FLORENZ 1874-1885

In Florenz hat Böcklin vom Herbst 1874 bis April 1885 gelebt. Der denkwürdige Aufenthalt umfaßte sein 48. bis 57. Lebensjahr und reifte den Stil der Toteninseln und Heiligen Haine. Sein Atelier hatte er seit Ende 1876 am Lungo Mugnone im ersten Stocke des Atelierhauses von Wladimir von Svertschkoff, nachdem er zuerst einige Zeit in der Nähe in einem Nebengebäude seiner Wohnung in der Villa Falcini mit einem zu kleinen Raume hatte vorliebnehmen müssen. Seine Schüler waren schon vor ihm bei Svertschkoff eingezogen. Dieser, eine der sympathischsten Gestalten, die mit Böcklin in Berührung gekommen sind, war ein russischer Grandseigneur, der seine reichen Einkünfte dazu verwendete, anderen Gutes zu tun und sich selbst zu beschäftigen. Sein Haus stand in einem besonders reinlichen, modernen Viertel am Rande der Stadt und sah über den Mugnone und seine Talsenkung hinweg, gegen den Apennin. Von den Fenstern schweift nach links der Blick in das Arnotal hinaus, gegenüber befinden sich sanft ansteigende Höhen mit Gärten, aus denen weiße Häuser blinken, und dahinter der rote Monte Morello, gegen rechts hin die Höhen von Fiesole. Der „Frühlingstag“ in Berlin (Taf. 71) atmet am meisten von der Stimmung dieses klassischen Erdenwinkels, obwohl die einzelnen Motive dieses Bildes natürlich von überall her genommen sind. Im Hintergrunde soll aber auch der Besitzer des Atelierhauses in dem alten Herrn abgebildet sein. Eine Erinnerung an den Monte Morello und die Wolken, die um seinen Gipfel streiften, scheint im „Prometheus“ und im „Gotenzug“ fortzuleben. Das Haus ist längst in andere Hände übergegangen, steht aber noch heute.

Es versammelte sich in Florenz nun sofort eine Reihe von jungen Männern, die bereits über die eigentlichen Studienjahre hinaus waren, um den Meister. Hans Sandreuter und Adolf Preiswerk aus Basel, Victor Zur Helle und Louis Skene aus Wien, für kurze Zeit auch Hugo von Tschudi, der spätere Direktor der Nationalgalerie in Berlin, ferner Alb. Schmitt in Weimar und Karl von Pidoll. Dazu kamen die älteren Söhne Arnold und Hans, die in diesen Jahren (1877 und 1883) ins zwanzigste Jahr traten und sich ebenfalls der Malerei widmeten und der Bildhauer Peter Bruckmann, der 1876 die älteste Tochter heimgeführt hat. Außerdem ist auch Ad. Bayersdorfer, der spätere Konservator der Alten Pinakothek, mit von München nach Florenz gekommen. Ohne Böcklins Schüler zu sein, gehörte dem Kreise auch Albert Lang 37 an, der Bruckmann in die Familie Böcklins eingeführt hat, und Hans von Marées. Mit diesem hat Böcklin in den ersten Florentiner Monaten Freundschaft geschlossen. Marées ist dann freilich schon Herbst 1875 nach Rom übergesiedelt. Seit 1879 kam auch der Schriftsteller und Biograph Böcklins, Gust. Flörke, nach Florenz. Ad. Hildebrand erschien gelegentlich, wenn auch seltener, in der Gesellschaft. Der Verkehr teilte sich hauptsächlich zwischen Atelier und Weinkneipe. Anfangs traf man sich an den Samstagen auch in den Räumen des ehemaligen Klosters San Francesco di Paolo, wo damals Hans von Marées wohnte. Außerdem hat Frau Böcklin ein offenes Haus gehalten auch in Zeiten, wo es nicht gerade glänzend ging und Weihnachten und Silvester sahen die Schüler nicht nur die Familie im Hause des Meisters versammelt. Böcklin machte alle Wochen oder seltener einen kurzen Besuch in der Werkstatt derer, die sich zu seinen Schülern zählten. Noch wichtiger waren die Männergespräche beim Symposion. Bei der Erinnerung an jene Gesellschaften ging noch in den letzten Monaten ein Freudenschimmer über das Antlitz des Meisters, so ablehnend er sich auch sonst über bildende Künstler ausgedrückt hat, und noch lange lebten bei den jüngeren die Geschichten fort, die sich unter homerischem Gelächter an der Tafelrunde abgespielt hatten. Mit atemloser Spannung aber auch wieder hörte, wie Zur Helle erzählte, die Gesellschaft zu, wenn Böcklin und Marées ihre Gedanken austauschten. Die Männer dieses Kreises waren auch die Begleiter bei der Erholung in Ischia, Viareggio und San Terenzo im Golf von Spezia, die Gefährten bei waghalsigen und abenteuerlichen Fahrten im Tyrrhenischen Meer und die Gehilfen bei den Versuchen zur Bezwingung der Luft.

