IV Der Tschachlau

In der Moldau1steht ein mächtiger Berg, fast so hoch wie der Bucegi;2der heißt der Tschachlau; er erscheint sogar höher als der Bucegi, weil er ohne Vorberge gerade aus dem Thal emporsteigt und seinen schneegekrönten Gipfel leuchten läßt, als ein Wahrzeichen rumänischen Heldentums.

An einem Morgen, sehr frühe, stieg ein berühmter alter Bärenjäger mit leichten Schritten den Berg empor.

Mosch3Gloantza war weit und breit wegen seiner kühnen Jagden bekannt; er ging4sogar in die Höhle des Bären, mit einem brennenden Wachslicht am Ende des Büchsenlaufs und schoß den Baren tot. Ein guter Erzähler war er auch, Mosch Gloantza, der gern den jungen Leuten die Zeit vertrieb und von ihnen wohl gelitten war.

Jetzt kam er in einen dichten Nebel, den er aber bald durchschritten hatte, und über demselben schien die aufgehende Sonne auf eine enge Felsplatte und auf das lieblichste Bild, das sie nur5bescheinen konnte: eine Schar junger Mädchen war dort um ein Muttergottesbild1versammelt, das sie eifrig mit Kränzen und Blumen schmückten, während sie durch die weißen, wogenden Nebel von der ganzen Welt abgeschnitten waren.

Als Mosch Gloantza die Felsplatte erreichte, zuckte ein Blitz zu seinen Füßen und dröhnte ein Donner, wie Erdbeben, von unten herauf.

„Ah! Mosch Gloantza!“ scholl es2von allen Seiten. „Willkommen hier oben! Wir bringen der Mutter Gottes Blumen, weil sie hier immer Wolken hat, und siehe, nun hat sie schon den Segen gesandt! Jetzt erzähle uns was,3erzähle!“ —

Der alte Mann schob die Pelzmütze zurück und die buschigen Augenbrauen in die Höhe:

„Was soll ich denn erzählen?“

„Von alten, alten Zeiten!“ riefen die Mädchen, zogen ihn auf ein Felsstück nieder und sammelten sich um ihn, die einen setzten sich ihm zu Füßen, die andern blieben vor ihm stehen, noch andere erschienen lachend auf den Felsen über ihm und legten sich dorthin, um besser zu hören. Er aber hub an:

„Wißt ihr denn, wer den Tschachlau gemacht hat?“

„Nein“ — „Ja! o gewiß!“ scholl es ringsum; „der liebe Gott4natürlich!“

„Fehlgeschossen!“5rief der Alte, „der liebe Gott hat die Sonne gemacht und die andern Berge und die Flüsse, aber den Tschachlau, den6haben die Rumänen gemacht.“

„Die Rumänen?“ riefen die Mädchen, wie aus einem Munde.

„Vor langen, langen Jahren, es1weiß kein Mensch, wie lange, da war hier ein großer Krieg. Die Feinde, die zum Dniestr2heranrückten, waren gar nicht wie Menschen, sondern wie wilde Tiere. Sie waren klein und krumm3und hatten flache Gesichter, so gelb wie Zitronen, und ihre Augen waren so klein, daß man sie gar nicht sah. Sie waren mit ihren Pferden zusammengewachsen4und jagten dahin, wie die Heuschrecken mit dem Ostwind. Wo5sie hinkamen, da war alles im Umsehen verzehrt und blieb nichts zurück als der nackte Boden. Die Kunde von ihnen hatte das Land mit Schrecken erfüllt, doch waren die Rumänen entschlossen, ihren Boden bis aufs äußerste zu verteidigen. Sie verbündeten sich mit einem andern Volke, das war von heller Haut, blauäugig6und hoch gewachsen, mit langem, gelbem Haar, von dem einige mit dem Messer in Holzstäbe7schreiben konnten, und vereint zogen sie an den Dniestr, die Schwärme von grausamen Heuschrecken nicht herüberzulassen. Der Kampf war lang und heiß, und das Wasser des Dniestr war rot von Blut und schwer von Leichen, aber die Leute ohne Augen ließen sich durch nichts erschrecken. Und wie viele man ihrer auch8tötete, es kamen mehr und mehr, immer drei für einen, der gefallen war. Sie hatten vergiftete Pfeile, die den9sichern Tod gaben, und wenn sie in nächster Nähe einen10 abgeschossen, so jagten sie davon, um mit Lanzen wieder vorzustürmen. Die Leichen im Dniestr bildeten endlich eine Brücke, über welche die kleinen Pferde herüberkamen, und die Rumänen mußten sich hinter den andern Fluß, den Pruth,1zurückziehen, um sich dort von neuem zu verteidigen. Die Schlacht dauerte acht Tage; blutrot ging die Sonne auf, und blutrot ging sie unter, und blutrot waren Fluß und Feld. Endlich sprach der Fürst2der gelbhaarigen Leute: „Wir müssen weichen, aber wo finden wir ein Bollwerk gegen diese Drachen?“

