Drittes Büchlein.

Guido im Heere.

Der Lehrer führte ihn einige Meilen von Moskau weg, wo eben die große Uebung des Heeres Statt fand. Wie begeisterte den Jüngling der strahlende Waffenglanz, der laute Donner so vieler Feuerröhre, deren Rauchwolken den ganzen silbernen Himmel dunkel umzogen und wieder mit tausendfachem Blitz erhellten. Am fernen Boden schlängelten sich der Minen Lavabäche, wenn ihre Erdberge emporstiegen.

Nachdem die Truppen die heutige Uebung geendet hatten, begab sich Gelino mit seinem jungen Freund, zum Anführer. Er stellte ihm Guido vor und übergab dabei ein Schreiben. Der Feldherr blickte den Jüngling wohlgefällig an, und brach darauf das Siegel. Nachdem er gelesen hatte, sagte er: Wohl scheinst du es werth, Jüngling, daß der Kaiser dich selbst empfielt. Er muß dich vortheilhaft kennen gelernt haben, große Wärme spricht in seinem Briefe, und deine Miene betrügt auch wohl kein Vertrauen. Doch verlangt deines Beschützers Weisheit unfehlbar nicht, daß ich dir unverdienten Vorzug einräume. Zeige jedoch Willen und Kraft, so kann die Ehre im Heere geachtet zu werden, dir nicht entstehn.

Guido ward verlegen, da er von dem Briefe des Kaisers nichts wußte. Doch antwortete er mit bescheidenem Selbstgefühl: er achte sich zu sehr, eine Auszeichnung zu verlangen.

Er hatte nun die Prüfung zu bestehn. Seine seltne Gewandheit in Leibesübungen erregte Staunen, er war so keck, die Behendesten im Laufen, die Stärksten im Ringen, die Rüstigsten im Schwimmen, zum Wettkampf einzuladen, und trug den Sieg davon. Eine Probe seiner geometrischen Uebersicht abzulegen, schwang er sich an einen Luftball empor, und entwarf binnen einer Stunde eine höchst genaue Charte des sichtbaren Landhorizonts. Auch anderweitig bestand er, nicht nur zur Zufriedenheit, sondern zur Bewunderung der Anwesenden, was dem Lehrer Gelino süß schmeichelte.

Er empfing seine Waffen und begann die Uebungen froh. An Ini schrieb er: Ich trage nun das Kriegerkleid. Neue Kraftübungen werden meine Formen entfalten, der hohe Gedanke an Heldenthum, verbunden mit dem entzückenden, verklärenden an dich, werden mir endlich die Gestalt vollenden, welche deiner allein werth sein kann.

Sie antwortete: Gehe nicht leicht hin über das Schwere. Sorge und wache. Liebe stärke dich!

Der Seegen einer Geliebten hat immer wunderbare Einwirkungen. Jedes Geschäft geht leichter von dannen, der Genius erwacht, trägt bald auf den Gipfel des Vorhandenen und läßt höhere Vollkommenheit umfassen.

Guidos nervigte Arme lernten die Kunstgriffe mit dem scharfen Spaten bald, und führten Lanze und Schwert mit Geschicklichkeit, sein geübtes Auge brauchte in wenigen Wochen das Feuerrohr so fertig, daß er nie sein Ziel fehlte.

Was sollen wir dich lehren, fragten die Veteranen, dir ist schon alles bekannt, was der Fußsoldat wissen muß, um zu seinem Haufen zu gehen.

Guido beruhigte sich aber dabei nicht. Er hatte nachgedacht, ob man nicht über den Erdwurf feuern könne, ohne das Haupt dem feindlichen Geschoß zum Ziel darzubieten. In der Optik fand er ein Mittel zu diesem Zweck. Er ließ sich ein hakenförmiges Sehrohr fertigen, das die Lichtstrahlen in einen Winkel brach, und sein Feuerrohr mit einem gebogenen Kolben versehn. Nun blieb er ganz hinter der Erdwehr liegen, und sah durch sein Instrument dennoch darüber hin. Der Schuß erfolgte da bei aller eignen Sicherheit. Er zeigte den Veteranen, was er ersonnen hatte. Diese gaben ihm großen Beifall zu erkennen, und sandten sein Feuerrohr an die Rathsversammlung des Heeres, welche neue Erfindungen zu untersuchen hatte. Sie war von dem wichtigen Nutzen der vorliegenden zur Stelle überzeugt, und schickte sie wieder durch einen Eilboten dem Strategion zu Rom. Dieses antwortete bald: Man hätte sogleich alle Feuerröhre der Fußsoldaten auf die vorgeschlagene Weise umzuändern.

Man sprach beim ganzen Heere von diesem Ereigniß. Durchaus war es neu, daß ein Jüngling, nur einige Wochen unter den Waffen, schon eine Abänderung beim Heere veranlaßt hatte. Man untersuchte zwar alles willig, munterte liebevoll auf, doch selten erfolgte die wirkliche Anwendung. Wenn es diesmal auf einmüthigen Beifall geschah, so lagen auch vor Jedermann die Beweise der Trefflichkeit jener Erfindung.

Man sprach ihn auch zugleich von der Obliegenheit los, ein Lehrjahr bei den Fußsoldaten zu weilen. Es ward ihm frei gestellt, in eine andere Waffe zu treten, und er wählte die Reuterei.

Grade waren Pferde aus der eingehegten Wildniß angelangt, und der Führer des Zuges klagte über die Unbändigkeit des einen darunter, rathend, es als unbrauchbar zu tödten. Guido bat um die Gunst, es versuchen zu dürfen. Man wollte sie lange nicht zugestehn, einwendend, schon die bewährtesten Reuter hätten Unfälle mit diesem Thiere gehabt. Jener ließ aber nicht nach, zäumte und sattelte das Roß, bei allem Widerstreben, und schwang sich darauf. Es bäumte sich hoch, Guido drückte ihm mit starkem Arm den Kopf nieder. Es ging, dem Zügel nicht mehr gehorchend, athemlos ins Weite. Guido riß ihm den Kopf herum und brachte es zum Stehn. Endlich, die Kraft seines Meisters gewahrend, bequemte sich die üppige Wildheit zum Nachgeben. Gelehrig folgte das Pferd, wohin Guido wollte. Er ritt es vor aller Augen an einen Bombenmörser, und ließ ihn neben sich losbrennen. Ein gewaltiger Sprung zur Höhe folgte, der Jüngling saß fest und hielt sein Thier auch zugleich wieder an, es kühn mit dem Sporn für die Unart strafend. Es schnaubte Wuth, wagte aber, bei einem zweiten Schuß, nicht mehr, von der Stelle zu gehn. Endlich legte Guido das Feuerrohr zwischen seine Ohren, erlegte tausend Schritte davon einen Habicht, der eben durch die Luft flog, und sein Pferd rührte sich nicht.

Alle Reuter jauchzten ihm Lobsprüche, und er dachte geheim: Hätte mich doch Ini jetzt gesehn!

Eine freundliche Aufnahme in die Reihen war sein Lohn, und das Verlangen, dies Pferd für den Dienst behalten zu dürfen, fand Bewilligung.

Er bewies sich bald so tüchtig als Reuter, daß die Veteranen urtheilten, es bedürfe hier durchaus keiner Lehrzeit mehr. Deshalb bat er aber, zu dem großen Heere gesandt zu werden, und das aus folgendem Grunde:

Der Cäsar von Neu-Persien hatte Asien im Besitz, mit Ausnahme von Japan und China. Diese alten Reiche hatten in vorigen Kriegen immer glücklichen Widerstand geleistet, jenes durch seine abgesonderte, meerumflossene und durch Felsenküsten sichere Lage, dieses mittelst seiner ungeheuren Bevölkerung, und indem es, aufgeweckt durch die nähere Gefahr, das Volksgenie auch geweckt und in den Kriegskünsten neuer Zeit mitgestrebt hatte. Grade war aber eine neue Fehde ausgebrochen, und bei dieser Gelegenheit ein Trupp chinesischer Tatarn versprengt worden, der, Unfug und Verheerung übend, den Gränzen von Europa nahte.

Man sandte eine Heerabtheilung, meistens Reuterei, entgegen, im Fall sie sich nicht entblöden würden, das diesseitige Gebiet zu betreten, und da Guido sehnlich wünschte, dem etwanigen Feldzuge beizuwohnen, drang er so lebhaft darauf, zum Heer gesandt zu werden, was auch geschah.

Der Ruf war ihm zuvor gegangen, neugierig sammelte sich die Menge, den Jüngling zu sehn, der eine genievolle Erfindung gemacht hatte und für den kräftigsten Rossebändiger galt. Die Art, wie er unter den neuen Kameraden auftrat, erwarb ihm auch gleich Vertrauen und Gewogenheit.

Es ging zur Gränze, wo eilig das Gerücht einlief, schon wären mehrere Dörfer geplündert und verwüstet worden. Der Anführer nahm seinen Marsch in die Gegend, welche, die noch unkultivirteste in Europa, dichte Waldungen durchschnitten.

So leicht der europäische Stolz diesen Krieg gewürdigt hatte, so furchtbar-schwer war er zu führen. Die Waldungen deckten den Feind. Man konnte sich nicht über seine Zahl oder Stellung erkundigen, weil die leichten Truppen, für dies Geschäft dem Heere zugetheilt, nicht von oben herab durch die Kronen der Bäume zu blicken vermogten. Die Tatarn verbargen sich geschickt, drangen dann unvermuthet in wilden Haufen hervor, fielen mit Ungestüm an, und entfernten sich mit einer Schnelligkeit, die den Vortheil auf ihre Seite brachte. Denn ihre Pferde, welche Klugheit bei Zucht und Anlehrung der europäischen auch thätig war, hatten den Vorzug.

Die berittene Artillerie ließ sich in den Gehölzen nicht brauchen, wider die kleineren Röhre bedienten sich die Feinde eines Schildes, mit einem in China erfundenen Lack überzogen, der bei großer Leichtigkeit Reuter und Pferd deckte, im Anrennen vorn, im Weichen hinterwärts Gebrauch fand. Schlimmer wie alles das, konnte man ihre Pfeile ansehn, womit sie überaus geschickt trafen, und den gepanzerten Mann entweder im Gesicht oder an den Händen verwundeten. Diese Pfeile waren in ein Pestgift getaucht, das nicht allein den Getroffenen hinraffte, sondern auch sich epidemisch mittheilte. Sie dagegen, war mit Recht anzunehmen, mußten mit einem schirmenden Gegenmittel versehen sein, da man von keinen Krankheiten unter ihnen hörte.

Groß war, bei allem anerzogenen tapfern Sinn, die Bestürzung, als der Tod in den europäischen Reihen wüthete. Die Aerzte wußten keinen Rath, fanden selbst ihr Grab. Der Anführer wagte einen verwegenen Streich, wurde aber mit seinem Vortrab umzingelt und niedergehauen.

Die Truppen wählten einen neuen Gebieter, der einstweilen sein Amt übernahm, bis die Bestätigung darin eingelaufen sein konnte. Es war der Sohn eines vornehmen Fürsten, welcher demungeachtet der erforderlichen Eigenschaften nicht ermangelte. Er hielt den Truppen eine kräftige Anrede, worin er die Nothwendigkeit bewies, die Räuber zu vertilgen, wenn dem ganzen Lande nicht Untergang durch die Pest drohen sollte; mahnte jeden an, den Sinn der Aufopferung in sich zu wecken, und zu denken, auf welchen Wegen sich der entsetzlichen Gefahr begegnen ließ. Der Feuerwille, im Kampf dem Tode zu trotzen, ließ sich auch überall wahrnehmen, doch die natürliche Furcht vor der Pest bleichte jedes Antlitz, und im ganzen Lager tönte Wehklage, da keine Minute verging, wo nicht ein Freund dem Freunde starb.

Guido schrieb an seinen Lehrer, der nun in Moskau geblieben war: Komme ich um, so sage Ini, mein Leben sei mit ihrem Namen den Lippen entflohn, vielleicht aber gelingt es mir, ruhmgekrönt wiederzukehren, denn ein Wagstück ist mir beigefallen, das uns retten kann.

Er ging zu dem Heerführer, bat sich einen Luftnachen und einige muthbewährte Männer aus. Du bist ja Reuter, was willst du unter den Spähtruppen? fragte jener. Vertraue mir um was ich bitte, hieß die Antwort, ich will mein Leben daran setzen, den Tod vom Lager zu fernen.

Wohlan! Und möge das Glück dich geleiten.

Guido stieg hoch in die Lüfte auf, begab sich über den Feind und blickte mit einem treflichen Fernrohre nieder, das ihm der Feldherr auf sein Ansuchen noch mitgegeben hatte. Nach langer vergeblicher Mühe entdeckte er in der Waldung einen kleinen offnen Raum, wo ein prächtig Gezelt stand. Hier ist ohne Zweifel der tatarische Feldherr, sagte er zu seinen Begleitern, dies wollte ich erkunden.

Jetzt schwebt er zurück über das eigne Lager, und ließ einen Brief niederfallen, in welchem er den disseitigen Heerführer bat, einen Angriff, wenn auch nur scheinbar, zu machen. Er sah nach einer halben Stunde, daß seine Bitte Gehör gefunden hatte, die Schlachttrompete klang, die Glieder rückten aus.

Jetzt mußten ihn die Adler wieder über jenen lichten Raum bringen, hoch genug, daß, bei ohnehin trüber Luft, er nicht mit bloßen Augen zu entdecken war. Sein gutes Fernrohr zeigte ihm aber bald, wie auf den Schlachtlärm ein vornehmer Tatar aus dem Gezelte trat, zahlreich begleitet sich aufs Kampfroß schwang und vorwärts eilte. Nur wenige Einzelne umzingelten in einiger Entfernung wachend das Hauptquartier.

Sogleich ließ sich Guido, durch stille Luft und einbrechende Abenddämmerung begünstigt, am Fallschirm nieder. Nicht weit von dem Hauptgezelt blieb er an einer Eiche hangen, und kletterte von da zur Erde. Eine Wache entdeckte ihn, doch ehe der unbesorgt gewesene Tatar zum Bogen greifen konnte, hatte er Guidos Dolch in der Brust. Dieser legte nun seine Kleidung an, verdachtloser weiter handeln zu können. Er ging einigen Anderen vorüber, die, seiner Kleidung halber, nicht Acht auf ihn gaben und gelangte glücklich in das Zelt. Hier standen viele große Flaschen mit der tatarischen Ueberschrift: Gegengift. Dies war was Guido gewollt hatte. Er nahm eine davon, und schlich weit rückwärts in den Wald, indem die Nacht dunkler wurde. Endlich, niemand mehr gewahrend, zündete er ein kleines Feuer an, was seinen Kameraden im Luftnachen zum Zeichen diente, sich niederzusenken.

Dies geschah. Guido bestieg mit seiner Beute den Nachen, und man eilte durch die Luft dem eignen Lager zu, wo man gegen Morgen erst anlangte, denn das Gefecht hatte eine unglückliche Wendung genommen, die Europäer waren weit zurück gedrängt worden.

Er fand unglaubliche Verwirrung, auch der Feldherr war geblieben. Getrost, rief er, ich bringe vorerst eine Hülfe, das Weitere wird sich finden.

Die Aerzte wurden berufen. Man untersuchte die Flasche, mittelte die Bestandtheile aus, und traf sogleich Anstalt, das Mittel in großer Menge zu fertigen. Zugleich ward es an den Pestkranken, die in großer Zahl schmachteten, versucht, und alle sahen sich nach wenigen Stunden hergestellt. Die Art des Gebrauchs enthüllte sich schon aus der Natur dieser Arzenei. Sie wurde auch schnell nach den rückwärts liegenden Ortschaften gesandt, wohin sich das Uebel auch schon verbreitet hatte.

Hoher Freudejubel! Neuerwachter Muth im Heere, da keine Pestpfeile mehr zu fürchten standen. Guidos Lob klang in aller Krieger Munde. Kein Neid trübte einen so rein verdienten Dank.

Die Aeltesten ordneten eine neue Heerführerwahl. Jeder im Heerhaufen nährte denselben Gedanken. Mag der Jüngling selbst nicht das erste Lehrjahr bestanden haben, sein Geist, seine Thaten erheben ihn zum Würdigsten. Man zog die Namen aus dem Helm, der unter allen Kriegern umhergegangen war. Guido stand auf jedem Papier.

Er war beschämt, verlegen — doch klopfte sein Busen von nicht geringer Freude. „Was wird Ini sagen, wenn sie davon hört!“ dachte er, dann — gab er Befehle.

Eine weite Umzingelung des Feindes schien ihm in diesen Waldungen das Dienlichste. Jeder Krieger empfing eine kleine Viole von dem Gegengift, um nun bei einer Wunde sogleich einige Tropfen davon anwenden zu können. In der folgenden Nacht traten die Flügel ihren Weg an, um sich in den Rücken des Feindes zu begeben. Zeitmesser und Kompaß dienten, sich genau an den Stellen einzufinden, wo es der Plan verlangte. Ein Morast, durch den die Tatarn nicht dringen konnten, begünstigte an einer Seite den Entwurf, an der andern ließ Guido schnell eine Meile lang die Bäume mit Knallsilber umwerfen, daß auch dort der Ausweg gesperrt wäre.

Dann begann der Angriff von zwei Seiten in der nämlichen Minute. Die Tatarn erschraken, da sie die alte Furcht vor ihren Giftpfeilen nicht mehr inne wurden. Ja, Bestürzung verbreitete sich unter ihnen, als einige gewahrten, die Verwundeten der Europäer bedienten sich eines Gegenmittels. Die nehmliche Entdeckung hatte auch den Neu-Persern eine Ueberlegenheit über diese Truppen gegeben und sie in die Nothwendigkeit gesetzt nach dem Norden zu fliehn.

Man drang scharf ein. Die flüchtige Eil der tatarischen Rosse half nicht, da zu beiden Seiten der Feind anrückte. Im Nahekampf hatten die europäischen Waffen den Vorzug.

Jener Feldherr, seine mißliche Lage erwägend, sammelte auf den Ton eines weitschallenden Instrumentes eine große Masse und suchte mit dieser durchzubrechen. Guido, der dies vermuthete, begann an der Spitze einiger Tausende ein Scheingefecht, floh und lockte die Feinde auf eine große Mine, deren Explosion in dem Augenblick erfolgte, als der Vortrab des Gegners den unterwühlten Boden betreten hatte.

Gräßlich schauderhafter Anblick, als Tausend entwurzelte Eichen dem Aether zuflogen! Doch wurde es auch Guidos Leuten verderblich, als die Baumtrümmer, die zu Tausenden zerrissenen Gäule und Menschen, wieder dem Gesetz der Schwere gehorchten, und sich weiter verbreiteten als man erwartet hatte. Manche darunter wurden getödtet, selbst Guidos Pferd von einem großen Stamm aufs Haupt getroffen. Er entging jedoch den Gefahren glücklich, und bestieg ein anderes Kampfroß, die Niederlage der Tatarn zu vollenden.

Ihr Feldherr gab die Hoffnung nicht auf, wandte sich nach einer andern Gegend. Guido ließ ihm aber keine Frist, fiel den Haufen von allen Seiten an. Nicht überall konnten die chinesischen Schilde decken, große Verheerungen bewirkten die europäischen Feuerröhre. Endlich traf Guido auf den Feldherrn selbst, ein innig gefühlter Wunsch. Er rief ihm zu: laß uns beide kämpfen; wer fällt, dessen Schaaren sollen sich dem andern ergeben!

Der Tatarfürst war es zufrieden und warf seine Lanze. Sie würde, wohl zielend, Guidos Gesicht getroffen haben, wenn dieser sie nicht mit seinem Schwerte hinweggeschlagen hätte. Er schoß, dem Tatar half sein Schild. Nun gab Guido dem Pferde den Sporn, flog dicht neben seinen Gegner hin, ihm den Degen in die Seite zu bohren. Es gelang nicht, weil der Andere auch mit fechtender Geschicklichkeit den Streich abzuwenden wußte. Guidos Pferd, im Sprung, war nicht gleich aufzuhalten, der Tatar sandte einen Pfeil nach, verwundete es tödtlich, und Guido mußte auf den Boden springen.

Nun suchte der Feind ihn mit seinem Kampfrosse über den Haufen zu rennen. Ohne hohe Geistesgegenwart war Guido verloren. Doch er dachte an Ini, und fühlte neue Kraft durch seine Adern strömen. Er wich rechts und links dem schnaubenden Thiere aus, ersah den Augenblick und bohrte das Eisen in seinen Bauch. Mit großem Getöse fiel es in den Staub, nachdem es durch die letzte krampfhafte Bäumung den Reuter weggeschleudert hatte.

Dieser stand aber auch gleich wieder auf den Füßen und Schwert gegen Schwert wüthete. Die Panzer vereitelten Hieb und Stoß, an ihrer Kraft brachen beider Klingen. Nur die Arme blieben den ergrimmten Kämpfern noch übrig. Den fabelhaften Riesen der Vorzeit gleich umschlangen sie sich damit, und geriethen auf das Eis eines kleinen Sees, der dort lag.

Der Tatarfürst schien an Nervengewalt seinem Feinde nicht nachzustehen, doch lebte ihm keine hohe Liebe daheim, in deren Anruf er seine Heldenkraft verdoppeln konnte. Allein vor Guidos Seele stand Inis segnendes Bild und neue Götterflammen strömten in seine Brust. Mit des Bildes Erscheinung lebte auch das Triumphgefühl in ihm auf. Es ward ihm ein Spiel, hoch den Tatar empor zu heben und ungestüm gegen die gefrorne Fläche zu werfen. Der Fall des Gepanzerten aufs Haupt war entscheidend, die Gebeine des Nackens waren zerschellt, weit glitt der Leichnam auf das klare Eis hin.

Guido nahm das zertrümmerte Schwert, den Panzer und eine Diamantkette, die an der Brust des Todten hing, alles an Ini zu senden. Die Europäer ließen Sieggesang ertönen, die Räuberhorden flehten um Gnade und lieferten die Waffen ab.

Man fand großen Raub im Lager, den Guido unter die geplünderten Landleute vertheilen hieß. Edel genug waren seine Soldaten, nur Waffen sich zum Andenken des Tages zuzueigenen.

Noch wurde auf die hie und da zerstreuten Feinde Jagd gemacht, von denen auch keiner entkam. Die zahlreiche Schaar der Gefangnen bewachend eingeschlossen, eilte der Heerhaufen zurück nach dem großen Lager. Das Volk der Gegend erwartete Guido überall an den Wegen, und brachte dem Retter von Tausend Schrecken sein Dankopfer in Freudenthränen.

Unterwegs begegnete ihm ein Heer, reich mit Artillerie und andern Erfordernissen versehn. Es war im Anzuge, da man aus den Berichten entnommen hatte, jene Reuterei werde dem zu gering geachteten Feinde, nicht vollen Widerstand leisten können. Auch befanden sich viele Aerzte im Gefolge, die Natur der Seuche zu prüfen. Krankheiten waren diesem Zeitalter verhaßt und schrecklich, denn es war in Europa weit damit gekommen, sie auszurotten. Seit Jahrhunderten wußte man nichts mehr von Kinderblattern, die Krankheiten von Ausschweifungen im Geschlechtstrieb, hatte man dadurch verbannt, daß einst zum Gemeinbesten, im ganzen Staate, an einem ausgeschriebenen und der Menge geheim gehaltenen Tage, eine jede Person, ohne Ausnahme, Untersuchung traf und ihre Heilung bewerkstelligt wurde. Andere Welttheile waren klug genug, dieses Beispiel nachzuahmen und die Uebel bestanden nur noch in der Geschichte. Dem Heere von Fiebern mancher Art, widerstanden die durch gute phisische Erziehung und Mäßigung in den Leidenschaften, gestählten Organisazionen. Geist und Körper bewegten sich bei diesem Geschlechte zu viel, zu wachsam übte man die Sorge für gesunde Nahrung, als daß Gicht und Podagra hätten foltern können. Langer Gebrauch der Milch bei den Kindern, viel frühes Laufen in freier Luft, bildeten die Lungen vortheilhaft aus, daher konnten Brustkrankheiten nur höchst seltne Erscheinungen sein. Jene Resultate von Verderbniß der Säfte, in alten Zeiten bekannt, die scheuslichen Wassersuchten, waren mit ihren Ursachen verschwunden. Die Aerzte fanden unten diesen Umständen wenig Beschäftigung, als bei zufälligen äußeren Wunden, oder der auch nicht schwierigen Geburtshülfe. Sie trieben dagegen Chemie, die jetzt sehr viel geübte, und auf das Leben überall angewandte Kunst, und bekleideten demnächst, bei den Erziehungsanstalten, heilsame Aemter. — Immer höher reichte das Leben der Menschen hinauf, immer gewöhnlicher führte eine sanfte schmerzenlose Entkräftung hinaus.

Wie hoch mußte also die Erkenntlichkeit des Zeitalters gegen den Mann sein, der die Verheerungen der Seuche durch seine tapfere List abgewendet hatte. Indem die Aeltesten in dem anziehenden Heere, und die Naturkundigen, in sein Lob ausbrachen, wich Guido bescheiden aus und entgegnete: Es war immer doch nur zufällig, wenn ich das Gegenmittel fand. Hätte ich es selbst entdeckt, bereitet, dann wollte ich euer Lob annehmen.

Daß er den Feind schon überwältigt hatte, freute jene Soldaten desto weniger. Sie hätten gern ihren Antheil bei dem Ruhm gehabt. Doch erklärten die Männer im großen Heeresrath einmüthig, man müsse beim Strategion darauf antragen, daß Guido einen Triumpheinzug zu Moskau hielt.

Wie würde mir, dem Jüngling, das ziemen, rief er. Nein, ich bitte um meine Entlassung, da ich meine ferneren Reisen anzutreten denke. Giebt es aber einst neuen Krieg, dann stell’ ich mich.

Bescheidener! rief ein Unteranführer, du bist in solchem Fall nicht sicher, daß ein großes Heer dich zum Feldherrn erkiest. Zu laut ist dein Name von Ohr zu Ohr gedrungen.

O, dies anzunehmen, müßte ich noch weit mehr Wissen errungen haben, antwortete Guido. Doch einige Vorschläge, zu Verbesserungen, an dem schweren Geschoß, und den Minen, bitte ich noch von mir anzuhören. Die Erfahrung dieser Tage lenkte mich darauf.

Die künstlerischen Soldaten wurden hier ein wenig schwierig. „Wie, er diente nicht in unsrer Mitte, und hofft uns lehren zu können, was wir noch nicht wissen?“

Doch er eignete sich Theorien zu, entgegneten des Erfinders Freunde.

„Ei Theorien! Sie sind nicht die Erfahrung!“

Auch diese hat er gesammelt.

„Aber nicht in zulänglicher Summe.“

Man sieht, daß die Männer, bei allem Voraussein eine Tradizion von ihren Urvätern durch den Zeitstrom gerettet hatten. Doch ganz so eigensinnig waren sie nicht. Sie prüften — gingen vom Tadel zur Billigung über — und nahmen an.

Guido hatte aber noch eine andere Idee umfaßt, die er gern zur Ausführung bringen wollte. Die Musik beim Heere mißfiel ihm. Manches, sagte er im Rath der Anführer, habt ihr von mir angenommen, was den Nutzen zum Ziel hatte, laßt mich nun etwas für die Schönheit thun, die ohnehin eine gute Wirkung nicht verfehlen wird.

Aus der Kasse, welche zum Erproben neuer Erfindungen bestimmt war, wurden ihm beliebige Summen zugewilligt, über die nöthige Personenzahl konnte er entscheiden. Er ging eilig an die Ausführung, und der Arbeiter Gewandheit stillte bald seine Ungeduld.

Er ließ eine Luftgallione bauen, von funfzig Adlern gezogen, die für einige Hundert Menschen Raum enthielt. Zwei Silberpauken, mäßigen Häusern an Umfang gleich, befanden sich darauf, und wurden mit eichenen Knebeln durch Maschinen gerührt. Zudem metallene Hörner von der Länge einer Tanne, deren hintere Mündung an einen großen Blasebalg gebunden war. Diesen konnten zwei Männer durch einen Schnellhebel leicht niederstoßen. Jedes Horn hatte nur einen Ton, und es galt geübte Aufmerksamkeit der Spielenden, ihn richtig anklingen zu lassen, wenn das auszuführende Stück es verlangte. Aehnliche Trompeten waren auch in guter Zahl vorhanden, und Posaunen, welche sehr tief und kräftig ansprachen. Darüber hing ein reingestimmtes Glockenspiel, dem akkustische Kunst eine gewaltige Resonnanz gegeben hatte.

Guido sahe bald alles dargestellt, und übte ins Geheim seine Künstler zur Fertigkeit. Dann sagte er den Heeranführern: Rücket aus mit den Truppen. Ihr sollt eine Musik vernehmen, dem gesammten Heere, durch das Klirren der Schwerter, selbst durch den lauten Donner eurer Kanonen, hörbar. Töne ermuthigen in der Schlacht, füllen dem Tapfern mit noch edlerer Begeisterung das Herz. Von derselben Melodie sollen alle Streiter bezaubernd ergriffen werden. Man gehorchte ihm. Reuterei, Fußvolk und Artillerie zog auf die Gefilde, in den Bewegungen eines großen Kampfes. Zu den Wolken stieg der graue Dampf ihrer Röhre der Himmel war verhüllt. Da ließ Guido das mächtige Feldorchester über sie schweben, dreihundert Klafter hoch, unsichtbar in dem wallenden Rauchnebel. Die Musiker hatten die Ohren dicht verstopft, nicht Taubheit davon zu tragen.

Welch ein Effekt in der Tiefe, als der Sturm des Klanges niederbrauste, auf Meilenfernen in gleicher Gewalt hörbar. Es war, als ob der Gott der Heerschaaren in den Lüften waltete, seine Treuen durch himmlische Melodien zum unsterblichen Ruhm weihend. Entzückt, wonnetrunken, horchten die staunenden Helden. Warum ist kein Feind da, den wir, von den Harmonien umströmt, bekämpfen können, riefen sie. Zu unüberwindlichen Löwen erhübe uns die wundervolle Magie.

Hatte er zuvor die Liebe der Soldaten gewonnen, so flogen ihm nunmehr alle Herzen zu, denn diese Krieger bargen Schönheitssinn. Die Erfindung ward auch einmüthig angenommen, doch bestimmten die Anführer ihren Gebrauch nur für den Ernst, im Frieden sollte sich das Ohr der Soldaten nicht daran gewöhnen, damit einst in der Schlacht die Wirkung höher reichte.

Guido wandte sich nun heimlich von den Truppen, dem schmeichelhaften Abschied zu entfliehn, und eilte nach Moskau, wo ihn Gelino freudig in die Arme schloß.