Je näher aber Marées seinem Ziele kam, desto mehr unterschied sich seine Kunst von der des älteren Freundes. Den entscheidenden Unterschied hat er selbst in dem Tadel ausgesprochen, Böcklin gehe von der Erscheinung aus und beginne also mit dem, was seiner Ansicht nach das letzte sein sollte. Wenn Böcklin einen Mann im Spiele des Sonnenlichts und der wechselnden Schatten eine Straße herunterkommen sah, so konnte das seine gespannteste Aufmerksamkeit erregen, als ob er auf den Impressionismus eingeschworen gewesen wäre. Marées zuckte die Achseln: „Ein Mann in rotem Rock.“ Ein Blumenstrauß, ein blauer Farbstoff konnte Böcklin in Begeisterung versetzen, und er berichtet in seinen Briefen den Freunden vom Erwachen der Blumen, die jeder Frühling brachte und begrüßte den Tag, der ihm neue Anregungen gab. Er war auch ein Grübler und hatte sich wohl überlegt, was er in seiner Kunst erreichen wollte, warum er es wollte und wie das zu erzielen war, aber er war kein Philosoph. Marées hatte die philosophische Ader. Er krankte sogar, wie uns scheinen will, an dem Glauben, alles mit dem Verstande erfassen zu können, und er sah die Blumen nicht, die an seinem Wege blühten. Aber seine Theorien machten Schule und mehrere Schüler Böcklins, wie Karl von Pidoll, Victor Zur Helle und selbst der Schwiegersohn haben sich im Verlauf dieser Jahre enger an Marées angeschlossen und sind zu diesem nach Rom übergesiedelt. Indessen blieben Schüler und Meister dem Älteren in freundschaftlicher Hochachtung zugetan. Immer wieder betont Marées die Echtheit des Menschen und Künstlers in Böcklin. Er kam mit Pidoll 1878 von Rom, um mit den Florentiner Freunden dessen silberne Hochzeit zu feiern. Als Böcklin im Sommer 1879 durch Bäder auf Ischia einen schmerzhaften Gelenkrheumatismus 38 auskurieren wollte und nach geistiger Anregung verlangte, begleitete ihn Marées dorthin, wie er auch später noch seine Freundschaft bekundete.

Im nächsten Sommer kam Albert Schmitt nach Ischia mit. Die Kur hat damals dauernd geholfen. Es erwartete die beiden aber noch ein ganz besonderer Genuß. Geheimrat Dohrn, der Direktor des Deutschen Zoologischen Instituts, lud sie ein, mit seinem Boote die Ponzainseln zu besuchen, jene einsamen, aus Felskratern bestehenden Eilande, westlich vom Golf von Neapel und im Süden von Terracina, die auch heute wieder wie in spätrömischer Zeit zur Internierung von Sträflingen benützt werden. Böcklin fand da Motive, die in den „Ruinen am Meer“, den Tritonenbildern und wohl auch in den späteren Toteninseln verwertet wurden. Er fand da auch einen Schiffer, der erzählte, daß die Sirenen und Najaden wohl früher da gehaust, aber sich jetzt wegen des zunehmenden Verkehrs in entlegenere Gebiete zurückgezogen hätten. In Wirklichkeit sind die Damen des engsten Bekanntenkreises und die Freunde Böcklins zwischen den Klippen von Ischia dem Maler zu Najaden, Tritonen und Seekentauren Modell geschwommen. In San Terenzo im Golf von Spezia aber fand er auch einen echten, wenn auch damals schon emeritierten Seeräuber, der einst wie die Sarazenen seiner eigenen Bilder auf Frauenraub ausgegangen war, jetzt aber ihn friedlich auf den blauen Wogen um die Kastelle im Golf von Spezia herumfuhr, in denen man unschwer die Vorbilder zu überfallenen Burgen und zu Ruinen am Meer erkennen kann.

