LXI. JOHANN CHRISTIAN GÜNTHER

A gifted lyric poet whose life was short and full of trouble (1695-1723). In an age of poetic artificiality and pretense his verse is generally simple, sincere, and passionate. His work is mainly a record of suffering, the note of joy being relatively infrequent. He is a forerunner of those modern poets of whom one may say with Goethe’s Tasso: Mir gab ein Gott zu sagen, wie ich leide. The text follows Fulda’s edition in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 38.

1 Studentenlied.

Brüder, lasst uns lustig sein,

Weil der Frühling währet

Und der Jugend Sonnenschein

Unser Laub verkläret;

5

Grab und Bahre warten nicht;

Wer die Rosen jetzo bricht,

Dem ist der Kranz bescheret.

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Unsers Lebens schnelle Flucht

Leidet keinen Zügel,

10

Und des Schicksals Eifersucht

Macht ihr stetig Flügel;

Zeit und Jahre fliehn davon,

Und vielleichte schnitzt man schon

An unsers Grabes Riegel.

15

Wo sind diese, sagt es mir,

Die vor wenig Jahren

Eben also, gleich wie wir,

Jung und fröhlich waren?

Ihre Leiber deckt der Sand,

20

Sie sind in ein ander Land

Aus dieser Welt gefahren.

Wer nach unsern Vätern forscht,

Mag den Kirchhof fragen;

Ihr Gebein, so längst vermorscht,

25

Wird ihm Antwort sagen.

Kann uns doch der Himmel bald,

Eh die Morgenglocke schallt,

In unsre Gräber tragen.

Unterdessen seid vergnügt,

30

Lasst den Himmel walten,

Trinkt, bis euch das Bier besiegt,

Nach Manier der Alten.

Fort! Mir wässert schon das Maul,

Und, ihr andern, seid nicht faul,

35

Die Mode zu erhalten.

Dieses Gläschen bring’ ich dir,

Dass die Liebste lebe

Und der Nachwelt bald von dir

Einen Abriss gebe!

40

Setzt ihr andern gleichfalls an,

Und wenn dieses ist gethan,

So lebt der edle Rebe.

2 An Leonoren. Als er sich mit ihr wieder zu versöhnen suchte.

Kluge Schönheit, nimm die Busse

Eines armen Sünders an,

Welcher dir mit einem Kusse

Gestern Abends weh gethan,

5

Und auf deinen Rosenwangen

Einen schönen Raub begangen.

Ich gesteh’ es, mein Verbrechen

Ist der schärfsten Strafe wert,

Und du magst ein Urteil sprechen,

10

Wie dein Wille nur begehrt;

Dennoch würd’ ich zu den Füssen

Deiner Gnade danken müssen.

Aber weil ihr Himmelskinder

Eurem Vater ähnlich seid,

15

Welcher auch die gröbsten Sünder

Seines Eifers oft befreit,

Ach, so werden meine Zähren

Deinen Zorn in Liebe kehren.

Gönne mir nur dieses Glücke,

20

Bald mit dir versöhnt zu sein,

Bis nach manchem kalten Blicke

Deiner Augen Sonnenschein

Mir und meiner Hoffnung lache

Und mich endlich kühner mache.

291

3 Die verworfene Liebe.

Ich habe genug!

Lust, Flammen und Küsse

Sind giftig und süsse

Und machen nicht klug;

5

Komm, selige Freiheit, und dämpfe den Brand,

Der meinem Gemüte die Weisheit entwandt.

Was hab’ ich gethan!

Jetzt seh’ ich die Triebe

Der thörichten Liebe

10

Vernünftiger an;

Ich breche die Fessel, ich löse mein Herz

Und hasse mit Vorsatz den zärtlichen Schmerz.

Was quält mich vor Reu’?

Was stört mir vor Kummer

15

Den nächtlichen Schlummer?

Die Zeit ist vorbei.

O köstliches Kleinod, o teurer Verlust!

O hätt’ ich die Falschheit nur eher gewusst!

Geh, Schönheit, und fleuch!

20

Die artigsten Blicke

Sind schmerzliche Stricke.

Ich merke den Streich,

Es lodern die Briefe, der Ring bricht entzwei

Und zeigt meiner Schönen: Nun leb’ ich recht frei.

25

Nun leb’ ich recht frei

Und schwöre von Herzen,

Dass Küssen und Scherzen

Ein Narrenspiel sei;

Denn wer sich verliebet, der ist wohl nicht klug;

30

Geh, falsche Sirene, ich habe genug!

4 An Leonoren. Als er sie einer beständigen Liebe versicherte.

Treuer Sinn,

Wirf den falschen Kummer hin.

Lass den Zweifel der Gedanken

Nicht mit meiner Liebe zanken,

5

Da ich längst dein Opfer bin.

