Sechstes Büchlein.

Schluß.

Nicht umsonst hoffte er. Noch vor der Mitte erging er sich einst zur Bewegung, da vernahm sein Ohr fremde Laute. Er horcht, höher wallt und wogt es in der Brust, er wendet das Auge nach dem Ton hin — ein heller Fleck am Horizont!

Der Mond schien eben nicht, nur vom Schnee Dämmerung. Desto deutlicher die Flamme dort sichtbar, wie sie sich vergrößerte. Der antreibende Zuruf fahrender Männer zu unterscheiden, oft ein Geheul von Bären.

Guido warf sich auf sein Angesicht. Du unbegreiflicher Gott, dem ich hier oft den Geist empfahl, dein Geschick will mich wieder zu den Menschen bringen. Dank, dank, wenn du auf mich siehst!

Der Schlittenzug kam näher, hielt jedoch seitwärts von der Stelle wo Guido sich aufhielt. Dieser lief kaum noch athmend dorthin, blieb aber verwundert stehn, als er seinen Namen vielfach nennen hörte. Wie wissen diese Reisenden von mir? fragte er sich.

Der Zug enthielt mehr Fahrzeuge als im vorigen Jahre. Ein ansehnlicher Mann war ausgestiegen, und rief: Ich muß Guidos Leichnam finden, sonst — ich muß seinen Leichnam finden, sonst kehre ich nicht nach Rom zurück, wiederholte der Mann ängstlich.

Guido trat hinzu. Wer sucht mich? Ich bin Guido.

Unbeweglich in hohem Erstaunen blickte alles auf ihn. Niemand schien zu glauben, zu begreifen. Er ist es, fing endlich einer aus dem Haufen an, im vorigen Jahre die Reise theilend. Wir harrten lange auf dich, suchten, gaben Zeichen. Da wir den Leichnam des Alten fanden, mußte Jedermann auch auf deinen Tod schließen. Die eigne Sicherheit gebot uns Entfernung, doch blieb noch ein Fuhrwerk da —

Gut, gut, fiel der seltsame Einsiedler ein, es gelang, mich zu erhalten, daß ich froh der Rettung entgegen athme, mögt ihr denken.

Ist es kein Wahn? Lebend? Lebend? brach nun jener angesehene Mann aus, dem zeither Befremdung den Mund versiegelt hatte. Und kaum hoffte ich die theuren Reste noch zu entdecken, hielt es unmöglich —

Und wer bist du? fragte Guido, heiße Verwunderung in der Stimme.

„Lelio ist mein Name.“

Wie, Lelio, der Vertraute des Kaisers?

„Der nämliche! Um die Zeit, wo du von Lissabon dich nach Amerika gewandt hattest, brachen die Kriegflammen mit Afrika aus. Umsonst waren alle Bemühungen den Frieden zu erhalten. Das Heer, in Eilzügen aus Moskau nach Kalabrien rückend, sollte einen Feldherrn wählen. Die einmüthige Stimme nannte dich!“

Mich, mich! rief Guido mit entzücktem Staunen.

„Dich! Vom Strategion wurde zur hohen Freude des Kaisers die Wahl bekräftigt. Daß sein Wort der Entscheidung nicht fehlte, versteht sich.“

O wie viel Milde, wie viel Güte ließ mir dieser Großmonarch schon angedeihn. Ich Unglücklicher, der so selten ihn sah, noch nie ihm danken konnte!

„Eilboten flogen nach Portugall. Da warst du nicht mehr. Ein Schiff konnte die schneller bewegte Insel nicht einholen. Da es zu Philadelphia anlangte, hatte dich edle Neugierde zum Pol geführt. Man säumte nicht, dir nachzusenden. Ueberall kamen die Boten zu spät, und erfuhren von der rückkehrenden Karavane dein Misgeschick. Es ward nach Europa gemeldet. Mit dem höchsten Schmerz vernahm es der Kaiser. Ihm schien unendlich viel an den jungen Helden zu liegen, man begriff kaum, wie der sonst so gleichmüthige Mann beinahe dem Kummer erlag, wiewohl die Folge ihn gerecht nannte. Es blieb am Ende nur der traurige Trost übrig, deinen Leichnam zu suchen, und ihn nach dem Tempel der Unsterblichkeit zu bringen. So wollte es des Kaisers Machtwort. Im Sommer war es unmöglich den Nordpol zu erreichen, kaum aber brach der Winter an, als ich mich aufmachen mußte, um jeden Preis deine Hülle zu erspähn. O welch Glück wurde mir! seine Freude wird so die Schranken überfliegen, als jener Gram, von dem immer noch sein zerstörtes Herz sich nicht ermannen konnte.“

Unbegreiflich! Wie hoch, wie unverdient ehrt mich der Kaiser! Was soll ich thun, dieser Liebe würdig zu sein!

„Der Krieg begann. Die Flotte aus Brittannien nahm das Heer ein. Auf der mittelländischen See traf sie jene gefürchtete aus Neu-Karthago. Eine neue Erfindung, welche der Ruhm dir zuschrieb, machte, daß der Sieg sich zu uns neigte. Das Heer konnte in Afrika ans Land steigen. Doch hier wandte sich das Glück. Die Unsrigen, mit großer Uebermacht im Kampfe, verloren eine Hauptschlacht. Der Feldherr, dem man einige Schuld gab, sank. Nachdem der Tapferen eine große Zahl gefallen war, mußten sie zurück auf die Schiffe. Diese, nicht mehr gehörig bemannt, wurden verfolgt, liefen zu Neapel ein, während die Feinde Sizilien besetzten, wo die rohen Negerhorden der Afrikaner wilde Verheerungen begannen. Noch gelang es nicht, die Insel ihnen wieder zu entreißen.“

Sizilien! o mein Sizilien! Ini, wo magst du weilen? Wie trüben diese Nachrichten meine Wonne!

