Zweites Büchlein.

Die Reise.

Gelino bemühte sich während dieser Meerfahrt den Zögling in mancherlei ihm noch unbekannten Dingen zu unterrichten. Das Vergnügen der Bequemlichkeiten mancher Art, die Zerstreuungen durch Musik und Bühne, wurden ihm sparsam zugemessen; er mußte dagegen häufig im Kristallthurm weilen, und die Natur unter der Wogenfläche beobachten.

Mit diesem Thurme hatte es folgende Bewandniß.

Er war nur so groß, daß etwa drei oder vier Personen, ein scheidekünstlerischer Apparat und mancherlei Beobachtungsinstrumente darin Raum fanden. Von starken Bohlen viereckig gebaut, mit Seitenfenstern von sehr dickem aber vollkommen durchsichtigem Kristall. Der Boden überaus fest, um bei einem Stoße an Klippen nicht in Trümmern zu fallen. Die Decke an einen dicken, hohlen Metalltau gebunden, der ins Innre lief. Zudem vollkommen gegen den Eindrang der Fluthen gesichert.

Dieser Thurm ward nun ins Meer gelassen, indem er in der Gegend des Steuerruders befestigt blieb. Durch seine Schwere ging er unter. Die Höhlung des Taues setzte die unten befindlichen Personen in den Stand, mittelst eines Sprachrohrs verlangen zu können, ob sie tiefer hinab gesenkt, oder höher hinauf gezogen sein wollten. Die Chemie hatte lange schon die Mittel entdeckt, eine verschlossene Luft durch Reinigen und Erzeugen von Sauerstoff athembar zu erhalten. War das Meer nun nicht in zu lebhafter Bewegung, so konnte man durch die Fenster alles weit um sich entdecken, ja man bediente sich einer Art Lampen vor Hohlspiegeln, um die Tiefe nöthigenfalls noch mehr zu erhellen.

Welche Entdeckungen hatte die Naturkunde seit dieser Erfindung gemacht! Die Welt im Ozean, von der Ehedem so wenig bekannt war, lag nun dem Auge des Forschers offen da.

Furchtbar schien es dem Neuling, im tiefen Gebiet der Nereiden und Tritonen zu hausen, auch nahten manche schlimme Gefahren. Die Meerungeheuer, ergrimmt über den seltsamen Besuch, wütheten bisweilen gegen des Thurmes Fenster und suchten sie zu zerstören. Allein es mangelte auch nicht an Vorkehrungen. Stacheln an den Ecken empfingen sie unfreundlich, so daß sie sich bald auf die Flucht begaben. Auch gab es Fallen mit einem künstlichen Mechanismus, die hie und da einen Seelöwen, einen Haifisch, einen Delphin und andere erst seit dieser Erfindung bekannt gewordene Thiere umklammerten, die denn als eine Beute für die Schiffsküche oder für eine Sammlung von Seltenheiten mit empor gebracht wurden. Bisweilen fanden sich aber zu große Thiere ein, und wenn der Thurm nicht eilig genug zur Höhe gewunden ward, ging er mit seinen Bewohnern verloren.

Neue Steinarten auf dem Meergrunde, Fossilien, andere Gattungen von Perlen und Korallen waren eben sowohl in großer Menge entdeckt worden, als man die Ichtiologie bereichert hatte.

Hier blieb Guido halbe Tage lang, übte den kaltblütigen Sinn in Lebensgefahr und ärntete merkwürdige Kenntnisse. Von dem was er sah und lernte, hielt er ein Tagebuch, brachte das Vorzüglichere davon in einen Auszug und sandte ihn durch mitgenommene Tauben an Ini.

Man gelangte in den Archipelagus. Die meisten Eilande wurden besucht. Sie waren jetzt zum Theil von Hirten bewohnt, die ein dem alten arkadischen ähnliches Leben führten, denn Unschuld und fromme Sitte hatte man einheimisch gemacht; zum Theil aber sahe der Reisende vortreffliche Anstalten zur Bildung von Seeleuten und zum Schiffbau, wozu die Lage einlud.

Guido gesellte sich bisweilen zu den Jünglingen und Mädchen unter den Hirten. Jene trugen gemeinhin an einem Bande ein Sehrohr auf dem Rücken weil sie in klaren Nächten die Beschäftigung ihrer Urväter trieben und die Sternkunde bereicherten. Daneben fertigten sie eine liebliche Art Flöten und begleiteten den Gesang froher Mädchen, deren Hand zugleich ungemein wohltönende Citharen rührte. Wie weit auch diese Musik der Zephirharmonika nachstand, mit welcher Ini ihn bezaubert hatte, fühlte Guido dennoch die Rührung einfacher und tief empfundener Melodien. Natur und harmlose Lebenssitte hatten auch diese Menschen so poetisch gemacht, daß auf Verlangen oder aus eignem Drang, Hirten und Hirtinnen Lied und Harmonien auf der Stelle erfanden und vortrugen, was die Hörer in die Zeiten der Amphion und Homer versetzte. Guido entwarf davon eine anziehende Schilderung und sandte sie Ini.

Das Verlangen Athen bald zu sehen, regte sich nun lebhafter, denn zu viel hatte ihm Gelino davon gesagt. Es wurde auch in kurzem gestillt, man erblickte das alte Vorland Sunium, die Berggipfel Parnes und Brilessus, und lag bald darauf im Hafen Piräus vor Anker.

Gelino unterrichtete ihn im Voraus über die Erscheinungen, welche ihn auf diesem merkwürdigen Erdfleck belehren sollten.

Im achtzehnten Jahrhundert, hub er an, ereignete sich in der Provinz Frankreich jene bekannte Staatsveränderung, welche das Schicksal bestimmt hatte, nach und nach allen Reichen am Erdboden eine neue Gestalt zu geben. Nach langen blutigen Kriegen, die bis tief ins neunzehnte Jahrhundert geführt wurden, kam der größte Theil von Europa unter eine Obergewalt, welche aber die Unterregierung mehrerer Könige feststellte. Man nannte dies Reich, das erneute römisch-abendländische und Rom wurde, wie es jetzt noch ist, der Wohnsitz des Kaisers. Der schwerste Kampf war gegen die Albionen, damals in Schiffahrt und Seekrieg berühmt, welche ungeheure, wenn gleich meistens eingebildete, Reichthümer gehäuft und den gigantischen Entwurf gemacht hatten, die Handlung des ganzen Erdballs an sich zu bringen. Doch nach einer gelungenen Landung flohen die Vornehmen mit ihren klingenden Schätzen nach dem Indien am Ganges, und Calcutta ward die Hauptstadt ihres neuen Reichs. Das Volk blieb verarmt zurück und mußte unter fremder Regierung seinem Kunstfleiß eine andere Richtung geben.

Doch bildete sich neben dem abendländischen Kaiserthume auch ein neues morgenländisches. Einen Cäsar an der Spitze, der sich den griechischen nannte, drangen die Völker des Nordens hervor, mit eisernen Armen, in alt scithischer wilder Kraft und dennoch mit den Künsten der vorhandenen Kultur vertraut. Den Boden des ehemaligen Griechenlands hatten damals die Ottomannen inne, ein kräftig Volk, voll Religion und warmer Phantasie, doch weit zurückgeblieben in den Wissenschaften. Sie mußten bald aus Europa weichen, wo ihr Sultan, durch mehrere Jahrhunderte, auf Constantins Thron gesessen hatte. Allein ihr reizend Gebiet in Europa ward der Zankapfel zwischen den beiden Großmonarchien. Neu-Griechen und Neu-Römer machten ihre Ansprüche darauf mit dem Schwerdte gültig. Eine verheerende Fehde folgte der andern, die Menschheit blutete. Man sah in den lachenden Gegenden nur Ruinen, entvölkerte Wohnplätze, verwüstete Auen. Umsonst mahnte Philosophie der blutenden Menschheit zu schonen. Zu gewaltig fühlten sich die Streitkräfte, zu entflammt waren die ehrgeizigen Gemüther, stolzer gemacht durch bedeutende Erfolge und immer weiter strebend in ungemessenen Entwürfen.

Zuletzt veranstalteten beide Kaiser eine Unterredung zu Constantinopel. Mein muß Europa gehören, sagte der Occidentale, die Natur seiner Gränzen weist mich darauf an, ich ende den Kampf darum nicht und sollte das lebende Geschlecht darin untergehn. Doch nimm dir vom alten Morgenland Roms, das herrliche Klein-Asien, Sirien, dringe zum Euphrat vor, ja bemächtige dich aller Lande, denen einst Cirus gebot. Ich will dir in deinen Eroberungen treulich beistehn. Schon ist dein Asien dem Umfange nach, größer als mein Gebiet, wie viel reichere fruchtbarere Provinzen kannst du ihm noch zugesellen.

Die Kühnheit des Plans gefiel dem Monarchen aus dem Hause Romanow. Da kamen von den Strömen Obi, Lena, Jenisei, von den Seen Aral, Telegul, Baikal, von den Altanischen und Sajanischen Gebirgen streitbare Krieger. Turalinzen, Kirgisen, Teleuten, Abinzen, Tschulimische und Werchotomekische Tatarn strömten über den Kaukasus, Hülfsvölker aus den stolzen Spaniern, den ehrgeizigen Franken, den markigten Germanen, den feurigen Polen, den schlauen Italiern und andern Nationen zusammen gebracht, drangen über die Meerenge von Constantinopel vor oder landeten an den Küsten von Sirien.

Tapfer vertheidigten sich die Anhänger der Religion Muhameds. Doch Uneinigkeit theilte ihre Kraft, sie waren der überlegenen Kunst nicht gewachsen. Zwar kostete es Jahre, mühevoller Anstrengung und das Leben von Hunderttausenden, endlich aber wurden bis zu Mesopotamien hin alle alt-türkischen Besitzungen überschwemmt. Der Schach von Persien kam den Glaubensverwandten zu Hülfe, ward so in die Kriege verflochten und erlag am Ende des neunzehnten Jahrhunderts auch.

Nun ward Ispahan des neuen ungeheuren Staates Mittelpunkt. Man bemühte sich mit Weisheit die Völker zu gewinnen, indem ihnen nach und nach die Wohlthaten der Kultur einleuchtend gemacht, und die verschiedenen Religionen in einen, von Wahn gereinigten, und durch allgemeine Moral veredelten, Kultus vereint wurden.