Sich hier selbst mehr gegeben, prüfte er seine Gestalt an Spiegeln, und ward froher noch über die jetzige Entdeckung, als in dem stolzen Augenblick, wo es ihm endlich gelang, den Feldherrn der tatarischen Horden zu überwältigen. Denn fast kannte er sich nicht gleich, so hatte seine Schönheit zugenommen. Entwickelter zu einer reinen Uebereinstimmung, stellten sich die Verhältnisse der Arme, des Leibes, der unteren Theile dar, heller glühte das muntere Inkarnat der Wangen, durch die viele rüstige Bewegung in der gesunden Nordluft. In dem Auge strahlte ein unglaublich frohes, edles Feuer, eine stolze Sicherheit, erzogen durch das siegende Bewußtsein vollbrachter Heldenthat, und die Wonne des Stolzes im Selbstgefühl, wenn schon durch Bescheidenheit in gemessenen Schranken gehalten, daß keine Verzerrung einen Ausdruck von Eitelkeit entstehn ließ, der andere durch Tadel beleidigte. Der Hochsinn, bei den Gefühlen der Liebe und den Entzückungen der Künste, hatte immer nur sanft des Oberhauptes Rundung emporgehoben, die ungestüme Heldengluth aber, in ihrer, besonders den hohen Theil im Gehirn bewegenden Seelenthätigkeit, hatte sie schnell hinausgedrängt, und wie es Guido schien, bis an die Linie welche Inis Ideal verlangte. Dagegen wenn er sein Profil in zwei Spiegeln besah, konnte er mit seiner Stirn noch nicht zufrieden sein. Denn dort war immer noch nicht genug geschehen, noch lag sie nur in einer Perpendikuläre mit dem Kinn, da sie gleichwohl um ein Gutes hätte vordringen müssen. Guido sagte sich unter diesen Umständen, was ich bisher dachte, war noch immer nicht genug, der Summe nach, oft auch nur flüchtiger Aufflug der Imaginazion. Ich muß mehrere Gegenstände in die innere Welt rufen, und durch fortfahrende schwere Kraftübung des Denkens, des Gehirnes Masse vermehren. Dann habe ich mich auch vorzüglich mit Dingen zu beschäftigen, die die Empfindung ausschließen, rein abgezogen sind. Nur so ist das vorliegende Mark des Schädels thätig, wächst an und stößt seine gestärkte Hülle weiter. Die Hoffnung, auch das werde gelingen, erhob seinen Muth.

Er schrieb an Ini, ihr seine Trophäen sendend:

„Einem andern Mädchen dürfte ich schon kühn nahen, und um ihre Hand werben. Denn ein stattlicher Ritter, leg’ ich der Geliebten Feindes Waffen zu Füßen, und schmücke sie mit einer Eroberung. Du aber steigerst deinen Vertrag, und darfst, du Göttliche, höhern Preis auf dich setzen. Je mehr ich sinne und handle, je mehr lerne ich dich verstehn, je mehr begreife ich, wie deine Idee menschlicher Würdigkeit weit hinaus liegt, über alles, was schon Sterbliche thaten. Ich müßte vor diesem reineren Erkennen verzweifeln, deiner Forderung glorreich Genüge zu thun, hätte ich nicht die Wunderkraft fühlen lernen, die dein Bild in meine Adern gießt. So aber beginne ich hoffend den neuen Lauf, lebt doch das Flehn in mir, das dich um Beistand anrufen kann, wie in jenes Kampfes Stunde, wo gnädig mich die Göttin erhörte.“

Gelino sagte darauf, laß uns eine andere Wohnung beziehn, wo wir mehr Schutz gegen die Kälte finden. Der Winter ist strenge, immer höher deckt sich der Boden mit Schnee.

Guido empfand die Unbehaglichkeit eben nicht, doch dem schwächeren Greis nachgebend, folgte er willig.

Sie traten am Abend in ein geräumig Haus, dessen Zimmer trefflich durch Oefen erwärmt und artig verziert waren. Willst du nicht deine Bemerkungen über die Reise aufzeichnen, und die Geschichte deines Feldzugs? fragte Gelino. Der Jüngling dankte ihm für die Erinnerung, und eilte um so eher zu schreiben, weil ernsthaftere Beschäftigungen dem eben gefaßten Vorhaben entsprachen. Mit Ausnahme eines kurzen Schlafs, und einer Stunde beim Mahl, wich er nicht von seiner Arbeit. Einigemal ward er darin gestört, weil ihm dünkte, das Haus bewege sich. Sollte das ein Erdbeben sein? fragte er den Lehrer. Weiß man denn hier nicht, wie in Italien, die Zeit und die Stärke einer solchen Naturerscheinung zu berechnen, oder sie abzuwenden von den Städten, mittelst tief gewühlter Brunnen, durch welche das tiefe Feuer einen Ausweg findet?

Sei unbesorgt, erwiederte Gelino, hier sind die Erdbeben selten, und träte ja der Fall ein, würden die Naturkundigen schon zeitig warnen. Glaube nicht, man sei hier noch so unwissend, wie in rohen Jahrhunderten einst durch ganz Europa, wo Städte zertrümmert wurden.

Gab es wirklich eine so unwissende Zeit? fragte Guido staunend.

Sieh da die Folge deiner Säumniß, Geschichte zu lernen, strafte der Lehrer. Lissabon und selbst unser Messina haben einst furchtbar dadurch gelitten. Du weißt viel, erfindest viel, dennoch schöpfest du zu wenig aus dem rechten Quell.

Du hast Recht, gab Guido zur Antwort hier sieht mein Streber noch ein weites Feld. O ich muß auch die Naturkunde noch mehr treiben und manches Andere.

Nun, wir werden auch ins gelehrte Deutschland kommen. Da magst du dich mit Elementen vertrauen und deinem künftigen Denken neue Richtungen geben.

Der Zögling hatte nach dreien Tagen seine Arbeit vollendet. Freilich waren darin nur hingeworfene Bemerkungen und kurze Uebersicht der Thatsachen zu finden; die Ursachen der Erscheinungen aufzusuchen, fiel ihm noch nicht genug ein; sein Wissen, wenn schon reich in der Menge, hatte zu vielen poetischen Anstrich. Entzückt sein, hieß ihm noch oft Bemerken. Gelino beruhigte sich aber dabei, indem er wohl wußte, aus dem jugendlichen Genie könne erst die Gründlichkeit als eine Frucht der Jahre hervorkeimen. Laß uns jetze eine andere Wohnung suchen, sagte Gelino.

„Schon wieder? Ich meinte, diese sei dir bequem?“

Eine noch bequemere.

„Wie du willst, ich will ohnehin ein wenig ins Freie. Seit drei Tagen kam ich nicht unter dem Dache weg.“

Sie traten hinaus. Guido sah einen großen schönen Platz, ihm unbekannt. Was ist das? fragte er, den Platz sah ich noch nicht, und glaubte doch ganz Moskau durchirrt zu haben. Auch schien mir, unser Haus läge in einer engen Gasse, da wir es neulich am Abend bezogen.

O wir sind nicht in Moskau, rief Gelino lächelnd.

Guido blickte ihn verwundert an.

Jener fuhr fort: Du bist in Petersburg. Das Haus war ein Schlitten. Du hast nur einigemal einen kleinen Anstoß gespürt. Sonst glitten wir in den drei Tagen sanft über den Schnee hieher.

Guido freute sich hoch. Ich gestehe, sagte er, wie mir vor dieser Reise ein wenig bangte. Durch die Luft, fürchtete ich, würde es dir zu kalt sein, und wie ein Wagen eine Bahn in der starren Winterdecke finden werde, konnte ich nicht begreifen.

Sie besahen nun die schöne Stadt, reich durch einen üppigen Handel, und einen glänzenden Fürstenhof. Guido nahm jedoch einen andern Nahmen an, denn sein Ruf war vorangeeilt, und er wollte sich so wenig durch Schmeicheleien betäuben, als in seiner Lernbegier stören lassen.

Unter den mannichfachen Sehenswürdigkeiten, gefiel unsern Reisenden nichts mehr als die Wintergärten, welche man hier angelegt hatte, um das Anschauen grünender Natur nicht so lange zu entrathen, als der unfreundliche Himmelstrich gebot. Fast jeder von den Reichen besaß eine solche liebliche Anstalt; die weitläuftigste darunter war jedoch öffentlich, wurde von der Gesammtheit erhalten, und es stand jedem Einwohner und Auswärtigen frei, sich dort zu vergnügen.

Eine dicke Mauer von Quadern umzog einen Raum von mehreren Tausend Schuhen im Gevierte. Der ganze Boden war hohl, Pfeiler von großem Umfang trugen seine Gewölbe, und durch viele Eisenöfen, deren Züge und Röhren künstlich umhergeleitet waren, empfing die geläuterte, auf alle Weise fruchtbar gemachte Erde, die auf dem Gewölbe lag, Erwärmung.

Von diesen Vorkehrungen ward jedoch Niemand oben etwas inne. Man trat durch ein Thor in eine Vorhalle, die wieder zu einem geräumigen Saal führte, schon milder in seiner Temperatur als jene. Durch doppelte und verhüllte Thüren, damit die Kälte nicht eindränge, gelangte man weiter.

Aus diesem Saal führten andere Thüren in eine breite Gallerie, deren hohe bis zur Erde reichende Fenster, von Polkristall, nur nach Innen gingen.

Und wohin? Durch die starre Kälte, wie Dezember und Januar unter dieser Breite geben, trat man in die Vorhalle mit frierendem Athem, das Haar mit Eis behangen. Aufwärter reinigten die rauhe Fußbekleidung von Schnee, und säuberten des Ankömmlings Locken. Im andern Saale fand man den Pelz beschwerlich, und gab ihn ab. In der Gallerie wehten milde Sommerlüfte, das Auge blickte froh durch die Fenster hinaus auf liebliche Grüne, auf Veilchen, Jonquillen und Rosen.

Ein angenehmes Parterre bot sich im Halbrund dar, reich an Florens Pracht, mit holdem Duft labend, begränzt durch dunkle Katalpenbüsche, aus denen reizende Marmorgebilde winkten.

Selige Ueberraschung! Frohes Athmen, süße Wandlung durch den kleinen Platanenhain, an silberhellen Bächen hin, über beblümte Hügel, wo sich hinter Teichen weite Aussichten in reizende Gebirglandschaften öffneten. Der Staunende, nicht vertraut mit des kleinen Paradieses Kunst, begriff nicht, was er sah, und rief die Fabeln der Wohnsitze mithischer Zauberinnen und Hesperidengärten in die Erinnerung.

Der kurze Tag entfloh bald; wer vermogte sich von dem Heiligthume zu trennen? Im Dämmerlichte gewannen die mannichfachen Schönheiten erhöhten Reitz, Nachtigallen flöteten aus Blüthenzweigen nieder, in Jasminlauben horchten die Lustwandelnden ihrem Gesang. Bald stieg aber der Mond empor, hoch im Norden am Aether hangend, und goß seine Schimmer verklärend nieder. O Ini, seufzte Guido tiefbewegt, könnt’ ich an deinem Arme hier den Himmel fühlen!

Und wie hatte der kluge Fleiß dies alles geschaffen? In den dicken Mauern der Umgebung lagen, wie unten, Oefen verborgen. Die großen, hie und da zerstreuten, Eichen und Fichten, waren durch Kunst der Natur nachgeahmt, zum Theil hohl, um in den durchgeführten Röhren Wärme auszuhauchen, damit auch oben eine gleichmäßige Temperatur erzeugt würde, zum Theil bestimmt die hohe Glasdecke zu tragen, die sich zwischen ihnen in kleinen Gewölben senkte und hob.

Glassteine, rein und klar genug, den Lichtstrahl nicht zu hemmen, und doch von der nöthigen Stärke, um alle Kälte abzuwenden, bildeten diese Gewölbe. Kein Kitt verband sie, sondern man hatte im Bauen ihre Seiten durch Feuer erweicht und sie sich so verschmelzen lassen. Die Anstalten mangelten nicht, sie Außen vom Schnee und Inwendig von Dünsten zu reinigen, und so war die glückliche Täuschung vollendet. Die weiten Aussichten hatte allerdings die Malerei gestaltet, aber so trefflich, daß das Auge vollkommen betrogen wurde, um so mehr da es kleine Teiche klüglich hinderten, zu den, Fernen lügenden Wänden, zu dringen. —

Unterdessen kam in Moskau ein Schreiben vom Strategion zu Rom an. Eine lange Berathung hatte es aufgehalten. Nicht gern wollte man so früh einen Jüngling belohnen, damit der Sporn zu höherem Streben nicht mangle, und dennoch hatte dieser Jüngling durch so frühe Thaten, Lohn verdient. Endlich sandte das Strategion dennoch eins von den großen Ehrenzeichen, wie sie Feldherren nach gewonnenen Schlachten empfingen. Man besann sich, daß Guido schon in sehr frühen Jahren Beweise seines erfinderischen Kopfes geliefert habe und dies gab den Ausschlag. Ein aufmunterndes Schreiben, von des Kaisers eigener Hand, lag bei.

Guido befand sich aber nicht mehr in dieser Stadt und Niemand wußte dort, wohin er gereiset sei. Er hatte dagegen die Weisung zurück gelassen, im Fall Briefe an ihn überkämen, sie nach Sizilien zu senden, daneben die Aufschrift, an Ini.

Diese empfing nun durch die Eilpost jene Gegenstände. Gleich schmeichelhaft für Geliebte und Geliebten.

Sie wußte, daß er sich jetzt in Petersburg befand, und schrieb ihm, jenen Brief zugleich beantwortend:

„Gern seh ich dich in der Heldenreihe, doch mehr noch würde es mich erfreuen, wenn du beitragen könntest, daß die Menschheit den unseligen, ihre Natur entehrenden, Krieg verbannte. Ein Ehrenzeichen liegt für dich hier, ich sende es nicht, hoffend, du werdest zu edel denken, es zu tragen. Es ist noch ein Rest alter Barbarei, wenn man solche Zeichen ausgiebt, meine ich immer. Traurig wenn das Vaterland gebieten muß, Blut zu vergeuden. Wer die schreckliche Pflicht übte, ihm zu gehorchen, wozu soll er noch ausgezeichnet sein, daß sein Anblick durch eine schauderhafte Erinnerung empöre. Verheimlichen, tief verheimlichen, sollte unsre Zeit die unglücklichen Heldenthaten. Glaube auch, nur der reinste Menschensinn kann deine Schönheit vollenden.“

Dies gefiel freilich dem flammenden Jüngling nicht ganz. Lob, warmes Lob, hätte er von dem Mädchen gehoft, das begeisternd mit Kraft weihte, und es tönte nun so sparsam, so bedungen. Doch räumte er ihrem feinen Geist den höheren Ausspruch ein, und antwortete nur, indem er diesem seine Ehrfurcht darbrachte.

Er blieb noch einige Zeit in Petersburg, sich von dem Handel und dem Zustande der Wissenschaften im Norden zu unterrichten.

Jener war sehr ausgebreitet, und wurde mit einer der Lage des Landes angemessenen Klugheit geleitet. Die Bevölkerung war seit zwei Jahrhunderten in den Gegenden an der finnischen Bai, am Ladoga und weißen Meere bedeutend angewachsen, aber doch nicht in dem Maaße, daß die großen Waldungen dadurch so verdrängt worden wären, daß das Holz, kein Gegenstand der Ausfuhr bleiben konnte, wie es in vielen, noch dichter bewohnten Ländern, schon lange der Fall war. Man blickte also auf diese Waldungen, als einen vorzüglichen Handelsvorwurf. Doch roh ihn zu verkaufen, war man zu weise. Es wurden Schiffe in Menge gebaut, wodurch sich denn die dabei thätigen Handwerker in großer Zahl nährten. Andere Völker, der Schiffe benöthigt, und überzeugt, sie wären nur in Petersburg am wohlfeilsten zu bekommen, holten sie dann fleißig ab, und brachten Erzeugnisse, die zufolge des Himmelstriches hier fehlten. Ausser dem nöthigen Brotgetraide wurde durch den Landbau ein Ueberfluß an Hanf gewonnen. Auch diesen veräußerte man nicht im unverarbeiteten Zustande. Thaue und Stränge aller Art, wie auch Segeltuche, wurden daraus gefertigt, und wegen ihrer Vollkommenheit überall beliebt. Hiezu kamen, Pelzwerk, Juchten, Saffian, Kaviar, welche die Lebhaftigkeit des Verkehrs mehrten.

Der Handel war jetzt ungemein begünstigt. Die große Sicherheit der Schiffahrt, die erhöhte Vollkommenheit der Landtransporte, die ausgedehnteste Freiheit, die Verbannung aller Privilegien, leisteten ihm Vorschub. Die gleiche Güte des Geldes, von der Regierungsweisheit immer im richtigen Verhältniß zu den Sachen gehalten, die gleichen Maaße der Dinge verschafften ihm erweiterte Bequemlichkeit. Die Ehrliebe der Kaufleute, welche einen Bankrottirer mit ewiger Verachtung würde gestempelt haben, befestigte den Kredit und es war unerhört, daß einer darunter sein Wort nicht erfüllt hätte. So knüpfte man Erdtheil an Erdtheil und erfreute sich der mannichfachen Gaben der Natur Allenthalben.

Die Wissenschaften blühten in Petersburg an jedem Zweig, vorzüglich aber lag man der Naturkunde ob, und die reich ausgestattete Akademie ließ den Norden fleißig bereisen, neue Entdeckungen im Gebiet der Phisik zu machen, oder die älteren zu berichtigen. Eine große Zahl von Fossilien, erdigt, salzig, metallisch und gemengt, vor dreihundert Jahren noch ganz unbekannt, hatten diese Versendete in den Gebirgen gegen den Pol ausgemittelt, wie man ihnen auch die erste Entdeckung der köstlichen, allenthalben gesuchten, Polkristalle dankte. Denn die erste Reise zur Erdachse im Norden, war von Petersburg geschehen. Die Naturgeschichte aller der Land- und Eisthiere, jenseits dem achzigsten Grade Nordbreite gefunden, hatte diese Akademie sinnreich bearbeitet. Höchst sehenswerth konnte man ihre Sammlung von Petrefakten nennen, worunter, außer vielen Ichthioliten und Tetrapodolithen auch ein vortrefflicher ganzer Anthropolith war, mit Mergeltuf durchzogen und in allen Theilen wohl zu erkennen. Ein versteinerter Mammouth befand sich ebenfalls hier, wie viele Skelette dieses verschwundenen Thieres, dessen ganze Organisazion man aber dennoch kannte.

Guido wohnte einer Vorlesung über die Veränderung der Erdachse, und einer andern über die Abnahme des Meeres bei, hörte viel Staunenswürdiges, und lernte ernster über die großen Beobachtungen nachsinnen, welche Jahrtausende der Vorwelt und Jahrtausende der Nachwelt umfassen. Man sprach von einer Zeit, wo die hohe Tatarei noch unter der Linie gelegen hatte, und von einer anderen, wo der Polpunkt in Irkutzk zu finden sein werde. Man erzählte von einem Volke, das vor Zehntausend Jahren in Siberien gelebt, und sich eines ziemlichen Grades von Kultur erfreut habe. Die Monumente, unter der Erde gefunden, die alten erhaltenen und endlich entzifferten Schriften, hatten ein zweifelfreies Licht darüber verbreitet. Man wußte genau, um welche Zeit Schweden aus der See hervorgetreten wäre, und gab wieder jene an, in welcher der finnische Meerbusen trocken liegen, und sich zum Anbau eignen würde.

Diese Akademie gab auch bisweilen der Stadt Petersburg ein ganz eigenthümliches Fest, und gemeinhin in den längsten Nächten, wenn kein Mond schien. Sie hüllte sie dann nämlich in ein künstliches Nordlicht, was eine ganz zauberische Wirkung hervorbrachte. Denn die Gesetze dieser Meteore, lange ein Geheimniß, waren ergründet worden, und man brachte die Materie beliebig hervor, was jedoch nur in diesen Gegenden, und bei einem gewissen Kältegrad anging.

Es herrschte hier ein Nachkömmling der Romanow, denn jenes Haus, da es sich erobernd gegen den Orient gewandt hatte, wollte doch nicht ganz die Vatererde aufgeben, wo einst Peters schöpferischer Genius das erste Licht besserer Aufklärung anzündete. Auch sah man Peters Standbild, einst von der genievollen nordischen Semiramis erhöht, noch wohlerhalten und vielgeehrt an der alten Stelle.

Nach Genüssen und Belehrungen mannichfacher Art, wandten sich unsere Reisenden nach dem ehmaligen Polen, wo sie gegen den Frühling ankamen.

Gelino sagte: Dies Land war vor einigen Jahrhunderten durch eine fehlerhafte Regierungsform sehr arm an Menschen. Der Landbau, wie sehr es durch fruchtbaren Boden darauf angewiesen ist, ward unvollkommen getrieben, die Handwerke und Künste lagen ganz danieder. Sklaverei der geringen Klassen entehrte die Menschheit. Jetzt hingegen prangen seine Gefilde in üppiger Erzeugung, wohlgebaute Städte und Dörfer zeigen reiche Bevölkerung, Kunstfleiß in jeder Art ist regsam. Dies vermag langer Friede unter weiser Verwaltung.

Guido ergötzte sich innig bei dem lachenden Anblick, der sich allenthalben darbot. Große Kunststraßen und Nebenwege waren ohne Ausnahme mit mehreren Reihen nutzbarer Obstbäume beflanzt, deren Blüthenschnee mit den dunkelgrünen hochbegrasten Triften und fetten Kornfluren angenehm wechselte. Nie hatte Guido so stattliche Heerden gesehn als hier weideten. Er rief: Siziliens Landschaft ist mannichfacher, feinere Baumgattungen und Fruchtarten schmücken sie, doch ein so frisches Grün labt dort die Blicke nicht.

Gelino antwortete: Die Natur ist überall reich, der Mensch verstehe nur ihre Winke gehorsam, und sie lohnt.

Der Zögling wunderte sich über die vielen Kanäle, mit denen das Land durchzogen war, und die von Flössen und Fahrzeugen wimmelten. Wer hat alle diese Arbeiten vollbracht, und zu welchem Ende? fragte er.

Der Lehrer gab ihm die Antwort: Das Land ist niedrig und zu Kanälen geeignet, die außer der erleichterten Fortbringung auch durch Bewässerung nützen. Sehr einfach hat man sie aufgewühlt, und nach den Strömen geleitet. Ehedem wandten die thörichten Menschen, die gewaltige Kraft in Entbindung gewisser Gasarten, nur auf das Verderben an. Klüglicher hat man späterhin, durch das vervollkommnete Schießpulver, Erdlagen gebessert und Kanäle erschaffen.

Dies Land bringt, trotz seiner großen Bevölkerung, die ja auch nur die Erzeugungen mehrt, wohl dreimal mehr Getraide, Obst, Honig und Schlachtvieh hervor, als es selbst verbrauchen kann. Dieser Ueberfluß ladet, wie einleuchtend ist, zum Handel ein. Es giebt kein Land mehr in Europa, das nicht weise genug wäre, seine erste Subsistenz selbst hervorbringen zu wollen, doch einige, wo es zufolge natürlicher Hindernisse nicht angeht. Dahin gehört ein Theil von Schweden und Norwegen, Lappland, Nowaja Semlia und Spitzbergen. Die letztgenannten waren Ehedem wenig oder gar nicht bewohnt, späterhin hat man sie zu Verweisungsorten für Europäer gemacht, die unklug genug waren, sich nicht den Gesetzen unterziehn zu wollen. Diese haben sich gemehrt, der Handel andere dahin geführt, und so sind auch jene so weit zum Pol hinliegenden Gegenden jetzt bevölkert, und man weiß sich dort gut zu nähren.

Dies Land fertigt jedoch aus seinem überflüssigen Korn, Backwerke aller Art, die sich Jahre lang halten, und durch Befeuchtung genießbar werden. Fleisch von Rindern und Schaafen wird durch Salz und Räucherung dauerhaft gemacht, das Obst getrocknet, oder in geistigem Wasser aufbewahrt. Der Honig dient, mannichfache Kuchen zu bereiten, welche beliebt sind. Endlich fertigt man starke Biere, in Essenzen verkürzt, und gebrannte Wasser an.

Meistens gehn diese Gegenstände nach den genannten Nordländern, welche deswegen doch nicht arm zu achten sind. Sie bieten wieder vortreffliche Eisenwaaren, fertige Pelzkleidungen, Fett von Wallfischen und Robben feil, und geben sich daneben fleißig mit dem Heringfange ab.

Die inländischen Kanäle, welche du hier siehst, geben nun all’ dieser Regsamkeit doppeltes Leben. Denn wenn die Fortbringung auf den großen Prahmenwagen schneller von statten geht, so ist jene mit geringeren Kosten verbunden, da auf den ebnen Nebensteigen, welche am Wasser hinlaufen, ein Pferd beträchtliche Lasten zieht. —

In den Städten nahm man die großen Brau-, Back- und Brennanstalten in Augenschein, wo sich alles durch eine kunstreiche Behandlung und Reinlichkeit auszeichnete. Und dennoch, bemerkte Gelino, melden alte Schriftsteller, sollen vor einigen Jahrhunderten diese Städte einen scheußlichen Anblick gewährt, Unwissenheit und Unsauberkeit hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben.

Dem Getraide seinen geistigen Inhalt zu entziehn, verstand man vortrefflich, denn chemische Naturkunde leitete die Grundsätze. Liebliche und dennoch unschädliche Einmengungen verbesserten den Geschmack.

Die Anstalten, Fleischwerk durch Rauch dauerhaft zu machen, hatten Thurmhöhe. Der Rauch ward durch lang empor gewundene Röhren geleitet, und zog sich so feiner in die Massen. Durch fette Weiden wohl genährt, lieferten die Schlachtthiere schon ein ungemein nahrunggehaltiges Fleisch, und überaus zart war der Geschmack der hier geräucherten Gänsebrüste, Schinken u. s. w. Leckermäuler gaben ihnen den Rang vor allen übrigen in Europa.

Es läßt sich deuten, wie das Volk in diesen Gegenden, ohnehin so wohlhabend, auch durch diese Ursachen stark an Knochenbau und Muskeln gewesen sein müsse. —

Man langte endlich in der weitläuftigen und freundlich gebauten Vorstadt Praga vor Warschau an. Hier ereignete sich, sagte Gelino, um das Ende des achtzehnten Jahrhunderts ein schauderhafter Auftritt, indem bei einem Sturm fast alle Einwohner hingemetzelt wurden. Heil uns! daß wir Blutszenen in Europa gar nicht mehr, und an den Gränzen nur selten und nothgedrungen erblicken; daß auch, wenn ja Krieg besteht, die Völkerübereinkunft ihn bloß auf die Heere ausdehnt. Der Soldat würde sich entehrt halten, wenn ein ruhiger Bewohner des Landes über ihn klagte. Wenigstens denkt der Soldat von Europa so.

Eine treffliche Ansicht stellte sich, da sie an den majestätischen, mit Schiffen bedeckten, Strom kamen, in der mit ihren Vorstädten und Gärten unabsehlich ans Ufer hinlaufenden Stadt Warschau dar. Der jenseitige hohe Rand war terrassenförmig mit Pappelalleen geschmückt, von der Höhe winkten Prachtgebäude, Tempelkuppeln mit reicher Vergoldung, Obelisken, Telegraphen- und Glockenthürme. Sternwarten, Luftpostzinnen und andere hohe Gebäude, wie sie jetzt in Städten üblich waren, hoben sich aus dem Steinmeere in bezaubernden Verhältnissen empor. Man hielt überhaupt in diesem Jahrhundert viel auf die Phisiognomie der Städte, die schon in weiter Ferne dem Wanderer verkündeten, was er im Innern zu finden hoffen dürfe.

Sie fuhren über die prächtige Marmorbrücke, zu beiden Seiten mit athenischen Bildsäulen geziert. Guido wunderte sich, da er den Strom hinaufblickte und in der Weite viel Feuer und Rauch aufsteigen sah. Der Lehrfreund erklärte ihm die Erscheinung.

Vor Zeiten, fing er an, war der Eisgang auf diesem Strome sehr ungestüm, und es ließ sich keine dauerhafte Brücke bauen, da man befürchten mußte, sie im Frühjahre zerstört zu sehn. Jetzt ist man klug genug, das nützliche Feuerpulver auch hier anzuwenden. Wie eine Gefahr dieser Art droht, belegt man die Winterdecke des Stromes mit einer Menge von Raketen, aus Pulver und jener heftigen Feuermaterie gemengt, die auch im Kriege gebraucht wird, und auf Eis und Wasserfluthen fortbrennt. Diese Raketen bedecken die ganze Fläche mit Funken, und schmelzen durch ihre Menge in kurzem alles Eis. Da, obgleich der Frühling schon um ein Gutes vorrückte, noch hie und da Schollen ankommen, so wirst du dort jene Thätigkeit inne.

Er setzte hinzu: Auch Ueberschwemmungen, durch Anhäufen der Gebirgwässer erzeugt, suchten Ehedem manche Länder heim. Nun aber fließen sie durch Kanäle ab, oder durch die hohen Bewallungen an den Strömen, immer noch benutzt, da man gute Fruchtbäume darauf zieht. So trägt im Kampfe gegen die feindliche Natur, der Mensch immer den Sieg davon, wenn er mit Vernunft den Willen umfaßt.

Auf den Gassen der Stadt bemerkte Guido, daß es hier ungemein viel schöne Weiber gäbe. War gleich, wie oben im Eingang berichtet worden, das Geschlecht überhaupt zu einer entwickelteren Anmuth erzogen, und die europäische Menschheit durch Gleichheit der Verfassung in einander geflossen, so mußten dennoch einige Unterschiede in der äußeren Bildung übrig bleiben, deren Ursachen man in Abstammung und Gegendeigenheiten zu suchen hatte. Der Lehrer erklärte: Schon im Alterthum wurden die Sarmatischen Schönen gepriesen.

Guido fand bald darauf Gelegenheit, diese lieblichen Blüthen im vereinten Strauß zu beobachten.

Zu Moskau, dem Hauptorte der Kriegprovinz, hatte er einen vorzüglichen Mosestempel bewundert, in welchem das Standbild des Gefeierten in einer Größe, wie Ehedem der rhodische Koloß, prangte, und wo ein Heer von Hunderttausend Mann auf einmal seine Andacht verrichten konnte. In Warschau dagegen stand ein Heiligthum der Maria, durch seine geschmackvolle Pracht weit berühmt. Die Jungfrauen im Lande hatten es aus ihren Mitteln erbaut, und sich dafür das Recht vorbehalten, hier allein zu beten, und Feiergesang anzustimmen.

Sie nahmen dann Platz auf dem Marmorboden, doch die Erhöhungen welche der Rotunde Innenwände umliefen, konnten Männer besteigen und Niemand mag zweifeln, daß sie nicht angefüllt gewesen wären.

Gelino hätte es vielleicht nicht unumgänglich nöthig gefunden, seinen Zögling dahin zu führen; doch dieser hatte davon viel gehört, und bewies sehr redselig, man müsse die Reisekunde auf jede Art bereichern.

Es war das Frühlingsfest der Maria, der Kultus hatte einige Aehnlichkeit mit den Floralien der Alten. Im weißen Gewand, blendend wie Schnee, fein wie die Schleier der Arachne, die Sandale mit bunten Bändern an den bloßen Fuß geknüpft, die Locken mit jungen Blumen durchflochten, zogen die Jungfrauen in den Tempel.

Guido befand sich im Gedränge auf der Erhöhung. Süß strömte der Duft hinauf, die Treibhäuser waren von ihren Orangenblüthen und Rosen geplündert, nimmer hatten Guido, selbst auf dem heimathlichen Eilande, so holde Gerüche gelabt.

Alle ohne Ausnahme waren schön, lieblich, anmuthig, denn die, welchen die Natur diese Mitgift versagt hatte, pflegten an einem solchen Tage unpäßlich zu sein, um nicht so vielem Lichte die Schatten zu geben.

