1 From ‘Musarion,’ lines 1385-1446; The happy estate of the converted Phanias.1

1385

Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.

Mit jedem folgenden find’t jedes sich beglückter,

Indem es sich im andern glücklich macht.

Durch überstandne Not geschickter

Zum weiseren Gebrauch, zum reizendern Genuss

1390

Des Glücks, das, sich mit ihm so unverhofft versöhnte,

Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluss;

Glückselig, weil er’s war, nicht weil die Welt es wähnte,

Bringt Phanias in neidenswerter Ruh

335

Ein unbeneidet Leben zu,

1395

In Freuden, die der unverfälschte Stempel

Der Unschuld und Natur zu echten Freuden prägt.

Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt,

Trifft seine Hütte nicht—den Tempel

Der Grazien, seitdem Musarion sie ziert.

1400

Bescheidne Gunst, durch ihren Witz geleitet,

Gibt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,

Den stillen Reiz, der ohne Schimmer rührt.

Ein Garten, den mit Zephyrn und mit Floren

Pomona sich zum Aufenthalt erkoren;

1405

Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,

Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet;

Ein kleiner Bach, von Ulmen überschattet,

An dem der Mittagsschlaf uns ungesucht beschleicht;—

Im Garten eine Sommerlaube,

1410

Wo, zu der Freundin Kuss, der Saft der Purpurtraube,

Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar deucht;

Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht,

Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,

Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne—

1415

Wie vieles macht ihn reich!—denkt noch Musarion

Hinzu, und sagt, was kann zum frohen Leben

Der Götter Gunst ihm mehr und Bessers geben?

Die Weisheit nur, den ganzen Wert davon

Zu fühlen, immer ihn zu fühlen,

1420

Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen;

Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor war

Kein Cyniker mit ungekämmtem Haar,

Kein runzlichter Cleanth,2 der, wenn die Flasche blinkt,

Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt;

1425

Die Liebe war’s—wer lehrt so gut wie sie?

Auch lernt’ er gern, und schnell, und sonder Müh,

Die reizende Philosophie,

Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,

Vergnügt geniesst, und gern den Rest entbehrt;

336 1430

Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite

Betrachtet; dem Geschick sich unterwürfig macht;

Nicht wissen will, was alles das bedeute,

Was Zeus aus Huld in rätselhafte Nacht

Vor uns verbarg, und auf die guten Leute

1435

Der Unterwelt, so sehr sie Toren sind,

Nie böse wird, nur lächerlich sie find’t

Und sich dazu—sie drum nicht minder liebet;

Den irrenden bedaurt, und nur den Gleisner flieht;

Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,

1440

Doch ohne Sold und aus Geschmack sie übet;

Und, glücklich oder nicht, die Welt

Für kein Elysium, für keine Hölle hält,

Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter

Von seinem Tron—im sechsten Stockwerk—sieht,

1445

So lustig nie als jugendliche Dichter

Sie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht.

1. Phanias is at first a crabbed misanthrope. The lovely Musarion takes him in hand and teaches him her art of love as a philosophy of the Graces.

2. The Stoic Cleanthes is one of the characters of the poem.

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