LX. BENJAMIN NEUKIRCH

A trenchant satirist and the father of German literary criticism (1665-1729). He was by birth a Silesian and in his early years an admirer of Hofmannswaldau and Lohenstein. Later he turned against them and against the whole tribe of insincere occasional rimesters, who were bringing the poetic art into contempt. His lyric poems are of small account, but his satires are vigorous and illuminative. The text follows Fulda’s edition in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 39.

Auf unverständige Poeten.

Lass doch, Lysander, ab, mit Reimen dich zu plagen

Und einer Bettelkunst halb rasend nachzujagen,

Die zwar die Phantasei durch süsse Träume rührt,

Dich aber auf den Weg der Hungerwiesen führt

5

Und endlich, wo du dich lässt ihre Grillen treiben,

Mit Meistersängern wird in eine Rolle schreiben.

Die eben ist das Gift, das wie die Missethat

Gleich mit der Muttermilch mir ins Geblüte trat.

Wie glücklich wär’ ich doch, wenn mich zu rechter Stunden

10

Ein kluger Arzt davon durch Kräutersaft entbunden

Und alles, was ich nur von Versen angeblickt,

Durch hebend Antimon hätt’ in die Luft geschickt;

So dürft’ ich nicht wie jetzt in Kummerwinckeln sitzen,

Und bei geborgter Lust von langen Sorgen schwitzen,

15

So hätt’ ich auch vielleicht den Wuchergriff erlernt,

Wie man durch Ränke sich von der Vernunft entfernt,

Den Trieb der Redlichkeit mit Silberzäumen lenket,

Den Geist der Gottesfurcht in klugen Schlaf versenket,

Ein reiches Lasterweib zu seinem Willen beugt,

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Durch höflichen Betrug auf Ehrenbänke steigt

Und endlich, wenn die Kraft der Jugend uns verlassen,

Bei voller Tafel kann von fremdem Gute prassen.

So hab’ ich manchen Tag und manche Nacht verreimt

Und oft ein grosses Lied von Zwergen hergeträumt,

287 25

Verliebten ihre Lust in Zucker zugemessen,

Betrüger reich gemacht, mich aber gar vergessen;

Und ob mich endlich gleich mit der verjährten Zeit

Ein kurzer Sonnenblick bei Hofe noch erfreut

Und Preussens Salomo,1 den ich mit Recht gepriesen,

30

Mir zu der Ehrenburg den Vorhof angewiesen,

Ward doch durch seinen Tod, der alles umgekehrt,

Mein Glück und auch zugleich mein ganzer Ruhm verzehrt

Nun lacht die Wucherschar bei ihren Judengriffen,

Dass ich der Tugend Lob auf Hoffnung hergepfiffen,

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Die Zungendrescherei den Musen nachgesetzt,

Und wahre Weisheit mehr als Geld und Gut geschätzt,

Und dass ich, da der Hof zum Laufen mich gezwungen,

Nicht noch zu rechter Zeit in Schulenstaub gesprungen,

Die matte Dürftigkeit in Mäntel eingehüllt,

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Mit leerer Wissenschaft die Jugend angefüllt,

Die Kinder gegen Lohn den Toten2 vorgetrieben

Und wöchentlich ein Lied für Thaler hingeschrieben.

Hiebei verbleibt es nicht. Die schwärmende Vernunft

Der von der Hungersucht bethörten Dichterzunft,

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Die sich durch falsche Kunst auf den Parnass geschlichen,

Von der gesetzten Bahn der Alten abgewichen,

Mit frecher Hurtigkeit gefüllte Bogen schmiert

Und alle Messen fast ein totes Werk gebiert,

Wird so verwegen schon, dass sie Gesetze stellet,

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Der Griechen Zärtlichkeit das Todesurteil fället,

Des Maro klugen Witz in Kinderklassen weist,

Horazens Dichterbuch verrauchte Grillen heisst,

Und alles, was sich nur nach alter Kraft beweget,

Auf lüsterndem3 Papier mit Tinte niederschläget.

55

Da nun das Wespenheer von Tag zu Tage wächst,

Und jeder Knabe schon nach Narrenwasser lechzt,

Was Wunder ist es denn, wenn Ruhm und Ehre stirbet,

Die Kunst zu Grabe geht, die Tugend gar verdirbet? . . .