Hundert von den Jungfrauen unterhielt der Tempel für den musikalischen Kultus. Gestalt und wohltönende Stimme, waren die Bedingungen, unter welchen man sie annahm. Gute Lehrer unterwiesen die Huldinnen, erst nach bedeutender Fertigkeit durften sie öffentlich auftreten. Kein Instrument begleitete ihre Lieder, und wie diese Zeit auch die Harmonika, die Flöte, die Harfe vervollkommnet hatte, den Zusammenklang Hundert reiner wohlgeübter Mädchenorgane, würden sie immer nur gestört, nicht erhoben haben.

Sie sangen einen Himnus, der in die Sprache früherer Zeiten übertragen, so weit es möglich ist, den höheren Ausdruck des Idioms im ein und zwanzigsten Jahrhunderte wiederzugeben, ungefähr gelautet haben würde:

Himmlisch bist du o Jungfrau!

Du liebtest himmlische Liebe,

Und dein Himmel steigt nieder,

In der Liebenden Busen.

Hohe, Reine, Verklärte,

Weihe, heilige mich!

In des Geliebten Schönheit

Deutet sich ewige Schöne,

Dem Göttlichen werd ich verwandt

Glüh ich von göttlicher Liebe.

Hohe, Reine, Verklärte,

Weihe, heilige mich!

Deine Reinheit mich fülle,

Mache unsträflich den Busen,

Gieb in Liebe mir Tugend,

Daß den Unsterblichen nahend

Ewig Leben ich athme,

In Gefilde des Lohnes

Seligkeit bringe das Herz.

Hohe, Reine, Verklärte,

Weihe, heilige mich!

Weg aus den Räumen der Tiefe,

Schwinge dich, heiliger Fittig,

Trage mich auf zu den Gipfeln

Wo mich weihend umfangen,

Lebens Reine und Höhe.

Liebe ist Himmel im Staube,

Liebe wohnt über den Sternen,

Liebe adelt die Jungfrau,

O du, der Jungfraun Vorbild,

Hohe, Reine, Verklärte,

Weihe, heilige mich!

Als die Feier geendet hatte, schrieb Guido an Ini: Heute Mädchen, that dein Bild hohe Wunder. Ich sah den lieblichsten Blumenkranz in Europa, vergaß aber dennoch die Rose nicht, für die ich glühe.

Der Triumph, den eine Geliebte über fremde Schönheiten davon trägt, wird auch von dem Liebenden hoch empfunden, seine Flamme lodert heller, ein edles Selbstgefühl strömt in die Seele, im Bewußtsein reiner Treue, und prägt sich im Auge, auf der Wange, mit einem unvergänglichen Zauber aus. So nahm denn Guido abermal einen neuen Zug der Schöhnheit von hinnen.

Sie besahen noch den großen Markt, der hier um diese Zeit gehalten wurde. Auf dem Gefilde von Wola, berühmt im Alterthum durch die Königswahlen, hatte man ihm den Sammelpunkt angewiesen, da in der Stadt kein Raum dazu vorhanden war.

Einen weiten leeren Platz umlief ein überdachter Säulengang, hinter welchem sich ungeheure Speicher, die Waaren einzunehmen, befanden. Auf vielen Kunststraßen hatte sie der Völker Thätigkeit hergeführt. Eine davon lief nach Konstantinopel, von dort nach Sirien und dem rothen Meere. Hier kamen die Araber, auf lange Reihen von Kamelen, Spezereien und Gold geladen. Auch die Athener, welche auf Prahmwagen, Statuen in Marmor und Elfenbein, wie auch treffliche Gemälde brachten. Die andere ging um die Kaspische See nach Ispahan und den indischen Eilanden. Daher nahten die Neu-Perser, mit Elephantenlasten köstlicher Gewürze, feiner Zeuge und Edelsteine. Eine dritte Straße war dem Chinesen, durch die Mongolei, Songarei, und das Kirgisenland gebahnt. Er brachte Farben, Porzellan und andere Gegenstände seines Kunstfleißes, denn der Krieg hinderte seine Karavanen nicht. Von Petersburg erst übers Meer, und dann auf dem Weichselstrom herbeigeschafft, langten vortreffliche Schiffe zum innländischen Gebrauch an, die auf einem Bassin, zum Marktfelde geleitet, feil standen. Auf ähnlichen Wegen waren vom äußersten Norden, Arbeiten in Eisen und Pelzkleidungen gekommen. Eben daher vortreffliche Geschirre, Fensterscheiben und Bauwerkstücke aus dem so spät erst entdeckten Polkristall. Auf den vielen Kunstpfaden durch Teutonien langten noch unendlich mehrere Handelswaaren an. Von den englischen Eilanden, wissenschaftliche und technische Instrumente aller Art. Man sahe ganz fertige Sternwarten, mit künstlichen Triebwerken des Planetensistems, deren Genauigkeit und Feinheit in Erstaunen setzte, indem sie außer den vielen neugewahrten Planeten und ihren Begleitern, auch alle Kometen dieses Sistems darstellten, denn den jetzigen vollkommenen Teleskopen, entging keiner mehr davon, wie weit auch seine Bahn ihn von der Sonne wegführen mochte. Fing man doch schon an, das Leben im Monde zu beobachten, und seine Naturgeschichte zu entwerfen. — Ferner Thurmuhren, mit reitzenden Glockenspielen, an deren Zifferblatt, sich außer den Stunden- und Minutenweisern, ein vollständig entworfener Kalender befand, daneben Thermometer, Barometer und Eudiometer, welche Kälte oder Wärme, Schwere oder Leichtigkeit der Luft, so unterrichtend bezeichneten, daß dadurch die Witterungsveränderung auf mehrere Tage vorher kund ward, und Jedermann bei seinen Beschäftigungen sich darnach fügen konnte. — Ferner, Mühlen zum Stampfen, Zermalmen und Sägen zugleich, und mit einem artigen Mobile perpetuum regirt. — Ferner, zum Behuf des Landbaues, Pflüge mit einer geringen Kraft bewegt, die den Boden zehn bis zwölf Schuh tief aufwühlten, die geruhete Erde oben, die entkräftete unten brachten, sie zugleich puderartig zerrieben, und von gröbern Bestandtheilen durch Siebe reinigten. Eben so Pflanzmaschinen, welche die Getraidekörner in beliebiger Weite und Tiefe gleichabstehend einsenkten, und so Aufwuchs und Gedeihen ungemein erhöhten. Eben so Wässerungbehälter, geeignet, aus fernen Seen, Strömen oder Kanälen mit wenigem Kraftaufwande, Flüssigkeit herbeizuschaffen, und durch hidraulische Vorrichtungen, in weit ausgebreiteten Fontänen niederströmen zu lassen. — Der Franke lieferte chemische Apparate zu vielen Zwecken dienlich. Auch der Landmann konnte sie hülfreich gebrauchen, damit bei großer Dürre, aus Wasserstoff ein Wölkchen zusammensetzen, und auf seine Scholle niederfallen lassen. Zudem Küchen, wo in sehr sinnreich gestalteten Töpfen oder Pfannen, die Speisen überaus schmackhaft geriethen, und man auch Schnee und Eis sogleich bereiten konnte. Imgleichen Kleidungsmaschinen, die man beliebig mit Seide oder Wolle versah, und sich dann hineinstellte. In wenigen Minuten webte nun das Kunstwerk ein Kleid, den Formen des dargebotenen Körpers niedlich angeschmiegt, ohne Rath, wie sich von selbst versteht, färbte es zugleich in der eben gültigen Modetinte, und parfümirte es mit köstlichen Oelen. Die chirurgischen Instrumente der Franken waren nicht weniger sehenswerth. Unter andern erblickte man da künstliche Ohren und Augen mancher Art. Bei nur geschwächter Hör- oder Sehkraft wurde jene durch Röhre, diese durch Gläser bis zum Normalzustand verstärkt; außerdem hatte man aber, ein hoher Triumph menschlicher Kunst, nachgeahmte Trommeln, Eustachische Röhren, Augenäpfel mit ihren sechs Häuten und drei verschiedenen Feuchtigkeiten, welche mit den Nerven, durch täglich wiederholten Galvanismus in Verbindung gebracht, Tauben und Blinden, Schall- und Lichtstrahlen wunderbar wieder einführten. Ihre Weinläger wurden nur von den spanischen und portugiesischen übertroffen, wo in langen Reihen, Tonnen lagen, jede größer als Ehedem das Faß zu Heidelberg. — Die Italiäner hatten unter andern große Orgeln, für die Tempel, feil, in welchen die vielstimmige Vox humana, die gewohnten Religionsgesänge deutlich vortrug, willkommen für Ortschaften die nicht reich genug waren, Chöre zu unterhalten. Zudem auch Orchester, wo eine Klaviatur, Hundert Saiten- und Funfzig Blaseinstrumente in Bewegung setzte, welche auch durch Walzen die beliebtesten Tonstücke und durch akkustisch nachgeahmte Soprane, Alte, Baritone u. s. w. schöne Lieder ausführten. Der Besitzer konnte also seinen Gast, wenn er wollte, mit einem vollständigeren Konzert bewirthen, als es vor Jahrhunderten Könige mit großem Aufwand vermocht hatten. — Der emsige Deutsche wetteiferte mit allen Europäern in Allem, und sandte daneben die meisten Bücher zum Markt. Bücher, die Materien abhandelten, von denen die Vorzeit noch keine Ahnung hatte.

Aber auch aus Amerika, Afrika und Polinesien waren Kaufleute anwesend. Sie führten edle Steine, edle Metalle, ganze Naturalienkabinette aus ihren Landstrichen, artige Sinzialos, Jakos, indianische Raben, die fertig redeten, Menagerien von Löwen, Tigern, Leoparden, Giraffen, Armadille, welche man aber nicht erstand, wenn sie nicht auch zugleich in ergötzenden Künsten abgerichtet waren. Es gab auch in großen, durchsichtigen, mit Wasser gefüllten Behältern, Fische aller Gattung aus der Fremde. Hornfische, Chimären, alle Haiarten, Panzerfische, Seedrachen, Zitteraale, Katödons, und die vielen Geschlechter, welche erst entdeckt worden, nachdem die Taucherkunst ihre jetzige Vollkommenheit erreichte.

So hatte die vermehrte Kultur, die gesetzliche Sicherheit, und die Leichtigkeit der Reisen, Menschen von allen Stämmen hieher geführt. Wollige Neger, schon lange nicht mehr zur Sklaverei verdammt, tanzten lustig am Abend und sangen Nationallieder. Braungelbe Sinesen und Japaner zählten sorgsam ihre gewonnenen Summen. Olivenfarbene Araber, Indier, Malaien, kauten ruhig ihren Betel oder schmauchten ihre Pfeife zur Erholung. Kleine mißgestaltete, aber doch sehr lebendige, Ostiaken, Samojeden, Eskimos liefen neugierig gaffend umher. Röthliche Amerikaner, noch den Federbusch der Altvorderen tragend, zeigten ihre Kraft im Ringen und Laufen. Neuseeländer, Otaheiter, Sandwichinsulaner, Bewohner der erst spät entdeckten Südpolarländer, die schwärzere oder hellere Haut seltsam punktirt, saßen in ihren mitgebrachten Binsenhäuschen auf künstlichen Matten, die ihnen abgekauft wurden, um sie in Gärten aufzustellen.

Das Getümmel auf diesem Markt war unbeschreiblich, die Wechselgeschäfte verbanden durch Federstriche, Neu-York und Ulimaroa, den Hoffnungskap und Miako, Lissabon und Peking. Noch ist hier des Komptoirs zu gedenken, welches die Land- und Seetruppen hielten. Da sie sich durch eigene Thätigkeit unterhalten mußten, beschickten sie auch die Märkte mit überflüssigen Erzeugungen. Unter andern boten sie Feuerröhre, großer und kleiner Art, feil, welche von Völkern, die noch keine Waffenmanufakturen hatten, eingetauscht oder gekauft wurden. Man ging aber auch, vorausgesetzt, daß man reich genug war zu solchen Ausgaben, in ihre vorhandenen Metallgießereien oder Schmieden, um sich, die Geliebte, den Freund, in Erz oder Stahl bilden zu lassen. Augenblicklich drückten geschickte Meister die Gestalt in Wachs ab, um sie gleich darauf in Thon nachzuahmen. Das Metall floß schon in den Glühöfen, eilig vollendeten flinke Gesellen die hohle Form, und der Guß erfolgte. Durch künstliche Mittel ward nun das Metall erkaltet, die Form zerschlagen, das Jahrtausende höhnende Standbild heraus gewunden und glatt polirt. Noch geschwinder gingen die Stahlschmiede, mittelst ihrer mechanischen Vorrichtungen, Feinheit und Gewalt auf eine zuvor nie erdachte Weise verbindend, zu Werke. Ein Fürst aus Amerika, eben mit seiner jungen Gemahlin zugegen, ließ sich mit derselben in Silber darstellen. Guido hätte weinen mögen, nicht Ini hier zu sehn, und kein Kaisersohn zu sein, um ihre Statue in Gold zu begehren.

Nach viel erworbnem Unterricht, durch Gelinos Lehren und eigne Anschauung, wurde des Jünglings Reise fortgesetzt. Er wandte sich nach Teutonien, wo das platte Land ihn noch weit mehr in Erstaunen setzte. Er sah hier keine Dörfer mehr, sondern nur die in einander fließenden Vorstädte weitläuftiger Orte. Gelino erklärte ihm die Erscheinung einer so großen Lebensfülle in folgender Art:

Das Klima in diesem Lande ist weit milder geworden, seitdem unnütze Kriege, verderbliche Immoralität und Krankheiten, gegen welche die unvollkommene Heilkunde wenig vermochte, nicht mehr die Zunahme seiner Bevölkerung hemmen. Mit ihrem Anwuchs veredelte sich der Boden wovon eine mildere Luft immer die Folge ist. Der Mais- und Reisbau sahen hier schon lange erwünschten Fortgang, und zwei Ernten sind gewöhnlich. Wenige Morgen nähren eine Familie bequem, und werfen noch einen Ueberfluß ab, von dessen Verkauf, sie nicht erzeugte Nothwendigkeiten anschaffen kann. Das in dem, vortrefflich zubereiteten, Boden durch Maschinen gepflanzte Wintergetraide, gelangt um die Mitte des Junius schon zur Reife, und lohnt meistens funfzigfältig. Man mäht es durch kunstreiche Sichelwagen, die zugleich abschneiden, aufladen und hinterwärts den Boden wieder pflügen, wodurch die Arbeit gar sehr vereinfacht wird. Nun ist Zeit genug übrig, das Feld wieder mit Sommerkorn, Gartengewächsen, Fütterungkräutern zu bestellen, wovon der Fleiß noch reichen Gewinn im Spätjahre zieht. Dies würde aber nicht immer glücklich von Statten gehn, hätte man nicht das Mittel erfunden, die angebauten Fluren, gegen Kälte im Lenz und Nachsommer zu sichern. Wenn die Witterungmesser einen Frost ankündigen, eilt der Landwirth sein Feld mit großen Strohmatten zu überdecken. Bei den kleinen Landporzionen ist es leicht dies Mittel anzuwenden. In Wintertagen fertigt das Gesinde aus dem reichlichen Stroh die Matten, über Bäume spannt man sie zeltartig, Fluren werden ebenhin damit bedeckt.

Bemerke, wie sorgsam jeder Eigner, von jedem Schuhgevierte, Ertrag zu ziehen sucht. Ein Zaun von nutzbarem Strauchwerk, umläuft verwachsen die Scholle. Kleine Beeren und kleine Nüsse mancher Gattung blühen darauf. Das Feld ist mit edlen Obstbäumen beflanzt, an die üppige Weinreben sich hinaufwinden. Ihr Schatten fährdet die Saaten nicht, bei einem so kräftig gemachten Boden, und beim Pflanzen trägt man kluge Sorge die Wurzeln nicht zu verletzen, was bei den guten Maschinen zu diesem Gebrauche leicht wird.

Futterkräuter, gewisse wohlnährende Rübenarten, getrocknet Baumlaub, sind dem Viehe bestimmt, und leicht zieht eine Familie davon so viel auf, um mit Milch, Butter und Fleisch versorgt zu sein. In jedem Hause befindet sich eine Kelter, eine Anstalt zum Brauen, eine Anstalt zum Fertigen gebrannter Wasser, im Kleinen. Die Arbeit daran ist so vereinfacht, daß auch ein Kind ihr vorsteht.

So ist also für den Unterhalt dieser Menschen reichlich gesorgt, und die eitle Furcht ob einer zu großen Bevölkerung, in rohen Zeitaltern oft angekündigt, würde nur Lachen erregen. Jedes neue Glied, das in die Gesellschaft tritt, kann auch einen neuen Spielraum nützlicher Thätigkeit finden und seinen Bedarf gewinnen. Nach den vielen Erfahrungen welche man sammelte, nach den vielen lehrreichen Entdeckungen, welche gute Köpfe im Erproben des Ausführbaren machten, ist jedermann lebendig überzeugt, die Fruchtbarkeit des Bodens sei noch um ein Ansehnliches weiter zu treiben, ja die Gränze, welche einst der klugen Pflege ein Ziel setzen könne, durchaus nicht abzusehn. Und träte ja nach Jahrhunderten, der unerwartete Fall ein, mehr Menschen erzeugt zu sehn, als der Landesertrag nähren könne, so weiß man gar wohl, das es noch schlecht bebaute Länder genug in anderen Erdtheilen giebt, wohin sich Kolonien senden lassen. Afrika enthält in seiner Mitte große Wüsten, die, einst urbar gemacht, unermeßliche Ausbeute liefern werden. Am Susquehannach, am Orinoko, am Amazonenfluß sind weitläuftige Strecken bereit, neue Millionen aufzunehmen. So rüstig auch der Altbritte daran ging, Ulimaroa, welches den Umfang von halb Europa hat, und die weitläuftigen Inseln, Neu-Guinea und Neu-Seeland, an Bewohnern reich zu machen, so hat doch, im Verlauf weniger Jahrhunderte, immer noch nichts Erhebliches geschehen können, und Auswanderer würden dort höchst willkommen sein. Ja, wie die Lehrer der Wissenschaften behaupten, in denen die Umgestaltung des Erdballs abgehandelt wird, und wo man die jährliche Meerabnahme nach unbezweifelten Erfahrungen berechnen lernte, wird nach einigen Jahrhunderten, ohne das im achtzehnten einst gefundene Polinesien, ein ungeheurer neuer Erdtheil, aus dem stillen Ozean, westlich von Amerika, treten. Die unter dem Meere hinstreifenden Parallel- und Meridian-Gebirge verbreiteten hierüber schon in alten Zeiten Licht, jetzt hat man ihren Zusammenhang deutlicher erkannt, und vermag überhaupt aus der Vergangenheit genauer auf die Folge zu schließen, weil sinnige Forscher, ihre Beobachtungen der Nachwelt, ein schätzbares Erbe, vermachten. So ist jetzt unter andern die Insel Owaihi, weit größer an Umfang, als zu der Zeit, wo ein kühner Seefahrer, Cook genannt, sie entdeckte. Die ziemlich großen und hohen Eilande, westlich von Peru, hießen vor Jahrhunderten die niedrigen Inseln, ein Beweis, wie damals die See höher an sie hinaufspülte. Das Senkblei fällt in ihrem Bezirk immer seichter, die Meermoose nehmen zu, die Taucher können dort in der Tiefe mit Leichtigkeit beobachten, und aus allen diesen Umständen läßt sich die Richtigkeit jener Verkündung ahnen. Alle die Inselketten in jenem Meere werden dann die Gebirgrücken des neuen Erdtheils sein.

Guido sagte hier zu seinem Lehrer: Du drängst mein Nachsinnen in einen noch tieferen Hintergrund. Es macht zwar froh, so viel neue Möglichkeit des Lebens zu träumen, auch sehe ich nur Vortheil für das Geschlecht darin, wenn junge Länder zum Anbau einladen, wenn die Kaspische See, das schwarze Meer, das mittelländische Meer, trocken geworden, mit Städten und Dörfern übersäet werden können. Wo soll das aber endlich hinaus? Wenn nun das Wasser, nach manchen Jahrtausenden, ganz vom Erdball verschwände, müßte nicht die Menschheit, an seinen Verbrauch unabläßig gebunden, jammervoll untergehn?

Gelino lächelte und gab seinem Zögling die Antwort: Dies könnte wohl sein, und wenn die höchste Entwickelung, der Menschheit Zweck ist, was wäre denn noch an ihrer Fortdauer gelegen, wenn sie das Ziel umfaßt hätte, und es etwa mit jenem Zeitpunkt zusammenträfe? Gleichwohl dürfte sein Untergang auch nicht einmal an das Verschwinden des Wassers gebunden sein. Denn, kann der Erdensohn nicht übernehmen, was die Natur nicht mehr nöthig erachtet, für ihn zu leisten, da sie ihn genug mit Kräften ausstattete, und der Gebrauch dieser Kräfte hinlänglich erweitert ist? Können wir nicht lange schon Wasser chemisch bereiten? Wird diese Kunst sich nicht vervollkommnen? Freilich, neue Meere, um sie lustig zu beschiffen, dürfte man nicht hervorbringen lernen; doch Flüssigkeiten für den Hausbedarf, Regengewölke zum Tränken der Gefilde, wovon ja schon manche Versuche jetzt gelangen, scheinen keineswegs außer dem Bereiche der Sterblichen zu liegen. Doch du wirst darüber in Berlin manche Hipothese hören.

Blicke einstweilen sorgsam auf die Einrichtungen, die unser Weg dir zur Ansicht darbietet. Du siehst alle Städte in Teutonien voller Kunstfleiß, voller trefflichen Schulen; prachtvolle Tempel und Bühnen zieren die meisten. Bei so vielem Reichthum, als der kluge Landbau einer großen Volkmenge, hier dem Boden entlockt, ist der Städte Flor eine ganz natürliche Folge. Der Ackermann nährt den Handwerker, indem er ihm seinen Ueberfluß verkauft, und von ihm wieder die Lebensbedürfnisse holt, welche er nicht allein hervorbringen kann. Letzterer bezieht wieder die Märkte anderer Gegenden, mit der Arbeit, welche ihm daheim nicht abgenommen wurde, und schafft dafür ihre Erzeugungen herbei. Das Geld, überall werthhaltig und durch weise Aufmerksamkeit der Regierungen, im richtigen Verhältnisse zum Preis der Sachen, empfängt einen schnellen Umlauf, und regt auf demselben die Betriebsamkeit unaufhörlich an.

Wie blühend wir aber diese Gegenden finden, so hätten wir nur alte Bücher zu fragen, um über die Barbarei, welche noch vor drei oder vierhundert Jahren sie drückte, belehrt zu sein. Damals fand man kaum jede halbe Meile ein elendes Dorf, in dessen unreinlichen Strohhütten sklavensinnige Halbmenschen wohnten.

In den Städten lag der Gewerbfleiß krankend danieder. Europens Staaten hatten sich nicht weise verbunden, um durch Handel gegenseitig ihre Thätigkeit zu beleben und die Genüsse auszutauschen; man sann nur auf Uebervortheilung, die am Ende Allen verderblich war. Unnatürlich große Heere wurden auf den Beinen gehalten, wodurch dem Gemeinwesen so viel jugendlich rüstige Kräfte entgingen. Diese Heere nährten sich nicht selbst durch Nebenarbeit, sondern mußten Sold empfangen, wodurch die Regierungen sich genöthigt sahen, die Völker mit Abgaben zu erdrücken. Unter solchen Umständen mußten die meisten Länder zur Hälfte Wüsten bleiben; Tausend harter Ungerechtigkeiten und Thorheiten, die natürliche Folge verkehrter Einrichtungen, nicht zu gedenken.

Und die Menschen hatten doch damals, so gut wie in unseren Zeiten, die göttliche Kraft der Vernunft, auch Philosophen in Menge, welche, die Natur dieser Vernunft zu erkennen, sie gleichsam anatomisch zu zerlegen und scheidekünstlerisch in ihre Bestandtheile aufzulösen strebten. Es galt demungeachtet von ihnen, was einer ihrer alten Dichter sang:

Unselig Mittelding vom Engel und vom Vieh,

Du prahlst mit der Vernunft, und du gebrauchst sie nie.

Unter diesen Gesprächen kamen die Reisenden durch einen kleinen Ort, wo sie ein dichtes Volkgedränge und lauten Jubel wahrnahmen. Sich von dem Anlaß dieser Erscheinung zu unterrichten, nahten sie, und sahen einen Aufzug zum Mariatempel wimmeln. Wohlgeschmückte Priesterinnen gingen, einen lauten Chorgesang anstimmend, voran; dann folgte ein etwas gebeugter, doch gleichwohl noch munterer Greis an seinem Stabe, am Arm ein Altmütterchen, das zwar kaum noch den Fuß von der Stelle zu heben vermochte, dem bei dem Allen aber, aus einem mit Runzeln überpflügten Gesicht und dem ermatteten Auge heitre Freude schimmerte. Um die schneeweißen dünnen Locken des Paares waren Blumenkränze geflochten, eine lange Reihe folgte ihnen, bunt aus Personen von dem verschiedensten Alter zusammengestellt, Greise und Greisinnen, Männer und Frauen in den Mitteljahren, viel blühende Jugend und ein zahlreicher fröhlicher Kinderschwarm.

Die befragten Zuschauer unterrichteten Gelino: wie das Paar die Hundertjährige Feier seiner Ehe beginge. Im fünf und zwanzigsten Jahre, erzählten sie, heirathete einst der Greis, seine Gattin zählte damals zwanzig. Arbeit, Mäßigung, zufriedener Sinn, ließen sie ein so hohes Alter erreichen. Die ihnen zum Tempel folgen, sind ihre Kinder, Enkel und Urenkel, ein markig Geschlecht, den Stammältern mit inniger Liebe und Ehrerbietung zugethan.

Tiefere Rührung empfand Guido während seiner ganzen Reise nicht, als im Anblick dieser Feier. Er versenkte sich in die Vorstellung der Glückseligkeit jenes Patriarchen, hinschauend auf seine Nachwelt, rückblickend in die wonnevolle Vergangenheit eines Jahrhunderts häuslicher Eintracht. Und wie Liebe alles gern auf sich bezieht, so träumte er mit hochwogendem Busen, ein Eheleben mit Ini von langer Dauer und am späten Lebensziele gekrönt von Urenkeln.

Sie langten bald darauf in der Gegend von Berlin an. Die Masten vieler See- und Stromschiffe erhoben sich, einem Walde gleich, aus seinem breiten Hafen, mit leichten bunten Flaggen geziert, spielend im frischen Abendwinde. Die schöne Bergkette, welche an einer Seite den großen Ort umgab, stellte eine lachende Ansicht dar, bepflanzt mit Weingärten, beschattet von Lustgehölzen und prangend mit heiteren Sommerwohnungen reicher Bürger.

Hier triumphirte, fing Gelino an, menschliche Kunst auf eine seltne Art über die widerstrebende Natur. Vor Jahrhunderten sah der Wanderer hier nur eine langweilende, kaum von unbedeutenden Erhöhungen, die nicht einmal Hügel, sondern Niederungsränder des Stromes waren, unterbrochene Fläche. Die Stadt lag gleichwohl schon in dem Sandmeere da, zeichnete sich durch regelvolle Anlage, und, nach damaligen Begriffen, schöne Prachtgebäude aus, wovon man noch manche Ruinen, sogar einige noch ziemlich erhalten sieht, die dir, wenn wir ihre Plätze und Straßen durchwandeln, zu Gesicht kommen werden.

Da nun aber die inneren Kriege in Europa geendet hatten, und, als nothwendig glückliche Folge, die Kultur stieg, auch Berlin, der Sitz des europäischen Bundesgerichts — welches man hieher verlegte, weil Berlin ziemlich den Mittelpunkt von Europa einnimmt — sehr bedeutend wurde, wollte der Schönheitsinn ihm eine anmuthigere Umgebung erziehen, so wie die Weisheit nöthig fand, seiner großen Einwohnermenge neue Quellen der Erhaltung zu öffnen.

Beide konnten, wie fast immer, Hand in Hand gehen. Der berühmte Kanal, tief genug um Meerfahrzeuge zu tragen, der die Elbe und Oder auf einem nahen Wege verbindet, und bei Berlin vorüber geht, wurde gefertigt, dazu der Hafen, dessen blaue Wogen dort schimmern, an Größe einem mäßigen Landsee gleich. Ohne die Pulversprengungen und die neuerfundenen mechanischen Hebewerkzeuge, mit welchen die Grunderde leicht aus der Tiefe zu winden ist, und man die Ströme gegen Versandung und Seichtigkeit schützt, wären solche Arbeiten unmöglich gewesen; mit ihnen kam es nur auf Geld und emsige Hände an, die nicht mehr fehlten, als mit der Bevölkerung aller Kunstfleiß mächtig heranwuchs. Auch wurde der Elbstrom, bis gegen die Böhmischen Gebirge, ausgetieft, und eine große Zahl geräumiger Schiffe, führte aus den dort, lebhafter als je bearbeiteten Steinbrüchen, die Quadern, womit des Kanals Seitenwände eingefaßt wurden. Die aus dem Hafen gewonnene Erde diente nun, jene erhabene Bergkette aufzuthürmen. Ist ihre Höhe, gegen Urgebirge gehalten, freilich nicht von großem Belang, so ist sie es doch scheinbar, da sie sich aus der Ebene erhebt.

Indem, nach dreißig mühevollen Jahren, diese Werke ihre Vollendung sahen, meinten die Zeitgenossen, sie wären immerhin, an Arbeit, mit den Piramiden von Egipten zu vergleichen, überträfen sich jedoch weit an Nutzen. Sie hatten Recht: wer staunte nicht sie erblickend, und wie es sich von selbst versteht, wurden Hafen und Kanal die Quellen großer Reichthümer für Berlin.

Sie waren unter diesen Gesprächen bis an ein Thor gekommen, das auf großen Säulen ruhte. Der Lehrer hatte einst, wie sich auch von seiner Vertrautheit mit den überall vorhandenen Gegenständen erwarten läßt, Europa schon durchwandert, und konnte daher seinem Zögling immer Auskunft geben. Dies Thor, das Brandenburger seit dem Alterthum genannt, ist das schlechteste, es bleibt jedoch als eine ehrwürdige Antiquität stehen, und trotzt auch schon drei Jahrhunderten durch seine Festigkeit. Dies darf um so mehr befremden, als seine Erbauung noch in die Zeit fällt, wo Bruchsteine nur mit schwerer Mühe auf ärmlichen Spreekähnen herbeigeführt wurden, und man sich meistens der Ziegel bediente. Jetzt haben es freilich die Baumeister bequemer, da der Elbkanal, von Pirna her, so große Ladungen von Felsblöcken trägt, und nun können freilich die Tempel und Palläste leicht so stattlich sein, als wir sie sehen.