„Ein neues Heer steht jedoch in Italien. Eile, den Feldherrnstab zu nehmen!“

Fort, fort! schrie Guido, keine Minute länger. Noch einen bethränten Blick warf er auf des Lehrers Grab, unter dem Lavahügel.

Die Karavane brach sogleich zum Rückwege auf. Was ihn nur beschleunigen konnte, wandte man an, und nach zwei Wochen befand sich Guido schon wieder in Philadelphia. Dort stand noch sein Kristallblock. Diesen nahm er mit auf das schwimmende Eiland, zur Reise über den Atlantus gedungen, die sogleich angetreten wurde.

Er mied während dieser Zeit das Zimmer nicht, einen Plan zu dem Feldzuge auszuarbeiten, selbst staunend über die vielen genievollen, kühnen, niegekannten Hülfsmittel, die sich ihm aufdrangen, die hellen, gediegenen Resultate von Wissenschaft, Denken, Lebensansichten, in einen Fokus zusammenstrahlend. Nicht hatte er diesen üppigen Reichthum an Einfall in sich geahnt, und schwelgende Gefühle erfinderischer Wollust rötheten sein Antlitz flammender.

In Lissabon blieb jener Kristall. Guido stieg sogleich mit dem Vertrauten des Kaisers in eine Luftgondel, nach Italien zu fliegen. Auf den Posten von Alikante, Palma, Cagliari sah er, so viel es nur sein konnte, zu der Anstalten Eil, und traf in so kurzer Zeit, als noch nimmer Reisende, zu Rom ein.

Noch hatte er die Hauptstadt von Europa nicht gesehn, doch würdigte sein Drang sich dem Kaiser zu zeigen, das hergestellte Kolosseum, den mit Gold gedeckten Tempel der Unsterblichkeit, den Bühnen, Termen, keines Blickes. Kaum legte er ein ander Gewand an in der Herberge.

Der Vertraute eilte voran zum Pallast, dem Kaiser sein Glück zu melden. Dieser breitete die Hände dankend gen Himmel aus, schloß Guido, der gleich folgte, bebend in seine Arme, und führte ihn stumm ins Strategion, das grade eine Versammlung hielt.

Die Räthe bewillkommten ihren Gebieter mit Ehrfurcht, zugleich überrascht bei der seltenen Bewegung die an ihm sichtbar wurde. Nicht gleich konnte er noch zu Worte kommen, dann sammelte er sich, Guido in die Mitte des Saals führend, und sprach:

Ihr Väter, ich stelle euch meinen Sohn vor!

Der Jüngling starrte.

Entzücken loderte auf jeder Wange. Niemand vermogte zu reden.

Endlich fuhr der Kaiser fort: Lange genug ließ ich ihn fern von mir erziehen. Urtheilt, was mein Vaterherz empfand, wenn er mit so frühem Ruhm sein jugendlich Haupt bedeckte. Von meinem Schmerz bei jener bangen Kunde wart ihr Zeugen, und ahntet doch nicht, was meine Brust zerriß, nicht sagte ich es euch, denn immer noch schimmerte mir eine strahlende Hoffnung. Sie hat Wort gehalten!

Guido umfaßte seine Knie, Tausend jubelnde Glückwünsche, nicht von Schmeichelei, sondern von edlem Wahrheitsinn aufgelegt, wurden im Saale laut. Die Nahverwandten brachen in süße Freudenthränen aus.

Nun führe er das Heer, rief der Kaiser. Mit Schmerz entlasse ich ihn wieder, doch des Vaterlandes Noth ruft. Nicht mein Sohn, der Held, durch einmüthige Wahl gerufen.

Er führe es! rief alles.

Ja, mein erhabner Vater, ich eile ins Waffenleben und kehre nicht wieder, als meiner Geburt und deiner Milde werth, stammelte Guido, in heiliger Rührung.

Der Vater umarmte ihn wieder. Nach seinem ersten Siege prüfe ihn der Völkerrath, und erkläre ihn zum Erben des Kaiserthrons, denn ich will fortan des hohen Alters Sorge mit ihm theilen, sprach er.

Neuer freudiger Zuruf! Doch — wenn Guidos Augen das Entzücken so vieler neuerwachten Gefühle verkündeten, so überzog ein Dunkel seine Stirn, das Jedermann wahrnahm, allein Niemand zu erklären wußte.

Auch der Kaiser fand dies plötzliche Versinken in nachdenkenden Ernst räthselhaft. Schnell aber fing er an: Ich errathe ihn. Er ließ den edlen Gelino am Pol, wie mein Vertrauter erfuhr. So lange vertrat mich der Greis beim Sohn. Liebe weint dem zweiten Vater nach. Der Staat verdankt ihm die Bildung seines künftigen Oberhaupts. Mehr als Siege gilt dies Verdienst. Sucht den Leichnam, baut ihm ein Grab, das die Nachwelt ehre!

O, fiel Guido ein, sein Grab bleibe dort. Die Natur baute ihm selbst einen Obelisk. Doch sein Standbild last uns daneben erhöhn, wo Newtons Denkmal steht.