„Wir haben noch ein schönes Land!“ riefen die Rumänen, und zeigten den Weg. Da rief ihr weiser Fürst:

„Hört mich an, Ihr Mannen!3Ein jeder von Euch nehme4eine Hand voll Erde und werfe sie vor sich!“

Sie thaten, wie ihnen geheißen war, und da ihrer so viele waren, hatten sie bald einen großen Berg gebaut, den sie5Tschachlau, die Gelbhaarigen aber Kaukland nannten.

Noch bevor die furchtbaren Feinde herangestürmt waren, ragte der Berg in die Wolken, und die Heere lagerten auf demselben in unerreichbarer Höhe. Hier waren sie die stärkeren und schlugen jeden Angriff aus ihrer Höhe ab. Die Drachen unten gedachten aber, sie auszuhungern und umzingelten den Berg, so daß keiner mehr herunter konnte.6Bald wurden der Lebensmittel wenige, und aus hohlen Augen sahen die Heere auf die feindliche Flut im Thale, die sich auf ihren Äckern und Weiden sättigte, nachdem sie alle Weiber und Kinder, die sich nicht hatten flüchten können, getötet, und alle Wohnungen in Brand gesteckt hatten.

Das schlimmste war der Durst. Da der Berg noch unbewaldet war, so konnte es1auch keine Quellen geben, und jeder Krug Wasser, der aus dem Thal geholt wurde, kostete einem oder mehreren das Leben. In dieser großen Not gingen die Fürsten schon zu Rate, ob sie nicht einen Ausfall machen wollten und kämpfend zu Grunde gehen.

Da trat ein Hirte vor sie hin, jung und schön, mit langen schwarzen Locken und Augen, schwarz wie Kohlen, der sprach: „Ich habe Tag und Nacht gesonnen, den Drachen da unten den Untergang zu bereiten; denn sie haben vor meinen Augen meiner geliebten Maid die Brust durchstochen, sie so an einen Baumstamm genagelt, den2ihren Pferden an die Schweife gebunden und sie fortgeschleift, daß eine blutige Straße den Weg bezeichnete, auf dem sie von dannen gejagt, bis von der wundervollen Maid nichts mehr da war, als eine lange Haarsträhne, die sich fest um den Baum geschlungen. Ich weiß, wie ich meinen Rachedurst befriedigen kann, wenn ich auch3selber dabei den jämmerlichsten Tod erleiden muß. Ich habe den ganzen Berg umgangen, den wir gebaut, und fand eine Stelle, die man loslösen und hinabwälzen kann. Ich will sie Euch zeigen; wenn Ihr tief genug gegraben, so gehe ich hinab und sage den Drachen dort unten, ich wolle ihnen den Weg zeigen, wie sie den Berg stürmen können, und wenn ich den Bucium4hören lasse, so wälzt den Berg auf sie herunter, aber nicht eher, damit ihrer1genug beisammen sind, und Ihr über Geröll und Leichen entkommen könnt!“

„Wie heißt Du denn, Du Tapferer?“ sprachen die Fürste.