Schon vor der Stadt hatte Guido zu seiner Verwunderung wahrgenommen, daß eine Menge leuchtender Kugeln über den Häusern schwebend erschienen. Nun erklärte sich das. Man erleuchtete nehmlich die langen graden Straßen mit doppelten Hohlspiegeln von beträchtlichem Umfang, auf hohe Säulen gestellt. Vor ihnen brannte eine kunstreiche, durch Luftzüge verstärkte Flamme, deren Licht aber, mittelst einer angelaufenen Kristallscheibe, sanfter erschien, so daß das Ganze den Vollmond um so täuschender nachahmte, als seine Karte auf die Scheibe gezeichnet war. Die Wirkung glich eben so, und ein traulich Silberlicht goß seine Schimmer in die Straßen und Plätze nieder. In der Mitte der Länge einer jeden Straße, brannte ein solcher Hohlspiegel, für die Erleuchtung nach beiden Seiten genug, doch so, daß man sich mit seiner Größe nach der der Straße richtete. Am Abend gab dies Heer von Monden der Stadt von Außen ein sonderbar liebliches Ansehn.

Sie stiegen in einem bedeutenden Gasthofe ab. Nachdem jedem von ihnen ein Badezimmer angewiesen worden, erfrischten sie sich in silbernen mit Rosenwasser gefüllten Wannen. Hierauf trugen wohlgekleidete Diener das Mahl zur Nacht auf. Es bestand unter andern aus Kalbnieren von Archangel, sehr von leckeren Gaumen beliebt, aus einer Surinamschen Schnecke, deren gewundenes gesprenkeltes Haus einen Kürbis an Größe übertraf, und aus Vogelnesten, wohlerhalten von Tunkin gebracht. Wein von Cipern und Buenos Aires, Sorbet in Ispahan verfertigt, perlten in Kristallflaschen. — Warum gebt ihr uns Speise und Getränk aus ferner Zone? fragte Gelino einen Diener, ob ihr gleich in eurem gesegneten Lande köstlichen Ueberfluß erzieht. Wird es uns doch wohlfeil in den Hafen gebracht, und gegen unsere Erzeugnisse vertauscht, war die Antwort.

Sie gingen noch auf einen Ball, wo sehr schöne, doch an Betragen überaus sittsam züchtige, Mädchen tanzten. Gelino sagte: Ihre Formen sind zart und athmen Harmonie, doch die frisch lebendige Fülle, welche wir an den Grazien in Polen sahn, mangelt ihnen dennoch. Allein der Abkunft ist dies zuzuschreiben, ihre Vorältern lebten einst in argem Sittenverderb. Jetzt dagegen giebt es nirgend auf der Erde keuschere Frauen, wie zu Berlin, und zwar sind sie das aus lauter Geschmack. Die Feinsinnigen wissen, daß man nur durch Keuschheit sich die höchsten Freuden der Liebe bereitet. Darin haben sich hier die Zeiten, gegen Ehedem, durchaus umgewandelt. Merke dir übrigens das lehrende Wort, Guido!

Dieser antwortete: Ich bedarf dessen nicht, Ini zeichnete es mir mit heiliger Schrift in den Busen.

Am andern Morgen hub Jener an: Du sollst hier einer Sitzung des ehrwürdigen Rathes, Bundesgericht von Europa genannt, beiwohnen, und hier überhaupt lernen, welche Bewandniß es mit unserer Verfassung hat.

Noch wenig hörtest du von den Königen in diesem Erdtheil, wenn wir schon einige mit ihren glanzvollen Umgebungen sahen. Dies ist aber ein großer Segen für die Menschheit. Im Alterthum war es ihre Sucht, von sich reden zu machen, und sie wählten das Verderben, über Fremde und Unterthanen gebracht, unter dem Namen Heldenthaten. Jetzt, einem schöneren Beruf hingegeben, muß es ihr Ehrgeiz sein, daß ihr Name wenig zur Sprache kömmt, denn so wird der Beweis, daß keine Noth über ihr Land hereinbricht, am besten geführt. Den Lohn für eine musterhafte Verwaltung empfangen sie beim Leben um so weniger, als Schmeichelei in Europa für das tiefste Verbrechen geachtet wird; doch nach ihrem Tode erkennt das Bundesgericht, wohin ihre Urne gebracht werden soll. Haben sie die Bevölkerung gemehrt, erhoben sich Landbau, Wissenschaft und Kunst in ihren Gebieten, kömmt sie in den Tempel der Unsterblichkeit, den du einst in Rom besuchen wirst. Sahen sie aber die Regierung als einen Genuß, nicht als eine Pflicht an, gelangt sie in einen gemeinen Todtenacker, und wird der Vergessenheit übergeben. Auch ist es herkömmlich, daß dann die Geschichte ihren Namen nicht nennt, sondern nur sagt: In diesen Jahren herrschte ein König, dem das Gehorchen besser gewesen wäre.

Als nach vielen blutigen Jahren die neue Verfassung endlich gegründet werden konnte, wollte man erst die Könige wählen, und immer dem Weisesten in irgend einem Lande die Krone geben. Allein die Schwierigkeiten bei der Wahl mahnten ab, die Buhlerei um die Gunst des Volkes würde heuchlerischen Sinn hervorgebracht haben, und die Stifter des großen Bundes heiligten überall die Wahrheit. Aurelius, der große Kaiser, von dem du schon oft hörtest, behielt demnach die Geburtfolge bei, doch traf er die Einrichtungen so, daß, was früherhin nimmer geschehen war, auch die Könige zu ihrem Amte erzogen wurden.

Hiebei verfuhr man im Laufe der Zeit abweichend, je nachdem eingesammelte Erfahrungen die Ansichten umwandelten. Bei einer Erziehung, die es, unter sparsam eingepflanzten fremden Begriffen, auf möglichst vollkommene Entwickelung der Eigenthümlichkeit anlegte, hat sich gezeigt, daß sie dann mit dem wirklichen Zustand der Dinge nicht vertraut genug wurden. Bei der möglichst sorgsamen, wissenschaftlichen Bildung ist es wohl geschehen, daß die Staaten Männer auf den Thronen erblickten, welche zu weit mit den Ideen über die Wirklichkeit hinaus drangen. Endlich kam man dahin, Eigenthum und Fremdheit dadurch ins Gleichgewicht zu bringen, daß die Fürstensöhne, früh in ein Fündlinghaus gebracht, Herkunft und Beruf nicht erfahrend, solche Pflege genossen, daß an Körper- und Geisteskraft, vor allen Dingen Männer aus ihnen wurden. Anschaun der Welt, nach Studien, bei welchen ihnen viel Willkühr gelassen wird, muß hauptsächlich ihr Nachdenken über die bürgerliche Verfassung wecken, sie gerathen in Lagen, wo sie, zum Handeln gezwungen, ihre ganze Thätigkeit kräftigen, hie und da giebt man ihnen, nach dem Maaße ihrer Fähigkeit, irgend ein Amt zu verwalten. Bisweilen schöpfen sie Unterricht in der Regierungskunde von Weisen, oder an einem fremden Hofe lebend, wo sie sie ausgeübt beobachten, und müssen sich dann, unterrichtet über ihre Bestimmung, einer Prüfung des großen Rathes hingeben. Fällt diese Prüfung zu ihrem Vortheile aus, werden sie regierungsfähig erklärt, wo nicht, sind neue Anstrengungen unerlässig. Denn, da es die Klugheit untersagt, das niedrigste Amt im Gemeinwesen, jemanden zu vertrauen, der nicht seine Tüchtigkeit dazu außer Zweifel gesetzt hätte, so gilt dies allerdings um so mehr vom höchsten, und eine so weit herangereifte Zeit als die unsere, kann sich nicht den Tagen roher Barbarei gleich stellen, wo es fast allein dem blinden Zufall überlassen blieb, ob ein Fürst sein Amt begreifen werde oder nicht, wo das frühe Gift der Schmeichelei ihre Herzen verdarb, wo die eigne Kraft so wenig Anreitz zum eignen Gebrauch fand, weil die Kraft der Diener für sie waltete, wo sie bald ihre Leidenschaften zum Gesetz erhoben, bald sich Ekel an ihrem Amte und ein sieches Leben erschwelgten, bald ganze Geschlechter in unsinnigen Kriegen zertraten, bald ihres hohen Berufes vergessend, und mit elenden Kleinigkeiten ergötzt, ihre Völker jedem Sturm von Innen und Außen Preis gaben. Hart mußten solche Zeiten ihren Wahnsinn büßen, und das Loos der Könige fiel auch sehr traurig. Denn die reichen Genüsse freuten sie nicht, da sie keine Entbehrungen würzten. Die Wahrheit kam ihnen selten zu Ohr, und so im Dunkeln tappend, konnten sie fast nur durch ein Wunder, die ihrer Zeit jedesmal zuträglichen Maaßnehmungen ergreifen. Wissenschaft, die ihnen allein ein klares Auge hätte erziehen können, um durch die dicke Weihrauchumwölkung zu schauen, blieb ihnen meistens fremd. Immer waren sie von Ehrgeitz und Raubsucht der Nachbarn bedroht, eine Kunst, damals Politik genannt, und nicht viel besser als Schutz durch Trug vor Trug, ängstete sie unaufhörlich. Jetzt dagegen schirmt sie die Moral des Völkerrechtes, sie sind nicht nur heilig dem Unterthan, sondern allen Völkern, die das große Volk von Europa zusammenstellen, edel genug ist ihre Bildung um höhere Glückseligkeit, als die sinnlichen Genüsse oder eitlen blutigen Ruhm, erkennen und empfinden zu lernen.

Es ist übrigens hergebracht, daß vor dem dreißigsten Jahre kein Fürst das Szepter in die Hand nehmen darf, wird ein Thron früher erledigt, folgt eine Regentschaft.

Worin bestehn hauptsächlich die Geschäfte eines Königs? fragte Guido.

Er hat die Satzungen der drei Räthe entweder zu genehmigen oder zu verwerfen, und läßt sie in jenem Falle mit Machtvollkommenheit zur Vollziehung bringen, antwortete Gelino.

Aber könnten die Räthe nicht allein, durch Stimmenmehrheit, entscheiden, und mit Gewalt zum Vollbringen ausgerüstet sein? So bedürfte es keiner Könige.

„Trennungen, Partheigeist, Unruhen, sind dann, wie die Erfahrung bewies, leicht die Folge. Wir würden sie zwar weniger zu fürchten haben, als jene Zeiten, da beim Einzelnen die Sinnlichkeit selten, die Vernunft meistens den herrschenden Zügel führt, aber wenn alle Gewalten in eine Spitze auslaufen, ist die Rückwirkung nachdrücklicher.“

Beschränken übrigens diese Räthe den König?

„In Nichts, er kann sie sogar aufheben, mit andern Formen vertauschen, die er zuträglicher findet. Doch seit länger als einem Jahrhundert ließ sie jeder Monarch unangetastet weil er die Trefflichkeit der Einrichtung nicht verkennen konnte. Denn, will sich der Monarch selbst am Besten befinden, muß er am vollkommensten mit dem Ganzen verinnigt sein. Die Räthe sind das Mittel dazu. Sie füllen den Raum vom Schlußstein der Piramide bis an ihre Ausbreitung, bilden diese vielmehr selbst. Unabhängige Gewalt ist den Königen darum verliehen worden, damit desto weniger Reitz zu ihrem Mißbrauch entstehen könne. Wer alles hat, kann nichts mehr fordern wollen. Die gute Verwaltung ist ihnen durch die Umstände auferlegt, denn verwalten sie schlecht, verlieren sie mit dem Ganzen, und ihr Nachruhm schwindet auch hin. Doch ein Opfer müssen sie für den überwiegenden Genuß von Rechten, gegen andere Bürger, bringen. Es ist hart, allein ihre Vernunft muß die Güte des Opfers einsehn, und die Könige, auch ohnehin in Europa Republikaner, werden es dadurch gewissermaaßen noch mehr. Sie müssen sich — dies ist Reichsgesetz und wird im Fall der Widersetzung durch die Gesammtkraft vollzogen — der Süßigkeit entübrigen, ihre Kinder um sich zu sehn. Diese werden, wie du schon erfahren hast, besonders erzogen, und das Gemeinwesen kann nur, vollkommen beruhigt, Machtvollkommenheit vertrauen, wenn sie überzeugt ist, sie der Einsicht zu übertragen.“

Welche Einkünfte genießen die Könige?

„Den Hunderttheil von allem Erwerb im Lande. Je bevölkerter und regsamer das Land ist, je höher steigt ihr Gewinn, also liegt es in der Natur ihres eigenen Vortheils, die Menschenzahl, durch Erweiterung der Subsistenz zu mehren, und die möglichste Freiheit zu ihrer Bereicherung zu gestatten. Und dies ist denn auch die beste Regierung. Geitz wäre Thorheit, und Thoren können die Throne einmal nicht besteigen, Verschwendung eben so, daher sieht man Ueberall gute Haushaltung, weil ihr Vortheil, ihr Ruhm, sie den Königen auferlegt.

Fremdes Eigenthum an sich reißen zu wollen, kann ihnen nicht einfallen, denn die Unsicherheit desselben würde ohne Zweifel alle Betriebsamkeit lähmen, und sie um so viel im Ganzen verarmen, als sie im Einzelnen ungerecht sich bereicherten.“

Welche Ausgaben bestreiten die Könige?

„Sie solden die Räthe, ihre Hofhaltung, und legen eine jährliche Summe in den Gesammtschatz von Europa, den Krieg bestreiten zu helfen, wenn er gegen andere Erdtheile nothwendig wird.“

Von den drei Räthen habe ich manches erfahren, doch wünschte ich, du nenntest mir ihre eigentliche Bestimmung genau.

„Sie sind mit der Religion oder Moral, was Eines und Dasselbe geachtet wird, verbunden, und die Klugheit gilt auch wieder eben so viel. Die höhere Religion, auch mit dem alten Namen Philosophie benannt, ist vom Irdischen abgezogen, hat darauf keinen vom Staat gelenkten Einfluß, jeder Einzelne mag zu seiner inneren Würdigung davon zu erkennen suchen, was er vermag, die Feste des höchsten Wesens, vom Volke unter dem Himmelgewölbe begangen, sind ohne Priester, ohne Kultus, jeder feiert dort mit dem Herzen. Alles das ist dir bekannt, und du hast das heilige Grauen, die Wonneschauer eingestanden, welche bei solchem Anlaß über dich kamen. Doch die irdische Religion, in drei Tempelsatzungen getheilt, bestimmt, das Leben schöner mit der Idee zu gatten, steigt auf zur Verehrung hoher Simbole und auch wieder nieder in die Welt vorhandener Dinge, kräftiger und erleuchteter zu heiligen. Du knietest oft gerührt im Christustempel, dem ersten von allen. Seine Priester haben einen obern Sinod, aus den würdigsten gewählt, sitzend im Obertempel, in der Hauptstadt des Monarchen. Christus ist uns Heros, oder Beschützer und Verklärer der Erziehung und des Brudersinnes. In seinem Geist, und auf den Zeitfortgang merkend, haben also die Würdigen aus denen jener Sinod zusammen gestellt ist, über Erziehung und Brudersinn zu wachen, dem Volke Freiheit und Kunde zu ihrer Verbesserung, auf jede Weise zu bereiten, es durch Rath und auch durch Beispiel zu erleuchten, dem Fürsten Nachricht von allen Fortschritten zu geben, Vorschläge darzubringen, wie neue Stufen der Vollkommenheit zu ersteigen sind. Das Wort Erziehung hat aber einen weiten Umfang. Es begreift nicht nur die Abhärtung und Bildung der Jugend, auch die Erziehung des Geschlechtes durch höheren moralischen Adel zu glücklicherer Wohlfahrt. Dies kann auf keinem anderen Wege geschehen, als wenn Arbeitsamkeit zuvor den Gewinn der Lebensnothwendigkeiten erhöht. Daher stehen nicht nur die Schulen, sondern auch der Landbau, und alle nützlichen Handwerke, unter der Leitung des Christustempels. Der obere Rath spaltet sich in die besonderen Kammern und hält in den einzelnen Bezirken untere Verweser, gemeinhin Tempeldiener zugleich, welche heilsame Sorge tragen, und vorzüglich ihrem Beruf darin nachkommen, daß sie den weisesten Aufflug in Allem beachten, ihm, nach weisen Anzeigen, so viel als möglich die Richtung geben, und, indem alle Weisheit in ihre Körperschaft strömt, diese auch wieder der Quell sei, aus welchem das Volk schöpfen könne. Der Brudersinn ist zum Gedeihen aller Volkthätigkeit nothwendig, weil ohne ihn, ein Theil dem andern, überall Hindernisse legen würde. Er folgt jedoch aus ihrer höheren Vollkommenheit von selbst, denn weil alsdann die Noth um das Mein und Dein, sich immer mehr verringern muß, sind die Hauptwurzeln aller Feindseligkeit auch immer mehr vertilgt. Ermahnungen in frommen, verständigen, öffentlichen Reden, Belebung des Funkens der Menschenliebe in jeder Brust, durch Lehre und Beispiel, die rührenden Künste zur Mitwirkung rufend, werden keineswegs versäumt; doch strebt man am mühsamsten, die Triebe der Selbsterhaltung und Geselligkeit, dem Sterblichen durch die Hand der Natur gegeben, in Einklang zu bringen, wobei das Uebrige sich ziemlich allein giebt. Du lerntest nun übersichtlich den ersten Rath der Könige und seine ausgebreiteten Verwaltungzweige kennen. — Der zweite Rath hängt mit der Verehrung des Moses zusammen. Dieser ist Heros der Gewalt, des Rechtes. Insofern sich dies auf den Krieg bezieht, schweige ich, es wurde dir im großen Feldlager kund. Reden wir von dem bürgerlichen Eingriff. Wie schon in Europa uns ein weit größeres, vollständigeres Leben zu Theil wurde, das immer neue Verhältnisse schafft, und immer mehr, den Lebenserwerb bequemer gestaltende, Einsichten hervorbringt; wie glücklich die, von Wahn gereinigte und durch die Künste veredelte Religion, in einen reinen Antrieb zum freien Guten umgewandelt ist; in welche zarte Mistik, die Grundlinien der Bürgerehre verwebt wurden; wie klar das, in früher Erziehung geübte Kombinazionsvermögen, die Nothwendigkeit des Rechtes, in den viel erweiteten und berichtigten Gesellschaftsbeziehungen, einsieht; wie sorgsam weise Jahrhunderte zu fernen suchten, was gereizte Begierden wecken, niedere Leidenschaften entflammen kann; immer war doch der Stoff des Widerstrebens gegen das Gute, in der Sterblichen Brust nicht ganz zu tilgen. Die Eigensucht will hie und da immer noch zum Schaden des Gesammtvortheils auf sich beziehen, und sind die Verbrechen gleich bei weitem seltener als Ehedem, hören wir, Dank sei es den besseren Zeiten! nie von solchen, die vor Jahrhunderten noch die menschliche Natur entweihten, so wird das Gesetz doch bisweilen umgangen, und ein ernsterer Widerstand in warnenden, auch drohenden Ahndungen, ist nöthig. Er geht vom Mosestempel aus. Hier wird Recht gesprochen über den Frevler, wiewohl, von zehn Jahren zu zehn Jahren, die Strafsatzungen haben gemindert werden können, indem die traurigen Fälle, wo sie eintreten mußten, abnahmen. Hier werden auch Streitigkeiten über Eigenthum, bei denen kein böser Wille, sondern Zweifel zum Grunde lag, geschlichtet. Doch nicht, wie vormals, hält sich die Gerechtigkeit verborgen. Oeffentlich im Tempel, vor der Menge Augen, übt sie ihr wohlthätig Amt. Auch predigen die Richter dem versammelten Volke, erklären das Gesetz, beweisen sein Heil, schärfen seine Würde, und zeigen vorzüglich den Unverstand aller gesetzwidrigen Handlungen, wodurch denn der erregte Ehrgeitz guter Vernunft, auch ein Sporn zur Tugend wird. Entsteht eine Klage über Gewaltthätigkeit — die letzten Jahre zählten sie sparsam — so dingt derjenige, welcher die Beschwerde zu führen hat, einen Maler, der die kränkende Handlung nach der Natur darzustellen hat. Das Gemälde wird vor den Richtern hingehangen, und spricht zu ihrer Empfindung. So braucht es der Anwalde Beredsamkeit nicht. Doch, der Recht verwaltenden Priester Amt nicht freudelos zu machen, ist ihnen auch die schönere Obliegenheit geworden, Lohn für edle That zu spenden. Sie rufen den Bürger vor ihren Stuhl, den eine nützliche Entdeckung verdient machte, der irgend etwas erfand, wovon die Gesammtheit Vortheile ziehen kann, den Mann der funfzig Jahre irgend einen Beruf rühmlich verwaltete, das Ehepaar, in einer langen Reihe von Jahren durch häusliche Tugenden ehrwürdig, den alten treubewährten Diener, und ertheilen ihm öffentlich Lob oder Ehrenzeichen. Die ältesten, tadellosesten, weisesten unter allen Mosespriestern, bilden in der Hauptstadt des Königs den zweiten Rath. — Im Tempel der Maria fleht die Liebe, der Ehen heiliges Band wird dort geknüpft, die schönen das Leben schmückenden Künste, die Poesie, die aufgeblühte Jugend wähnen sich in der Obhut der Heiligen. Unter ihren Priesterinnen steht nun das ganze weibliche Geschlecht. In alter Zeit wurde es herabwürdigend beengt, wir aber sahen ein, daß Vernunftwesen eine andere Stellung in der Gesellschaft gebührt, und ihre Moralität so durchaus gewinnen muß. Darum üben sie eignen erhebenden Kultus, werden in Reden edler Priesterinnen an die Gattinpflicht gemahnt, ihnen die Grundsätze der frühesten Kinderzucht erläutert, ihr Sinn für das Schöne und Gute geschärft, wodurch sie an Anmuth und Liebenswürdigkeit zunehmen. Bei uneinigen Ehen wird der Frauen Recht wahrgenommen, im seltnen schlimmen Fall, Trennung verhängt. Strafe kann dem Weibe nur von hier zuerkannt werden. Die edleren unter den edlen dieser Priesterinnen, stellen des Königs dritten Rath zusammen. Eine frühere Zeit würde über den Rath von Frauen gelacht haben, und doch ist er so angemessen. Auch hat ihr feiner Sinn schon des Guten unendlich viel gestiftet.“

Nenne mir die Bestimmung des Kaisers!

„Er ist oberer Kriegsherr. Die gesammten Truppen stehen unter seinem Befehl. Er wacht über den Frieden der Republik, läßt die Heere ins Feld rücken, wenn der Kampf unvermeidlich wird, und endet ihn, wenn es ihm gelang, die Feinde zur Versöhnlichkeit zu bewegen. Die Gesetze der Rekrutirung sind bleibend, nicht der Fürsten sonstige Machtvollkommenheit, nur ein allgemeiner Beschluß könnte sie umwandeln. Auch ziehn die Könige nicht mit ins Feld, da sie ihre Staaten daheim zu leiten haben, wohl aber die Söhne, wenn gerade ihre Dienstzeit in den Ausbruch eines Krieges fällt. Die Uebung der Truppen und Flotten, die Vervollkommnung derselben durch besser erkannte Technik, stehen unter Kaisers Vorsorge, und das Strategion, dir schon bekannt, prüft, schlägt vor, entscheidet über einzelne Fälle, theils allein, theils nachdem der Kaiser bestätigte. Der Kaiser ist auch Vorsitzer des Bundesgerichts, und hat seine Aussprüche zu sankzioniren, insofern von Streitigkeiten der Könige gegen einander, oder von Wiederbesetzung eines erledigten Thrones die Rede ist. Wenn dies Gericht nicht in Rom seinen Aufenthalt hat, so liegt auch die Absicht zum Grunde, daß es nicht dem Kaiser unbedingt unterworfen werden soll. Die Telegraphenlinie kann ihm zudem in wenigen Stunden von den Verhandlungen Nachricht senden. Der Kaiser hat auch sein Königreich, und zwar das größere, aus welchem seine Einkünfte ihm zufließen. Seine Vorfahren hätten bei ihrem großen Waffenglück leicht ganz Europa sich unbedingt unterwerfen können, sie wollten es aber nur durch die gegenwärtige Verfassung bedungen, wodurch das weite Reich bequemer regiert, und der immer fortgehenden Entwickelung eine freiere Bahn gelassen wird.“

Guido dachte, als sein Lehrer geendet hatte viel über die Verfassung von Europa nach, es drängten sich ihm manche Ideen auf, wie sie noch gesteigert werden könnte, und er nahm sich vor, darüber einen Entwurf aufzusetzen. Gelino billigte das, ihm zusagend: wenn seine Vorschläge gut wären, er sicher auf das Vergnügen zählen könne, sie in Ausführung gebracht zu sehn.

Sie gingen nach dem Pallast, wo das Bundesgericht oder Völkertribunal seine Sitzungen hielt. Es war ein Gebäude, das durch seine Festigkeit auf ewige Dauer berechnet schien. So viel besondere Reiche in Europa, so viel eherne Bildsäulen von einer Staunen erregenden Größe zierten das Dach. Sie hielten sich umschlungen, ein Adler schwebte mit seinen breiten deckenden Fittigen über die majestätvolle Gruppe. Im inneren Marmorsaale empfand Guido fromme Schauer der Ehrfurcht, als er die Versammlung der Greise sah, denen schneefarbne Bärte auf den Busen niederflossen. Er sahe zudem hier eben ein rührend Schauspiel.

Die Urne eines seit kurzem verstorbenen Königs ward in den Saal gebracht, von seinen vornehmsten Unterthanen getragen. Eine weinende Menge, aus der Ferne gekommen, die der Saal nicht aufnehmen konnte, stürzte nach, einmüthig flehend, dem Staube ihres Monarchen den Tempel der Unsterblichkeit zu bewilligen.

Euer Flehen ehrt den Verstorbenen, antwortete der hohe Senat, allein es darf uns nicht bestechen. Wo liegen die Beweise, daß euer König das Grab des Ruhmes verdiene?

Nun drängten sich besondere Sendungen der Räthe in den Staaten des Todten hervor. Sie reichten Schriften ein, worin die Zunahme der Volkzahl während seiner Regierung berechnet stand, in welchen dargethan wurde, daß sich die Klagen in den Tempeln des Rechtes, während eben diesem Zeitraume, ungemein vermindert hatten; ferner, daß auch nicht eine Ehe getrennt worden sei. Die Papiere wurden laut verlesen. Bedächtig horchten die Greise, rührende Blicke auf die Urne wendend. Nach den Berathungen einer Stunde sprachen sie einmüthig aus: Seine Regierung war gut, da diese Erfolge Zeugniß ablegen. Dem Staube werde des Ruhmes Grab, wenn der Kaiser das Urtheil heiligt.

Die Todten wurden jetzt überhaupt nicht als Leichname begraben. Man wollte den schauderhaften Zustand der Verwesung nirgend wissen, auch unter den Rasenhügeln empörte er die Gefühle einer zartsinnigeren Menschheit. Hatte der Verstorbene, nach einigen Tagen, die untrüglichen Kennzeichen des Todes, schafften ihn die Verwandten in ein Leichenhaus, wo durch einen chemischen Prozeß alle Flüssigkeiten verflüchtigt, und die festen Theile in Erde aufgelöset wurden. Diese kam in die mitgebrachte Urne, und die Leidtragenden brachten sie nach dem Todtengarten, den die Städte mit Baumpflanzungen und Blumen zu schmücken, wetteiferten, um sie dort einzusenken. Ein Denkmal aber durfte auch dann nur die Stelle bezeichnen, wenn die Mitbürger des Ortes, durch Stimmenmehrheit, den Verstorbenen dieser Ehre würdig achteten. Den Wohnplatz der Ruhe sollten nicht Lügen entheiligen. Personen, welche dem Gesetz widerstrebend gelebt hatten, kamen auf ein gesondertes entferntes Gräberfeld, öde, ohne Strauch und Blumen, und die Städte fanden einen Stolz darin, kein solches Feld auf ihrem Gebiete zu wissen.

Das Bundesgericht meldete noch am Morgen, durch den Telegraphen, seinen Ausspruch nach Rom. Am Abend langte die Antwort an. Der Kaiser ließ durch die akkustischen Röhre zurücksagen: Was eben berichtet sei, stimme ganz mit den Kunden überein, welche ihm von der Amtsführung jenes Königes auf anderen Wegen zugekommen wären. Er ehre der Greise Weisheit, bestätigte ihren Spruch, und gebiete, die Urne nach Rom zu senden.

Am anderen Tag wurde sie nun mit Blumen und Lorbeeren festlich gekrönt, dann unter hohem Gepränge, bei den Trauermelodien aller Glockenspiele und dem Chorgesang aller Jungfrauen auf einem goldnen Wagen abgeführt. Ein Ausschuß der Greise des Völkertribunals begleitete ihn, wie Tausende der angelangten Unterthanen, die sich das Recht nicht nehmen lassen wollten, den Reliquien ihres geliebten Monarchen bis zum Tempel der Unsterblichkeit zu folgen. Guido blickte dem Gewimmel mit froher Wehmuth nach, und gestand: wie die Rührung, welche er heute empfände, jede bisher gefühlte, überträfe.

Der andere Tag war jedoch noch merkwürdiger für unsern Jüngling. Denn jenes Königs Nachfolger, von dem Gerichte vorgeladen, stellte sich.

Er hatte das dreißigste Jahr erreicht, da jener in einem hohen Alter verstorben war. Bescheiden trat er in den Saal.

Der Greis, welcher im Namen des Kaisers den Vorsitz führte, fragte ihn:

Wie wurdest du erzogen, Monarchensohn?

„Zuerst in einem Fündlinghause in Spanien.“

Hast du, dort entlassen, Proben deiner stattlichen Kraft, deines früh geübten Denkvermögens, abgelegt? Hat dein Gemüth sich in reinem Sinn bewährt?

„Hier sind die Zeugnisse, welche ich empfing, jene Erziehungsanstalt meidend.“

Sie wurden vorgelesen und stellten den Rath zufrieden. Der Alte fragte weiter:

Wo befandest du dich nachher?

„Ich durchreisete Europa und Asien, zu Lande und durch die Luft, umschiffte den Erdball.“

Recht. Du hast deine Bemerkungen auf dieser Wanderung einst uns eingesandt. Wir haben daraus auf den unterrichteten Denker geschlossen. — Wohin begabst du dich alsdann?

„Zum Heere, wo ich vier Jahre verlebte.“

Wann erfuhrst du deine königliche Abkunft?

„Im fünf und zwanzigsten Jahre, da der alternde Vater eine Stütze neben sich sehen wollte.“

Wie ward dir bei der großen Nachricht?

„Ich fühlte die mir bis dahin unbekannten kindlichen Entzückungen mit Innigkeit, doch erschrack ich, daß einst das schwere Königsamt mich erwarte.“

Gut und auch nicht gut! Der kräftige Mann soll vor nichts erschrecken, der König am wenigsten. — Wie brachtest du deine Zeit neben dem Vater hin?

„Ich wohnte den Sitzungen der Räthe bei, besah unsere Staaten, bis auf das kleinste Dorf, suchte mich über ihre Natur, ihre Gewerbe zu unterrichten, den Mann von Verdienst kennen zu lernen.“

Wohl! Machtest du oft Vorschläge zu Verbesserungen in deinem Lande?

„Dazu fühlte ich mich noch zu schwach, meinte nichts höher umfassen zu können, als der weise Vater.“

Schlimm, Königsohn, schlimm! Der Jüngling soll nicht stehen bleiben, sondern weiter dringen. Deine Erziehung konnte die Erfindungsgabe wecken.

Der Befragte erröthete. Sanft munterte ihn aber der Alte auf und fuhr fort:

Willst du den Thron deiner Väter besteigen?

