14.

Was wollen die Weisen, die die Tugend über den Menschen stellen? fragt Zarathustra. Sie sagen: die Ruhe der Seele kann nur haben, wer seine Pflicht gethan hat, wer dem heiligen „du sollst“ gefolgt ist. Tugendhaft soll der Mensch sein, damit er nach gethaner Pflicht träumen könne von erfüllten Idealen und keine Gewissensbisse fühle. Ein Mensch mit Gewissensbissen gleicht, sagen die Tugendhaften, einem Schlafenden, dem böse Träume die Nachtruhe stören.

„Wenige wissen das, aber man muß alle Tugenden haben, um gut zu schlafen. Werde ich falsch Zeugnis reden? Werde ich ehebrechen?

„Werde ich mich gelüsten lassen meines Nächsten Magd? Das alles vertrüge sich schlecht mit gutem Schlafe ...

„Friede mit Gott und dem Nachbar, so will es der gute Schlaf. Und Friede auch noch mit des Nachbars Teufel! Sonst geht er bei dir des Nachts um.“

Nicht was sein Trieb ihn heißt, thut der Tugendhafte, sondern was Seelenruhe bewirkt. Er lebt, um in Ruhe über das Leben träumen zu können. Noch lieber ist es ihm, wenn den Schlaf, den er Seelenruhe nennt, gar kein Traum stört. Das heißt: dem Tugendhaften ist es am liebsten, wenn er irgendwoher die Regeln seines Handelns erhält und im übrigen seine Ruhe genießen kann. „Seine Weisheit heißt: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, hätte das Leben keinen Sinn, und müßte ich Unsinn wählen, so wäre auch mir dies der wählenswürdigste Unsinn,“ spricht Zarathustra.

Auch für Zarathustra gab es eine Zeit, da er glaubte, ein außerhalb der Welt wohnender Geist, ein Gott, habe die Welt geschaffen. Einen unzufriedenen, leidenden Gott dachte sich Zarathustra. Um sich eine Befriedigung zu verschaffen, um von seinem Leiden loszukommen, habe Gott die Welt erschaffen, meinte einst Zarathustra. Aber er hat einsehen gelernt, daß es ein Wahnbild war, das er sich selbst geschaffen hatte. „Ach, ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschenwerk und -Wahnsinn gleich allen Göttern!“ Zarathustra hat seine Sinne gebrauchen und die Welt betrachten gelernt. Und zufrieden wurde er mit der Welt; nicht mehr schweiften seine Gedanken ins Jenseits. Blind war er ehemals und konnte die Welt nicht sehen, deshalb suchte er sein Heil außerhalb der Welt. Aber Zarathustra hat sehen gelernt und erkennen, daß die Welt in sich selbst ihren Sinn habe.

„Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die Menschen: nicht mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, sondern frei ihn zu tragen, meinen Erdenkopf, der der Erde Sinn schafft.“

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