Gewährt, mein Sohn! rief der Kaiser, und was du sonst bitten willst, deine Liebe vertraue mir.

Ha mein Vater! entgegnete Guido feurig und heiter, nach meiner ersten Schlacht, ergreif ich deine Hand, dich an dies Wort mahnend.

Wohlan, sprach der Kaiser.

Man verließ das Strategion. Guido empfing die Feldherrnumgebung, hing noch mit dem schönen Ungestüm neuempfundener Kindesliebe, an der Brust des klagenden Vaters, und riß sich dann männlich weg, der Stimme des Ruhmes zu folgen.

Wehmuth, tiefe Wehmuth im Herzen mußte er bekämpfen, bei allem Glück der Hoheit, das ihn überrascht hatte. Ach, sagte er sich oft unterwegs, den Feind überwinde ich wohl, doch mich, wie mich, wenn es den Streit gilt, den ich unglückselig fürchte.

Das Heer in Kalabrien nahm ihn mit jauchzendem Beifallgetöse auf. O hätte uns Guido in Afrika geführt, rief alles, wir feierten Triumphe wo wir gebeugte Ueberwundene seufzen!

Doch ein neuer Muth beseelt die Krieger. Freudig nahm man die neuen Anordnungen auf, ihre Weisheit bewundernd. Guido ließ keinen Augenblick ohne Thätigkeit entfliehn. Jedem alten Gebrechen ward abgeholfen. Begeisterung strömte in jede Brust.

Dann eilte er zur Flotte, die man ausgebessert hatte und gab Befehl die Truppen einzuschiffen. Nicht weit von Palermos Vorland traf man auf den Feind, der mit neuer Ueberlegenheit heranzog, in Hoffnung, selbst Italiens Gestade zu betreten.

Der große Kampf begann. Reiche Ernten hielt der Tod an beiden Seiten. Mit Götterkraft leitete der jugendliche Feldherr. Seine erfundene Vorrichtung, noch jetzt vervollkommnet, brachte jedesmal Erfolg, wenn man einem feindlichen Schiffe nahen konnte. Und das geschah oft, denn trotz dem Flammenregen von Oben, trotz der Taucher Heimtücke in den Wogen, trotz dem todbringenden Donner der Batterien, gegen welche die Kunst sich mit weiser Besonnenheit vertheidigte, drang man desto kühner an, nachdem Guidos Fahrzeug das erste leuchtende Beispiel gegeben hatte.

Viele Galleonen der Afrikaner lagen im Meere, ihre Linie war durchbrochen, die hartnäckige Abwehr auf den Flügeln überwältigt, der feindliche Feldherr den Heldentod gestorben. Der Nachfolger jedoch gab über das eindringende Entsetzen die Hoffnung auf, wollte den Ueberrest retten und ließ die Signale zum Rückzug wehen.

Einige Schiffe folgten, andere, deren Mannschafft zwischen Tod und Sieg wählen wollte, nicht. Desto mehr Vortheil für die Europäer in jener Uneinigkeit. Viele wurden umschlossen und mußten, da dennoch kein Ausgang zu finden war, und sie ein Fahrzeug nach dem andern in die Wogen versenkt sahen, sich ergeben.

Guido ließ sie nach Neapel bringen, sandte eine Abtheilung gegen Sizilien, das Eiland vom Feinde zu reinigen und gab ihrem Anführer mit heißklopfendem Herzen auf, von Athania und ihrer Pflegebefohlnen Kunde einzuziehn.

Dann folgte er den Flüchtigen eilig. Manche davon fanden ihr Verderben noch vor der Heimath. Die anderen kamen ans Gestade und stellten sich in festen Verschanzungen auf, eine Landung abzuschlagen.

Guido kannte den Werth der Minute. Jene hatten sich noch nicht entwickeln können, da sprang er schon mit Tausenden von Tapfern an die Küsten und stürmte ihre Wälle. Die Minire wühlten erst Gräber, als die schnelle Kühnheit schon über sie hinaus gedrungen war. Bald waren auch Guidos Reuter auf dem Boden und bahnten sich Wege. Seine Luftkrieger trugen den Preis über ihre Gegner davon, weil sie sich eines von ihrem Feldherrn ersonnenen Geschosses bedienten, das jene noch nicht kannten. Bald war die Verwirrung unter den Afrikanern allgemein, sie mußten eine andere Stellung suchen, und das europäische Heer ward vollend ausgeschifft.

Guido, zweimal, doch nur leicht verwundet, ordnete eine zweite Schlacht, die mit Anbruch des folgenden Tages begann. Die Afrikaner hetzten angelehrte Tiger und Löwen in die Reihen, Guidos Schützen erlegten sie lachend. Tausende von Elephanten, in Harnische gekleidet, auf ihren Rücken kleine Kastelle, donnerten daher über den Boden. Sie waren dem Heere aus Neu-Karthago zu Hülfe gesandt. Guidos Batterien standen so vortheilhaft, seine großen Röhre wurden so gut bedient, daß die Ungeheuer bald den Sand mit ihren Kadavern deckten. Leichte Schützen bedienten sich ihrer als Wälle, und trafen, mittelst der von Guido erfundenen Gläser, ungesehen ihren Feind. Dichte Negerschaaren, wuthtrunken durch Opium und ein mit vorüberfliehender Tollheit füllendes Kraut, drangen gleich schwarzen Hagelwolken daher und überzogen den Boden der hellen Gefilde mit Nacht. Bald schwieg ihr Mordruf und Blutströme rannen zwischen den dunkeln Leichnamen hin.

