Fünftes Büchlein.

Guidos Einsamkeit.

So war er denn verlassen, am Eispol verlassen, in tiefer, grimmiger Nacht; um ihn die Oede der kalten Wüstenei, nichts ihm winkend, als Tod. Grausame Gefährten!

Ach! rief er aus, noch hab’ ich selten mit dem Schicksal gekämpft. Mein Leben lächelte froh, die Kriegsgefahr nahte blos, mich mit edlem Ruhm zu schmücken, die Liebe erhob mich über das Leben; doch nun, nun schlagen die Gewitter desto zorniger über mich zusammen. Hier retten nicht Muth noch Kraft, hier muß ich enden! o Ini, Ini!

Doch sollte abermal ein Dolch in das gequälte Herz sinken. Indem er seine Klagen laut hinausweinte in die starre Luft, um den Schlitten irrend die Hände blutig rang, sah er in einiger Entfernung einen dunkeln Strich auf dem lichten Schnee, er nahte, es war eine menschliche Gestalt er kam hinan — es war Gelinos Leichnam!

Er sank daran nieder in wildem Ungestüm, über den neuen Schmerz den alten Jammer vergessend, küßte das kalte Antlitz mit heißen Thränen, dann riß er den Körper auf, lud ihn auf die Schulter, trug ihn an den Ofen des Schlittens, hoffte noch Leben in ihm zu wecken.

Wie man denken mag, war dies Streben eitel, auch kein Sturm der Klagen rüttelte den Todten auf. Doch mochte die traurige Auffindung glücklich für Guido sein, die regsame Mühe gab seinem doppelt schreckenerstarrten Blute wieder Umlauf und zerstreute den Blick auf sein Elend, auch sah er zu dem Feuer im Ofen, das er vielleicht sonst hätte erlöschen lassen.

Mit einem Schlummer aus Entkräftung mußte dies Treiben zu Ende gehn. Neben dem Entseelten, den Arm um ihn geschlungen, unter den nämlichen Fellen womit jener bedeckt war, schlief Guido fest ein.

Da ging ein Traumgesicht an seiner inneren Welt vorüber. Ini, noch von höherer Schönheit umstrahlt, als neulich in dem Zaubergarten, trat aus einer Rosenwolke zu ihm, nahm seine Hand und lispelte mit himmelvollem Laut: „Den Starken prüfe schweres Leid. Weise forsche er in der reichen Kraft, sie birgt Hülfe. Wir sehn uns wieder!“ Hier trat sie in die Wolke zurück, die sie dicht umhüllte und nach dem fernen Horizont zog, sich weit als eine lichte Morgenröthe verbreitend. Ueber diese Morgenröthe ging dann die Sonne auf, die Schneegefilde wichen ihr plötzlich, und ein lieblicher Frühling blühte. Von dem duftendsten Baume sang eine Nachtigall in dem Idiom der Melodie: „Wir sehn uns wieder,“ und Guido erwachte.

Ihm war, als ob er die Berührung der leisen Geisterhand noch fühle, als ob sie neues Leben durch alle seine Adern gegossen hätte. Er sprang auf, eilte hinaus. „Wir sehn uns wieder,“ umtönte es noch den getäuschten Sinn überall, von den leuchtenden Felsgipfeln schien ein Echo es zu wiederholen. Ja! rief er fröhlich, ich will mich kämpfend ermannen gegen mein Elend, du, heilige Göttin! giebst mir Stärke.

Er sann nach. Nicht unmöglich war es ja, daß andere Reisende noch ankämen, und ihn zu den Wohnungen der Menschen brächten, er mußte sich erhalten, daß in diesem Fall sie ihn lebend fänden.

Der Schlitten ward untersucht, nachdem des Greises Hülle hinausgetragen war. Lebensmittel? Ja, dürftig, auf die Zeit eines Monats etwa. Auch Feuerung. Langte bis dahin ein Retter an, war das Leben zu fristen. Also muthig.

Er ging so sparsam mit seinem Vorrath um, als es nur sein konnte, gab sich wechselnd Bewegung im Freien, und erwärmte die Glieder. Der Gedanke an seinen Traum war ein Balsam. Er kam sich oft vor, wie eine Mumie, die dieser Balsam vor Zerstörung bewahrte.

Es war um Neujahr, als der Eremit verlassen worden, der traurige Monat schwand bald hin, noch mangelte ihm aber nichts, so kärglich hatte er gewaltet. Aber auch kein Wanderer nahte. Wozu jedoch den Trost der Hoffnung aufgeben? „Wir sehn uns wieder,“ hatte das Traumgesicht verkündet.

Noch ein Monat floh hin, nun war keine Speise mehr vorhanden. Nun glaubte er das Gespenst des Todes schon zu sehn. Wo wir nicht mehr sterben, sagte er sich, dort seh ich Ini wieder. Doch sein Auge fiel auf den Eisbären am Schlitten. Daran hatte er noch nicht gedacht. Die Kälte hatte ihn vollkommen erhalten. Freudige Ueberraschung!