„Ich heiße Bujor.“

„Weißt Du denn, Bujor, was Dich erwartet, wenn sie Dich als Betrüger erkennen?“

„Ich weiß es,“ sprach der junge Mann mit gerunzelten Brauen, „ich sah, wie sie die Unschuld behandeln, was werden sie den Schuldigen thun!“

„Und Du fürchtest Dich nicht?“

„Wovor soll ich mich denn noch fürchten, da mir das Leben leid ist, ohne meine Maid, die ich habe sterben sehen! Mich kann der Tod nicht schrecken!“ —

Sie gruben nun Tag und Nacht eine tiefe Rinne in den Berg, sie trugen so viele Steine zusammen, als sie nur2finden konnten, was alles keine leichte Arbeit war, da sie von Durst ermattet waren. Aber endlich war die Erde genug gelockert, um beim ersten Anprall hinabzustürzen, und Bujor nahm von ihnen Abschied, machte das Zeichen des Kreuzes3und stieg zu Thal.

Er sagte den Wachen, er wolle mit dem Fürsten sprechen, er sei dem Verhungern nahe und wolle viele vom Tode retten.

Als er vor dem Gefürchteten stand, schlug dem jungen Manne doch das Herz; denn der Fürst sah ganz entsetzlich aus. Ihr müßt Euch vorstellen, was Ihr Euch nur4von Grausamkeit und Bosheit denken könnt, und dann ist das alles noch lammfromm gegen1des Drachenfürsten Gesicht.

Er grinste und leckte sich die Lippen, als ihm Bujor erzählte, er wolle ihm eine Stelle zeigen, die ganz unbewacht sei, und an der er leicht den Berg erstürmen könne.

„Wenn Du mich aber irre führst,“ sprach der Fürst, „so wirst Du so sterben, daß der Tod Dir als süßes Labsal erscheinen wird.“

„So geschehe2mir,“ sprach Bujor ernst und bat um einen Trunk Wasser.

Die Nacht brach dunkel und sternlos herein, da rückten die Feinde zum Tschachlau heran, in schweigsamen Scharen; die Hufe der Pferde hatten sie mit Heu umwickelt, damit sie keinen Lärm machen konnten. Bujor ging zwischen zwei Reitern, die aus ihren Augenschlitzen ihn unverwandt anschielten. Er ging sehr langsam, damit möglichst viele dicht am Berge seien, bevor er das Zeichen gab; er wußte die Stelle genau, wo der Bucium versteckt war, und mit klopfendem Herzen ging er voran: Wenn es ihm nicht gelang, sein Horn an die Lippen zu setzen, ohne daß3die Drachen es merkten, was dann? —

Er sah ihre schwarzen Scharen sich dichter und dichter um ihn drängen; jetzt begannen sie zu steigen, und hier lag der Bucium.

Bujor nahm ihn fest in die Hand, sah sich noch einmal unter den Feinden um, machte das Kreuz und blies aus aller Kraft. In dem Augenblick wurden ihm sämtliche Zähne eingeschlagen und eine Schlinge um seinen Hals gezogen. Ehe er aber das Bewußtsein verlor, sah er den Berg sich bewegen und hörte ein Dröhnen, als wenn der Erdenschoß sich aufthäte, dann ein Angstgeheul ringsum, und dann lag er begraben, inmitten von tausenden von Feinden. Die Rumänen aber stürmten zu Thal, über Schutt und Erde und Leichen von Menschen und Pferden fort; es ward ein solches Gemetzel, daß man noch Jahre nachher nichts als Schädel und Gliedmaßen fand, wie Maiskörner geschichtet. Die Feinde wichen zurück, und die Rumänen bahnten sich1den Weg in die Berge, wo sie geborgen waren; die Drachen gaben es endlich auf, sie zu verfolgen, und jagten in andere Länder davon, sie2zu verheeren.

Bujor war aber nicht tot; ein Stein hatte ihn gedeckt, anstatt3ihn zu zerschmettern, so daß die nachstürzende Erde leichter auf ihm geschichtet lag und ihm etwas Luft gewährte.