Guido bestieg eine Luftgondel, aus der Höhe den Streit zu überblicken. Zeichen lenkten den Fortgang. Plan, Technik, Zeitgeist überwogen hier, dort die Zahl, die Tapferkeit drückte mit gleicher Schwere auf die Waage. Doch entschied der Genius endlich, die Afrikaner flohen.

Guido ertheilte seine Befehle, zu kluger, nachdrücklicher Verfolgung, und besah den Graus der Wahlstäte. Nicht, wie vordem einst, durchglühten ihn die Sieggefühle mit Entzücken, schwermüthig sann er über die verderblichen Leidenschaften, welche Völker anreitzen, sich zu erschlagen. O, wann wird das enden! rief er, wann die Fahne des Friedens wehn, auf allen Hainen und Auen, Brudersinn die Zwietracht ewig verbannen! Das einsame Jahr dort am Pol, ihn abscheidend von Sinnenwahn und Täuschung, hatte sein Gemüth noch mehr in Einklang mit der besseren Weltmoral gebracht, die Inis reine Brust athmete. Ging er auch noch mit frohem Heldenfeuer in den Kampf, sank nun dennoch eine Thräne auf seinen Lorbeer, und alle Triumphjubel, alle Glückwünsche konnten ihn nicht erheitern. Er ordnete übrigens den Krieg wie zuvor, und sandte abermal nach Rom Meldung; denn schon nach dem Siege auf den Fluten war es geschehen.

Er empfing auch Nachrichten aus Sizilien. Das Eiland war genommen, die meisten Truppen der Gegner dort gefangen, doch die Frage, welche sein Herz so nahe anging, blieb ohne Auskunft. Man hatte von Athania seit länger als einem Jahre nichts auf Sizilien vernommen.

O Geliebte! seufzte Guido, so lange Zeit verstrich, ohne daß ein Brief mich gesucht hätte. Solltest du die Feindschaft deines Vaterlandes theilen, und den Jüngling vergessen wollen, der, ein Europäer, Afrika bekriegen muß? Dies wäre grausam, grausam!

Aber wenn auch deine Liebe noch fortglüht, wenn sie höher als das Leben der Phantasie emporflammt, was wird aus dem Kaisersohn werden? Die Schlacht ist gewonnen, aber darf er auch mit diesem Flehn dem Vater nahn? Wird sein frostig Alter die Hoheit meiner Liebe fassen? Wird er nicht zürnen, daß in des Helden Brust eine andere Leidenschaft, als die für den Ruhm glühte? Wird er nicht fordern, daß ich eine Gattin aus den hohen Geschlechtern erkiese? Doch muß ich ihm das Herz offenbaren.

Der Feind zog weiter ins Land; Guido gewann Freiheit, Neu-Karthago, die stolze Wetteifrerin mit jener Stadt im tiefen Alterthum, der sie Namen und Standpunkt abborgte, zu belagern. Der Hof hatte sich jedoch schon fliehend entfernt, den Weg zu einer anderen großen Hauptstadt im Innern von Afrika genommen. Diese lag an den Quellen des Senegal, war aber noch weit von der Vollendung entfernt, welche man ihr zu geben dachte.

Es wird hier nöthig, die Geschichte dieses Erdtheils in den letzten Jahrhunderten nachzuholen.

Gegen das Ende des neunzehnten waren es endlich die Europäer müde, Hohn und Schmach von den Staaten Marokko u. s. w. zu dulden. Ein Heer setzte nach Algier über, nahm diese Stadt ein, zertrümmerte die Regierungen von Tunis, Tripoli, und breitete sich nach und nach von einer Seite bis Egipten, von der anderen bis Zanhaga aus. So wurde der gesammte Norden von Afrika eine europäische Kolonie, wohin große Auswanderungen geschahen. Die Kultur blühte auf, Neu-Karthago wurde gegründet. Man untersuchte das immer noch unbekannt gebliebene Innere. Doch vermochten die neckenden Streifereien der Sultane von Darfur und Borun, die Anfälle der schwarzen Nazionen von Gago, Tombut, Bombakoo, die Unsicherheit der südlichsten Wohnplätze, immerfort Krieg zu führen, und vertheidigend eroberte die bessere Kunst. Nach Hundert Jahren gehorsamte halb Afrika.

Die Schwierigkeit, das große Ganze zu überblicken, machte, daß glückliche Heerführer Königreiche empfingen, wiewohl abhängig vom Mutterstaat. Mancher Zwist unter ihnen selbst, der Stolz auf die Gesammtkraft, die meergetrennte Lage, brachten sie aber zuletzt auf den Entschluß, ihr Verhältniß von dem europäischen zu trennen, und selbst einen Kaiser zu wählen. Vergebens kriegte Europa, sie behaupteten ihre neue und allerdings kluge Verfassung, um so mehr, als die aufgeklärteren Männer unter ihren Gegnern ihr selbst Beifall gaben. In dem folgenden Frieden breitete sich aber die Herrschaft der Christen in Afrika noch weiter aus, und gegen das Ende des ein und zwanzigsten Jahrhunderts, gehörte, bis zum Vorland der guten Hoffnung, alles unter die Obergewalt des Kaisers.

