V Rîul Doamnei1

Unweit dem2lieblichen Gebirgsstädtchen Câmpa Lungo3windet sich ein frischer, klarer Bach dahin, der Rîul Doamnei, „der Bach der Fürstin“ genannt. Dieser Bach führt Gold in seinem Bette, zuweilen Stücke halb so groß wie ein Fingernagel, und es war vor Zeiten Sitte, daß dieses Gold allemal der Fürstin gehörte. Und warum es ihr gehörte, das ging so zu:

In dem Rumänenlande war eine große Hungersnot, eine Hungersnot, wie man seit Menschengedenken nichts ähnliches gesehen. Zuerst waren die Heuschrecken gekommen, in solchen Schwärmen, daß sie die Sonne verdunkelten, und wo sie sich niederließen, da war das schönste Ährenfeld in einigen Minuten kahl wie eine Tenne, die Bäume ohne ein einziges Blatt starrten mit ihren nackten Ästen in den Sommer hinein, dessen ewig blauer Himmel die Hitze immer4größer werden ließ, so daß bei Nacht keine Erfrischung mehr in der Luft war. Sobald alles ringsum abgefressen war, erhob sich die Wolke von Heuschrecken, um sich schnell wieder auf das nächste Grün zu senken. Und so ging es1unaufhaltsam fort, und damals war man noch nicht so klug wie heute, wo man die großen Strecken mit Petroleum begießt und das alles dann in Brand steckt. Kanonen gab es auch2noch nicht, mit denen man, wenn sie fliegen, darunter schießen und sie so auseinandersprengen kann.

Nach den Heuschrecken waren die Polen von Norden her eingefallen, die Ungarn von Westen und die Türken von Süden, und so wurden die Häuser verbrannt und das Vieh geraubt. Jetzt hatten alle diese Feinde das Land verlassen, hatten aber Fieber und Seuchen unter Menschen und Tieren zurückgelassen. Mit schwarzen Lippen und Wunden am3Körper gingen die Menschen umher. Das Vieh verreckte in Massen auf den dürren Feldern, wo es keinen Halm mehr gab. Nur die Hunde und Raben hatten gute Tage. Die Luft zitterte vor Hitze, und auf weite Strecken verbreitete sich ein entsetzlicher Geruch, der wie ein Pesthauch die Menschen niederwarf, so daß sie in wenigen Stunden starben. Man4hörte keine Klagen mehr, denn dumpfe Verzweiflung hatte alles zum Schweigen gebracht. Es5läutete keine Glocke mehr, es gab weder Sonn-6noch Feiertag; auch keine Arbeit, denn man hatte keine Ochsen zum Pflügen und kein Korn zum Säen. Wie Gespenster schlichen die Menschen umher. Kaum fanden sich7noch Leute, die Toten zu verscharren. Viele blieben, samt dem Vieh, auf dem Felde liegen.

Die schöne Fürstin Irina8fühlte ihr Herz vor Mitleid brechen. Sie hatte alle ihre Juwelen hergegeben für die Armen; sie hatte mit ihrem letzten Gelde Vieh gekauft für die Bauern; das war aber gleich der Seuche erlegen. Sie hatte die Hungernden gespeist, bis sie selbst kaum mehr genug hatte für ihre vier kleinen Kinder. Verzweiflungsvoll stand sie am Fenster, rang die Hände und betete: „Lieber Gott!1Hast Du mich denn ganz verlassen? Willst Du unser armes Land ganz vernichten? Haben wir denn so viel gesündigt, daß wir solche2Heimsuchung ertragen müssen?“ — Da kam ein leises, kühles Wehen herein, mit einem so süßen Duft, wie von dem schönsten Blumengarten, und eine silberne Stimme sagte: „Aus einem Flusse wird Dir Hilfe erwachsen. Suche nur!“3

Da ging sie zum Fürsten, ihrem Gemahl, und zu ihren Kindern, nahm Abschied und sagte, sie werde bald wiederkommen. Sie wisse, wo zu suchen, um alle von der Qual zu erlösen. Sie that4so heiter und so sicher, daß alle Vertrauen und Hoffnung gewannen; denn sie verschwieg ihnen,5daß sie nicht einmal6wußte, was sie suchen solle.

Sie begann eine mühselige Wanderung in der heißen Sommerglut, den Flüssen nach.7Manchmal fand sie noch ein mageres Pferdchen, das sie eine Strecke weit trug, dann aber unter ihrer leichten Last tot zusammenbrach. Sie ging am Olto8hinauf, am Gin, am Buzlu, am Sereth, an allen großen und kleinen Flüssen. Spärlich wanden sich diese durchs Gestein, und die sonst so mächtigen Wasser flüsterten kaum noch dahin, wo sie sonst rauschten und brausten.