Fast der ganze Kreis von Schülern und Freunden aber half im Juli 1882 und nochmals im Juli 1883 die gewaltigen Flugzeuge aus Bambusstäben und Leinwand erbauen, die nach langjährigen Studien die Ideen des Malers über Vogelflug und Menschenflug in die Tat umsetzen sollten. Das erstemal war auch Hans von Marées dabei, und damals kampierte man wochenlang im Freien auf einer Anhöhe hinter Vigliano im Westen von Florenz, wo die Probefahrten gemacht werden sollten. Die Flugzeuge sind beidemal freilich unmittelbar vor dem entscheidenden Aufstieg durch das unvorhergesehene Walten des Windes zertrümmert worden und Böcklin versuchte es von Stund an mit technisch geschulten Kräften auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin. Aber die Versuche waren eine an ergötzlichen Zwischenfällen besonders reiche Episode in dem an tollen Ereignissen ohnehin schon reichen Leben dieser Männergesellschaft.

Die finanziellen Verhältnisse haben sich in diesen Jahren für immer gebessert. Freilich müssen um Weihnachten 1875 noch einmal die letzten Mittel der Familie auf die Neige gegangen sein. In einem Briefe an einen Basler Freund vom Dezember findet sich die Hoffnung ausgesprochen, „auch diese schwere Zeit zu überstehen“. Einmal hat Svertschkoff ausgeholfen, indem er den Entwurf zu einem Glasgemälde bestellte, das er binnen wenigen Tagen zu brauchen vorgab, eine Arbeit, die dann gleich bar bezahlt wurde. Ein andermal soll ihm ein Bankier unerwarteterweise ausgeholfen haben. Einige Monate später aber, Frühjahr 1876, lehnt Böcklin einen zweiten Ruf nach Weimar ab, im Sommer kauft Basel den „Kentaurenkampf“, und wenigstens die Sorge um das tägliche Brot scheint nun von seiner Schwelle gewichen zu sein. Schack hat allerdings schon 1874 sein letztes Bild, „Triton und Nereide“ (Taf. 46) von Böcklin erworben, aber es stellten sich jetzt eine Anzahl anderer deutscher Privatleute und die Museen von Berlin und Breslau ein. Im September 1877 gab die Nationalgalerie 39 die „Gefilde der Seligen“ in Auftrag, nachdem schon seit 1875 Verhandlungen über den Ankauf eines großen Werkes vorangegangen waren. Schon Jordan hatte volles Verständnis für Böcklin, so sehr er später gerade wegen seines Verhaltens gegen unsern Künstler geschmäht worden ist. In dieser Zeit hat ferner ein Berliner Händler in der Hoffnung auf die große Zukunft des Künstlers begonnen, fast dessen ganze Produktion aufzukaufen und den Vertrieb im großen zu übernehmen. Dezember 1878 berichtet Hans von Marées, daß Böcklin gute Geschäfte gemacht habe. Es folgte 1880 der Ankauf eines Tafelbildes (Heiligtum des Herakles) und die Bestellung für die Fresken des Treppenhauses von Seiten des Breslauer Museums. Ein recht freundschaftliches Verhältnis hat aber mit Frau Grunelius, die ihren Aufenthalt zwischen Rom und Baden-Baden teilte, mit Frau von Guaita in Frankfurt und deren Freundin, Frau Berna, späteren Gräfin Oriola, bestanden. Endlich hat 1879 Alexander Günther, der auch aus Frankfurt stammte, und lange Zeit in Fasano am Gardasee gewohnt hat, eine größere Zahl von Gemälden und wie es scheint, fast den ganzen Vorrat der im Atelier vorhandenen, aus drei Jahrzehnten stammenden Studien und Entwürfe erworben. Ein Teil der Zeichnungen ist durch Stiftung des Freiherrn von Heyl in die Darmstädter Galerie gelangt. Die Besserung der Verhältnisse erlaubte die regelmäßigen Sommeraufenthalte am Meere und die Erbauung der Flugzeuge. Der Künstler empfand auch das Verhalten des Berliner Kunsthändlers vorerst noch als Erleichterung. Aber er arbeitete, wenn Krankheit oder die Glut des Hochsommers ihn nicht hinderten, jahraus jahrein und Tag für Tag immer im Gefühl, ökonomisch zurück zu sein; die Familie war zahlreich, die Söhne wuchsen heran. Der Händler berechnete den Jahresverbrauch und richtete danach seine Zahlungen ein, in der Meinung, man dürfe den Künstler nicht zu Atem kommen lassen. Unter solchen Umständen verließen die Werke dieser Jahre, die Böcklin unsterblich machen sollten, das Atelier.

Es zeigt die unerschöpfliche Kraft und die Echtheit des Künstlertums, daß Böcklin trotzdem vorwärtsgeschritten ist und Ungewohntes schuf, das Bedenken erregte, statt das Anerkannte und Bewunderte in gefälligen Variationen zu wiederholen.

