Kolumbus und sein Schiffchen.

In der Zwischenzeit von Noahs Erbauung der Arche bis zu Kolumbus’ Entdeckungsfahrt machte die Schiffsbaukunst etliche Veränderungen zum Bessern durch; war sie zuerst unaussprechlich kläglich gewesen, so erhob sie sich jetzt auf einen Standpunkt, den man als ›weniger unaussprechlich kläglich‹ bezeichnen kann. Ich habe mal irgendwo gelesen, eins von Kolumbus’ Fahrzeugen sei ein Neunzigtonnenschiff gewesen. Vergleicht man dieses Schiff mit den Ozean-Windhunden unsrer Tage, so kann man sich einigermaßen einen Begriff machen, wie klein die spanische Bark war und wie wenig sie geeignet sein würde, im heutigen Passagierverkehr über das Atlantische Meer den Wettbewerb aufzunehmen. Nicht weniger als 74 von ihrer Sorte wären nötig, um den Tonnengehalt der ›Havel‹ zu erreichen. Wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, brauchte sie 10 Wochen zur Ueberfahrt. Nach unsern heutigen Begriffen würde das als schauderhafte Bummelei gelten. Wahrscheinlich hatte das Schiff als Besatzung einen Kapitän, einen Steuermann, vier Matrosen und einen Schiffsjungen. Die Bemannung eines modernen Schnelldampfers besteht aus 250 Menschen.

Da Kolumbus’ Schiff klein und sehr alt war, so können wir aus diesen beiden Tatsachen mit unumstößlicher Sicherheit auf verschiedene weniger wichtige Umstände schließen, von denen die Weltgeschichte nicht berichtet. Zum Beispiel: Da das Schiff klein war, so wissen wir, daß es bei jedem gewöhnlichen Seegang rollte und stampfte und schlingerte und daß es bei tüchtigem Sturm entweder auf dem Kopf oder auf dem Hinterteil stand, oder mit der Seite auf dem Wasser lag. Fortwährend schlugen Sturzseen über Bord und wuschen das Deck vom Steven bis zum Stern. Die ganze Reise über waren die Sturmleisten auf dem Eßtisch, und trotzdem bekam einer seine Suppe öfter auf die Hosen als in den Magen. Der Speisesaal maß ungefähr 10 zu 7 Fuß, war dunkel, unlüftbar und von einem erstickenden Oeldunst erfüllt. Ferner war nur eine einzige Kajüte vorhanden; sie hatte die Größe eines Grabes und enthielt zwei oder drei übereinander gestellte Betten von der Größe und Bequemlichkeit von Särgen; wenn das Licht ausgelöscht war, herrschte in dieser Kajüte eine Finsternis von einer Dicke und Greifbarkeit, daß einer hineinbeißen und sie wie Gummi kauen konnte. Der einzige Raum, wo ein Mensch sich frei bewegen konnte, befand sich hinten auf dem hochaufragenden Hüttendeck – ein Streifen von 16 Fuß Länge und 3 Fuß Breite; überall sonst auf dem Schiff lagen Taurollen und bespülten die Wellen das Deck.

Daß dies alles so war, geht für uns aus der bloßen Tatsache hervor, daß das Schiff klein war. Da es zugleich auch alt war, so ergeben sich daraus natürlich etliche andre Gewißheiten. Zum Beispiel: es war voll von Ratten; es war voll von Kakerlaken; bei schwerer See öffneten und schlossen sich die Fugen der Planken wie wenn ein Mensch seine Finger auseinanderspreizt und wieder schließt. Es leckte wie ein Korb. Wo ein Leck ist, ist notwendigerweise auch Schlagwasser; und wo Schlagwasser ist, kann bloß ein Toter sich des Lebens freuen. Von wegen der Gerüche. Vor Schlagwasser schämt Limburger Käse sich seiner Ruchlosigkeit.