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So viel als Reimer sind, so viel und mancherlei

60

Wirkt in der Poesie nun auch die Phantasei.

Ein halb mit Pickelscherz4 vermengtes Operettchen,

Ein stinkender Roman vom rasenden Chrysettchen,

Ein geiles Myrtenlied und ein nach dem Adon

Des üppigen Marin5 erbauter Venusthron,

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Der der Geliebten Schoss bis auf den Grund entdecket

Und Büsch’ und Brunnen draus und Vogelnester hecket,

Ein lügenvolles Lob, das uns ins Angesicht

Den lastervollen Ruf der Toten widerspricht,

Ein rohes Trauerspiel, in dem die Regeln fehlen,

70

Und so viel Schnitzer fast als Silben sind zu zählen,

Ein Brief,6 den Adam schon der Eva zugesandt,

Da beide dazumal doch keine Schrift gekannt,

Ein kreissendes Sonett, das mit dem Tode ringet

Und der Gedanken Rad so wie die Reime zwinget,

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Und ein nach Pöbelart gepriesner Buhlerblick

Ist oft bei dieser Zeit das grösste Meisterstück.

So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen,

Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen,

Der Reime dürren Leib mit Purpur ausgeschmückt

80

Und abgeborgte Kraft den Wörtern angeflickt,

So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben;

Allein sobald ich nur der Spure nachgegraben,

Auf der man zur Vernunft beschämt zurücke kreucht

Und endlich nach und nach nur den Parnass erreicht,

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So ist es aus mit mir, so kommt von seinem Suschen

Ein mit Ebräerwitz gespicktes Philomuschen,7

Klaubt ihm ein Jugendwort in meinen Schriften aus

Und untergräbt damit mein ganzes Ehrenhaus.

Was soll ich Ärmster thun? Soll ich noch einmal rasen

90

Und durch mein Haberrohr zum Federsturme blasen?

Nein, nein, Lysander, nein! Ich will zurücke stehn

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Und der erlauchten Schar nur aus den Augen gehn,

Sonst wirft der Schwindelgeist der klugen Weisianer8

Mich endlich auf die Bank der reimenden Quintaner

95

Und jagt mich, ob ich gleich halb notenmässig bin,

Ins re, mi, fa, sol, la der Hübneristen9 hin,

Die sich doch ohnedem an Odermusen10 reiben,

Sudetenzungen10 nur zu Mamelucken schreiben

Und alles, was durch Kunst der Pleisse11 nicht geschehn,

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Für Eigenliebe kaum mit halben Augen sehn.

Zwar weich’ ich darum nicht, als ob ich, wenn es brennte,12

Nicht auch ein Jammerlied im Tanze drechseln könnte,

Und ob der Trippeltakt der leichten Reimerei

In Dedekindens13 Schoss allein zu Hause sei.

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Mir ist ja wohl bekannt, wie man den Schädel seifen

Und solche Spötter kann mit Lauge wiedertäufen,

Wie mancher ohne Bart in Phöbus’ Auen springt,

Und wie ein kollernd Pferd sich auf den Pindus schwingt;

Allein ich hab’ einmal die Thorheit aufgegeben.

110

Es reime, wer da will; ich will in Friede leben.

1. Friedrich I, who died in 1713.

2. Den Toten, i.e. den alten (Schriftstellern)

3. Lüsterndem, ‘wanton,’ ‘lubricious.’

4. Pickelscherz (Pickelhäringscherz), ‘clownish jokes.’

5. The Italian poet Marino, known for his sensuality and affectation, was in high favor with the later Silesians.

6. Brief, in allusion to the sensual Heldenbriefe of Hofmannswaldau.

7. Philomuschen, ‘poetaster’ (lover of the Muses).

8. Weisianer, partisans of the dull and trivial schoolmaster-poet, Christian Weise.

9. Hübneristen, mechanical rimesters; Hübner was the author of a dictionary of rimes.

10. Odermusen; ‘muses of the Oder’ and ‘tongues of the Sudeti’ are both names for the later Silesian poets.

11. Kunst der Pleisse, Leipzig’s art.

12. Wenn es brennte = wenn es drauf ankäme.

13. Dedekindens; C. C. Dedekind was a facile but vacuous rimester.

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