Er fiel in einer Schlacht gegen die Völker von Monomotopa, und seine Gemahlin, reich an Geist und Herz, leitete bei ihrer Tochter Minderjährigkeit die Staatgeschäfte weislich, und suchte die noch wilden Sitten der farbigen Nazionen in Einklang mit jenen der Ankömmlinge zu bringen, was auch, obwohl langsam, gelang.

Doch Europa forderte Entschädigungen, welche man versagte, politische Besorgnisse, das neue Reich könne zu furchtbar werden, traten hinzu, und jener Krieg, von welchem oben die Rede war, entspann sich. Hegte schon diese andere Semiramis milde Gesinnungen, war gleich der Kaiser von Europa moralisch genug, die blutige Fehde zu verdammen, wollte sich einmal nicht alles gütlich ausgleichen lassen, man mußte die Waffen um Entscheidung anrufen. —

Zu Guido zurück. Er belagerte Neu-Karthago mit aller schrecklichen Kunst. Die Vertheidigung stellte sich jedoch eben so gewaltig entgegen, und manche Woche verstrich, ehe ein Theil die Meinung schöpfen konnte, er habe Vortheile über den andern errungen.

Unterdessen fiel der Kaiserin bei, der Krieg ließe sich vielleicht, ohne weitere, die Menschheit entehrende, Gräuel enden. Sie hatte eine Tochter, Ottona genannt, schön, liebenswürdig, und in herrlicher Bildung erzogen, theils durch fremde, kluggeleitete Sorge, theils durch die Natur ihrer holden Eigenthümlichkeit, die sich an den Künsten himmlisch entfaltete. Sie sprach zu Ottona: Titus, des feindlichen Kaisers Sohn — er führte jetzt den Namen Guido nicht mehr — wird gepriesen, wir fühlen die Gewalt seiner Talente. Die Erziehung fern vom Throne, hat auch bei ihm sich bewährt. Wenn ich ein Eheband mit diesem Thronerben und dir, meine Tochter, knüpfen könnte, wäre der Menschheit vielleicht geholfen.

Ottona sank bleich an ihrer Mutter nieder. Befiel dich plötzlich Krankheit? fragte jene bebend, und rief um Hülfe. Nach einiger Zeit erholte sich die Tochter aber, und hörte ergeben zu, da die Kaiserin fortfuhr:

Einen Sohn besitze ich nicht, der Streit um unsere Kaiserkrone kann einst Unheil bringen. Europa hat Asien zu fürchten, auch Afrika; denn Asien enthält eine Menschenzahl, wie diese beiden Erdtheile, nachdem jüngsthin China und Japan überwältigt wurden.

Doch, wenn Europa und Afrika sich vereinen, wenn ein Völkergericht über beide monarchische Republiken waltet, und beider Heere eine Obergewalt lenkt, dann stehen wir im Gleichgewicht gegen Asien da, nur Unklugheit könnte dann noch je Krieg führen wollen. Amerika hat lange schon auf jeden Angriff verzichtet, und bündet die beiden Halbeilande nur zum Widerstand. Asien wird dann, durch den ganzen Zustand der Dinge von selbst eingeladen, auch seine Boten zu dem großen Tribunal senden, und ein ewiger Friede, der Weisen alter, heiliger, noch nie erfüllter Wunsch, kann seine Palme erhöhn.

Ottona barg ihre Thränen — wußte nichts zu entgegnen.

Entzückt dich etwa das frohe Bild einer solchen Zukunft, der Stolz deiner erhabenen Bestimmung so, daß Freude auf deine Wangen thaut? fragte die Mutter.

Ini bat stammelnd um Zeit — Ruhe, Fassung zu gewinnen, und ward entlassen. Aus der Schönheit ihres Gemüthes erklärte die Kaiserin ihr Betragen, und eilte, einen Brief an ihren Gegner mit dem genannten Vorschlag zu senden.

Der Kaiser von Europa empfing ihn um die nämliche Zeit, als auch ein Schreiben seines Sohnes angelangt war. Es lautete:

Mein erhabener Vater, du wolltest eine Bitte hören, nach meiner ersten siegenden Schlacht. Dreimal hab’ ich deinen Feind überwunden, auch wird bald seine Hauptstadt fallen. Wohl möchte es bereits geschehen sein, wenn ich dem Verlangen der Krieger, einen Sturm zu wagen, nachgegeben hätte. Doch ich erwarte Uebergabe auf Bedingung, damit nicht Kunst und Flor verheert werden, und ich jenes Wüthen der Neger in Sizilien, mit europäischer Großmuth vergelten mag. Aber die Bitte, mir gestattet von hoher Vatermilde, ich nenne sie kühn deinem Herzen. Viel habe ich gerungen mit dem Vorsatz, allein ich bekenne, daß hier meine Kraft am Ende war. Vater, was ich bin, was deine Güte schon an mir lobte, da noch das große Geheimniß mir nicht enthüllt war, ist — Schöpfung der Liebe. Ein Mädchen, von einer unbekannten Herkunft, doch hochgestellt über alle Weiber an Schönheit in Gemüth und Form, erzog mich. Ohne sie würde ich die Tirannei eines siedenden Blutes nicht zu Boden gekämpft haben, ohne sie blieb mein Wissen, mein Empfinden arm, Geist und Herz errangen keine Harmonie, ohne sie schlug ich den stolzen Afrikaner nicht, dem es dann vielleicht in seiner Uebermacht gelang, Italiens heitre Gefilde zu verwüsten. Gestatte mir, Vater, die Göttliche zu suchen, die in Afrika, ach, vielleicht in der Stadt lebt, welche ich jetzt mit Kampf umringe. Menschlich fühlend kannst du dem Geständniß nicht zürnen, wie nur dein Purpur mich freuen kann, wenn ich auch Ini damit schmücke, wie alle meine Kraft, sonst vielleicht geeignet der Völker Zügel sicher zu lenken, am Grabe der Liebe stirbt. Verzeihe — ich mußte flehn!

