüllt. Aber die Zeiten, da Wünsche von Ästhetikern ihm Gesetze bedeuteten, lagen hinter Sandro. Gerade in jenen Tagen, wo er die Verläumdung malte, vollzog sich die entscheidende Wandlung seiner Seele: der mediceische Sandro, der nur vollendete Kunstwerke schaffen, mit feinen Fingern die Schätze toter Kultur heben wollte, – er starb; und an seiner Statt erblicken wir einen sündbewussten Menschen, der nicht mehr »schöne«, sondern inbrunstvolle Bilder malt, den Pinsel in sein eigenes Herzblut zu tauchen scheint. Der Mann, dem Botticelli diese Erleuchtung seiner Seele, die Neubekehrung zum Christentum dankte, hiess Girolamo Savonarola.

Florenz, Uffizien.

DIE VERLÄUMDUNG DES APELLES

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