Glück und Zeit

Hasset die Beständigkeit;

Doch das Feuer, so ich fühle,

Hat die Ewigkeit zum Ziele

10

Und verblendet selbst den Neid.

Meine Glut

Leidet keinen Wankelmut;

Eher soll die Sonn’ erfrieren,

Als die Falschheit mich verführen,

15

Eher löscht mein eigen Blut.

Grab und Stein

Adeln selbst mein Redlichsein.

Bricht mir gleich der Tod das Herze,

So behält die Liebeskerze

20

In der Asche doch den Schein.

5 An Leonoren.

Gedenk an mich und meine Liebe,

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Du mit Gewalt entrissnes Kind,

Und glaube, dass die reinen Triebe

Dir jetzt und allzeit dienstbar sind,

5

Und dass ich ewig auf der Erde

Sonst nichts als dich verehren werde.

Gedenk an mich in allem Leiden

Und tröste dich mit meiner Treu!

Die Luft mag jetzt empfindlich schneiden,

10

Die Wetter gehn doch all vorbei,

Und nach dem ungeheuren Knallen

Wird auch ein fruchtbar Regen fallen.

Gedenk an mich in deinem Glücke,

Und wenn es dir nach Wunsche geht,

15

So setze nie den Freund zurücke,

Der bloss um dich in Sorgen steht!

Auch mir kann bei dem besten Leben

Nichts mehr als du Entzückung geben.

Gedenk an mich in deinem Sterben;

20

Der Himmel halte dies noch auf;

Doch sollen wir uns nicht erwerben,

Und zürnt der Sterne böser Lauf,

So soll mir auch das Sterbekissen

Die Hinfahrt durch dein Bild versüssen.

25

Gedenk an mich und meine Thränen,

Die dir so oft das Herz gerührt

Und die dich durch mein kräftig Sehnen

Zum ersten auf die Bahn geführt,

Wo Kuss und Liebe treuer Herzen

30

Des Lebens Ungemach verschmerzen.

Gedenk auch, endlich an die Stunde,

Die mir das Herz vor Wehmut brach,

Als ich, wie du, mit schwachem Munde

Die letzten Abschiedsworte sprach;

35

Gedenk an mich und meine Plagen!

Mehr will und kann ich jetzt nicht sagen.

6 An seine Leonore.

Bist du denn noch Leonore,

Der so manch verliebter Schwur

(Sinne nach, bei welchem Thore!)

Unter Kuss und Schmerz entfuhr,

5

Ach, so nimm die stummen Lieder

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Eben noch mit dieser Hand,

Die mir ehmals Herz und Glieder

Mit der stärksten Reizung band.

Durch dein sehnliches Entbehren

10

Werd’ ich vor den Jahren grau,

Und der Zufluss meiner Zähren

Mehrt schon lange Reif und Tau;

Meine Schwachheit, mein Verbleichen

Und die Brust, so stündlich lechzt,

15

Wird des Kummers Siegeszeichen,

Der aus unsrer Trennung wächst.

Lust und Mut und Geist zum Dichten,

Feuer, Jugend, Ruhm und Fleiss

Suchen mit Gewalt zu flüchten

20

Und verlieren ihren Preis,

Weil der Zunder deiner Küsse

Meinen Trieb nicht mehr erweckt

Und die Führung harter Schlüsse

Ein betrübtes Ziel gesteckt.

25

Alle Bilder meiner Sinnen

Sind mir Ekel und Verdruss,

Da sie nichts als Gram gewinnen,

Weil ich dich noch suchen muss.

Nichts ergetzt mich mehr auf Erden

30

Als das Weinen in der Nacht,

Wenn es unter viel Beschwerden

Dein Gedächtnis munter macht.

Jedes Blatt von deinen Händen

Ist ein Blatt voll Klag’ und Weh,

35

Und ich kann es niemals wenden,

Dass kein Stich ans Herze geh’;

Die Versichrung leerer Zeilen

Giebt den Leibern wenig Kraft,

Welche Luft und Ort zerteilen.

40

O bedrängte Leidenschaft!

7 Die seufzende Geduld.

Morgen wird es besser werden,

Also seufzt mein schwacher Geist,

Den die Menge der Beschwerden

Über allen Abgrund reisst.

5

Aber ach, wenn bricht der Morgen

Und das Licht der Hoffnung an,

Da ich die so langen Sorgen

Nach und nach vergessen kann?

Sklaven auf den Ruderbänken

10

Wechseln doch mit Müh’ und Ruh’,

Dies mein unaufhörlich Kränken

Lässt mir keinen Schlummer zu.

Niemand klagt mein schweres Leiden,

Dies vergrössert Last und Pein.

15

Himmel, lass mich doch verscheiden,

Oder gieb mir Sonnenschein!

Will ich mich doch gerne fassen,

Wenn mich nur der Trost erquickt,

Dass dein ewiges Verlassen

20

Mich nicht in die Grube schickt.

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