Die größere künstlerische Erfahrung und die andere Grundstimmung der höheren Jahre verlangten freilich einen neuen Stil und die andere Umgebung gab diesem noch ihr besonderes Gepräge. Der Charakter der florentinischen Landschaft, der neapolitanischen Küste, die er jetzt mit Vorliebe aufsuchte und die Kunst, die er in Florenz vorfand, dies alles hat seine Spuren hinterlassen. Nach Bayersdorfers Zeugnis hat ihn der „Frühling“ von Botticelli lange beschäftigt und man sieht auch die Nachwirkung dieser Studien in der „Poesie und Malerei“ (Taf. 67), wo die Figuren wie dort hell vor dunklem Laube stehn. Vor allem aber wendet Böcklin sich jetzt dem Studium der Kunst und der Technik der alten Oberdeutschen und besonders der Niederländer des 15. und 16. Jahrhunderts zu, die ja in Florenz recht gut vertreten sind. Die Hauptsache war, er hatte anderes zu sagen, seine Ausdrucksfähigkeit hatte die Reife erlangt. Jetzt erst recht isoliert sich sein Stil und es gehen Landschaftsbilder aus seinem Geiste hervor, die ohnegleichen dastehen im ganzen Verlauf der Geschichte.

Die Stimmung ist die eines ungebrochenen, zur Melancholie geneigten, aber kraftvollen und reifen Mannes. Die Freude wird lauter, an Stelle der Sehnsucht tritt die Resignation. An Stelle der Villen am Meer mit der trauernden Frau, die in der 40 Hoffnung auf die Wiederkehr des Geliebten sich verzehrt, treten die Ruinen am Meer und die Toteninseln, und Sehnsucht wie Hoffnung macht dem Sichbescheiden mit dem Lose alles Irdischen Platz.

VILLA AM MEER

1877, STUTTGART

Es steigert sich zugleich die Ausdrucksfähigkeit der Farbe, was in den achtziger Jahren besonders aufgefallen ist, es steigert sich die Ausdrucksfähigkeit von Linie und Form und es steigert sich die Tiefenwirkung. Böcklin erzielt die Steigerung zunächst durch die Vereinfachung. Auf recht vieles, was noch die Gemälde der Schackgalerie bis in alle Einzelheiten so reizvoll macht, wird jetzt verzichtet. Wo er eine „Geschichte“ darstellen will, ringt er, wie schon aus seinen Briefen ersichtlich ist, danach, das Psychologische auf den ersten Blick deutlich zu machen. Hat er früher noch zu raten gegeben, vielleicht absichtlich mit jenen Vorstellungen gerechnet, die der Beschauer weiterspinnt, so beschränkt er sich jetzt bewußt auf das, was sichtbar vorgestellt, in einem großdekorativ angelegten Gemälde enthalten sein kann. Die Erzählung wird aber nicht nur mit dramatischer Deutlichkeit vorgeführt. Böcklin liebt es, sie auf wenige Figuren zu reduzieren. Das klassische Beispiel ist die Gestalt des „Abenteurers“, die am einsamen Strande wie ein Reiterstandbild in die blaue Luft ragt und vom kühnsten Wagemut erzählt (Taf. 62).

Er kommt wie etwa die Meister der attischen Grabreliefs zu dem Grundsatze, einen künstlerischen Gedanken auf wenige Elemente zu reduzieren, diese Elemente, 41 seien es nun menschliche Gestalten, Felsen oder Bäume, so zu vereinfachen, daß sich die Silhouetten in wenigen ausdrucksvollen Linien vom Hintergrunde abheben, dafür aber das wenige um so liebevoller durchzuführen und um so sorgfältiger gegeneinander abzuwägen. Er gratuliert ganz begeistert Hans von Marées 1879 zu den „Lebensaltern“, weil er alles, was nicht zum Zweck führe, beiseite geschoben habe. Wenige Figuren, wenige im einzelnen fein differenzierte Farbentöne, Farbenkontraste, wenige scharf ausgesprochene, oft horizontale und vertikale, Linien beherrschen allmählich die Bildfläche allein und geben schon für den ersten Anblick die Gesamtwirkung. Die Farbe wird im schroffsten Gegensatz zur Kunst jener Tage, wo das „graue Freilicht“ in Deutschland aufkam, vereinfacht. Während der Impressionismus starken Kontrasten nicht hold ist und die Tendenz hat, die Zwischenstufen ins Unendliche zu bereichern, bevorzugt Böcklin die stärksten Gegensätze von Hell und Dunkel, von leuchtenden, fast ungebrochenen Farben. Die Zwischenstufen werden eher weniger zahlreich. Die Intervalle werden größer. Dagegen pflegt er dann wieder die einzelnen Töne, die das Bild bestimmen, sei es das Dunkel einer fast schwarzen Felswand oder wieder das lichte Blau einer Luft oder das Gelb einer hellen Mauer, durch feinste Nuancierungen zu vergeistigen und lebendig zu machen.