Nach mehreren Stunden kam er zu4sich und spürte die Schlinge an seinem Halse; als er sie losmachen wollte, fühlte er eine erkaltete, steife Hand, die sie hielt und die er nicht öffnen konnte. Er gedachte, sie mit den Zähnen zu zerbeißen, da merkte er, daß er keine Zähne mehr hatte, und wenn er sich zu viel bewegte, rollte die Erde herab und beengte mehr und mehr den Raum, in welchem er atmete. Da kroch er langsam an die tote Hand heran, lockerte die Schlinge und zog den Kopf heraus. Jetzt konnte er sich rühren. Mit großer Vorsicht begann er, wie ein Maulwurf, die Erde wegzukratzen, den Platz unter dem Stein schonend, daß er atmen konnte. Er mußte oft absetzen, denn immer, wenn er glaubte, Luft zu haben, stieß er auf einen Toten, den er nicht aus dem Wege räumen konnte.

Aber endlich, endlich ward eine Stelle hell, so weit wie die Dicke eines Fingers, dann wie eine Hand, und wie trunken sog er die Luft ein, die hereinströmte. Mit letzter Anstrengung arbeitete er sich frei. Als er den Tag sah, ward er ohnmächtig. Wie lange er so gelegen, wußte er nicht. Als er die Augen aufschlug, war es ringsum totenstill; Freund und Feind waren verschwunden, und was1unter dem Berge begraben lag, das stand nicht mehr auf, um zu erzählen, was geschehen sei. Bujor kam sich gar nicht vor wie ein großer Held, der er doch war, sondern wie ein armes, verlassenes Menschenkind, das gar kein Recht hatte, am Leben zu sein, da es2tot war, für Freund und Feind. Doch regten sich Hunger und Durst, und er schwankte auf matten Beinen zu Thal. Lieber wollte er von den Drachen gespießt und geschleift werden, als so elend Hungers3sterben, allein unter lauter Leichen. Aber kein Feind ließ4sich sehen, und Bujor konnte zum Fluß gelangen, seinen Durst zu stillen; dann sah er sich um, wo die Seinen hingekommen sein könnten. Auf5Tage im Umkreise gab6es keine Menschen dort; was7Beine hatte, war entflohen, und was nicht fliehen konnte, war getötet. Bujor wandte sich den Bergen zu; dort konnten die Heere sein, die wie1vom Erdboden verschwunden waren. Er schlug aber einen falschen Weg ein und kam weiter und weiter von ihnen ab. Sie waren schon wieder zu Thal gezogen, bevor er sie erreichte. Endlich war er das2Suchen müde und dachte: „Sie halten mich ja doch für tot, warum suche ich sie noch?“ stieg weiter in die Berge und ward wieder Schäfer, wie er es3 früher gewesen.

Wenn er dann abends4den Hirten seine Geschichte erzählte, so lachten sie über seine schöne Erfindung, denn bis zu ihnen war der Kriegslärm nicht gedrungen, sie hatten auch die Drachen nicht gesehen und Bujors eingeschlagene Zähne schrieben sie einem Streite zu. Sie sagten: „Bujor erzählt so oft seine Geschichte, daß er sie schon selber glaubt!“ —

„Der Arme!“ riefen die Mädchen, als Mosch Gloantza still war. „Was machte5er denn dann?“ — „Ist er immer dort geblieben?“ — „Wurde er nie belohnt, für seine Heldenthat?“ so schwirrten die Fragen der Mädchen durch einander.

Mosch Gloantza aber hatte seinen Tabak herausgenommen, seine Pfeife gestopft, rauchte behaglich und schüttelte nur den Kopf zu allen den Fragen. „Geht ihn suchen,“ sagte er endlich; „vielleicht hat ihm Gott zum Lohn ein langes, langes Leben geschenkt!“

„Dann ist er gar zu alt und unheimlich!“ riefen die Mädchen und tanzten eine Hora,6um Bujor zu vergessen.

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