Er hieb mit seinem Schwerte ein Glied davon traf Anstalt es zu braten. Herrliche Kost in der Noth! Das Thier war groß. Wirklich konnte er Monate lang davon zehren.

Aber die Feuerung drohte auszugehn. Nur auf wenige Tage noch, nach dem Maaße von dort, wo Tag und Nacht gewöhnlich wechseln, gab es Stoff die kleine Flamme zu unterhalten. Wohlan, Ergebung!

Da wachte Guido einst von einem starken Getöse auf. Was ist das? Er sieht hinaus. Eine hohe Feuersäule. Der nahe Vulkan speit Schlacken-Hagel um ihn, Lava schlängelt sich in Bächen an den Gletscherkuppen, und versinket im geschmolzenen Schnee.

Fürchterlich erhabenes Schauspiel, doch freudebringend dem, der allein vom Feuer Rettung hoffen kann. Warm ist die ganze Luft von der Flammensäule, glühende Schlacken genug, sie auf den Absatz eines Kristalls zu sammeln, und den ganzen Ueberrest des Bären daran genießbar zu machen, der dann weiter weggetragen wird, wo der Schnee nicht mehr an den Gluten zergeht. Eben dies muß mit dem Schlitten, der schon tief einsank, mühevoll geschehen.

Der Vulkan ruht, speit wieder, hört auf. Die Erfahrung belehrt Guido, daß die Schlacken lange fortglühn, im Krater sieht er ungeheuern Vorrath davon. Er darf nichts mehr für sich vom Frost fürchten, doch ach! die Hoffnung auf Reisende kann er nicht länger nähren, schon ist es im März, wer wird sich noch hieher wagen? Auch noch nie hatte ein Sterblicher im Sommer zum Pol dringen können, durch das Treibeis auf dem Meer und überschwemmten Lande abgehalten Zu einer Luftfahrt war es zu weit von bewohnten Ortschaften, man fürchtete den Mangel an Lebensnothwendigkeit.

Nun ich friste das Leben, so lange ich kann, dachte Guido, die Phantasie immer noch mit seinem Traum gefüllt.

Jetzt umschimmerte ihn ein röthlich Licht, das nicht mehr, wie sonst der Nordschein, wich, sondern fortan blieb. Guidos Uhr, welche ihm allein hier den Gang der Zeit sagte, ließ ihn nicht zweifeln, das röthliche Licht sei die Dämmerung des halbjährigen Tages, der über dem Rande der Sphäroide anbrechen wollte, denn die Tag- und Nachtgleiche des Frühlings war da.

Immer mehr Helle, ein glühenderer Schein, der in vier und zwanzig Stunden um den sichtbaren Horizont lief, und an Herrlichkeit zunahm.

„Gewiß, gewiß die Morgenhelle. Ich werde die Sonne noch einmal sehn, und dann sterben.“

Welche Pracht, da endlich die klare Scheibe aus dem fernen Rand emporstieg, wo Aetherblau und Schnee sich schieden, nach jedem Umgang voller, endlich ganz heraus getreten, um nun sechs Monat zu weilen! Guido vergaß in der Trunkenheit des Entzückens, in die Zukunft zu schaun, der Anblick der Gegenwart riß ihn allein hin. Je höher die Sonne stieg, je reitzender wurde auch das bunte Feuerspiel jener bestrahlten Kuppen, die nun ihren Glanz viel heller und in mannichfacheren Farben zurückgaben.

Noch konnte Föbos den Schnee nicht schmelzen, aber die Kälte ließ merklich an Grimm nach. Bald ward aber der Boden feuchter und feuchter, die Gletscher traten mehr hervor. Guido suchte einen breiten Felszacken, den Schlitten und seinen Lebensvorrath hinauf zu retten, denn er befürchtete strömende Flut.

Dies traf auch nach einem Monate ein, wo er denn sehr peinlich auf dem Fels weilen mußte, doch verlief sich das Wasser, und breite Thäler entdeckten sich Guidos Blicken, von brausenden Gießbächen durchwogt.

Er stieg nach und nach am Gletscher nieder, den noch übrigen Vorrath nicht vergessend. Nicht ohne Gefahr, und manche Mühseligkeit duldend, konnte es geschehn. Doch sah er auch, wie die immer scheinende Sonne nun aus der Höhe mit wunderbarer Gewalt die Szenen umwandelte. Kaum waren niedrige erdige Hügel von der Winterdecke befreit, als auch Gras und Kräuter schnell sie deckten, und zu Guidos froher Befremdung Geflügel ohne Zahl sich einfand. Besonders sah er Heere von Eisvögeln, die sich ins hohe Gras bargen, und ihn hoffen ließen, er würde an ihren Eiern neue Nahrung finden, woran es ihm nun entschieden gebrach.

Die Hoffnung betrog den kühnen Ausdaurer nicht. Nest bei Nest ward gefunden, die Eier waren schmackhaft und nährend.

