Kapitel 4

Das Florentiner Volk war – auch in den Tagen der Renaissance – immer fromm gewesen, oder, mit Vespasiano da Bisticci zu reden, »dem Weg der Wahrheit zugethan«; lange vor Savonarola errichtete Fra Bernardino da Massa auf Piazza Santa Croce einen Scheiterhaufen, woselbst »die falschen Haare der Frauen, Spielwerk und eitle Dinge«, verbrannt wurden. Die Medici gehörten religiösen Bruderschaften an und sogar dem frivolen Polizian dienten das Leiden und die Demut Christi gelegentlich zu lateinischen Stilübungen. In Wahrheit hatten jene Freunde Lorenzos de' Medici, die im Palazzo der via larga und in den Hainen von Careggi sich zusammenfanden, nur ein sehr äusserliches Verhältnis zu Gott und seinen Dienern. [55] Der Prediger bedeutete ihnen, was dem antiken Menschen der Rhetor war, dem modernen ein Schauspieler ist. Was er sagte, kam nicht in Betracht; das wie allein entschied. Ob der Mann auf der Kanzel an seine Worte glaubte, danach frug niemand. Angelo Poliziano spricht einmal ungemein charakteristisch vom Eindruck, den ein Sermon Fra Marianos da Genazzano ihm bereitete. »Ich bin ganz Ohr (tutto orecchi) für den Wohlklang der Stimme, die gewählten Worte, die grossen Sentenzen. Ich unterscheide die Absätze, den Bau der Perioden, bin im Bann harmonischer Kadenzen« … Savonarola verschmähte die Mittelchen solcher Kanzelvirtuosen: »Eleganz und aller Wortschmuck« – meinte er einmal – »müssen zurücktreten, wenn man die Lehre des Heils einfach kündet« … Auch Botticelli mag der ersten Predigt Savanarolas beigewohnt haben, um klingende Perioden oder elegante Gesten zu bewundern und fand einen Mönch, – der glaubte. Die Männer um Lorenzo de' Medici »konnten« alles, waren glänzende Artisten der Sprache, geschmackvolle Histrionen von Gefühlen und Empfindungen; ihre Seele aber hatte keinen Teil an dem Thun ihres Geistes. [56] Aus Savonarolas Worten flammte heilige Überzeugung und darum schufen sie Überzeugte; weil er selber glaubte, machte er Gläubige. Dass aber gerade Sandro, der Künstler, so glühend jenem Priester anhing, der alle Kunst nur als Dienerin des Glaubens gelten liess? In jedem Künstler lebt die Heldensehnsucht, am willigsten bewundert er die grosse Persönlichkeit, selbst eine antikünstlerische. So mochte das festumrissene Charakterbild des Priors von San Marco dem Künstler Botticelli Verehrung abzwingen; die Massen-Suggestion, der leicht erregbare Menschen sich selten entziehen, übte ihren Einfluss; und – die Hauptsache – es war plötzlich einsam geworden um Sandro Botticelli. Er hatte Lorenzo de' Medici begraben sehen, und zwei Jahre später – anno 1494 – war Polizian seinem Mäcen gefolgt; bald darauf stürmte der heulende Pöbel den Palazzo Medici und sein Besitzer Piero, Lorenzos Sohn, musste schimpfbeladen aus der Stadt flüchten; aufrecht aber und gewaltig stand der Dominikaner auf der Kanzel, und wenn er dem zitternden Volke das Crucifix entgegenstreckte, knieten Tausende nieder und schluchzten: Miserere Domine … Auch Botticelli [57] hatte viel zu büssen. »Was soll ich über euch, ihr Maler, sagen, die ihr halbnackte Figuren hinstellt«, zürnte Fra Girolamo und Botticelli wusste: »viele Bilder nackter Frauen«, die jetzt »die Häuser der Bürger« verunzierten, waren aus seinem Atelier hervorgegangen. »Kein Kaufmann veranstaltet eine Hochzeit,« – donnerte wiederum Savonarola – »dessen Tochter ihre Ausstattung nicht in eine Truhe legt, die mit heidnischen Fabeln bemalt ist; so dass eine christliche Braut früher den Betrug des Mars und die Listen Vulcans, als die Thaten der heiligen Frauen beider Testamente kennt« … Sandro hatte die buhlerische Liebe von Mars und Venus gefeiert und – als erster – heidnischen Göttern lebensgrosse Bilder geweiht; aber »sollen wir Ovid hier predigen oder christlichen Glauben«? Da verwies Botticelli den frohen Fabelwesen sein Haus, schmückte »die Truhen für die Neuvermählten« mit den Wunderthaten des heiligen Zenobius und dem keuschen Opfertod Virginias oder Lucretias, ging hin und predigte christlichen Glauben, nicht mehr nach Albertis Vorschriften, sondern wie sein glühendes Herz es ihm eingab. Schien er bis nun ein Lyriker, ein [58] Troubadour göttlicher Minne, so wurde er jetzt zum Pathetiker und kleidete sich in die härene Kutte des Busspredigers. Man vergleiche in den Uffizien die beiden Darstellungen der Epiphanie mit einander: die eine, jene Verherrlichung der Medici, malte ein Künstler um der Kunst willen; die andre, leider stark ruinierte, ist das Werk eines Fanatikers, der die sündige Welt zum Glauben bekehren möchte. Wie gepeitscht von unsichtbaren Geisseln, ekstatisch aufgeregt, stürmen von allen Seiten die Völker zu dem Sohne Marias, werfen sich aufs Knie, beugen, brennenden und seligen Auges, sich zum Christkinde vor, deuten mit freudebebendem Arm auf die heilige Gruppe, winken andere herbei in die braune Felsenöde, wo der Menschheit ihr Erlöser geschenkt worden. Hie Fra Mariano – hie Savonarola! Das religiöse Fieber, das mit Botticelli ganz Florenz erfasst hatte, verflog; die politischen Gegner des Priors gewannen die Oberhand, und Botticelli musste erleben, wie am 23. Mai des Jahres 1498 Savonarola, der »zweite Heiland«, seine Lehre mit seinem Tode besiegeln musste. Sandro hat es nie verwunden. In der Chronik seines Bruders Simone Filipepi kann man unterm Allerseelentag [59] des Jahres 1499 lesen: »… Als wir gegen drei Uhr nachts in meinem Hause ums Feuer sassen, erzählte mein Bruder Sandro di Mariano Filipepi, einer der guten Maler, die damals in unsrer Stadt lebten, wie er in seiner Werkstatt mit Doffo Spini über Fra Girolamos Schicksal gesprochen. Und weil Sandro wusste, dass Doffo einer der Eifrigsten bei seinem Verhör gewesen, so bat er um reine Wahrheit, ob Fra Girolamo einer Sünde schuldig befunden worden, die so schmachvollen Tod verdient hatte. Und Doffo antwortete ihm: »Sandro, soll ich dir die Wahrheit sagen? Wir fanden ihn nicht nur keiner Todsünde, sondern nicht einmal einer lässlichen schuldig.« Worauf Sandro sprach: »Warum liesset ihr ihn dann so elendigen Todes sterben?«« …