Bald aber sahe man sich genöthigt neue Kriege im Ost zu beginnen. Die Albionen in Indien waren mächtig geworden. Sie trieben nicht nur in allen Gewässern zwischen Madagaskar und Japan ihr altes Spiel, sondern hatten auch zu Lande ihre Herrschaft bis über Tibet hinaus verbreitet, befehdeten den Khan von Sina, und gaben den Neu-Persern (so nannten sich jetzt die vormaligen Moskowier) zu vielen Klagen Anlaß. Die Waffen mußten entscheiden, ein hartnäckiger Kampf durch mehrere Jahrzehende folgte. Doch ein Monarch, Cirus Alexander genannt, drang zuletzt an den Ganges vor, nahm Calcutta ein und die Albionen sahen sich abermal gezwungen ihr Reich übers Meer zu verlegen. Sie wählten Neu-Holland, da Cirus Alexander ihnen auch die Inselgruppe von Borneo wegnahm. Doch jenes große Eiland, das nunmehr den Namen Süd-Brittania empfing, sammt vielen andern und manchen neu entdeckten am Pol, bildet jetzt ihr stattlich Reich und die kunstfleißige und üppige Hauptstadt Botani-Bai ist zu der Bevölkerung einer Million herangewachsen. Zu Calcutta, das sie eilig räumen mußten, fand man eine Abtei voll Grabmähler und Denkbilder großer Seehelden und Gelehrten. Denn dies Volk war von uralten Zeiten her ungemein dankbar gegen Verdienste um das Vaterland, und darum ist es ihm auch wohl gelungen mit anfänglich geringen Hülfsmitteln bewundernswerthe Dinge zu vollziehn.

Nachdem das Neu-Persische Reich gestiftet und befestigt war, genoß das abendländische Kaiserthum einer langen glückseligen Ruhe. Der Kaiser Marcus Aurelius II. berief zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Fürsten und Weisen aus allen Landen, um eine Verfassung zu gründen, wie das Bedürfniß der vorgerückten Zeiten sie verlangte.

Hier wurde nun vorerst angetragen, den Namen abendländisches Kaiserthum aufzugeben. Was dürfen wir Rom nachahmen? fragte man. Unser Reich ist an Umfang, Reichthum und Gewalt, bei weitem größer als das Reich der Quiriten in seiner üppigsten Blüthe. Haben wir allenfalls in Asien mächtigere Feinde zu fürchten als sie, so fehlt es uns nicht an Bundgenossen, mit denen vereint wir ihnen kräftigen Widerstand leisten können. Da auch die reinste Gemeinsache der Zweck dieses großen Landtags ist, so heiße das Reich künftig die Republik Europa.

Aurelius, weit entfernt, seine Rechte gekränkt zu finden, sahe hier nur seine Wünsche ausgesprochen.

Nur Gleichheit, sagte der weise Gekrönte, ist Verfassung des Rechts. Wenn Spaltung des Willens Ehedem die Republiken erschütterte, und sie zuletzt in Herrschaft der Willkühr untergehen ließ, so kam das daher, weil die Volksvernunft noch nicht hinlänglich gereift war, das Gute klar einzusehn. Man nannte die Tugend Stütze der Gemeinsache, Ehre die des Alleinregiments. Thörigter Irrwahn beide Begriffe zu scheiden. Heil der Zeit, welche endlich einsah, Ehre könne allein der Tugend Preis werden und Tugend sei durchaus nichts anderes als Huldigung der Vernunft.

Dann bedingt aber die Verfassung, durch sich selbst, Volkswillen und Alleinherrschaft so verbunden, daß der Mann auf der Spitze, jenen nachdrücklich ausspricht, und, wie er ihn von unten herauf vernahm, ihn von oben hinunter in Erfüllung gehen läßt.

Es gab Zeiten wo die Fürsten sich freuten, blindgehorsamen, vernunftarmen Sklaven zu gebieten. Jetzt, dem Himmel sei Dank, finden wir nur Ehre darin, freien, edlen, verständigen Bürgern vorzustehn. — So sprach dieser Monarch.

Du wirst auf deiner weitern Reise Gelegenheit finden, die Einrichtungen zu sehn, welche nun in der monarchischen Republik gegründet wurden, indem man unabläßig strebte, Tugend und Ehre zu gatten, und zugleich die Volksintelligenz und die Fürstenintelligenz erzog. Viel Hohes, Großes, Kräftiges, Entzückendes ist daraus hervorgegangen, wenn gleich freilich immer noch ein Grundsatz für die Tugend der Bürger mangelt, der ihre Tugend gewiß, ächt und als solche erkennbar macht. Ihn zu suchen ist das hohe Geschäft der Zeit, wiewohl man noch nicht glücklich darin war.

Vor der Hand merke aber so viel von jenen Anordnungen:

Alle Völker von Europa sollten zur Sitteneinheit erzogen werden.

Man führte darum Ueberall dasselbe Maaß in Schwere und Umfang, dasselbe Tauschmittel, dieselben Satzungen des Rechtes, ein.

Die allgemeine Sprache durch ganz Europa folgte.

Die Völker hatten ihre besonderen Fürsten, da Eine Obergewalt unmöglich das weite Ganze im Einzelnen überblicken konnte. Diesen Fürsten blieb die Würdeerblichkeit zugestanden, um den Uebeln der Ehrsucht, List, Bestechung auszuweichen, doch haftete sie nicht an dem erstgeborenen, sondern an dem edelsten Sohn. Hierüber mußte das große Rechtstribunal schlichten, welchem der Kaiser vorsaß und wo auch alle Streitigkeiten der Fürsten gehoben wurden, wodurch, wie das Staatswohl auch von selbst verlangte, ein immerwährender Friede in Europa bestand, ein wichtiger Triumph der Zeit, wogegen die Vorwelt, in den Reichen, die jetzt nur, trotz ihren erblichen Gebietern, als Provinzen betrachtet werden, traurige innere Kriege sah. So hatte unter andern einst Deutschland einen Föderalismus gestiftet, wo aber demungeachtet sich ein Fürst gegen den andern der Waffen bediente. Doch, damit die Erben von Thronen, sich ihres erhabenen Berufs würdig machten, mußten die Väter, des Gemeinwohls halber, das frohe häusliche Verhältniß aufgeben, sie um sich zu sehn. Zeitig wurden die Söhne fernen Erziehungsanstalten übergeben, wo sie, unerkannt und unter andern Pfleglingen, nach den Grundsätzen gebildet wurden, die die Weisheit für die besseren erkannte, und welche sie immerfort veredelten. Dann bekleideten sie Aemter mannichfacher Art und wurden in Lagen gebracht, wo ihre schon entwickelten Talente sich noch mehr kräftigten. Endlich, männlich gereift, an Leib und Geist prangend ausgestattet, erfuhren sie ihre hohe Bestimmung und traten sie, von Schmeichelei und Lüsten unverdorben, an. Dieser Gebrauch ging in der Folge sogar auf die Fürstentöchter über, und keineswegs dürfen die Kinder der Kaiser davon ausgenommen sein.

Was für die Religion, den Landbau, die Wissenschaften, Künste, Handwerke, die Ausrottung der Armuth, von Oben geschah, daß sie Unten desto freier gedeihen konnten, wird sich dir an seinem Orte verkünden.

Ungeachtet der beschloßenen und nach und nach durchgeführten Identität der Europäer, glaubte man dennoch, dieser oder jene Landstrich könne durch seine Natur, und allenfalls durch gewisse Uebertragungen vom Alterthum, sollte es auch nur das begeisternde Andenken sein, sich für gewisse Beschäftigungen vorzüglich eignen. So wurde den bildenden Künsten, deren schönen, sittlichen Einfluß man nicht verkannte, das alte Griechenland zum Wirkungskreis angewiesen, und dabei, auf allgemeine Kosten, der lieblich phantastische Plan ausgeführt, Athen wieder aufzubauen. Du wirst diese Stadt nun sehen und zwar möglichst genau nachgeahmt, so weit nur die Alterthumskunde dazu Hülfsmittel anbot. Du wirst dich in die Zeiten des Perikles zurück wähnen, in seine Mauern tretend. Keiner von den Tempeln, keins der ehmaligen öffentlichen Gebäude mangelt. Bildhauer und Maler treiben vorzüglich ihre Kunst, und wenn der Hauptanreiz vor Zeiten in dem großen vortheilhaften Absatz der Statuen und Gemälde bestand, welche der alte Politheismus aus der halben bekannten Welt in Attika kaufte, hat auch der neuere Kultus diesen Anreiz wiederholt, indem es ein Gegenstand des Stolzes geworden ist, simbolische Darstellungen aus Athen zu besitzen, deren wohl viele schon in Palermo oder Messina dir zu Gesicht kamen. Ohne diesen begünstigenden Umstand würden Athens neuere Bildner schwerlich die Phidias und Apelles zurück gelassen haben, wie es wirklich geschehen ist. Mitbewerbung ist jedoch, wie sich von selbst versteht, hiedurch nicht aufgehoben, bei der allgemeinen Freiheit in Europa mag die Künste üben wer da will, und wo er will, auch wetteifern die Maler in Italien sehr glücklich mit denen am Ilissus, doch die Fertigkeit in Stein zu gestalten, drang hier am weitesten, wie überhaupt auch die Vorkunde (Theorie) des Schönen, in Athen am meisten einheimisch ist.

Bei den Worten Vorkunde des Schönen erglühte der Zögling und dachte an Ini, die sinnige Malerin. Es soll mich wundern, sagte er zu sich, ob die Bildner zu Athen meine holde Geliebte an Zartheit und Imaginazion übertreffen werden.

Man zog nun in die Stadt ein. Guidos Herz wallte hoch auf, bei den rührenden Erinnerungen an das edle Alterthum, so lebendig durch die Nachahmung versinnlicht. Vor allen Häusern standen Hermen, deren Vollkommenheit Staunen erregte, das einfache und doch mit großem Eindruck erfüllende Ebenmaaß der heiter-majestätischen Tempel, legte entzückende Bewundrung auf.

