From Leisewitz’ ‘Julius of Tarentum,’ Act 3, Scene 3.2

Guido, Julius

Guido. Julius, kannst du die Tränen eines Vaters ertragen? Ich kann’s nicht.

Julius. Ach, Bruder, wie könnt’ ich?

Guido. Meine ganze Seele ist aus ihrer Fassung, ich möchte mir das Gewühl einer Schlacht wünschen, um wieder zu mir selbst zu kommen. —Und das kann eine Träne? Ach, was ist der Mut für ein wunderbares Ding! Fast möchte ich sagen, keine Stärke der Seele, bloss Bekanntschaft mit einem Gegenstande—und wenn das ist, ich bitte dich, was hat der Held, den eine Träne ausser sich bringt, an innerer Würde vor dem Weibe voraus, das vor einer Spinne auffährt?

Julius. Bruder, wie sehr gefällt mir dieser dein Ton!

Guido. Mir nicht, wie kann mir meine Schwäche gefallen! Ich fühle, dass ich nicht Guido bin. Wahrhaftig, ich zittre—o wenn das ist, so werd’ ich bald auf die rechte Spur kommen!—ich hab’ ein Fieber!

Julius. Seltsam—dass sich ein Mensch schämt, dass sein Temperament stärker ist als seine Grundsätze.

Guido. Lass uns nicht weiter davon reden!—meine jetzige Laune könnte darüber verfliegen, und ich will sie nutzen! Man muss gewisse Entschlüsse in diesem Augenblick ausführen, aus Furcht, sie möchten uns in den künftigen gereuen. Du weisst es, Bruder, ich liebe Blancan, und habe meine Ehre zum Pfande gegeben, 376 dass ich sie besitzen wollte. —Aber diese Tränen machen mich wankend.

Julius. Du setzest mich in Erstaunen.

Guido. Ich glaube meiner Ehre genug getan zu haben, wenn sie niemand anders besitzt, wenn sie bleibt, was sie ist—denn wer kann auf den Himmel eifersüchtig sein? Aber du siehst, wenn ich meine Ansprüche aufgebe, so musst du auch die deinigen, mit all den Entwürfen, sie jemals in Freiheit zu setzen, aufgeben. —Lass uns das tun, und wieder Brüder und Söhne sein! —Wie wird sich unser Vater freuen, wenn er uns beide zu gleicher Zeit am Ziel sieht, wenn wir beide aus dem Kampfe mit einander als Sieger zurückkommen, und keiner überwunden. —Und noch heute muss das geschehen, heut’ an seinem Geburtstage.

Julius. Ach, Guido!

Guido. Eine entscheidende Antwort!

Julius. Ich kann nicht.

Guido. Du willst nicht? so kann ich auch nicht. Aber von nun an bin ich unschuldig an diesen väterlichen Tränen, ich schwör’ es, ich bin unschuldig. Auch ich bekäme meinen Anteil davon, sagt’ er. —Siehe, ich wälze ihn hiemit auf dich. Dein ist die ganze Erbschaft von Tränen und Flüchen!

Julius. Du bist ungerecht,—glaubst du denn, dass sich eine Leidenschaft so leicht ablegen lasse, wie eine Grille, und dass man die Liebe an- und ausziehen könne, wie einen Harnisch? —Ob ich will—ob ich will—wer liebt, will lieben und weiter nichts. —Liebe ist die grosse Feder in dieser Maschine; und hast du je eine so widersinnig künstliche Maschine gesehen, die selbst ein Rad treibt, um sich zu zerstören, und doch noch eine Maschine bleibt?

Guido. Ungemein fein, ungemein gründlich—aber unser armer Vater wird sterben!

Julius. Wenn das geschieht, so bist du sein Mörder! —Deine Eifersucht wird ihn töten, und hast du nicht eben gesagt, du könntest deine Ansprüche aufgeben, wenn du wolltest—heisst das nicht gestehen, dass du sie nicht liebst, und doch bleibst du halsstarrig? Dein Aufgeben wär’ nicht Tugend gewesen, aber dein Beharren ist Laster!

Guido. Bravo! Bravo! Das war unerwartet.

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Julius. Und was meinst du denn?

Guido. Ich will mich erst ausfreuen, dass die Weisheit eben so eine schlanke geschmeidige Nymphe ist, als die Gerechtigkeit, eben so gut ihre Fälle für einen guten Freund hat. Ich könnte meine Ansprüche aufgeben, wenn ich wollte? —Wenn die Ehre will! —Das ist die Feder in meiner Maschine—du kannst nichts tun, ohne die Liebe zu fragen, ich nichts, ohne die Ehre:—wir beide können also für uns selbst nichts, das, denk’ ich, ist doch wohl ein Fall.

Julius. Hat man je etwas so Unbilliges gehört, die erste Triebfeder der menschlichen Natur mit der Grille einiger Toren zu vergleichen?

Guido. Einiger Toren! —Du rasest! —Ich verachte dich, wie tief stehst du unter mir! Ich halte meine Rührung durch Tränen für Schwachheit,—aber zu diesem Grade meiner Schwachheit ist deine Tugend noch nicht einmal gestiegen.

Julius. Es ist immer dein Fehler gewesen, über Empfindungen zu urteilen, die du nicht kennst.

Guido. Und dabei immer ums dritte Wort von Tugend zu schwatzen! —Ich glaube, wenn du nun am Ziel deiner Wünsche bist und deinen Vater auf der Bahre siehst, so wirst du anstatt nach getaner Arbeit zu rasten, noch die Leichenträger unterrichten, was Tugend sei, oder was sie nicht sei!

Julius. Wie hab’ ich mich geirrt! Bist du nicht schon wieder in deinem gewöhnlichen Tone?

Guido. Siehe, du hoffest auf seinen Tod, kannst du das leugnen? Glaubst du, dass ich es nicht sehe, dass du alsdenn das Mädchen aus dem Kloster entführen willst? —Es ist wahr, alsdann bist du Fürst von Tarent, und ich bin nichts—als ein Mann. —Aber dein zartes Gehirnchen könnte zerreissen, wenn du das alles lebhaft dächtest, was ein Mann kann. —Gott sei Dank, es gibt Schwerter, und ich hab’ einen Arm, der noch allenfalls ein Mädchen aus den weichen Armen eines Zärtlings reissen kann! Ruhig sollst du sie nicht besitzen, ich will einen Bund mit dem Geiste unsers Vaters machen, der an deinem Bette winseln wird.

Julius. Ich mag so wenig als unser Vater von dir im Affekt hören, was du tun willst. (Ab.)

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