Florenz, Accademia.

SALOME

Wie treu der Jünger Sandro seinem hingeopferten Meister anhing, bekundet auch das einzige signierte und datierte Gemälde Botticellis, jene kleine, unsagbar feierliche Darstellung von Christi Geburt in der National-Gallery, vielleicht das letzte eigenhändige Bild, das Sandro geschaffen. Heftig bewegt und doch von schmerzlichem Frieden, christlichen Geistes und dunkler Symbolik voll, deucht dies Gemälde[60] wie ein Werk aus seiner mediceischen Epoche, übertragen in die Formensprache der Savonarola-Zeit: die Niedrigsten und die Höchsten, Könige und Hirten werden, den Ölzweig des Friedens im Haar, von Engeln zur heiligen Hütte geleitet, auf deren Strohdach andere Engel das »Gloria in excelsis« jubeln. Ihnen zu Häupten schlingen, von goldenem Glanz umleuchtet, wieder andere Engel den Reigen; aber das ist nicht mehr jenes selige Schweben, wie es vordem Sandro in der Marienkrönung mit so einziger Kunst gemalt; eine religiöse Orgie, ein Bacchanal des Glaubens könnte man diesen jäh dahin wirbelnden Tanz nennen. Drei goldene Kronen schimmern im strahlenden Lichtmeer, bestimmt, die Häupter dreier Pilger zu schmücken, die gerade von drei Engeln zärtlich umarmt und geküsst werden, indes ein paar Teufel, Maulwürfen gleich, sich in den Boden verkriechen; – diese drei Pilger sind Savonarola und die beiden Genossen seines Martyriums. Eine griechische Inschrift, deren geheimnisvoller Ton bewusst an die Offenbarung Johannis anklingt, zeugt erschütternd von Sandros Verzweifeln und Hoffen: »Dieses Bild malte ich, Alessandro, am Ende des Jahres 1500, während[61] der Wirren Italiens, in der halben Zeit nach der Zeit, gemäss des elften Kapitels S. Johannis, im zweiten Wehe der Apokalypse, in der dreiundeinhalbjährigen Loslassung des Teufels; dann aber wird dieser gefesselt werden, gemäss des zwölften und wir werden ihn erblicken, zu Boden getreten, wie auf diesem Bilde.«

Aufnahme Hanfstaengl.