„Wenn ihr, fromme Väter, mich dessen würdig achtet.“

Das kömmt nur auf dich selbst an. — Was denkst du hauptsächlich beim Regieren zu thun?

„Ueberall das Gute zu fördern.“

Ei, dort falsche Bescheidenheit, hier große Anmaaßung. Räume nur zuvor überall das Böse hinweg, so wird das Gute von selbst folgen.

„Ich hoffe — nicht zu irren — wenn ich strenge den Vater zum Vorbild wähle —“

So? Du hoffst demnach so gut wie der Vater zu regieren.

„Ganz so freilich nicht.“

O, ihn zu übertreffen muß dein Vorsatz sein, wie gerechtes Lob er auch fand. Die neue entwickeltere Zeit läßt dir ja ihr Licht flammen. Durch deine Räthe empfängst du es, kannst seine Strahlen, in deiner Vernunft gesammelt, wohlthätig zurückgießen. — Bist du vermählt?

„Noch nicht.“

Seltsam! Und aus welchem Grunde?

„Ueber die rastlosen Arbeiten vergaß ich, mich nach einem geliebten Weibe umzusehn.“

So war deine Erziehung dennoch fehlerhaft. Die, welche sie leiteten, gaben dir nicht Freiheit genug. Du bist das Werk Anderer geworden, und die eigenthümlich waltende Kraft keimte zu wenig auf. Die Liebe hat ihren Götterfunken nicht in dir entzündet, darum so karger Aufflug deines Herzens. Wir können des edlen Vaters wegen dir nicht nachsehn. Sein Ruhm hat mit dem Wohl der folgenden Geschlechter in seinen Staaten nichts gemein. Ich urtheile, daß dein Land ein Jahrlang unter Regentschaft gesetzt werden muß. Während dieser Zeit bemühe dich um Selbstvertrauen, um die Kraft des Muthes, die Königen ziemt. Vermähle dich liebend, dann kehre wieder und höre unsern neuen Spruch. So mein Urtheil, habt ihr es zu tadeln, Väter, so tretet auf und wir wollen die Stimmen sammeln.

Alles schwieg.

Nach einer Pause fing der Vorsitzer wieder an:

Euer Schweigen nennt meinen Spruch gerecht, der Telegraph soll ihn zur Stelle nach Rom bringen.

Tief bestürzt stand der abgewiesene Thronfolger da vor der schauenden Menge. Wohl nicht hatte er dies erwartet. Um so erschütterter mußte er sein, als der Gram über des Vaters Tod ihn wirklich tief verwundet hatte. Dennoch galt keine Einwendung gegen das Machturtheil, er durfte die Ehrfurcht dagegen nicht verletzen, und sich, wie ihm geboten worden, auf die neue Prüfung vorbereiten.

Still ging er nach einer Verneigung mit seinem Gefolge davon. Das im Saal versammelte Volk, sonst gewohnt, die Aussprüche welche ihm gerecht schienen, mit lautem Beifall zu begrüßen, verhielt sich diesmal still, und schonte so des Prinzen. Doch nicht, als ob es nicht vollkommen mit dem Völkertribunal wäre zufrieden gewesen, sondern, weil es in diesem zarten Betragen, den Manen des Königs eine Huldigung darbringen wollte.

In älteren Zeiten würde ein solches Bundesgericht wohl schwerlich seine Bestimmung erfüllt haben. Die Macht des Goldes hätte ohne Zweifel seine Sprüche gelenkt. Allein man wählte die tugendhaftesten Männer zu den Richterstellen. Und das ein und zwanzigste Jahrhundert hatte in der Kunst, die Tugend zu bilden, Fortschritte gemacht, die das achtzehnte oder neunzehnte nicht ahnen konnte. Dann wechselte man sie oft und unvermuthet. Ferner hatten sie den feinen Takt des Volkes zu fürchten, das über die Gerechtigkeit ihrer Verhandlungen scharf fühlte, und ihre Ehrliebe hätte ein mißbilligend Geräusch, seit länger als einem Jahrhunderte nicht erfolgt, kaum getragen. Eben auch stand dem Kaiser das Recht zu, den mit der Strafe ewiger Entehrung zu belegen, der nicht furchtlose Tugend zu seiner Richtschnur wählte. Endlich durften die Könige insgesammt, wenn ihre Stimmenmehrheit das Verfahren dieses Gerichtes tadelnswürdig fand, Einspruch thun, und sich selbst in seinem Pallaste versammeln, um statt desselben zu richten, wo denn der Kaiser in Person vorsaß und das Recht der Billigung oder Verwerfung übte. Alle diese Maaßregeln erhielten die Ehre des Senats unsträflich.

Guido redete viel mit seinem Lehrer über die Antworten des Thronkandidaten. Er behauptete sehr keck, sie besser gegeben haben zu würden, und Gelino ermahnte ihn, im Gefühl seines Feuers auch nicht weiter zu dringen als Bescheidenheit es gestatte.

Aber, rief der Jüngling, war es denn nicht eben Bescheidenheit, was die Väter an dem Königsohn straften?

Allerdings, doch seine Geburt, sein Beruf, die Jahre welche er vor dir voraus hat, leiteten des Tribunals Urtheil. Du aber, den kein Purpur erwartet, sollst mehr streben als wähnen erstrebt zu haben.

Ich strebe fort, guter Lehrer, entgegnete der Jüngling, aber ich weiß auch, daß ich schon erstrebte.

Dann ward er nachdenkend, und rief, in einigen Schmerz aufwallend: O es muß göttlich sein, von einem Throne herab zu gebieten!

Beneide die Monarchen nicht, warnte Gelino, schwer ist ihr Amt.

Leicht, leicht! schwärmte Guido. Darf ich die Kräfte zusammenfassen, kann ich auch mächtig damit walten. Spannt mir nur Sonnenrosse an den Wagen, ich will sie schon durch den Aether lenken!

„Und doch läßt jene Mithe den Verwegenen, der es unternahm, seinen Untergang finden.“

Ein Furchtsamer hat sie erdacht. An Phaetons Stelle flehte ich zu Ini, und Götterkraft durchglühte mich!

„Wahrlich, die Prüfung in jenem Tribunal scheint dich hoch zu entflammen.“

Diese Bemerkung des Lehrers war richtig. Guido sann, von diesem Tage an, öfter einsam nach, warf Gedanken über manche Völkerangelegenheiten aufs Papier, schnelle Röthe überzog seine Wange, wenn edle Monarchen und ihre Thaten genannt wurden. Oft sprach er von dem Tempel der Unsterblichkeit und erklärte, einen heißen Drang zu fühlen, ihn zu sehn. Habe Geduld, versetzte Gelino, wir werden nach Rom kommen.

Die Wanderer besuchten nun hier verschiedene Lehrstühle, denn, wie der Norden von Teutonien für das gelehrteste Land galt, nannte dies wieder die hohe Schule zu Berlin die gelehrteste.

Ein Lehrer trug die Geometrie vor, handelte von den seit etwa drei Jahrhunderten erfundenen neuen Lehrsätzen, und lächelte dabei über die geringfügigen Konzepzionen eines Archimedes, Galilei, Newton, la Place. Doch setzte er auch billig hinzu: Diese Männer bleiben dennoch im Verhältniß zu ihren Zeiten vortreffliche Köpfe, daß die unsrigen unendlich mehr aussprachen, ist eine Erscheinung, welche durch den wissenschaftlichen Fortgang und die immer mehr zusammengedrängten Volkmassen nothwendig wurde.

Guido, selbst ein geübter Rechner, bewunderte die arithmetischen Formeln, welche ihm hier zu Gesicht kamen. Der Integral- und Differenzialkalkul waren auch schon vollkommen ins gemeine Leben übergegangen, und die endlich gefundene Quadratur der Rundung, erleichterte die Messung aller Größen noch weit mehr.

Ueber die Mechanik vernahm er unerhörte neue Lehrbegriffe. Nur die Ausführung mancher davon, konnte ihn noch zu mehr Bewunderung hinreissen. Denn man beschloß während seiner Anwesenheit, einen großen Pallast, welcher in der Straße, wo er gegenwärtig stand, keine vortheilhafte Ansicht darbot, nach einem freien Markte zu schaffen. Sein Fundament ward gestützt, unterhöhlt, gewaltige Hebemaschinen drängten das Gebäude im Gleichgewicht empor, Rollen, aus Marmorblöcken gehauen, empfingen dasselbe, und in wenigen Tagen war es unversehrt nach der neuen Stelle gebracht, wobei sich an den nöthigen Wendungen die schwierigste Kunst offenbarte.

Auf der Sternwarte eines durch neue Entdeckungen berühmten Astronomen, hörte er mehrere Vorlesungen. Daß man jetzt über Tausend Millionen Fixsterne zählte, wogegen vor etwa drei Jahrhunderten deren nur fünf und siebenzig Millionen angenommen wurden; daß die Zahl der Ehedem bekannten Dreihundert und neunzig Kometen verdreifacht ausgemittelt war, und über die Gesetze ihres Umschwungs, die Natur der sie umwallenden Dünste, kein Zweifel mehr bestand; daß die Vortrefflichkeit der Sehröhre schon die Planeten der nächsten Sonnensterne erblicken ließ, wußte er lange; ganz unerwartet erfuhr er hier aber, welchen bedeutenden Vorschub die Chemie der Sternkunde leistete. Denn wenn sie zuvor den Wärme- und Lichtstoff nimmer hatte wägen können, so war ihr dies nunmehr ganz bequem geworden. Es gab Waagen, die in Theilbarkeit der Schwere Subtilitäten gestatteten, die mit denen, welche das Mikroskop in der Sichtbarkeit erzielt, verglichen werden konnten. Nun hatte der genannte Sternkundige, Strahlen der Lichtmaterie, welche uns von den, viele Billionen Meilen entlegenen, Fixsternen, nach langen Jahrenreihen zuströmt, in luftleeren hohlen Körpern aufgefangen, gewogen und scheidekünstlerisch zerlegt. Er wies nun den Zuhörern seine merkwürdigen Resultate vor. Es wurde durch sie erklärt, weshalb das Licht vom Sirius weiß, das vom Arktur röthlich sei, warum die Glanzfarben an den Hauptsonnen, in den Sternbildern Orion, Leier, Kassiopea, Löwe, Eridan u. s. w. so von einander abwichen. Aus der Natur ihrer Lichtstoffe schloß nun der gelehrte Mann auf die ihrer Planeten, sogar auf die dort nothwendigen Modifikazionen der anorgischen und organischen Körper, wodurch er einer ganz neuen, erhabenen Wissenschaft, ihr bewundernswürdiges Feld öffnete.

In einem Hörsal der Naturkunde fanden sich unsere Reisenden auch mit lebhaftem Antheil ein. Hier zählte man die Mineralien, Pflanzen, Säugethiere, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten und Würmer auf, welche bis jetzt entdeckt waren. Gegen die Vorzeit hatte sich die Zahl mehr als verdoppelt. Dies galt aber nicht von den Thieren des Meeres, von denen einige Tausend Gattungen in den Registern der Phisiker genannt wurden, wo man sonst nur Achthundert beobachtet hatte. Denn bei jeder Reise in den Grund des Ozeans — wo sich die kühnen Erforscher der wundersamen Tiefe, nach Maasgabe ihres Weiterdringens, einen Ruf bereiteten, wie Ehedem die Colon, Magellan, Hudson, van Diemen, und Tiefgebürge oder Meerthäler nach ihren Namen benannt sahen — wurde man Arten ansichtig, die bis jetzt den Blicken verborgen geblieben waren, und nicht in die höhere Wasserregion zu dringen pflegten. Guido erfuhr viel Seltsames davon, wandte aber der Anatomie der Infusionsthiere noch größere Aufmerksamkeit zu, und die meiste, den Lehren über das Pflanzenleben. Hier spottete man jetzt der Vorzeit, welche die Vegetabilien einst leblos nannte, ungeachtet einsaugende und aushauchende Gefäße sowohl, als die Erzeugung durch Begatten, sie vom Gegentheil hätte überzeugen können.

Die Geogenie behauptete Hipothesen, in welche die Bailli und Gatterer der Vorzeit sich schwerlich würden gefunden haben. Sie wollte genau angeben, wann einst der Erdball, nur aus Urgebürgen bestehend, durch eine ätherische Revolution von Wasserfluthen wäre umfangen worden, die die Ursache aller Lebenserscheinungen in sich tragend, in dem Maaße abgenommen hätten, als diese aus ihren Mitteln hervorgebracht wären. Eben so berechnete sie die endliche vollkommene Kondensazion der Flüssigkeiten, und wies dann dem erstorbenen Felsball eine Trabantenstelle bei einem weit über den Uranus hinaus entstehenden oder dann mit Lebenselement umflossenen Planeten an. Andere Meinungen aber, leiteten die Geburt der Erde, von der Begattung zweier Kometen her, da sie in den Aether geworfen worden, gewissermaaßen in Eigestalt, wo der Urgranit als das Gelbe, die Fluthen als das Weiße zu betrachten wären. Die allmählige Umwandlung der Verhältnisse des Flüssigen zum Festen, nannte diese Meinung, den Wachsthum des Eies, und sein Entfalten zum Kometen, wo einst das kindische Einherwandeln am Gängelbande der Sonnenanziehkraft aufhören, und der kecke Jüngling sich der Leitung seiner feurigen Wärterin entziehen werde, nicht mehr wärmende Pflege von ihr bedürfend. — Freilich zeigte sich hier auch so gut wie vormals die Beschränkung des menschlichen Wissens, und Guido drängte den Lehrer bald mit Fragen, auf die er keine Antwort hatte.

Die Philosophie sah dies gegenwärtig wohl ein und trug zur Belehrung nur ihre eigne Geschichte vor. Die letzteren Sisteme, die jüngsten Träume vom Uebersinnlichen, mußten nothwendig, nach einem um so größern Maaßstabe angelegt worden sein, als die Erkenntniß im Gebiet des Sinnlichen sich mehr ausgebreitet hatte. Man trug sie vor, beschied sich abzusprechen und überließ jedem Denker — sich zum höchsten Wesen anbetend zu wenden.

Guido, bereits früh mit jugendlicher Weisheit ausgestattet, zeither, wie wir schon berichtet haben, eifrig dem Studium der weisesten Schriften dieser Zeit hingegeben, umfaßte nun, schnell in sich aufnehmend, was er hier sah und hörte, und vollendeter wurde der tiefe kräftige Denker. Die Hochgefühle seines stammenden Thatentriebes, wurden dadurch wechselnd gemildert und angefacht.

Wahre geistige Religion, in Bewunderung der Natur und Allmacht, lenkte sein Gemüth zum höheren Aufflug als je, und die Liebe, in ihrer immer reineren Mistik, schmiegte sich an alles Empfundene und Gedachte.

Allein der Ausdruck eines so schönen Geistes prägte sich auch immer vollendeter in seiner Gestalt aus. Er fühlte, sah es mit Frohlocken, schrieb an Ini: Wenn sein Auge, vielmehr sein Herz nicht lüge, müsse er nun sehr nahe an seinem Götterziele stehn. —

Man besah noch das Innere von Berlin emsig. Ein altes Zeughaus lag in ehrwürdigen Ruinen da. Es war nicht wieder erbaut worden, indem bei der jetzigen, glücklichen Verfassung von Europa, in der Mitte des Staates keine Waffenvorräthe nöthig waren.

Ein Standbild Friedrichs II. zog Guidos Blicke auf sich. Sein Lehrer sagte: Diesem König war freilich Neigung zum blutigen Ruhm vorzuwerfen, und er führte Kriege, die allerdings zu vermeiden gewesen wären. Doch entschuldigt der rohe Charakter seiner Zeit viel daran. Hingegen wußte er den Monarchenberuf, der sich mit dem Ganzen zum Vortheil Aller verinnigen, und das Staatsschiff im Strome der Zeit dahin lenken soll, ohne seine Wogen vorauseilen zu lassen, oder ihnen selbst voranzufliegen, so richtig zu erfüllen, daß manche Züge seines Regentenlebens, sogar jetzt noch, jungen Gekrönten Muster leihen dürfen. Deshalb prangt auch nicht allein hier sein Denkmal, sondern seine Reste wurden späterhin auch nach Rom gebracht. Du siehst seine Urne dort im Tempel der Unsterblichkeit. Hatte sein Volk sich zur Größe aufzuschwingen verstanden, wie sein König, so ging vielleicht Europas schönere Entwickelung, von Friedrichs Monarchie aus.

An dem Marmorbilde einer Königin des Alterthums, weilte der Jüngling bewundernd. Gelino unterrichtete ihn: Diese Huldin auf dem Throne, Luise genannt, sei die schönste Frau ihrer Zeit gewesen. Auch wäre die Vorliebe für ihre Gestalt hier so lebendig auf die Nachkommen übergegangen, daß man sie in den Marientempeln, durch Künstler von Athen, noch immer nachahmen ließe.

Es befand sich auch ein Pantheon in dieser Stadt, wo die Bildnisse verdienter Männer in diesen Gegenden, aus neuer und älterer Zeit aufgehangen wurden. Man sahe hier Albrecht, Waldemar, Luther, Copernikus, Guerike, Friedrich Wilhelm, Leibnitz, Kant, einen gewissen Rochow, einen gewissen B*** — — doch der Verfasser dieses Werkleins mag es nicht unternehmen, die noch anzugeben, welche sein prophetischer Traum sah, mancher Aspirant der Unsterblichkeit würde zürnen, sich zu vermissen.

Wir wollen nun mit unserer Reise mehr eilen, sprach Gelino. Hinlänglich sahst du das arbeitsame Treiben kleiner Städte und auf dem Lande in dieser Erdgegend. Laß uns die schnelle Luftpost dingen.

Noch vor Aurora klang das Horn, die Reisenden warfen sich in die Gondel. Morgenschlummer sank noch über sie. Als sie davon aufdämmerten, ließ sich das Fahrzeug schon auf die Böhmische Bergkuppe nieder, wo sich die erste Station nach Wien befand. Neue Adler flogen muthiger über die lachenden Ebenen hin, man sah die rauchenden Sudeten, gleich Altären, von denen dem Ewigen der Andacht Opfer emporwallte; die Elbe, die Moldau gleich geschlängelten Silberfäden; Glockenklänge, Erntelieder, ineinander gewebt, tönten zu ihnen herauf. Gegen Mittag schwebte das sonnenbeglänzte Prag vorüber, zwei Stunden danach nahmen sie auf einem Hügel in Mähren, wo die zweite Luftpost erbauet war, ein erfrischendes Mahl. Dann ward wieder angespannt und das Sehrohr entdeckte schon die ehrwürdige gothische Piramide, Ehedem sammt ihrer Kirche dem heiligen Stephan geweiht, nun ein Christustempel, noch dauerhaft genug, ferne Jahrhunderte zu sehen. Am Abend zog man über die Wipfel des Prater hin, vielen Lustwandelnden in der Höhe begegnend, und der Fuhrmann senkte seine Passagiere auf die Platteforme des Gasthauses, zum Ochsen genannt, nieder, das seinen alten Namen in dem Betracht nicht geändert hatte, daß ein Ochs zu allen Zeiten ein venerables Thier bleiben wird.

Sie speisten noch weit leckerer zu Nacht als in Berlin, die Enkel waren hierin den Vätern treu geblieben, auch das Bad enthielt mehr aromatische Beimengungen, stärkte die Lebensgeister und munterte höher zu Genüssen auf.

Am andern Tag besahen sie die Stadt und das von Schiffen wimmelnde Bassin der Donau, welches hervorzubringen, die alte Brigittenau zerstört worden.

Gelino erzählte seinem jungen Freunde: wie kunstreich-mühevoll denkende Regierungen bewirkt hätten, daß Seeschiffe die Donau stromauf hätten befahren können, was in alten Zeiten, bei allem erfinderischen Fleiß, nicht einmal mit kleinen Kähnen sei thunlich gewesen. Eine Uebereinkunft mit Griechenland, große Summen und das Ausharren bei vieljähriger Arbeit, hätten dennoch allen Widerstand besiegt. Da der zu starke Fall des Stromes alle Hindernisse legte, waren zu seinen Seiten hohe Dämme aufgeführt, das Flußbette vertieft und geändert, und demnächst von dreißig Meilen zu dreißig Meilen bis zum schwarzen Meere Wasserfälle angelegt worden, die dem von Niagara flüchtig glichen. So hatte die Hidraulik die Fluthen zu einem ruhigen Lauf gezwungen. Kam nun ein Schiff dem Strom entgegen — entweder vom Winde oder von Maschinenruderwerken geleitet — bis an einen Wasserfall, hob es eine Schleuse empor; im anderen Falle trug sie es nieder.

Noch eine andere gigantische Arbeit hatte der Unternehmungsgeist hier vollbracht. Lange schon waren die Einwohner der Meinung gewesen, jener Zweig der Steiermärkischen Gebirge, unter den alten Namen, Kalenberg und Leopoldsberg, bis ans Donauufer dringend, erkälte die Gegend und mache die Witterung unbeständig. Ohne ihn, war man überzeugt, müsse das Klima so freundlich sein, als unter gleicher Breite in Ungarn. Nicht nur auf sich, sondern auch auf die Enkel blickend, hatten also die Großväter — diesen Namen zwiefach tragend — eine Summe zusammengebracht, um funfzig oder achtzig Jahre hindurch, einige Tausend Arbeiter und Lastthiere damit verpflegen zu können. Weit hinauf gegen Steiermark zu, wurden nun die Berge gesprengt, und zwar nicht mit Pulver, um die Stadt nicht zu erschüttern, sondern durch künstlich darin erzeugtes Eis, was auch früherhin begreiflich gewesen wäre, da man schon im achtzehnten Jahrhunderte, die Kraft, welche eine Bombe, mit Wasser gefüllt, das in Frost übergegangen ist, sprengt, auf 3351 Pfund berechnete. Die zerstückelten Felsen, schafften nun Prahmenwagen von ungewöhnlicher Größe, auf einer eigen dazu gefertigten Kunststraße aus Eisenerz, nach Mähren. Da sie aber keine Brücke hätte tragen können, mußte man sich entschließen, einen hohlen Gang unter der Donau hin zu wölben, gegen welchen die gepriesenen unterirdischen Kanäle im alten Rom, nur ein Spielwerk zu nennen waren. In Mähren ward das Gebirge wieder aufgeführt. Nun wehten die südlichen Lüfte freier, die aus Norden wurden beträchtlich gehemmt.

Durch alle solche Maaßregeln hatte die Bevölkerung der Stadt bis auf eine Million zugenommen. Die alten Festungwerke vertilgte man längst, wo sonst die Vorstädtische Linie ging, begränzte sich nunmehro die Stadt, die neuen Vorstädte flossen nicht nur mit Schönbrunn, Dornbach, Nußdorf, sondern sogar mit Enzersdorf und Neuburg zusammen. Vergnügungen und Wohlleben wurden überall sichtbar. Guido besuchte an einem Abend den maskirten Ball. Sein Lehrer folgte ihm nicht, hatte Daheim zu schreiben. Die alte Sitte, sich scherzend zu verlarven, bestand noch, doch feinsinniger und deutungreicher. Der Jüngling erblickte viele Schönheiten, anziehend durch liebliche Formen, bei allem dichten Gewande. Doch ruhte sein Auge mehr neugierig als betroffen darauf. Eine aber darunter, wie Hebe gekleidet, das Gesicht bis an den Mund verschleiert, regte seine Aufmerksamkeit lebendiger an. Höchst edler Gang, bezaubernde Harmonie in allen Bewegungen, der untere Theil des Gesichts, wo sich das Kinn in zarten Wellenlinien, der ausdruckvolle, lächelnde Mund in zwei rosenhaft prangenden, sanft gespannten Lippen, darstellten, begannen seinen Puls zu erhöhen. Alles mahnte ihn an Ini, nur eine etwas längere Gestalt sah er hier. Er konnte nicht umhin, der freundlichen Erscheinung im Gedränge zu folgen, den trunkenen Blick ihr nachzusenden, endlich bebend die Maske zum Tanz einzuladen. Sein Verlangen ward erfüllt, selig flog er mit der Schönheit durch die Reihen. Ihre Berührung traf ihn wie elektrische Funken. Gefühle wie aus anderen Welten durchströmten ihn. Die Musik, nur Melodien der Liebe und Wollust athmend, nahm das noch Uebrige seiner Besonnenheit hin.

Wien, schon im Alterthum seiner Tonkünstler wegen gerühmt, hatte auch zeither hierin den Vorrang behauptet. Die Revoluzion der Musik, Ehedem kaum geahnt, war von Wien ausgegangen. Wo sonst die Töne wild und dunkel schwärmten, fand jetzt alles klare Bedeutung. Die Musik hatte, was ihr immer fehlte, ihre Grammatik empfangen, auf diese gründete sich die Uebereinkunft wegen ihrer Sprache. So konnten die bestimmten Zusammenklänge, Figuren, Zeitmaaße, Worte vertreten; Poesien, Reden u. s. w. ausgeführt werden, die der leicht Unterrichtete vollkommen verstand. Einem Götteridiom glich die herrliche Erfindung. Welchen Eindruck mußte sie hervorbringen!

Bei der Tanzmusik entstanden oft Klagen der Polizei, wenn sie zu üppige verführerische Klangworte sprach. Wie jener Grieche einst die Saiten der Lira verminderte, wie Gregor VII. bei dem Tempelchor auf größere Einfalt drang, ließ sich jetzt eine Censur die Tanzstücke vorzeigen, und strich manche Notenphrase. Bei den maskirten Bällen sah sie indessen hie und da nach, vielleicht zu sehr, und so ging dem zu weit hingerissenen Jüngling, die alte Strenge gegen leidenschaftliche Aufwallung, beinahe zu Grunde.

Guido knüpfte, mit seiner Tänzerin im Nebenzimmer ruhend, warme Unterredungen an. Sie war im Anfang einsilbig, antwortete jedoch immer mit Witz und Gehalt. Auch tiefe, himmelvolle Empfindung verkündete sich in ihren Worten. Guido sagte ihr, seiner nicht länger mächtig: Ich liebe ein Mädchen daheim, ach mehr wie das Göttliche in der Natur, nimmer wankte mein Herz — als vor deinem Anblick!

Die Verschleierte gab zu Antwort: Der Uebergang von Liebe zu Liebe lohnt mit hoher Wonne. Der strafende Vorwurf, was kann er, als den neuen seligen Taumel würzen!

Guido rief: O wie unterwirft mich der Zauberklang deiner Stimme! Dein Auge strahlt helle Glorien durch den Schleier. O warum darf ich es, warum die Blüthe der Wangen nicht sehn?

Hier nicht, entgegnete die Schönheit, doch folge nach meiner Wohnung.

Sie stand auf, eine ganz verhüllte, ältliche, weibliche Maske, trat hinzu, begleitete Jene.

Guido zauderte lange. Ein drängender Zug, den Himmel weissagend, gebot ihm ihr nachzueilen, eine innere tadelnde Stimme hielt ihn zurück. Doch eine weiche Hand, die die seinige ergriff, und mit ätherischer Wärme durchglühte, ließ keine Wahl mehr.

Unten harrte ein niedlicher Wagen. Die Masken stiegen in denselben. Guido nahm rückwärts seinen Platz, man rollte dahin. Das Herz von süßen Erwartungen bebend, die Gewissensregungen niederkämpfend, saß der Liebeglühende da, zur Rede kaum ermannt.

Man hielt an einem Gartenthor, das sich auf ein Zeichen öffnete. Holde Blumendüfte athmeten den Eintretenden entgegen. Der röthlich aufgehende Mond schien durch die blühenden Orangenbäume, die holde Maske führte Guido nach einem Lusthause, wo eine kleine Lampe vor einem hohlgeschliffenen großen Amathist brannte. Diese magische Helle verklärte alle Gegenstände umher. Köstliche Teppiche waren im Zimmer ausgebreitet, das Ruhebett im Hintergrunde umfloß eine künstliche Wolke, aus dem Rauche süß betäubender arabischen Spezereien. Die Maske führte Guido hinein, alle Fibern und Nerven erklangen in ihm. Er stammelte: Nun, nun, laß mich dein Antlitz schauen! — „Nicht ehe, bis du mir, ein Abtrünniger deiner vorigen Erwählten, ewige Liebe schwörst.“

Guido erschrack heftig, seine Sinnenverwirrung nahm jedoch zu.

Dann, fuhr sie fort, bist du mein Gott diese Nacht, deine Io umarmt dich in dem Zaubergewölk.

Guido schlug auf die Brust. Die Lippe wollte sich öffnen, doch seine Hand hatte Inis Bild am Herzen verborgen, getroffen. Dies rief ihm Ermannung durch die Seele. Er riß das Gemälde hervor, warf einen Blick darauf, hohe Gewalt der Unschuld kehrte ihm zurück. Nein, Verführerin, rief er, Treue ist schöner als Wollust! Heil mir, dem der Muth zu fliehen erwacht!

Er eilte aus der Grotte, stark, kräftig in wiedergekehrter Tugend. Es schien ihm, als ob himmelsüße Stimmen ihn zurück riefen, er widerstand.

Am Gartenthor angekommen, fand er es verschlossen, was ihn peinigend ängstete. Er wollte hinaus in die Freiheit, desto ehe Meister zu sein der gefährlichen Leidenschaft, in Gelinos Armen Schutz dagegen suchen, wenn die eigne Kraft nicht mehr zulange. Seine Furcht war heftig, doch gerecht. Er wußte auch, der wahre Muth könne sich der Verführung nur entwinden, und sein feiges Beben durchflammte Heldengefühl.

Umsonst bemüht das Thor zu öffnen, weilte er mit Einemmale starr und unbeweglich. Eine Melodie ergriff ihn so wunderbar. In holden Zaubertönen redend, edler, siegender, wie alle die er in Wien gehört hatte, doch schon einst von ihm gehört, löste sie göttlich seine innere Welt. Erinnernd, die seligsten Bilder der Vorzeit im Gefolge, traf ihn die Melodie. Die Saiten einer Zephirharmonika strömten sie nieder, dort in Sizilien hatte sie ihn einst zu einem verklärteren Dasein emporgetragen. Was hieß das? Was sollte Guido denken?

Er konnte nicht mehr fliehn, wandte sich um, nach der Seite des Klanges horchend. Süß lispelten die Zweige der blüthenduftenden Linde, im stärker wehenden, warmen Abendwind. Höher schwebte der klare Mond, heller gossen sich seine Strahlen auf die Wipfel nieder, Guido sah etwas über diesen Wipfeln, sanftleuchtend und rosig schimmern, und wandelte bebend den Pfad dorthin. Die schwarze Maske trat ihm entgegen, nahm ihn bei der Hand, führte ihn durch eine dunkle Krümmung, wo er aus den Blick verlor, was er eben gesehen hatte, doch immer noch, die Melodie vernahm. Kein Wort konnte die Lippe stammeln. Bald endete das Dickigt vor einem freien mondbeglänzten Hügel, und völlig sichtbar in der ereilten Nähe, winkte das hohe Instrument, dem ähnlich, das Guido auf dem heimathlichen Eiland entzückte. Die Hebe rührte nun ihre Saiten nicht mehr, stieg herab, ach! wie einst Ini im Abendschein. Guido sank aufs Knie, Ahnung, Verwirrung, Furcht und selige Wonne zugleich im Busen. Des Mädchens weißer Arm zog den Schleier vom Antlitz — o Himmel! — Geliebte! Mehr vermochte der Jüngling nicht zu sagen.