Der Thronerbe harrte mit banger Sehnsucht den Eilboten entgegen, die jeden Tag, in den Höhen von Rom daher flogen. Als, der Zeit nach, Antwort auf sein Schreiben anlangen konnte, verwunderte ihn seltsam der Befehl, sogleich die Belagerung einzustellen, und in Eile an den Kaiserhof zu kommen. Er sollte das Heer einem andern Feldherrn vertrauen, und dem Feinde überall Waffenruhe gönnen.

Das letzte schien, nach den Umständen, nicht weise, mächtige Verstärkungen konnten aus dem Innern von Afrika nahen, doch, der treue Sohn gehorsamte.

Wunderbare Ahnungen durchbebten seine Brust, da er nun die Luftgondel bestieg, über das Meer nach Rom zu eilen.

Dort angelangt, fand er den Völkerrath versammelt, den der Kaiser beschieden hatte. Er mußte gleich dort erscheinen. Der Vater sprach ihn nicht zuvor, besuchte jedoch mit zahlreichem Gefolge den Tempel der Unsterblichkeit, in welchen jene Männer sich eingefunden hatten. Denn hier sollte, der erhabneren Feierlichkeit willen, der junge Cäsar seine Prüfung bestehn.

Zum Erstenmal betrat er dies Heiligthum. Nicht aus Granit, nicht aus Marmor bestand der Tempel, diese Stoffe schienen seinem Urheber zu wenig dauerhaft. Eherne Quadern, durch Gluten verschmolzen, bildeten die dicke Mauer, die weit gesprengte Wölbung der ungeheuren Rotunde, noch von Erzsäulen aus einem Guß getragen. Mosaik von edlen Steingattungen, für die Ewigkeit dargestellt, Thaten meldende Inschriften, Namen, die in flammenden Buchstaben glänzten, prangten da; groß war aber der noch leere Raum. In die gleichfalls ehernen Kellergewölbe hinab, leiteten Stufen. Unten befanden sich die Gräber mit Aschenkrügen.

Der Vorsitzer des hohen Rathes winkte den Kaisersohn zu sich.

Dein Vater will die Herrschaft mit dir theilen. Heldenthum bewährte schon den würdigen Feldherrn; wohnt in dir aber auch Kraft, die Völker zu lenken?

Guido hätte, einen Augenblick früher, in den trüben Besorgnissen um seine Liebe, durch des Vaters Schweigen über ihn gebracht, wanken dürfen an der großen Frage — ach, ohne Ini flog sein Genius keine Sonnenbahnen — doch, ein schauernder Blick, in diesem Tempel umher geworfen, ermannte ihn zur feurigen, selbstvertrauenden Antwort.

Er fand Bewunderung, die weiteren gewöhnlichen Fragen lösend, und übergab auch noch Denkschriften, die mögliche Verbesserung der Jugendpflege, des Bürgervereins, in scharfsinnigen Planen entwickelnd. Sie wurden abgelesen, und ihnen Beifall ohne Ausnahme gezollt.

Noch mehr rühmende Anerkennung fand der Entwurf, das Schauspiel mit dem Kultus zu gatten. Edle That sollte auf diese Weise versinnlicht an den Blicken der Menge vorüber, und jeder Religionsfeier voran, gehn.

Am meisten jedoch ein Sistem der Schönheitmoral, bei deren befremdenden Sätzen und einer ganz neuen Formenlehre, die Väter nicht nur den ganzen Tag hindurch prüfend weilten, sondern auch die ersten Künstler und denkendsten Köpfe in Rom herbeiluden, mit ihnen Rath zu pflegen.

Dies Sistem gab in seiner Darstellung die Zeichen an, nach welchen der Einklang zwischen Geist und Gemüth, die Achtung für die Gesellschaft, die Uebereinstimmung mit den Aufgaben der Tugend, die Fertigkeit im richtigen Empfinden des Guten und Edlen, die Kraft zu Entsagungen; die dem inneren Menschen entweder mangelten, oder ihn adelten, am äußeren erkennbar wären. Dann folgte eine Theorie der Moral. Sie wollte, daß jedem Jüngling, jedem Mädchen in der Republik, gegen die Zeit der blühenden Entwicklung höherer Kräfte, ein Ideal nach seiner Anlage gefertigt würde. Ein Vorbild der Schönheit, vom Maler, die möglichst hohe innere Schönheit des Individuums berechnend, nach den klaren Grundsätzen der Lehre, sichtbar gefertigt. Dies müßte herrlicher wirken, als Gesetz, Beispiel und Religion, wenn die Achtung, die Liebe, die Freundschaft, die Aufnahme in den Bürgerkreis, die Bekleidung mit einem Amt, immer an einen Vergleich des Ideals mit der Wirklichkeit hingen, behauptete Guidos Denkschrift. Denn nun könne die innere Unvollkommenheit sich nicht mehr bergen, die Abwesenheit des Strebens zum Ziel der Schönheit, würde sich in mißgestalteten Zügen strafend verkündigen, und in gelungener Annäherung die Lohnwürdigkeit sich offenbaren. Je bekannter, je verbreiteter das Sistem wäre, je weniger müsse die Gesellschaft, ohnehin schon bedeutend vom Widerstand sinnlichen Unfugs gereinigt, noch davon zu fürchten haben.