Gelino besuchte mit seinem jungen Freund die Werkstatt des gerühmtesten Meisters unter den Bildhauern. Der Mann faßte den Jüngling fest ins Auge, und schien befremdet. Dann zeigte er willig seine reichen Vorräthe, zu welchen die meisten Künstler von Belang ihre Arbeiten geliefert hatten, die nun in den weitläuftigen Säälen dieser Werkstatt und unter vortheilhafter Beleuchtung, dem Auge der Fremden ausgestellt sein sollten.

Was als Kunstvorwurf gelten konnte, wurde in Athen auch künstlerisch behandelt und man band sich durch keine Vorliebe. Aus der alten Griechenmithologie sah man nicht nur trefflich gelungene Nachbildungen jenes Apollon, jener Venus, jener Niobe und anderer Statuen, die sich einst glücklich durch die Jahrhunderte der Barbarei retteten und in späteren das Morgenroth des Schönen wieder aufgehen ließen, sondern man hatte auch die nämlichen Ideen auf andere Weise bearbeitet und der Vorsprung des Genius ward daran sichtbar. Föbos hatte weit mehr Göttlichkeit, die Göttin von Paphos mehr weibliche Anmuth, wenn frühere Zeiten dies schon unbegreiflich fanden.

Auch aus der alten nordischen Götterlehre wählten die Künstler Stoffe. Odin, Wodan, die Valkiren, waren in trefflichen sinnlichen Verherrlichungen aufgestellt, eben so Brama, Osir und was sonst dazu sich eignete.

Für Sääle und Gärten der Großen in Europa fand sich immer Nachfrage, auch hatte jede namhafte Stadt einen Park, zur Ergehung der Bewohner, angelegt, den der Kunstsinn gern schmückte, überzeugt, dies wirke lebendig auf den Flug der Gemüther ein, und die so vervollkommnete Leichtigkeit der Fortschaffung mäßigte die Kosten.

Der regsamste Kunsteifer ward aber durch die Landesreligion unterhalten. Ein Sinod von Weisen hatte früherhin fünfzigjährige Sitzungen gehalten über diesen höchst wichtigen Gegenstand, etwas Allgemeingültiges, Dauerndes festzustellen. Tausend Vorschläge hatte man geprüft und verworfen, bis eine ansehnliche Mehrheit sich für die folgenden entschied.

Die christliche Moral, sagte der Sinod, ist die erhabenste, noch nicht übertroffene Legislatur der Rechtsgefühle, doch die christliche Glaubenslehre kann nur einem finstern Zeitalter anpassen. Wenn jene, ihrem Geiste nach, und auf die ehrwürdige Urreinheit zurückgeführt, nach Jahrtausenden segnend auftreten kann, so ist diese, nach den ungemessenern Begriffen vom Weltgebäude, welche ein aufgehelltes Geschlecht errang, nicht länger brauchbar, wenn die Vernunft nicht mit sich selbst im Widerspruche leben will.

Was ist hier aber zu thun? Ein Abstrakt bindet, uralten Erfahrungen zufolge, die Herzen zu wenig, was durch die Phantasie zur Vernunft dringt, nimmt nicht nur die Schwäche, auch der kräftige Sinn freundlicher auf, vorzüglich wenn es in das Leben der Handlung übergehn soll.

Verbannen wir daher vom Denken alles Bildliche, doch zum thätigen Wirken mögen immer Dichtung und Künste uns lieblich begeistern.

Der mosaisch-christliche Theismus sei und bleibe die Grundlage unserer neuen, und dennoch aus dem tiefen Alterthume empfangenen Religion. Wir glauben an eine Gottheit, unbegreiflich den Formen, in welchen uns dermalen unsere Natur zu erkennen gestattet. Außer dem Raume, außer der Zeit, unendlich, ewig, allmächtig bezeichnen wir diese Gottheit, nichts Höheres wissen wir zu nennen, wenn wir uns auch in tiefer Anbetung bescheiden, was wir nennen nicht zu verstehn, und ein eitles Streben, das unsere Kräfte übersteigt, sein Wesen näher zu fassen, aufgeben.

Keine Ehrengebäude dieser erhabenen Vermuthung! Unwürdig stellt sie die Materie dar. Könnten höhere Wesen ihm Tempel weihn aus Erdsternen, Altäre darin aus Feuersternen, es priese ihren Urheber nicht. Nur Einigemal im Jahre mag sich die dankbare Andacht unter dem himmlischen Gewölbe versammeln, und sich selbst heiligen, in heiliger Empfindung. Wenn der Ball sich wieder zu den Sonnenflammen dreht, ihren befruchtenden Segen zu trinken, wenn wir ärnteten, was die innere Götterkraft der Auen nährend gestaltete, dann wimmle die Menge in Eintracht hinaus und huldige.

Doch da die ewige Gottheit, nicht wohnend im Raum, nicht schwimmend im Strome der Zeiten, unserm jetzt auf diesen Erdstern angewiesenen Geiste, nur im Simbol sich offenbart, so ist es hehr und würdig, zu ehren, was wir irrdisch-göttlich nennen, und sich, so weit der Staub vermag, bildete nach dem Ideal des Allgöttlichen, wie es im Busen der edleren Menschheit geahnet wird.

Laßt uns preisen, was schon das tiefe Alterthum pries, schon so viele Millionen der Gestorbenen zur Tugend erwärmte, uns im Abbild erkennbare Muster des Hohen giebt, es einen mit den Satzungen unsers Bürgervertrags. Laßt uns Stätten des innigen Andenkens erbauen, die uns rührender mahnen und zur Nacheiferung weihen.

Moses, der hohe Urpriester der einigen Gotteslehre, der weise Erfinder heiliger Gesetze, der kräftige Held, ist werth unserer Ehre. Sei er uns Heros des Rechtes, des Kampfes, wo uns geboten wird, gegen innere feindliche Leidenschaft, oder äußere Krieger die Waffen der Vernunft oder des Armes zu erheben. In seinen Tempeln werde das Recht gelehrt, gesprochen, in seinen Tempeln entflamme sich der Muth, wenn des Vaterlandes Vertheidigung uns zum Schwerte ruft.

Jahrtausende nannten den Jüngling in Palästina göttlich, der in wenige Worte die Lehre der reinsten Menschlichkeit zusammen drängte. Er sei uns der Heros des Brudersinns. Er liebte die Kinder, die Erziehung sei ihm geweiht. Ehren wir sein Andenken, indem wir streben, von seinem Geiste durchdrungen zu werden. Vor seinen Altären höre die brüderliche Versammlung, Moral der Gemeinschaft, und der Weisen Unterricht, klüglich die Keime im jungen Herzen zu pflegen. Hier werden die Jünglinge, das aufblühende Mädchen oftmal geprüft, in ihren Fortschritten zur Veredlung.

Schöner zarter Mithos deiner himmlischen Liebe, o Maria, dir gebührt eine Stätte in unsrer Religiosität! Das Weib fühle sich erhoben, eine Heilige ihres Geschlechts in Tempeln gefeiert zu sehn. Mag der poetische Flug in Marmor und Farben, mag er im Gebiet holder Dichtung wetteifern, einem gebildeten Volke schöne Bildungen der hohen Maria zu geben. Ihr bringe die Liebe Anbetung, und erhebe sich begeisterter zum Himmlischen, sie sei die idealische Königin aller Schönheit und die Künste machen sich ihr werther, in dem lieblichen Wahn, von ihrer Glorie umstrahlt zu sein. Die Ehe knüpfte ihre innigen Bande, Maria vor deinen blumengekränzten Altären.

Des ernsten Moses Priesterthum verwalten ergraute, ruhmgenannte Helden, untadelhafte Volksrichter und Fürsten, deren weise gepflogenes Amt die allgemeine Liebe lohnte. Des sanften Christus Tempeldienst sollen die edelsten Jugendlehrer verwalten, wenn sie dem Gemeinwesen eine bedeutende Zahl trefflich gedeihender Zöglinge gaben. Künstler, die verklärenden Genius in ihren Werken offenbarten, üben den Kultus der schönen Heroin Maria, Chöre von unsträflichen Jungfrauen im Gefolge.

So geben wir dem Irrdischen höheren Adel, indem es mit den Ahnungsträumen göttlicher Natur verwandter gemacht wird.

Diese Religion, anfänglich mit vielem Widerspruch der lebenden Generation bekämpft, wurde bei den folgenden allgemein, und gab den Künsten reiche Vorwürfe. Man sah den Heros des Rechtes und der Waffen, vielfach gestalten. Die Idee desselben ward von dem strebenden Kunstsinn immer herrlicher empfangen, und jene Kraftsumme, lange in dem Standbilde des Herkules der Farnese bewundert, blieb bald gegen den vollendeteren, zugleich geistvoller ausgeprägten Moses einer geistvolleren Zeit, zurück. Neben einer Anmuth und einem Einklang der Verhältnisse, wie sie viele Jahrhunderte an jenem Apollon rühmten, hatte die reifere Kunst den Christusdarstellungen eine unbeschreibliche Hoheit und Milde, über das göttliche Antlitz gegossen, so daß nicht nur der unterrichtete Kennersinn, sondern jeder im Volke, von dem Gesammtausdruck auf das Innigste ergriffen, gerührt wurde, und der Begriff vollkommene Menschlichkeit nach Maasgabe seiner geringeren oder vollendeteren Bildung, schwächer oder erhabener vor seiner inneren Seele schwebte. Nichts übertraf aber die Gestaltungen der Maria. Hier hatte sich die reinste Poesie der Kunst entfaltet. Vor den schönsten dieser Statuen, gingen die lieblichen Mädchen von Athen selten weg, ohne einen neuen Zug eigner Schönheit mitzunehmen.

Wie staunte aber der schönheitsinnige Guido, von dieser Kunstsammlung umgeben! Er schöpfte in der gefühlten Begeisterung frohen neuen Unterricht über das Ebenmaaß der Formen, und lernte Inis Gebote klarer verstehn. Hoch mußte er jedoch bewundern, daß seine Geliebte, die sich nimmer in Athen befunden, sondern ihr Studium vor den Kunstwerken in Sizilien geübt hatte, zu einer Idee gelangt war, welche dennoch näher an die Vollkommenheit zu reichen schien, als alles, was er hier erblickte.

