Eine Imagination, die sich wol cultiviert hat, ist eines von den Haupt-Stücken, durch welche sich der gute Poet von dem gemeinen Sänger unterscheidet, massen die reiche und abändernde Dichtung, die ihr Leben und Wesen eintzig von der Imagination hat, die Poesie von der Prosa hauptsächlich unterscheidet. Dass Opitz den Rang vor Menantes1 pretendieren kan, geben ihm das Recht diese schönen und abwechselnde Bildnissen, die er gemachet hat, und in welchen er die Natur mit denen Farben und in der Gestalt gemahlet hat, die ihr eigen sind. Ich bediene mich mit Fleisse dieser Metaphora, die ich von den Mahlern entlehne, denn die erste und eintzige Regel, welche ein jedweder Schreiber und Redner, es seye in gebundener oder ungebundener Rede, nachzufolgen hat, und welche ihm mit den Mahlern gemein ist, die ist diese, dass er das Natürliche nachspüre und copiere; alle diese andere Regeln, dass er anmuthig, delicat, hoch schreibe, sind in dieser eingeschlossen und fliessen daraus ab. Wenn er von einer jeden Sache dasjenige saget, was ein curieuser Sinn davon wahrnimmt, wenn er nichts davon verfliegen lässt, das sie dienet von andern Sachen zuunterscheiden, und wenn er mit solchen angemessenen Worten davon redet, welche mir eben dieselben Ideen davon erwecken, so sage ich dass er natürlich schreibe; wenn er denn von einer anmuthigen Sache natürlich schreibet, so kan ich sagen, dass sein Stylus anmuthig ist; schreibet er von einer Delicatesse natürlich, so wird der Stylus delicat, und er wird hoch, wenn er von einer Sache natürlich redet, welche die Menschen bewundern und gross nennen. Weil nun Opitz natürlicher, und welches nichts anders saget, annehmlicher, delicater und höcher ist, als Menantes, so heisst er mir auch ein besserer Poet als Menantes. Dass aber Opitz natürlicher dichtet als der andere, ist dieses die Ursache, weil er die Imagination mehr poliert und bereichert hat als dieser; Opitz hat, nemlich, nicht allein mehr Sachen durch die eigene Erfahrung und die Lesung in seine Imagination zusammengetragen, sondern er hat noch an denjenigen Sachen, die ihm aufgestossen, und die Hunolden vielleicht auch in die Sinnen gefallen, mehrere Seiten und Differenzien wahrgenommen, er hat sie von einer Situation angeschauet, von welcher sie ihm besser 303 in die Imagination gefallen sind, und er hat sich länger darüber aufgehalten, indem er sie mit einer sorgfältigern Curiosität betrachtet und durchgesuchet hat. Also hat er erstlich eine nähere und vollkommnere Kenntniss der Objecten erworben, und hernach hat er eben darum auch gewissere und vollkommnere Beschreibungen machen können, in welchen die wahre Proportion und Eigenschafften der Sachen bemercket, und derselben Seiten ohne Ermangeln abgezehlet worden.
Ihr erkennet aus diesem die Nothwendigkeit, und was es contribuiert natürlich schreiben zu lernen, dass ein Schüler der Natur sich wisse über den aufstossenden Objecten zufixieren, und sie in einer solchen Postur anzuschauen, in welcher ihm kein Theil und keine Seiten derselben kan verborgen bleiben; er muss so nahe zu derselben tretten, und die Augen so wol offen behalten, dass ihm weder die allzuweite Entfernung sie kleiner machet, noch die Nähe mit einem Nebel überziehet. Wenn ich jetz ferner untersuche, warum Opitz die Imagination freyer und ungebundener bewahret, und die Distractionen ausgewichen habe, welche Hunolden die Menge der Objecten und andere Umstände erwecket haben, so finde ich keine andere Ursache, als weil Opitz von diesen belebten Seelen gewesen, welche weit zärtlichern und hitzigern Affecten unterworffen sind, und viel geschwinder Feuer, oder dass ich ohne Metaphora rede, Liebe für ein Objectum fangen, als andere unachtsame und dumme Leute; denn es ist im übrigen gewiss, dass wir uns um eine Sache, für die wir passioniert sind, weit mehr interessieren, und weit mehr Curiositet und Fleiss haben, sie anzuschauen, folglich auch die Imagination damit mehr anfüllen, als wir bey einem Objecte thun, für das wir indifferent sind. Ein Amant wird von der Schönheit seiner Buhlschäfft eine ähnlichere und natürlichere Beschreibung machen, als ein jedweder andrer, dem sie nicht so starck an das Hertze gewachsen ist. Ihr werdet einen Affect allezeit natürlicher ausdrücken, den ihr in dem Hertzen fühlet, als den ihr nur simulieret. Die Leidenschafft wird euch im ersten Fall alle Figuren der Rhetoric auf die Zunge legen, ohne dass ihr sie studieret. Zertheilet und erleset die Harangue einer Frauen, die ihre Magd von Hertzen ausschiltet, ihr werdet es also finden. Wenn auf diese Weise die Imagination von der Passion begleitet wird, alsdann ist sie im Stande sich ohne Distraction über 304 ein Objecte aufzuhalten, und sich die Natur, Gestalt und Grösse desselben bekandt zumachen; und dieses ist die Manier, die sie brauchet, sich auszuschmücken und zu bereichern.