Seines Schlittens freute er nicht mehr. Der stand auf dem Gletscher, der hoch über ihn ragte. Aber es galt auch nicht mehr, sich gegen Kälte zu schirmen, sondern gegen flammende Hitze, die um so drückender war, als der leuchtende Körper, von dem sie niederbrannte, nicht mehr unterging. Guido empfand sogar Krankheitanfälle von dem ungewohnten Wechsel, doch waren auch Klüfte in den Thälern vorhanden, wohin er sich bergen konnte, und er säumte auch nicht, sie dicht mit Gras zu überdachen. Zudem badete er oft in den kalten Gießbächen, oder flüchtete hinter Gletscher, über welche auch der anhaltende Sonnenschein nichts vermochte. Uebrigens hielt die Witterung den gleichmäßigsten Schritt. Stürme gab es an der Achse nicht, weil nur der Umschwung des Erdballs sie erzeugen kann. Auch kein Regen sank nach dem Frühling mehr nieder, klar blieb der Aether.

Nun entwarf Guido einen Plan für die Folge. Ohne Zweifel, sagte er sich, langen im nächsten Winter Reisende an, gelingt es mir, mich bis dahin zu erhalten, bin ich nicht verloren; also, neuen Muth!

Er suchte von den Vogeleiern eine beträchtliche Menge zusammen, und trug sie an jenen Gletscher hinauf, so weit er jetzt gelangen konnte. In Vertiefungen, wohin die Sonne nicht drang, meinte er, würden sie dauern. Späterhin fand er junge Vögel in eben solcher Zahl, tödtete sie und grub sie in den Schnee tiefer Hölen, der nicht zerging. Manche wohlschmeckende Kräuter und Wurzeln wurden dazu gelegt. Gras schnitt er fleißig ab, breitete es auf den Boden. Gedörrt sollte es ihm einst zur Feuerung dienen.

Bald hatte er von dem allen so viel gesammelt, daß er mit Zuversicht in den nächsten Winter blicken konnte. Betrügt mich dann meine Hoffnung nicht, sagte er zu sich, darf ich es nicht bereuen, das wundervolle Schauspiel eines halbjährigen Tags, der Erste von den Sterblichen, gesehn zu haben.

Nach gesammeltem Vorrath, gab er sich naturkundigen Untersuchungen hin, entdeckte viel, wovon die Gelehrsamkeit noch nichts wußte, schrieb das Hauptsächliche seiner Bemerkungen, so gut es gehn wollte, auf der Innenseite eines Fells mit Kohlen von Wurzeln nieder, und erwartete sehnlich das Spätjahr, da die Sonne schon merklich sank.

Nach grade fielen die aufgestiegenen Dünste in Regen, dann in Reifgestalt nieder; die Zugvögel hatten sich entfernt. Schauderhafter wurde die Einsamkeit, da alles Leben schwieg. Die Kälte nahm merklich überhand, indem die rötheren Sonnenstrahlen immer schwächer die Luft durchwärmten, und ehe sie noch ganz untergegangen waren, verhüllte schon der dichte Schneeflor in den Lüften ihren Anblick. Oede war der langen Nacht trauriger Anbruch.

Guido trug seine Vorräthe immer höher; nach jeden Schlummer bemerkte er, wie der weiße Teppich angewachsen war, auch durch den zunehmenden Frost gehärtet. Das Verlangen nach Schlitten und Ofen wurde groß, meistens wärmte er sich nur durch die angestrengte Arbeit, seine Nothwendigkeiten von Zacken zu Zacken des Gletschers tragend, in dem Maaße, als die Schneegebirge die Thäler mehr füllten. Dann zündete er mit seinem Feuerrohr dürres Gras an, und schlummerte.

Endlich nahm die Schneedecke jene alte Höhe wieder ein, Guido war zu seinem Schlitten gekommen, und hatte auch diesen flüchten können, indem er ihn nur immer etwas aus dem letzten Schnee hervorzog. Er war vollgepackt mit Vögeln, Eiern und Wurzeln, anderweitiger Vorrath davon in eine Höhlung des Gletschers, nahe an seiner Spitze, gebracht. Das dürre Gras stand in einer hohen Piramide.

Gelinos Körper fand er nicht mehr. Den Platz auf einer flachen Steppe, wohin ihn der Jüngling neulich schaffte, hatte der Vulkan mit Schlacken und Lava überdeckt, ohne Zweifel ihn so verzehrt. Ein erhaben Grab, in der That! Die Freundschaft konnte ihm daheim es nicht so bereiten.

Nach und nach hörte das Schneien auf, grimmiger bleibender Frost folgte. Mond, Sternenlicht, Meteore, brachten die Erscheinungen des vorigen Jahres abermal hervor. Guido, wohl vertraut mit den feindlichen Umgebungen widerstand ihnen vollkommen. Im Schlitten ging die gute Erwärmung nicht ab, er hatte nicht nur Lebensmittel genug, sondern konnte auch damit wechseln. So harrte seine Sehnsucht der Mitte des Winters entgegen, und wankte die freundliche Hoffnung, richtete ihn die Weissagung des Traumes, an die er schwärmend glaubte, wieder auf.

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