Ini trat näher, erhob ihn lächelnd. Prüfen wollt’ ich deine Liebe, sprach sie, Athania war Zeugin von Allem. — Die schwarze Maske enthüllte auch ihr Gesicht.

O ich bin ein Unwürdiger, verdiene den Tod! rief Guido mit zerrissenem Gemüth.

Richte, Athania! sprach Ini wieder.

Die Erzieherin fing an: Männlich hast du der scheinbaren Verführung widerstanden. Deine Flucht war Treue und Tugend. Nicht darf dich die Liebe anklagen.

O Ini, brach Guido aus, der Schrecken in nie geahnten himmelvollen Entzückungen verwirrt mir die Seele. Laß mich Besonnenheit sammeln, damit ich mein Herz fragen könne, ob Schuld seine Reinheit trübt? Dann — o dann will ich entfliehn, mich ewig zu verbergen!

Frage, entgegnete hold das Mädchen.

Guido schwieg lange, mit tief gesenktem Blick; dann hob er das Auge langsam empor, doch freier, klarer.

Freudig erröthend rief Ini: So blickt nur die Unschuld auf. Du bist rein!

Ach, entgegnete Guido, wenn deine Gestalt mich einen Augenblick mir selbst raubte, so konnte es auch nur diese, diese Gestalt. Ich habe mich nicht anzuklagen, sie gebietet meinem Leben.

Er blieb deiner werth, fiel Athania ein, glückliche Freundin!

Wenn meine alten Bedingungen erfüllt sind, ist er meiner werth; und ich seiner, wenn ich selbst vollbrachte, was ich mir einst aufgelegt habe, war Inis Antwort.

Sie nahm Guido bei der Hand, ihn in ein erleuchtet Gemach zu bringen. Er folgte, immer noch mit einigem Zittern. Ich bin nach Afrika beschieden, sagte sie auf dem Wege, ohne zu wissen, wie lange ich ausbleibe. Du kamst nach Wien, der Abstand von Sizilien ist so weit nicht, ich beschloß, dich hier zu sehn, zu prüfen, miethete den Garten. Doch nur eine Stunde kann ich noch weilen, dann steige ich in meinem Wagen auf und fliege zur Heimath.

Sie hatten das Gemach erreicht, hohe freudige Bestürzung über des Mädchens vollkommenere Schönheit in Guidos strahlendem Blick, aber auch das nämliche süße Staunen in Inis glühendem Auge. O, rief sie, viel, viel hat mein Guido während seiner Entfernung gethan, die innere Schönheit auszubilden, der letzte Sieg göttlicher Tugend machte dich verwandter noch mit meinem Ideal, der unverkennbare Zug des edlen Triumphgefühls ist dir auf ewig eingeprägt.

„O Ini — ich weiß mich nicht anzuklagen, und dennoch — ich hätte nicht folgen sollen —“

Ohne Gefahr kein Kampf, ohne Kampf kein Sieg.

Guido ließ nun seinem Entzücken über Inis neue hinreißende Anmuth freien Lauf.

Sie sprach: Das Weib kann daheim nur im Stillen sinnen, wo der Mann in die Ferne schweift, handelt, wirkt. Doch über sein Handeln und Wirken sinnt eben einsame Liebe ungestört, und frägt das ruhige Gefühl nach dem Rechten, Guten, Wahren. Ich, die Malerin, ersann daheim deine Aufgabe. Mein Gefühl weissagte ihre Lösung. Der Geist deiner Liebe mußte ferner walten, und redlich hat er gewaltet. Doch ist das Ziel noch nicht erreicht. Vielleicht lange noch nicht. Sei nicht traurig. Die Zeit vor dir, die Kraft in dir, werden mächtig fortgestalten. Nur vergiß nicht, daß du Gemüth und Geist in immer vollkommeneren Einklang bringen mußt, den Preis der höchsten Schönheit davon zu tragen. Noch gab’ dein Gemüth oft zu vielen Ausschlag. Dieser Durst nach Heldenruhm, um den ich dich einst anklagte, wenn er gleich dem Manne ziemt, muß sich der Betrachtung über die schönere Eintracht der Menschheit unterwerfen. Das Wissen, die hellere Uebersicht, müssen diese Betrachtung rufen. Doch wenn Pflicht es gebeut, mußt du entsagen können, auch wirklich entsagen. Dies Wort verstehe wohl, dann wird erst das Göttliche in Herrlichkeit den inneren Menschen durchstrahlen, und von vollendeter Bildung die verklärte Gestalt zeugen. Roher Sinnenwahn, niedere Leidenschaft gebieten nicht mehr in dir, durch den letzten Kampf hast du dich ihnen ganz entwunden, des Denkers gereiftere Kraft wohnt auf der weit vorgedrungenen Stirn, was den Linien im Antlitz sonst hie und da ein Mißverhältniß erzog, ist viel ausgeglichen. Viel — nicht vollkommen. Noch Uebung im edlen Denken, im richtigen Empfinden, noch ein großer Triumph über selbstsüchtig Begehren, und ich hoffe, du stehst am Ziel.

Es folgte eine himmelvolle Stunde trunkner Unterhaltung. Sie floh wie ein Augenblick. Dann mahnte Athania. Kein Flehen hielt Ini zurück. Sie erhob sich im mondbeleuchteten ätherischen Wagen, flog unter den Sternen hin, einem Seraph ähnlich, in der Glorie aus Lunens Strahl gewunden, und schwand dann in blauer dunkler Ferne dem entwichenen Meteor gleich.

Guido empfand die Nacht und den folgenden Tag hindurch, nur den Nachklang der seligen Erscheinung, alles um sich vergessend; dann ermannte er sich, und drang wieder, um den schönen Preis kämpfend, ins Leben. —

Die Reise ging nun nach Frankreich. Es würde zu viele Zeit geraubt haben, noch länger in Deutschland zu weilen, ob gleich noch viel Sehenswerthes übrig blieb, das sie in München, Stuttgardt, Frankfurt u. s. w. hätten betrachten können, als besonders kluge Einrichtungen, Monumente alter trefflicher Fürsten, Volkfreuden. Doch sie mußten es, nach dem einmal gewählten Plan, bei den größten Städten bewenden lassen.

Unfreundliche Herbstwitterung störte die Reise in etwas. Wenn sich der Luftwagen vom Posthause aufschwang oder bei dem folgenden niedersenkte, hatten die Adler Mühe, gegen die Stürme anzukämpfen. Außerdem hielt man sich jedoch in der höheren Region, wo kein Wind mehr sauste, und die angespannten Thiere konnten bequem ihren Pfad verfolgen. Gegen die Kälte schirmten artige Oefen von dünnem Blech, mit Papier geheitzt, und Pelzhüllen von Schwanenfell.

Am Rhein und in den Gegenden des ehemaligen Lothringens, freute sie der laute Winzerjubel der unter ihnen tönte, eben so die überall noch dichter als in Germanien angebaute Landschaft. Ohne Unfälle erlebt zu haben, erblickten sie bald das weitläuftige Paris, dessen Vorstädte jetzt mit Meaux, St. Denis, Versailles u. s. w. zusammenhingen.

Guido wunderte sich über eine dünne spitze Säule von niegesehener Höhe, die eine seltsame Gestalt hatte und fragte seinen Lehrer, was er davon zu denken hätte? Dieser erklärte ihm, wie die Pariser schon lange damit unzufrieden gewesen wären, bei regnigtem Wetter ihre enggebaute Stadt so unreinlich zu sehn. Die Erfindung hätte sich in mancherlei Mitteln gegen diesen Uebelstand erschöpft. Es sei im Werke gewesen, die nahenden Regenwolken jedesmal durch Kanonen von Luftbatterien zu zerstreuen und so die Atmosphäre der Stadt zu reinigen. Allein die Eigenthümer der Gärten in den Umgebungen, hätten sich über diese Maaßregeln mit Recht beklagt, weshalb man sie einstellen müssen. Endlich aber sei ein Projektant aufgetreten, mit dem riesenhaften Entwurf eines Regenschirms für die eigentliche Stadt.

Die dünne Spitzsäule, fuhr er fort, ist es. Eine Gesellschaft Aktieninhaber besorgte die Errichtung; eine kleine Abgabe aller Einwohner, für die trockne Reinlichkeit willig gezollt, trägt den Zins und die fortlaufenden Kosten. Die Säule steht genau in der Mitte von Paris. Zweitausend Schuh hoch, besteht sie aus starkem Granit, auf einer hinlänglich festen Grundlage. Dann folgen bis zur Spitze wohlzusammengefügte Eichenstämme, um welche Eisenringe laufen. Eine Wendeltreppe von Außen führt vom Fuß bis zur Höhe.

Der ungeheure Schirm besteht aus einem von Hanffäden gewebten Tuch, mit wasserdichtem Firniß überzogen. Wallfischrippen, durch Klammern verbunden, spannen ihn bis zur Mitte, von da wird der gardinenartig aufgehobene Theil, mittelst gewaltiger Taue, die nach allen Seiten in Abständen von Hundert Klaftern, zur Erde gehn, niedergezogen und wieder empor gebracht. Die Erhebung der Wallfischrippen vollzieht ein ungemein kunstreicher Mechanismus.

Indem er noch sprach, umdunkelte sich der schon trübe Himmel noch mehr, die Gewölke nahmen gegen die Stadt ihren Lauf. Eine Fahne wehte plötzlich vom Gipfel der Piramide, das Zeichen für sämmtliche Arbeiter an ihr Werk zu gehn. Nun währte es kaum zwei Minuten und das weite Gezelt breitete sich über die Tempel und Häusermassen hin. Der Postillon trieb die Adler mächtig an, um auch bald den Schutz zu genießen, und in kurzem befand man sich unter der wohlthätigen Decke, auf welche der Platzregen mit dumpfhohlem Getöse niederschlug. Guido bewunderte am meisten die Röhren des Umkreises, die das abströmende Wasser auffingen, und in die verschiedenen, zu diesem Zweck gegrabenen, Teichbassins leiteten, die wieder einen Abfluß in der Seine fanden. Er betheuerte: unter allem Merkwürdigen, was er noch auf der Wanderung gesehen, stände dieser Paraplu oben an. Es ist auch ein Erdenwunder von Kunst, sagte Gelino.

Sie stiegen im Posthause ab, übergaben Trägern ihr Gepäck, und eilten zu einem Wechsler, wo der Lehrer Summen, für ihren Aufenthalt nöthig, in Empfang nehmen wollte. Unterwegs stellte sich ihnen ein sonderbarer Anblick dar.

Ein Mensch bettelte. Dies war so unerhört, daß das aufgeregte Mitleid keine Gränzen kannte. Aus allen Häusern eilte man hervor, den Unglücklichen mit Wohlthaten zu überhäufen, der sich auch bald in Besitz so vielen Geldes sah, daß er flehend bitten mußte, nur einzuhalten.

Guido reichte ebenfalls hin, was er bei sich trug, und fragte den Lehrer: wie so eine, die Menschheit entwürdigende, Erscheinung möglich sei? Dieser erkundigte sich näher, und erfuhr: der Mann wäre aus dem südlichen Amerika, und durch einen Schiffbruch um seine Habe gekommen.

Guido schauderte bei der Nachricht von einem Schiffbruch. Sie waren jetzt überaus selten, nur ein bedeutender Fehler des Piloten konnte es dazu kommen lassen. Denn bei den genauen Karten vom Meergrunde, der schon seit mehr als einem Jahrhundert entdeckten Berechnung der Länge, den herrlichen Mitteln bei Nacht einen weiten Umkreis zu erleuchten, konnte man beliebig jeder Gefahr entfliehn, auch der dauerhaften Bauart der Schiffe und der Möglichkeit, fast überall vor Anker zu gehn, nicht einmal zu gedenken. Hier hatte inzwischen ein Schiffer strafbare Nachlässigkeit verschuldet.

Das Betteln aber mußte darum männiglich so befremden, weil auch seit länger als einem Jahrhunderte es in Europa unerhört war. Denn Staatsordnung, Sitte, moralisches Gefühl hielten Jeden zur Thätigkeit an, und da Landbau und Handwerke, durch tiefere Naturkunde und viel erweitete Technik, so leicht, so überflüssig die Lebensnothwendigkeiten hervorbrachten, so war es auch der Betriebsamkeit des Einzelnen, sie mochte bestehn worin sie wollte, nur ein Spiel, seinen Antheil zu erwerben. Die erhöhte Bevölkerung, statt diese Leichtigkeit zu stören; mußte sie vielmehr, ihrer ganzen Natur nach, fördern, woran man, nur bei irriger Kenntniß der möglichen Fruchtbarkeit des Erdbodens, zweifeln kann. Allein weise Anordnungen dachten auch auf Krankheitfälle Unbemittelter, auf Verstümmelte, auf hohes entkräftetes Alter. Um nun in solchen Fällen ein Recht auf Unterstützung zu begründen, hatte jedes Kind, ohne Ausnahme, bei seiner Geburt, eine kleine Summe zu erlegen, oder vielmehr die Aeltern statt seiner. Zudem jede einzelne Person, einen geringen monathlichen Beitrag. Die Summen wurden klüglich bewirtschaftet, wuchsen dann sehr natürlich hoch an, und konnten viel bestreiten. Um aber die monathliche Erhebung der Beiträge minder weitläuftig zu machen, hatte man sie in eine, durch ganz Europa gleichmäßig aufgelegte, sehr geringe Akzise, verwandelt. Nun mochte sich Jemand aber in Europa auch befinden, wo er wollte, seinen Aufenthalt ändern, so oft es ihm gefiel, immer zahlte er unmerklich und behielt sein Recht. Die Summe des allgemeinen Armenschatzes, den auch der ganze Erdtheil — bei der vervollkommneten Arithmetik, wovon schon die Rede war, höchst bequem übersah — mußte auch darum so größer werden, als Reiche oder Wohlhabende, bei der Geburt eines Kindes nicht den gewohnten Satz, sondern mehr beisteuerten.

Gerieth nun Jemand in Noth, meldete er sich bei der nächsten Sadtverwaltung. Diese untersuchte seinen Zustand genau. Einem gesunden Menschen ward nicht das Mindeste schenkend gereicht, sondern er empfing die Gelegenheit, durch diejenige Arbeit, welche er verrichten konnte, den Unterhalt zu erschwingen. Krank dagegen nahm ihn ein Spital auf. Das Alter von sechzig Jahren durfte auf eine angemessene Beihülfe zu der ihm noch möglichen Arbeit zählen, über siebzig Jahr verpflegte man dagegen Greise und Greisinnen ganz, was auch bei Krüppeln und dergleichen geschah. Bei dem allen hielt ein zartes Ehrgefühl die Geschlechter ab, eines ihrer Glieder in die Nothwendigkeit zu versetzen, die öffentliche Wohlthätigkeit in Anspruch zu nehmen; wenn es irgend möglich schien, verheimlichten sie den Mangel in den einer der ihrigen gesunken war, machten es auch zum Gegenstand ihrer Religion, Kranke und Alte selbst zu pflegen.

Ueberlegt man hiebei, daß die meisten Ursachen, welche Armuth hervorbringen, ja lange schon aus dem Wege geräumt waren, als Kriegräubereien, unmäßige Auflagen, falsche Geldoperazionen der Regierungen, Handelsverbindungen, in welchen ein Volk mit betrügerischer Schlauheit, das andere mit Unkunde seiner eigenen Kräfte auftritt, gehässige Immoralität des Einzelnen, die zu Verschwendungen leitet, ehrlose Trägheit und Unempfindlichkeit gegen Achtung, die nicht erwerben mögen, auch Almosen spendende Klöster, den Müßiggang unterstützend; erwägt man noch, daß das furchtbare Heer der Krankheiten sich unendlich vermindert hatte, so geht ganz von selbst hervor, wie ein Reisender Europa durchwandeln konnte, ohne jemal das widrige unedle Schauspiel der Bettelei wahrzunehmen. Guidos Befremdung erklärt sich demnach so gut, als das mitleidige Zudrängen der Pariser.

Es währte aber nicht lange, so erschien ein Polizeibeamter und fragte den Armen zürnend: warum er nicht zur Stadtobrigkeit gekommen sei? Die Antwort hieß: Weil ich kein Europäer bin, folglich nicht zu euren Wohlthätigkeitsanstalten beigetragen habe, durfte ich auch nicht mit Recht auf ihre Milde bauen. Der Diener des Gesetzes entgegnete streng: Es reisen viele Bürger anderer Erdtheile in Europa, und die Akzise gewinnt an ihrer Zehrung. Wie unbillig würde es daher sein, wenn irgend Jemand darunter sich arm ankündigte, ihm Hülfe zu versagen. Du hast uns durch Mangel an Vertrauen beleidigt und ein öffentlich Aergerniß gegeben, dessen sich ohne Zweifel der älteste Greis nicht mehr entsinnt. Behalte was man dir reichte, verzehre es jedoch im Kerker. Dann wollen wir dir eine Summe geben, mit welcher du dein Vaterland wieder erreichen kannst. — Wider diesen Spruch galt keine Einrede, denn er enthielt den Geist der Gesetze.

Gelino und sein Zögling drängten sich mühevoll durch das Volkgewimmel der Straßen, und um so mehr, da, wenn gleich am hohen Mittage, der Regenschirm Dunkel verbreitete. Doch eben da sie auf einem großen Markt angekommen waren, hatte das Unwetter geendet und die Bedeckung wurde wieder eingelegt. Man verrichtete dies schnell, und neu, überraschend, blendend war die Wirkung des plötzlich niederscheinenden Sonnenlichts.

Sie langten im Hause des Wechslers an. Gelino übergab ein Schreiben; der Mann war sehr höflich und rief einige Träger, welche schwere Goldsäcke auf einen Wagen luden. Der Lehrer sah alles nach, gab ihm Empfangscheine, und nahm dann mit seinem Zögling Platz auf dem Wagen.

Dieser hatte befremdet und nachdenkend zugesehn. Nun fragte er: Woher die großen Summen, und wozu? Gelino antwortete: Wir behalfen uns bisher mit geringen Kosten, doch in Paris und London wollen wir einigen Aufwand machen, damit du auch mit dem Leben des Reichthumes vertraut wirst.

Da empfange ich nur eine Auskunft, rief Guido. Woher, frage ich abermal, die großen Summen?

„Von dem nämlichen Wohlthäter, der dich bisher in den Stand setzte, die Welt reisend zu betrachten.“

O dieser Wohlthäter muß reich, sehr reich sein. Mein leichter Sinn fragte noch wenig darum. Was gilts aber, es ist der Kaiser selbst, dem ich so viele Zeichen der Milde verdanke?

„Ja mein junger Freund, es ist der Kaiser. Was er von dir hörte, besonders von deinen Thaten im Heere, erwärmte sein Herz noch mehr für dich. Frage nicht weiter, genieße, und vor allen Dingen, lerne, begreife, mache dich der Güte ferner werth.“

Guidos Nachsinnen ward ernster. Einige Minuten darauf brach er aus: O daß ich keine Eltern kenne, und so süße Gefühle, wie die kindlichen, mir versagt wurden! Erst bei den Fündlingen erzogen, hernach unter deiner Leitung, die mich allerdings keinen Vater missen ließ, ahnte ich tiefere Empfindungen nicht. Allein, nachdem ich auf der Reise so oft das entzückende Schauspiel eines engen Familienbandes sah, beweinte ich im Stillen mein hartes Loos.

Gelino drückte ihm gerührt die Hand. Geduld mein Sohn, vielleicht findest du einst deinen Vater.

Stürmische Ungeduld entbrannte in dem Jüngling. Von süßen Hoffnungen wogte sein Busen. Er drang feurig in den Lehrer, ihm das Geheimniß seiner Geburt aufzuklären, wenn er anders den Schlüssel dazu hätte, oder wenn er nichts genau wisse, ihm seine Vermuthungen zu nennen. Der Lehrer brach aber gemessen ab, empfahl ihm ruhiges Erwarten der Lösung seines Schicksals. Es war Guido bekannt, daß er, wenn der Lehrer schweigen wollte, umsonst bat, er mußte sich also mit Geduld waffnen, obgleich die Neugier über seine Herkunft jetzt heißer als je erwachte, und manche sonderbare Ahnung in ihm aufstieg. Er tröstete sich wohl über den Mängel an Kindesliebe, weil ihn Inis Liebe beseligte, und sein Herz so warm an den edlen Lehrer hing, doch meinte er immer wieder, dies Herz sei weit genug noch mehr Liebe glühend zu umfassen.

Gelino hatte schon zuvor nach Paris geschrieben, und einen Miethpallast, wie es deren für sehr reiche Wanderer gab, auf die Tage ihrer Anwesenheit bestellt. Sie kamen nun dort, von den Dienern des Wechslers geleitet, an. Er war aus rothem und weißen Marmor gebaut, hatte ein stark übergoldet Bleidach, das im Strahl der Sonne prangend leuchtete. Eine zahlreiche, glänzende Dienerschaft, stand am Portal. Die innere Einrichtung entsprach der äußeren Pracht vollkommen. Man erblickte Zimmer, deren Wände mit dem köstlichsten Mosaik bekleidet waren, andere mit staunenerregenden Meisterwerken der Malerei umhangen. Es befand sich ein Konzertsaal hier, den die Standbilder der neun altgriechischen Musen, zu Athen gefertigt, schmückten, und zum Personal des Pallastes gehörte zugleich das treffliche Orchester, was sich auf Verlangen des Miethers hören ließ. Eben so ein kleines Theater, mit Schauspieler und Schauspielerinnen. Ferner eine große Bibliothek, der einige Gelehrte vorstanden. Der Speisesaal war mit Silbergeschirren erfüllt, goldne Lampen hingen von den Decken nieder. Das Bad war den altrömischen ähnlich, welche die Kaiser Trajan oder Tiber anlegten. In der Küche bereitete man sich, wie einst bei Apicius, immer auf eine große Zahl von Gästen, doch viel schmackhafter noch als bei jenem waren die Speisen zugerichtet, was jetzt um so mehr anging, da die Küchenchemie eine eigne weitläuftige Wissenschaft galt, über die Professoren, von Lehrlingen der Tafelkunde gehört, lasen. Noch fand man im Hofe Wagen aller Art, einen Stall trefflicher Pferde, einen andern mit Adlern, und mehrere schöne Gondeln, denn ein kleiner Kanalarm führte von dort nach dem Strome. Auch ein schönes Landhaus mit weitläuftigen Gärten gehörte noch zu diesem Miethpallast. Allerdings gab man aber auch eine Miethe, die den zu findenden Bequemlichkeiten angemessen war.

Guido fragte: Wie ist es möglich, Unternehmungen der Art zu wagen?

Wirkungen des Reichthums, antwortete der Lehrer. Das ewige Zuströmen der Fremden nach dieser Stadt, bringt so viel Geld hinein, und sie sendet es wieder in die Ferne, um das alles herbeizuschaffen, was die Fremden ferner anreitzen kann. Es prangen mehrere Gebäude der Art, und selten stehen sie leer, weil es vermögende Wanderer genug giebt. In den vergangenen Jahrhunderten wären Erscheinungen der Art unmöglich gewesen, weil man da weder Freiheit, noch Thätigkeit, noch Kenntniß genug, über den beweglichen Umlauf der Reichthümer, und ihre Vermehrung der Erzeugnisse während ihrem schnellen Wirbel, hatte. Damals gab es wenige Reiche und unerhört viel Armuth. Jetzt sieht man Jene in großer Zahl und diese ist meistens verschwunden. Große Entwürfe im Handel oder anderer Art, klug und glücklich ausgeführt, bereichern um so leichter, da sie auf den allgemeinen Wohlstand berechnet sind. Damit aber dennoch, nicht wenige Familien zuletzt so viel wuchernd an sich reißen können, daß andere von ihnen abhängig sind, ist die überaus weise Erbschaftsteuer eingeführt worden, die den Zweck vor Augen hat, den Erwerber zwar die Frucht seiner Thätigkeit vollkommen genießen zu lassen, dagegen aber die Unthätigkeit der Erben, die von der Arbeit des Todten müßig schwelgen möchten, nach Möglichkeit abzuschneiden. Je vermögender, je höher die Steuer vom Nachlaß, und sie steigt auch nach Maaßgabe der näheren oder weitläuftigeren Verwandschaft der Erben. Dies hat zur Folge, daß der Reichgewordene auch bei seinem Leben viel wieder in den Umlauf giebt, und ihm wird auch, in Betracht des Gemeinbesten, und insofern sie nicht unmoralisch ist, Verschwendung nachgesehn. Mag er bauen, reisen, Künsten und Wissenschaften lohnen, dadurch empfängt das alles höheres Leben.

Wo bleiben aber die Summen, aus dieser Erbschaftsteuer? fragte Guido?

Der Lehrer gab zur Antwort: Sie werden zum Vortheil des Landes auf mannichfache Weise angelegt, so daß sie den niederen Ständen wieder zuströmen. Man gräbt Kanäle, wo sie noch fehlen, baut, macht Versuche mit nützlichen Erfindungen, wozu, wie du weißt, auch andere Summen vorhanden sind, unternehmende, aber nicht bemittelten Bürger können Anleihen nachsuchen. Kurz auch hier ist wieder der rasche Zirkelgang, des, die Dinge und den Kunstfleiß darstellenden, Metalles, Endzweck. Hätte die Vorzeit die Wunder der Freiheit und Ruhe ahnen können, traun, sie würde um einige Jahrhunderte früher geeilt haben, den Thron der Vernunft zu erhöhn, und in einem Erdtheil, wo die Menschen schon lange sich durch Bildung ähnlich wurden, die unsinnigen Kriege einzustellen. Vielleicht ging das aber auch nicht ehe an, bis der Zeitgeist alles von selbst schönerer Reife entgegen führte. Wie langer, vorbereitender Aufklärung, bedurfte es unter andern zu dem großen Schritte, die Religion an die Stelle der Kirchlichkeit zu bringen. Freilich folgte er erst dem blutig geendeten Kampfe der Politik, und hätte ihm vorausgehen können, wodurch der Christenstaat ohne jene schauderhaften Schlachten, wovon die Geschichte meldet, zu gründen gewesen wäre. Denn in der That, liest man einige alte Schriftsteller aus dem achtzehnten Jahrhundert, in deren Köpfen bereits so viel Licht anbrach, kann man nicht genug über die seltsame Verstocktheit ihrer Zeitgenossen staunen, welche es nicht nützen wollten, das Heil, die Bestimmung der Menschheit erkennen, Wahrheit und Irthum, Gutes und Böses unterscheiden zu lernen. Indessen ist es nun einmal so. Das Genie der Verbesserung hat zu allen Zeiten Widerspruch gefunden, oft mußte der große Mann erst begraben sein, ehe das Recht seiner Aussprüche erkannt wurde. Geht es doch bisweilen noch jetzt nicht anders. Sind wir doch, trotz aller Religion und Erkenntniß zuweilen genöthigt, mit Asien oder Afrika zu kriegen.

O schöner Voranflug seines Zeitalters! rief Guido. O daß ich der Menschheit irgend eine Wohlthat ersinnen könnte, daß die Nachwelt mein Andenken segnete!

Der Friede mit anderen Welttheilen wäre solch eine Wohlthat, antwortete Gelino. Er fehlt der Menschheit. Allein die Leidenschaften werden nicht überall so glücklich bekämpft als in Europa, und auch hier, wir wollen nicht prahlen, gelang es noch nicht so weit damit, als wohl zu wünschen wäre. Im Geheim treiben sie oft ihr Spiel fort; denn wer sieht das Innere der Seele, wenn die Menschen in der Tugendlarve heucheln. Es giebt doch hie und da einen Fürstenrath, einen hohen Priester des Gesetzes von gewichtigem Ansehn, entscheidenden Einfluß, der sein wahres Spiel birgt, und Zwietracht mit der Fremde, oder Zwietracht im Innern hervorruft. Man muß auf seine Tugend baun, wer vermag sie genau zu erkennen?

Hier fühlte sich Guido von einem Gedanken ergriffen, dem er in der Folge eifrig nachhing. Jetzt antwortete er dem Lehrer: Die richtige Erkenntniß des Menschen scheint mir nicht unmöglich, aber den Frieden aller Völker zu knüpfen, ist schwer. Ich sehe nicht ein, auch wenn ich Kaiser wäre, was ich da thun wollte. Da muß das Schicksal selbst freundlich zutreten.

Nun das wird auch einst geschehn, antwortete Gelino. Auch gebieten ja die Menschen dem Schicksal immer mehr, wie ihre Weisheit steigt. —

Die Reisenden erborgten in Paris vornehme Namen und knüpften Bekanntschaften an. Die angesehensten Einwohner, Künstler, Gelehrte, wurden zu ihrer Tafel, zu ihren Konzerten, nach ihren Gärten geladen, und baten sie dagegen zu sich. Es war noch in Paris wie vormal, das Neue erregte viel Aufsehn, alle Welt sprach davon. Nicht eben die Verschwendung des reichen Jünglings konnte auffallen, doch er selbst, sein Verstand, mehr noch seine Schönheit. Die Damen waren ganz entzückt, sie schwuren, nie eine so vollkommene männliche Gestalt erblickt zu haben. Dies benutzten Maler, Kupferstecher und andere Künstler, bildeten ihn vielfach ab, und wenn er ausging, sah er beschämt überall Gemälde, Gipsabdrücke, Statuen von sich. Auch Denkmünzen wurden auf ihn geschlagen und in den Gassen ausgerufen, viele Damen trugen ihn in Gemmenringen am Finger. Er empfing auch verliebte Zuschriften voller Witz, und übte wieder den eignen Witz, indem er die zärtlichen Anträge so ablehnte, daß sich die Schönen dennoch bezaubert fühlten. Dadurch entstand viel neues Gerede, und eine gelehrte Dame veranstaltete sogleich eine Sammlung dieser tugendhaft witzigen Billets, die man eilig mit Stereotipen druckte, eines ungemeinen, Absatzes gewiß.

Kurze Zeit nach seiner Ankunft hörte Guido von einem sonderbaren Rechtshandel. Er hatte sich schon über die Menge von Diamanten gewundert, welche ihm Ueberall zu Gesichte kam; die Frauen der niederen Klassen waren so damit bedeckt, daß man auf Spatziergängen nicht nach der Seite blicken konnte, wohin die Sonne schien, selbst die Dienstmädchen in seinem Pallaste, trugen Haar, Ohren, Busen und Arme davon voll. Der Glaube, sie möchten unächt sein, fand die Widerlegung der Kenner, allein man benachrichtigte ihn: es sei in Paris ein Juwelenhändler vorhanden, der die edlen Steine um einen tief geringen Preis verkaufe, dabei ein unerhört angefülltes Waarenlager hielt, und so auch den Pöbel in Stand setzte, den gepriesenen Schmuck zu tragen. Deshalb aber, wie man wohl denken kann, verschmähten ihn nun die Damen der feinen Welt, und sich ohne Juwelenschimmer zeigen, hieß glänzen.

Die andern Kleinodienverkäufer sahen sich zu Grunde gerichtet, feindeten ihren Nebenbuhler an, belangten ihn vor Gericht. Hier begriff auch Niemand, wie der Mann das Theure so wohlfeil losschlagen könne. Neue Prüfungen über die Güte seiner Steine folgten, sie schlugen abermal zu seinem Vortheil aus. Man fragte: Aus welchen Indischen Diamantengruben er kaufe? Er antwortete: Dies habe er, zufolge der Handelgesetze, nicht nöthig zu erklären. Man verlangte aber wenigstens, ein fremdes Handelshaus zu nennen, mit dem er Geschäfte pflege, ein Schiff, das seine Waaren herbeiführe.