Der gepriesene Meister trat wieder zu ihm heran. Jüngling, nahm er das Wort, von wannen du auch seist, du stammst aus einem Geschlechte, das durch eine lange Reihe von Gliedern, hoher Entwicklung entgegen strebte.

Guido ward verlegen, da ihm nichts über seine Herkunft bekannt war.

Der Bildner fuhr fort: Edler Einklang spricht aus deiner Gestalt, die Kunst würde nichts zuzugeben vermögen, wenn sie dich in Marmor darstellte, nur am Haupte, an der Stirn, an Mund und Wange, bleiben einige Umrisse, einige Linien zu wünschen übrig.

Guido erröthete, gab aber doch mit unbefangenem Selbstgefühl die Antwort: Ich zähle noch nicht zwanzig Jahre, meine Entwicklung ist unvollendet. Wer weiß —

Dann bat er den Künstler, sein Profil so zu zeichnen, wie es die Forderung der höheren Wissenschaft verlange.

Es geschah. Neugierig gespannt blickte Guido hin. Es dünkte ihm jedoch, der Mann stände in seinem Entwurf gegen Ini unvollkommen da. So überfliegt denn der Liebe Genius weit die Lehren der Kunsterfahrung, sagte er sich mit geheimen Entzücken.

Während dieser Unterhaltung bemerkte er, daß viele Schüler umher saßen, die ihn zeichneten, und geschmeichelt, weilte er länger. Bei dem allen pflanzte sich Eitelkeit nicht in seine Brust, dagegen hatte ihn Inis Reinheit verwahrt.

Man begab sich nun in die Kunststätte des berühmtesten unter den Malern, so reich an Schildereien als jene in Werken aus Marmor, Porphir und Elfenbein. Voll hingen alle Wände, und die lebendigen, farbigen Gestalten, zogen des Jünglings Blicke noch mehr an. Gefällig erklärte ihm der Vorsteher Bedeutung und Werth. Die Malerei, hub er an, stieg vor mehr als einem halben Jahrtausend auf eine bedeutende Höhe, von welcher sie aber späterhin, aus mannichfachen Ursachen, wieder herabsank. Im siebzehnten, achzehnten, neunzehnten Jahrhundert gab es durchaus weder einen Raphael, noch Rubens, noch Titian. Doch wenn die Ausführung krankte, rettete sich das Urtheil durch die unfruchtbare Zeit, und bereitete vollkommenere Schöpfungen vor. Ein tiefdenkender Kunstrichter zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts, maaß das Verdienst der ruhmvollen Maler, nach einer höchst sinnig entworfenen Tabelle ab, wo Zeichnung, Zusammenstellung, Farbe und Ausdruck, unter gewiße Staffeln gebracht waren. Zwanzig Grade enthielt die Tabelle, den achzehnten nahm sie bereits erreicht an, den neunzehnten noch nicht, den zwanzigsten unerreichbar. Sie erkannte Raphael den Preis in Zeichnung und Ausdruck zu, wenn dagegen Titian im Kolorit ihn bei weiten übertraf, Rubens im Ausdruck mit ihm wetteiferte, und ihn in der Zusammenstellung zurückließ. Es mußte nun nothwendig der Wunsch nach einem Gemälde entstehen, in welchem die richtige Hand, die blühende Einbildung eines Raphael, mit der hohen Kräftigkeit eines Rubens, und der sorgsamen lieblichen Ausführung eines Titian gegattet waren. Lange jedoch ward er umsonst gefühlt. Erst im zwanzigsten Jahrhundert, nachdem die Künste unter der Aegide eines langen Friedens ungestörter aufblühen konnten, und eine kluge Regierung dem Volke von Europa Reichthum genug erzogen hatte, sie freundlich zu nähren, ließ sich erst die Vorzeit wieder erreichen. Nun eilten die Fortschritte glücklich. Die vervollkommnete Lehrmethode stärkte früh der Zöglinge Fassungskraft, die mechanische Fertigkeit konnte zeitiger errungen werden, die Scheidekunst erfand eine bei weitem vortheilhaftere Bereitung der Farben. Um die Mitte dieses Jahrhunderts vereinten die besseren Maler schon jene sonst getrennten Vorzüge, gegen das Ende drang bereits einer bis zu dem von Piles geahnten aber nie gesehenen Grad empor. Jetzt darf kein Künstler ein Werk in diese Ausstellung bringen, in welches er nicht richtigere Zeichnung, vollendeteren Ausdruck wie Raphael, mehr Poesie der Verbindung wie Rubens, mehr Farbenidealität wie Titian gebracht hätte. Siehe fühlender Fremdling, hier Werke der Art.

Er führte ihn nun zu einem großen Gemälde, das, nach der altnordischen Mithologie, die Ankunft eines Helden in Odins Walhalla vorstellte. Guido ward betroffen ob all der Wonne die in diesem Anblick über ihn kam. Entzückend war die Dichterphantasie, welche hier den Pinsel geleitet hatte, einen Aufenthalt belohnter Seligen, den Sinnen erkennbar zu machen. Ein lieblicheres Azur, wie unter Siziliens sanftem Himmel wölbte sich über Gefilde von unsäglich rührender Pracht. Blumen, Rasen, Bäume, waren zwar aus der uns bekannten Natur genommen, aber in sich so verschönt, so reitzend zusammengestellt, daß das Auge an die Natur einer andern Welt glaubte. Man sah die ostindische Oelpalme, den antillischen Kampah-Baum, die peruanische Balsamstaude, Cipressen, Granaten, Lorbeeren, Platanen, aber die Massen in welche sie gefügt waren, machten einen unweit anmuthigeren Eindruck, als er in irgend einer wirklichen Gegend empfunden wird. In den mannichfachen Blumen lebte eine Wahrheit, daß man an ihren Duft in süßer Täuschung glaubte, und zum Triumph des Urhebers, viele streitend behaupteten, der Maler habe sie mit den Essenzen ihrer Gerüche versehen, so wie andere die Hand in die berückende Tiefe des Gemäldes ausdehnen wollten, und sie beschämt von der Leinwand wegzogen. Was aber dem Ganzen am meisten das Fremdartige, übersinnlich, selig Erscheinende gab, war die zarterfundene Beleuchtung. Eine tief am Horizont schwebende Sonne sandte ihr Licht sparsam durch dunkel gedrängte Waldung an einer Seite. Ihre Scheibe zeigte aber kein hellleuchtend Goldfeuer, sondern eine weiße sanftstrahlende Diamantenglut. Hiedurch wurden alle Tinten verändert und nahmen einen ätherischen Charakter an, der mit süßem Rausch erfüllte, und die Abscheidung von Schmerz und Erdenwahn freudigahnend empfinden ließ. Auch auf die menschlichen Gestalten wirkte das Zauberlicht so wunderbar, daß sie bei der uns verwandten Natur ihrer Formen, geistiges Leben zu athmen schienen. Den eben angelangten Helden, in Kraft und Stattlichkeit, den vollen Ausdruck edler Seelenhoheit im Antlitz, verklärte die staunende überraschende Wonne der ihn rings umfangenden Glorie. Die Jungfrauen von Wallhalla nahten ihm in der lieblichsten Anmuth, der holdesten Freundlichkeit, brachten ihm den Trank der Unsterblichen und krönten sein Haupt mit ewig blühenden Rosen. Ihre heiligen Reitze geboten zugleich Liebe und schalten das Gefühl Verwegenheit. Die erhabenen Züge forderten knieende Anbetung, die kindliche Unschuld untersagte ihnen göttlich zu huldigen.

So war dies Gemälde angethan, von dem Guido sich nicht abzuwenden vermochte. Erst nach manchen Erinnerungen ging er weiter und trug die Totalidee eines Helden in seiner Seele davon, der sich glorreich über alle Schrecken der Gefahr erhoben und eines unsterblichen Lohnes werth gemacht hat.

Ihm wurde nun ein Christus gezeigt, der Jairus Tochter erweckt. Des Heilands Gesicht zeigte keine Spur von allem was an Leidenschaft erinnert, das reine menschliche Gepräge stand da, doch von erhabner Liebe und festem Götterwillen unaussprechlich heilig beseelt. Das: „Stehe auf!“ gebot sein hohes Auge mit ruhiger Majestät, mild lächelte die männliche durch Anmuth bewegende Wange. Der Uebergang vom Tod ins Leben war an dem Mädchen mit bezaubernder Kunst ausgeführt. Ein leichter Rosenhauch goß sich über das noch starre Antlitz. Der Augenaufschlag war frommer Lichtgruß, kindlicher Engelsinn. Die kaum wieder regen Hände strebten, sich zum Gebet zu erheben. Ihr Vater, ihr Geliebter, sanken neben dem Sarge aufs Knie. Die ganze siegende Haltung des Gemäldes zwang jeden Zuschauer, der fühlenden Sinn mitbrachte, die Anbetung in der nehmlichen Lage zu theilen. So geboten hier die Maler dem Herzen. Guido nahm von dieser Staffelei einen noch weit erhabneren Begriff von Tugend mit sich, als er bisher in ihm gelegen hatte.

Noch viele andere meisterhafte Werke wurden ihm gezeigt, von denen er schwelgende Erinnerungen bewahrte. Er schrieb durch ein Täubchen an Ini von seinem Entzücken, setzte aber hinzu: Du bist dennoch schöner als jedes Mariabild, jede Muse oder Valkire, die ich sah.

Gelino zeigte ihm nun das Parthenon, genau dem alten nachgeahmt, dessen Säulengänge einst so große Summen gekostet hatten. Phidias alte Meisterstatue der Minerva aus Elfenbein, ward durch eine Heilandsmutter in gediegenem Golde vertreten, der dieser Tempel nun geheiligt war.

