Golo (hervor). Wie unruhig die Nacht! Hat mich der schönste Stern hervorgezischt? Oder war sie es selbst, die jetzt ebenso liebeunruhig im Grünen irret wie ein angeschossen Reh, meiner heissen Sehnsucht zu begegnen? Wie entglommen mein Herz! O Mathilde, du sagtest mir nicht alles; ich bin wohl glücklicher als ich es selbst gewusst.
Ach, süsses Glück der Liebe,
Wer dich nicht kost,
Des Lebens Freude kennt er nicht,
Des Lebens besten Schatz.
Still! Was hör’ ich droben am Fenster? Sie selbst, o Himmel! (Zieht sich in die Grotte.)
Genoveva (oben auf dem Altan). Die du alles bedeckst, Nacht, bedecke auch meinen Gram, süsse, liebe, heitere Nacht! Ich bin schon wieder froh. Was trauere ich denn auch? Was hat mein Herz verbrochen? (Singt.)
Viel lieber wollt’ nicht leben
Als mich dem Gram ergeben;
Der Gram das Leben frisst.
Was nur der Waldbruder meinte? Sollte es möglich sein, grosser Gott, möglich? Golo ein Verräter an mir, an Siegfried, der ihn so brüderlich liebt? Und warum sollt’ er’s sein? Worin? (Singt.)
Aufs sichere Nest kein Vogel geht,
Auch Sturm es manchmal rüttelt;
Kein Baum im freien Walde weht,
Den Winters Gewalt nicht schüttelt.
Was auf der Erde lebt und steht;
Wechselt immer Schmerz und Wonne;
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Der Winter wohl nach Sommer geht,
Nach Regen lacht die Sonne.
Also packt euch, ihr Grillen, wohin ihr wollt; ich mag nicht länger mit euch zu schaffen haben. Wie angenehm der falbe Mondglanz zwischen den Bäumen dort unten! Ich will auch hinunter, mich noch ein Weilchen erlaben, jetzt, da ich allein bin. Das will ich. (Ab.)
Golo. Kommt sie herunter? Sie fliegt herunter meinen Armen zu. O Stunde, Stunde, bist du da? Ich hör’, ich hör’ sie schon; da ist sie, da bin ich, wie über Wolken zu dir auf, himmlisches, seliges Wesen!
Genoveva. Wer hält mich? Wer ist da? Himmel! Bin ich nicht allein?
Golo. Ach, kannst du noch fragen? Ich bin’s, Genoveva, ich, der schon so lange anbetet, nach dir lechzt wie der Hirsch nach frischem Trank, nach dir! Genoveva, Genoveva, du, selig machst du mich jetzt, selig! (Er kniet vor ihr und hält sie.)
Genoveva. Edler Ritter, lasst ab, ich bitt’ Euch; haltet ein, Ihr irrt.
Golo. O Leben! Nimm mir das Leben! Teure, ich liebe Euch, liebe Euch.
Genoveva. Ihr liebt mich, Ritter? Wie? Ihr? Was sagt Ihr?
Golo
Ach hier, wo sich mein Herz verlor,
In süssen Jugendtagen,
Ihr Stauden, hänget noch betrübt
Von meinen schweren Klagen!
O schau’ hinauf ins Sternenchor,
Sie werden’s all dir sagen,
Wie treu und rein der Ritter liebt,
Der dir so ist ergeben.
So rein ihr Schein,
Steht hoffnungsfroh nach dir allein
Mein Streben und mein Leben.
Erlös’ mich, schönstes Herz, eine arme Seele ans Flammen zu dir! Erbarme dich!
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Genoveva (zitternd). Was wollt Ihr? Golo, Golo, was sprecht Ihr? Gedenkt doch—O nein, nein, es darf ja nicht—Schweigt doch, der Himmel hört uns beide. Schaut um Euch, junger Ritter; in der Welt werdet Ihr noch eine schöne Gemahlin finden, die Euch trösten darf; sprecht nicht so zu mir; ich vermag’s ja nicht.
Golo. O bei den Lichtern, die dort oben brennen, keine unter dem Himmel und auf Erden als du allein! Eh soll sich dies Herz so in Glut verzehren! Du allein, süsses, seliges Wesen, dein Abdruck, rein bis in den Tod.
Genoveva. O lasst mich, lasst mich, lasst mich doch, Ritter! Kann Euch nicht länger anhören. O Himmel!
Golo. Flieh nicht, Genovevchen, reissest mir die Seele mit weg. Ermorde mich, Grausame; gib mir den Tod; sage, du wollest mich nicht trösten; dein Zorn macht mich zur Leiche.
Genoveva. Golo! Ritter, bedenkt doch ums Himmels willen!
Golo. Es ist vorbei, ich kann nicht. (Küsst ihre Hand.)
Genoveva. Halt!
Golo. Engel, süsser Engel!
Genoveva. Falscher, was treibt Ihr? Unsinniger!
Golo. Umsonst! Umsonst! (Umfasst sie und trägt sie der Höhle zu.)
Genoveva. Ungeheuer! Nicht edler Ritter! —Ihr droben, erbarmt euch mein! Hilfe! Hilfe!
(Dragones der Grotte zu.)
Dragones. Was gibt’s hier? Steht! Wer ist’s? —Eure Stimme, Gräfin? Ehrenräuber! Wer du auch bist, halt! Halt!
Golo (lässt Genoveven los, schlägt den Mantel vor.) Hölle! O alles! Da, nimm’s, ungebetener Hund!
Dragones. Weh mir! Bin verwundet! Hilfe! O Hilfe!
Golo. Was soll ich nun? Genoveva! Was fang’ ich nun an? Verflucht! Dort kommen mehr Leute. Ich muss flüchten, bin verraten, verloren. Weh! Weh!
1. Friedrich Maximilian Klinger (1752-1831) was a fellow-townsman and friend of Goethe. His Sturm und Drang, which was at first named Wirrwarr, came out in 1776. The scene is ‘America.’ The speakers are Wild, a lusty and masterful man of action; Blasius, a blasé worldling; and La Feu, a sentimental dreamer. They propose to try their fortunes in the French-Indian War.
2. Published in 1776—the same year with Klinger’s Die Zwillinge, which also deals with fratricide. Julius, the crown prince, is a studious and romantic dreamer; Guido, a young hotspur. Their father has just been imploring them to end their futile quarrel over the girl Blanca, who has been sent to a nunnery. —Julius of Tarentum is by far the most important work of its author, Johann Anton Leisewitz (1752-1806).
3. Friedrich Müller (1749-1825), commonly distinguished as Maler Müller, wrote his Golo und Genoveva between 1775 and 1781. Siegfried, Count Palatine, has gone to aid Charles Martel against the Moors, leaving his virtuous and saintly wife, Genevieve, in the care of his trusted vassal Golo. Inflamed by lust and perverted by evil counsels, Golo proves faithless to his trust. The scene is in Genevieve’s castle-garden, where Golo has hidden in a grotto.
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