„Lieber Gott!“ betete die Fürstin. „Laß doch1eine kleine Wolke erscheinen, wenn ich den Fluß gefunden, der mir helfen soll!“ Aber es kam keine Wolke. Sie wanderte zum zweiten Mal den Argesch2hinauf und wollte3eben traurig umkehren, als sie die Mündung eines kleinen Baches gewahrte, auf die sie vorher nicht geachtet. Zögernd lenkte sie ihre Schritte dahin, mit immer4schwererem Herzen, je kleiner und unbedeutender der Bach ihr erschien.

Von den Steinen,5auf denen sie ging, ermattet, blieb sie einen Augenblick stehen und seufzte: „Ich finde nichts, gar nichts! Und vielleicht verhungern und sterben unterdes meine Kinder! Vielleicht war mein Gedanke thöricht, ein Hirngespinst, eine Lüge!“ Wie6sie so sprach, war7es ihr, als fiele ein Schatten über sie. Sie dachte, es seien die Thränen, die ihre großen, müden Augen zum ersten Male füllten. Sie wischte sie fort; nein es war ein Schatten in der baumlosen Heide, und wie sie die Augen erhob, hatte sich die Sonne hinter eine ganz kleinen Wolke versteckt, die langsam größer wurde.

Irina begann zu zittern vor freudigem Schreck. Hatte Gott sie gehört, oder war es wieder ein Irrtum? „Lieber Gott!“ betete sie, „wenn dies der Fluß ist, so laß die Wolke größer werden und Regen fallen; denn schon der Regen ist Segen und hilft aus vieler Not!“ Sie ging immer ein wenig weiter; ja, die Wolke wurde größer; sie ging schneller, ja, sie lief, bis sie vor Schwäche nicht mehr konnte;1da begannen einige große schwere Tropfen zu fallen. Sie sog sie2mit den Lippen auf, mit den Augen, mit Händen und Haaren.

Da rauschte und rieselte es3ganz leise um sie her, und mit einem Mal brach ein wahrer Wolkenbruch los. Sie ging, so gut sie konnte, im nassen Lehm, im Flußbett, bis der Fluß zu schwellen begann und in braunen, schaumigen Massen angerauscht4kam, wie ein breiter Fluß. Sie mußte manchmal stehen bleiben und ihren Pfad suchen, ging aber immer fort aus Furcht, der Regen möchte wieder aufhören. Es regnete den5ganzen Tag und die ganze Nacht. Die Fürstin war so naß, daß es6wie ein Bach aus ihren Kleidern floß. Sie wand sie7aus, schürzte sie und ging weiter noch einen Tag und noch eine Nacht. Sie war schon im Gebirge und fiel oft hin vor Erschöpfung. Endlich blieb sie am Ufer liegen und schlief ein, während der Regen auf sie niederströmte und das Wasser immer höher schwoll, als8wollte es nach ihr greifen und sie fortschwemmen.

Von Frost geschüttelt wachte sie auf. Da stand in der Morgenluft die leuchtende Sonne so frisch, als hätte sie selber ein Bad genommen und siehe, der Bach war nicht mehr braun, sondern klar und blau wie die Luft, und im Grunde desselben blinkte und glitzerte es9wie lauter Sonnenstrahlen. Irina schürzte ihr Gewand und watete hinein. Sie mußte sehen, was10so wunderbaren Glanz hatte. Und siehe, es war lauter Gold! Im Wasser fiel sie auf die Kniee und dankte Gott laut und inbrünstig. Gold! Gold! Nun konnte sie helfen. Sie ging behutsam im Wasser weiter und sammelte die Körnchen und die kleinen Stücke und füllte ihren Mantel damit, bis sie die Last kaum mehr tragen konnte. Nun aber schnell nach Hause mit ihrem Schatz, den sie vor ihren Gemahl ausschüttete! Die Kinder lebten noch, wenn auch1in großer Schwäche und Erschöpfung, und erkannten sie fast nicht, so war sie abgemagert und sonnverbrannt. Aber Boten gingen nun in die Länder und kauften Korn und Mais, Samen und Vieh, und der Fluß wurde nicht müde, zu spenden, bis der Not ein Ende war und lachendes Grün und fette Weide wieder die rumänischen Gefilde deckte. Das dankbare Volk aber nannte den Bach „Rîul Doamnei“ und niemand sollte das Gold darin anrühren dürfen als Eigentum, als nur die Fürstin des Landes. Die späteren Fürstinnen müssen es aber wohl2weniger gut angewendet haben, denn der Fluß ist sparsamer geworden, und daß Gold, daß hier und da ein Bauer darin findet, wird im Museum aufgehoben.

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