VILLA AM MEER

1878-80, DARMSTADT

Steigert er durch das alles den Ausdruck, die Stimmung, so steigert er damit auch wieder die Tiefenwirkung. Die Gestalten, die durch ihre Silhouetten eine so 42 deutliche Sprache reden, die feierlichen Akkorde der Farben, die den Beschauer ergreifen und gefangennehmen, dienen zugleich dazu, den Raum zurückzuschieben, wenn auch Böcklins Farbenperspektiven jetzt ebensowenig wie seine Tritonen und Najaden der Natur entsprechen. Was früher nebeneinander ausgebreitet war, ist jetzt hintereinander geschoben. Von den zerfallenen Mauern seiner „Ruinen am Meer“ sieht man jetzt gegen die Tiefe zu auf die herankommenden Wogen herab, während das Auge bei den Villen am Meer noch von links an den Zeugnissen verwelkender Pracht vorbei nach rechts zum Meereshorizont hinübergeführt wird. Die Komposition wird dramatisch, wie die Stimmung tragischer wird.

Die Entwürfe auf Papier, die der Malerei auf der Bildtafel vorausgehen, macht Böcklin statt mit der Feder oder Kreide jetzt plötzlich und fast ausnahmslos mit Tusch und mit breiten Pinselstrichen, die die Lichtführung des geplanten Werkes wiedergeben. Zur Ausführung verwendet er aber seit München nur noch Firnisfarben oder Tempera. Die neuen technischen Verfahren kamen einmal seinem Bedürfnis nach transparenter Leuchtkraft der Farben entgegen. Aber Tempera ist auch dünnflüssig, fast wie die Tusche, die er jetzt in den Entwürfen verwendete, und so erlaubte sie auch die von Böcklin erstrebte Durchführung in alle Einzelheiten. Denn wenn die großen Kontraste von Hell und Dunkel und von intensiven Farben einmal feststanden, wollte er die einzelnen Töne fast wie zeichnend bis in alle Eigenarten der Form von Baum und Fels und alle Abstufungen der Ferne ausarbeiten können. Sein Ideal wäre es gewesen, alle Kraft und Liebe auf ein einziges Meisterwerk zu verwenden und seine Freude war jetzt statt der Leinwand die glatte, weißgrundierte Holztafel. Der Händler wußte, daß der Schöpfer der Versuchung nur sehr schwer widerstehen konnte, eine solche Tafel nicht zum Bilde umzugestalten, wenn sie von kundiger Hand gefügt und gut grundiert ihm frei ins Haus geliefert wurde und suchte dies zu seinem Vorteil auszunützen.

Die frühesten Werke der Florentiner Zeit unterscheiden sich oft sehr von den farbenfrohen Gemälden der vorausgegangenen Jahre und fallen auf durch ein, wenn auch eindrucksvolles, so doch tief gestimmtes Kolorit. Die Schatten sind dunkler geworden, das leuchtende Rot verschwindet fast ganz, Braunrot, Braun, Gelb und Grün und ein lichtes Blaugrau sind die Farben, die oft den Eindruck bestimmen. Das Rot wird nur spärlich und fast nur in gebrochenen Tönen verwendet. Allem Anschein nach sind mehrere Werke außerdem noch wegen eines Malmittels, das Böcklin damals verwendete und später wieder aufgab, nachgedunkelt. Um 1880 tritt die Vorliebe für ein leuchtendes Ultramarin auf und auch die feurigen Töne treten etwas mehr und öfter in ihr altes Recht.