Gelino, indem er ihm diese und andere Merkwürdigkeiten zeigte, hub an: Du siehst Athen der Welt in seinen Schönheiten wiedergegeben, doch die Sklavenhorden von Ehedem, das wilde, mit den Archonten kämpfende, den Pnix mit Geschrei und Streit erfüllende Volk der Vorzeit nicht. Diese Erscheinungen dulden unsere besseren Tage nimmer. Wir könnten noch das Odeon besuchen, wo die Meister der Tonkunde wetteifern, die Bühnen, wo man Sophokles, Euripides und Aristophanes Schöpfungen darstellen sieht, doch in diesen Vorwürfen wird Athen anderweitig übertroffen, und die Reise eilt. Wir wollen jetzt nach der Gränzfestung des Staats, lerne dort, wie man mächtig der Feinde Angriffe wehrt. Nicht immer kannst du bei den lieblichen Künsten weilen.

Diese Gränzfestung war jetzt die Citadelle bei Konstantinopel. Die ehemalige Bevölkerung der Stadt hatte durch den politischen Wechsel um mehr als die Hälfte abgenommen, und die Lage daneben, eignete sich zu ihrer gegenwärtigen Bestimmung. Lange zwar hatte Europa keinen Krieg mit dem Morgenlande geführt, aber die Neu-Perser geboten ungeheurer Macht, und die Vorsicht empfahl, nicht unbereitet zu sein.

Doch über der Meerenge winkte auch eine Feste von ähnlichem Umfang, und beim Ausbruch eines Krieges ließ sich voraussehen, daß sie einander wechselseitig beschießen würden; denn der Abstand der Citadelle von Konstantinopel bis Neu-Troja, so nannte man jenen Ort, wurde von der nunmehrigen Artillerie bequem abgereicht.

Schon lange hatte man dem Schießpulver neue Bestandtheile gegeben. Seine Wirkung ging nicht mehr von der Elastizität des sich entbindenden Stickstoff- und Kohlenstoff-sauren Gases allein aus, man mengte dem Salpeter noch Ammoniakgas und Knallsilber bei, deren unzeitigem und zu leichtem Entbinden eine chemische Gegenkraft abhalf. Furchtbar traf dieses Pulvers zerstörende Gewalt.

Die Metallröhre schossen Kugeln von funfzig bis zu dreihundert Pfunden auf zwei oder drei Meilen, die Mörser warfen noch weiter, und schwerere Lasten. Da aber der Erdkrümmung halber die Fläche kaum eine Meile sichtbar ist, so mußten die Stücke auf hohe Berge geschafft werden, wenn sie in weiter Entfernung ihr bestimmtes Ziel treffen sollten. Ein gutes Sehrohr war dann an den Visirpunkt befestigt, und bei der scharfen Genauigkeit der Drehewerke, womit sich die Richtung vollzog, konnte man das Ziel nur selten verfehlen. Die Bomben, von ungeheurem Umfang, trugen deren andere in sich, die abermal mit kleineren gefüllt waren, welche zuletzt unvertilgbar Feuer in sich trugen. Der Artillerist wußte die Bahn, welche sie zu durchfliegen hatten, dem Raume und der Zeit nach, auf die Sekunde zu berechnen, besonders da auch ein Windmesser ihn von dem Widerstande, mit welchem die Luft ihm entgegen streben würde, vollkommen unterrichtete. Weil daneben, bei Verfertigung des neuen Pulvers, mit einer so großen Gewißheit verfahren wurde, daß ein davon bereiteter Zünder, jedesmal die Explosion in dem Augenblicke vollzog, den der Konstabler wünschte, (eine Fertigkeit, welche man Ehedem nicht errang), so ward, indem man nach einer feindlichen Stadt warf, die Entzündung gemeinhin bewirkt, wenn die Bombe in der Höhe von einigen hundert Schuhen über den Dächern angekommen war. Nun breiteten sich die größeren Granaten der Füllung, deren Explosion nach Maaßgabe der Größe des Orts erfolgte, so aus, daß dieser mit den letzten Kugeln und den Trümmern der schon gesprungenen, überdeckt wurde, wobei das nach allen Richtungen sprühende Feuer die Verwüstung vollendete.

Der nahe Ruin jeder belagerten Festung war unter diesen Umständen unvermeidlich. Allein die Festungen wurden dermalen auf Höhen angelegt, wo, ohne Wasser zu finden, tief zu graben war. Man wölbte dann hundert Schuh unter der Erde Straßen aus, die durch Zuglöcher von oben Luft empfingen, und beständig durch Laternen erleuchtet wurden. Von diesen waren höhlenartige, doch gut gemauerte und mit Bequemlichkeit versehene, Wohnungen seitwärts eingebrochen, in welchen die Soldaten, und was zu ihnen gehörte, hausen konnten. Da genoß man Sicherheit, mochten oben die Bomben einschlagen. Auch alle Wälle hatte man ausgehöhlt und mit Felsenlagen hinlänglich gedeckt, damit sich die Wachen inwendig aufhalten konnten. Uebrigens traf die Besatzung mit eben so furchtbaren Schlünden auch ihre Widersacher, und so waren die Dinge sich wieder gleich; denn der menschliche Geist entdeckt, wie das Zerstörungsmittel, auch die Gegenwirkung.

Noch ist hier der schnellen Art zu denken, in der aus einer Festung, oder aus einem Lager, nach dem Hauptquartiere irgend eines fernen Heeres, oder auch nach der Hauptstadt, Briefe geschafft wurden. Luftposten, Telegraphen, akkustische Anstalten, blieben dagegen, entweder an Geschwindigkeit, oder Ausführlichkeit, zurück. In erreichbaren Abständen befanden sich nehmlich auf befestigten Höhen Kanonen, und Zielwände. Nun sandte man eine Kugel ab, an welcher eine Stahlkette und an dieser ein dichtes Kästchen geheftet war, das die Briefe oder andere zu übermachende Gegenstände enthielt. Die Kugel schlug in die Zielwand, das Kästchen blieb zurück, ward von dort wachenden Konstablern sogleich abgelöset, und an eine andere Kugel gefügt, wodurch denn hundert Meilen, in weniger als einer Viertelstunde, erreicht waren.

Die Citadelle bei Konstantinopel war, als die vorzüglichste im Reiche, auch am sorgsamsten gebaut. Ihre Wälle glichen Gebirgen, die Kellerstadt, mit ihrem unterirrdischen Leben, bot den sehenswürdigsten Anblick dar. Es fehlte nicht an Tempeln, Marktplätzen, Bühnen; die Genüsse hatten auch ihren Sitz in der Tiefe errichtet, und die treffliche Erhellung ließ das Tageslicht nicht vermissen. Um vorbereitet auf den Belagerungsstand zu sein, mußte auch fortwährend im Frieden, die Besatzung hier wohnen, und, indem sie zahlreich und gut belohnt war, hatte das viele Bürger gelockt, sich unten anzusiedeln, und ihr Leben zu gewinnen, indem sie jenen das ihrige bequemer machten. So wuchs die Bevölkerung nach und nach dort ziemlich an.

Bei der Vervollkommnung des Pulvers hatte man auch den Minenkrieg weiter ausgedehnt. Es war nun nicht allein ausführbar, einen großen Ort auf Einmal in die Luft zu sprengen, sondern man legte auch außerhalb Minen in schiefer Richtung an, warf durch sie Massen von Erde dahin, und bedeckte die Festung in kurzer Zeit mit einem ganzen Berg, wobei die Alterthumskundigen bewogen wurden, an die Fabel der Giganten zu denken, welche einst den Ossa, Pelion und Olimp auf einander thürmten. Allein die Gegenanstalten mangelten auch hier nicht. Der Feind ward nicht dazu gelassen, die Festung unterhöhlen zu können. Weit hinaus vor den Festungswerken liefen Straßen unter der Erde hin, an Größe und Dauer vergleichbar den altrömischen Wasserleitungen. Von ihnen gingen kleinere Gassen aus, welche mit ihren Nebensteigen ein weitläuftiges Gewebe bildeten. Hier zogen die Streifwachen rastlos umher, und erspähten zeitig, was der Gegner unter dem Erdhorizont beabsichtete. Dann drückte man, nach ihm hin, die Erde ein, seine Arbeiter erstickend. Warf der Feind einen Berg auf die Festung, so war diese reichlich genug mit dem Ammoniak- und Knallsilber-Pulver versehn, um sich davon zu befreien, indem sein Schutt wieder auf der Feinde Häupter geschleudert wurde. Diese hatten daher auch auf Laufgräben zu denken, welche in der Tiefe Sicherheit gewährten.

Guido sah alle diese Anordnungen bewundernd. Sein Gemüth ward entflammt, der Ruhm eine solche Feste einst glorreich zu vertheidigen, oder glorreich einzunehmen, gewann einen hohen Reiz für ihn. Sein mathematischer, erfindungreicher Kopf wußte auch von einer Menge Verbesserungen zu reden, die man am Geschoß, an den Minen und anderen Kriegverrichtungen gültig machen könne. Gelino lobte dies feurige Umfassen eines hohen Gegenstandes, setzte hinzu: ihn könne leicht der Kaiser einst beim Heere beschäftigen, und lobenswerth müsse es dann sein, wenn er sich des hoffenden Vertrauens würdig mache. Bei dem allen sei aber nichts lebhafter zu wünschen, als daß die Völker des gesammten Erdbodens dem Beispiele jener von Europa folgten, und, ein Welttribunal zum Schlichten aller Streitfälle unter Nationen errichtend, die Kriege für ewig aufhöben.

Dies ist auch einer von Inis Gedanken, versetzte Guido, aber wodurch soll dann die Kraft Ruhm erwerben? Dann ist keine so hohe Gestalt mehr auszubilden, wie jene, die das Gemälde von Wallhalla in Athen zeigt. Nur die Heldenseele prägt die erhabenste männliche Schönheit aus.

Auch die Seele des Tugendhaften, entgegnete sein Lehrer. Es giebt Feinde genug in der eigenen Brust zu überwinden, der Sieg über sie ist eben so glorreich, ja vielleicht noch mehr.

Die Reise ging jetzt zu der nördlichen Provinz hin, vor Zeiten das europäische Rußland genannt. Man bediente sich dazu einen von den Frachtwagen, die südliche Erzeugungen dorthin, und nördliche nach den mittäglichen Gegenden brachten.

