Acht und zwanzigstes Kapitel.

Das Schicksal schien sich endlich an dem armen Gefangenen erschöpft zu haben. Ganz unverhofft erhielt Woldemar durch die Vermittlung eines Gesandten, dessen Gemahlin seinem Hause verwandt war, die Erlaubniß, auf sein Ehrenwort nach Deutschland zurückzukehren. Er eilte nicht, er flog über den Rhein nach der Wessenburg, wo man ihn denn an Ort und Stelle wies. Mitten in der Nacht dieses denkwürdigen Weihnachts-Abends erreichte Woldemar das lang ersehnte Ziel. Er ist Dir nah! rief der Entzückte, sprang vom Pferde, sah die Fenster noch erleuchtet, die Thür unverschlossen und suchte jetzt, um nicht durch die Gewalt der Ueberraschung Unheil anzurichten, vergebens ein dienstbares Wesen auf. Da stürzte plötzlich eine verweinte Gestalt mit einem Kind in dem Arm aus der nächsten Thür hervor. Woldemar drängte sie zurück.

Sie ists! „rief er, den Vorsatz vergessend, hingerissen von dem Zauberbilde der Erscheinung“ Du bist’s! Das ist mein Kind! Er warf sich zu des Mädchens Füßen.

Unglücklicher! „stammelte sie“ ich bin es nicht! — Ich bin Therese!

Woldemar sprang empor. Aber Sie lebt! Sie ist hier! „fiel er ein.“ Wo? Wo find ich Sie und Wie? — Das erweckte Kind schrie unter seinen Küssen. Geben Sie die Hoffnung auf „sprach Therese“ meine Schwester noch in dieser Nacht zu sehn. Hoch über der Wirklichkeit schwebt die Phantasie und das Bild das jetzt vor Ihrer Seele steht wird dem Originale schwerlich gleichen.

Ich weiß „entgegnete er“ was sie gelitten hat und bin auf den Anblick eines Schattens gefaßt, denn die alte Baronin verwundete mein Herz durch die Schilderung ihres Zustandes. Aber mein Hierseyn wird Wunder thun und stände sie schon mit einem Fuß im Grabe, ich reiße die Verscheidende empor und hauche neues Leben in ihre Brust.

Ach, Einer nur vermochte das und dieser einzige stieg gen Himmel.

Sie lebt! sie liebt! Sie harrt auf mich. O, eilen Sie, den Retter zu verkündigen der alle Wunden heilen wird.

Ich fühle mich diesem Auftrage nicht gewachsen „erwiederte Therese“ und gehe, den Baron zu hohlen. Hier ist Ihr Kind. Verfahren Sie säuberlich mit dem Kleinen. Das Mädchen ging. Unter Schauern der Vaterwonne sah er in des Knaben Augen. Sie glichen den Augen seiner Mutter die ihn so oft im Innersten bewegten. „Willkommen!“ sagten die Himmelreinen.

Jetzt regt’ es sich im Neben-Zimmer. Der Sehnsucht Wellen drängten ihn: er trug das Kind in seine Wiege, schlich zu der Thüre hin und öffnete sie, verstohlen, mit leiser Vorsicht. — Da lag Hermine, bräutlich angethan, in dem Sopha: das Nachtlicht goß seinen bleichen Schimmer über die Schläferin aus.

Mein Freund! Mein Woldemar! flisterte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihm, er fühlte sich mit starkem Arm zurückgezogen und lag am Herzen seines Julius.

So reizend „versetzte Woldemar nach den ersten Begrüssungen und wies nach der halb geöffneten Thüre hin“ so magisch anziehend hab ich Sie nie gesehn. O, weckt sie auf! Erweckt die Schläferin zum neuen Leben —

Vermöcht ich das! sprach Julius mit zitternder, vom Schmerz erstickter Stimme.

Du weinst? „rief Woldemar“ Gott! Dein Gesicht entstellt der Schrecken —

Mir ist nicht wohl.

Nicht wohl? Und das wär’ alles?

Mir bricht das Herz!

Um meinet willen? Wie?

Sie schläft. Du sagst es selbst — Wohl schläft sie sanft und süß — Den langen Schlaf! Ein Engel nur kann sie erwecken.

Woldemar starrte den Weinenden an und stürzte laut aufschreyend zu der Todten hin. Sie war noch lau, vor wenig Stunden hatte sie der Nervenschlag getroffen.

Lichter! Lichter! „rief er“ daß ich sie sehe, daß dies Heiligenbild sich in mein Allerinnerstes versenke!

Therese schlich, auf Trostmittel sinnend, herbey, Auguste rang die Hände. Laßt ihn toben „sagte Julius“ laßt ihn schreyn! Und zu dem Vergehenden sprach er „Ist es nicht tröstlicher das Kleinod unsers Lebens im Sarge als an dem Herzen eines Dritten zu finden?“

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