Nach langem Berathen hub der Vorsitzer an: Ist dein Sistem richtig, so hast du der Menschheit ein Geschenk ertheilt, wie sie es seit Jahrhunderten nicht empfing, wie kein Religionstifter es zu geben vermochte.

So danke sie es der Liebe! rief Guido flammend.

Der Vorsitzer schien dies Wort nicht gehört zu haben, sondern fuhr fort: Wohl, erhabener Jüngling, gebührt dir, eine Schönheitmoral zu predigen, denn noch keinen Jüngling, von so bezaubernden Formen, erblickten wir.

Wir alle nicht! tönte der einmüthige Ausruf.

Guido senkte die Augen nieder.

Hast du, fing der Kaiser, der bisher nur geringen Antheil genommen hatte, nun an, dich auch nach einem Ideal gebildet?

Der Sohn zog es aus dem Busen. Es ging im Kreise umher. Entzückt hingen die Blicke wechselnd an dem schönen Gemälde und an dem schönen Jüngling. Eine Thräne freudiger Bewunderung sank von der Wange des Kaisers nieder, denn wohl dachte er der Gestalt des Sohnes vor drei Jahren, und faßte kaum die so hoch gereifte Liebenswürdigkeit.

Indem aber die Künstler vergleichend fortfuhren, das todte Muster und seine lebende Nachahmung zu prüfen, behaupteten sie: Nicht ganz, nur beinahe ward das Ideal erreicht. Noch irgend ein geringes Etwas, das wir nicht zu nennen vermögen, irgend ein vollendender Zug fehlt noch.

Dieser Meinung traten alle bei, auch der Kaiser. Letzterer fragte: Welcher Maler entwarf dein Urbild?

Guido rief: Kein Maler! Die Liebe! Ein Mädchen, unendlich schöner noch durch eigenen Geistes Streben. O Vater! ihre Hand war der Preis meines Ringens, soll er mir grausam entzogen werden?

Er sank vor ihm nieder. Die flehende Geberde sprach nur noch, sprach zu den Greisen im Rath, Fürworte erbittend, als der Monarch ernst und düster schwieg.

Diese fanden des Jünglings Wunsch gerecht. Lohn der Liebe, meinten sie, müsse das große Geschenk für die Menschheit, ihr eigen Werk, vergelten. Guido hatte auch die Schönheit seiner Geliebten gepriesen. Wer konnte sie auch bezweifeln? Von diesem sich entsprechenden Paar, hoffte man eine edle Nachkommenschaft der Cäsare. Man drang in den Alten.

Er entgegnete strenge: Hier waltet mein Vaterrecht, nicht der Staat! Keineswegs mein Sohn, hast du dein Ideal errungen, alle räumen den fehlenden Zug ein. Der Preis gebührt dir also nicht. Doch entsage, entsage dem Preis, und dieser Sieg innerer Hoheit wird den Mangel füllen.

Guido bebte starr und bleich. Ausdruck von Unwillen ward auf jedem Angesicht kund.

Sanfter nahm der Monarch wieder das Wort. Glaube mein Sohn, auch mir hat es einen schweren Kampf gegolten, dir den Lohn der Liebe zu versagen. Doch ich weiche mit blutendem Herzen der Nothwendigkeit. Ewiger Friede kann durch dich über die Menschheit aufblühn.

Bei den Worten ewiger Friede flammten der Väter Wangen. Guido starrte noch zum Boden nieder.

Die Kaiserin von Afrika will dir ihre Tochter vermählen. Lies alles auf diesem Blatte, und juble dem Rufe des Schicksals entgegen. Auch Ottona ist schön, wahrlich nimmer sah ich so verklärte Anmuth, blicke auf dies Bild, von der Mutter dir gesandt.

Die Schmach der Treulosigkeit, in den Donnerworten enthalten, machte, daß Guido sein Auge verächtlich von dem Gemälde lenkte. Es fiel auf die feurige Inschrift am Hochaltar: Unsterblichkeit.

Er stand auf, mied stolz die Versammlung, und rief die Worte zurück: Kommt nach drei Tagen wieder, dann sage ich euch, ob ich um der Menschheit willen ohne Ini leben kann.

Kein Freund mehr, an dessen Busen er weinen konnte. Allein schweifte er umher auf den Gassen von Rom, sah bald diese bald jene Denkmale der alten Zeit, herrlich die Erinnerung mahnend. O Curtius, du gabst nur das Leben, nicht die Liebe auf, armer Szävola der der Tugend nur eine Hand darbrachte, strenger Luzius Junius Brutus, eine Ini hättest du nicht hingegeben!

Er kehrt nicht in den Pallast zurück, lief hinaus in die Gefilde, achtete nicht auf das wilde Ungewitter das die Pinien um ihn zersplitterte, aber dennoch nicht tobte, wie die Stürme in seiner Brust. Endlich um Mitternacht langte er vor einer Katakombe an, drang in ihre schaurigen Gänge, ähnlich der Farbe seines Jammers. Abgemattet von innerer Pein fiel er auf den Boden hin, rief den Schlummer, ihn nicht mit kurzem Tod, mit ewigen Tod zu umfangen. Der Schlummer nahte nicht. Guido sprach Verwünschungen gegen ihn, gegen seine unglücklich hohe Geburt, gegen den tirannischen Vater, gegen das Traumbild am Nordpol aus, das ihm lügend Wiedersehn zusagte und zu leben bewog. O warum starb ich dort nicht, wimmerte er.

