Lines 3915-4199: The magnetic rock in the Curdled Sea.

3915

Die Helden weilten da nicht mehr,

Sie fuhren auf der wilden See

Mit fröhlichem Gemüte.

Jetzt meinten die guten Helden,

Es müsse ihnen wohl gehen.

3920

Da stieg nun ein Schiffsmann

Zu oberst auf den Mastbaum;

Die Meeresströmung trieb sie

Schnell nach jenem Hafen zu.

Und nun erschrak er sehr darüber,

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Als er den Berg erkannte;

Es ward ihm leid und bange.

Hinunter in das Schiff

Rief er also zu den Recken:

“Ihr Helden so schmuck,

3930

Nun wendet euch geschwind

Hin zu dem ewigen Wesen!

Es kostet uns das Leben,

Bleiben wir hier stecken.

Der Berg, den wir gesehen,

3935

Der liegt auf dem Lebermeer!1

Es sei denn, dass Gott uns rettet,

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Wir sterben hier allzusammen.

Wir fahren gegen den Stein zu,

Von dem ihr mich reden hörtet.

3940

Jetzt sollt ihr euch hinkehren

Zu Gott in wahrer Reue

Und aus dem Herzen tilgen,

Was ihr wider ihn getan.

Ich will euch, Helden, wissen lassen

3945

Von der Kraft des Felsen

Und von der Herrschaft,

Die er in seiner Art hat:

Treibt ein Schiff ihm entgegen

Innerhalb dreissig Meilen,

3950

So hat er in kurzer Zeit

Es an sich gezogen;

Das ist wahr und nicht erlogen.

Haben sie irgendwelches Eisen,

Das darf niemand weisen;

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Sie müssen gegen ihren Willen dran.

Wo ihr die Schiffe liegen seht,

Vor dem dunkeln Berge dort

Gleich an des Steines Kante,

Da müssen wir auch sterben

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Und vor Hunger verenden—

Es ist nicht abzuwenden,—

Wie alle anderen getan haben,

Die hierher segelten.

Nun bittet Gott, dass er

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Uns helfe und gnädig sei.

Wir sind nahe dem Felsen.”

Als der Herzog das vernahm,

Sprach der Fürst lobesam

Zu den Herren sonderlich:

3970

“Jetzt sollt ihr inniglich,

Meine lieben Notgesellen,

Zu unserm Herrn flehen,

Dass er uns gnädiglich

In sein Reich empfange

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Wir gehn an diesem Stein zugrunde.

Nun lobt ihn allzusammen

Mit Herzen und mit Zungen.

Es ist uns wohl gelungen,

Sterben wir auf dieser wilden See:

3980

Wir sind geborgen auf immerdar

Bei Gott in seinem Reich.

Nun freut euch allzugleich,

Dass wir ihm so nah gekommen.”

Als sie das vernahmen,

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Behielten sie es im Herzen.

Nun taten die guten Helden,

Wie der Fürst ihnen geraten:

Ordneten ihre Sachen schnell,

Gaben alles Gott anheim,

3990

Und beherzigten sein Gebot

Mit Beichte und mit Busse

Mit sehr grossem Eifer,

Wie man Gott gegenüber sollte.

Also machten sie sich bereit.

3995

Als die unglücklichen Männer

Ihre Gebete verrichteten

Und ihre Sachen ordneten,

Gab es ein jämmerlich Rufen,

Das sie zu Gott erhoben.

4000

Ihren Schöpfer sie baten,

Dass er ihre Seelen bewahre.

Jetzt waren die Helden gefahren

So nahe dem Felsen,

Dass sie deutlich sehen konnten

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Die Schiffe mit hohen Masten.

Der Fels zog die Helden

So geschwinde zu sich,

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Seine Kraft brachte das Schiff

So kräftiglich heran,

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Dass die andern Schiffe

Diesem entweichen mussten.

Es kam so gewaltsam

Dem Steine zugefahren,

Dass die Schiffe allesamt

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Auf einander stiessen.

Auch gaben die Mastbäume

Sich manchen harten Stoss.

Die Stösse waren so stark,

Dass manches Schiff zerbrach.

4020

So ward mancher Gast empfangen,

Der seitdem verendete

Und niemals wiederkehrte.

Es ist auch wirklich ein Wunder,

Dass diese nicht erschlagen wurden

4025

Durch die hohen Mastbäume,

Die, alt und morsch geworden,

Von andern Schiffen fielen

Auf ihr Schiff mit Gewalt.

Als diese herabstürzten,

4030

Konnte nichts mehr bestehn,

Was um das Schiff lag.

Dass das Schiff sich erhielt,

War ein grosses Wunder;

Es musste alles und jedes

4035

Fallen in das Meer.

Der Herzog und seine Männer

Mussten unerhörte Not leiden,

Da sie einen schrecklichen Tod

Öfters vor sich sahen.

4040

Doch kamen die kühnen Männer

Mit dem Leben davon;

Gottes Hilfe erschien ihnen.

Als das Schiff stehen blieb,

Taten sie, wie Leute noch tun,

4045

Die lange in einer Stätte gelegen

Und etwas Neues sehen mögen:

Die zieren Helden sprangen

Schnell aus dem Schiffe

Und gingen allesamt,

4050

Um das mannigfache Wunder

In den Schiffen zu besehen.

Sie standen dicht wie ein Wald

Um den Berg auf dem Meer.

Weder früher noch später

4055

Sah jemand so grossen Reichtum,

Als die mutigen Helden

In den Schiffen fanden,

So dass sie in langen Stunden

Ihn nicht überschauen konnten.