London, National Gallery.

GEBURT CHRISTI

Weit hinter Sandro lagen nunmehr jene Tage, da er am »Betrug des Mars und den Listen Vulcans« sich erfreute. Der Born antiker Herrlichkeit rauschte ihm nicht mehr; dafür erschloss sich eine christliche Schönheitsquelle dem Gläubigen, – Dantes göttliche Komödie. Sechsundneunzig jener Federzeichnungen, mit denen er für Lorenzo di Pierfrancesco de' Medici ein Exemplar der Divina commedia schmückte, sind uns erhalten; acht davon bewahrt die Vaticana; die übrigen bilden einen stolzen Besitz des Berliner Kupferstich-Kabinets. Vielleicht begann Sandro dies Riesenwerk vor seiner Romfahrt; aber es zog sich viele Jahre hin, wahrscheinlich noch über den Tod des Medici heraus, und das Beste daran gehört den Zeiten, da Botticelli dem Glauben neu gewonnen war. Sandro widmete – mit einer einzigen Ausnahme[62] – jedem Gesang ein Blatt. Aber die Fülle des Darzustellenden erdrückte ihn; das Nacheinander der Schilderung löst sich nicht immer gut zum Nebeneinander auf und so kranken besonders die frühen Zeichnungen zum Inferno an einer unklaren und verworrenen Anordnung. Doch darf man, in Umkehrung eines Goetheschen Wortes, sagen: Wo starker Schatten, ist auch viel Licht. Seine Zeichnungen enthalten, gleichsam im Extrakt, alle Vorzüge seiner Gemälde: die plastische Formgebung, den beseelten Contur, und die Gesten werden hier, noch unmittelbarer als im Bilde, zum Ausdruck eines überquellend reichen Innenlebens. Die finsteren Giganten der Hölle wirken ebenso überzeugend wie die Holdseligkeit der Engelsreigen; wenn Sandro mit ein paar Strichen die Unendlichkeit des Äthers oder eine unermessliche Weite ahnen lässt, so scheint der Florentiner zum Japaner geworden und wie endlich, in den Zeichnungen zum Paradies, Dantes Augen Angst, Verwirrung, das Gefühl der eignen Unwürdigkeit, Hoffnung und heiligste Ergriffenheit wiederspiegeln, – solcher Kunst ist nur wenig, vielleicht gar nichts vergleichbar.

Botticelli konnte den Abend seines Lebens[63] gänzlich den Dante-Studien widmen; denn in seinem Atelier drängten sich die Besteller nicht mehr. Die Florentiner brachten dem Maler, den ein Papst berufen hatte, noch immer Respekt entgegen, baten ihn zuweilen um ein Gutachten in Kunstdingen, – aber Sandros Art schien überholt. Seine Kunst wurzelte nicht im nährendem Erdreich des Florentiner Volkstums; sie glich einer aristokratischen Zierpflanze Careggis, jenes Mediceer-Haines wo die Künstler gelehrt und die Gelehrten Künstler waren. Sandros Schöpfungen bedeuteten die bildgewordene Sehnsucht jener Estheten, die hier, unter Cypressen, zu Füssen eines marmornen Hellenengottes, den ewigen Traum einer versunkenen Schönheitswelt träumten. Als Lorenzo de' Medici starb und seine humanistischen Freunde dem Florenz Savonarolas den Rücken kehrten, verlor Sandro alle Verehrer seiner Kunst. Auch der Geschmack hatte sich gewandelt: einem Geschlecht, das die pompösen, aber seelenarmen Gemälde Fra Bartolommeos bewunderte, konnten Botticellis Werke nichts mehr sagen. Die jungen Künstler schworen auf Michelangelo; und die Banausen, – es wird an solchen auch in der Renaissance nicht gemangelt[64] haben, – was konnte ihnen die scheue Poesie des »Frühlings« oder des »Magnificats« sein? So schleppte Sandro arm und einsam seine letzten Jahre, und als er am 17. Mai des Jahres 1510 in der Kirche Ognissanti begraben wurde, mochten manche staunend erfahren, dass er überhaupt noch gelebt hatte. Man vergass ihn rasch. In der Florentiner Kunst der Hochrenaissance und des Barocks verspüren wir seines Geistes nicht den leisesten Hauch und selbst die feinsten Amateure des Rokoko gingen achtlos an Sandros Werken vorüber. Erst das neunzehnte Jahrhundert entdeckte die Kunst Botticellis und fand in der sehnsüchtigen Schönheit seiner Bilder den Wiederschein der eigenen Träume.

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