Erst ein solcher Schreiber der, wie unser Opitz, die Imagination mit Bildern der Sachen bereichert und angefüllet hat, kan lebhaft und natürlich dichten. Er kan die Objecte, die er einmal gesehen hat, so offt er will, wieder aus der Imagination holen, sie wird ihn gleichsam auf die Stelle zurück führen, wo er dieselben antreffen kan. Er seye in sein Cabinet eingeschlossen, und werde von keinen andern Gegenständen umgeben, als von einem Hauffen Bücher, so wird sie ihm eine hitzige Schlacht, eine Belägerung, einen Sturm, einen Schiffbruch, etc. in derselben Ordnung wieder vormahlen, in welcher sie ihm vormahls vor dem Gesicht gestanden sind. Dieselbe wird alle die Affecte, die ihn schon besessen haben, in ihm wieder rege machen, und ihn davon erhitzen, nicht anderst als wenn er sie wirklich in der Brust fühlte. Es seye, dass er in dem Schatten einer ausgespannten Eiche sitzet, von allen Neigungen der Liebe, des Mitleidens, der Traurigkeit, des Zorns, frey und unbeweget, so bringet ihm doch die Stärke seiner Imagination alle die Ideen wieder zurück, die er gehabt hat, als er wircklich verliebt, mitleidend, betrübt, erzörnt gewesen, sie setzet ihn in einen eben so hitzigen Stande, als er damahlen gestanden ware, und ruffet ihm dieselbe Expressionen wieder zurück, welcher er sich zur selben Zeit bedienet. Will er eine Dame glauben machen, dass sie schön seye, und dass er sie liebe; will er einen Todten beweinen, der ihn vielleichte nichts angehet; will er einen erdichteten Zorn ausstossen, so weiss er die Stellungen und die Worte derer Leuten, die in der That mit diesen Passionen angefüllet sind, lebendig nachzumachen.
Diese vornehme Poeten, die ich niemals müde werde zuloben, lassen das Hertze reden, man kan sagen, dass Amor ihnen ihre Verse in die Feder geflösset hat, wenn sie von der Liebe, und Mars wenn sie von dem Kriege singen. Sie zwingen uns die Affecte anzunehmen, welche sie wollen, wir lachen, wir werden stoltz, wir förchten uns, wir erschrecken, wir betrüben uns, wir weinen, wenn es ihnen gefällt; aber auch die traurigen Affecte, die sie in uns rege machen, werden von einem gewissen Ergetzen begleitet, das damit vermenget ist.
305 Ich belache diese fantastische Schüler der Reim-Kunst, welche sich eine Chimerische Maitresse bey einem frostigen Hertzen, und einer noch kälteren Imagination machen, welche von Brand und Feuer mit den kältesten Expressionen reden, in der Metaphora sterben, sich hencken, sich zu tode stürtzen, derer passioniertste Complimente, die sie ihrer Liebsten machen, Spiele der Wörtern, und der truckenen Imagination sind, Phebus, Galimathias, etc.
Es bleibet mir übrig, euch mit wenigen Worten zuerklären, was es eigentlich seye, das die Poeten figürlich ihren Enthusiasmum, ihre Inspiration, oder auch ihre Poetische Raserey nennen. Diese Worte bedeuten nichts anders, als die hefftige Passion, mit welcher ein Poet für die Materie seines Gedichtes eingenommen ist, oder die gute Imagination, durch welche er sich selbst ermuntern, und sich eine Sache wieder vorstellen, oder einen Affect annehmen kan, welchen er will. Wenn er also erhitzet ist, so wachsen ihm, so zusagen, die Worte auf der Zungen, er beschreibet nichts als was er siehet, er redet nichts als was er empfindet, er wird von der Passion fortgetrieben, nicht anderst als ein Rasender, der ausser sich selbst ist, und folgen muss, wohin ihn seine Raserey führet.
1. Menantes, pseudonym of Christian Friedrich Hunold (1680-1721).