In den ersten Monaten des Aufenthaltes hat zunächst das Bild der Schackgalerie „Triton und Nereide“ eine großartigere Umgestaltung in größerem Formate in dem ähnlichen Gemälde der Nationalgalerie in Berlin erhalten (Taf. 45 und 46). Das spätere Bild, schon auffallend herb im Kolorit, ist eine der größten und vollendetsten Schöpfungen des ganzen Lebens geblieben. Deutlicher tritt das Neue, das sich anbahnt, in einem kleineren Werke, der herrlichen Einzelfigur der „Klio“ hervor (Taf. 49). Im folgenden Jahre wurde ein anderer, schon in München behandelter Vorwurf, die Klage um den Leichnam Christi, noch einmal aufgenommen und in der figurenreichen „Kreuzabnahme“ 43 ins Größere und Gewaltigere gesteigert (Taf. 51). Jetzt erhält auch ein noch älteres Motiv die entscheidende Umgestaltung. Die Villen und Burgen auf den Vorgebirgen der ligurischen Felsküste, dicht an den brandenden Fluten des Meeres, ausgestattet mit allen Herrlichkeiten der südlichen Vegetation und Kultur, aber einst beständig bedroht von den Barbaren Afrikas, das war einer der stärksten Eindrücke, die der Romantiker und der Binnenländer in seiner Jugend erhalten hatte, als er nach dem Süden kam, vielleicht der stärkste seines ganzen Lebens. Diesen Eindruck hat er in immer neuen Variationen behandelt. Jetzt gibt er der „Villa am Meer“, wie wir sie bei Schack in zwei Variationen sehen, zunächst in zwei neuen Fassungen (in Stuttgart und Zürich) eine leichte, aber in charakteristischer Weise veränderte Gestalt, die Villa wird dann in einem dritten Bilde zur Ruine einer Villa, der Ausblick kommt auf die linke Seite des Bildes und man sieht den Meereshorizont über der Terrasse zwischen den Säulen des Hauses. An diese Schöpfung sollten sich dann seit 1880 die bekannteren Ruinen von Burgen am Meer schließen (Taf. 15, 16, Textabbildungen S. 40, 41 u. 43, Taf. 68).

RUINE AM MEER

1880, MÜNCHEN, BEI DEFREGGER

Es entsteht 1878 das Hauptwerk „Gefilde der Seligen“ (Taf. 53), das einst wegen der scharf ausgesprochenen Vertikalen (bei den Hälsen der Schwäne) Widerspruch gefunden hat, und im folgenden Jahre die „Meeresbrandung“ (Taf. 55) und der 44 „Frühlingsabend“ (Taf. 56). Zu dem Bilde der Nationalgalerie ist die Skizze von 1877, zu den anderen sind Vorstufen erhalten, die ebenfalls kurz vorher entstanden sein müssen. Auch hier wie bei der Neugestaltung weit zurückliegender Schöpfungen erweist es sich, daß die bewegteren Silhouetten der ersten Fassungen, auch wenn sie uns natürlicher erschienen wären, beim Weiterschreiten der Arbeit und beim Ausreifen des Werkes stets vereinfacht wurden. Die Kontraste werden verstärkt und die ganze Komposition erscheint zum Schlusse straffer zusammengezogen.

In klassischer Form ist das Neue aber in den „Toteninseln“ ausgesprochen, die dem folgenden Jahre ihre Entstehung verdanken. Den Gedanken mag Böcklin schon längere Zeit mit sich herumgetragen haben, ausgelöst wurde die schöpferische Tat durch eine Bestellung. Frau Berna, die spätere Gräfin Oriola, kam im April des Jahres 1880 auf einer Reise nach Rom in Böcklins Atelier, um ein Bild zu bestellen. Dieser dachte zuerst an etwas Heiteres, einen Kinderreigen. Frau Berna wollte aber eine Landschaft, „etwas zum Träumen“.

Böcklin ging dann an den ganz anders gearteten Stoff, offenbar nicht ohne daß dabei die Teilnahme an dem Schicksale der Bestellerin mitgespielt hätte. Sie hatte, noch sehr jung, nach kurzer glücklicher Ehe einen jungen Gemahl plötzlich verloren. Im Gemälde ist die Gattin dargestellt, die den geliebten Mann zur letzten Ruhe führt. Als Frau Berna im Mai von Rom zurückkam, standen die zwei frühsten Fassungen im Atelier. Die erste hatte Böcklin zurückgestellt und er malte an der zweiten und bemerkte dabei, hier habe sie etwas zum Träumen, es müsse so still wirken, daß man erschrecke, wenn man anklopfe. Es fehlte noch der Kahn und etwas Kraft in den Tönen. Das Gemälde für Frau Berna ist Ende Juni an die Bestellerin abgeschickt worden. Böcklin ging darauf sofort nach Ischia, und damals fand dann der an fruchtbaren Eindrücken so reiche Ausflug nach den Ponzainseln statt. Dieser zweite Aufenthalt in Ischia fand aber ein jähes Ende. Bei der Rückkehr von einer kleinen Fahrt stand der Depeschenbote am Ufer, der die Nachricht von der tödlichen Krankheit von Böcklins Vater brachte. Als der Künstler wieder nach Florenz zurückgekehrt war, vollendete er nun auch die erste Fassung, die sich jetzt in Basel befindet. Das Motiv der Toteninseln stammt, wie der Sohn Carlo Böcklin überzeugend nachgewiesen und Böcklin selbst gelegentlich gestanden haben soll, von Ischia. In der ersten Fassung ist die Ähnlichkeit mit der der Stadt Ischia vorgelagerten Felseninsel, die das Kastell Alfonsos V. trägt, auch nicht zu verkennen; nur sind die gewaltigen Unterbauten des mittelalterlichen Kastells zu Mauern von wenigen Metern Höhe geworden. Es hat also der Aufenthalt von 1879 mit Marées hier seine Früchte getragen. Die eigentümliche Beleuchtung, die den beiden ersten Fassungen gemein ist und von den späteren Wiederholungen scharf absticht, ist dieselbe wie in der „Grablegung“ von 1876. Es ist nach Sonnenuntergang. Der Widerschein des westlichen Himmels erhellt noch die weißen Mauern und hellen Felsen, während die tieferen Lokaltöne und der Osthimmel hinter der Insel längst im Dunkel versunken sind—ähnlich wie das beim Alpenglühen der Fall ist. Bei der „Toteninsel“ ist schon der Vorwurf aus dem neuen Stilgefühl geboren und das gibt der Schöpfung ihre ungeheure Wucht. Die stark ausgeprägten Vertikalen und Horizontalen wirken durch die Symmetrie des Aufbaues noch besonders wuchtig. „Das Symmetrische ist entweder langweilig oder feierlich“, sagte Böcklin einmal dem 45 Verfasser. Es wirkt hier feierlich und ist mächtig unterstützt durch den Vierklang der Farbentöne, die das Bild beherrschen. Ein neuer Weg ist hier in der Landschaftsmalerei beschritten. Die Leistungen des 17. und 19. Jahrhunderts bieten kaum Analogien zu den Stimmungen, die hier angeschlagen, den Wirkungen, die erreicht sind. Die erhabene Feierlichkeit, die diese Schöpfung auszeichnet, ist selten in der modernen Kunst. Der moderne Mensch genießt sie am ehesten noch in ägyptischen Tempeln und gotischen Kathedralen und etwa noch in Gartenanlagen der Barockzeit.