Von diesen unumstößlich sichern Voraussetzungen ausgehend, können wir ein wahrheitsgetreues Bild von dem Tageslauf des großen Entdeckers entwerfen. In der Morgenfrühe verrichtete er seine Andacht vor dem Gnadenbild der Heiligen Jungfrau. Um acht erschien er auf der Hinterdeckspromenade. War das Wetter kühl, so erschien er, vom Helmbusch bis zum bespornten Absatz, in einer prachtvollen, mit Goldarabesken verzierten Rüstung, die er vorher am Küchenfeuer hatte wärmen lassen. War das Wetter warm, so kam er in der gewöhnlichen Seemannstracht jener Zeit auf Deck: Großer Schlapphut von blauem Samt mit einem wehenden Busch von schneeweißen Straußfedern, der durch einen blitzenden Klumpen von Diamanten und Smaragden zusammengehalten wird. Goldgesticktes Wams von grünem Samt mit geschlitzten Aermeln, die ein karmesinrotes Seidenfutter sehen lassen; breiter Kragen und Handkrausen aus kostbaren Spitzen; Pluderhosen aus rosenrotem Samt mit großen Knieschleifen aus gelbem Seidenbrokat; perlgraue seidene Zwickelstrümpfe mit zarter Stickerei; zitronengelbe Schlappstiefel aus Lammleder, herunterhängend, damit die schönen Strümpfe zu sehen sind; Stulphandschuhe aus feinstem weißem Ketzerleder, aus der Werkstatt der heiligen Inquisition, (früher zur Haut einer Dame von hohem Stande gehörend); Raufdegen mit juwelengeschmückter Scheide an einem breiten Wehrgehänge, das mit Rubinen und Saphiren besetzt ist.

Gedankenvoll geht er auf und ab, beobachtet das Aussehen des Himmels und die Windrichtung; sieht sich nach schwimmenden Pflanzen um, sowie nach andern Anzeichen nahenden Landes; gibt zum Zeitvertreib dem Manne am Steuer einen Rüffel; holt ein nachgemachtes Ei aus der Tasche und übt sich in seinem alten Kniff, es auf die Spitze zu stellen; ab und zu läßt er eine Rettungsleine herunter und rettet einen Matrosen auf dem Quarterdeck vom Ertrinken. Die übrige Zeit hindurch gähnt und streckt und dehnt er sich und sagt, er wolle die Fahrt nicht wieder machen und wenn es sechs Amerikas zu entdecken gäbe … Das war Kolumbus in seiner menschlichen Natürlichkeit, wenn er nicht für die Nachwelt posierte!

Um 12 Uhr mittags mißt er den Stand der Sonne und stellte fest, daß das gute Schiff in 24 Stunden 300 Ellen gemacht hat. Das genügt aber für ihn, um als Sieger anzukommen. Ein jeder kann als Sieger ankommen, wenn außer ihm kein Mensch da ist, der über den Weg und das Ziel etwas zu sagen hat.

Der Admiral hat allein gefrühstückt, ein feierliches Frühstück: Speck, Bohnen und Branntwein; um zwölf speist er allein und feierlich zu Mittag: Speck, Bohnen und Branntwein; um sechs ißt er allein und feierlich zu Abend: Speck, Bohnen und Branntwein; um elf nimmt er allein und feierlich sein Nachtmahl ein: Speck, Bohnen und Branntwein. Musik gibt es bei keiner dieser Orgien; das Schiffsorchester ist eine Erfindung der Neuzeit. Nach seiner letzten Mahlzeit spricht er ein Dankgebet für all die guten Sachen – deren Wert er vielleicht ein bißchen übertreibt. Dann legt er die Seidenpracht oder das vergoldete Eisengeschirr ab, steigt in seinen kleinen Bettsarg, bläst die flackernde Oelfunsel aus und beginnt seine Lungen in tiefen Atemzügen mit der von den köstlichen Düften ranzigen Oels und Schlagwassers geschwängerten Luft zu erfrischen. Die Atemzüge werden zu Schnarchen, und dann schwärmen die Ratten und die Kakerlaken brigade- und divisions- und armeekorpsweise aus und spielen Zirkus auf seinem ganzen Leibe.

Das war mehrere historische Wochen lang der tägliche Lebenslauf des großen Entdeckungsreisenden in seiner Nußschale, und der Unterschied zwischen den Bequemlichkeiten auf seinem Schiff und denen auf unserer ›Havel‹ springt einem sozusagen in die Augen.

Als er wiederkam – so berichtet die Weltgeschichte – da sagte der König von Spanien voll Verwunderung: »Das Schiff scheint leck zu sein. Leckte es schlimm?«

»Sire, Eure Majestät können selber urteilen: Ich pumpte während der Fahrt sechzehnmal den Atlantischen Ozean durch das Schiff.«

So berichtet General Horace Porter. Andre Autoritäten sprechen nur von fünfzehnmal.

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