Zu dem Ende waren hier, wie meistens im ganzen Staate, herrliche Kunststraßen angelegt. Sie hatten eine Breite von zweihundert Schuhen, und waren in der Tiefe von funfzig Schuhen, mit gestampftem Granit festgerammt. Je mehr größere und kleinere Straßen der Art es schon gab, je leichter fiel es auch, deren neue zu bahnen und die Steine nach den Gegenden zu schaffen, wo sie mangelten.

Auf der Straße von Konstantinopel waren Wagen mit zwei Rädern gebräuchlich. Jedes Rad hatte aber einen Durchmesser von funfzig Schuhen. Jede seiner Speichen bestand aus einem mäßigen Fichtenbaum, und war mit Eisen reichlich verstärkt. Die übrigen Theile hatten angemessene Verhältnisse. Durch die gewaltige Hebelkraft solcher hohen Räder ließ sich nun eine außerordentliche Last fortbringen. Die von mehreren Eichenstämmen zusammengefügte und mit zentnerschweren Eisenringen verbundene Achse hatte eine Breite von funfzig Schuhen, und an dicken Ketten hing ein Prahmen im Gleichgewicht, etwa sechs Schuh von der Erde, über hundert Schuh lang, gegen dreißig breit, und gegen funfzehn tief. Hierein wurde die ansehnliche Menge von Waaren geladen, und die Kajüte des Prahmens diente Reisepassagieren zum angenehmen Aufenthalt, wie auch über den Waaren ein Verdeck zum Lustwandeln eingerichtet war. Bäumchen auf Töpfen und Blumen gewährten einen lachenden Anblick und erhöhten das Vergnügen der Reisenden.

Die Art, in welcher die riesenhaften Karren gezogen wurden, hatte viel Einfachheit. Zwölf Pferde waren genug. Diese gingen einige hundert Schritte voraus, an lange dicke Taue gespannt, welche von der Achse ausliefen. Die Räder gaben, wie schon bemerkt wurde, die mechanische Leichtigkeit.

Es versteht sich aber, daß die Kunststraßen horizontal fortliefen. Tiefen zu füllen und sich durch Höhen zu brechen, war ja auch nur ein unbedeutend Werk, seitdem die Menschheit sich mit dem neueren Pulver vertraut gemacht hatte, das, außer den Kriegen, noch so mannichfachen Nutzen in Sprengungen gewährte.

Was konnte angenehmer sein, als auf einem solchen, durch Pferde bewegten Prahmen, zu reisen. Zwar ging die Luftpost schneller, zwar konnten die Meerfahrzeuge schwimmenden Pallästen verglichen werden, allein hier genoß man doch die Erheiterung, stets die nahe Landschaft und die Merkwürdigkeiten der Gegend zu sehen. Auch war die Sicherheit die vollkommnere, was immer das Gemüth ruhiger läßt. Unfälle blieben nicht denkbar, da auf allen Stationen der Zustand des ganzen Wagens geprüft, und das etwa Schadhafte hergestellt wurde. Das Schlimmste, was sich hätte ereignen können, wäre ein Durchgehen der Pferde gewesen. Aber dies hätte nur um so zeitiger an Ort und Stelle gebracht, denn aus der Bahn dieser Kunststraßen konnten die Thiere nicht weichen. Sie waren zu beiden Seiten mit hohen Gittern eingeschlossen, und nöthigenfalls schnitten die vorn reitenden Fuhrleute die Stränge ab.

Es ging immer in vollem Sprung. Auf jeder geographischen Meile befand sich ein Pferdewechsel, durch Schüsse und Flaggen zeitig benachrichtigt, in der Nacht durch Feuersignale. So war das Abschirren und Anspannen das Werk einer Minute, in der man auch einen Wasserstrom über die erhitzten Räder leitete, und sie inwendig mit einem schlüpfrigen Oele versah. Reverberen brannten in der Dunkelheit zu beiden Seiten des Wegs. So kam man in vier und zwanzig Stunden gegen zwei geographische Grade weiter, aß, trank und schlief im Prahmen. Das einzige vorenthaltene Vergnügen blieb, daß man nicht die Städte und Dörfer inwendig sehen konnte, denn allerdings mußten die Kunststraßen umweg laufen.

Nach einigen Tagen langte der Wagen in Moskau an, wo sich sogleich viele gierige Käufer zu den Südfrüchten drängten, welche er geladen hatte, und die meistens frisch überkamen.

Der Umfang, die zahlreichere Bevölkerung dieses Orts, seine großen Fabriken gaben die Vorwürfe, welche nun Guidos Aufmerksamkeit fesselten. Die meiste Betriebsamkeit war auf die Anfertigungen für die Heere gegründet, welche in der Nachbarschaft in ihren Uebungslägern standen. Hier waren die meisten Soldaten versammelt, theils der Gränze gegen Asien halber, theils, weil die rauhe Gegend sich zu ihrer Abhärtung eignete.

Mit der Werbung, Unterhaltung, Verfassung der Krieger, hatte es folgende Bewandniß:

Es galt Regel, daß jeder europäische gesunde Jüngling sich ein Jahr lang an den Waffenplätzen einzufinden hatte. Nicht Geburt, nicht erkornes Gewerbe, verstatteten eine Ausnahme. Gegen das achtzehnte oder zwanzigste Jahr, wurden sie in ihren Provinzen aufgerufen, und folgten dem Zuge zu den ihnen angewiesenen Lägern.

Sie zählten hier schon den Vortheil der Reise, und konnten bei ihrer Heimkehr sich mancher Erinnerung freuen, auch das gesehene Merkwürdige auf ihren anderweitigen Lebensberuf nützlich anwenden.

Im Lager wurden sie zunächst geprüft, ob sie in den Erziehungsschulen der Heimath auch im Laufen, Ringen, Schwimmen, daneben im Gedächtnißrechnen und den ersten Elementen der Meßkunde und Naturlehre unterrichtet worden. Auch über ihre wohlbegriffene Religions- und Bürgermoral hatten sie Zeugnisse abzulegen, und von Aeltern und Lehrern, die Bescheinigung einer sorgsamen und von gutem Willen begleiteten Anwendung der Jugend, einzureichen.

Fiel diese Prüfung zu ihrem Nachtheile aus, war die Abweisung von der Ehre, einst das Vaterland vertheidigen zu helfen, die Folge. Hiemit war ein drückendes Abwenden der öffentlichen Achtung verbunden, kein Mädchen von Zartgefühl reichte einem solchen die Hand, nie durfte er hoffen, ein öffentlich Amt zu bekleiden. War es ein Fürstensohn, sah er sich von der Erbfolge seines Vaters ausgeschlossen.

Diese harte Ahndung sowohl, als auch die Allgemeinheit guter Erziehung, woran auch der Unbemittelte Theil nehmen konnte, machten einen solchen Fall höchst selten.

Ward dagegen der Rekrut angenommen, empfing er ein Kriegergewand und Waffen. Man theilte ihn einem Haufen zu, er bezog eine Lagerbaracke bei den Veteranen, welchen die Uebung der Kriegsjugend oblag.

Hier ward er im Fechten und Schießen geübt, mußte fleißig Laufen, oder Lasten tragen, bei spärlicher Nahrung leben, den Schlaf entbehren, und sich immer bedeutenderen Abmattungen unterziehen lernen. Die strengste Moralität gebot in diesen Lägern, schon durch die ganze Lebensweise, die keinem Gedanken an Befriedigung roher Sinnlichkeit Raum gab, begründet.

Nach einem halben Jahre ging er, von den Veteranen, zu seinem Haufen ins große Lager, mußte nun den Dienst eines Fußsoldaten verrichten.

Beständig übte man hier, ohne Rücksicht auf Jahreszeit, Witterung, Beschaffenheit des Bodens, oder Tag und Nacht. Die klugen Anführer ließen mehr in der Dunkelheit als bei der Tageshelle thätig sein, suchten absichtlich die schwierigen durchschnittenen Gegenden aus; nicht der strenge Frost, nicht der drückende Sonnenstrahl, nicht strömende Regengüsse machten eine Abänderung. Denn sie sagten: Der Feind wird unsere Bequemlichkeit nicht ins Auge fassen.

Das Fußvolk verfuhr in seinen Bewegungen folgendergestalt:

Jeder Einzelne war mit einem Spaten, einer Lanze und einem kleinen Schießrohre versehn. Das letzte trug durch den inneren gewundenen Bau und das Ammoniakpulver, auf Tausend Schritte und hatte am Lauf ebenfalls ein kleines Fernrohr, durch welches man auf den weiten Abstand zielen konnte.

Eine Stellung nahmen die Heerhaufen zu Fuße gewissermaßen nicht, sondern eine Lage. Dies heißt: sobald man sich im Bereich des feindlichen Geschosses fand, oder es bei der Uebung voraussetzte, streckten sich die Reihen auf den Boden hin, nachdem man in größter Eil mit den Spaten einen Erdaufwurf von einigen Schuhen gefertigt hatte, der nun, den ohnehin durch ihr Liegen auf dem Gesichte, nur wenig Zielraum darbietenden Soldaten, viel Bedeckung gab. Ueber den Erdwurf legten sie ihre Röhre und gaben wirksame Feuer.

Auf das Zeichen einer helltönenden Pfeife, sprangen sie plötzlich auf, legten fünfzig Schritte gebückt, und im vollen Rennen, zurück, worauf sich die Reihe wieder zu Boden warf, und die neue Erdwehr in einigen Sekunden anfertigte. Die Schüsse huben wieder an, wurden auf ein abermaliges Signal eingestellt, um einen neuen Anlauf folgen zu lassen. So nahte man allmählig dem Feind, der schon durch die wohlgezielten Schüsse aufgerieben sein mußte, wenn seine Vorkehrungen nicht einem solchen Angriffe entsprachen. Da man aber nicht auf Säumnisse hoffen durfte, so hatten die Soldaten für den letzten Abstand auf zehn Schritten noch Feuerkränze, die entzündet in Feindes Glieder geworfen wurden, durch ihr Glutsprühen und den athemraubenden Schwefeldunst Verwirrung anzurichten, während dessen die Röhre der fertigen Schützen erlegten, was noch übrig war.

Diese Angriffe mußten Berg auf und Thal ab vollzogen werden, man sich aber auch dagegegen zu schirmen wissen.