Böcklins Florentiner Stil hätte das Höchste aber wohl erst in großem Maßstabe hergegeben. Es klingt deshalb wie ein Hohn auf jegliche staatliche Kunstpflege, daß von dem kunstverständigen Direktor Berg am Breslauer Museum gerade im Jahre 1880 der Versuch gemacht worden ist, den Meister für eine monumentale Arbeit, die Ausmalung des Treppenhauses, zu gewinnen, und daß dieser Versuch mißraten ist. Im Frühjahr 1881 arbeitet Böcklin an den Entwürfen für die eine Wand; er wurde selber warm dabei, hoffte auch auf eine entscheidende Wendung in seinen äußeren Verhältnissen. Herbst 1882 hatte er, wie es scheint, noch die Absicht, sich den Einwänden der Landeskunstkommission, die beigezogen werden mußte, zu fügen, dann aber ließ er jede Anfrage in dieser Sache unbeantwortet. Er fürchtete offenbar, daß seine künstlerische Phantasie unter neuen Einwänden und Konzessionen schließlich erlahmen und daß ihm ein weiterer Briefwechsel die Stimmung auch zu anderer Arbeit rauben werde. Er zog das Staffeleibild von nun an für immer vor, nicht weil es ihm besser lag, sondern weil die Kritik hier in der Regel erst nach der Vollendung einsetzte.

Nachdem eine Lösung wie die der „Toteninsel“ gefunden war, gingen in rascher Folge vier Jahre lang wenigstens von Staffeleibildern eine ganze Reihe, großer wie kleiner, mit den auffallenden Merkmalen dieser klassischen Zeit aus der Werkstatt hervor. Im Herbst 1880 entstanden, angeregt durch die Argonautenfahrt des Sommers, noch die erste „Ruine am Meer“ (die Vorstufe von Taf. 68) und die „Tritonenfamilie“ (Taf. 57). Wie öfters bei Böcklin, löste dann auch die „Toteninsel“ ein Bild aus, das in der allgemeinen Anlage verwandt, dessen Stimmung aber im vollen Gegensatz zu diesem Werke steht. Es ist das der „Sommertag“, das Bild des hellsten Tageslichtes und der wärmsten Sonnenglut, August 1881 entstanden (Taf. 61). Ein Seitenstück zur „Toteninsel“ ganz anderer Art bildet der „Heilige Hain“, dessen erste Fassung (Tafel 65) im Frühjahr 1882 vollendet wurde. Hier ist noch einmal mit symmetrischer Komposition eine ähnlich feierliche Wirkung erzielt. Gleichzeitig schuf er für den Kamin eines Festsaales in einem Breslauer Privathause das monumentale Zweifigurenbild „Dichtung und Malerei“ (Taf. 67). In mehreren Gemälden desselben Jahres stellt er eine einzelne monumental aufgefaßte Figur vor blaue Luft mit tiefem Horizont, so im „Abenteurer“ (Taf. 62) und in den hier nicht abgebildeten Werken „Drama“ und „Musa semne“; 1883 wurde das „Spiel der Wellen“ und „Odysseus und Kalypso“ vollendet (Taf. 70 u. 72) und der „Frühlingstag“ (Taf. 71) geschaffen, neben „Toteninsel“ und „Heiligem Hain“ die markanteste Landschaft dieser Stilepoche. Es reizte ihn aber nicht bloß das Einfache und Große, sondern gelegentlich auch das Gigantische. Dem verdanken wir wohl den „Prometheus“, den man zwischen den Wolken über das ganze Kaukasusgebirge ausgestreckt liegen sieht. (Erste Fassung von 1882, Tafel 69.) Ein Bildgedanke, der für diese Zeit charakteristisch ist und dreimal in rascher Folge eine immer schlagendere 46 Gestalt erhält, ist endlich das Heiligtum eines Gottes am Meeresstrand. Die reifste Lösung ist Frühjahr 1884 entstanden und als „Heiligtum des Herakles, zweite Fassung“, auf Tafel 73 abgebildet. Das früheste Bild der Reihe geht unter anderem Namen und muß um 1878 entstanden sein.

