1 From ‘Fragments on Recent German Literature’1: Poetry as mother tongue of mankind.

Eine Sprache in ihrer Kindheit bricht, wie ein Kind, einsilbichte, rauhe und hohe Töne hervor. Eine Nation in ihrem ersten wilden Ursprunge starret, wie ein Kind, alle Gegenstände an; Schrecken, Furcht, und alsdenn Bewunderung sind die Empfindungen, derer 353 beide allein fähig sind, und die Sprache dieser Empfindungen sind Töne,—und Gebärden. Zu den Tönen sind ihre Werkzeuge noch ungebraucht: folglich sind jene hoch und mächtig an Accenten; Töne und Gebärden sind Zeichen von Leidenschaften und Empfindungen, folglich sind sie heftig und stark: ihre Sprache spricht für Auge und Ohr, für Sinne und Leidenschaften: sie sind grösserer Leidenschaften fähig, weil ihre Lebensart voll Gefahr und Tod und Wildheit ist: sie verstehen also auch die Sprache des Affects mehr als wir, die wir dies Zeitalter nur aus spätern Berichten und Schlüssen kennen; denn so wenig wir aus unsrer ersten Kindheit Nachricht durch Erinnerung haben, so wenig sind Nachrichten aus dieser Zeit der Sprache möglich, da man noch nicht sprach, sondern tönete; da man noch wenig dachte, aber desto mehr fühlte; und also nichts weniger als schrieb.

So wie sich das Kind oder die Nation änderte, so mit ihr die Sprache. Entsetzen, Furcht und Verwunderung verschwand allmählich, da man die Gegenstände mehr kennen lernte; man ward mit ihnen vertraut und gab ihnen Namen, Namen, die von der Natur abgezogen waren, und ihr so viel möglich im Tönen nachahmten. Bei den Gegenständen fürs Auge musste die Gebärdung noch sehr zu Hilfe kommen, um sich verständlich zu machen: und ihr ganzes Wörterbuch war noch sinnlich. Ihre Sprachwerkzeuge wurden biegsamer, und die Accente weniger schreiend. Man sang also, wie viele Völker es noch tun, und wie es die alten Geschichtschreiber durchgehends von ihren Vorfahren behaupten. Man pantomimisierte und nahm Körper und Gebärden zu Hilfe: damals war die Sprache in ihren Verbindungen noch sehr ungeordnet und unregelmässig in ihren Formen.

Das Kind erhob sich zum Jünglinge: die Wildheit senkte sich zur politischen Ruhe; die Lebens- und Denkart legte ihr rauschendes Feuer ab: der Gesang der Sprache floss lieblich von der Zunge herunter, wie dem Nestor des Homers, und säuselte in die Ohren. Man nahm Begriffe, die nicht sinnlich waren, in die Sprache; man nannte sie aber, wie von selbst zu vermuten ist, mit bekannten sinnlichen Namen; daher müssen die ersten Sprachen bildervoll und reich an Metaphern gewesen sein.

Und dieses jugendliche Sprachalter war bloss das poetische: man 354 sang im gemeinen Leben, und der Dichter erhöhete nur seine Accente in einem für das Ohr gewählten Rhythmus: die Sprache war sinnlich und reich an kühnen Bildern: sie war noch ein Ausdruck der Leidenschaft, sie war noch in den Verbindungen ungefesselt: der Periode fiel aus einander, wie er wollte! —Seht! das ist die poetische Sprache, der poetische Periode. Die beste Blüte der Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter: jetzt sangen die ἀοιδοί und ῥαψῳδοί: da es noch keine Schriftsteller gab, so verewigten sie die merkwürdigen Taten durch Lieder: durch Gesänge lehrten sie, und in den Gesängen waren nach der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und Sittensprüche, Gesetze und Mythologie enthalten. Dass dies bei den Griechen so gewesen, beweisen die Büchertitel der ältesten verlorenen Schriftsteller, und dass es bei jedem Volk so gewesen, zeugen die ältesten Nachrichten. . . .

So löset sich auch der Zweifel eines sprachgelehrten Mannes hiemit leicht auf: ‘Ich weiss nicht, ob es wahr ist, was man in vielen Büchern wiederholet hat, dass bei allen Nationen, die sich durch die schönen Wissenschaften hervorgetan haben, die Poesie eher als die Prose zu einer gewissen Höhe gestiegen sei.’ Es ist allerdings wahr, was alle alte Schriftsteller einmütig behaupten, und was in den neuen Büchern wenig angewandt ist, dass die Poesie lange vorher, ehe es Prose gab, zu ihrer grössten Höhe gestiegen sei, dass diese Prose darauf die Dichtkunst verdrungen, und diese nie wieder ihre vorige Höhe erreichen können. Die ersten Schriftsteller jeder Nation sind Dichter: die ersten Dichter unnachahmlich: zur Zeit der schönen Prose wuchs in Gedichten nichts als die Kunst: sie hatte sich schon über die Erde erhoben und suchte ein Höchstes, bis sie ihre Kräfte erschöpfte und im Äther der Spitzfindigkeit blieb. In der spätern Zeit hat man bloss versifizierte Philosophie oder mittelmässige Poesie.

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