In dieser Art bedroht, nahm man ebenfalls Platz an der Erde, und machte den Aufwurf um so höher, als man hier verharren wollte. Schoß der Feind, bogen sich die Vertheidiger zurück, ließen sich auch gar nicht darauf ein, Feuer zu geben, so lange jener hinter seiner Wehr lag. Wie er aber aufsprang, befand man sich im Anschlag und verdünnte seine Reihen. War er nahe genug gekommen, was nicht anders als nach großem Menschenverlust geschehen konnte, begrüßte man ihn eher mit Feuerkränzen, als er selbst daran dachte. Waren Feuer und Dunst verflogen, vollendete man mit Lanze und Schwert seine Niederlage. Auch bereiteten die militärischen Chemiker, deren einige jeder Abtheilung von Hunderten zugesellt waren, Säuren welche die Stickstoffe schnell aufhoben. So bekämpfte höhere Kunst die höhere Kunst.

Neben diesen Uebungen mußte das Fußvolk geometrische Märsche vollziehen, wodurch man Vortheile über den Feind gewinnen konnte, und was sonst dahin einschlug.

Nach einem Jahre konnte der junge Soldat seinen Abschied verlangen und zu den Seinigen gehen. Gestärkter, mit mancher Kunde bereichert, kam er dort an, und der Staat hatte überall Bürger, welche im Nothfalle zu den Waffen gerufen werden konnten. Auch fanden unter diesen noch jährliche Uebungen von einigen Tagen statt, damit jener Unterricht nicht zu sehr dem Gedächtniß entflöhe.

Zeigte aber ein Jüngling nach diesem Jahre Neigung, bei dem Heere zu bleiben, so nahm man ihn, nach Maasgabe seiner besondern Anlagen, bei den besonderen Truppengattungen auf, deren kunstvollerer Dienst eine längere Lehrzeit forderte.

Eigentlich ward der Krieg in den Lüften, auf der Erde, und unter der Erde vollzogen.

Der leichten Truppen Beruf wies ihnen die höhere Region an. Es wurde schon erzählt, wie diese Zeit Adler einübte, Azotgondeln fortzuziehen. Bei den Heeren fand man vor allem große Zuchtanstalten dieser Thiere. Es gab kleinere Nachen und größere Gallionen, alle hingen aber an vielen kleinen, damit verbundenen Steigekugeln, damit, wenn ein feindliches Geschoß traf, nicht gleich das Sinken folgte.

Jene hatten die Bestimmung, den Feind aus der Ferne, in seiner Zahl und seinen Maasregeln zu erspähen. Da man hoch genug stieg, und die erweitete Optik so wichtige Hülfe leistete, ergiebt sich, daß dieser schon auf zwanzig Meilen ein Gegenstand der Beobachtung wurde. Allein der Feind, welcher seine Plane gerne hehlen wollte, säumte gewöhnlich nicht, ähnliche leichte Fahrzeuge voranzuschicken, welche die diesseitigen zurückzutreiben suchten. Und so ereigneten sich in der Höhe Vortrabgefechte, wie sie, um Jahrhunderte früher, unter Husaren oder Kosaken bestanden.

Gewandt die Adler zu lenken, aus der steilen Entfernung, Gegenden und den Truppenstand aufzunehmen, mittelst der Telegraphie dem Feldherrn davon Meldung zu thun, dies waren die vorzüglichen Obliegenheiten, in welchen diese Leute sich tüchtig zu machen hatten. Daneben mußten sie eben so fertig als das Fußvolk zielen können, um wo möglich ihres Gegenparts Adler zu erlegen, wo dann die Eroberung unstät treibender Nachen ein Spiel ward. Den meisten Ruhm brachte es jedoch bei dieser Truppengattung, wenn man in Nacht und Dunkel über Feindes Heer schlich, mit anbrechendem Tage ihn bei aller Vorsicht erkundete, und unerreicht entfloh. Oder wenn man über dichte Wolken dahin schwebte und sich zu dem nämlichen Zweck in die klare Region niederließ. Dies war indessen schwierig genug, weil dem Feinde die Vorsicht auferlegte, bei Nacht sowohl als bei umzogenem Himmel, oben patrouilliren zu lassen.

Die größeren Gallionen entfernten sich nicht weit und blieben den Gefechten vorbehalten. Sie luden Granaten mit reinem Knallsilber gefüllt und Feuerkränze, lenkten dann über einen Truppenhaufen, und ließen Verderben auf ihn niederfallen. Die Kriegskunst lehrte aber, ihnen sogleich andere entgegen zu senden, auch wurden aus der Tiefe, weitreichende Feldstücke mit glühenden Kugeln, auf sie gerichtet. Hier möglichst auszuweichen, und dort doch der Absicht ein Genüge zu thun, strebte die Lufttaktik. Allerdings langte man nicht immer glücklich mit den Theorien aus, die Fahrzeuge geriethen in Brand, die Adler wurden getödtet, man war gezwungen sich mit dem Fallschirm erdwärts zu wenden, und wenn der Feind sich unten befand, auf Gnade und Ungnade sich zu ergeben.

Die regsten, leichtesten Bursche kamen denn zu diesen, im ächten Sinne des Worts, leichten Truppen.

Andere kamen zu der Reuterei. Diese hatte jetzt Pferde, welche man eben so wohl zum Krieg abgehärtet hatte, als die Menschen. Eingehegte Wildnisse waren der Ort ihrer Erzeugung. Dort liefen sie bis ins fünfte Jahr umher, jeder Witterung blos gegeben, durch keine warme Stallung, kein regelmäßiges Füttern, verwöhnt. Schwer ward es dann sie zu bändigen, doch gelang es endlich durch Güte und Strenge. Im schnellen Laufen übte man sie täglich, dann mußten sie auch verschiedene, vor ihnen in Gestalt von Soldaten zu Fuß und zu Pferde, zur Höhe gerichtete Gegenstände, über den Haufen rennen, in Stickfeuer und Schwefeldunst gehen, von Furcht befreit, vertraut mit Schmerzen. Dabei mußten sie sich auf des Reuters Verlangen schnell zur Erde werfen, denn auch hier war es im Gebrauch, wenn es die Umstände wollten und erlaubten, sich mit Erdaufwürfen zu sichern.

In früheren Zeiten galt es erschöpfende Anstrengung, wenn Reuterei etwa eine Viertelmeile im vollen Rennen zurücklegte. Jetzt hatten die wild aufgewachsenen, durch Uebung immer mehr gekräftigten Kampfrosse, Athem genug, dies mehrere Meilen zu vollbringen, obschon sie sowohl als der Reuter gepanzert waren, und oft noch ein Schütz hinten auf saß, der denn im vollen Laufe, entweder über des Reuters Schultern, oder rechts und links, feuerte.

Auf große Abstände bediente sich diese Waffe schon des Feuerrohrs, Hundert Schritte vom Feind pflegte man eine Wurflanze in seine Reihen zu schleudern, zwei andere Spieße, die ein leichter Mechanismus senkte oder hob, waren an des Reuters Füßen befestigt.

So geschah der Einbruch. Zuletzt strömten weite Pistolen noch kleine Kugeln und Raketen, dann wüthete das Schwert.

Doch der Feind traf auch Gegenmaaßnehmungen. Das Fußvolk zog in bewundernswerther Geschwindigkeit Gräben mit Lanzen ausgespickt, über welche die Kampfrosse fielen. Reuterei warf Fußangeln an dünnen Stricken weit hinaus, den Gegner dadurch zu verwirren, sie aber auch gleich wieder aufzunehmen, wenn es Verfolgung galt.

Die jungen Männer, welche hier Anstellung fanden, mußten, neben dem schon vergangenen Lehrjahre, drei andere, bei den Uebungen im Reiten, im Schießen vom Sattel, und dem Fechtkampfe auf Lanze und Schwert, verleben. Mitgebrachte Vorkunde und glückliches Auffassungvermögen minderten gleichwohl diese Zeit.

Weit bewundernswerther als andere Waffen, trat jedoch die Artillerie auf. Wie würden die Männer aus dem achtzehnten und dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts, welche dem großen Geschoß vorstanden, haben staunen müssen, wenn ihnen ein Blick auf ihre späten Nachfolger, von jenseits der Gräber her, wäre vergönnt gewesen. Es wurde schon bei Gelegenheit der Festen gemeldet, welche Kaliber die dermalige Zeit sah, allein auch im Felde leiteten Metallehre, Scheidekunst und Bewegungstheorie, das Geschäft des Verderbens wundersam.

Vervielfältigt waren die Mittel, dem Rücklauf zu begegnen, und so konnte der Konstabel sich leichter Röhre bedienen, wenn sie gleich schwere Ballen fortzutreiben vermochten. Es gab viele derselben auf einem Gestell, die mit Lademaschinen in unglaublich kurzer Zeit nach einander den Tod spieen. Andere wieder, auf so hohen Wagen, daß sie über Fußvolk und Reuterei emporragten und durch diese gedeckt, von hinterwärts ihre Zerstörung aussandten. Es gab feuerfeste Wandelthürme, in vielen Stockwerken mit Kanonen besetzt. Es gab bewegliche Reduten, auf allen ihren Seiten Batterien. Wie schaffte man die fort? ist die Frage. O dergleichen hätte schon um Jahrhunderte früher vorhanden sein können, wenn damals nicht eine so große Geistesträgheit unter den Kriegern zu finden gewesen wäre, wenn nicht manche Völker es vorgezogen hätten, dem Verderben zuzueilen, als das Genie über die Maasregeln ihrer Rettung zu hören. Das war nun freilich späterhin anders. Niemanden traf Verfolgung, weil er klüger war, als der Haufe, der Verstand war kein Monopol sondern Allmende. Pulverkraft schaffte diese Wandelthürme, diese Wandelschanzen fort, und es ist gar so schwer nicht, die Möglichkeit zu ahnen.

Die Artillerie zu Pferde hatte ihre Stücke nicht auf Wagen, sondern bei sich an den Sätteln, in kleine Theile zerlegt, die man in etlichen Sekunden zum Ganzen vereinte. Sie bewegte sich noch schneller als die gewöhnliche Reuterei, indem sie die vorzüglichsten Pferde empfing, und jener im Ansprung voraus eilen mußte, durch einige schnell angebrachte Lagen die Bahnen aufzuhellen.

