Weil noch auf Erden ging Christus
Unnd auch mit im wandert Petrus,
Eins tags auss eym dorff mit im gieng,
Bey einer wegscheid Petrus anfieng:
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O herre Got und maister mein,
Mich wundert sehr der güte dein,
Weil du doch Gott allmechtig bist,
Lest es doch gehn zu aller frist
In aller weit, gleich wie es geht,
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Wie Habacuck sagt, der prophet:
Frevel und gewalt geht für recht;
Der gotloss uberforthailt schlecht
Mit schalckeit den ghrechten und frummen,
1. Recht, ‘lawsuit.’
Auch könn kein recht1 zu end mehr kummen.
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Die lehr gehn durcheinander sehr,
Eben gleich wie die fisch im meer,
2. Verschlind = verschlingt.
Da immer eyner den ändern verschlind,2
Der böss den guten uberwind.
Des steht es ubel an allen enden,
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Inn obern und in niedern stenden
3. Des, for dem (allen).
4. Samb = als ob.
5. Glat = gar.
6. Als . . . undterstan = alles Übel unterdrücken.
7. Int = in die.
Des3 siehst du zu und schweygest still,
Samb4 kümmer dich die sach nit viel
Und geh dich eben glat5 nichts an.
Könst doch als ubel undterstan,6
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Nembst recht int7 hand die herrschafft dein.
O solt ich ein jar herrgott sein
Und solt den gwalt haben, wie du,
Ich wolt anderst schawen darzu,
Fürn viel ein besser regiment
8. Erdterich = Erdreich.
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Auff erdterich8 durch alle stend.
Ich wolt stewern mit meiner hand
Wucher, betrug, krieg, raub und brand.
Ich wolt anrichten ein rühigs leben.
Der Herr sprach: Petre, sag mir eben!
9. Baser, bass = besser.
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Mainst, du woltst ye baser9 regieren,
All ding auff erd bass ordinieren,
Die frummen schützen, die bösen plagen?
Sanct Peter thet hinwider sagen:
Ja, es müst in der welt bass9 stehn,
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Nit also durch einander gehn.
Ich wolt viel besser ordnung halten.
Der Herr sprach: Nun, so must verwalten,
Petre, die hohe herrschafft mein.
Heut den tag solt du herrgott sein.
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Schaff und gepeut als, was du wilt!
Sey hart, streng, gütig oder milt!
Gieb auss den fluch oder den segen!
Gieb schön wetter, wind oder regen!
Du magst straffen, oder belonen,
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Plagen, schützen oder verschonen.
Inn summa, mein ganz regiment
Sey heut den tag in deiner hend!
Darmit reichet der Herr sein stab
Petro, den inn sein hende gab.
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Petrus war dess gar wolgemut,
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10. Daucht sich (with gen.), ‘was proud of,’ ‘elated over.’
Daucht sich10 der herrligkeyt sehr gut.
Inn dem kam her ein armes weib,
Gantz dürr, mager und blaich von leib,
Parfuss inn eym zerrissen klaid.
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Die trieb ir gaiss hin auff die waid.
Da sie mit auf die wegschaid kam,
Sprach sie: Geh hin in Gottes nam!
Got bhüt und bschütz dich immerdar,
Das dir kein ubel widerfar
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Von wolffen oder ungewitter,
Wann ich kan warlich ye nicht mit dir!
11. Arbeyten = erarbeiten, ‘earn.’
12. Heint = heute nacht.
Ich muss gehn arbeyten11 das taglon.
Heint12 ich sunst nichts zu essen hon
Dahaym mit meinen kleynen kinden.
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Nun geh hin, wo du weyd thust finden!
Gott der bhüt dich mit seiner hend!
Mit dem die fraw widerumb wend
Ins dorff; so ging die gaiss ir strass.
13. Sagen was = sagend was, ‘was saying’, ‘said.’
Der Herr zu Petro sagen was13:
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Petre, hast das gebett der armen
Gehört? du must dich ir erbarmen.
Weil du den tag bist herrgott du,
So stehet dir auch billig zu,
Das du die gaiss nembst in dein hut,
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Wie sie von hertzen bitten thut,
Und behüt sie den ganzen tag,
14. Hag = Busch, Gehölz.
Das sie sich nit verirr im hag,14
Nit fall noch müg gestolen wern,
Noch sie zerreissen wolff noch bern,
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Das auff den abend widerumb
Die gaiss unbeschedigt haym kumb
Der armen frawen in ir hauss!
Geh hin und richt die sach wol auss!
Petrus namb nach des herren wort
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Die gaiss in sein hut an dem ort
Und trieb sie an die waid hindan.
Sich fing sanct Peters unrhu an.
Die gaiss war mutig, jung und frech,
15. Nech = Nähe.
Und bliebe gar nit in der nech,15
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Loff auff der wayde hin und wider,
Stieg ein berg auff, den andern nieder
16. Schloff, ‘strayed’ (from schliefen = schlüpfen).
17. Echtzen = ächzen.
18. Nachdrollen = nachtrollen.
Und schloff16 hin und her durch die stauden.
Petrus mit echtzen,17 blassn und schnauden
Must immer nachdrollen18 der gaiss,
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Und sehin die sunn gar uberhaiss.
Der schwaiss über sein leib abran.
Mit unruh verzert der alte man
Den tag biss auff den abend spat,
19. Hellig = müde.
Machtloss, hellig,19 gantz müd und mat
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Die gaiss widerumb haym hin bracht.
Der Herr sach Petrum an und lacht.
Sprach: Petre, wilt mein regiment
Noch lenger bhalten in deiner hend?
Petrus sprach: Lieber herre, nein,
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Nemb wider hin den stabe dein
Und dein gwalt! ich beger mit nichten
Fort hin dein ampt mehr ausszurichten.
20. Döcht = taugt.
Ich merck, das mein weissheit kaum döcht,20
Das ich ein gaiss regieren möcht
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Mit grosser angst, müh und arbeyt.
O Herr, vergieb mir mein thorheit!
Ich will fort der regierung dein,
Weil ich leb, nit mehr reden ein.
Der Herr sprach: Petre, das selb thu!
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So lebst du fort mit stiller rhu.
Und vertraw mir in meine hend
Das allmechtige regiment!