DIE HOFFNUNG

1880

47 Mit dem Frühjahr 1884 scheint aber das Interesse für die Probleme, die ihn all diese Jahre in Atem gehalten haben, erschöpft. Es folgen noch einige Wiederholungen größerer Hauptwerke dieser Zeit, aber es wendet sich der Meister noch in Florenz entschieden anderen, meist liebenswürdigeren Stoffen zu. Solche Bilder sind zwar auch bisher neben den gewaltigeren einhergegangen, so die „Flora, Blumen weckend“, die „Flora, Blumen streuend“ und die drei Gemälde, die unter dem Namen der Hochzeitsreise bekannt sind (Taf. 48 u. 52, 50 u. 54), aber jetzt wird alles weicher, das Kolorit zarter und eine Reihe wesentlich anders gestimmter Gemälde wie der „Eremit“ (Taf. 75), „Gottvater zeigt dem Adam das Paradies“ und andere, die erst später vollendet wurden, standen in den letzten Florentiner Monaten im Atelier.

Die Werke der Florentiner Zeit haben im Norden einen solch leidenschaftlichen Widerspruch gefunden, wie die keiner andern Epoche seines Lebens. Der Menge der Gebildeten waren sie zu wenig akademisch, im Grunde wohl zu wenig philiströs; Werke wie die „Gefilde der Seligen“ oder schon „Triton und Nereide“ waren nicht mißzuverstehen, da begriff jeder, daß der Urheber anders dachte, da fühlte jeder den allem Philiströsen feindlichen Grundzug einer fremden Lebensauffassung heraus. Es haben sich aber auch Männer von Böcklin abgewandt, die seine früheren Schöpfungen begeistert aufgenommen hatten und denen nur das Letzte und Reifste allzustark war und es wurden selbst solche Bilder damals als gesucht empfunden, in denen man seine stärksten Taten anerkennen muß.

Daneben entstand ihm noch ein ernster zu nehmender Feind in einer neuen von Frankreich eindringenden, in sich geschlossenen Kunstrichtung. Im Jahre 1879 haben die französischen Pleinairisten den durchschlagenden Erfolg bei der heranwachsenden Künstlerschaft errungen und der Anfang der achtziger Jahre, als Böcklin den „Odysseus“, den „Abenteurer“ und den „Prometheus“ schuf, war die Zeit des grauen Freilichts. Bewundernd stand man vor den Sonnenflecken in Liebermanns Garten des Altmännerhauses, während Böcklin, der in seinem „Pan im Schilf“ einst Ähnliches geleistet hatte, den Impressionismus als einen überwundenen Standpunkt ansah und erkannte, daß er seine letzten Ziele nur auf anderem Wege erreichen konnte.

Aber der Bruch mit der akademischen Malerei, der sich in den achtziger Jahren vollzog, hatte doch das Gute, daß einer jeden Kraft, die auf sich selber stand und ihre eigenen Wege ging, größere Achtung als vordem gezollt wurde; das Gefühl für Persönlichkeiten nahm auch im weiteren Publikum überhand; auf Feuerbachs Grab wurden Kränze gelegt, Thoma und Marées wurden entdeckt und langsam aber stetig drang in den Jahren von 1878—1892 etwa auch Böcklins Richtung durch. Ein Kreis von jüngeren Künstlern, die im Impressionismus aufgewachsen waren wie Max Klinger, sah in ihm den Bahnbrecher einer besseren Zeit.

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