Das Laboratorium setzte in Erstaunen. Hier wurden unter andern die Feuermaterien gemengt, deren Flammen sich überall vertilgend anhingen. Die Artillerie bewarf zuweilen eine feindliche Reihe so damit, daß ein dichtes Glutmeer über sie hinströmte und der Erfolg ist denkbar. Ueberhaupt geizte die Artillerie nach der Ehre, Schlachten und kleinere Gefechte zu entscheiden, ohne daß andere Massen Theil daran nahmen, was auch oft gelang.

Den Krieg unter der Erde führten die Minirer. Reutereiangriffen, wie sie jetzt angethan waren, dem schnellen Heranbringen mordender Batterien, konnte fast nur eine wirksame Vertheidigung entgegen gestellt werden, wenn der Boden an Stellen, wo sie vorüberkamen, unterhöhlet, und Mine an Mine, mit reinem Knallsilber gefüllt, gereiht wurde. Dann ließen sich Tausende leicht zerreissen, nach den Wolken senden. Selten ward ein Lager bezogen, wo die rüstigen Krieger in der Tiefe, nicht sogleich die ganze Linie mit ihren verborgenen Werken umgürtet hätten. Brachten sie diese nun zum Ausbruch, so schien es, als ob Vulkan neben Vulkan spie, und die flüßigen Feuer strömten, der Lava gleich, weit umher.

Bei so erschwertem Zugang, hatte nun der Angreifer zu sinnen, wie er seinen Kohorten, vor ihrem Sturme, den Boden sicherte. Dies konnte nicht anders als unter seinem Rande geschehen. Daher mußten die disseitigen Minirer zeitig ihren Weg antreten. Große Erdbohrer, durch Maschinen in Bewegung gesetzt, dienten zu diesem Zwecke. Man beeilte sich, die höllischen Anlagen aufzufinden und durch eine frühere Brandstiftung sie unschädlich zu machen.

Grausenvoller Krieg, schauderhafte Anwendung entsetzlicher Naturkräfte! Doch dies fürchterliche Verfahren war nothwendig geworden, man durfte sich nicht ungestraft an Mordkunst überbieten lassen. Und die Möglichkeit solcher Allvertilgung, mahnte desto lauter an, den Frieden zur ersten Tugend der Menschheit zu erheben. Noch hörten aber nicht alle Völker darauf.

Wer nun von den jungen Soldaten in eine der kunstreichen Truppenarten aufgenommen worden, und den Unterricht dreier neuen Lehrjahre empfangen hatte, konnte nach Belieben wieder austreten, denn es war nützlich, unter den Bürgern im Staate, auch eine Zahl so angelehrter zu wissen. Es war nun eine Befreiung von gewissen Gaben und ein Ehrenzeichen ihr Lohn.

Wer aber noch länger zu weilen Lust zeigte, trat ins große Heer, wo sein Dienst zehn Jahre währte. Nach dieser Zeit ging er zu den Veteranen, welche entweder die Besatzung der Festen bildeten, oder der Uebung junger Rekruten oblagen. Denn es galt der Grundsatz: kein Krieger im offenen Felde dürfe mehr als dreißig Jahre zählen. Man kannte den leichten, die Gefahr höhnenden Sinn, welcher allein mit der Jugendkraft verbunden ist. Nothfällen blieben Ausnahmen vorbehalten.

Die Beförderung zu höheren Stellen bestimmte die Dienstzeit. Im Frieden ward dies durchaus nicht abgeändert, eine Auszeichnung war da selten, weil alle ebenmäßig gebildet wurden. Im Kriege galten Großthaten Pflicht, und die Voraussetzung, Niemand werde ihrer ermangeln, wenn ihm die Gelegenheit winkte. Es ist schlimm, sagte man, von Verdienst zu reden. Die Abwesenheit desselben bei Vielen, wird stillschweigend eingestanden, wenn des Einzelnen Lob darum ertönt.

Doch Anführer großer Heerhaufen wurden nach Maaßgabe des höheren Genies ausgewählt, das sie beurkundeten. Sie mußten in den Kriegsübungen, während vieler Jahre, keinen Tadel verwirkt haben. Sie mußten aus den Schulen ihrer Theorien, welche sich bei den Heeren befanden, vortheilhafte Zeugnisse mitbringen. Sie mußten dann eine Zeitlang dort selbst den Lehrstuhl besteigen, denn man wußte gar wohl, wie auch der beste Kopf lehrend am meisten lernt. Sie mußten in gehaltvollen Schriften beweisen, daß sie die Kriegskunst nicht nur ihrem Umfange, und ihren einzelnen Abtheilungen nach, ergründend verständen, sondern daß sie sie auch mit neueren Ansichten zu bereichern wüßten. Gute Erfindungen, durch welche das Heer einen wahrhaften Vortheil über die der Nachbaren errang, gaben endlich den Ausschlag, der Zahl derer beigesellt zu werden, aus welcher man Heerführer wählte.

Dies geschah aber von Seiten des Heeres selbst. Die meisten Stimmen, im Geheim ertheilt, entschieden. So konnten keine unreine Mittel angewandt werden, ein solches Amt zu erlangen. Auch war es nicht ausführlich, Hunderttausend Mann zu bestechen. Nur ächte, keine Scheingenialität, konnte wohl mit ihrem Rufe so weit dringen, daß die Mehrheit einer solchen Zahl in ihren Wünschen gewonnen ward. Dann sandte der aus den Aeltesten zusammengesetzte Rath des Heeres, die Wahl nach Rom, wo das Strategion, eine Körperschaft alter Feldherrn und Kriegsgelehrten, ihre Gründe untersuchte und danach abwog, ob sie dem Kaiser zur Bestätigung vorgelegt werden sollte, oder nicht. Diesem blieb zuletzt sein souveraines Ja oder Nein.

So weise verfuhr dies Zeitalter bei der gewichtigen Frage: wer seinen trefflichen Heeren gebieten sollte?

Wie trefflich diese Heere aber auch sein mochten, so kosteten sie dem Staate nichts. Gewissermaaßen nichts.

Denn jener zehnjährige Dienst nach den Lehrjahren, er mochte bei den künstlerischen Truppenarten oder nur bei dem einfacheren Fußvolke Statt haben, (wo auch Viele blieben, die jene zu schwierig für sich fanden,) ward nicht allein mit Kriegsübung hingebracht. Dies hätte man unnöthig, überflüssig gefunden. Die großen Heere tummelten sich drei Monate im Jahr. Und dabei wählte man nach einander Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Dies schien hinlänglich, das Handwerk fortgesetzt in seiner Gewalt zu haben, und der Strenge jeder Witterung Trotz bieten zu können. Zudem hatten diese Uebungen so viel Praktik als immer thunlich blieb. Zwei Heere bildeten sich und verfuhren als Feinde gegen einander, auf alle Weise die Wirklichkeit darstellend, nur daß freilich die Röhre nicht mit Kugeln versehen waren. Gleichwohl ging es dabei nicht ohne Gefahr ab, worauf es auch bei Menschen, deren ganzes Wesen die Gefahr geringschätzen soll, nicht ankommen muß. In der Hitze des Streits blieb hie und da ein Krieger, und ward dann, als ob Ernst bestanden hätte, an den Ehrensäulen genannt, welche der Nachwelt die Namen derer übergaben, die im Kampfe mit des Vaterlands Feinden gefallen waren.

Nun hatte aber der Staat seit lange den Heeren Ländereien übergeben. In den Provinzen, Polen, Moskau, Schweden, manchen Gegenden der vormaligen Türkei von Europa, gab es überflüssige Waldungen, unbewohnte Steppen, Moräste, die einer Austrocknung fähig waren, in Menge. Auch fanden sich hie und da Bergwerke, zeither ungenützt und ergiebig. In den neun Monaten, wo nun die Soldaten sich nicht mit den Waffen beschäftigten, war ihr Beruf, zu urbaren, zu bauen, zu säen, zu pflanzen, zu ärnten. Dies war im Laufe der Zeit schon weit gediehen, und die Krieger hatten ungemein wohlgepflegte Besitzungen.

Nach den Lehrjahren wirklicher Soldat, empfing auch Jeder seinen Antheil, den er für sich bearbeitete, doch auch die Obliegenheit, einer nebenliegenden Hufe seine Sorge zuzuwenden. Diese war Vermögen der Gesammtheit, welche, durch die Menge derselben, sich eines hohen Reichthums erfreute. Aus den Einkünften davon, konnte nicht allein der Sold für die Rekruten und Veteranen, bestritten werden, sondern sie waren auch die Quellen, aus denen man zum Behuf der anderweitigen Heeresnothwendigkeiten schöpfte.

Das Heer ließ seine Magazine mit Korn füllen, und häufte hier immer Vorräthe für mehrere mögliche Kriegsjahre auf. Es zog seine Pferde in den wilden Stutereien. Es ließ seine Kupferminen, seine Eisen- und Schwefelbergwerke bearbeiten, erzeugte Salpeter, Ammoniak und andere Gegenstände für seine Waffenfabriken und chemische Laboratorien in Ueberfluß. Auf Kunststraßen, welche es bauen half, schafte es mittelst ihm zugehöriger Prahmwagen sie leicht an die Orte, wo diese Fabriken angelegt waren. Die Wolle seiner Schäfereien, die Linnen seiner Flachsschollen, kleideten die Soldaten. Die Veteranen, nach dem dreißigsten Jahre keinesweges veraltet, trieben auch den Festungbau. Lobenswerthe Einrichtungen in früheren Zeiten, wo man den Müßigang der Krieger willig duldete und sie dadurch vielseitig verdarb, nie ins Dasein gerufen.

Gelino machte nun dem Zögling bekannt, wie er, als europäischer Bürger, sich nun werde gefallen lassen, hier sein Waffenjahr anzutreten. Guido hörte das mit innigem Vergnügen, von jeher hatte das Kriegshandwerk für seine lebhafte Einbildung unsägliche Reitze gehabt, und immer hoffte er einst Ruhm darin zu finden, wenn schon eben keine Aussicht zu ernstlichen Kämpfen bestand.

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