Zuletzt hatten sich die Kräfte entspannt, ein tiefer Schlaf rettete den Dulder vor längerer Qual der Selbstkämpfe. In diesem Schlaf wähnte die noch thätige Einbildung, Gelino, den verstorbenen Lehrer zu sehn, wie er einen strafenden Blick auf ihn warf, und wieder verschwand. Dieser Blick prägte sich tief in des Jünglings Gemüth, er sah ihn immer, noch am Morgen erwacht, und auf den Gefilden ohne Zweck wandelnd. Eine marternde Angst jagte ihn, in jedem Thale richtete er den Blick empor und glaubte immer das Traumgesicht in den Wolken wieder zu finden, von jedem Hügel sah er Rom und den sich erhebenden Tempel der Unsterblichkeit, dessen Anblick auch ein Strafgericht über ihn verhing. So trieb er es. —

Der Kaiser ließ ihn besorgt suchen, man fand ihn nicht. So ging es am zweiten, am dritten Tag, die Versammlung harrte bereits unruhig, gespannt, Schlimmes fürchtend.

Da trat Guido in den Tempel. Bleich, überwacht, verstört, doch eine unbeschreibliche Hoheit in Blick und Geberde, eine Harmonie, einen Zauber in der Gestalt, die man jüngst nicht an ihn wahrgenommen hatte, und Jeden mit der Ueberzeugung durchdrang — nun sei das Ideal erreicht!

Man errieht schon was er sagen wollte. Beifalljubel von allen Lippen und Händen, von denen des Tempels eherne Mauern und Denkmale tönend wiederhallten, priesen in voraus.

Oft gab der Kaiser das Zeichen zu schweigen, umsonst, nur spät konnte er vernehmlich fragen: Dein Kampf siegte, du wählst Ottona?

Um die Menschheit, antwortete Guido. Neuer Beifall, Beschluß des Rathes, ihn zum Thronerben, zum Mitkaiser würdig zu erklären.

Guido hörte das betäubt, war sehr gleichgültig, als eine Kaiserkrone, mit einem grünen Lorbeer umflochten, auf sein Haupt gesetzt wurde, ein Purpur an seinen Schultern hing, und das alle Straßen überfüllende Volk, da er im Prachtzug nach der Cäsarenwohnung kehrte, dem neuen Monarchen, dem Sieger in Afrika, dem Sieger über sich, dem Friedengeber der Menschheit, Glück zurief! —

Alle Gefangenen, alle Schiffe und Waffen wurden eilig nach Karthago zurück gesandt, die europäischen Truppen nach Italien gerufen.

Guido schickte heimlich einen Eilboten an Ottona, ließ ihr entbieten: den Thränen der flehenden Menschheit gehorsam, bringe er ihr nächstens seine Hand, doch — ein Herz habe er nicht mehr zu vergeben. —

Unterdessen traf man in Rom Anstalten zu seiner Reise nach Karthago. Sie sollte mit der höchsten Pracht vollzogen werden, der Vater wollte den Sohn begleiten.

Kurz zuvor ehe man aufbrach, kam der Eilbote zurück. Er schwärmte in dem Bilde, das er von Ottona entwarf. Guido gebot, darüber hinzugehn. Jener berichtete: Die Kaisertochter habe sich der Kunde erfreut, denn auch sie könne nur Fügung in das Schicksal, doch keine Liebe verheißen. Wohl mir, seufzte Guido.

Man trat den Weg an. Vor Karthago, wohin der afrikanische Hof zurückgekehrt war, standen alle Gefangenen, fand Guido alle eroberten Trophäen, im Hafen wehten die Flaggen der Schiffe, die er jüngst den Afrikanern genommen. Er staunte. Die Männer aus dem Strategion dort, ihm entgegen gekommen, sagten: Dein Vater hat dir in Rom keinen Triumph über Afrika bereitet, so will es die Kaiserin selbst thun.

Umsonst verbat der Held. Alle glorreiche Zeichen seiner Siege gingen voran im glänzendsten Zuge, zum Tempel, dem herrlichsten der Stadt, nun dem ewigen Frieden geweiht. Hier am Hochaltar erwartete die Kaiserin den Eidam, neben sich Ottona in einen Schleier gehüllt und sichtbar bebend. Die Vornehmen, durch Guidos Anblick getroffen, sanken vor ihm nieder in Huldigung.

Eben an diesem Tage begann das zwei und zwanzigste Jahrhundert.

Bescheiden nahte Guido dem Altar. Die hohe Mutter trat ihm entgegen, Freudenthränen auf der Wange. Hier, sprach sie, junger Cäsar, Oberherr von Europa und Afrika, empfange meine Tochter. Sie hob den Schleier von Ottonas Antlitz. Guidos tiefgesenkter Blick vermochte nicht aufzusehn. Nur der Ruf einer wohlbekannten himmelvollen Stimme weckte seine Betäubung!

Er sah auf die Braut — — O Himmel!

Ottona war Ini — verklärt gestaltet wie ihr Ideal. — Bei Athania hatte die weise Fürstin sie erziehen lassen.

 

Ende.

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