4060

Sie sahen den grössten Schatz,

Den jemand haben könnte.

Nie hat der weise Mann gelebt

Der ihn je in Acht nehmen

Oder vollauf beschreiben könnte.

4065

Silber, Gold und Edelsteine,

Purpur, Sammet, glänzende Seide,

Lag dort so mannigfaltig,

Dass niemand es beachten könnte.

Als sie das Wunder beschaut,

4070

Begannen sie weiter zu gehen.

Der Herzog und seine Männer

Stiegen auf den Felsen,

Ob sie irgendwo Land sähen.

Kein Auge konnte erspähen,

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Dass sie zu Lande kämen;

Das war den Recken leid.

Der Berg lag im weiten Meer;

Da mussten die Helden hilflos

Höchst jämmerlich ersterben

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Und am Hunger zugrunde gehen;

Den Recken war schwer zu Mute.

Da mussten die Helden

Vor dem Steine Angst erleiden.

Sie sagten allesamt,

4085

Sie würden es gütlich erdulden,

Da ihnen der mächtige Gott

Das harte Geschick verhängt,

Wie auch den andern allen,

Die vor ihnen gekommen waren

4090

Und das Leben verloren hatten.

Da sie die Not nicht meiden wollten,

Würden sie gerne den Tod

Um seine Huld erleiden,

Und würden die grosse Not

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Als Sündenbusse betrachten.

Der Herzog und seine Männer

Hatten Trost beim Kinde der Maid.

Nun schwebte das Gesinde

So lange Zeit auf dem Meer,

4100

Dass früher oder später im Leben

Sie nie solches Weh ertrugen,

Da es ihnen an Speise gebrach

Und an der guten Nahrung,

Die sie mitgebracht hatten

4105

Von dem Lande Grippia,

Woselbst die Weigande

Dieselbe tapfer erworben.

Am Hunger starben sie,

Die auf dem Schiffe waren,

4110

So dass keiner am Leben blieb

Von der ganzen Mannschaft

Ausser dem Herzog allein

Und sieben Mann mit ihm.

Die andern trug ein Greif fort,

4115

Wie sie nacheinander starben.

Die Lebenden handelten so:

Wen jeweilig der Tod nahm,

Den trugen die Helden lobesam

Bald aus dem Schiffsraume;

4120

Ihn legten die zieren Degen

Oben aufs Verdeck.

Das habt ihr nun öfters

Als Wahrheit sagen hören:

Die Greife kamen geflogen

4125

Und trugen sie ins Nest.

Auf diese Weise ward zuletzt

Dem Herzog und seinen Männern

Von den Greifen geholfen;

Also retteten sie sich.

4130

Die andern wurden zu Aase

Den Greifen und ihren Jungen.

Diesen war es schon gelungen,

Menschen in grosser Anzahl

Von dannen in ihre Neste

4135

Nach Gewohnheit zu tragen;

Davon die mutigen Helden,

Der Herzog und seine Mannen,

Wieder ans Land kamen.

Der Fürst litt Ungemach,

4140

Als er seine Gefährten sah

Vor Hunger verbleichen

Und so jämmerlich sterben,

Und er ihnen nicht helfen konnte.

Darum musst’ er manche Stunde

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Erleiden Jammersnot,

Indem sie der Tod

Vor seinen Augen hinwegnahm,

Bis der Recke lobesam

Nur sieben Mann übrig hatte.

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Auch diese behielten das Leben

Kaum vor Hungersnot:

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Sie hatten nur ein halbes Brot,

Das teilten die Helden unter sich.

Es war jämmerlich genug,

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Da sie nichts mehr hatten.

Da ergaben sie sich dem Herrn,

Mit Leib und Seele Gottes Händen;

Dann fielen die tapfern Helden

Zum Gebet nieder und baten

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Vor allem inniglich den Herrn,

Dass er ihnen gnädig sei

Und helfe aus der grossen Not;

Sie fürchteten sehr den Tod.

Als diese Unglücklichen

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Ihr Gebet verrichtet hatten,

Was später ihnen zu statten kam,

Sprach der Graf Wetzel also:

“Ich habe in diesen Stunden

Uns eine List erfunden,

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Wie sie nicht besser sein könnte.

Sollen wir je gerettet werden,

Muss es gewiss davon kommen,

Dass wir suchen und spähen

Und gar nicht aufhören.

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Bis wir in den Schiffen finden

Irgendwelche Art Häute;

Dann schlüpfen wir armen Leute

In unsre gute Rüstung.

Hat man uns dann eingenäht

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In die Häute,” sprach der Degen,

“So wollen wir uns legen

Oben auf das Schiffsverdeck.

So nehmen uns da die Greife

Und tragen uns von dannen.

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Sie können uns nichts anhaben,

Die Greife, wegen der Rüstung,

Die uns oft beschirmt hat;

Die mag uns noch einmal helfen.

Und haben wir uns versichert,

4190

Dass die alten auf Beute fort sind,

So schneiden wir uns aus

Und steigen zur Erde nieder.

Soll es aber anders werden,

Will es Gott, dass wir nicht entkommen,

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So mag es uns doch lieber sein,

Dass wir dort redlich tot liegen,

Als dass wir hier diese starke Not

So jämmerlich erleiden.”

1. The Liver Sea, called also das geronnene Meer, or the Curdled Sea; in Latin mare pigrum et concretum. For the literature of the curious saga see Bartsch, Herzog Ernst, Wien, 1869, p. cxlv.

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