Zehntes Kapitel.

Hygea hatte den genesenden Jüngling in der feurigsten Wallung verlassen. Noch glühte jener Wonnekuß auf seinen Lippen, noch sah er diese flammenden Augen, die Fülle der schnell bewegten Brust. Sein ganzes Wesen war in Aufruhr und die seltsamste Erscheinung weckte ihn nach Mitternacht vom Schlummer auf. Der volle Mond beschien ein niedliches Gespenst das aus der Wand hervor zu schweben schien, nun seinem Bette näher tratt und zögernd an ihm lauschte. Woldemar bog sich mit klopfenden Herzen nach der Mauer zurück, wollte seinen Sinnen nicht trauen, wagt’ es kaum einen Blick auf die Erscheinung zu werfen, und kämpfte noch unentschlossen mit sich selbst als der seltsame Zuspruch wieder aufbrach und mit der Leichtigkeit eines Schattens zurückkehrte. Schnell wuchs sein Muth, er schlich ihm durch die Oeffnung nach und stand jetzt vor dem Bett in dem die Frau von Wessen schlief. Betroffen weilte er an der fesselnden Stätte und traf, als ihn sein Genius fortzog, auf ein zweytes in dem Auguste, lächelnd wie die Unschuld ruhte.

Woldemar, der bis dahin die heimliche Tapeten-Thür übersehn und nie geahnt hatte, daß sein Stübchen an diese Schatzkammer grenze, machte sie bey der Rückkehr mit leiser Schonung zu und glaubte zuversichtlich durch die Nachwehen des Wundfiebers zum Geisterseher geworden zu seyn, denn hätte selbst — der Fall war nicht denkbar — sich eine dieser Schläferinnen zu einem solchen Schritt vergessen können, so würde er ja die Fliehende ereilt oder erkannt haben.

Das unerklärbare Räthsel beschäftigte ihn bis zum Morgen, jetzt aber wich der Glaube an das Spiel einer krankhaften Phantasie dem Erstaunen mit welchem er ein himmelblaues, vor seinem Bette liegendes Band erblickte, und dieses dem Schauer des Fiebers, das im Gefolge der erschütternden Zauberspiele dieser Stunden zurückkehrte.

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