Dies konnte er nicht, und nun lag am Tage, seine Steine würden nicht von Auswärts gezogen. Er verfertigt sie selbst, riefen die Gegner, folglich sind sie, trotz allen Proben, unächt.

Gut, sprach der Juwelier, ich verfertige sie, doch eine Unwahrheit ist eure andere Behauptung. Untersuchet so lange ihr wollt, ihr werdet keinen andern Gehalt finden, als ob die Steine von Golkonda oder Brasilien kämen. Ich betrog nicht, verkaufte ächte Diamanten, dem Käufer kann es gleich sein, ob die Natur, ob ich sie hervorbringe.

Bei näherer Untersuchung fand sich, daß der Mann, den lange schon in der Chemie genannten Bestandtheil, reinen Kohlenstoff, so zu verdichten gewußt hatte, daß der wirkliche Diamant erzeugt wurde.

Das Gericht war im Anfang zweifelhaft. Die große Zerrüttung des Werthes der Edelsteine, welche der glückliche Erfinder veranlaßte, machte ihm Bedenken. Doch zuletzt entschied die Stimmenmehrheit: Dem Manne dürfe keine Strafe anheim fallen, auch die Fortsetzung seiner Kunst ihm nicht untersagt werden. Möchten die Weiber gern schimmern, so wäre ihnen die Gelegenheit aufgethan, um wohlfeilen Preis ihren Wunsch zu erlangen. Gefiele ihnen der wohlfeile Schimmer nicht, zeigten sie noch größere Thorheit als zuvor. Der Mann könne dann zu ihrer Heilung beitragen, und wenn das andere Geschlecht mehr auf Pflege der wahren Schönheit hielt, mehr dem Manne durch weibliche Tugenden, als kindische Glanzfunken zu gefallen strebte, hätte das Gemeinwohl dem Künstler innig zu danken. Verlören übrigens manche Juwelenhändler, sei das zufällig, und das Gesetz könne ihres einzelnen Vortheils halber, keine irrige Grundsätze aufstellen. Dabei blieb es nun.

In der That, rief Guido, als er bald darauf einige mit Edelsteinen überladene Frauenzimmer sah, mir scheinen sie selbst nicht mehr so köstlich, als da ihre Seltenheit mich bestach.

So bist du denn auch von blinden Vorurtheilen nicht frei, fiel der Lehrer ein. Doch möchte nur alles Schöne so gemein werden, daß man keine Auszeichnung darin fände, desto besser stände es um die Menschheit. Zum Glück ist es auch schon mit vielen Tugenden dahin gekommen. Was die Vorwelt staunend gepriesen hätte, blikten wir oft als gleichgültige Alltäglichkeit an. Wohl uns! —

Sie begaben sich eines Tages nach der großen Oper. Das Haus war ungemein mit Zuschauern gefüllt. Guidos Blicke suchten das Theater. Er sah vor sich ein gefülltes Parterre, Logen, Kronleuchter, so gut als neben und hinter sich. Gelino lächelte. Wisse, sprach er daß der Vorhang ein Spiegel ist, der durch die ganze Mitte des Saales reicht. In diesen siehst du den Platz der Zuschauer wiederholt. Hebt das Stück an, wird ihn eine Maschine empor winden.

Dies erfolgte auch zu Guidos Befremdung, und nun zeigte sich die Bühne. Man sah jetzt kein Licht mehr bei den Zuschauern, zum Vortheil der Theatererhellung, die dem Tage vollkommen glich, waren sie sämmtlich erloschen, wie aber am Ende eines Aktes der Spiegelvorhang niederschwebte, wurden sie alle durch eine elektrische Vorrichtung entzündet.

Die alte Mithe, Orpheus war der heutige Stoff. Im ersten Akt sah man eine Landschaft und einen Meilenweiten Hintergrund, der unmöglich gemalt sein konnte. Guido begriff das nicht. Sein Lehrer erklärte ihm, wie dies Opernhaus mit einem Schraubenwerke versehen sei, wodurch es der Theatermeister, bei den Akten, die eine weite Tiefe darbieten sollten, bis über die Häuser der Stadt höbe, daß, nach weggenommener Hinterwand, man das wirkliche Feld der Gegend erblickte.

Also schweben wir jetzt in solcher Höhe? fragte Guido.

„Allerdings. Die Bewegung vollzog sich so sanft, daß Niemand sie merkte. Hat schon ein altrömischer Baumeister ein Schauspielhaus mit Achzigtausend Zuschauer gedreht, wird die Mechanik unserer Zeiten es doch wohl erheben können.“

Ist das aber nicht mit Gefahren verbunden?

„Fürchte nichts. Die Polizei läßt vor den Darstellungen alles Maschinenwerk durch Sachverständige prüfen.“

Im zweiten Akt zeigte sich die Hölle. Ungeheure, weite, brennende Klüfte und Abgründe, in deren Flammen gepeinigte Verdammte klagten. Die Fernsten erschienen ganz klein, doch waren es lebende Wesen, wovon sich Guido durch ein Sehrohr überzeugte. Wie ist dies möglich? fragte er abermal.

Gelino antwortete: Das Opernhaus hat mit großen Kosten ein tiefes Souterrain aushöhlen lassen, was um so eher anging, da es auf der Höhe des Montmartre liegt. Will man nun weite Gebäude, oder Klüfte und Abgründe darstellen, wird das Haus durch jene Schraubenwerke in die Tiefe gesenkt, wo man sich nun der unterirdischen Entfernungen bedienen kann. Wir befinden uns jetzt unter der Erdfläche, die letzten Gestalten sind einige Tausend Schuh von uns entfernt.

Im dritten Akt sah man den Himmel Fremdartige Farben, ungemein zarte Umrisse aller Gegenstände wirkten mit bezaubernder Schönheit. Ein anderer Mond, andere Sterne mit einer tiefrührenden Idealität gezeichnet, blinkten daher, was aber Guido am meisten in Verwunderung setzte, war, daß ihre Strahlen durch Euridizens und der anderen Schatten Körper leuchteten. Und doch war Euridize die nämliche, welche er im ersten Akte gesehn, doch bewegte sie sich lebend, sang. Er ward nun durch seinen Lehrer unterrichtet: Alle Gestalten, die wir jetzt sehen, sind nur der wirklichen, in einem Nebengemach befindlichen, Wiederscheine, durch ungemein sinnreiche, optische Laternen, hervorgebracht. Daher muß das Licht diese Euridize durchschimmern, denn, treu der Fabel, ist es wirklich nur ihr Schatten. Daß auch die Blumen, Gebüsche, Hügel, so zarte Umrisse, so seltsam fremdartige Farben zeigen, macht eine große Platte von grünem doch klaren Glas, welche davor hängt, wie jener Spiegel, im ganzen Umfang der Bühne, ohne daß wir sie wahrnehmen.

Musik, Gesang, Tänze waren den übrigen Vorwürfen an Vollkommenheit ähnlich, und mit hohem Entzücken verließ Guido dies Schauspiel, sich lange noch Orpheus, und Ini Euridize träumend.

Sie sahen auch das große Trauerspiel. Der Dichter hatte in dem heutigen Stücke eine Thatsache der Vorzeit behandelt, und viel gegen die Empfindung wagend. Eine junge Monarchin, schön, liebenswürdig, geistvoll, ist mit einem Gemahl verbunden, dem alle ihre Vorzüge mangeln. Er kömmt eben zur Regierung, belegt aber durch seine ersten Schritte, dem großen Amte durchaus nicht gewachsen zu sein. Die Gemahlin erkennt die Richtung, welche dem Volke zu seinem Wohl gegeben werden müsse, die Kraft ihres Genius regt sich kühn, von Liebe zu den Unterthanen stammt ihre edelempfindende Brust. Doch vermag sie nichts über den Gemahl, der sie nicht versteht, ihren schönen Sinn anfeindet, und in Roheit waltet. Tirannei und Zerrüttung drohen dem Reich, die Monarchin fühlt, sie könne ihm eine gedeihenvolle Zeit blühen lassen.

Ein weiser Vertrauter ruft ihr zu: Besteige den Thron, herrsche, beglücke! Sie schaudert. Sie kann nur über den Leichnam des Gemahls jenen Stufen nahn. Es ist ein Unwürdiger, doch sie seine Gattin. Ihr Zartgefühl empört der Gedanke an jeden Mord, um wieviel mehr an den des Gemahls! Ihr Herz trägt solche Vorstellung nicht, ihre Einbildungskraft muß ihr entfliehn.

Der Vertraute spricht: Besteige den Thron, durch ein Verbrechen ihn mit deiner Tugend zu schmücken. Wie edel ist dann dies Verbrechen! Es wird die höchste deiner Tugenden, allen übrigen, die Bahnen ebnend. Begehst du es nicht, wie laut der Nation geheimes Flehn, wie laut der Beruf deiner Geistesgröße es verlangen, dann erniedrigt dein Säumen dich zur Frevlerin. Alles Wehleiden der Millionen auf dein Haupt, ihr Fluch beugt dich schwerer, da du ihn in Seegen hättest umwandeln können.

Hier steht sie nun an dem furchtbaren Scheideweg. Eine kühne Missethat — und dann ein schönes Leben, dem Ruhm, gottähnlich über ein geliebtes Volk zu herrschen, geweiht. Eine feige Tugend — und nichts als der Anblick eines elenden geliebten Volkes. Hier steht sie — weint, ruft sich selbst um Kraft an, mahnt ihren Genius, Licht in dies schauderhafte Dunkel zu werfen — und — stört endlich nicht, was der Vertraute vollbringen will.

Nun empfängt sie das Scepter, und hält den Hoffnungen des Ruhmes Wort.

Zum Erstenmale ward heute das Trauerspiel gegeben. Die feinsinnige Versammlung, sonst gewohnt, sich über alles Schöne oder Unedle ganz bestimmt zu äußern, die der Kunstwerke Vorzüge, nach dem richtigsten Takt mit Beifall lohnte, und ihre Mängel eben so durch Tadel strafte, wußte — unerhört in den Annalen dieser Bühne — heute sich nicht zu entscheiden. Kein Lob, kein Mißfallen, allgemeine Stille. So blieb es auch bei den folgenden, immer gedrängt besuchten Vorstellungen.

Gelino wollte aber auch auf dem kleinen Theater des Pallastes etwas sehn. Er sprach mit dem Vorsteher der Gesellschaft, die am liebsten bunte, regellose Sachen aufführte. Dieser trug ihm eine kurzweilige Posse an, genannt:

Die Narrheiten vor Dreihundert Jahren.

Gelino war es zufrieden, und lud so viele Fremde, als der Raum nur fassen konnte.

Als der Vorhang weggenommen war, wollten die Zuschauer fast vor Lachen sticken, über die närrischen Kleidertrachten, der dargestellten Zeit. Wie war es möglich, riefen viele, daß sich die Menschen jemals so unbequem, geschmackwidrig und lächerlich umhüllen konnten! Eine Hauptbedeckung, grade aufstehend, oben platt, einem umgekehrten Becher ähnlich, oder gar ein Dreieck mit abentheuerlichen Stülpen! Wie vielerlei Lappen hängen an den Männern, der natürlichen Form ganz zuwider, mit häßlichen Ecken, und dennoch übel gegen die Witterung schirmend. Wie muß dies vielfache Einschnüren die Körper verunstaltet, ihnen nach und nach Kraft und Gesundheit entzogen haben! Und so unanständig, pfui, so unanständig! Fürwahr diese Urväter mußten grobe Narren sein!

Es wurden nun mancherlei Sittenzeichnungen dargestellt, wo denn aber das Gelächter oft mit Abscheu und Mitleid wechselte. Man sah die Kirchlichkeit, wo unverschämte Priester ganz widersinnige, unnatürliche, die Gottheit herabwürdigende Mithen, einst einem tief rohen Zeitalter kaum anpassend, immer noch als Wahrheiten lehren wollten, und das thörichte Volk gauklerisch betrogen. Man sahe Fürstenhöfe, wo eine widrige Erziehung das Oberhaupt ärmer an Geist dastehen ließ, als die Unterthanen am Fuß der Staatspiramide, wo es, statt mit der Weisheit, mit dem Vorurtheil umgeben war, und blödsichtige engherzige Höflinge ihm eitel Lügen sagten, wo das wahnsinnige Volk endlich durch heuchlerische Schmeicheleien alles verdarb. Man bildete das Faustrecht vor drei Jahrhunderten ab, wo ein europäisches Volk das andere um nichtiger Ursachen willen bekriegte, und dies mußte jetzt grade so viel Widerwillen erregen, als eine Darstellung des kleineren Faustrechtes, zwischen den Gauen des vierzehnten Jahrhunderts, wenn sie das neunzehnte sah. Die Thorheiten, allerhand Sisteme der Philosophie zu wechseln, durch Bücher voll Unsinn Irthümer auszubreiten, durch falsche Finanzoperationen ganze Länder verarmen zu lassen, durch Verschiedenheit der Dingenmaaße und Sprachen, den Ideentausch zu erschweren, überströmte eine witzige Satire mit dem wohlverdienten Spott. Am Ende begegnete sich alles in dem Ausruf: O ihr grobe, grobe Narren der Vorzeit! Gelino erläuterte aber der Versammlung, daß doch auch nicht jeder damals die Schellenkappe getragen habe, nannte ehrwürdige Namen von Männern, die sich ein großes Verdienst in Bezeichnung der besseren Pfade erworben hätten, und schloß: es sei für die Menschheit nothwendig gewesen, durch dies dunkle Labirinth zu gehen, um den Gegensatz erhellter Vernunft wohlthätiger zu begreifen. —

Guido und sein Lehrer sahen noch Tausend Merkwürdigkeiten, welche aufzuzählen der Raum hier nicht gestattet. Unter andern folgende auf der Anatomie, welche sie als eine der vorzüglichsten Anstalten zu Paris besuchten, und wohin sich jetzt eine große Zahl gespannter Neugierigen drängte.

Die Veranlassung war diese:

Vor funfzig Jahren hatte, zu Befremdung von ganz Europa, ein Bürger in Paris mehrere todeswürdige Verbrechen begangen. Das Gesetz zauderte lange mit seinem Spruch, und wollte ihn endlich nach Spitzbergen verweisen, wohin, wie wir schon wissen, solche Unglückliche kamen, deren Vernunft sie nicht von der Schönheit eines gesetzlichen Lebens überzeugen konnte. Die Kolonie in Spitzbergen hörte aber davon, und indem jeder Einzelne dort sich rein gegen jenen Bösewicht halten konnte, schrieb sie an das Gericht und verbat die Verunehrung.

Man wankte von einer Meinung zur anderen. Seit mehr als einem Jahrhundert war in Europa keine Todesstrafe zuerkannt worden, es gab keine Henker und Hochgerichte mehr. Dennoch hatte der Mensch die Todesstrafe vollkommen verwirkt, und hatte er das furchtbare, gräßliche Schauspiel unerhörter Frevel geben können, war das Beispiel einer eben solchen öffentlichen Ahndung gerecht. Zuletzt entschied man denn für seinen Tod, doch über die Art desselben konnte man sich nicht einigen.

Da trat ein Lehrer der Zergliederungskunde auf. Laßt ihn durch seinen Tod nützen, sprach der Mann, er mag uns um eine wichtige Erfahrung bereichern. Wir entdeckten eine geistige Flüssigkeit, viel vervollkommnet gegen die, welcher sich vormals die Anatomen bedienten, um thierische Organe dauernd aufzubewahren. Sie erhält einen Körper genau in dem Zustande, worin er ihr übergeben wird. Ich rathe, wir füllen ein weites Gefäß mit diesem Fluidum. Der Verbrecher werde entkleidet und darin ertränkt. Dann soll aber das Gefäß verschlossen werden und funfzig Jahre lang unberührt bleiben. Nach Verlauf dieser Zeit aber soll man den Körper wieder herausnehmen, und die gewöhnlichen Mittel, welche im Wasser Verunglückte oft ins Leben rufen, anwenden. Meine Theorie weissagt, man werde sich nicht umsonst bemühn, denn die Lebenskraft ist nicht entflohn, alle Theile sind in ihrer Vollkommenheit erhalten worden, weil der Reitz des geistigen Feuers in unsrer Flüssigkeit, der Auflösung Widerstand leistet. Irre ich nicht, so wird es merkwürdig sein, einen Mann zu sehen, der funfzig Jahre lang schlief, er wird manches wissen, das die Alten und Geschichtschreiber vergaßen. Künftig könnte man sogar Jahrhunderte lang Leben aufbewahren, und gewiß mit Nutzen, denn oft geht auch, trotz dem Weiterstreben der Menschheit, manches Gute unter, dessen Rettung aus der Vergessenheit heilsam werden kann.

Der Arzt sah sich häufig bestritten, man lachte sogar über ihn. Endlich aber erklärte ein Geschichtforscher: er habe in einem alten Buche gefunden, daß einst im achtzehnten Jahrhundert, der Mann, welcher die ersten Gewitterableiter erfunden, Franklin genannt, Fliegen von Madera, die im Weinfasse nach Nordamerika gekommen wären, und zehn Jahre lang im Keller gestanden hätten, wieder lebendig gemacht habe.

Was wollt ihr nun? fragte der Arzt.

Fliegen und Menschen! spöttelten seine Gegner.

Nun, es kömmt auf den Versuch an, hieß es endlich, und man beschloß, den Rath zu vollziehn, was auch geschah.

Das Faß mit dem Ertränkten wurde in einem festen Gewölbe bewahrt, vor dessen Thür der Rath sein Siegel legte. Ein Protokoll berichtete der Nachwelt die Thatsache und bat daneben: falls der Verbrecher wirklich wieder zum Dasein gelangen sollte, dann die weitere Strafe, in Betracht der erlittenen Todesangst, aufzuheben. —

Jetzt waren die funfzig Jahre verstrichen. Der Tag des Versuches wurde beraumt. Die Naturkundigen schrieben für und gegen jenes, schon lange gestorbenen, Arztes Meinung. Man stellte Wetten an, ganz Paris sprach von nichts, als dem Manne im Spiritus.

Gelino hatte, durch bedeutende Fürsprache, die Erlaubniß des näheren Zutritts für sich und seinen Zögling empfangen. Man brach die Siegel, fand das Gefäß unversehrt, das nun in den Saal der Anatomie geschafft wurde.

Auf Erhöhungen saßen die eingelassenen Zuschauer, die Naturkundigen hatten sich um den Tisch, in der Mitte des runden Saales, gedrängt.

Der Körper ward aus seinem feuchten Grabe gezogen, auf den Tisch gelegt. Alle Theile waren so frisch, als hätten sie nur eine Stunde darin gelegen, das Gesicht bläulich aufgetrieben wie immer bei Ertrunkenen. Verwundernd blickte alles hin, und harrte ungeduldig auf den Ausgang.

Die gewöhnlichen Rettungsmittel fanden Anwendung, man brachte die Flüssigkeiten aus der Luftröhre, rieb, erwärmte, flößte ein, u. s. w. Doch verging eine Stunde nach der anderen, ohne daß der Zustand des Kadavers sich im mindesten umwandelt hätte. Nicht wahr, wir hatten Recht? sagten die Ungläubigen, wer seine Wette verlohren glaubte, zog ein verdrießlich Gesicht.

Endlich rief ein junger Arzt: Vielleicht hindert der Spiritus, den die Einsaugungsgefäße aufnahmen, durch den zu großen Reitz den Umschwung der Säfte. Suchen wir ihn in einem Schwitzbade auszuführen, das ohnehin durch den hohen Grad von Hitze die Lebenskraft anregen wird.

Es ist nicht mehr die Rede von Lebenskraft, entgegnete der Vorsteher, indessen kann man ein Uebriges thun.

Das Schwitzbad wurde geheitzt, einige kräftige Männer begaben sich mit dem Körper hinein, und ließen die Temperatur höher treiben, als sie wohl einst ein Blagden ausgehalten hat, während sie ihre Bemühungen unermüdet fortsetzten.

Vom Saale schickte man jeden Augenblick nachzufragen. Die Nachricht langte an: der Kadaver schwitze. Ein Lebenzeichen! frohlockte der eine Theil: es sind die Dünste des Bades, die sich anlegen, stritt der Andere.

Nach einer halben Stunde schrie ein Bote athemlos: Athem! — Irrthum, Irrthum! — Seht ihr, seht ihr! — Ich hab’ es selbst empfunden.

Ein anderer sprang in den Saal, rief, mit eignem starren Puls: — Puls — Unmöglich! Warum unmöglich? — Meine Hand fühlte ihn.

Man wußte nicht woran man war, doch fing der Unglaube an, kleinlaut zu werden.

Der Körper ward nun in dichte Pelze gehüllt und wieder in den Saal gebracht. Jedermann sah die unzweifelhafte Verändrung des Gesichtes, die Bläue war geschwunden, ein brennendes Roth überzog es, wenn sonst schon sich keine Bewegung zeigte, es auch unempfindlich gegen Anrühren mit spitzigen Instrumenten war.

Doch eine Feder, vor den Mund gelegt, flog weg, alle, welche an die Pulsader griffen, bezeugten, ein leises Klopfen wahrzunehmen.

Dabei blieb es aber wohl sechs Stunden, so daß der Zweifel wieder die Stimme erhob, und jene Anzeigen Täuschung nannte. Dann schrie aber alles plötzlich auf! Das eine Auge hatte sich geöffnet und wieder geschlossen. Nicht lange, so geschah das Nämliche mit dem zweiten, eine Stunde noch, und das erste Wort floh von den Lippen, die funfzigjährige Erstarrung geschlossen hatte.

Niemand mied den Saal. Man vergaß über die Neugier die gewohnte Nahrung zu nehmen, immer das Auge auf den Körper geheftet. Die ganze Nacht verstrich so, während hin und wieder die Sprache, doch verwirrt, hörbar wurde. Am andern Morgen aber war die Besonnenheit vollkommen da, der wieder Lebende sprach von seinem Verbrechen, seiner Reue, flehte um Erbarmen.

Man sagte es zu, schonte seiner auf alle Weise, pflegte, stärkte. Er besann sich in ein Faß geworfen worden zu sein, meinte aber, man habe ihn nach wenig Minuten wieder herausgenommen, die Todesstrafe in eine andere zu verwandeln. Man sah also, daß ihm damals die eigentliche Absicht nicht vertraut worden war. Er rief um seinen Anwald, nannte die Namen der Richter, welche alle nicht mehr lebten, bis auf einen, der, ein hundertjähriger Greis, sich mit im Saale befand, und über das, den meisten Unverständliche, was der Mann sagte, Aufschlüsse gab.

Er trat auch zu ihm. O Himmel! rief er, wie bleich, wie gerunzelt deine Wangen, Richter, wie weiß dein Haar! Was hat dich seit gestern so verändert? Und all diese Leute, wie seltsam sind sie gekleidet! Wo bin ich? Wohin brachtet ihr mich?

Man half ihm auf, führte ihn an ein Fenster. Er sah viele unbekannte Gebäude, vermißte viele alte. Bin ich trunken? Wahnsinnig? Wo ist der Pallast geblieben, der dort gestern noch stand? Wie kömmt so plötzlich der große Tempel nach jener immer leeren Stelle? Was soll ich denken?

Es war Zeit, ihm die Räthsel zu lösen, sein Verstand hätte durch die unbegreiflichen Erscheinungen in Zerrüttung sinken können.

Wer malt nun aber sein Staunen! „Funfzig Jahre hätte ich geschlafen? Unmöglich!“

Man zeigte ihm Bücher mit der laufenden Jahrzahl, rief einige Personen, deren er sich als Jünglinge oder Kinder entsann, deren jetzige Gestalt keinen Zweifel bestehen ließ. Er konnte es dennoch immer nicht glauben, ihm war, als sei er vor wenigen Minuten versunken, und rühmte wiederholt die Süßigkeit seines tiefen Schlummers.

Endlich mußte er aber die Wahrheit erkennen, und wurde durch ganz Paris geführt, wo Fenster und Dächer, wie sich denken läßt, mit Zuschauern überfüllt waren. Geschichtforscher und Antiquare ließen ihm daheim keinen Augenblick Ruh, und erfuhren auch in der That, manches ihnen Unbekannte, durch seinen Mund.

Er hatte nun gehört, die weitere Strafe sei ihm erlassen. Doch rief er: Mein Gewissen klagt mich zu laut an, ich verdiene es nicht!

Man entgegnete: Möchte vor funfzig Jahren geschehen sein, was da wolle, die Zeit hätte einen Schleier darüber geworfen, auch seitdem Erziehung und Moral wieder so viel an Vollkommenheit gewonnen, das solche Verbrecher wohl nicht mehr aufständen. — So gebührt mir die Strafe jener Zeit. Sendet mich in die Verweisung, entgegnete er.

„Nein, nein, die Vorwelt wollte deine Begnadigung selbst, wenn du die lange Verweisung aus der Gesellschaft überständest.“

Gut! Laßt mich ein Jahrlang unter euch leben. Dann will ich, mein Gewissen zu entladen, freiwillig abermal in das Gefäß. Ihr übergebt mich den Enkeln auf Hundert Jahre. Weit nützlicher kann ich einst jener Zeit sein, mir ist es gleich, den Rest meiner Tage nun oder dann zu beschließen, ja es ist wohl im letzten Fall noch weit merkwürdiger. In diesem Jahre will ich mich von den Veränderungen der Welt während meines Schlafes überzeugen, und ohne Zweifel werde ich oft staunen.

Man konnte nicht umhin, den Zustand dieses Menschen von einer Seite zu beneiden, und willfahrtete ihm übrigens.

Guido und sein Lehrer warteten jedoch nichts mehr davon ab, sondern machten sich auf den Weg nach England. Der Luftpostillion fuhr diesmal so schnell, daß Beide, unweit Paris ein wenig entschlummernd, nicht ehe als über London wieder erwachten, und deshalb auch den Damm zwischen Calais und Dover nicht sahn, welchen man eben zur engeren Verbindung Frankreichs mit Brittanien anlegte. Er lief von beiden Küsten ins Meer, von ungeheuren eingesenkten Felsstücken erhöht, und, damit der Seestrom den freien Durchgang behielte, von Hundert Klaftern zu Hundert Klaftern mit Brücken aus Hangewerk unterbrochen, die jedoch sämmtlich höher waren, als das Gewölbe des Rialto zu Venedig. Denn die größten Kriegschiffe fanden mit allen aufgezogenen Segeln kein Hinderniß.

London fanden sie jetzt wahrhaft reich, durch seine glückliche, zum Handel bequeme Lage, und einen edlen Wetteifer im Kunstfleiß, ohne den unsinnigen frevelhaften Vorsatz, alle übrigen Nazionen der Erde zu Grunde richten zu wollen.

Gelino sagte: Vor dem traurigen Ruin, den sich England Ehedem zuzog, sah man hier auch Reichthum, doch, mehr dem Schein als der Wirklichkeit nach. Das Land war seine ganze Habe mehr als dreifach schuldig. Das baare Geld, oder vielmehr seine Darstellung in Papier, war in die Hände von etwa Dreißigtausend Gläubigern der Nation zusammengeflossen. Ihre Zinsforderungen befriedigen zu können, wurden dem übrigen Volke unerhört drückende Gaben aufgelegt, Verarmung, Elend jeder Art, und endlich völlig erschlaffte Staatskraft, mußten die Folgen sein. Freilich retteten sich die Wohlhabenderen nach Bengalen, und späterhin, wie dir bekannt ist, nach Polinesien, wo das jetzt mächtige Reich durch sie gegründet, und mindestens die Kultur nach früherhin fast unbekannten Erdgegenden, verbreitet wurde; doch die zurückbleibenden traf ein Anfangs hartes Loos, bis sie sich auch wieder zum gemessenen Streben ermannten, und im freundlichen, auf ewigen inneren Frieden gegründeten Bund mit Europa, ein festeres Gedeihen als je fanden.

Die alte Paulskirche stand noch, sogar, wiewohl verfallen, die Westminsterabtei. Ueber das, dem Brande von 1660 zum Andenken errichtete, Monument, hatte noch der Zahn der Zeit nichts vermocht.

Der Luxus war dem in Paris ähnlich, die Reisenden bezogen wieder einen Miethpallast der jenem nichts nachgab. Man hatte einen öffentlichen Garten, wo das alte Eden nachgeahmt war und in der That Milch und Honig in Bächen floß. Es gab aber auch Teiche von Portwein, Rum, Punsch, auf denen man in Nachen aus buntfarbigen Konchilienschalen oder edlen Metallen fuhr, Bäume von denen man leckere Konfituren pflückte, gebratene Vögel die in der Luft flogen (sie waren mit brennbarer Luft gefüllt), gespickte Haasen, die umherliefen (eben so in Bewegung gesetzt), Puddings, Roßbeefstücke, Hammern, Austern, Bifsteeks von großem Umfang, die Pilzen gleich aus der Erde wuchsen, (denn die Küche hatte unterirdische Gänge). Bisweilen regnete es Limonade, hagelte Zuckerwerk oder fror süßes Pistazieneis. Der Eintritt in diesen Garten kostete aber, nach altem Münzfuß gerechnet, Hundert Guineen.

Auch hatte ein neuer Graham ein himmlisches Bett aufgeschlagen. Wer nun die Beschreibung davon lesen wollte, mußte so viel zahlen, als für den Eintritt in jenen Lustgarten, daneben einen Eid schwören, nicht auszuplaudern. Guido las, ward von den Vorstellungen unendlich zauberisch ergriffen. Der Lehrer sagte: Wirst du einst im Mariatempel das Band ewiger Liebe knüpfen, dann bediene dich dieser Erfindung. Der Jüngling loderte in Flammen, und verwahrte dieses Wort treu.

Die Bühnen zu Coventgarden und Drurylane waren nicht mehr vorhanden, es gab andere und in größerer Zahl. Das vorzüglichste hieß Shakespears Theater, doch nicht nur der Name, sondern auch die Werke des alten Dichters hatten ihr Andenken erhalten. Auch bestand neben der Vorliebe für ihn, viel Nazionalgeschmack von Ehedem. Die Identifikazionen mit dem übrigen Europa, hatten ihn nicht ganz aufgehoben, was auch in anderen großen Provinzen der Fall, wiewohl im merklichen Abnehmen, war. Man gab Shakespears Trauerspiele noch immer, jedoch übersetzt in die allgemeine Sprache des Erdtheils, deren Vollkommenheit sie indessen nichts verlieren, sondern viel an Kraft, Ausdruck, Bedeutung gewinnen ließ. Die Theaterkunst trieb es so weit als in Paris. Führte man den Sturm auf, sah der Zuschauer ein wirkliches, sturmerregtes Meer auf welchem das Schiff scheiterte. Denn ein großes Wasserbecken gehörte zu dieser Bühne, die man bei solchen Gelegenheiten unmerklich an seine Ufer rollte. Im Hamlet war der Geist ein Riese, dessen Haupt weit über den Pallast emporragte, und den auch der Mond durchschien. Bankos Gespenst in Makbeth und die Zauberinnen zerflossen vor aller Augen in Nichts und dennoch hatten sie gesprochen, gehandelt. Dies war immer die Wirkung kunstreicher Phantasmagorie, mittelst der unglaubliche Illusionen hervorgebracht wurden.

