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Als nun Ameis durch diesen Schlich
Gar vieles Gut erworben sich
Dort an dem Hof zu Karolingen,1
Ritt er hin nach Lotharingen
Und fragete da unverwandt,
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Bis er des Landes Herzog fand.
Dem meldete er eine Märe,
Dass nach dem Herrgott keiner wäre,
Der besser heilen könnt’ als er.
“So hat Euch Gott gesendet her,”
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Hat da das Wort der Herzog nommen;
“So bin ich froh, dass Ihr gekommen.
Ich hab’ Verwandt’ und Dienstleut’ hier,
Von deren Leiden Kummer mir
Ersteht; siech ist ein grosser Teil
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Verleiht Euch Gott ein solches Heil,
Dass Ihr sie machen könnt gesund,
Ihr werdet reich zur selb’gen Stund’.”
Ameis zu sprechen da begann:
“Ich bin ein Arzt, der solches kann.
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Die von dem Aussatz sind befreit
Und nicht durch Wunden haben Leid,
Die haben Krankheit nicht so schwer—
Und wären’s tausend oder mehr,—
Dass ich sie nicht gesunden macht’,
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Bevor der Tag entweicht der Nacht;
Geschieht dies nicht, nehmt mir das Leben.
Drum bitt’ ich Euch, mir nicht zu geben
Geschenke oder Lohn, bevor
Ihr nicht gehört mit eignem Ohr,
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Dass sie gesagt, sie sei’n gesund.
Dann tut mir Eure Gnade kund.”
Des freute sich der Herzog sehr:
“Ihr redet wohl,” erwidert’ er
Und rief die Kranken unverweilt.
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An zwanzig kamen da geeilt;
Die führt’ der Pfaff’ in ein Gemach.
“Bald hab’ ich,” er zu ihnen sprach
“Von eurer Krankheit euch befreit,
Wenn ihr mir schwöret einen Eid,
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Erst nach Verlauf von sieben Tagen
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Von meiner Red’ etwas zu sagen.
Nicht anders ich euch heilen kann.”
Als er mit solcher Red’ begann,
Da liessen sie sich bald besiegen.
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Sie schworen, dass sie es verschwiegen,
Und er zu ihnen nun begann:
“Nun gehet ohne mich hindann
Und wollt besprechen euch dabei,
Wer unter euch der kränkste sei.
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Ist er gefunden, tut’s mir kund—
Bald sollt ihr werden dann gesund.
Den kränksten will ich nämlich töten,
Um euch zu helfen aus den Nöten
Mit seinem Blute allsogleich.
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Mein Leben sei zum Pfande euch.”
Darob erschraken alle Siechen,
Und wer da kaum vermocht’ zu kriechen
Vor seiner Krankheit grimmer Not,
Der fürchtete, es sei sein Tod,
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Wenn seine Not gemerkt man hab’,
Und ging dahin gar ohne Stab,
Wo sie die Unterredung hatten.
Vernehmet jetzo, wie sie taten.
Es dachte da ein jeder Mann:
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“Wie klein ich auch behaupten kann,
Dass meiner Krankheit Leiden sei,
So redet einer doch dabei,
Das seine sei noch kleiner;
Dann redet wieder einer,
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Das seine sei zweimal so klein.
Dann sprechen alle insgemein,
Ich sei der allerkränkste hie.
So sterbe ich, geheilt sind sie.
Drum will ich mich behüten eh’r
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Und sagen, dass gesund ich wär’.”
So dachte er bei sich allein,
So dachten alle insgemein.
Und alle gaben zu verstehn,
Dass ihnen Gnade wär’ geschehn;
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Sie wären munter und gesund.
Das taten sie dem Meister kund.
Er sprach: “Ihr wollt betrügen mich.”
Da schwor ein jeder feierlich
Bei seiner Treu’, es wäre wahr,
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Nichts tät’ ihm weh, auch nicht ein Haar.
Da ward der Meister hoch erfreut.
“Geht hin nun,” sprach er, “liebe Leut’,
Und saget es dem Herzog an.”
Das wurde unverweilt getan:
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Sie gingen hin und sagten an,
Sobald sie ihren Herren sahn,
Es wär’ ein heil’ger Mann gekommen;
Der Krankheit wären sie benommen.
Darob zu staunen er begann
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Und fragte alle Mann für Mann,
Ob sie durch Lug ihn täuschten nicht.
Da zwang sie ihres Eides Pflicht,
Den sie Ameis, dem Pfaffen, taten,
Dass keine andre Red’ sie hatten,
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Als die: “sie wären ganz gesund.”
Da liess an Silber zu der Stund’
Dem Pfaffen hundert Mark er geben.
Und dieser kannt’ kein Widerstreben,
Liess ab sich schnell das Silber wägen
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Und forderte den Reisesegen;
Dann eilt’ hinweg er unverwandt.
1. Paris.