Guido verlangte jedoch von den Ergötzungen weg, deren er schon so vielen beigewohnt hatte, um die große Flotte zu sehen. Wie in der Provinz Moskau das Landheer den Hauptsitz hatte, waren Brittaniens Häfen, und vorzüglich London, der Aufenthalt von Europas Seemacht. Auf der Themse lagen die meisten Orlogschiffe, welche zu ihren Uebungen in die Nordsee ausliefen und gefahrvolle Küsten und Zwischenmeere besuchten, die Piloten und niedern Mannschaften desto vollkommener zu unterrichten. Jetzt nahte das Spätjahr, mit den um die Zeit der Nachtgleiche gewöhnlichen Stürmen, wo die Hauptprüfung Statt hatte. Diesmal sollte die Flotte von London ins Kattegat gehn, eine andere von Portsmuth und Plimouth sich mit der Abtheilung welche bei Kopenhagen zu liegen pflegte, verbinden, und dann wollte man zwischen den Belten Seekämpfe halten.

Kadix, Toulon, Genua, Ankona, Korfu, Konstantinopel waren übrigens auch Kriegshäfen, doch der obern Leitung der Admiralität zu London übergeben worden.

Die Flotte gehörte wie das Landheer dem Föderalismus. Ihre junge Mannschaft zog sie aus allen Küstenlanden. Der Dienst eines Seesoldaten, wie sein Unterricht, seine Entlassung oder Beförderung zu wichtigeren Stellen, wurden nach Grundsätzen verfügt, die jenen beim Landheere ähnlich waren.

Der Staat zahlte keinen Sold, dennoch aber war die Seemacht wohlgerüstet, wohlgenährt, besaß sogar Schätze genug, um einen langen Krieg aus ihren Mitteln führen zu können. Dies machte, weil die Schiffe sechs Monate im Jahre zum Handel gebraucht werden durften, den die Admiralität, für Rechnung der Flotte, nach allen Erdgegenden trieb. Unbedingte Hafenfreiheit durch ganz Europa machte ihn noch weit einträglicher.

Guido meldete sich bei dem Befehlhaber der auszulaufenden Fahrzeuge, sagte ihm, wie er sich zwar dem Kriegdienste zu Lande gewidmet habe, dennoch aber einer Seeübung als Freiwilliger beizuwohnen wünsche. Die Erlaubniß wurde auf seine Bitte zugestanden, nachdem er vorher bedeutende Proben seiner Geschicklichkeit im Schwimmen, Fechten und Schießen nach dem Ziel, abgelegt hatte.

Der Seekrieg wurde auf eine weit furchtbarere Art geführt als Ehedem. Man zählte auch drei Truppengattungen. Eine davon bestieg Luftfahrzeuge, suchte brennende Stoffe auf die feindlichen Galleonen zu werfen und Masten oder Segelwerk zu zerstören. Sie ward im Vollziehen und Abwenden nach Bedarf geübt. Die andere diente in den Schiffen selbst auf mancherlei Weise. Es gab Schützen, welche dicht bepanzert an Strängen hingen. An den Masten wurden sie staffelförmig zur Höhe gezogen, damit ein dichter Rohrhagel zugleich konnte abgesendet werden, und nach dem Feuer hinter die Brustwehr zurückgesenkt, dort laden zu können. Einem feindlichen Schiffe nahe, mußten sie auf einer Fallbrücke hinüber und mit dem Schwert wüthen, blieben demungeachtet aber an das ihrige gebunden, um sie im schlimmen Falle, eilig wieder auf das eigene Verdeck zu ziehn. Es gab Schiffartilleristen, noch kunstfertiger als jene auf dem Lande. Sie bedienten sich immer der glühenden Kugeln, denen zweckmäßig ersonnene Oefen, in einem Augenblick die nöthige Hitze gaben. Auch lange Schwerter wurden in Bögen von oben nach unten, und von einer Seite zur andern, aus dazu geeigneten trogartigen Mörsern geworfen, Tauwerk und Segel zu verwüsten. Es gab Schiffchemiker, welche die Brandmaterien anfertigten, womit man noch wirksamer als selbst durch die glühenden Bälle zu zerstören strebte, und auch wieder Stoffe, welche den verderblichen Lauf derer, welche der Feind sandte, hemmen konnten, alles Resultate von Erfindungen welche die Vorzeit noch nicht ahnte. Es gab Seemechaniker, die bewunderswürdige Maschinen lenkten. Dahin gehörten die schnellen Ruderwerke, welche bei Windstillen dienten; die künstlichen Steuer, geschickt ein Fahrzeug in unglaublich kurzer Zeit zu drehen. Den Krieg unter dem Meere konnte man dennoch als den wichtigeren betrachten. In den schon beschriebenen Taucherhütten galt da der schlaue grimmige Kampf. Unter den Bauch der Schiffe suchte man anzulangen, mittelst fürchterlicher Bohrer Lecke zu bereiten, oder noch fürchterlichere Petarden anzuschrauben, deren Pulver auch im Wasser seine Kraft übte. Wer hätte nicht glauben sollen, bei so vielen Zerstörungsmitteln müßte es in wenigen Minuten um ganze Flotten geschehen sein, dennoch begründeten die Gegenmittel wieder ein Gleichgewicht der Kräfte, und zeigte der Feind dieselbe Kunst, hing die Entscheidung oft an Zufälligkeiten. Die Befehlhaber gestanden auch, wie die Flotten von Afrika oder Amerika, eben so wohlgerüstet und mit kunsterfahrnen Kriegern bemannet wären, daß also hier von keinem überwiegenden Vorzug die Rede sei, und derjenige ein wichtiges Verdienst um den Meerkrieg erwerben könne, der etwas aufzufinden im Stande sei, das, den Fremden unbekannt, in der nächsten Fehde den gewissen Ausschlag gäbe.

Dies Wort warf einen Funken in Guidos Einbildungskraft, und ließ sie aufflammen. Sollte diese Aufgabe nicht zu lösen sein? fragte er sich. Und warum nicht? Strebt doch alles höherer Vollkommenheit entgegen. Er sann weiter über diesen Vorwurf nach.

Die Flotte lichtete die Anker. Guido hatte von dem Lehrer Abschied genommen, der in London zurückblieb. Bei einem wüthenden Orkan stach man um Mitternacht in See, doch die Fertigkeit spielte nur mit den Hindernissen. Gegen den Wind kämpften die Ruderwerke, die Klippen und Sandbänke, nach welchen zu steuern, mit gutem Bedacht geboten wurde, umlenkte Geographie des Meergrundes und der Piloten Besonnenheit. So langten die Schiffe nach wenig Tagen in den gefahrvollen Belten an, trafen bei einem dunkeln Nebel auf jene, welche die feindliche Rolle gaben, und der Kampf begann.

Guido flog erst mit den Luftgondoliren empor, stieg dann wieder in sein Schiff nieder, und senkte sich endlich mit den Tauchern in die Tiefe. Er wollte von Allem genaue Kunde zurückbringen, Jedermann sah sich befremdet durch seinen Eifer, seine Kraft und Ausdauer.

Es trat jedoch ein seltsamer Fall ein. Drei Schiffe von der Gegenparthei, schnitten der diesseitigen Flotte ein Fahrzeug ab. Es fand sich umringt, und von den Masten dort wehte das Signal, sich zu ergeben. Dies wollte es nicht, den Vorwurf, unachtsam gewesen zu sein, abzulehnen. Man wandte alle Mittel an, den Weg durch die Feinde zu nehmen, die wieder alle Vorkehrungen trafen, es zu hindern; denn sie entflammte der Ehrgeitz, eine wohlgelenkte Bewegung ausgeführt zu haben.

Gefahren mangelten diesen, mitten im Sturm, im engen, klippenvollen Meere, gehaltenen Uebungen keineswegs, auch fiel mancher Soldat in die empörten Fluten, wo ihn weder das eigne fertige Schwimmen, noch die Hülfe der Kameraden zu retten vermochte; doch die Röhre lud man nicht.

Allein auf dem bedrängten Schiffe — Guido befand sich eben hier — kam ein Artillerist auf den Gedanken, die Widersacher dadurch abzuhalten, daß er ihre Segel und Ruderwerke zerstörte. Strafwürdig füllte er also sein Geschoß ernsthaft, und erprobte auch seine Fertigkeit so wohl, daß ein Fahrzeug drüben bald außer Stand gesetzt wurde, seine Bewegungen willkührlich zu lenken.

Dies Verfahren machte aber, daß die andern wütheten, und Gleiches mit Gleichem bezahlten. Ohne daß ihren Konstablern durch die Obern Einhalt geschehen konnte, warfen sie glühende Bälle ab. Das bedrängte Schiff hatte ein doppelt überlegenes Feuer zu leiden, und mußte sich nun auch ernst vertheidigen, oder untergehn. Das Erste geschah mit zügelloser Hitze, die jedoch nicht unbeantwortet blieb, und zur Folge hatte, daß viele Soldaten an beiden Theilen todt hinsanken. Nur mehr eiferten die Gemüther, ergrimmt setzte man den Kampf fort. Die Offiziere fielen sämmtlich. Guido, dessen kriegerisches Feuer im rasenden Getümmel hoch aufflammte, lenkte den Streit, ertheilte so guten Rath, daß man sich willig unter seinen Oberbefehl stellte. Er drang geschickt auf das eine Fahrzeug ein, ließ im gültigen Augenblick die Fallbrücke werfen, stürzte sich mit der Hälfte seiner Leute auf das feindliche Verdeck, wo man sich dieser Kühnheit dennoch nicht versah, und sich ergab. Nun wiederholte er dasselbe bei dem andern Schiffe, wo es eben so gelang, und führte die eroberten Schiffe im Triumphe dem Admiral zu. Dieser zürnte, wie billig, verordnete Strenge gegen die frevelhaften Urheber des blutigen Unfugs, wunderte sich aber hoch, daß der neue Freiwillige der Soldaten Vertrauen habe gewinnen, und ihm mit so vieler Sachkunde und Geistesgegenwart habe entsprechen können. Er begriff auch gar wohl, wie ohne die schnell beherzte Entscheidung, noch mehr Leben würde gefallen sein. Guido wurde mit Lob überhäuft, und auf allen Fahrzeugen rühmte das eilig umlaufende Gerücht, den kühnen, weisen Jüngling. Er bewährte sein Genie auch noch höher, indem er in der That die Erfindung machte, welche, so lange sie dem Feinde unbekannt blieb, ein entschieden Uebergewicht im Kampf begründete, und die lange vergeblich gewünscht worden war. Sie bestand in einer einfachen, doch höchst wirksamen und wohlberechneten mechanischen Vorrichtung, mittelst der man, ohne es selbst zu verlieren, einem feindlichen Schiffe das Gleichgewicht rauben, und es rettungslos umwerfen konnte. Als ein Geheimniß vertraute er seine Theorie dem staunenden Admiral. Dieser fand sie so wichtig, daß er sogleich die weiteren Uebungen aufhob, um nach London zurückzusegeln.

Dort angekommen, ward Guido eingeladen, vor einem engeren Ausschuß der oberen Leitung der Seemacht, Versuche mit der anzufertigenden entworfenen Maschine zu halten. Sie betrogen die hohe Erwartung nicht; die Admiralität ertheilte ihm ein Ehrenzeichen und machte ihm bekannt: daß dem Strategion und dem Kaiser eine Nachricht von seinem bedeutenden Verdienst um den Seekrieg würde zugesandt werden. Bescheiden zog sich der Jüngling zurück, und drang in den erfreuten Lehrer, abzureisen. Das Ehrenzeichen trug er nicht, sondern übermachte es Ini, mit der Bitte, es mit jenem aufzubewahren. — Diese hatte sich aber damals schon von Sizilien entfernt.

Man schlug nun den Weg nach Spanien ein. Hier fand Guido viele Monumente mit traurigen Bezeichnungen, und überschrieben: „Denkmal beweinter Irthümer.“ Gelino gab ihm hierüber folgende Auskunft: Spanien hatte vor mehr als einem halben Jahrtausend einen hohen Gipfel des Wohlstandes eingenommen. Freundlich durch die Natur begünstigt, sah man zahlreiche, kunstfleißige, kluge Bewohner, seiner üppigen, reitzenden Gefilde pflegen, in den weiten blühenden Städten wohnten Thätigkeit und Ueberfluß. Doch ein Sistem frevelhafter Kirchlichkeit, weiter von Religion entfernt als irgend in einem Lande und zu irgend einem Zeitraum der Verfinsterung, trat mit widrigen Maaßregeln seiner Regenten in Bund, und entvölkerte nach und nach den gesegneten Erdstrich bis auf ein Drittheil der alten Menschensumme. Der Zufall ließ Spanien die ersten Vortheile von Amerikas Entdeckung ziehn, weite reiche Landschaften eignete es sich dort zu, Gold- und Silberminen, wie sie zuvor keinem Staate gehörten, wurden sein Eigenthum. Doch dieser Umstand brachte, statt wiedererwachten Flor, nur tiefere Verarmung zuwege; denn Spanien ergab sich dem Müßiggang, das Gold wich in die Fremde, man sank in Schulden. Zuletzt schwelgten nur noch wenige Großen und die Priester, die Geisteskraft lag in den Banden des wahnsinnigsten Aberglaubens, die Regierung, trotz der meerumflossenen und durch die Mauer der Pirenäenkette gesicherten Lage von Spanien, konnte sich nicht mehr vertheidigen. Die späterhin geistesentwölkten Nachkommen, blickten nun mit Wehmuth in eine Vergangenheit zurück, die so viel Säumniß, das Gute zu erkennen, zu beklagen darbot. Sie meinten, wenn man der Kraft und Weisheit billig Denkmale stelle, gebühre solches auch wohl zerrüttenden Irthümern, damit die schaudernden Enkel laut gemahnt würden, auf edlem Pfad zu wandeln.

Guido seufzte bei dieser Erzählung, freute sich aber desto inniger über das nun paradiesisch angebaute Land, die prangenden Reisgefilde, die duftenden Orangenhaine, die Weingärten, alle übrigen, welche er je gesehn, an Schönheit hinter sich lassend.

Madrit, sagte Gelino, wird dich entzücken. Ehedem soll es eine winklige, ohne Geschmack aufgeführte, und über alle Beschreibung unreinliche Stadt gewesen sein, späterhin ist sie jedoch von Grund auf neu erbaut worden, und das, dem an sich lieblichen, und noch viel veredelten Klima angemessen.

Guido fand die Bestätigung dieser Worte.

Hatten Polen und Teutonien, durch Kultur ihrem Boden Früchte erzogen, die man sonst nur in Spaniens Breite sah, so hatte dies Land, durch glückliches Streben und bei reicherem Segen der Naturkräfte, manche Erzeugnisse von Afrika zu sich verpflanzt. Die Gärten um Madrit sahen die edelsten Feigengattungen reifen, der Pisang blühte lustig, die Dattelpalme, der Kokosbaum breiteten ihre dichten Laubgewölbe in langen Blättern aus, die Brodfrucht gedieh auf kräftigen Stämmen und erhöhte den Reichthum an Lebensnahrung. Gewürzstauden mancher Art, sonst ein Eigenthum indischer Eilande, wurden auch mit Erfolg gezogen und durchhauchten die Lüfte mit den angenehmsten Aromen. Madrit hatte sehr breite Straßen, in welche, zur erfrischenden Kühlung, Kanäle geleitet waren. Man wachte über ihre Sauberkeit mit fleißiger Sorge, spiegelhell wogten sie langsam zwischen den marmornen Bekleidungen hin. Zu beiden Seiten prangten Baumgänge, und die Straßen hatten ihre Benennung davon, je nachdem es Pfirsich, Granatäpfel, die stattliche Benta von Senegal, der nützliche Kapok, die schattige Pflaumenpalme u. s. w. waren, welche dort in gleichförmigen Reihen standen. In Herbst- und Winternächten hüllte sie am Stamm eine Decke ein, und oben waren Frostableiter angebracht. Vor den Häusern sah man auch in graden Abtheilungen Blumenbeete, und von den platten, mit Geländern versehenen, Dächern, winkten allerhand liebliche Stauden in Vasen, wie sie auch, von guten Steinwölbungen unterstützt, eine Erdlage für Lustpflanzen trugen. Die Einwohner brachten schöne Morgen und Abende oben zu, verrichteten hier mancherlei Geschäfte. Oft klang die kastilianische Guitarre, noch, wiewohl sehr veredelt, im Gebrauch, in süßen Melodien herab, begleitet vom Sopran liebeathmender Mädchen, oder der alte Fandango drehte sich auf den Blumenmatten der Höhe.

Von den vielen Plätzen waren diejenigen, welche nicht zu Handelsmärkten dienten, entweder mit Lustwäldchen von Cedern oder üppigen südlichen Fruchtbäumen bepflanzt, oder in anmuthige Wiesenplane umgeschaffen, oder mit weiten klaren Wasserbecken geziert, auf denen bequeme Gondeln zu Freudenfahrten einluden.

So glich Madrit einem großen Garten, und die Wohnungen der Menschen darin, Pavillonen, Nischen u. s. w. Kaum ließ sich ein reitzenderer Aufenthalt erträumen. Es gab auch Tempel aus Baumgewölben von seltner Höhe, unten mit Meisterwerken der Bildhauerei geschmückt, und die Andacht darin hatte einen feierlichen Zauber. Der große Hang, die Lieblichkeit der schönen Natur zu genießen, hatte auch mancher Bühne, aus Hecken erbaut, das Dasein gegeben. Bei guter Witterung sah man hier Schauspiele unter dem freien Himmelsbogen, oft noch ein Werk des Lope de Vega voll seltsamer Liebesabentheuer, die die romantisch empfindenden Einwohner nicht vergessen hatten.

Dem Mansanares war ein Bett von mehr Tiefe und Umfang als Ehedem gehöhlt worden, er stand mit dem Minho, Guadiana, Guadalquivir u. s. w. in Verbindung, welche, jetzt auch geeignet Seeschiffe zu tragen, der Hauptstadt den Vortheil eines ausgebreiteten Handels verschafften.

Nur Buenretiro und Aranjuez entzückten Guido noch mehr, als das liebliche Madrit, und er hätte es beweinen mögen, nicht mit Ini in diesen Elisäen wandeln zu können. Denn Geschmack und Reichthum hatten wetteifernd sich verbunden, die Gärten dort, mit Allem, was Phantasie und Herz glühend füllen kann, verschwenderisch auszustatten. Obgleich der Winter nahte, ließ ihn die noch überall grünende Wonne nicht ahnen.

Der Lehrer sagte aber: Fort von hier, mein Guido! Wenn diese Lust dich, dem die üppigen Vergnügungen von London und Paris langweilten, im Streben nach Unterricht, mehr ankettet, weil die Natur höheren Theil daran hat, freut es mich, doch deinem Zweck darf sie dich auch nicht entführen. In tieferer Wissenschaft kannst du hier nichts Beträchtliches erlernen, dies Volk hat noch manchen Schritt zu thun, die alte Säumniß einzuholen, um neben den Teutonen, Britten und Franken zu stehn. Wir wollen nach Lissabon, doch auch da nur kurze Frist weilen.

Guido folgte sogleich, er hatte Selbstbeherrschung genug, um zu wollen, was er sollte.

Die Luftpost trug die Reisenden bald nach der westlichsten Hauptstadt in Europa. Dort befand sich unter andern eine berühmte Vorkehrung gegen Erdbeben. Weshalb Lissabon so große Summen zu diesem Zweck aufgewendet hatte, sieht man leicht ein. Die Anstalt würde einem Bürger des achtzehnten oder neunzehnten Jahrhunderts so großes Staunen aufgedrungen haben, wenn ihm ein prophetischer Geist davon hätte Meldung thun können, wie Jedermann im zehnten gefühlt hätte, wenn damals die Rede von Feuerröhren und Blitzableitern gewesen wäre.

Doch eine andere Szene fesselte Guidos Aufmerksamkeit, wo möglich, noch mehr. Da er nämlich am Ausfluß des Tago umherging, kam etwas über die See, keinem Schiffe gleichend. Das Herannahen des Phänomens setzte ihn in nur heißere Verwunderung. Er begriff nicht, wie ein Gegenstand von diesem Umfange auf den Wogen schwimmen könne. Endlich sah er klar, daß es eine Insel sei, und halb Lissabon strömte hinaus, sie anzustaunen.

Sie kam noch näher. Fernröhre hatten die Versammlung Neugieriger schon überzeugt, daß sich viele Menschen darauf befänden, welche theils auf dem Rasen und in den kleinen Gebüschen sich ergingen, theils in einem Wohnhause, das man auf dem Eilande erblickte, allerhand Zeitvertreib hielten. Wer konnte aber das alles erklären? War ein Stück Land irgendwo durch ein gewaltsam Naturereigniß losgerissen worden, und schwamm es nun zufällig gerade auf Lissabon her? Niemand wußte, was er denken sollte.

Freundlich grüßten aber von der Insel Kanonenschüsse, und die dankende Antwort wurde vom Kasteel des Hafens nicht vergessen.

Endlich hielt die Insel. Sie hatte eine so geringe Tiefe, daß sie unfern der Küste ihren Lauf enden konnte.

Nun offenbarte sich aber, daß Wallfische von ungeheurer Größe, deren Köpfe und Rücken auch vorher, obwohl nicht deutlich, über der Fluth bemerkt worden waren, das Eiland gezogen hatten. Die Männer, mit ihrer Lenkung bis dahin beschäftigt, spannten sie jetzt von den unerhört dicken Geschirren, warfen Anker von seltener Schwere, und banden die Thiere an ihren Tau.

Wallfische gezähmt, zum Dienst des Menschen angelehrt? rief Alles; in wem erwachte zuerst der kecke Einfall? welche Mittel ersann er, ihm Wirklichkeit zu geben?

Mit einem kleinen Nachen kamen nun einige Männer ans Land, fast erdrückt von Portugiesen. Sie zeigten auf einen hochbejahrten Greis in ihrer Mitte, nannten ihn den Besitzer des unerhörten Seefuhrwerks. Alles ging diesen nun um Auskunft an, er mußte einen Balkon besteigen, zu der immer mehr angewachsenen Menge zu reden.

Ich bin aus Nordamerika, Philadelphia mein Geburtsort, hub er an. Schon mein Vater kam in früher Jugend auf die Vermuthung, es werde möglich sein, sich Fischen mit seinem Willen verständlich zu machen, und ihre geringe Denkkraft, mit der vielumfangenden menschlichen, in Beziehung zu setzen. Denn, dachte er, geht dies bei Thieren vom Lande an, wo ist der Grund, es werde hier nothwendig mißlingen? Ohne Zweifel gab es einst Menschen, die den verlacht haben würden, der behauptet hätte, man könne Roß oder Stier zum dienenden Knecht machen. Genug, mein Vater begann sein Werk mit unsäglicher Mühe. Kleine Flußfische in Becken waren es, womit er den Anfang machte. Die Nachbarn fragten, wozu denn das je nützen solle? Dies mochte mein Vater auch noch nicht recht einsehen, doch machte ihn nichts irre, und nach Jahren konnte er doch einen Hecht, einen Aal zeigen, welche auf seinen Wink allerlei kleine Künste vollzogen. Der Neuheit wegen lief man herzu, sah es an, zuckte hernach aber die Achsel ob der eiteln Mühe. Doch mein Vater fuhr fort. Ein Zitterfisch, ein Kabliau und ein Hai, sehr jung eingefangen, kamen an die Reihe. Er fand bei diesen Thieren größere Gelehrigkeit, mit gebändigterem Muth bei dem folgenden Geschlecht verbunden, das er zog. Mit dem dritten ging es noch weiter. In einem großen Teich, den Meerwasser füllte, hatte der Vater eine Menge Kabliaue und Haie, ruderte sich auf demselben umher, sie abrichtend. Sie kamen auf seinen Ruf, empfingen Speise, entfernten sich wenn er es haben wollte, ließen sich ergreifen, sprangen sogar in den Nachen, und schmeichelten ihrem Herrn, indem sie aber zu bitten schienen, sie wieder in ihr Element zu entlassen.

Mein Vater genoß keinen Vortheil davon, als daß er von denen, welche die seltsamen Künste seiner Thiere zu sehn begehrten, sich ein Zutrittgeld erlegen ließ, wodurch er aber dennoch eine artige Summe gewann.

Eines Tages blieb ein großer Hai ganz zufällig an dem Stricke hangen, womit mein Vater den Nachen am Lande zu befestigen pflegte. Und so zog er diesen, indem er fortschwamm, hinter sich. Das kann ein neues Kunststück geben, dachte mein Vater, und fertigte Sielenzeug für zwei Haie an. Erst thaten die Thiere unbändig, eine Last hinter sich empfindend, und einen Zügel im Mund, sie wollten ihre Bande zerreißen, schossen gegen den Grund, was den Nachen in Gefahr brachte. Doch fortgesetzte Liebkosung, Fütterung, wie sie sie gern empfingen, und nach Jahr und Tag, gab mein Vater seinen Haien ein Zeichen mit einer im Wasser bewegten Glocke, sie kamen, ließen sich Zaum und Geschirr anlegen, und lenken, wohin man wollte. Gegen das Ende seines Lebens fuhr der Alte aus seinem Teich nach dem hohen Meere, holte von einem Küstenorte zum andern allerhand Waaren.

Ich, noch ein Knabe, sann dem Dinge weiter nach. Wie, wenn man Seeschiffe so fortbringen könnte? Man dürfte des entgegenwehenden Windes oft spotten, hätte nicht nöthig zu kreutzen, würde mehr Herr der Zeit, bedürfte der kostspieligen Ruder nicht, und käme vielleicht schneller als mit ihnen davon. Aber da bedürfte es größerer Thiere. Wenn indessen der Hai zum Gehorsam zu bringen ist, warum sollte es nicht auch der Wallfisch sein?

Der Vater starb bald, ich nahm mein Erbe, und begab mich nach Kanada, mir dort einen kleinen Meerbusen als Eigenthum zu verschaffen. Seine Enge vorn ließ ich mit einem Damm versehn, der durch eine Schleuse gesperrt werden konnte. Eine Wohnung erbaute ich mir am einsamen Strand, machte Niemand zum Zeugen meines Vorhabens, als einige Knechte, weil ich vor der Zeit nicht davon geredet wissen, und von keinen Neugierigen überlaufen sein wollte.

Nun ruhte ich nicht, bis es mir gelungen war, vieler jungen Wallfische habhaft zu werden, wobei mir Taucherhütten und dazu eingerichtete Fangwerke dienten.

Dies gelang, aber mein weiteres Beginnen war mühevoll. Doch jung, kräftig, ausdauernd und mein Ziel mit festem Willen ins Auge gefaßt, ließ ich mich nicht ermüden. Daß ich kurz bin, sage ich euch, wie ich mein Vorhaben funfzig ganzer Jahre lang treu verfolgte. Dann sahe ich mich aber auch belohnt. Es war mir ein Schertz, eine Brigg oder einen Dreimaster von wohleingefahrenen Wallfischen dahin schleppen lassen, ich sah jedoch auch ein, wie die Kraft dieser Ungeheuer noch mehr leisten könne. Da fertigte ich einen großen Floß, aus aneinander gefügtem Treibholz, bewarf ihn mit durchsiebter fruchtbaren Erde und pflanzte allerhand Gras und Kräuter darauf. Einige erhöhte Hügel konnten Katalpen und Akazien, andere Fruchtbäume tragen. Ein gemächlich Wohnhaus und Speicher zu Waaren folgten. So entstand das künstliche Eiland welches ihr seht. Manches Jahr übte ich erst die Fahrt in meiner Bai, dann ließ ich den Damm mit Pulver wegsprengen, die Insel zum Ozean bringen zu können, und langte damit wohlbehalten auf der Rheede von Philadelphia an. Die Einwohner staunten wie ihr. Man überzeugte sich aber bald von der Festigkeit und Sicherheit meiner Fahrt und gab mir reiche Ladung nach Europa, die ich verlangte. Auch einige Passagiere fanden sich, andere wagten es noch nicht, die Reise zu theilen. Die meisten unter jenen Männern sind meine Knechte. Doch fahrt jetzt zu der Schwimminsel hinüber, erschaut ihre Bequemlichkeiten. Der Reisende merkt kaum, daß es weiter geht. Welch ein angenehmer Aufenthalt. Bei heitrer Witterung lustwandelt man auf den Hügeln, schlummert im Grase, belustigt sich mit Fischfang. Ist der Himmel unfreundlich ladet das Gebäude ein, wo sich mehr angenehme Einrichtungen finden, als auf dem größten Schiffe, nicht Büchersammlung, Orchesterorgel, Lusttheater, Fechtboden u. s. w. fehlen. Eine Taucherhütte hängt hinten am Eiland, daß man sich auf der Reise beliebig in die Tiefe senken, und dort umsehen kann. Dies alles wurde erst in Philadelphia vollendet. Und prüft auch meine großen Waarenspeicher. Wohl mehr noch als ein Dutzend große Schiffe, vermag ich zu laden, wohlgeordnet, wohlgepackt, keinem Verderbniß blosgestellt, und dennoch geht meine Insel nicht tief, weil ihre Breite und Länge im ausgleichenden Verhältniß zu den aufgebürdeten Lasten steht. Eiliger schießen die Wallfische dahin, als der günstigste Wind ein Fahrzeug zu treiben vermag. Der Sturm kann ihnen nichts anhaben, er trifft sie nicht in ihrer Tiefe. Das Eiland ist zu groß um ein Spiel der Wogen zu sein, zu hoch, zu fest, durch Brandungen zu leiden; stranden kann es nicht leicht, und wenn auch, es ruhet dann sicher auf dem Grunde und es sind Winden vorhanden, die es bald wegschaffen. Seht, ihr Europäer, dies alles kann des Menschen Fleiß ins Werk richten!

Der Greis endete. Man konnte nicht Chaluppen genug finden, die Neugierigen überzusetzen. Daß Gelino und Guido nicht zurückblieben versteht sich. Man fand alles, wie der Mann gesagt hatte, bewunderte am meisten die Sielen und Zugketten der sechs Meerungeheuer, und sahe zu, wie sie gefüttert wurden und die Knechte auf ihren Rücken tanzen ließen.

Das Abladen der Waaren begann und der Mann verlangte an der Börse Rückfracht nach Nordamerika. Sie fand sich, seine Maschinen machten Alles in wenigen Tagen ab.

Während der Zeit erwachte in Guido eine heiße Neigung, die Inselfahrt auch zu theilen. Wir wollten ja ohnehin nach Westindien, sagte er zum Lehrer, laß uns Plätze miethen. Gelino hatte kein Ohr dazu, sein Alter empfahl mehr Vorsicht als der jugendlich ungestüme Muth. Zu wenig ist das noch erprobt, mein Freund, antwortete er, Unfälle, die der Mann selbst nicht erwartet, könnten uns treffen. Erfahrung muß noch deutlicher über den Gegenstand reden, vielleicht litt diese Reise nicht von heftigen Stürmen, er wähnt nun seine Anstalten über alle Gefahr erhoben, und ein Andermal kann sie ihn überwinden. Doch dies alles leuchtete unserm Guido nicht ein, sein Verlangen wuchs nur am Widerstande und er drang so lange mit Bitten in den Lehrer, bis er, obwohl bedenklich genug, einwilligte.

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